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Herausforderung Mobilität bei Inhabern der gemeinsamen elterlichen Sorge Workshop Fachtagung SVBB 3./4. September 2015, Thun Charlotte Christener-Trechsel, Fürsprecherin Vizepräsidentin KESB Bern

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Herausforderung Mobilitätbei Inhabern der gemeinsamen elterlichen Sorge

WorkshopFachtagung SVBB 3./4. September 2015, ThunCharlotte Christener-Trechsel, Fürsprecherin Vizepräsidentin KESB Bern

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Fragen:

Wann ist ein Elternteil mit gemeinsamer elterlicher Sorge frei, seinen Aufenthaltsort ins Ausland zu verlegen – und sein Kind mitzunehmen?

Wann hat der Umzug eines Elternteils erhebliche Auswirkungen auf die Ausübung der elterlichen Sorge und den persönlichen Verkehr durch den anderen Elternteil?

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• Idee und Grundzüge der Revision zur gemeinsamen elterlichen Sorge (geS)

• Inhalt der (gemeinsamen) elterlichen Sorge• Alltägliche Angelegenheiten• «Obhut» nach neuem Recht• Wohnsitz des Kindes unter gemeinsamer elterlicher Sorge• Umzug bei gemeinsamer elterlicher Sorge («Zügelartikel»)

Etwas Theorie zum Einstieg – Überblick

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Idee und Grundzüge der Revision

• Gemeinsame elterliche Sorge (geS) als Regelfall• Paradigmenwechsel bei geS unverheirateter Eltern (Wegfall

Vereinbarung) • Neue Zuständigkeit beim Zivilstandsamt• Mehr Kompetenzen für die KESB • Neue Definition des Obhutsbegriffs• Revision des Unterhaltsrechts abgekoppelt• Streichung von Art. 309 ZGB – Verzicht auf systematische

Beistandschaft bei ledigen Müttern

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MitbestimmungArt. 301a

ElterlicheSorge

Art. 301 ff.

SittlichkeitMoral

Art. 302

VerwaltungVermögen

Art. 318

SchulungAusbildung

Art. 302

ReligionWelt-

anschauungArt. 303

VornameArt. 301

Aufenthalts-bestimmungs-

rechtArt. 301

gesetzlicheVertretung

Art. 304

GemeinsameElterliche Sorge

AlltäglichesDringliches

Art. 301 Abs. 1bis

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Beispiele für (nicht) alltägliche AngelegenheitenArt. 301 Abs. 1bis ZGB: Alleiniges Entscheidungsrecht für betreuenden Elternteil bei „alltäglichen und dringlichen“ Angelegenheiten

Einzelfall, unter Einbezug sämtlicher Umstände nachobjektiven Gesichtspunkten

Fragen in unmittelbarem Zusammenhang mit faktischer Obhut

Gefahr im Verzug

Selten: Elternteil nicht mit vernünftigem Aufwand zu erreichen

KESB und Beistandspersonen sind keine Vermittlungsstellen!Eingriff nur, wenn Gefährdung des Kindeswohls im Sinne von Art. 307 Abs. 1 ZGB!Workshop Mobilität und geS SVBB 2015

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«Obhut» nach neuem Recht

= faktische Obhut

Aufenthaltsbestimmungsrecht: Art. 301a ZGB

Untrennbar mit elterlicher Sorge verbunden Ausnahme: Entzug des

Aufenthaltsbestimmungs- rechts durch KESB (oder Gericht), Art. 310 ZGB

(Muss neu gegenüber beiden Elternteilenausgesprochen werden!)

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Wohnsitz des Kindes bei gemeinsamer Sorge

Art. 25 Abs. 1 ZGB wurde nicht geändert

Wohnsitz des Kindes = Wohnsitz der Eltern; wenn diese nicht denselben haben, Inhaber der

Obhut

Hauptsächlich betreuender Elternteil

Bei 50:50 Betreuung muss Wohnsitz definiertwerden

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Umzug bei gemeinsamer elterlicher Sorge

Art. 301a Abs. 2 ZGB: „Zügelartikel“

• Umzug mit Kind bedarf bei geS der Zustimmung des anderen Elternteils, soferno neuer Aufenthaltsort im Auslando wesentliche Auswirkungen auf Ausübung der elterlichen Sorge und

des persönlichen Verkehrs• Informationspflicht (frühzeitig), auch bei alleiniger eS• Ebenso für Wechsel Wohnsitz ohne Kinder bzw. ohne eS• Anpassung der Kinderbelange (u.U.) nötig, falls Uneinigkeit durch

KESB / Gericht• Rasches Verfahren!• Grundsätzlich keine Verhinderung Umzug möglich

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VerfahrenUmzug bei gemeinsamer Sorge

KM plant AusreiseAntrag bei KESB

GgP erhält Gelegenheit zu Stellungnahme

Dringlich?

KESB stimmt (i.d.R.) zuAufforderung zur Regelung der Kinder- belange innert 2 Monaten

Auftrag an SDAbklärung, ev. Regelung KB, ev. inkl. UB

Regelung?

Kenntnisnahme durch KESB• Ev. Genehmigung UHV• Ev. Verweis an RG / SchlB

wenn UB strittig

ja

ja

nein

nein

Umzug OK?

nein

Keine Zustimmung

ja

Entscheid KESB • Zustimmung Umzug• Kenntnisnahme

Vereinbarung oder• Regelung Kinderbelange • Ev. Genehmigung UB• Verweis an Gericht /

SchlB wenn UB strittig

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Kein Grundsatz ohne Ausnahme

In welchen Fällen ist die Zustimmung zum Umzug (nicht) zu erteilen?

Fallbeispiele

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Fallbeispiel Nr. 1Entscheid OGer Bern vom 26.05.2014, KES 14 55 WIK

Mutter: Schweizerisch-argentinische Doppelbürgerin, bis 25 in Argentinien, Akademikerin Vater: SchweizerKind: X, geb. 2005 – Vereinbarung über die geS von 2005

Obhut bei KM, pV des KV jedes 2. WE / 3 Wo Ferien pro JahrTrennung 2011Mutter entscheidet sich 2013, nach Argentinien zurückzukehren

Begründung: Ganzes familiäres Umfeld dort, bessere berufliche Entwicklungsmöglichkeiten (in CH Sozialhilfe)

Wie würden Sie entscheiden?

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Fallbeispiel Nr. 1Entscheid OGer Bern vom 26.05.2014, KES 14 55 WIK

Auflagen:Deutsche PrivatschuleRegelmässige Ferien bei Vater in CHRegelmässiger Kontakt per SkypeJederzeit Besuche durch Vater möglich

Zustimmung erteilt

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Fallbeispiel Nr. 2Entscheid KESB Bern vom 10.06.2015, 512389/2014-5679

Mutter: Schweizerin, immer in CH gelebtVater: Deutscher, seit 10 Jahren in CHKind: X, geb. 2009 – Vereinbarung über die geS von 2010

Keine Regelung über Kinderbelange für Fall der Trennung Trennung 2010, seither konfliktbehaftet

Freiwillige Begleitung / Mediation 2011, erfolgreich abgeschlossenBetreuung: Bis Kiga KV 40%, ab August 2014 beide 50%

Mutter entscheidet sich 2015, zu ihrer neuen Partnerin nach Spanien zu ziehenBegründung: Neue Beziehung seit 2 Jahren, gute

Arbeitsmöglichkeiten als Pflegende, Chance für Tochter, mehrsprachig aufzuwachsen, problemloser Weg (2 Flugstunden / 15 Autostunden), viele Ferien in Spanien und somit Möglichkeit, Vater oft zu besuchen

Wie würden Sie entscheiden?

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Fallbeispiel Nr. 2Entscheid KESB Bern vom 10.06.2015, 512389/2014-5679

Begründung:Beziehung zu Vater und Mutter gleichwertigRechte des Vaters sind zu schützenKeine zwingenden Gründe, auszuwandernSituation in Spanien risikobehaftet, somit Gefahr erneuten Wechsels

Zustimmung nicht erteilt (Verfahren vor KESGer hängig)

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Fallbeispiel Nr. 3Artikel in DIE ZEIT N° 52/2014 vom 17.12.2014

Mutter: Deutsche, seit Jahren in Zürich, Arbeitsstelle in DeutschlandVater: Schweizer, in Zürich, Arbeitsstelle in Basel, Eltern in Region BaselKinder: X und Y, geb. ca. 2006 und 2008 Trennung im Frühling 2013

Obhut bei KM, KV hat Anspruch auf pV in üblichem Rahmen Mutter zieht im Juni 2014 während hängigem Scheidungsverfahren nach Binningen BL, bietet KV an, die Kinder jedes WE von Freitag bis Sonntag zu sich zu nehmenVater besteht darauf, dass die Kinder weiterhin in Zürich leben

Wie würden Sie entscheiden?

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Fallbeispiel Nr. 3Artikel in DIE ZEIT N° 52/2014 vom 17.12.2014

Begründung:Scheidungsverfahren noch hängigVorwirkung von Art. 301a ZGB

Verhältnismässigkeit?

Zustimmung nicht erteilt

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Fallbeispiel Nr. 4Frei erfunden

Mutter: Schweizerin, lebt und arbeitet zu 70% in 3006 BernVater: Schweizer, lebt und arbeitet zu 70% in 3006 Bern Kinder: X und Y, geb. 2005 und 2007 (heute 4. und 2. Klasse)Trennung 2010, in gutem Einvernehmen

Obhut bei beiden Elternteilen, die je zu 50% betreuen; Rest wird durch Schule und ebenfalls in 3006 Bern lebenden Grosseltern abgedeckt. Mutter hat neuen Partner mit luxuriösem Einfamilienhaus in Münsingen (ca. 15 Km von Bern, 15 Minuten mit S-Bahn). Sie will zum Partner ziehen und die Kinder nach Münsingen mitnehmen, dort anmelden und einschulen lassen.

Wie würden Sie entscheiden?

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Fallbeispiel Nr. 4

Begründung:Bisher gelebtes Betreuungsmodell würde nicht mehr funktionierenKein zwingender Grund für den Umzug

Zustimmung würde wohl nicht erteilt

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Fazit

Kindeswohl als oberste RichtschnurAbwägung persönliche Freiheit / Niederlassungsfreiheit vs. Rechte des anderen ElternteilsHohe Anforderungen an Verweigerung ZustimmungVerhältnismässigkeit ist zu beachtenRechtsmissbrauch wird nicht geschütztBetreuungsanteile wesentlichPersönlicher Verkehr ist ggf. neu zu regeln!

Telefonisch / per Skype / MailFerienrechtInformation & Auskunft

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Links und Literaturempfehlungen zur geS • KOKES (Empfehlungen): www.kokes.ch Dokumentation• Bundesamt für Justiz: www.google.ch «BJ elterliche Sorge»• Eidg. Amt für Zivilstandswesen: www.eazw.admin.ch Merkblätter

• Patrick Fassbind, «Inhalt des gemeinsamen Sorgerechts», in: Aktuelle Juristische Praxis AJP 5/2014, S. 692 ff.

• Patrick Fassbind, «Belassung, Erhalt und Erteilung der gemeinsamen Sorge als Regelfall», in: Zeitschrift für Kindes- und Erwachsenenschutz ZKE 2/2014, S. 95 ff.

• Urs Gloor / Jonas Schweighauser, «Die Reform des Rechts der elterlichen Sorge – eine Würdigung aus praktischer Sicht», in: FamPra.ch 01/2014, S. 6 ff.

• Andreas Bucher, «Elterliche Sorge im Schweizerischen und Internationalen Kontext», in: Familien in Zeiten grenzüberschreitender Beziehungen, Freiburg 2013, Rz. 18f., 20 ff., 58

• P. Meier / M. Stettler, «Droit de la filiation», 5. Auflage, S. 654 ff.

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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