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24. Januar 2018 – Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen – Sarah Wohlfeld Herkunftsregionen und Fluchtursachen: Migration aus dem Westbalkan. Ursachen und Folgen für die deutsche Asyl- und Migrationspolitik Universität Hamburg – 24. Januar 2018 Sarah Wohlfeld Wissenschaftliche Mitarbeiterin – Projektleiterin TRAIN Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP)

Herkunftsregionen und Fluchtursachen: Migration aus dem ... · § ab 2016 starker Rückgang der Asylbewerberzahlen aus dem Westlichen Balkan: nur noch Albanien mit knapp 15.000 Asylerstanträgen

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24. Januar 2018 – Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen – Sarah Wohlfeld

Herkunftsregionen und Fluchtursachen: Migration aus dem Westbalkan. Ursachen und Folgen für die deutsche Asyl- und Migrationspolitik

Universität Hamburg – 24. Januar 2018

Sarah WohlfeldWissenschaftliche Mitarbeiterin – Projektleiterin TRAIN

Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische ZukunftsfragenDeutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP)

24. Januar 2018 – Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen – Sarah Wohlfeld

Gliederung

1. Zahlen und Fakten: Migration aus dem Westbalkan

2. Fluchtursachena. politische Instabilitätb. schwache Wirtschaftssystemec. Diskriminierung von Minderheiten

3. Reaktionen der Politik

4. „Problem“ gelöst?

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Westlicher Balkan – politischer Begriff

24. Januar 2018 – Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen – Sarah Wohlfeld

1. Zahlen und Fakten: Migration aus dem Westbalkan

§ die Staaten des Westbalkans sind seit den 1960er Jahren traditionelle Herkunftsländer von Arbeitsmigration

§ starker Anstieg der Flüchtlingszahlen bedingt durch die kriegerischen Konflikte im ehemaligen Jugoslawien in den 1990er Jahren

§ in den frühen 2000er Jahren Migration aus dem Westbalkan auf niedrigem Niveau

§ erneuter Anstieg der Asylbewerberzahlen aus der Region nach der Visaliberalisierung für Staatsangehörige der EJR Mazedonien, Montenegros und Serbiens (2009) sowie Albaniens und Bosnien-Herzegowinas (2010)

§ 2014 knapp 63.000 Asylantragssteller aus den Westbalkanstaaten

24. Januar 2018 – Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen – Sarah Wohlfeld

§ Asyalanträge (Erst- und Folgeanträge) in Deutschland aus dem Westbalkan, 1990-2014

24. Januar 2018 – Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen – Sarah Wohlfeld

§ 2015 nochmaliger sprunghafter Anstieg der Flüchtlingszahlen aus dem Westbalkan: 113.015 Erstanträge auf Asyl

Quelle:BAMF

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§ ab 2016 starker Rückgang der Asylbewerberzahlen aus dem Westlichen Balkan: nur noch Albanien mit knapp 15.000 Asylerstanträgen unter den Hauptherkunftsländern

§ 2017 nur noch gut 10.000 Asylerstanträge aus allen Westbalkanstaaten zusammen

§ Anerkennungsquote für Asylanträge aus dem Westbalkan: < 1 Prozent

Quelle:BAMF

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2. Fluchtursachena. politische Instabilität

§ nach Ende der blutigen Konflikte in den 1990er Jahren: Hoffnung auf baldige Integration in europäische Strukturen (Stabilität und Prosperität)

§ 2003: „Versprechen von Thessaloniki“ beim Europäischen Ratstreffen§ bis dato: nur Kroatien breitgetreten§ demokratischer Transformationsprozess stagniert in allen Ländern in der

Region § teilweise autokratische Tendenzen§ politische Systeme nach wie vor fragil

§ Folge: Enttäuschung und Desillusionierung

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Montenegro

§ am weitesten vorangeschritten im Erweiterungsprozess: seit Juni 2012 Verhandlungen mit der EU (3 von 33 Kapiteln abgeschlossen)

§ „Stabilokratie“: seit 25 Jahre die gleiche Partei an der Macht§ weitestgehend gestützt vom Westen: hat NATO-Beitritt gegen den Widerstand

der pro-russischen Opposition durchgesetzt und gibt sich pro-europäisch

• Hauptprobleme: Rechtsstaatlichkeit, Korruption, Nepotismus

• „Frontrunner“ in der Region?

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Serbien

§ seit Januar 2014 Beitrittsverhandlungen mit der EU (2 von 35 Kapiteln abgeschlossen)

§ Hauptprobleme: Rechtsstaatlichkeit, Korruption, Nepotismus

§ Rückschritte im Demokratisierungsprozess: Einschränkung der Medienfreiheit, Repressionen gegenüber der Zivilgesellschaft und der Opposition

§ erstmalig Massenproteste nach der Präsidentschaftswahl im April 2017

§ zentrales Konfliktfeld: Kosovo§ Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo§ Kompromissbereitschaft Serbiens auf Kosten innerstaatlicher Demokratie

(Demokratisierung vs. Stabiltät) § zuletzt wieder verstärkte Spannungen

24. Januar 2018 – Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen – Sarah Wohlfeld

Kosovo

§ keine Anerkennung der 2008 unilateral erklärten Unabhängigkeit durch fünf EU-Staaten

§ April 2016: Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU

§ Hauptprobleme neben Statusfrage: Korruption, Rechtsstaatlichkeit und Vetternwirtschaft

§ eine der größte Herausforderungen auch der Umgang mit der serbischen Minderheit in Nordkosovo

§ KFOR noch immer mit ca. 4.000 Soldaten im Land stationiert

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Mazedonien

§ seit 2005 EU-Kandidatenstatus, 2009 empfahl die Kommission Aufnahme von Beitrittsverhandlungen: seitdem Blockade

§ zunächst ursächlich: Namensstreit mit Griechenland

§ vom Frontrunner zum Sorgenkind: massive Rückschritte in der Demokratisierung bis hin zur Staatskrise

§ autokratische Tendenzen§ Abhörskandal

§ Hauptprobleme: Rechtsstaatlichkeit, Korruption, Nepotismus

§ neue Regierung seit Mai 2017: vorsichtiger Optimismus

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Albanien

§ nach jahrzehntlanger stalinistischer Diktatur schwierigsten Ausgangsbedingungen nach Ende des Kalten Krieges

§ seit Juni 2014 EU-Kandidatenstatus: voraussichtlich dieses Jahr Aufnahme von Beitrittsverhandlungen

§ starke Polarisierung der Gesellschaft entlang der Parteilinien: „the winner takes it all“-Mentalität

• Hauptprobleme: Rechtsstaatlichkeit, Korruption, Nepotismus sowie organisierte Drogenkriminalität

§ Positives Signal: Beschluss einer umfassenden Justizreform

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Bosnien und Herzegowina

§ „failed state“

§ im Februar 2016 EU-Beitrittsgesuch eingereicht

§ Friedensabkommen von Dayton von 1995 hat das Land praktisch nicht-regierbar gemacht

§ zwei Entitäten: Republika Srpska und kroatisch-bosniakische Föderation§ Staatspräsidium bestehend aus drei Politikern; nach Quoten geregelter

riesiger Verwaltungsapparat – gegenseitige Blockaden§ Office of the High Representative mit weitreichenden exekutiven Befugnissen

§ Korruption, mangelnde Rechtstaatlichkeit, Nepotismus

§ Zukunft des Landes völlig offen

24. Januar 2018 – Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen – Sarah Wohlfeld

Zusammenfassung Push-Faktor „politische Instabilität“

§ „Sehnsucht nach dem Rechtsstaat“§ Balkan-Barometer 2016: ein Drittel der Bevölkerung „absolut unzufrieden“, wie

die Dinge in der Gesellschaft stehen; ein weiteres Drittel „überwiegend unzufrieden“

§ mangelnde EU-Perspektive: Frustration und Hoffnungslosigkeit; Abkehr vom politischen System

§ Wunsch nach verbindlichen Regeln für alle§ Arbeitsmarkt ohne Vetternwirtschaft§ Justizsystem basierend auf Gerechtigkeit§ Sozialleistungen ohne Bestechungsgelder § unabhängige Medien§ usw.

24. Januar 2018 – Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen – Sarah Wohlfeld

„If we want more stability in our neighbourhood, then we must alaso maintain a credible enlargement perspective for the Western Balkans (…)“.

Kommissionspräsident Jean-Claude Jucker, September 2017

24. Januar 2018 – Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen – Sarah Wohlfeld

2. Fluchtursachenb. schwache Wirtschaftssysteme

§ Leistungsfähigkeit der WirtschaftssystemeLand BIP/KopfinUS-Dollar2016

Deutschland 41.313

EU-28 35.632

Albanien 3.945

BosnienundHerzegowina 4.249

Kosovo 3.562

EJRMazedonien 4.853

Montenegro 6.406

Serbien 5.235

Quelle:FreedomHouse,eigeneDarstellung

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§ Arbeitslosenquote

Quelle:InternationalLabourOrganisation,fürKosovo:DatenvonMai2017KosovoAgencyof Statistics,eigeneDarstellung

Land inProzent2016

Deutschland 4,1

EU-28 8,5

Albanien 15,2

BosnienundHerzegowina 26,0

Kosovo 30,5

EJRMazedonien 23,7

Montenegro 17,7

Serbien 15,3

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§ Jugendarbeitslosigkeit

Quelle:Weltbank

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Zusammenfassung Push-Faktor „schwache Wirtschaftssysteme“

§ Wirtschaft weit unter dem EU-Niveau: niedriger Lebensstandard

§ Zugang zum Arbeitsmarkt oft abhängig von informellen Netzwerken

§ Schattenwirtschaft und informelle Arbeitsverhältnisse weit verbreitet

§ minimale staatliche Grundsicherung

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2. Fluchtursachenc. Diskriminierung von Minderheiten

“There is a need to better protect minorities, in particular Roma. Roma in the Western Balkans and in Turkey continue to be the victims of racism,

discrimination and social exclusion and most Roma live in deep poverty, lacking sufficient access to healthcare, education and training, housing and

employment.” (Europäische Kommission, Erweiterungsstrategie 2015)

§ etwa ein Drittel aller Flüchtlinge aus dem Westlichen Balkan gehörte der Minderheit der Roma an (Sommer 2015)

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Quelle:ZentralratDeutscherSinti&Roma

24. Januar 2018 – Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen – Sarah Wohlfeld

Spezifische Fluchtursachen der Roma im Westlichen Balkan

§ systematische Diskriminierung und Antiziganismus§ Ausschluss vom Arbeitsmarkt§ Begrenzter Zugang zu menschenwürdigen Wohnverhältnissen§ Benachteiligung im Zugang zum (qualitativ gutem) Schulwesen§ Benachteiligung im Zugang zum Gesundheitswesen

§ Armut als Folge von Diskriminierung

§ knappe Ressourcen in der Region tragen zur Diskriminierung bei

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3. Reaktionen der Politik

§ Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz Oktober 2015§ Liste der sicheren Herkunftsstaaten wurde ausgeweitet auf alle

Westbalkanstaaten

§ Aufklärungskampagne der Bundespolizei

§ Erleichterungen bei der legalen Migration nach Deutschland

§ entscheidend: Mundpropaganda durch Rückkehrer

24. Januar 2018 – Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen – Sarah Wohlfeld

4. „Problem“ gelöst?

§ Flüchtlingszahlen aus dem Westlichen Balkan wieder auf niedrigem Niveau

Aber…

§ Situation in Region unverändert: erneute Migrationsbewegungen nicht ausgeschlossen

§ Schattenseite der legalen Migration: Brain Drain

§ Mangelnde Bekämpfung der Fluchtursachen§ Folge: erneute illegale Einreisen nach Deutschland

24. Januar 2018 – Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen – Sarah Wohlfeld

„ Es ist die Natur des Menschen, leben zu wollen, besser leben zu wollen“(Fatos Kongoli Januar 2015)