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HLDERLIN
S M T L I C H E
W E R K E
62
Briefe Lesarten
GROSSE
STUTTGARTER
AUSGABE
H L D E R L I N G R O S S E S T U T T G A R T E R A U S G A B E
HLDERLIN
S M T L I C H E W E R K E
SECHSTER BAND
V E R L A G W. K O H L H A M M E R
S T U T T G A R T 1958
S T U T T G A R T E R H L D E R L I N - A U S G A B E
IM A U F T R A G D E S W R T T E M B E R G I S C H EN K U L T M I N I S T E R I U M S
H E R A U S G E G E B E N VON
F R I E D R I C H B E I S S N E R
SECHSTER BAND
B R I E F E
H E R A U S G E G E B E N V O N A D O L F B E C K
ZWEITE HA'LFTE
LESARTEN UND ERLUTERUNGEN
L E S A R T E N U N D E R L U T E R U N G E N
V O R B E M E R K U N G E N D E S H E R A U S G E B E R S
Seinem biographischen Inhalt nach gehrt der sechste Band in einer Art Symbiose mit
dem siebenten zusammen. Der eine erntet das Grenzgebiet zwischen Werk und Leben
ab, der andere greift in fremdes, wenn auch benachbartes Land hinber. Die Briefe des
Dichters werden dort ergnzt durch das schmchtigere Corpus der Briefe an ihn sowie
durch die stattliche Sammlung der fremdhndigen Zeugnisse von seirum Leben und
Wirken. fVo in den Erluterungen des vorliegerxden Bandes Briefe an Hlderlin und
Dokumente seines Lebens erwhnt oder zitiert sind, versteht es sich von selbst, da die
herangezogenen Stellen in ihrem gehrigen Zusammenhang im folgenden Bande ge-
boten werden. Nur in Ausnahmefllen ist ausdrcklich auf ihn hingewiesen.
Anders als fr den siebenten Band ist fr den sechsten, trotz grndlicher Fahndung,
der drftige Bestand an erhaltenen Stcken, deren Anzahl nur einen Bruchteil der
von Hlderlin gepflegten Korrespondenz ausmacht, nicht wesentlich bereichert. Um
von geringeren Empfngern zu schweigen: die abgesandten Briefe an Isaak von
Sinclair und Susette Gontard sind berhaupt, die an den Bruder in der Urschrift
verloren geblieben. Da noch immer Glcksfunde zu gewrtigen sind, hat im Som-
mer 1954 das Auftauchen des Briefes Nr. Ha gezeigt. In einem Falle sind bisher
alle Bemhungen des Hlderlin-Archivs und des Herausgebers um die vorharulene
Abschrift eines wahrscheinlich im zweiten Weltkrieg vernichteten Briefes gescheitert
und mehrere Angebote an den gelehrten Besitzer, die erste Verffentlichung durch ihn
selbst zu vermitteln, folgenlos geblieben.
Die Grundanlage und die Richtlinien der Edition sowie die technischen Mittel und
Zeichen sind, mit geringen sinngemen Abwandlungen, die gleichen wie in den
andern Bnden. Alles Notwendige darber ist von Friedrich Beiner in den Vorbe-
merkungen zum ersten (S. }17-S20) dargelegt.
475
Lesar ten u n d Er l u t e rungen
Die chronologische Anordnung unterscheidet aus einleuchtenden Grnden nicht zwi-
schen Bruchstcken und vollstndigen Briefen. In denen, die ganz oder teilweise nur
in Form von Regesten berliefert sind, maten diese im Text durch kursive Schrift
abgehoben werden. Abkrzungen sind als Zeichen eiliger Hand belassen. Um der
Schnheit des Schriftbildes willen sind dagegen die hufigen versehentlichen Aus-
lassungen einzelner Wrter so wie die seltneren Dittographien nur in den Lesarten
vermerkt.
In dem Abschnitt berlieferung sind bei Angabe des ersten Druckes einige vielmals
wiederkehrende Titel, samt der fr die recensio wichtigen Ausgabe Christoph Theodor
Schwabs von 1846 (B^), in abgekrzter Form genannt, die vollstndigen Titel am
Schlu dieser Vorbemerkungen angegeben.
Die Hauptaufgabe: das Wort des Dichters so rein wie mglich herzustellen und dar-
zubieten, ist bei den Briefen wesentlich einfacher als bei den Gedichten. Das Problem
der Fassungen, und innerhalb ihrer der Schichtung des Textes, existiert hier nicht.
Mit einer Ausnahme (Nr. 76) ist von den urschriftlich erhaltenen Briefen nur ent-
weder der abgesandte oder ein konzipierter Wortlaut vorhanden, der vom Dichter ge-
wollte Text in weitaus den meisten Fllen fraglos. Verwickelter liegen die Dinge in
den zahlreichen Stcken, deren Originale verschollen sind, verschollen zum grten
Teil seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts: seit den Vorarbeiten Gustav Schlesiers
und des jungen Christoph Theodor Schwab, dem sie als Vorlage fr B^ dienten. /
Schwab ist nicht verllich. Von seinen Eingriffen in Lautstand, Schreibweise und
Orthographie zu schweigen, abzusehen auch von seinen Lese- und Druckfehlem,
ndert er mehrmals eigenmchtig den Wortlaut oder lt er ganze Abschnitte weg,
ohne die Lcke jedesmal durch Punkte oder Striche zu bezeichnen. Wo B^ die einzige
Grundlage des Textes, bleibt der Boden unsicher. Dieser Vorbehalt ergab sich, oder
wurde besttigt, dwch.den Vergleich von B^ mit den Abschriften ganzer Briefe oder
einzelner Abschriitte und Stze, die Schlesier und Schwab selbst von damals noch er-
haltenen Urschriften gefertigt haben, jener fr seine geplante Biographie, dieser
zum greren Teil in einem handschriftlichen Lebensabri (unter den Stuttgarter
Hlderlin-Papieren), der eine Vorstufe der Biographie in B^ darstellt.
Diese beiden Nebenquellen sind hier zum ersten Male fr den Text der im Original
verlorenen Briefe kritisch ausgeschpft. Sie erbringen in beachtlicher Anzahl ein-
deutige und bedeutsame Berichtigungen des Sinnes und des Wortlauts. Hlderlin
spricht nicht von Htten, sondern von Hirten des sdlichen Frankreichs (Nr. 240
476
Lesarten u n d Er lu te rungen
Z.} f.); er urteilt herb ber den politischen Jammer, nichtau ber die politi-
schen Sachen (Nr. 126 Z.Sl). - Schwieriger ist oft das Richtige in der Wortform
lu treffen, wenn diese in B^ und den genannten Abschriften verschieden ist, z.B.
gern und gerne. Ein Metrum kommt nicht zu Hilfe. Es fehlt eine Untersuchung
solcher unscheinbaren Eigenheiten von Hlderlins Sprachgebrauch und im Beson-
deren des Rhjrthmus in seiner Brief- oder Zweckprosa. Hier hatte der Herausgeber
auf Grund sorgfltiger Beobachtung, oft mit besonderer Rcksicht auf den Hiatus,
fr den Hlderlin ein so empfindliches Ohr besitzt, von Fall zu Fall nach bestem
Wissen und Empfinden zu entscheiden, ohne jedoch seine Entscheidung als schlecht-
hin verbindlich ansehen zu drfen. Ahnliches gilt fr die Zeichensetzung, vornehm-
lich die des Kommas, mit dem Schwab in seinen Abschriften ungebhrlich sparsam,
und fr die Schreibweise, die in B^ sowohl wie in den Abschriften dem Brauch der
Mitte des neunzehnten Jahrhunderts angeglichen ist. Die Orthographie Hlderlins
beruht zwar fast immer auf jeweils berlegten Grundstzen, schwankt aber mehrmals
in recht engen Zeitrumen zwischen Herkommen und Eigenwillen. Daher bleibt die
Bemhung, dem Text verlorner Originale so gut wie mglich die urschriftliche Ortho-
graphie und damit etwas von seinem ursprnglichen Timbre wiederzugeben, mit
einem Rest von Unsicherheit behaftet. Beobachtung des Brauches in den handschrift-
lich erhaltenen Nachbarbriefen ist hier alles; aber Beobachtung findet selbst auf die-
sem unscheinbarsten Gebiet ihre Grenze an der Irrationalitt und Wandlungsfhigkeit
des Lebendigen, des Stils.
Wesentlich einfacher als bei den Gedichten ist auch die nchste Aufgabe: ein rich-
tiges, klares und vollstndiges Verzeichnis der Lesarten. Unter ihnen ist zwar Be-
deutsames nicht selten; im Ganzen ist jedoch ihr sachliches und stilistisches Gewicht
viel geringer als bei den Gedichten, die Suche nach dem schlechthin treffenden Worte
weniger vorherrschend, der Anteil bloer Fersehen gro. Das Verzeichnis mag strek-
kenweise den Eindruck einer Schlackenhalde, der Grundsatz der Vollstndigkeit daher
Widerspruch hervorrufen. Er erscheint jedoch gerechtfertigt durch das psychologische
Moment, das in den Briefen Rcksicht fordert. Bei den Gedichten liegt der Wert der
Lesarten vornehmlich im genetischen Moment, im Aufhaschen ihrer Entstehung
und Entwicklung (s. Bd.l, il8), bei den Briefen zu einem wesentlichen Teil in der
behutsamen Erkenntnis der wandelbaren Verfassung und Stimmung, aus der Hlder-
lin den jeweiligen Brief, und der gleichbleibenden Haltung, worin er seine Briefe
geschrieben hat. Nicht nur die periodischen Schwankungen des Schriftbildes nach
477
Lesar ten u n d Er lu te rungen
dem Rhythmus von Ebb' und Fluth des inneren Lebens, auch die momentanen
Strungen im einzelnen Briefe bedeuten ein Psychogramm, ein Symbol des Innern.
Darauf bezogen, ist bei vorsichtiger Deutung aufschlureich die jeweilige Anzahl,
teilweise wohl auch die Art der Verschreibungen, der berichtigten wie der bersehenen:
auf schlureich fr das Ich-Bewutsein des Schreibenden wohl die hufige Auslassung
des Pronomen der ersten Person der Einzahl; fr sein Temperament wie fr das
Tempo seines Denkens und Niederschreibens die wenn auch oft nur im Ansatz
vielmals auftretende Vorwegnahme des bernchsten Wortes und die verfrhte Set-
zung eines Kommas; fr den spannungsvollen Wechsel von Strmen und Sichstauen
des Gedankens, gleichsam fr den geistig - seelischen Atem des Schreibenden, die
ebenso hufige Aufhebung eines ursprnglich erreichten Satzschlusses durch Um-
wandlung des Punktes in ein Komma und Anfgung eines neuen Satzteils. Es ist
gleichsam die ffnung der schon geschlossenen Schranke, der Wurf des vorlufig
und scheinbar Fertigen in ein neuerliches Werden: ein Verfahren, das im Kleinen
vielleicht als Analogie zu der groen Verfahrensweise des unermdlich ausbauenden,
weitere Rume schaffenden Lyrikers gelten darf. So birgt wohl auch, was scheinbar
nur Gerllhalde, mancherlei Gestein von Wert.
Nchst dem Text und den Lesarten mute die Datierung und Einordnung der un-
datierten Briefe besonderes Anliegen sein. Diese machen bis 1804 genau die Hlfte
des Bestandes aus. Im Allgemeinen periodische Schwankungen in dieser Hinsicht
sind leidlich erkennbar war dem Dichter das genaue Datum nicht eben wichtig,
wahrscheinlich oft nicht gegenwrtig; er versumte fters, den fr die Tageszahl
ausgesparten Raum nachher auszufllen, trug in andern Fllen das ganze Datum
erst zuletzt am Kopf des Briefes nach und lie es noch viel fter weg, besonders in
Freundes- und Familienbriefen, worin er sich flchtiger und lssiger geben konnte.
(In der thematisch einheitlichen Gruppe Nr. 1OS110 sind die drei Briefe an Neuffer
undatiert; in der Gruppe Nr.l2S131 tragen die an einem und demselben Tag ge-
schriebnen an Hegel, Schiller und die Mutter das vollstndige Datum, der hchst
wahrscheinlich vom Tage darauf stammende an den Bruder bergeht die Tageszahl;
in den fnf Hauptwiler Briefen Nr. 227-231 beachtet der Dichter zunchst das
Datum, kommt jedoch davon ab, als und wahrscheinlich weil ihn mancherlei
bedrngt und sein inneres Gleichgewicht gegenber der Auenwelt strt.)
In sehr vielen Fllen war die mehr oder weniger genaue Datierung fraglos und schon
geleistet; in allen hat der Herausgeber hinlngliche Begrndung fr notwendig und
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Lesarten u n d Er lu te rungen
mglichst scharfe Eingreniung fr wnschenswert gehalten. Dazu muten vorwie-
gend sachlich-historische Kriterien, nur in Notfllen und allenfalls zur Ergnzung
psychologische Argumente benutzt, die sttzenden Zeugnisse fters zitiert, gewisse
Umstnde der Begrndung fters in Kauf genommen werden (z.B. besonders in Nr.
122). Zuweilen kam alle Bemhung nicht bers leidige Ungefhr hinaus; hie imd
da blieb in kleinen Gruppen die'genaue Reihenfolge leicht unsicher, was dann jeweils
vermerkt ist; sensationelle Umstellungen waren nach der grundlegenden Leistung
Litzmanns nicht zu erwarten; immerhin li^ sich in einer greren Anzahl von
Fllen ein Brief eindeutig auf einen Tag oder eine JVoche festlegen und die Reihen-
folge innerhalb begrenzterer Zeitrume berichtigen, hier auf kombiruitorischem Wege
(z. B. bei Nr. 49), dort auf allereinfachstem (z. B. bei Nr.} 5,146, auch 223-226).
Der Herausgeber ist hier des Vorhalts der Mikrologie gewrtig. Er betrachtet die
minutisen Datierungsversuche als hilfswissenschaftliche Arbeit, die nicht durch die
- dem Denkenden selbstverstndliche Frage bestimmt werden durfte, welcher Zu-
wachs an wirklicher Erkenntnis des Menschen urui des Werkes sich aus einer gelun-
genen Datierung ergebe. Es galt gewisse ebenso primre wie primitive Dinge nach
Mglichkeit sicher- und fr weitere Forschung bereitzustellen. In dem Betriebe leben-
diger Wissenschaft greifen letzten Endes, auf lngere Sicht gesehen, alle Rder in-
einander. Man mag es darauf ankommen lassen, ob scheinbar totes Kapital eines
Tages seine Zinsen tragen wird.
Die Datierungsversuche stehen jeweils in der Einfhrung. Diese soll weiterhin, so-
fern notwendig oder angebracht, als Brcke zu den eigentlichen Erluterungen ge-
wisse allgemeinere Voraussetzungen fr das Verstndnis des betreffenden Stckes
vermitteln; sie soll fters verlorene Briefe Hlderlins erschlieen, vorausliegende oder
Antwortbriefe des Adressaten erwhnen und auswerten, dessen Leben soweit es sich
nicht um eine allbekannte Persnlichkeit handelt , unter Umstnden sein Wesen
und sein Verhltnis zum Dichter, gegebenenfalls in Umrissen auch den Lebenskreis
der Menschen, denen Hlderlin kurz vor Abfassung des Briefes nher getreten ist,
knapp skizzieren, notfalls im Zusammenhang mit der Datierung einen krzeren
Lebensabschnitt, aus dem der Brief stammt, in seinem Verlaufe nachzeichnen oder
hypothetisch rekonstruieren, und endlich die Stimmung oder Gedankenwelt andeuten,
woraus Hlderlin schreibt. In all diesen Rcksichten war freilich schon des Raumes
wegen Beschrnkung geboten.
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Lesar ten u n d Er l u te rungen
Schlielich die Erluterungen. ber deren Art und Umfang, Zweck und Grenze
glaubt der Herausgeber besondere Rechenschaft zu schulden. Rechenschaft ber das
als Endziel Erstrebte ist aber hier zugleich Rechenschaft ber das nicht Erreichte,
teilweise vielleicht nicht Erreichbare. Wesentliche Grnde fr diesen Abstand liegen
wohl in der Vielfltigkeit des Gesamtgegenstandes, der im Einzelnen auf ganz ver-
schiedenen Stufen der Wichtigkeit steht und Dinge der Biographie und Psychologie,
der Sprache und des Stils, der Literaturwissenschaft und der Philosophie, der Fami-
liengeschichte und Genealogie, der Lokal- und Kultur-, der politischen und der
Kriegsgeschichte in sich enthlt, femer in den Gesetzen und Grenzen des literari-
schen Genus der Erluterungen, die weder fortlaufender Kommentar noch geschlos-
sene Interpretation sein knnen und der Tendenz zum frmlichen Exkurs widerstehen
mssen, in der Mehrfalt der Benutzerkreise, auf die ein biographischer Band
Rcksicht zu nehmen hat, nicht zuletzt aber in der Entwicklung wid Situation der
Hlderlin -Forschung.
Abgesehen von Sach- und Worterklrungen, Zitatnachweisen, Einzelparallelen aus
den Briefen selbst, aus der Dichtung Hlderlins, aus dem Werk anderer Dichter und
Denker, knappen Hinweisen auf Elemente des Briefstils und -baus, haben die Erlu-
terungen zu den Briefen vornehmlich die Aufgabe, das Leben Hlderlins, soweit es
jeweils fr briefliche Mitteilungen den Hintergrund bildet und darin widerscheint,
zu beleuchten und vermittelnd darzustellen. Dieses Anliegen ist eng verbunden, oft-
mals identisch mit der Aufgabe, die Bewandtnisse seiner menschlichen, sozialen,
kulturellen Umwelt, soweit sie in seinen Briefen berhrt und fr ihn in einem
recht weiten Sinne des Wortes bedeutend sind, aufzuklren. Dabei wiegt je nach
Relevanz und Bekanntsein der Sache hier Untersuchung, dort einfache Darstellung
vor. Das Gesetz, unter dem die Erluterungen solcher Art stehen, heit: Verdeut-
lichung, notfalls sinnvolle Ergnzung des fragmentarisch, flchtig und andeu-
tungsweise Gesagten, vor allem: Vergegenwrtigung des Vergangenen, Auffrischung
des Verblaten, Einholung des Verschollenen. Der Brief stellt eine Art der Mitteilung
dar, worin der Schreibende den Empfnger in vielen Fllen und auf weiten Strecken
als Mitwisser der sachlichen und psychischen Hintergrnde, als schon verstndigt
und ins Bild gesetzt ansehen und sich dem gem auf Andeutungen, auf Chiffem
beschrnken darf. Der Brief Hlderlins im Besonderen geht hierin weit. Den Er-
luterungen erwchst daraus die Aufgabe, den nachgeborenen Leser in das jeweilige
Bild der vergangenen Verhltnisse zu setzen. So galt es unter aruierem, Namen, die
heute verloren, klang- und seellos in den Briefen stehen, fr Hlderlin aber urui sei-
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Lesar ten und Er l u te rungen
nen Partner lebendig waren, wieder mit solchem lebendigen Forstellungsinhalt zu
fllen, sie in Figuren umzuwandeln, wobei freilich nach der Bedeutung der Person
zu differenzieren war. Das ist jedoch nur zu einem migen Teile hinlnglich ge-
lungen. In vielen Fllen mute sich die Erluterung mit kahlen Daten des Lebens-
urui Berufsweges bescheiden, in so manchen von der fraglichen Persnlichkeit er-
klren: Nicht genauer bestimmbar. Denn die umrissenen Aufgaben stehen heute
groenteils unter dem Zeichen: Zu spt.
Ein Hauptgrund dafr liegt in der Paradoxic des Entwicklungsgangs der Hlderlin-
Forschung. Diese hat im vorigen Jahrhundert das Frhstadium der Literaturwissen-
schaft, das Stadium biographisch-positivistischer Sammlung urul Begrndimg, noch
gar nicht eigentlich mitgemacht, gleichsam verschlafen. Im Zeichen des Positivismus
wurde das Leben der groen Dichter, im Besonderen Goethes und Schillers, wurden
ihre persnlichen Verhltnisse und ihre literarischen Beziehungen bis in entlegene
Winkel hinein durchleuchtet: um Hlderlin, den Halb- und Unverstandenen, blieb
es in der Forschung recht stille. - Der Aufsatz Wilhelm Waiblingers: genial in der
Konzeption von JVesen und Schicksal, scharfsichtig in der Analyse des Kranken,
schief in der Herleitung der Krankheit, im Biographischen unzulnglich , ein kh-
ner, doch verfrhter Wurf. Die Lebensbeschreibung Christoph Theodor Schwabs:
wohlmeinend und wohlwollend, doch bieder beschrnkt in der Sicht, im Biographi-
schen sehr bereichert, aber auch gehemmt durch die von apologetischer, familienpoli-
tischer Tendenz schngefrbten Informationen des Stiefbruders Karl Gok, des
Schatzhters der Handschriften, auf die es Schwab doch absehen mute. Die weit
und besonnen angelegte Vorarbeit Gustav Schlesiers zu einer Biographie: vom Tode
frh gestrt; die verstndige Vorlesung des Tbinger Philologen Wilhelm Teuffei:
eine Gesamtwrdigung, in ihrer Wirkung beschrnkt auf den Zuhrerkreis; diejenige
Friedrich Theodor Vischers: ein Zwitter von Einsicht und Hochmut, Respekt und
Besserwisserei. In biographischer Einzelforschung geschah lange sehr wenig. Was
im neunzehnten Jahrhundert, und auch noch im unsrigen, an Quellen zur Kenntnis
des Lebens und der Umwelt nach und nach versickert, was an Briefen des Dichters
und an Nachrichten ber ihn allmhlich aus gleichgltigen Hnden entglitten, ver-
kommen und verschollen sein mag, ist heute nicht mehr zu ermessen. 1890 erst barg
der ltere Litzmann den ihm erreichbaren Schatz der Briefe von und an Hlderlin.
Einige Jahre danach schuf Emil Petzold mit seinem Versuch ber die Elegie Brod
urui Wein ein gltiges Muster der Verbindung von biographischer und exegetischer
Betrachtung. Bald nach der Jahrhundertwende wurde Hlderlin, kaum als Snger der
481
Lesar ten u n d Er l u te rungen
Hymnen und als einer der grten Lyriker entdeckt, auch sofort hineingerissen in die
strudelreichen Methodenstrmungen der modernen Literaturwissenschaft mit ihren
antipositivistischen und antibiographistischen Tendenzen. Die biographische Einzel-
forschung wurde nun erst recht zum Aschenputtel; einige Ausnahmen wie die muster-
haften Umweltarbeiten von Ludwig Strau abgerechnet, blieben ihre Fortschritte im
Allgemeinen von Zufallsfunden neuen Materials abhngig. Ein Wandel hierin
zeichnet sich seit einem runden Jahrzehnt ab, gefrdert durch die Besinnung modemer
Philosophie auf das unergrndliche Problem der Existenz, markiert durch die Quel-
lenerschlieungen, Untersuchungen und Darstellungen von Emst Mller, Lothar
Kempter, Werner Kirchner, Erich Hock.
Auf die Dauer mute es zu einem Miverhltnis und ungesunden Zustand fhren,
wenn von zwei Strngen der Forschung der eine mit anhaltend grtem Eifer weiter-
gesponnen, der andere dagegen, der schon in der Epoche des Positivismus dnn und
drftig war, nur mig fortgefhrt wurde. Der Herausgeber mchte mit den Er-
luterungen (und Einfhrungen) zu den Briefen sowie mit den Dokumenten des
siebenten Bandes das Seinige zum Ausgleich dieses Miverhltnisses beitragen. Er
hat sich zu minutisen Erhebungen angehalten, aber nur allzu oft durch die Grenzen
des noch Erhebbaren aufgehalten gesehen. Auch hier, so glaubte er, gelte es die Dinge
nach Mglichkeit sicherzustellen, das Erhebbare y>aufzuheben, ohne da das prak- '
tische Vorgehen jeweils durch die Frage nach dessen Erheblichkeit bestimmt
wrde, es aufzuheben womglich in einem greren Ganzen, das aber nicht berall
zur Erscheinung gebracht werden konnte und mute. So manche Feststellung steht
isoliert. Man mag das Versuchte des Positivismus und Biographismus zeihen.
Hinter dem Versuche selber steht keinerlei starres, Verbindlichkeit auf weitere Sicht in
Anspruch nehmendes methodisches Programm, sondem ein Gebot der Sache und der
verspteten Stunde, dem es leidlich gerecht zu werden galt. Positivismus als grund-
stzliche Haltung ist mit dem Positivismus als historischer Epoche des Geistes abge-
tan. Aber positivistisch beschrnkte, vielmehr: sich selbst beschrnkende und be-
scheidende Forschung ist immer wieder von Fall zu Fall geboten, besonders dann,
wenn neue Dokumente ans Licht treten, die Rcksicht fordern und das Gesamtbild
bereichem. Sie liegen zu lassen wie die Jnger das Hufeisen, geht nicht an. Wo solche
Forschung geboten, wo primitiver Grund zu sichern ist, da sollten Mut und Geduld
dazu bereit sein; da war es unbesonnen, sich im Banne landlufiger Vorurteile be-
fangen zu halten und den Kinderschreck zu fliehen, statt ihm zu stehen und abzu-
warten, was aus seinem Sack zum Vorschein kommen mag. Erscheint ein solches
482
Lesarten u n d Er lu te rungen
Verhalten als Rckschritt so sei der Rckschritt riskiert um knftigen sicheren
Fortschritts willen. Biographie ist als Einzeluntersuchung, als Sicherung des Bodens:
ancilla, als Gesamtdarstellung, als Gestaltzeichnung: regina der Literaturwissen-
schaft. Der Herausgeber sieht wie die Datierungsversuche so auch die biographischen
Erluterungen als hilfswissenschaftliche Arbeit an, als Elemente einer knftigen
Vita, worin das hier ausgeladene Material verdichtet, gefgt, auf einen Mittelpunkt
hin orientiert werden mag und mu. In Erluterungen ist solche Orientierung nur
begrenzten Maes mglich.
Diese Beschrnkung gilt besonders gegenber solchen Briefstellen, die das innere
Leben des Dichters und seine psychische Struktur zum Gegenstand oder Hintergrunde
haben. Angesichts ihrer Bedeutung konnte auf Erluterung nicht Verzicht getan wer-
den; hier machte sich aber auch die Grenze des von Erluterungen zu Leistenden
empfindlich sprbar, ebenso wie das Fehlen einer tchtigen Arbeit ber Stil und Form,
Ethos und psychologische Grundmotive der Briefe. (Eine vorhandene Dissertation ist
allzu drftig, eine in Hamburg in Angriff genommene noch nicht ganz zum Abschlu
vorgedrungen.) Die Briefe Hlderlins durchzieht ein Geflecht von zum Teil recht
unscheinbaren, aber tief bedeutsamen Urworten und Grundformeln der Selbstdeutung
und der Fassung seines Lebens- und Zeitgefhls. Als wie zentral gelegen erweist sich
allein der Begriff der Stunde.' (Vgl. die Erluterung zu Nr. 47 Z.ll f . ) Derartige
Grundformeln, wie z.B. die schlichte Wendung: es soll bald anders werden (Nr.67
Z.9), stellen teilweis unmittelbar die Querverbindung zwischen Brief und Gedicht
her. Diese Formeln und ihr Geflecht galt es vornehmlich zufassen und auszulegen.
Aber im Rahmen von Erluterungen war eben solche Auslegung nur mehr als Aus-
breitung und Darlegung zu leisten, ansatzweise nur als tiefer greifende Erklrung
und Begrndung. Als Notweg bot sich eine jeweils knappe Auf Schlsselung des kahlen
Stellenkatalogs, dessen reichere Entfaltung dem mitgehenden Verstndnis des Lesers
anheimgestellt bleiben mu.
Noch weniger als breite Analyse psychologischer Motive und Phnomene konnte
frmliche Interpretation der philosophischen Gedankengnge in den Briefen Sache
von Erluterungen sein. Hier mite es bei Winken zum Verstndnis und bei Hin-
weisen auf die alten und die neuzeitlichen Denker, soweit Hlderlin in ihren Strah-
lungskreis tritt, sein Bewenden haben.
Auch die Charakteristik des Briefstils mute sich begngen mit dem gelegentlichen
Nachweis aufflliger und wichtiger Zge, wie z.B. des starken Hanges zur affirma-
20
Lesar ten u n d Er l u t e rungen
iiv-andringlichen, aber gebrochenen Redeweise CGlauben Sie . .; ich bin gewi . . ) .
Die Schwankungen und Wandlungen, die Spannweite und die Schmiegsamkeit des
Stils konnten nicht zur Anschauung gebracht werden. In den Jugendbriefen lassen
sich wohl hufig handgreifliche Suevismen festnageln, aber der schwbischeTimbre,
der unverkennbar und reizvoll darber liegt, ist als solcher ebenso wenig zu vermitteln
wie sein allmhlicher Schwund nach dem Scheiden aus der Heimat. Komm fein ge-
wi (Nr.56 Z . l f ) : der Kenner wird in solchen Wendungen den schwbischen Ton
heraushren und vielleicht versucht sein, sie in die Mundart zu bersetzen; aber
erlutern lt sich dies Unwgbare so wenig wie der Duft einer Blume. Und das
ist gut so.
Es ergbe einen unfrmigen Katalog, wenn der Herausgeber alle Amter, Institute und
Privatpersonen im In- und Ausland nennen wollte, denen er sich auch schon im
Vorblick auf den siebenten Band fr berlassung von Dokumenten, fr Ausleihe
von z. T. sehr seltenen Bchern, fr Auskunft, Rat und Hinweis verpflichtet wei.
Das Wort des Dankes sei allen gemein. Eigener Dank gebhrt immerhin fr stete
Hilfs- und Gastwilligkeit dem Hlderlin-Archiv, seinen frheren und heutigen Mit-
arbeitern, besonders Irene Koschlig, Maria Kohler und Alfred Kelletat; fr ent-
scheidenden Anteil an der Handschriftenbeschreibung Johanne Autenrieth; fr uner-
mdliche Suchfreude und sichere Findigkeit dem mitdenkenden Helfer Paul Raabe;
fr vertrauensvolle Geduld sie mag zur Leidenschaft geworden sein dem Herrn
Vorsitzenden des Verwaltungsausschusses, Ministerialrat a.D.Th. Frey, und seinem
Stellvertreter Wilhelm Hoffmann sowie dem Hauptherausgeber der Stuttgarter Aus-
gabe, dem Verlag Kohlhammer, darin besonders Oskar Rhle, und dem kunstsinnigen
Chef der Druckerei, Carl Keidel; fr allzeit besonnenes Mitsorgen Wilhelm Hoff-
mann persnlich.
Nur mit den Nachnamen der Verfasser bzw. Herausgeber werden folgernde Werke zitiert :
Hellingrath: Hlderlin, Smtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe.
Unter Mitarbeit von Friedrich Seeba besorgt durch Norbert v. Hellingrath.
{Bd. 2. }. 6: Begonnen von Norbert v. Hellingrath, fortgefhrt durch Fried-
rich Seeba und Ludwig v. Pigenot.) 6 Bde. Mnchen und Leipzig 1913
1916; (Bd. 2. S. 6:) Berlin 1922-192}.
484
Lesar ten u n d Er lu te rungen
Litzmann: Friedrich Hlderlins Leben. In Briefen von und an Hlderlin.
Bearbeitet und herausgegeben von Carl C.T. Litzmann. Berlin 1890.
Schwab: Friedrich Hlderlin's smmtliche Werke, herausgegeben von Chri-
stoph Theodor Schwab. Bd. I. H. Stuttgart und Tbingen 1846.
Zinkernagel: Friedrich Hldirlin, Smtliche Werke und Briefe. Kritisch-
historische Ausgabe von Franz Zinkernagel. Bd. 15. Leipzig 19141926.
Betzendrfer, Walter: Hlderlins Studienjahre im Tbinger Stift. Heil-
bronn 1922.
Bhm, Wilhelm: Hlderlin. Bd. I. U. Halle 1928-19W.
Bhm, Wilhelm: Hlderlin. Aus Gustav Schlesiers Nachla. Deutsche Rurui-
schau Bd.l96 (192)) S.6S-84; 177-197 (zitiert: Bhm,.Aus Gustav
Schlesiers Nachla).
Leube, Martin: Die Geschichte des Tbinger Stifts. Bd. 2. 3. Stuttgart 1930
bis 1936.
Kempter, Lothar: Hlderlin und die Mythologie. ( Wege zw Dichtung VI)
Horgen-Zrich/Leipzig 1929.
Michel, Wilhelm: Das ben Friedrich Hlderlins. Bremen {1940). -
9.-11. Tausend {1949) (zitiert nach der ersten Ausgabe).
485
1. A N N A T H A N A E L K S T L I N
Geschrieben aus der niederen Klosterschule Denkendorf (7 km nrdlich von Nrtin-
gen), in die Hlderlin im Herbst 1784 aufgenommen wurde; laut Z. 8 f . eine gewisse
Zeit nach Ruckkehr aus einer Vakanz, hchstwahrscheinlich der Herbstvakanz 17SS,
5 die nach Herkommen am 20. Oktober zu Ende ging: dorthin weist die groe hnlich-
keit der in Z. 14-20 gekennzeichneten Stimmung mit derjenigen, die dem im Novem-
ber 17SS entstandenen Gedicht Die Nacht (Bd.l, 3) zugrunde liegt. ber die Ver-
hltnisse in Denkendorf, und in Maulbronn, s. Gustav Lang, Geschichte der wrt-
tembergischen Klosterschulen, Stuttgart 19 3 8.
10 Nathanael Kstlin (1744-1826): seit 177S Diakonus (Helfer: zweiter Stadtpfarrer
neben dem Dekan oder Spezial) in Nrtingen, 1793 Dekan in Pfullingen, 1808 in
Urach. Vater des mit Uhland befreundeten Romantikers Heinrich Kstlin; durch
seine Frau ein Onkel Schellings, der als Knabe etwa zwei Jahre lang in seinem Haus
erzogen wurde. Seine Persnlichkeit ist in der Schrift: Zum Gedchtni der Amts-
15 Jubelfeier des Herrn M. Nathanael Kstlin (Stuttgart 182S) so geschildert: Seine
Erscheinung- flte Ehrfurcht ein durch eine nicht angenommene, sondern
einwoVinende Wrde, durch den Ausdruck eines von der Richtung auf das Un-
sichtbare getragenen und geheiligten, von einem zarten und wachsamen Ge-
fhle seiner Pflichtverhltnisse geleiteten Lebens. Sie verbreitete einen eigenen
20 Eindruck von Reinheit des Daseyns, wenn man in seiner Nhe sich befand. . .
Das milde Wohlwollen, das aus jener Wrde hervorstrahlte.. , war gee ignet , . .
zugleich mit dem Gefhle der Ehrfurcht das einer vertraulichen Liebe zu er-
wecken, von der man sich auf's sanfteste bewegt und aufgeschlossen fand. Von
Ehrfurcht und Liebe spricht auch schon Hlderlin in aufrichtigem Tone (Z.S f .
25 und 44). Er hatte von Kstlin neben der Schule etwa drei Jahre lang tglich Privat-
unterricht zur Vorbereitung aufs Landexamen erhalten: vgl. in Bd. 7 sein Curricu-
lum vitae vom 21. September 1790 und die Ausgabenliste der Mutter: vom 12 bi
ins 14 Jahr taglich 1 stund bey HE. Helffer.
487
Nr. 1 An Nathanae l KostUn
Die Persnlichkeit Kstlins war vom Geist des schwbischen Pietismus geprgt. In
Denkendorf hatte Johann Albrecht Bengel (1687-17X2), noch zu Hlderlins Zeit der
genius loci, als Klosterprzeptor gewirkt. Pietistisch bestimmt ist in dem Briefe das
Grundmotiv der Gewissensprfung und Selbstanalyse, die Entgegensetzung des Chri-
sten und des natrlichen Menschen und das Mitrauen gegen dessen Regungen und 5
Rhrungen. Mglicherweise folgt Hlderlin mit seiner Rechenschaft einem festen
Brauch im Erziehungssystem der Klosterschule. Die Selbstanalyse ist noch unreif,
fters formelhaft; immerhin erfat der Fnfzehnjhrige wesentliche und wieder-
kehrende Zge seines spannungsreichen Verhltnisses zu Gott, Natur und Mitmensch,
das ihn gleichzeitig in Gedichten wie Die Nacht und Das menschliche Leben (Bd.l, 3 10
und 13) bewegt.
berlieferung
(H) : 1891 Tbingen, Reinhold Kstlin; heute verschollen. Nach Fischers Angabe
Doppelblatt 4, auf } S. beschrieben.
Erster Druck: Hermann Fischer, Ein Jugendbrief Hlderlins. Vierteljahrschrift fr 15
Litteraturgeschichte 4.Bd. (1891) S. 597-599.
Eigentmlichkeit der Schreibung: Anreden gesperrt; in H vermutlich in lateinischer
Zierschrift wie in Nr. 2.
Lesarten
(Nach Hermann Fischer) 20
1 5 in mir aus: um mich (H) 3 4 ihren] Ihren (H) 3 8 l u aus zur (H)
Erluterungen
1 1 . 1 2 immer wankte ich hin und her. ] Der Satz formuliert das Thema der fol-
genden, in der Zeitform der Vergangenheit gehaltenen Rechenschaft, als deren Ab-
schlu er in Z. 28 wiederkehrt: durch diese Wiederholung wird wesentlich der Auf bau 25
des Briefes bestimmt.
1 8 mein Herz ] Der empfindsame Ausdruck wird in dem Briefe noch viermal ge-
braucht: Z. 20, 22, 35, 38 f Vgl. Nr. 4 und die Einfhrung dazu.
2224 Dieselbe Empfindlichkeit gegen wirkliche oder vermeinte Beleidigung be-kennt Nr. 4 Z.17-19. Vgl. auch Nr. 30 Z.19f 30
2 7 vor den Menschen xu gefallen, aber nicht vor Gott.] Wohl Reminiszenz an
das Schriftwort (Apostelgesch. 5, 29): Man mu Gott mehr gehorchen denn den
Menschen.
488
An Nathanae l Kstlin. An die M u t t e r Nr. 1.2
3 1 . 3 2 ein Christ und n ichfe in wankelmthige'r Schwrmer] Der Grundsatz
der Besonnenheit, heiligen Nchternheit und Migkeit im religisen Leben des Chri-
sten entspricht besonders der Tradition des schwbischen Pietismus Bengelscher Pr-
gung; vgl. Kempter S. SO.
5 3 2 . 3 3 klug, ohne falsch und menschenfeindlich zu werden] Anspielung auf
das Schriftwort (Matth.10,16): Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch
wie die Tauben.
3 3 gefllig gegen den Menschen] fVie das folgende ihren zeigt, Dativ der Mehr-
zahl. Dieser findet sich Kufig noch im 18 .Jahrhundert, besonders wenn ein Verhlt-
10 nis, nicht eine Bewegung bezeichnet werden soll. Vgl. Nr. 88 Z. 21.
3 4 . 3 5 Ich wei gewi] Dieselbe vertrauensvolle Formel in Z. 42 sowie in Nr.7
Z.IO und 19; vgl. Nr.16 Z.7: die Neigung zu gebrochener, durch hnliche Formeln
eingeleiteter Mitteilungsweise bleibt ein Kennzeichen von Hlderlins Briefstil.
2. A N D I E M U T T E R
15 Kurz vor Weihnachten 178S geschrieben. Die in Z . f f . erwhnte Rede ist erhalten:
Prooemiwn habendum d. 27. Dec.1785 die Joanrds in caput primum
Epistolae ad Ebraeos (s. Bd. 4).
berlieferung
H (Z.1-26): StuttgartIVlaNr.l: Doppelblatt4';Blattl:lS,4(lS,7) x 17,9
20 (18,6); alle Kanten beschnitten; Blatt 2: IS,6 x 6,6 (6,9); obere Kante teil-
weise, rechte ganz beschnitten, die unteren zwei Drittel abgeschnitten; gelblich,
fest, kmig; ohne JVZ; S.4 ursprnglich leer (s.h).
S. 1 oberer Rand, Hand Christoph Theodor Schwabs, Tinte: Dieser Brief, von
dessen hinten copirtem Schlu ich das Original an den Handschriften-
25 Sammler Wstemarm in Mnchen geschickt, ist ohne Zweifel von Hl-
derlin als Alumnus inDenkendorf geschrieben worden. D. 31. Mai. 1881.
C. Schwab.
h (Z. 27-)S): Stuttgart IV la Nr.l S. 4: Abschrift von der Hand Christoph
Theodor Schwabs.
30 Eigentmlichkeiten der Schreibung: schicken, Geschft, Sie's.
Erster Druck (der Nachschrift): {Christoph Theodor Schwab:) Schwbische Kronik
1881, H.Juli, Nr.179, Sonntagsbeilage; (des ganzen Briefes): Litzmann S. 23 f .
489
Nr. 2 An die M u t t e r
Lesarten
1 Liebste aus dem Ansatz zu Lib H 3 Weinachtsgeschfften]
An die Mut t e r Nr. 2
solche von den Alumnen aus besonderen^ Anla an die Lehrer gerithtet. Unter vielen
andern befindet sich in der Maulbronner Registratur (Kasten )4) ein epodisches
Carmen von Rudolf Magenau an den Prlaten zu Neujahr 1786. Vermutlich denkt
auch Hlderlin an Neujahrsgedichte fr die Lehrer.
5 1 0 HE. Helffer] Diakonus Kstlin in Nrtingen.
1 0 HE. Klemm] Da jeder Titel fehlt, sicher nicht, wie Litzmann (S. 2SAnm.})
angibt, Jakob Friedrich Klemm (173)-1793, seit 1782 Dekan in Nrtingen), son-
dern dessen lterer Sohn Jeremias Friedrich (17661848, spter Arzt zu Hanerau in
Holstein und Altona), der sich in Nrtingen am,4. August 178S als Student der Medi-
10 zin in Hlderlins Stammbuch eingetragen hatte. ber den Vater, der, ebenfalls pieti-
stisch gesinnt, in Nrtingen die erste Realschule Wrttembergs ins Leben rief, und
seine beiden Shne s. J. Roos, Aus den Papieren einer schwbischen Familie, Calw-
Stuttgart 1898.
1 0 HE. Bilfinger] Aus demselben Grunde nicht, wie Litzmann (S.23 Anm. 4)
15 vermerkt, der Nrtinger Oberamtmann, Hof rat Carl Friedrich Bilfinger (1744
1796), einer der Paten Hlderlins, sondern dessen lterer Sohn Rudolf Ferdinand
Friedrich (17691816, spter Postmeister zu Hochstra in Ungarn), der sich eben-
falls am 4.August 178S in Hlderlins Stammbuch eingetragen hatte.
1 0 Altona] Welche Beziehungen Hlderlin dorthin hatte, war bis jetzt nicht fest-
20 zustellen.
1 1 als] Suevismusfr immer, jeweils; vgl. Nr. 9 Z. 22 und Nr.10 Z.32.
1 4 Geschwisterige] Mundartliche Form, noch in Nr. 46 Z. 24.
1 9 Die Gromutter mtterlicherseits, Johanna Rosina Heyn (172S-1802), Tochter
des Pfarrers in Hattenhofen und spteren Dekans in Gglingen Johann Wolf gang
25 Sutor, 1744 verheiratet mit dem aus Friemar in Thringen stammenden Pfarrer
Johann Andreas Heyn (17121772) zu Frauenzimmern und Cleebronn im Zabergu,
wohnte als Witwe vorwiegend bei ihrer, seit 1779 ebenfalls verwitweten, Tochter in
Nrtingen und hatte dort wesentlichen Teil an Hlderlins Erziehung.
2933 Was Hlderlin gesandt, ist nicht auszumachen.
30 3 4 Harpprecht] Johann Heinrich, Stabskeller (Kameralverwalter) in Nellingen bei
Denkendorf, oder, wahrscheinlicher, dessen Sohn Valentin Christian Heinrich, der
1780-178! das Stift durchlaufen hatte (1762-1840, spter Pfarrer in Onstmettin-
gen und Hedelfingen). - Die Verwandt- und Freundschaft der beiden Familien war
alt; insbesondere hatte Johann Heinrich Harpprecht, wrttembergischer Regierungsrat
35 und Kanzleidirektor zu Neuenstadt am Kocher, mit seiner Frau 1736 Gevatter bei der
491
Nr. 2. 3 An die Mut t e r . An I m m a n u e l Nast
Taufe von Hlderlins Vater gestanden, der dann anscheinend fters seine Ferien in
Neuenstadt verbrachte.
3 5 Vermutlich das von Johann Joachim Eschenburg herausgegebene Brittische Mu-
seumfr die Deutschen, dessen 4. Teil 1779 erschienen war.
3. A N I M M A N U E L N A S T 3
Am 20. Oktober 1786 hatte Hlderlin mit seiner Promotion das Kloster Maulbronn
bezogen. Der Brief zweifellos der erste an Nast ist erst nach der Jahreswende ge-
schrieben: des Famulus Sohn in Maulbronn, der laut Nr.IS Z.7084 Hlderlin
und Louise Nast schon im ersten Monath dort zusammenbrachte und nach des-
sen Weggang sie beinah ber einen Monath geschieden blieben, kam nach seinem 10
wohl aus Anla des Abschieds geschriebenen Eintrag in Hlderlins Stammbuch
frhestens am 6. Dezember fort; Invnanuels Besuch aber, den der Brief voraussetzt,
fand nach Nr.IS Z. 99101 erst einige Zeit danach, frhestens also in den fr
ihn dienstfreien Weihnachtsfeiertagen statt.
Immanuel Gottlieb Nast, ein Neffe des Klosterverwalters und des Klosterfamulus in 15 1
Maulbronn, brigens auch ein Vetter von Johann Jakob Heinrich Nast (17Sl1822),
dem Lehrer Schillers auf der Karlsschule, war Skribent in Leonberg, einer Land-
stadt ungefhr 10 km westlich von Stuttgart, am Fu des Wald- und Hhengrtels
um die Solitude. Er war am 2S. Mai 1769 in kleinbrgerlich-drftigen Verhltnissen
geboren als Sohn einer sehr kinderreichen Familie und Angehriger einer grqen.Sippe, 20
die sich im Lauf des 18. Jahrhunderts von Leonberg aus weithin verzweigte und in
mehreren begabten Vertretern sozial rasch aufstieg. Nach Christoph Theodor Schwab
(H 270) hatte Nast bei einem groen Eifer fr ernstere geistige Thtigkeit den
sehnlichen Wunsch gehabt, sich einer mehr gelehrten Laufbahn widmen zu
drfen, inde die Verhltnisse seiner Eltern erlaubten nicht, ihn studiren zu 25
lassen und er wandte sich nothgedrungen zur Schreiberei. Dabei blieb er aber
seiner alten Liebe zur Beschftigung mit der Literatur getreu, galt auch in der
nachfolgenden Zeit fr einen feinen, geistiggebildeten Mann und behielt selbst
in spteren Jahren . . einen gewissen idealischen Schwung in seinem Wesen.
Nast war besonders auch im Zeichnen begabt (s. die Erluterung zu Nr. 11 Z.l). Von 30
seinem ferneren Lebenslauf war bisher fast nichts bekannt. Er wurde sptestens 1798
Amtsschreiber der Johanniterkommende Dtzingen (Oberamt Bblingen), nach deren
Aufhebung 180S Stabsamtmann daselbst. Seit dem selben Jahre mit einer Tochter des
492
An I m m a n u e l Nast Nr. 12.1}
Apothekers Schwab in Tbingen aus der bekannten Familie verheiratet, wurde er
1810 zum Stadt- und Amtsschreiber in Schwbisch Gmnd ernannt, wo er mit Hlder-
lins Stieflruder zusammen wirkte, nahm jedoch schon 1821 wegen dauernder Krnk-
lichkeit seinen Abschied und zog mit seiner Familie nach Bad Cannstatt, wo er nach
5 einem Besuch bei dem Jugendfreund im August 1828 am 20. November 1829 starb.
Die Freundschaft mit Nast befreite Hlderlin aus einer bedenklichen seelischen Isolie-
rung; sie schuf ihm die Mglichkeit zw berschwnglichen Aussprache seines inneren
Reichtums und seiner wechselnden Stimmungen. Unter den erhaltenen Jugendbriefen
die verlorenen an Hiemer waren vermutlich hnlicher Art - haben die an Nast ihren
10 eigenen, unbefangenen Ton und leidenschaftlichen, fters sprunghaften, fters auch
burschikosen Stil, dessen Tendenz schon aus der Zeichensetzung, der Vorliebe fr Ge-
dankenstriche, abzulesen ist. Mit dem Eintritt Hlderlins ins Tbinger Stift, im
Herbst 1788, verkmmert die Jugendfreundschaft. An Nasts Stelle tritt dann Neuffer
als der innerlich festere Herzensfreund, dessen Hlderlin bedurfte.
15 berlieferung
H: Stuttgart IV 3b Nr. 4: Doppelblatt 4": 19,1 x 21,3; alle Kanten beschnitten
und geflickt; gelblich, dick, gerippt; braunfleckig. (Das WZ gehrt zu dem
spter aufgeklebten breiten Papierstreifen, mit dem der Rand verstrkt ist.)
Erster Druck: Litzmann S. 24 f .
20 Lesarten
2 so aus g(anz) H 4 ersten aus A.\i(genbliken} H 1 0 rgert] danach Kom-
ma getilgt H 12 sollte-] Gedankenstrich fehlt am Zeilenende H 15 nie aus
me (?) H mir aus me(ines) H 1 9 geweseal] Ausrufzeichen aus Komma H
24 auch aus auf H 29 dergleichen aus g H
25 Erluterungen
6 etlich Tage] Ebenso Nr. 19 Z.2 und sonst fters: bis etwa zum Ende der Maul-
bronner Zeit bevorzugt Hlderlin das unbestimmte Zahlwort etlich und seine, von der
Mundart begnstigte, unflektierte Form.
8 bis aufs Kap] Vgl. Nr. 4 Z.43 f . , auch Nr. 10 Z. 23-27. Nast scheint, wohl sei-
30 rur aussichtslosen Stellung wegen, mit dem Gedanken gespielt zu haben, sich fr das
Kapregiment anwerben zu lassen, das Karl Eugen damals aufstellte und an die Nie-
derlndisch-Ostindische Compagnie verkaufte.
493
N r . i s . 16 An I m m a n u e l Nast. An die Geschwister
1 1 in Kopf kommen] Mundartliche und in der Sprache der Geniezeit beliebte Ver-
schmelzung des Artihels; vgl. Nr. 4S Z.12.
1 9 . 2 0 Ebenso wegwerfend uert sich Hlderlin, viohl aus innerer Unsicher-
heit, ber solche spontanen Bekenntnisse in Nr. S Z. 17 und 36f. sowie in Nr. 19
Z.H. 5
2123 Der in den Rubern (IV S) von Karl zur Laute gesungene Zwiegesang.
Academiciens: die Karlsschler, im Besonderen Hiemer (s. Nr. 6 Z. 36 und die Er-
luterung z. St.). Offenbar hatte sich Hlderlin bei Nasts Besuch erboten, ihm die
Musik ber Brutus und Csar zu beschaffen. Bei dieser handelt es sich wohl um die
in Mannheim gedruckte Vertonung von Schillers Freund Rudolf Zumsteeg, auf die 10
der Dichter selbst in der Vorrede zur zwoten Auflage der Ruber hinweist.
2 4 Im Klavierspiel, das er dann bis in die letzten Tage seiner Krankheit pflegte und
liebte, erhielt Hlderlin schon in Nrtingen von seinem zehnten Jahr ab Unterricht,
der in Denkendorf fortgesetzt wurde (s. die Ausgabenliste der Mutter in Bd. 7).
2 5 GeklempeT] Mundartliche Brechung des i vor Nasal. 15
2529 Mittelbare Andeutung der Liebe zu Louise Nast, wie fters vor dem offenen
Bekenntnis in Nr. 14 und IS.
2 6 . 2 7 Hlderlin hat im Sinn Amalias Gesang: Schn wie Engel (III 1).
2 7 Dieselbe Besorgnis spricht sich mehrmals in den folgenden Briefen aus: vgl.
Nr.4 Z.14-16; Nr.6 Z.33-3S; Nr.l3 Z.4Sf; Nr.lS Z.116-119. 20
3 0 Hesler] Ein Kompromotionale; s. die Erluterung zu Nr. 84 Z. 38.
4. A N I M M A N U E L N A S T
Der Brief hat den Hang zur Selbstanalyse und, in Verbindung damit, die Rede vom
Herzen (Z.f ,7,11,13,20) mit Nr. 1 gemein; er ist jedoch, als Freundesbekenntnis,
intimer, spontaner und rckhaltloser, greift tiefer in das Innre hinein und weiter in 25
die Vergangenheit des eigerien Lebens zurck und macht in viel strkerem Mae die
Fhllosigkeit der Umwelt fr die Strungen des inneren Gleichgewichts und der Be-
ziehungen zu den Menschen verantwortlich.
berlieferung
H: StuttgartIV 3b Nr.S: Doppelblatt 4: 17,1 x 21,8 (22,1); gelblich, fest, ge- 30
rippt; WZ: Frstenhut auf zwei monogrammatisch verschlungenen C, darunter
IRS in rechteckigem Schild.
494
An I m m a n u e l Nast Nr. 12.1}
S. 4 Adresse: Herrn Scribent Nast / in der Statschreiberei I zu / Leon-
berg. / frei bis Stutgard.; S.l linke untere Ecke, fremde Hand, Blei: 2)
Erster Druck: Litzmann S. 27 f .
Lesarten
5 I d . nach Beendigung des Briefes nachgetr., dabei wohl die Tageszahl vergessen H
2 Morgens 4 Uhr. nach Beendigung des Briefes nachgetr. H 6 wie ber der
Zeile H 7 kntest;] Strichpunkt aus Punkt H 8 auch aus vr{undem} H
H noch, ber der Zeile H war] war' jF/^ eine aus ein H 1 4 so aus i(m) H
15 ein fehlt H 16 ^ede aus einemnicht deutbaren Ansatz (S?) H 17 einen
10 aus eine H "Wath aus dem Ansatz zu d (?) H 2 0 Deinen] Deinem H ich
nachgestr. a b e r / / 2 3 mag aus mach H izt nach gestr. ich H ich aus ih H
bei aus a (?) H 2 5 aber aus Aioch?) H es geht aus: er i(st) H 2 7 er aus
es H hnge nach gestr. immer H 2 9 kein] davor hier ber der Zeile eingefgt
und wieder gestr. H Frauenzimmer] Frauenzimer H 3 0 sonst nach gestr.
15 schon H 3 1 hier-JUS k(enm) H 3 3 etc. nach gestr. z\x H 3 6 vergllte
aus verglle H 4 0 gesehen aus gehehen H 4 3 ich. fehlt H wann Dir]
Dir aus Du H
Erluterungen
1 5 Bilfinger] Christian Ludwig, geboren am 9. Oktober 1770 als Sohn des Rats
20 und Kellers (Kameralverwahers) zu Kirchheim unter Teck, der Nachbarstadt von
Nrtingen, wo er Verwandte besa, die zur Freundschaft der Familie Hlderlins ge-
hrten. Dieser wird ihn daher seit der Kindheit gekannt haben. Ihm gilt das Gedicht
An meinen B. vom Jahre 1786, dem eine gemeinsame Wanderung in das Uracher Tal,
wohl in den Herbstferien, zugrunde liegt. Doch wurde Bilfinger erst in Maulbronn,
25 nach der Krise, von der Nr.IS erzhlt, der Herzensfreund, als den ihn das Gedicht
Die Stille (v. 66) bezeichnet. Ein schriftlicher Nachla Bilfingers hat sich bis jetzt
nicht auffinden lassen. In Tbingen verkmmerte die Freundschaft, wesentlich wohl
infolge der Verschiedenheit des Naturells, die Hlderlin in Z.27 betont. Ende 1789
schied Bilfinger aus dem Stift aus, wandte sich der Jurisprudenz zu und betrat 179$
30 eine erfolgreiche Laufbahn, im diplomatischen Dienst, worber die Akten im Haupt-
staatsarchiv Stuttgart leidlich unterrichten. Er starb als Geheimer Legationsrat in
Stuttgart am 4. Mail8S0.
2 1 aber das haben sie mir genommen] Vgl. Elegie v. S l f . (Bd. 2, 72).
3 2 fVann Hlderlin Flte spielen gelernt, ist nicht bekannt. Aus Z.S0-S2 ist be-
495
N r . i s . 16 An I m m a n u e l Nast. An die Geschwister
achtliche Fertigkeit des Hochmusikalischen zu erschlieen. Von Unterrichtsstunden
bei dem Virtuosen Dulon in Tbingen berichtet Schwab (II 277; s. Bd.7),
3 3 Efferenn] S. die Promotionsliste in Bd. 7 und die Erluterungen dazu.
3 7 Famulus (und zugleich Klosterchirurgus) war ein Bruder des Klosterverwalters
und Onkel Immanuels. Keinesfalls war Hlderlin selbst mit ihm verwandt. 5
4 4 aufs Kap zu gehn] Vgl. Nr. 3 Z. 8 und die Erluterung z. St.
5. A N I M M A N U E L N A S T
Bald nach dem vorigen Brief, in dessen Nhe die Grundstimmung verweist.
berlieferung
H: Stuttgart IV n Nr. 6: Doppelblatt 8: 10,2 (10,4) x 16 (16,3); alle Kanten 10
beschnitten; gelblich, fest, gerippt; WZ: zwei zum Kranz zusammengebogene
Zweige mit Blttchen und kugeligen Frchten oder Knospen umrahmen einen
Baselstab; S.4 leer.
S. 1 linke untere Ecke, fremde Hand, Blei: 4
Erster Druck: Litzmann S. 28 f . 15
Lesarten
3 meinen aus meiner H 4 ich nachtr. eingefgt H bin aus ben H 5 das aus
de{r Schlu?) H 8 es aus er H 9 mich aus mir H 1 4 gehen ber der
Zeile H 1 5 zurkhaltend aui lurkhalten (mii) 17 bse] danach Komma
getilgt H 22 getragen nach gestr. genug H ich fehlt H 2 3 als aus as H 20
2 5 a.\\ein7] Frage- aus Jusrufzeichen H 2 7 schwersten] danac/i omma^e-
tilgt H 28 ich fehlt H 29 wrest aus wrs(t) H 32 welcher aus wer H
Erluterungen
2 Strmische Briefeingnge wie dieser, in Form lapidarer Ausrufstze, sind fr den
Ton der Briefe an Nast charakteristisch. Vgl. Nr. 6.7. 8.12.14.19. In Tbingen 25
klingt dieser Ton alsbald ab.
2 wegphantasirt] Vgl. Nr.l2 Z. 2S-29 und Nr.l3 Z; 38-43.
4 anderswo] In Gedanken, bei Louise, die auch in Z. 13f. gemeint.
22 Hlderlin hat wohl besonders den Tod seines Stiefvaters (1779) im Sinne. Er
gedenkt dessen 1786 in dem Gedicht Die Meinige (v. 2S-40) und noch 1799 in Nr. 30
496
An I m m a n u e l Nast Nr. 12.1}
180 (Z.28-41), wo er seinen Hang zur Trauer von dem unbegreiflichen Schmerz
darber herleitet.
2 9 Da die moralische Zucht gerade in MauXbronn unter dem Prlaten Weinland
und seinem Vorgnger Schmidlin nicht die beste war, bezeugt Rudolf Magenau in der
5 Skizze seines Lebens (s. Bd. 7).
6. A N I M M A N U E L N A S T
berlieferung
H: Stuttgart IV Sb Nr.7: 2 Bltter 4 (ursprnglich zusammenhngend): 18,7
(19,f) X 21,1 (21,S); alle Kanten beschnitten, teilweise geflickt, kleiner
10 Schriftverlust; gelblich, fest, gerippt; WZ: gekrntes Posthomwappen mit
anhngender Glocke, darunter C & I HONIG; einzelne Flecken.
S. 4 Adresse: Herrn Scribent Nast / in der Stadtschreiber./ zu / Leon-
berg./ frei.bis / Stutgard.; darunter von Nasts Hand: von Hlderlen; S.l
linke untere Ecke, fremde Hand, Blei: 3)
15 Erster Druck: Litzmann S. SO f .
Lesarten
2 allem aus e(ine) H 5 entdekt aus (1) end (2) entdekk
N r . i s . 16 An I m m a n u e l Nast . An die Geschwister
1 5 Dein Amadis] Wielands komisches Gedicht Der Neue Amadis (1771); vgl.
Bd.l, ^71 Z.1-8.
17 gemer] Suevismus.
2 5 . 2 6 Schubarts wtenden Ahasveros] Der ewige Jude. Eine lyrische Rhaps-
odie. Das Gedicht erzhlt zunchst den Anla der Bestrafung Ahasvers und gestaltet 5
dann eine hochpathetische monodramatische Szene auf dem Berge Karmel, worin der
Held seine Qualen beklagt und sich schlielich verzweifelt in die Tiefe strzt, von
einem Engel aber begnadigt wird mit den Worten: Wenn du erwachst, so ist Er da, /
Des Blut auf Golgatha du flieen sah'st; / Und der auch dir verzeiht.
2 8 . 2 9 Gemeint ist Luisens Rede (I )), die mit den Stzen beginnt: Auch will 10
ich ihn ja jetzt nicht, mein Vater. Dieser karge Tautropfe Zeit schon ein
Traum von Ferdinand trinkt ihn wollstig auf. Ich entsag' ihm fr dieses
Leben.
3 5 vor] Mundartlich fr vorher.
3 6 Hiemer] Franz Karl (1768-1822), Sohn des Pfarrers in Oberboihingen bei 15
Nrtingen. 17781791 in der Karlsschule, aus der er 1784 zu fliehen versuchte.
Trotz drftiger knstlerischer Begabung zum Maler ausgebildet. Eine gesellige Natur,
pflag Hiemer schon als Karlsschler regen Umgang mit Knstlern und Schauspielern
der Hauptstadt. Er vermittelte anscheinend die erste Verbindung zwischen Schubart
und Hlderlin, von dem er 1792 in Tbingen das bekannte Pastellbild malte. Nach 20
1793 schlief allem Anschein nach die Beziehung zwischen den ungleichen Naturen
ein. In der Folgezeit Schriftsteller, Hofschauspieler und Theaterdichter, seit 1803
Kanzlist in Ellwangen und Stuttgart, aber auch weiterhin literarisch ttig und in
reger Verbindung mit den schwbischen Literaten: ganz hon komme, wie ihn Hl-
derlin in Nr. 24 Z.29f. bezeichnet. Vgl. Rudolf Krau, Aus Hiemers Leben. Wrtt. 25
Vierteljahrshefte N.F.IS (1906) S.S72-S98 (mit Bibliographie).
3 7 Brutus und Caesar] S. Nr. 3 Z. 21-23 und die Erluterung z. St.
42 Heinrike Nast] Ein Leonberger Base Louisens und Immanuels (geboren
IS.August 1767), die offenbar kurz zuvor in Maulbronn zu Besuch gewesen war und
sich dann am 24. Februar 1789 dorthin mit dem Klosterwerkmeister Gro verheira- 30
tete. Sie war in Louisens und Hlderlins Liebe eingeweiht und leistete ihr Vorschub:
davon ist in Nr. 2S 7j.31~3S sowie in Louisens Briefen von Ende 1788 und vom
19. Januar 1789 die Rede. Ihrer Hochzeit galt vermutlich ein von Schwab (II 277)
erwhntes, schon zu dessen Zeit verlorenes Gedicht, welches, das erste von seiner
Hand, gedruckt wurde. 35
498
An I m m a n u e l Nast Nr. 12.1}
7. A N I M M A N U E L N A S T
'Zweifellos 1787 geschrieben. Ebenso sicher - trotz Litzmann S. )1 Anm. ) - ist mit
dem in Z. 5 Erwhnten Hlderlins Kompromotionale Jeremias Wilhelm Mrklin ge-
meint, der natrlich in Maulbronn anwesend zu denken ist. JVas Hlderlin erbittet,
5 ist eben ein Besuch nicht in Maulbronn, sondern whrend der Osterferien in Nrtin-
gen, wohin auch Bilfinger (Z. 8) von seiner Heimat Kirchheim aus kommen wollte.
Ostern fiel 1787 auf den S.April.
berlieferung
H: Stuttgart IVUNr. 8: Doppelblatt 4: 14,7 (14,9) x 17,9 (18,1); alle Kan-
10 ten beschnitten; gelblich, fest, krnig; IVZ: Asculapstab mit Stern an der
Spitze, unten flankiert von S und R.
S. 4 Adresse mit Siegelresten: Herrn Scribent Nast / in der Statschreiberei /
zu / Leonberg. / frei. / bis Stutgard.; S.l linke untere Ecke, fremde Hand,
Blei: 5
15 Erster Druck: Litzmann S. 31 f.
Lesarten
1 26.] vielleicht 20. H Mart.] darunter von fremder Hand 1787 H 3 eine
dringende] ein dringende H 4 die aus di jET 7 etlich aus el H 16 her-
erihltest aus hererzht H 17 innersten] Innersten H 20 Du aus einem
20 nicht sicher deutbaren Ansatz H 22 schmerzt! ] Ausruf- aus Fragezeichen H
2 4 isX.-] Gedankenstrich aus Komma H 2 5 Dutci^s.,] danach Gedankenstrich ge-
tilgt H den] der (Ferschreibung) H
Erluterungen
3 Derselbe strmische Eingang, mit derselben Satzform, findet sich wieder in Nr. 12
25 Z.l, und mit derselben Dringlichkeit bittet Hlderlin in Nr. 21 Z.)l-37 Nast, in
Nr. S6 Z. 2-7 Neuffer um ihren Besuch.
5 MrMin] S. die Liste der Kompromotionalen in Bd. 7 und die Erluterungen dazu.
1 5 Du knnst] Mundartgetreu in Schreibung und verkrzter Form. Vgl. zu Nr.11
Z.18 die Lesart: Du mchst. (Vielleicht ist auch in Z. 6: wann - Du mitkmst
30 als Konjunktiv des Praeteritums in mundartgefrbter Schreibung aufzufassen.)
1 8 Versprach] Bis zum 18.Jahrhundert in der Bedeutung Versprechen blich.
499
N r . i s . 16 An I m m a n u e l Nast. An die Geschwister
8. A N I M M A N U E L N A S T
Laut Z.ll bald nach einer Rckhehr ins Kloster geschrieben: nach Litzmann (S.J9
Ahm.l) mutmalich im Sommer 1788; nach Seeba (Hellingrath 1. Bd. S.376)
gleich nach der Ostervakanz 1788. Viel nher liegt es jedoch, den Inhalt in enge Be-
ziehung zu der Bitte in Nr. 7 zu bringen, der dann Nast, trotz halber Zusage (Z.IO), 5
nicht gefolgt ist. Der Brief wird also unmittelbar nach den Osterferien 17S7, Mitte
April, geschrieben sein. Fr dieses Jahr spricht besonders auch die Einsamkeit in
Maulbronn (Z. 11-lS). Vgl. femer die Erluterung zu Z. 16.
Bilfingers Abwesenheit (Z.12f.) ist allerdings frs Frhjahr 1787 sonst nicht be-
zeugt, wohl aber frs Frhjahr 1788, in dem er laut Konsistorialprotokoll vom 10
28. Mrz (Landeskirchliches Archiv Ludwigsburg) eine Kurzeit von vier Wochen
bewilligt erhielt. Diese Abwesenheit erwhnt Hlderlin in Nr. 22 Z. 22. Der vorlie-
gende Brief kann jedoch unmglich in den April 1788 gelegt werden: aus diesem
stammt ja Nr. 21, laut Z. 7-11 der erste Brief an Nast nach einer Pause von minde-
stens vier Wochen und nach der Rckkehr aus den Osterferien. - Die Papiersorte ist 15
dieselbe wie fr Nr. 7.
berlieferung
H: Stuttgart IV }b Nr.lS: Doppelblatt 4: 14,7 (IS) (17,6 x 17,8); alle Kan-
ten beschnitten; gelblich, fest, kmig; S.l: rote Flecken vom Sie gelabdruck.
S. 4 Adresse mit Siegelresten: Herrn Scribent V^&st/in der Stadtschreiberei/ 20
zu/Leonberg./fr.bisStutgard.; S.l linke untere Ecke, fremde Hand, Blei: 9
Erster Druck: Litzmann S. S9.
Lesarten
1 Morgens 5. Uhr wahrscheinlich nach Beendigung des Briefes nachgetr. H
3 einmal aus end\{ich) (versehentliche Wiederholung) H 4 und,'s] 's aus 25
d H 7 gewesen nach gestr. geglaub
An I m m a n u e l Nast . An die Mut t e r Nr. 8. 9
Raum und ZeU durchwaltende Gttin gefeiert wird. 'In dem Briefe wird sie zwar nicht
personifiziert, aber doch als Voraussetzung fr den ausgeglichenen, und wohl auch
schpferischen, Zustand des Innern empfurulen. In der Stille denkt der Dichter an
seine Lieben in der Welt umher; vgl. An meine Freurxdinnen (Bd.l, 27) v.S: In
5 der Stille der Nacht denket an euch mein Lied. Das Gedicht entstand 1787; die
Parallele sttzt die Datierung des Briefes.
16 Kabale und Liebe hatte Hlderlin dem Freund am 18. Februar 1787 geschickt
(s. Nr. 6 Z. 26f.). Es ist wahrscheinlicher, da er ihn nach zwei, als erst nach vier-
zehn Monaten um Rcksendung mahnt: auch dies ein Anhaltspunkt fr die frhe
10 Datierung.
18 mein Stammbuch] Dem Freunde vermutlich bei seinem ersten Besuch um die
Jahreswende mitgegeben. In dem erhaltenen Stammbuch ist Nast nicht vertreten;
doch ist ein zweites erschliebar.
1 8 . 1 9 Brutus und Csar] 5. Nr. 3 Z. 21-23 und die Erluterung z. St.
IS 9. AN DIE M U T T E R
Zum ersten Male stellt sich Hlderlin hier in dem tragischen Berufskonflikt seines
Lebens dar, der dann im Herbst 1789 (s. Nr. 27) in Tbingen verschrft wieder aus-
bricht. Da er offensichtlich zum ersten Male mit dem Pfarrer des Nachbardorfes
Diefenbach (Z.8) zusammengetroffen ist, wird der Brief nicht allzu lange nach dem
20 Eintritt in Maulbronn geschrieben sein: am ehesten, wie Nr. 8, bald nach Rckkehr
aus den Osterferien 1787, in denen Hlderlin der Mutter vermutlich seinen Wunsch,
aus dem geistlichen Stand zu trotten, mndlich bekannt hatte. Wann brigens in
Maulbronn ein - wahrscheinlich unbemannter - Luftballon (Z. 8) stieg, war nir-
gendsfestzustellen. (Blanchard, der allein in Frage kme, berhrte 1787 bei seinen
25 Flgen die Maulbronrur Gegend gar nicht; vgl. die Geschichte aller sieben und
dreiig Luftreisen Blanchards, Wien 1791.)
berlieferung
H: Stuttgart IV la Nr.3: Blatt 4": 16,6 (17) x 20,9 (21,1); alle Kanten be-
schnitten; gelblich, fest, gerippt; WZ (obere Hlfte abgeschnitten): IRS in
30 rechteckigem Schild, darber untere Hlfte von zwei verschlungenen C; Papier
beschdigt (Schriftverlust) und nachtrglich geflickt.
Erster Druck: Litzmann S. 34.
501
Nr. 9 An die Mut t e r
Lesarten
2 mir nach gestr. icli H 3 wo aus d(a) H 4 wre - ] Gedankenstrich aus
Komma H 5 ]eT,t\] Ausrufzeichen aus Komma H 1 1 SMS fehlt H 1 3 war
am rechten Rande abgerissen H 1 4 freundschafllich] freundschaflich H
mich, am rechten Rande abgerissen H 17 sie aus Sie H 1 8 sie aus S(ie) H 5
1 9 wieder aus r oder V / / 2 2 Ausruf - aus Fragezeichen H Mamma?]
Mamma! H 2 3 Sie wohl] Sie aus dem Ansatz zu w(phl} H
Erluterungen
5 - 7 Auch in dem Tbinger Berufskonflikt, 1789190, beschwichtigt sich Hlderlin
mit der Aussicht auf die Freuden einer ruhigen Pfarre (Nr. 29 Z.ll). Doch ist die 10
Stimmung in dem Tbinger Briefe sehr viel resignierter und leidvoller als in dem
Maulbronner mit seinem kindlichen Tone. Immerhin verrt schon dieser, wenn auch
nur mittelbar, etwas von dem glhenden khnen Traum groen Dichtertums, den
um dieselbe Zeit das Gedicht Mein Vorsaz bekennt (Bd. 1, 28, v.l8).
8 Pfarrer in Diefenbach, einem Nachbardorfe, war seit 178S Wilhelm Friedrich 15
Moser (17S2-1801).
9 einer von den Camerern] Am ehesten der sptere Advokat Gottlieb Friedrich
(1766-1807), ein Sohn des Pfarrers Johann Camerer (1733-1804) in Dulingen
bei Tbingen, der eine Schwester des Diefenbacher Pfarrers Moser zur Frau hatte.
Eine Schwester Johann Camerers wiederum war mit dem Pfarrer Hlderlin in Pop- 20
penweiler (s. die Erluterung zu Z.IO) verheiratet.
9 wirklich] Schwbisch fr gegenwrtig. So auch Z.18; Nr.10 Z.2 urul 31;
Nr.14 Z. 9 und 43 und fters in den Maulbronner und Tbinger Briefen.
1 0 Poppenweiler] Dorf am Neckar, rund 4 km oberhalb Marbachs. Pfarrer dort
war Johann Friedrich Hlderlin, Pate des Dichters, Vetter und Freund seines Vaters 25
(1736-1811; geboren in Mundelsheim, 1766 Pfarrer in Unter-Heinrieth bei Heil-
bronn, 1781 in Poppenweiler, 180S in Rowag). Ob, und wann, Hlderlin den
Vorsatz des Besuches in Poppenweiler wahr gemacht, ist nicht bekannt. In Nr. 12
Z. 9 f . teilt er Nast mit, er werde ihn zu Beginn der Herbstferien 1787 in der Hinauf-
reise nach Nrtingen nicht besuchen knnen: vielleicht gedachte er da den Umweg 30
ber Poppenweiler zu machen.
1 1 tausend tausend Gre] Emphatische Wiederholung eines Wortes in den
Maulbronner Briefen recht hufig (Nr.lO Z.ll und 17; Nr.l2 Z.l; Nr.l3 Z.13);
darum hier nicht zu beseitigen, wie in den bisherigen Ausgaben geschehen.
502
An die Mut t e r Nr. 9.10
15 anhalten] Ohne Objekt, schwbisch fr um Urlaub bitten.
1 5 die vorige] Die Alumnen der vorhergehenden Promotion.
17 Die Rede ist nicht erhalten, ihr Anla unbekannt; wohl eine Vesperpredigt wie
die in Nr. 2 Z. f erwhnte.
5 1 9 Rollen ] Mit dieser Frisur zeigt den Sechzehnjhrigen die getonte Bleistiftzeich-
nung aus dem Besitz der fVrttembergischen Landesbibliothek.
2 1 Carl] S. die Einfhrung zu Nr. 16.
2 2 als] Vgl. Nr. 2 Z. 11 und die Erluterung z. St.
10. A N D I E M U T T E R
10 Zum Auszug des ersten Bataillons des Kapregiments (s. die Erluterung zu Nr.} Z. S)
erschienen Zwey Kaplieder von Schubart. Im Februar 1787 (so das Titelblatt).
Die Verse in Z. 2i27 sind eine Parodie der Eingangsstrophe des ersten, berhmteren
Liedes. Ehe sich dieses durchgesetzt hatte und parodiert werden konnte, wird eine ge-
wisse Zeit vergangen, der Brief daher erst nach den Osterferien geschrieben sein, wohl
15 nicht vor Mai oder Juni 1787. Die Papiersorte ist dieselbe wie in Nr. 11.
berlieferung
H: StuttgartlVla Nr.4: Doppelblatt 4: 16,8 (17,3) x 21,7; jeweils obere und
untere Kante beschnitten; gelblich, fest, gerippt; WZ: zwei zum Kranz zusam-
mengebogene Zweige mit Blttern und kugeligen Frchten oder Knospen um-
20 rahmen einen Baselstab.
S.4 Adresse mit Siegelrest (Halbmond mit 2 Sternen): Frau Cammerath
Gokin / in / Nrtingen. / frei bis Stutgart.; S. 1 oberer Rand, Mitte, fremde
Hand, Blei: Maidbronn.
Erster Druck: Litzmann S. 3739.
25 Lesarten
2 Geschfte aus (1) de(r Geschfte) (2) Ger (Verschreibung) H Hals aus
Haid H 9 Ihr nac/i g-cstr. einer H hungrigster] hunrigster H 11 wars
ber der Zueile H 12 also] danach Komma getilgt H 1 4 unserm] unsern H
17 Suppe nach gestr. Brod H 1 9 vom aus von H 2 0 im aus imm H
30 2 5 nehmen nach gestr. \\ah H 3 0 Und aus Unt / / 3 1 da] der CjEmu^ ir-
kung des folgenden er) H 3 3 . 3 4 Studenten und Studenten] Gedanken-
505
Nr. 10 An die M u t t e r
strich nachtr. eingefgt, und aus z(usammen) H 3 6 liebe] danach Komma
getilgt H 3 7 mehr] danach Komma getilgt H 4 0 mute aus muten H
4 8 am linken Rande neben Z. 20 f . , wo die Schrift stark zerflossen ist H
Erluterungen
2 und 3 1 wirklich] f^gl. Nr. 9 Z. 9 und die Erluterung z. St. 5
9 Suppe ] Nach dem Speisezettel des Klosters gab es zum Frhstck Wassersuppe,
geschmlzte Milch und Brot.
2327 Die hier parodierte Strophe von Schubarts Kaplied lautet: Auf! auf! Ihr
Brder, und seyd stark! / Der Abschiedstag ist da. / Schwer liegt er auf der
Seele, schwer! / Wir sollen ber Land und Meer / Ins heie Afrika. 10
2 4 Glaubiger] Mundartlich umlautlose Form. Vgl. Nr. WZ.36 und Nr.48 Z. 20.
3 0 Prlat] Wie der klsterliche Zuschnitt des Lebens, erhielt sich seit der Umwand-
lung der Klster in evangelische Klosterschulen (ISS6) auch die Bezeichnung des
Forstandes als Abt, Probst oder Prlat. Als Vertreter ihrer Klostergebiete hatten die
Prlaten Sitz und Stimme unter den Landstnden Altwrttembergs. Johann Chri- 15
stoph Weinland, geboren 1729, wurde 178S Prlat von Maulbronn und starb dort
am 23 .Juli 1788,in den letzten Klostermonaten Hlderlins, der seinen Tod nirgends
erwhnt. Sehr abfllig urteilt ber ihn Rudolf Magenau in seiner Lebensskizze (s.
Bd.7). Aus zwei Verfgungen vom 31. Dezember 178S und 18.Januar 1786 (Regi-
stratur Maulbronn, Kasten 11) wird ersichtlich, da Weinland in der ersten Zeit 20
grozgig und milde zu verfahren, Vertrauen zu gewinnen bemht war: er wollte die
HEE. Alumni gnzlich ihrer eigenen bisher erprobten Rechtschaffenheit
berlassen. Dagegen erweckt ein Gesuch an den Kirchenrat vom 26.Junil 788 in einer
persnlichen konomischen Angelegenheit (Staatsarchiv Ludwigsburg, A 28S, Rubr.
XXa fasc. S) durch lamentierende Weitschweifigkeit den Eindruck griesgrmiger 25
Scnilitt. Schwab (II 271) kannte noch einen Brief Hlderlins an Louise, worin er
mit besonderer Rhrung . . den tiefen Eindruck beschreibt, welchen das Gebet
des greisen . . Prlaten whrend eines furchtbaren Gewitters auf ihn gemacht.
Anekdotisches ber ihn bei Justinus Kerner, Das Bilderbuch aus meiner Knabenzeit.
2. Abdruck, Stuttgart 1886, S. 186-188. 30
3 1 Professoren] Johann Gottfried Maier (Mayer; 1741-1807) und Johann Chri-
stian Hiller (1734-1820). In den Konsistorialrescripten vom 10. April urul S. Okto-
ber 1787 werden beide ob ihres Eifers und ihrer Mhe um die Schwcherbegabten
gelobt. Abflliger urteilt Magenau in seiner Lebensskizze (s. Bd.7). ber beide vgl.
504
An die Mut te r . An I m m a n u e l Nast Nr. 10.11
Kerner (S.184), besonders ber Uiller: ein alter, frommer, stiller Mann, mit
einem gar zarten Stimmchen.
3 2 als] Schwbisch fr jeweils, immer; vgl. Nr. 2 Z.H.
3 3 abgewaschen] In der vorliegenden Bedeutung von abreiben, scharf herruh-
5 men weder in Grimms Deutschem noch in Fischers Schwbischem Wrtcrbuch ver-
zeichnet. Vielleicht aus der Studentensprache.
3 6 . 3 7 Aussagen ber die eigene Zufriedenheit ziehen sich als wichtiges Element
der Selbstdeutung Hlderlins durch den ganzen Briefwechsel hindurch; er macht
sich hier ein durch das brgerliche Ethos des 18. Jahrhunderts ausgeprgtes Motiv zu
10 eigen und bildet es weiter. Vgl. z.B. Nr.l2 Z. }2f., Nr.l9Z. i f , Nr. 26 Z.7, Nr.)}
Z.10-12, Nr.S7 Z. 27, Nr.66 Z.1-9, Nr.72 Z.14f, Nr.78 Z.12f., Nr.lU
Z.16, Nr.l}7 Z. 2 ) f , Nr. 210 Z.lOf, Nr. 22S Z.17 f . , Nr. 227 Z.lOf, Nr.
228 Z. n f . , noch Nr. 279 Z. 4 und Nr.29S Z. 4.
3 8 Rike] Die Schwester (s. die Einfhrung zu Nr. 16).
15 4 0 Chor] Eine Zwischenandacht Formittags um 10 Yt und Nachmittags um SV%
Uhr, wobei die Alumnen reihum einen Psalm und ein Kapitel aus der Bibel zu ver-
lesen hatten.
4 2 ein edles, herrliches Mdchen] hnlich von Nasts Freundin in Nr.14 Z.ll,
von Louise Nast in Nr. )0 Z. 9 f .
20 11. A N I M M A N U E L N A S T
Sicher im Sommer 1787 geschrieben, bald nach Nr. 10, in den traurigen Tagen und
dfm Jammermonath, wovon Hlderlin rckblickend in Nr.15 Z.107122 spricht.
berlieferung
H: Stuttgart ly )b Nr.ll: Doppelblatt4: 17,2 x 22 (21,8); gelblich, fest, kr-
25 nig; fVZ: zwei zum Kranz zusammengebogene Zweige mit Blttern und kugeli-
gen Frchten oder Knospen umrahmen einen Baselstab.
S.4 Adresse mit Siegelrest (Wappenschild mit aufrechtem Lwen): Herrn
Scribent Nast I in der Stadtschreiberei / in / Leonberg. I d.G.; S.l linke
untere Ecke, fremde Hand, Blei: 8
30 Erster Druck: Litzmann S. } 6 f .
505
N r . i s . 16 An I m m a n u e l Nast . An die Geschwister
Lesarten
1 Dein aus Deine (n) / / 5 heitern aus hetem i ? 6 mir nac/i gcstr. ich H
7 vor aus von H 1 0 dachte] dchte (offenbar Ferschreibung infolge Einwir-
kung des vorhergehenden Konjunktivs) H 11 Dich aus mir H 1 8 mchtest
aus mchst H 2 2 ihn dann] ihn nachtr. eingefgt H habe,] habe. H 5
2 5 mir fehlt H morgen nach gestr.: zn schre{iben) H 2 6 den aus dem H
2 7 ich aus er (?) H 2 8 Freund,] die letzten zwei Buchstaben mit dem rechten
Rande abgerissen H 3 2 gemacht ] Gedankenstrich aus Punkt H
Erluterungen
1 Dein herrHches Gemhide] Der in Z. il erwhnte Apoll, der Gott der Snger, 10
wohl mit huldigendem Bezug auf Hlderlins dichterische Bestrebungen; vielleicht in
das verlorene zweite Stammbuch eingezeichnet (vgl. Nr. 8 Z.18). Zu Nasts knst-
lerischer Liebhaberei s. seinen Brief vom 17. April 1789 (in Bd. 7). Da er sie auch
spterhin noch pflegte, ergibt sich aus einer Meldung der Schwbischen Chronik vom
1. Oktober 1798: Nast erhielt fr eine dem Herzog bersandte Handzeichnung eine 15
goldene Uhr geschenkt zur Belohnung seines ohne Unterricht ausgebildeten
KunstTalentes und KunstFleies.
8 blinzte] Im 18. Jahrhundert noch gelufig neben blinzeln.
1 8 - 2 0 Dieselbe ngstliche Rcksicht noch in Nr. SO (an Neuffer) Z. 20-22.
2 1 einem heitern Augenblik] Vgl. Nr. 47 Z . l l f . und die Erluterung z. St. 20
2 4 Ich mu fort] Mglicherweise, trotz der Echtheit der Stimmung, Reminiszenz
an Werthers kurzen Brief vom }. September (I.Buch), worin dreimal kurz hinterein-
ander der verzweifelte Ausruf: Ich mu fort! wiederholt wird.
2 4 - 2 8 Von einem solchen Brief an die Mutter und einer Cuneit ist nichts bekannt.
Vermutlich kam Hlderlin bald wieder davon ab. Seine Krnklichkeit im Sommer 25
1787 wohl Symptom von Depressionszustnden erwhnt er nochmals im Herbst
(Nr.lS Z.137f.).
12. A N I M M A N U E L N A S T
Zweifellos 1787 geschrieben, laut Z.7 und 9 nicht lange vor einer Vakanz, nach
Litzmann (S.S2 Anm.l) ganz kurz vor den Osterferien, nach Nr.7; nach Victor 30
(Die Lyrik Hlderlins, Frankfurt 1921, S. 28 Anm.4)und Zinkernagel (4.Bd. S. 21)
noch vor Nr. 7; nach Seeba (Hellingrath 1 .Bd. S. 37S) kurz vor der Pfingstvakanz.
506
An I m m a n u e l Nast Nr. 12.1}
Diese Datierung ist hinfllig, da das Kloster keine Pfingstferien kannte. Diejenige
Litzmanns lt auer Acht, da Hlderlin die in Nr.7 so dringend ausgesprochene
Bitte um Nasts Besuch in einem fast unmittelbar darauffolgenden Briefe doch sicher
nochmals erwhnt htte. Aber auch der Ansatz von Victor und Zinkemagel, die den
5 Brief mglichst nahe an das von Ossian beeinflute Gedicht An meinen B. (Bd. 1,23;
zur Datierung vgl. Bd.l, 343) heranrcken mchten, ist schwerlich zu vertreten. Ent-
scheidend ist die Stimmung. Die ersten, vor Ostern geschriebenen Briefe an Nast be-
kennen ein Leiden am Alleinsein. Dieser bekennt Freude am Alleinsein. Die Worte in
Z.25: ich bin immer noch lieber allein haben einen deutlichen Bezug zu Nr. 8
10 Z . l l f . : Ich bin jezt so allein, immer, so in der Stille und das behagt mir. Die
Worte nach der Unterschrift sind nur als Anspielung recht zu verstehen: Hlderlin
kann sich jetzt mit dem Freunde vergleichen, von dessen glcklicher Liebe er (nach
Nr. 6) wei. Die Trauertage seiner eigenen Liebe im Sommer 1787, von denen er
rckblickend in Nr. 15 erzhlt, liegen also hinter ihm. Der Brief ist daher in die
15 Nhe der um den 20. September beginnenden Herbstferien zu legen.
berlieferung
H: Stuttgart IV 3b Nr. 9: Doppelblatt 4: 16,2 (17,2) x 20,1 (20,7); rechte
und obere Kante (rechte Kante von Blatt 2 nur teilweise) beschnitten; gelblich,
fest, kmig; WZ: gekrntes Medaillon; vereinzelte Flecken.
20 S.4 Adresse mit Siegelresten: Herrn Scribent Nast / in / der Stadtschrei-
berei / zu / Leonberg. / frei bis Stutgard.; darunter Federprobe von fremder
Hand; S.l linke untere Ecke, fremde Hand, Blei: 7
Erster Druck: Litzmann S. 32f.
Lesarten
25 1 eine schne] schne aus h.(firzerquikende) H 2 Homers nach gestr. den H
3 Nebenbuhler aui (1) Nebenbuh (2) Nebenbul I i 4 must] mu H 5 ein
Gebirge] ein aus eine H Dich aus (1) Dir (2) es H 7 Er aus Es H 8 le'
aus lie' (Suevismus) H 9 in] i m / / 12 entschuldigt - ] Gedankenstrich aus
Punkt H 1 4 Deprecationcn nac/i g-cs(r. (1) Deklamationen i (uHaus) (2) Dep
30 (aus Deklamationen) H wre,] Komma aus Punkt H 1 6 Bilfinger aus Bill
(Verschreihung) II 2 2 glaube nach gestr. kann H 2 3 sagen aus sagt H
2 6 eins aus eines H da aus das H da aus w(ic) H 2 7 schon ber der
Zeile H gefantasirt aus gefanf H 32 . 3 3 eben so zufrieden wie Du.] Du
und Teile von so und zufrieden mit dem Siegel am rechten Rande abgerissen H
507
N r . i s . 16 An I m m a n u e l Nast. An die Geschwister
Erluterungen
1 Vgl. Nr. 7 Z. 5 und die Erluterung z. St.
2 Ossian] S. Bd.l, 36}. Als vermeintlicher Vertreter echter, groer Volkspoesie
wurde Ossian von dem vergleichsfreudigen Jahrhundert gerne Homer an die Seite
gestellt. Die hexametrische bertragung von Michael Denis (Sined dem Barden) vom 5
Jahre 176819 erschien 1784 mit seinen eigenen Gedichten vereinigt: Ossians und
Sineds Lieder. In dieser Ausgabe - nicht in der anonymen bertragung von Schillers
Jugendfreund Johann Wilhelm Petersen (1782)- scheint Hlderlin Ossian fr sich
entdeckt zu haben. Darauf deutet ein noch unverffentlichtes, krzlich in New York
ans Licht gebrachtes Blatt von seiner Hand: Tritt ein schwcherer Versucher 10
auf / Und bringt ein ungereiftes Lied ins Volk / Doch ohne Stolz, bescheiden, !
schone sein, / Beschimpf ihn nicht! Er hat es gut gemeint / Er hat gestrebet.
Ossians und Sineds Lieder. / Vierter Band. pag. 165.
Die Verse sind dem Gedicht Der Neugeweihte urui Sined entnommen: der Jnger
empfngt vom Meister zum Abschied unter andern goldnen Regeln auch die von Hl- 15
derlin ausgeschriebene. Offensichtlich bezieht dieser, bescheiden und selbstbewut
zugleich, die Worte auf sich selbst. Nach einer ansprechenden Vermutung Manfred
Koschligs gehrt das Blatt ursprnglich in das Marbacher Quartheft (s. Bd. 1, 322f.
und Bd.}, 573 f.). Die fremden Verse wren dann ein Siegel, das der achtzehn-
jhrige Dichter seinem Jugendwerk aufdrckte. (Der Autographensammler. NF. ,2. Jg. 20
Nr. 2, Mai 1952, S. 37.) - Nach den in Bd.l, 463 angefhrten Parallelen ist es
mglich, da Hlderlin auer der bertragung von Denis spter auch noch die von
Petersen kennen gelernt hat.
4 . 5 Kona heit das Lieblingstal Ossians, der sich fters die Stimme von Kona
nennt. Morven: der ossianische Name fr Schottland. 25
5 Engelsberg] Engelberg: die schroffe Warte ber Leonberg.
7. 8 Nach Nr. 21 Z.2 hat Hlderlin das Exemplar des Ossian mindestens bis zum
Frhjahr 1788 bei sich gehabt.
9 in der Hinaufreise] Vom schwbischen Unterland, in dem Maulbronn liegt
(vgl. Nr. 18 Z. 45 und Nr. 20 Z. 3), in die Gegend des oberen Neckars, nach Nr- 30
tingen. Vgl. auch Nr. 185 (aus Homburg) Z. 39.
1 0 . 1 1 der gute, blinde Ossian da] Vermutlich hat Hlderlin im Ohr den Ein-
gang des Gedichtes Bei Homers Bild von Friedrich Leopold Graf zu Stolberg, dessen
Gedichte (1779) er sptestens 1787 kennen gelernt haben mu (s. Bd.l, 350):
Du guter, alter, blinder Mann. Im (Thalia-)Fragment von Hyperion wird bei 35
508
An I m m a n u e l Nast Nr. 12.1}
der Feier zu Ehren Homers dem Schatten des lieben blinden Mannes eine Nnie
gesungen.
1 1 schwadronirt] In der heute erloschenen, auch im 18. Jahrhundert seltneren Be-
deutung herumstreichen. Vgl. Schillers Ruber II Ganze Haufen bhmisclier
5 Reuter schwadronieren im Holz herum.
1 2 Akademikus] Hiemer; vgl. Nr. 6 Z. 36 und die Erluterung z. St.
15 Musikstk] Vgl. Nr. } Z. 21-2} und die Erluterung z. St.
1618 Zu gutmtigen Freundesneckereien dieser Art gibt sich Hlderlin auch in
Tbingen noch bei Gelegenheit her; vgl. die Briefe Emst Gottlieb Bengels an Neuffer
10 vom 29. Februar und 22. Mrz 1792 (in Bd. 7).
1 8 - 2 4 drben; die Verwaltung; der HE. Vikarius; Louisens Bruder Christian
Ludwig (s. die Einfhrung zu Nr. 14). Aus Nr. 22 Z. 20-2} so wie aus dem letzten
Briefe Louisens an Hlderlin (in Bd.?) ist zu erschlieen, da Bilfinger, der frher
auch ein Anbeter von Louisen war (Nr.lS Z. 87 f ) , sich nach seiner Entsagimg
15 (ebenda Z. 94) mit ihrer Schwester Wilhelmine anfreundete, die er dann als Student
ebenso verlie wie Hlderlin Louise.
2 2 Pantalon] Ein von Pantaleon Hebenstreit 1690 verbessertes Hackbrett, das die
Anregung zur Konstruktion des Hammerklaviers gab; nach Krzinger (Unterricht
zum Singen, 179}) ein groes mit Darmsaiten bezogenes Instrument, gleich
20 einem Hackbrett, welches auch mit Klpplein geschlagen wird und einen rei-
zenden Ton hat,
2 5 - 2 9 Vgl. Nr.S Z. 2 und Nr.l} Z.}8-4}. - Zu der mundartlichen Prxform
gefantasirt vgl. Nr. 70 Z.18 getumultuirt.
13. A N I M I V I A N U E L N A S T
25 Laut Z. 2 f . und 7 unmittelbar nach der Rckkehr aus einer Vakanz geschrieben, und
zwar da nach den Osterferien an Nast Nr. 8 gerichtet ist und es keine Pngstferien
gab nach der Herbstvakanz, also um das Ende des Oktober 1787. Die Papiersorte ist
dieselbe wie in Nr. 14.
berlieferung
30 H: Stuttgart IV }b Nr.lO: Doppelblatt 4: 17,S x 20,} (20,9); von Blatt 1 ist
rechts oben quer ein Streifen zu 1},S x 2,9 (},1) herausgeschnitten, wodurch
mglicherweise die Datumzeile verloren gegangen ist; alle Kanten beschnitten;
blulich, fest, gerippt; WZ: gekrntes kreisrundes Wappen, darin ein aufrecht
509
N r . i s . 16 An I m m a n u e l Nast. An die Geschwister
sitzendes Wappentier mit Stern und Schwert; im umfassenden Ring die
Worte: PRO PATRIA EIUSQUE LIBERTATE
S. 1 linke untere Ecke, fremde Hand, Blei: 11
Erster Druck: Litzmann S. iS f .
Lesarten 5
3 Kloster-] Gedankenstrich aus Punkt H 6 verschiedene] verschiedenene i /
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deutbarem Ansatz (S{inn?)) H meiner Brder aus; meines Bruder(j) 12
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ich fehlt H 17 Geschwisterige - ] Gedankenstrich aus Punkt H 1 9 schwe-
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Gedankenstrich aus Punkt H 3 0 erinnert aus erinnern
An I m m a n u e l Nost Nr. 14
Tchter des Expeditionsrats und Klosterverwalters Johann Conrad Nast, der aus klei-
nen Verhltnissen zu einer hnlichen Stellung wie Hlderlins Vater gelangt war. 1724
in Leonberg als einer von zwlf Shnen des Stadt- und Amts-Zinkenisten geboren,
zunchst Forstschreiber in Leonberg, wurde Nast schon 1760, in der Nachfolge sei-
5 nes Schwiegervaters Ludwig Wolf gang Lchelin, Verwalter des reichen Kloster-
gutes, eines der betrchtlichsten und Geschfftvollsten mter, dessen Kern-
stck umfangreiche und vortreffliche Weinberge waren. Dank seiner Tchtigkeit und
Umtriebigkeit brachte er das Gut auf beachtliche Hhe und gewann Ansehen beim
Herzog. Seine Eingabe an die Behrde vom 12. Dezember 1767 entwirft ein sprechen-
10 des Bild von der Vielfalt seiner Geschfte. (Akten ber seine Ttigkeit im Staats-
archiv Ludwigsburg, A 28S, Rubr. Ubfasc. bl.) Seine Erfahrungen und Bestrebun-
gen im Weinbau legte Nast nieder in der anonymen Schrift: Vollstndige Abhand-
lung des gesamten Weinbaues. 1. und 2. Bd. 1766, i. Bd. hg. von Sprenger 1778. Am
Schlu der Vorrede erklrt der Verfasser: Mein Wunsch ist, da diese Arbeit zu
15 Vermehrung der Ehre des groen Sclipfers luid Herrn der Natur durch die
Befrderung des gemeinen Bestens, dessen Besorgung dieser hchste und all-
gemeine Wohlthter aller seiner Creaturen, besonders des menschlichen Ge-
schlechts, weil er die Liebe selbsten ist, als eine der heiligsten Pflichten mir
und allen Menschen auferlegt hat, gereichen mge. - Seit 1790 an den Folgen
20 eines Schlagflusses leidend, starb Nast Ende September 179S, ein halbes Jahr nach
seiner Frau. Nach dem Erbanteil seines lteren Sohnes 10S62 Gulden zu schlie-
en, mu er es zu bedeutendem Wohlstand gebracht haben. In einem Nachruf des
Prlaten wird besonders die gute Eintracht zwischen Klosteramt und Prlatur er-
whnt .
25 Von den zwlf Kindern Nasts erreichten fnf ein erwachsenes Alter. Die lteste
Tochter, Marie Gottliebin (176S18}6), verheiratete sich im September 1790 mit
Philipp August Weng, Verwalter in Eichtersheim (bei Waldangelloch, einige Stun-
den nrdlich von Maulbronn), wurde jedoch nach kurzer Frist Witwe, kehrtel792 ins
Elternhaus zurck und wurde Anfang 1794 die Frau des Majors Friedrich Heinrich
30 Rheinwald in Stuttgart. Wilhelmine (geboren 1766) heiratete 1794 Dr. Gaupp in
Stein (Baden). Von den beiden Shnen scheint der jngere, Fritz (geboren 1769), frh
auf Abwege geraten zu sein. Der ltere, Christian Ludwig (1763-1847), durchlief
Kloster und Stift in der Promotion Karl Reinhards, wurde 1786 Vikar im Kloster
Maulbronn, 1790 Hofmeister in Graubnden, machte 1792 eine gelehrte Reise durch
35 Italien, 179S durch Deutschland und war von 1798 an Pfarrer an verschiedenen
511
N r . i s . 16 An I m m a n u e l Nast . An die Geschwister
Orten. In den Semestralberichten des Stifts (Kasten I Fach 8 Nr. 4 S. 43) wird ihm
ingerdum supra mediocre assurgens zugeschrieben.
Louise (geboren am 9. Mai 1768) verheiratete sich erst nach dem Tod ihrer Eltern,
am SO. November 1794, mit dem Substituten (Amtsschreiber) Christoph Andreas Lud-
wig (17611838), der damals schon achtzehn Jahre im Klosteramt ttig war und 5
nach dem Tode Nasts zunchst mit der Amtsverwesung betraut, bald aber nach Stutt-
gart versetzt, spter Kameralverwalter in Schnthal und zuletzt Oberamtspfleger in
Leonberg wurde. Der Ehe entsprangen zwei Kinder. Louise starb whrend eines Be-
suches in Niedemau am 10. August 1839. Begraben wurde sie in Leonberg. Nach
der Absage Hlderlins im Frhjahr 1790 scheint sie noch andere Enttuschungen 10
erlebt zu haben: ihr Bruder schreibt dem Vater am Grndonnerstag 1793, im Zusam-
menhang mit Ludwigs Werbung: Sie dauert mich von ganzem Herzen, da
ihren reinen und redlichen Absichten immer so mancherlei Hindemisse ent-
gegengetrmt werden!
berlieferung 15
H: Stuttgart IV 3h Nr.l2: Doppelblatt 4: 17,S x 20,8; alle Kanten beschnit-
ten; blulich, fest, gerippt; WZ: gekrntes kreisrundes Wappen, darin ein
aufrecht sitzendes Wappentier mit Stern und Schwert; im umfassenden Ring
die Worte: PRO PATRIA EIUSQUE LIBERTATE; S. 1,2 und 4 Siegel-
reste. 20
S. 1 linke untere Ecke, fremde Hand, Blei: 10
Erster Druck: Litzmann S. 39 f .
Lesarten
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d(ann) H 4 3 brav - ] Gedankenstrich aus Punkt H 4 4 ist wie] als (1)
i{o) (2) ist v/ie (als versehentlich nicht gestr.) H 4 7 Schreib ja recht bald!]
Ausrufzeichen aus Gedankenstrich H
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An I m m a n u e l Nast Nr. 12.1}
Erluterungen
2 Endlich auch wieder einmal!] Vgl. den Anfang von Nr. 8.
9 und 4 3 wirklich] Vgl. Nr. 9 Z. 9 und die Erluterung z. St.
1 1 Deinem herrlichen Mdchen] Die in Nr. 6 erwhnte Jfr. Brechtin.
5 2 1 - 2 5 PVahrscheinlich war Hlderlin, entgegen seiner Mitteilung in Nr.l2Z. 9 f . ,
doch zu Beginn der Herbstferien in der Hinaufreise ber Leonberg gekommen.
3 8 plzlich] In der Bedeutung ^sofort im Schrifttum sehr selten, der Umgangs-,
vielleicht der Studentensprache angehrend. Vgl. Nr. IS Z. 16 und 42.
4 0 H - ] Hiemer; s. Nr. 6 Z. 36 und die Erluterung z. St.
10 4 5 meinen Pfeffel] Gottlieb Konrad Pfeffel aus Colmar im Elsa (1736-1809),
als Dichter am meisten bekannt durch Fabe