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KÖLBEaLlN S-ÄMTLICHE WEEEE Briefe Text GROSSE STUTTGARTER AUSGABE

HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

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Page 1: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

K Ö L B E a L l N

S-ÄMTLICHE

W E E E E

Briefe

Text

GROSSE

STUTTGARTER

AUSGABE

Page 2: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

H Ö L D E R L I N • G R O S S E S T U T T G A R T E R A U S G A B E

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HÖLDERLIN

S Ä M T L I C H E W E R K E

SECHSTER BAND

V E R L A G W , K O H L H A M M E R

S T U T T G A R T 1 9 5 4

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S T U T T G A R T E R H Ö L D E R L I N - A U S G A B E

IM AUFTRAG DES

MINISTERIUMS FÜR WISSENSCHAFT UND KUNST

BADEN-WÜRTTEMBERG

HERAUSGEGEBEN VON

FRIEDRICH BEISSNER f

ADOLF BECK f

FORTGEFÜHRT VOM VERWALTUNGSAUSSCHUSS

DER STUTTGARTER HÖLDERLIN-AUSGABE

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SECHSTER BAND

B R I E F E

H E R A U S G E G E B E N V O N A D O L F B E C K

ERSTE HÄLFTE

TEXT

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Page 10: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

D E N K E N D O R F U N D M A U L B R O N N

1784-1788

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B R I E F E 1 7 8 + - 1 7 8 8 Wr . l

1. AN NATHANAEL KÖSTLIN

Hochehrwürdiger, Hochgelehrter Insonders Hochzuverehrender Herr Helfer!

Ihre immerwährende große Gewogenheit und Liebe gegen mich,

und noch etwas, das auch nicht wenig dazu beigetragen haben mag,

5 Ihr weißer Christen-Wandel, erwekten in mir eine solche Ehrfurcht

und Liebe zu Ihnen, daß ich, es aufrichtig zu sagen, Sie nicht anders,

als wie meinen Vater betrachten kan. Sie werden also mir diese Bitte

nicht übel nehmen. Etliche Betrachtungen, insonderheit seit ich wie-

der von Nürtingen hier bin, brachten mich auf den Gedanken, wie

10 man doch Klugheit in seinem Betragen, Gefälligkeit und Religion

verbinden könne. Es wollte mir nie recht gelingen; immer weinkte

ich hin und her. Bald hatte ich viele gute Rührungen, die vermuth-

lich von meiner natürlichen Empfindsamkeit herrührten, und also

nur desto unbeständiger waren. Es ist wahr, ich glaubte, jezt wäre ich

15 der rechte Christ, alles war in mir Vergnügen, und insonderheit die

Natur machte in solchen Augenbliken, (dann viel länger dauerte die-

ses Vergnügen selten) einen auserordentlich lebhafften Eindruk auf

mein Herz; aber ich konnte niemand u m mich leiden, wollte nur

immer einsam seyn, und schien gleichsam die Menschheit zu verach-

20 ten; und der kleinste Umstand jagte m e m Herz aus sich selbst her-

aus, und dann wurde ich nur desto leichtsinniger. Wollte ich klug

seyn, so wurde mein Herz tükkisch, und die kleinste Beleidigung

schien es zu überzeugen, wie die Menschen so sehr böse, so teuflisch

Seyen, und wie man sich vor ihnen vorsehen, wie man die geringste

25 Vertraulichkeit mit ihnen meiden müsse; wollte ich hingegen diesem

menschenfeindlichen Wesen entgegenarbeiten, so bestrebte ich mich

vor den Menschen zu gefallen, aber nicht vor Gott. Sehen Sie, Theuer-

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Nr.i.2 B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8

ster HE.Helffer, so wankte ich immer hin und her, und was ich that,

überstieg das Ziel der Mäßigung. Und heute insonderheit (am Sonn-

tag) sähe ich auf mein bißheriges Betragen gegen Gott und Men- so

sehen zurük, und faßte den festen Entschluß, ein Christ und nicht

ein wankelmüthiger Schwärmer, klug, ohne falsch und menschen-

feindlich zu werden, gefallig gegen den Menschen, ohne mich nach

ihren wahrhafftig sündUchen Gewohnheiten zu richten; Ich weiß ge-

wiß Gott wird durch seinen h. Geist mein Herz leiten; und nun bitte 35

ich Sie gehorsamst, Theuerster HE. Helffer, seyn Sie mein Führer,

mein Vater, mein Freund, (doch das waren Sie schon lange!) erlau-

ben Sie mir, daß ich Ihnen von jedem Umstand, der etwas zu meinem

Herzen beiträgt, von jeder Erweiterung meiner Kentnisse, Nachricht

geben darf; Ihre Lehren, iTir Rath, und die Mittheilung Ihrer Kent- 40

nisse, diese werden alle meine Wünsche, die sich aufs Zeitliche rich-

ten, befriedigen. Ich weiß gewiß, daß Ihnen diß aufrichtige Schrei-

ben nicht beschwerlich ist, und daß Sie diß Vertrauen als ein Zeichen

meiner Ehrfurcht und Liebe gegen Sie ansehen werden. Finden Sie

an diesen meinen Gesinnungen etwas fehlerhaffts, so bitte ich Sie, +5

mir solches zu entdeken. Ich schließe also xmd verbleibe mit aller

Hochachtung

Dero gehorsamster Diener

Hölderlin. 50

2. AN DIE M U T T E R

Liebste Mamma!

W a n n dißmal mein Brief etwas verworrener ist als sonst, so müs-

sen Sie eben denken, mein Kopf sei auch von Weinachtsgeschäfften

eingenommen, wie der Ihrige — doch differiren sie ein wenig : meine

sind, ohne das heutige Laxier, Plane auf die Rede, die ich am Johan- 5

nistage bei der Vesper halte, Tausend Entwürffe zu Gedichten, die ich

in denen Cessationen, (vier Wochen, wo man bloß für sich schafft)

machen will, und machen m u ß , {NB. auch lateinische) ganze Paquete

von Briefen, die ich, ob schon das N.Jahr wenig dazu beiträgt, schrei-

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B R I E F E 1 7 8 + - 1 7 8 8 Nr.2.3

10 ben m u ß , z .E. HE.Helffer, HE.Klemm.HE.Bi l f inger , nach Altona,

und was die Sachen als sind, und die Ihrige sind, — was sie eben sind.

"Was die Besuche in den Weinachten betrifft, so bin ich eher so frei,

Sie hieher einzuladen, weil mich das Geschafft am Johannistage', wie

gesagt, nicht leicht abkommen läßt. Die 1.Geschwisterige werden sich

15 wieder recht freuen; aber, im Vertrauen gesagt, mir ists halb und

halb bange, wie sie von mir beschenkt werden sollen. Ich überlasse es

Ihnen, liebste Mamma, wanns ja so ein wenig unter uns beim alten

bleiben soll, so ziehen Sies mir ab, und schenkens ihnen in meinem

Nahmen. Der 1. Frau Grosmamma mein Compliment, und ich wolle

20 Ihr auch ein WeinachtsGeschenk machen ich wolle dem 1. Gott

mit rechter Christtags-Freude danken, daß er Sie mir auch dieses

beynahe vollendte Jahr wieder so gesund erhalten habe. Onerachtet

meines Laxiers bin ich doch im übrigen recht wohl. Bei mir ists zwar

nicht zu spät, wie bei Ihnen, doch weiß ich eben nichts mehr zu schrei-

25 ben, als daß ich bin

meiner liebsten Mamma gehorsamster Sohn

Hölderlin.

Hier schike ich etwas, die Weinachtsgeschäffte zu zerstreuen: wann

30 Sies ja nicht selbst lesen wollen, so lassen Sie sichs nur wenigstens von

dem l.Geschw. vorlesen, es wird Ihnen recht wohl gefallen. Schiken

Sies nur, so bald als möglich zurük. Die andern Theile sollen auch

folgen. Auch die Bouteille bitte ich mir zu schiken, sie war entlehnt.

JiE.Harpprecht von Nellingen hat mich gestern besucht und mich

35 u m den 4ten Theil vom brittischen Museo gebetten.

3. AN IMMANUEL NAST

Besterl

Ich schied ganz ruhig von Dir — es war mir so wohl bei den weh-

mütigen Empfindungen des Abschieds — und noch, wann ich zurük-

denke, wie wir so in den ersten Augenbliken Freunde waren — wie

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Nr. i .17 B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8

wir SO traulich, so vergnügt mit einander lebten, so bin ich zufrieden 5

— daß ich Dich nur diese etlich Tage hatte; — 0 mein Theurer, es

waren Zeiten, ich hätte um einen Freund, wie D u , einen Finger hin-

gegeben, u. wstnn auch mein Erinnern ein ihn sich bis aufs Kap hätte

erstreken müssen — Ich habe Dir, glaub ich, schon einmal davon vor-

geschwazt — Das Ding ärgert mich, daß mir meine alte trübe Stünd- lo

chen so oft in Kopf kommen — und freue Dich nur, wann ich Dir

nicht oft schreiben sollte — Du würdest mir vielleicht manche Klage

entwischen sehen, so sehr ichs vermeide. Und es ist doch uns Men-

schen so gut, wenns was zu leiden giebt. — Ich war schon manchsmal

in meinem Leben ein Thor, aber nie weniger, als wan mir meines 15

Herzens Wünsche nicht erfüllt wurden wann ich unverdienter-

weise böse Gesichter sehen mußte —

Aber da kan ich jezt in allem Ernst sagen — verzeih, ich bin Dir

beschwerlich gewesen I — Das war wieder einmal ein unartiges Ge-

sudel I Nicht wahr, Lieber ? 20

Ich wünschte ich könnte Dir die Musik über Brutus und Cäsar jezt

schiken, aber wenn man was von den Stutgarder HE.Academiciens

will, gehts geir mit Schnekeneil, so gut auch immer ihr Wille ist. Zu

Schillers Ehre will ichs auch auf dem Ciavier lernen, so hart es gehen

wird mit meinem Geklemper. Ach! wie manchmal hab ich ihm 25

schon in Gedanken die Hand gedrükt, wenn er so seine Amalia von

ihrem Carl schwärmen läßt. —1 Du wirst denken, ich sei ein Narr;

aber ich weiß nicht, machts Eigenliebe oder oder — mir ists wohl

bei dergleichen Gedanken. Jezt gute Nacht, lieber BruderI Noch

einsl Hesler läßt sich Dir empfehlen. Du würdest noch manches 30

Complimentchen bekommen, wenn ich ausruffen ließ—Heut schreib

ich meinem Nast — ihr Leute. Lebe jezt wohl. Liebe

Deinen

Hölderlin.

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B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8 Nr.4

4. AN IMMANUEL NAST

Kl. Maulbronn, d. Jan. 87.

Morgens 4 Uhr.

Besterl

Das ist schön, daß D u für die Natur so viel Empfindung hast — ich

5 schmeichelte mir immer, unsre Herzen schlügen gleich — aber jezt

glaub ichs ganz gewiß. Aber D u must Dir nicht vorstellen, wie wann

D u Dein Herz so ganz abgedrukt bei mir finden köntest; o nein! Lie-

ber ! D u darfst Dich auch nicht wundern — wann bei mir alles so ver-

stümmelt — so widersprechend aussieht — Ich will Dir sagen, ich habe

10 einen Ansaz von meinen Knabenjahren — von meinem damaligen

Herzen — und der ist mir noch der liebste — das war so eine wäch-

serne Weichheit, und darinn ist der Grund, daß ich in gewissen Lau-

nen ob allem weinen kan — aber eben dieser Theil meines Herzens

wurde am ärgsten mishandelt so lang ich im Kloster bin — selbst der

15 gute lustige Bilfinger kan mich ob einer ein wenig schwärmerischen

Rede geradehin einen Narren schelten — und daher hab ich neben-

her einen traurigen Ansaz von Roheit — daß ich oft in Wuth gerathe

— ohne zu wissen, warum, und gegen meinen Bruder auffahre —

wann kaum ein Schein von Beleidigung da ist. 0 es schlägt nicht dem

20 Deinen gleich — mein Herz — es ist so bös — ich habe ehmalen ein

bessers gehabt — aber das haben sie mir genommen — und ich muß

mich oft w u n d e m , wie D u drauf kamst — mich Deinen Freund zu

heißen. Hier mag mich keine Seele—izt fang' ich an, bei den Kindern

Freundschaft zu suchen — aber die ist freilich auch ser unbefriedigend.

25 Bilfinger ist wohl mein Freund — aber es geht ihm zu glüklich, als

daß er sich nach mir umsehen möchte — D u wirst mich schon ver-

stehen — er ist immer lustig — ich hänge immer den Kopf — da wirst

D u wohl sehen — daß wenig 'raus kommt. Ich kann Dir sagen — ich

bin der einzige — der außer dem Namen nach kein Frauenzimmer —

30 keinen Schreiber — oder was sonst zu den Gesellschaften der Maul-

bronnerWelt gehört, hier kennt.

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N r . i . 1 9 B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8

Meine Flöte wäre noch mein einziger Trost, aber auch diese ist mir

entlaidet worden. Wann sich Efferenn und Bilfinger etc. — bei einer

Privatmusik zusammen freuen wollen, so läßt man lieber eine Lüke,

als.daß man den Hölderlin ruffen sollte. D u darfst nicht glauben, als 35

wann ich mir selbst alle Freude vergällte, oder gar keine annehme;

ich hef neulich aus lauter Verdruß unsrer Frau Baas Famulussin in

ihren Garten nach — beschwerlich mag ich ihr auch genug geweßen

sein — da redten mich die Mädchen aus der Verwaltung zum aller-

erstenmal im Vorbeigehen dort an; D u solltests gesehen haben — ich 40

habe mich gefreut wie ein Kind — daß mich nur auch jemand ange-

redt hat — und das war doch keine so wichtige Sache zum Freuen.

Noch eins muß ich Dir sagen — wann Dir einmal wieder der Ge-

danke käme, aufs Kap zu gehn, so sollst D u mich zum Gesellschafter

haben. Auf mein Ehrenwort I 45

Leb inzwischen wohl, lieber Bruder, leb wohl ! Das war ein trau-

riger Morgen!

Dein

Hölderlin.

Ich m u ß Dir hier eben ein Duett schiken — für einzelne Flöten so

hab ich außer Conzerten nichts. Die Kleinigkeiten blaß ich dem Ge-

hör nach.

5. AN IMMANUEL NAST

Lieber Bruder I

Wieder eine Stunde wegphantasirt! Ich war auch bei Dir — ich

kann das nie besser, als in meinen müßigen Abendstunden — wann

ich so allein im Dunkeln bin — Ich war auch noch anderswo und

das Ende von allem war — daß ich mich und andre bedaurte. Denn 5

sage mir, Freund, warum soll ich mir u m meine beste Absichten

Pallisaden sezen, meine unschuldigste Handlungen für Verbrechen

auslegen lassen — daß es doch so schlechte Menschen giebt, unter

meinen Cameraden so elende Kerls — wann mich die Freundschaft

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B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8 Nr.S

10 nicht zuweilen wieder gut machte so hätt ich mich manchmal

schon lieber an jeden andern Ort gewünscht, als unter Menschenge-

selschaften — Sieh Lieber nicht Eigenliebe und übertriebene Emp-

findlichkeit ists, was mich so wüthend machte — jemand anders, des-

sen Begegnisse mir näher ans Herz gehen, als meine, wurde belei-

15 digt — o daß ich so zurükhaltend gegen Dich sein muß — aber ich

muß — ich muß — vielleicht künftig — Hätt ich lieber gar geschwie-

gen, Du wirst vielleicht böse über das kindische Gewinsel — und doch

wüßt ich nirgends mit hinaus, als zu Dir. Als ich Dir neulich schrei-

ben wollte, war ich mit rasenden Zahnschmerzen geplagt. — Wenn

20 ich nur auch einmal etwas recht lustiges schreiben könnte. Nur Ge-

dult! 'S wird kommen — hoff' ich — oder — oder — hab ich dann nicht

genug getragen? Erfuhr ich nicht schon als Bube, was den Mann

seufzen machen würde? und als Jüngling, gehts da besser? Und diß

sei die Zeit, sagen sie, wo wirs am besten haben! Du lieber Gottl bin

25 ichs dann allein? jeder andere glüklicher als ich? Und was hab' ich

dann gethan?

Ja, Bester, gerade das, was mich trösten solte, das liegt am schwer-

sten auf mir. Da denk ich allemal — wann in Dir die Wollust, Hader,

Raufsucht wüthete, wenn Du wärest was viele um Dich herum sind

30 — 0 ich will schweigen — Verzeih mir dießmal. Lieber, Du kenst

mich kaum — und kenst mich schon beinah als einen solchen, der den

anklagt, welcher allweise unser Schiksaal lenkt — aber so will ich

nimmer kommen — Ich werde wieder wenig schlafen — wenn ich nur

bei Dir wäre. Du zeihst mich vielleicht — ich liebe würd ich

35 dann so sprechen? sage mir Freund — oder weist Dus nicht? Nun —

ich weiß es auch nicht. Jezt gute Nacht — morgen soll das Urtheil

über das Gesudel gesprochen werden, und vielleicht zerreiß ichs. '

Hölderlin.

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JVr.6 B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8

6. AN I M M A N U E L NAST

Maulbronn, d. 18 Febr. 87.

Vor allem eine Frage! D u zählst Dich ja zu derjenigen Zunft von

Leuten, denen die Schreibkunst besonders heilig ist Nun will

Bruder Bilfinger in dem Brief, den D u neulich so mit geflügelter

Feder an mich schriebst, einen zweideutigen Schreibfehler entdekt 5

haben — er sagt, in dem — liebe

D e i n e

L Nast - -liegt eine Schelmerei, und die will er in meinem Nahmen rächen,

(weil ich eben nicht zum rächen gemacht bin) und laß Dirs bange lO

sein, wirst D u wohl die Rache Dir denken können? er wird Dir

schreiben — u. liebe Deine B - r .

Was das Br.—. bedeuten soll, weis ich — wann Dirs nicht recht ist —

nicht. Aber jezt ernsthaft! D u fragst, wie mir Dein Amadis gefalle — 15

ich sage — schlecht. Und warum?? — Nicht weil Wieland ohnehin

nicht mein Stekkenpferd ist, auch nicht — weil ich gemer ein Mähr-

chen gelesen hätte, das nicht von der Satyre unterbrochen wird —

sondern — ich sags mit aller Bescheidenheit — weil Dinge drinn vor-

kommen, die für reizbare Leute, wie ich bin, leider111 — nicht zum 20

lesen sind. O Bruder I meinst D u , ich hab' ihn über halb gelesen? da

dank' ich Gott, daß meine Fantasie noch unbeflekt ist, daß mir vor

dem Dichter, der gewiß eine Unschuld schaamroth machen würde,

ekelt. Gesteh mirs nur, Lieber, ist Dirs nicht besser ums Herz wann

D u den großen Messiassänger hörst? oder unsers Schubarts wüten- 25

den Ahasveros liesst? Oder den feurigen Schiller? — Überzeuge Dich

hier an seinem Fiesko und Kabale u. Liebe — In der lezten ist gar ein

gutes Mädchen — denk an mich, wan Louise so da steht, mit ihrem

Blik in die unpartheyische Ewigkeit — ob ich nicht recht habe.

Ich denke allemal, wann ich so an jene Stelle mich erinnre, wann 30

ich einmal ein Mädchen verlöre, ich wieder so ein Kloz wäre, wie

10

Page 22: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8 Nr. 12. 13

mirs gemeiniglich in meinen Unglüksstunden geht, so wollt ' ich nur

die Stelle lesen, und da würde ich Luft genug finden. Ichsehe schon. D u

lachst mich aus, Du denkst; eh man vom verlieren schwazt, muß man

35 vor haben?? —? Glaube was D u wilt. Ich lasse mir alles gefallen.

Denke nur — mein Freund Hiemer in der Akademie hat mir schon

auf drei Briefe, in denen ich ihn allemal u m Brutus und Caesar ge-

betten habe, nicht geantwortet. Nicht wahr, das ist traurig?

Der Bursche hat auch einen Plunder Gedichte von mir, und wann

•0 er mir diese nimmer zurükschikt, so soll er mir nimmer unter die

Augen kommen.

Deiner Jfr. Baas Heinrike Nast mein ergebenstes Compliment. Hat

sie Dir auch schon von Maulbronn erzählt? Sie wird vermuthlich

auch Jfr. Brechtin gekannt haben? Kenst D u sie auch??

•5 Hölderlin.

Ich weis nicht — vielleicht finden sich auch im Schluß meines Briefs

Schreibfehler, wie in Deinem, aber ich mußte eilen.

7. AN IMMANUEL NAST

Maulbronn, d. 26. Mart.

Bester!

Nur dißmal eine Bitte! eine dringende wohlzugewährende Bitte!

Und die ist? Nun! höre!

5 Märklin besucht mich von Leonberg aus, u. da stell Dir das Ver-

gnügen vor, wann — D u mitkömst! O Bruder! ich lasse nicht nach —

D u must, wann D u mein Freund sein wilt — wenns nur auf etlich

Tage ist — ich hab' alles aufgeholten, Bilfinger, Märklin und ich bit-

ten vereint! Sind Dir diese drei Freunde etwas werth? Und kanst D u

10 Ihnen so eine Bitte abschlagen? Neinl ich weiß es gewis — D u

kommst — u. sollten auch kleine Schwierigkeiten zu überwinden

sein. Sieh, Bruder, wann D u mirs auch nicht zu Gefallen thun woll-

test, so thu' es Deinen andern Freunden, die in ihrem u. meinem

Nahmen Dich auch u m dasselbe bitten. Aber wehe thät' es mir

11

Page 23: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.7.S B R I E F E 1 7 8 + - 1 7 8 8

wahrhaftig, wann D u kennst, u. Hindernisse vorbrächtest — und i5

Entschuldigungen — hererzähltest. Wann D u wüßtest, wie mir

meine Bitte so aus dem innersten Herzen herausgeht — wie rasend

mich nur der Verspruch freuen würde — D u wol lest kommen, o so

versprichs nur, Lieber — ich weiß gewiß, D u machst mir gern einige

heitere Stunden — Aber D u bist ein Mann, u. der läßts nicht nur 20

beim Versprechen bewenden. D u weist, wie manche Wünsche einem

fehlschlagen, u. wie es einen schmerzt! Und sollte auch dieser fel-

schlagen?

Ich bitte Dich — und wann die Bitte gewährt ist — so thu ich Dir

zum Dank, was weit umher in den Schranken meines Wirkungskrei- 25

ses sich thun läßt — u. hiemit

Dein

Hölderlin.

8. AN I M M A N U E L NAST

Morgens 5. Uhr

Besterl

Endlich einmal wieder! Und was ists? Soll ich zanken? Doch,

's ist schon einmal geschehen, und 's Zanken macht die Sache.nur

schlimmer. Es wär auch vermutlich nichts achtes herausgekommen, 5

wann ich mit D i r mich hätte herumzanken wollen. Bruder Märk-

lin hat mir erzehlt, ihr seiet brav lustig zusammen gewesen, und das

hat mich herzlich gefreut. Ich und Bilfinger haben einander auch

besucht, und haben herrlich bei einander gelebt. Ach! daß Nast da

weg sein mußteI 'S war Dir eben nicht Ernst. Schelm! Gestehs nur ! 10

Und hier — gefällt mirs auch wieder. Ich bin jezt so allein, immer, so

in der Stille — und das behagt mir — nur Schade — so weit, weit weg

vom Bilfinger — Ich rede da fast mit niemand, aber desto öfter denk'

ich an meine Lieben in der Wel t umher — und da ist mirs so ganz

wohl dabei. 15

Möchtest D u mir nicht Kabale imd Liebe schiken — 's hat mich

hier jemand darum gebetten.

12

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B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8 Nr. 12. 13

Und mein Stammbuch — wirst D u wohl vergessen haben. Brutus

und Cäsar hast Du in vierzehn Tagen, so wahr ich Dein Freund bin.

20 Bilfinger wird Dir heute Wielands Merkur schiken.

Dein

Hölderlin.

9. AN DIE M U T T E R

Liebste Mamma I

Sie können mirs jezt gewiß glauben — daß mir, außer in einem

ganz außerordentlichen Fall, wo mein Glük augenscheinlich besser

gemacht wäre — daß mir nie mehr der Gedanke kommen wird aus

5 meinem Stand zu tretten — Ich sehe jezt! man kan als Dorfpfarrer der

Welt so nüzlich, man kann noch glüklicher sein, als wenn man, weis

nicht was? wäre.

Neulich stieg hier ein Luftballon, da kam auch H E . Pf. von Tiefen-

bach herbei — und mit ihm einer von den Camerern, welcher wirklich

10 Jura studiert — der kam geradenwegs von Poppenweiler, und richtete

mir tausend tausend Grüße aus und daß eben den guten Mann herz-

lich verlange — mich auch einmal wieder zu sehen. Jezt m u ß ich zu

ihm, 's mag sein, wanns will. HE. Pf. von Tiefenbach war auch außer-

ordentlich freundschaftlich gegen mich, er wußte bisher nicht, daß

15 man anhalten müsse, weil die vorige gewiß alle Wochen ohne daß er

ein Wort mit HE.Prälat gesprochen hab, zu ihm hinüber gekommen

seien. Meine Rede hab' ich hingelegt — u m sie Ihnen zu schiken,

finde sie aber wirklich nirgends. Meine Haare sind in der schönsten

Ordnung. Ich hab jezt auch wieder Rollen. Und warum? Ihnen zu

20 liebl

Denn hier will ich weiters niemand gefallen. D e m 1. Carl tausend

Küsse! Was macht er dann als so aUein bei seiner 1. Mamma? Leben

Sie wohl — ich eile, wie Sie sehn.

Ihr

25 gehorsamster Sohn

Hölderlin.

13

Page 25: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr. 11. 12 B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8

10. A N D I E M U T T E R

L i e b s t e M a m m a !

I c h h a b e w i r k l i c h w i e d e r G e s c h ä f t e d ie M e n g e a u f d e m H a l s ; u n d

G e s c h ä f t e , w o d ie Ge i s t e skrä f t e z i e m l i c h stark a n g e g r i f f e n w e r d e n —

i c h w i l l also n u r so b e i G e l e g e n h e i t g e s t e h e n , d a ß B i l f ingers C a f f e e ,

u n d m e i n Z u k e r , v e r b r a u c h t s i n d , u n d d a ß i c h m i c h i n z w i s c h e n 5

m a n c h m a l n a c h e i n e m F r ü h s t ü k g e s e h n t h a b e — b e i d e m f r ü h e n

A u f s t e h e n — u n d d e m b e s t ä n d i g e n s tarken A n g r e i f f e n des K o p f s —

u n d n e u l i c h z w a n g i ch m i c h w i e d e r m i t e i n e m schrök l i ch l e e r e n

M a g e n z u r S u p p e , d i e I h r h u n g r i g s t e r T a g l ö h n e r u n g e r n essen

w ü r d e — u n d da w u r d e m i r so w e h , d a ß i ch b e i n a h e v o r A e r g e r d i e l o

Schüsse l a n d i e W a n d g e w o r f e n h ä t t e . E i n g u t e s , g u t e s W e r k w ä r s

also f ü r d e n F r i z , w e n n S i e i h m e t w a s C a f f e e s c h i k t e n .

S ie w e r d e n l a c h e n , ü b e r m e i n e w e i t s c h w e i f i g e B i t s chr i f t , a b e r 's

w a r n u r , d a ß Sie s ich e i n e n k l e i n e n B e g r i f v o n u n s e r m K l o s t e r k r e u z

m a c h e n k ö n n e n . D a n n das s ind d o c h o r d e n t l i c h e N a h r u n g s s o r g e n , 15

w e n n m a n so n a c h e i n e m S c h l u k C a f f e e , o d e r n u r e i n e m g u t e n Bissen

S u p p e h u n g e r t , u n d n i r g e n d s , n i r g e n d s n i c h t a u f t r e i b e n k a n . Be i m i r

gehts n o c h g u t ; a b e r d a so l l ten Sie a n d r e s e h n , d i e e i n i g e P ö s t c h e n

v o m W i n t e r h e r n o c h z u b e r i c h t i g e n h a t t e n , u n d jezt d e n h a l b e n H e l -

l e r n i m m e r i m B e u t e l h a b e n — es ist z u m L a c h e n , * w e n n d i e L e u t e 20

aus lauter U n m u t h n i c h t ins B e t t g e h e n , u n d d i e h a l b e N a c h t a u f

d e m D o r m e n t a u f u . a b s i n g e n .

A u f , a u f , ihr B r ü d e r u n d seid stark

D e r G l a u b i g e r ist d a

D i e S c h u l d e n n e h m e n t ä g l i c h z u 25

W i r h a b e n w e d e r R a s t n o c h R u h

D r u m f o r t n a c h A f r i k a — (das w a r das C a p )

u n d so gehts fast all N a c h t , d a l a c h e n sie a m E n d e e i n a n d e r selbst a u s ,

u n d d a n n ins B e t t . A b e r f r e i l i ch ist d i ß e i n e t r a u r i g e L u s t i g k e i t !

U n d n o c h ü b e r d i ß hat H E . Prä la t , d e r so g e p r i e s n e W e i n l a n d , 30

w i r k l i c h so u n b e g r e i f l i c h w u n d e r l i c h e L a t m e n , d a ß e r P r o f e s s o r e n ,

14

Page 26: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8 Nr.10.il

Studenten, und Famulus, als einen vor des andern Angesicht schon dergestalt abgewaschen hat, daß bald vollends Professoren und Stu-denten — und Studenten und Famulus zusammenheulen. So gehts

3 5 eben in der Welt! Ich lerne mich gottlob 1 immer besser in sie schiken 1 Ich kan Sie auf alles versichern, liebe Mamma, daß ich, der ich sonst der unzufriedenste war, jezt keiner mehr von den Unzufriednen bin! Der 1. Rike hab ich geschrieben — hab sie getröstet I

Ich muß Ihnen sagen, ich hab geweint ob ihrem Brief — und da +0 ich drauf Chor halten mußte vor Aerger fast nicht reden können I

Ich hätte mirs nie zugetraut, daß meine Liebe zu ihr so weit giengel Aber gewiß, s ist ein edles, herrliches Mädchen, die Rikel Gott wird ihr tausend Seegen geben für ihre Tränen. Sie dürfen stolz sein auf so eine Tochter I

« Ihr gehorsamster S.

Hölderlin.

• verzeihen Sie, daß ich so schlechtes Papier bringe 1

11. A N I M M A N U E L N A S T

Tausend Dank — lieber Bruder — für Dein herrliches Gemähide — Deinen lieben Briefl

Du hätst nur sehen sollen, wie mirs war — ich bekam ihn ob dem Essen — und da hatte ich das Unglük — daß ich mich, insonderheit am

5 Ende, wo Du mich so schön mit einer heitern Zukunft getröstet hast, des Weinens nimmer enthalten konnte —mir fielen ein paar Tränentrop-fen in die Suppe — und kaum konnte ich sie vor Bilfingem, der neben mir saß, verbergen. Aber er muß doch was gemerkt haben, er blinzte mich so mit seinen Schelmenaugen an, und da ists allemal richtig! 11

10 Wann Du nur wüßtest, wie oft ich an Dich dachte I Wie oft ich Dich zu mir wünschte t

0 Bruder, Bruder I ich bin so ein schwacher Kerl — aber ich gestehs auch sonst niemand als Dir — und nicht wahr. Du hast lieber Mit-

15

Page 27: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr. 11. 12 B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8

leiden mit mir, als daß D u lachst über das, daß ich geweint hab ob

Deinem Brief? Aber du lieber Gottl ich muß Dirs nur gestehn, es 15

liegt mir mehr auf dem Herzen, als was ich Dir neulich geschrieben

habe! D u kanst mir glauben, Gott hat mir mein redlichs Theil Lei-

den beschert I ich mag keines sagen — D u möchtest meinen Brief in

einer lustigen Stunde bekommen, und da würd ' ich mir ein Gewis-

sen daraus machen. Dir sie zu verderben mit meinen Klagen 1 Ich 20

weiß , wie sehnlich ich oft nach einem heitern Augenblik schnappe —

und wie ich ihn dann so fest zu halten suche, wenn ich ihn habe, und

so könte Dirs leicht auch gehen —

Hier halt' ichs nimmer aus! nein warlich! Ich muß fort — ich habe

mir vest vorgenommen, entweder meiner Mutter morgen zu schrei- 25

ben — daß sie mich gar aus dem Kloster n immt, oder den Prälaten

u m eine Curzeit von etlich Monathen zu bitten, weil ich öfters Blut

auswerfe. —. Du siehst, Freund, 's geht allmählich mit mir zur Ruhe.

Sei getrost!! ! Bekümre Dich nur nicht u m mich! 11

Dein Hölderlin. 30

Für Deinen lieben Apoll nochmal tausend Dank — er hat mir schon

manchen guten Augenblik gemacht — ich sehe ihn gewiß alle Tage an I

12. AN I M M A N U E L NAST

Eine Neuigkeit! eine schöne, schöne herzerquikende Neuigkeit!

Ich habe den Ossian, den Barden ohne seines gleichen, Homers gro-

ßen Nebenbuhler hab' ich wirklich unter den Händen;

Den must D u lesen, Freund — da werden Dir Deine Thäler lauter

Konathäler — Dein Engelsberg ein Gebirge Morvens — Dich wird ein 5

so süßes, wehmütiges Gefühl anwandeln — D u must ihn lesen — ich

kan nicht deklamiren. Er muß mit nach Nürtingen in die Vakanz,

da leß ' ich ihn so lang, biß ich ihn halb auswendig kan.

Ich weiß noch nicht, ob ich Dich besuchen kan, in der Hinaufreise

wenigstens nicht. Ich weiß gar nichts zum schreiben — der gute, 10

blinde Ossian da schwadronirt mir immer im Kopf. Mein Freund

16

Page 28: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8 Nr. 12. 13

Akademikus hat mir geschrieben — hat sich natürhch entschuldigt —

hat u m Verzeihung gebetten — aber — daß er doch lieber mit seinen

Entschuldigungen und Deprecationen zu Haus geblieben wäre, und

15 mir das Musikstük geschikt hätte I

Wann D u Bilfinger und Efferenn schreibst, so mach Ihnen recht

Angst — im Spaß — man sage, es machen 2 Studenten fast alle Tage

in der Verwaltung Besuch — man halts für verdächtig —. Die Bur-

sche haben sich drüben eingenistet beim HE.Vikarius, und da ists

'20 unserm armen Schluker Bilfinger ganz wohl dabei. Und Efferenn

— wann der nur den Pantalon hört — so will er weiter nichts mehr —

ich glaube, wenn Lucifer selbst ihm drüben den Pantalon schlüge,

er würd ' ihm nachlaufen — aber desto besser ists, da es (so sagen mir

die Leute — Bilfinger —) ein Engel ist. Ich mache hier wenig Be-

25 kantschaft — ich bin immer noch lieber allein — und da fantasire ich

mir eins, im Hirn herum, und da gehts so andächtig her, daß ich zu-

weilen beinahe schon geweint hätte, wan ich mir gefantasirt habe,

ich sei u m mein Mädchen gekommen, seie verachtet von jedermann

verstoßen worden. Lebe wohl — Bruder — die Gloke schlägt, ich muß

30 ins Collegium.

Dein Hölderlin, (eben so zu-

frieden wie Du. )

13. AN IMMANUEL NAST

Lieber Bruder 1

So bin ich wieder hier! im Stillen — nach so vielen Zerstreuungen

wieder im Kloster — ich habe Deinen Brief nimmer in Nürtingen

bekommen — aber tausend — tausend Dank dafür I o ! ich hab Dir

5 auch viel, viel zu sagen, Bruder 1 aber mein Kopf ist so verwirrt wie-

der, so verschiedene Empfindungen sind mir wieder in der Brust. W o

ich eben war — in meiner Vakanz, da waren unerfüllte Wünsche —

unvollkommene Seeligkeiten — ich weiß nicht, ists Einbildung oder

Wirklichkeit — was ich sehe, gefällt mir nur halb — überall ists mir

17

Page 29: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.il B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8

SO leer — und oft mach' ich mir Vorwürffe, daß ich nicht ganz mit lo

dem warmen Herzen mehr an meiner Brüder Schiksaal Theil neh-

me, wie sonst! Ach Bruder, sag mir, lieber Bruder, bin dann ich nur

allein so? der ewige, ewige Grillenfänger I

Aber nein I nein I nur der Abend da ist wieder so, und da denk ich

nimmer an die vergnügte Stunden, die mir Gott schon auf dieser 15

lieben Erde gegeben hat; ich bin undankbar gegen ihn — recht un-

dankbar! hab so eine liebe Mutter, so liebe gute Geschwisterige — o

Du solltest gesehen haben, wie sie mir alle nachweinten, als ich

gieng! Bruder! Bruder! ich fühls noch, wie ich mit so schwerem

Herzen (um Mitternacht beinah) abreißte! 20

Und hab ich ja Dich, Dich — und klage noch? — Ja, wann ich Dich

nimmer habe , dann will ich klagen . Aber an das wollen wir noch

nicht denken! Nicht wahr, Ueber Bruder? Ich werde wohl Dir das

Scheiden aus dem Vaterlande am wenigsten sauer machen? — ? Aber

D u kommst noch hieher — da muß ich Dir noch Dinge sagen, — 25

nein! glaubs nicht, 's ist nichts so wichtiges, lauter Kleinigkeiten —

vielleicht vergeß ich sie biß dorthin.

Jezt will ich Dir auch Deinen 1. Brief beantworten. Eines nur

darin I Ich gesteh Dir, ich glaubs nur halb, wann D u ' s nicht geschrie-

ben hättest, glaubt ichs gar nicht — daß Sie sich noch an mich erin- 30

nert. Deine verehrungswürdige Freundin — oder hast Du ihr gesagt,

wie ich so unglüklich bin, oder mich unglüklich glaube — und sie hat

Mitleiden mit mir? und sie will mich trösten, mit diesem gütigen

Zeichen der Erinnerung, durch ein Compliment? Ja Bruder, ja, diß

Compliment hat mich getröstet — Daß sie sich noch meiner erinnert 35

— Gott im Himmel 1 so ein Mädchen! — Aber stille! Jezt muß ich Dir

auch noch was zum lachen schreiben — denk nur, lach mich nur

recht aus, heute gieng ich so vor mich hin — plözlich kommt mir

meine Lieblingsnarrheit, das Schiksaal meiner Zukunft vors Auge —

und höre nur, aber lach mich toll aus, da fiel mir ein, ich wolle nach +0

vollendeten Universitätsjahren Einsiedler werden — u. der Gedanke

gefiel mir so wohl, eine ganze Stunde, glaub' ich, war ich in meiner

Fantasie Einsiedler. Du siehst, Bruder! ich schäme mich nicht. Dir m.

18

Page 30: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8 Nr. 12. 13

Schwachheiten zu sagen, u. das entschuldigt mich noch ein wenig —

•5 vor Dir — aber sonst daß ja der Brief nicht in fremde Hände — in

menschenfeindliche Hände kommt — sonst heißts — der ist ein Narr 11!

Deiner guten, verehrungswürdigen Freundin mein ergebenstes

Compliment III Ewig

50 Dein Hölderlin.

14. AN IMMANUEL NAST

Lieber, guter Bruder!

Endlich auch wieder einmal I aber recht viel — recht viel sag' ich

Dir, und doch nur halb — weil sichs ein anderer lieber Mund vorbe-

halten hat, Dirs zu sagen — wenn D u hieher kommst — und D u

5 sollst nur recht bald kommen soll ich Dir sagen. — 0 Freund! D u

wirst aus dem lieben Mund erfahren die Quelle all meiner Freuden,

all meiner Leiden, all meiner Klagen — D u wirst Dir sie dann er-

klären können die rätselhafte Launen, in denen ich Dir oft geschrie-

ben habe. Wann D u wirklich in mein Herz sehen könntest, Bruder,

10 wie's da so ruhig, so hell, so zufrieden aussieht. D u würdest Dich

freuen — und Deinem herrlichen Mädchen sagen, wie ich jezt nim-

mer murre, wider den, der mir mein Schiksaal giebt, der so gut, so

weise vergnügte und traurige Tage austeilt. — 0 ich war so ein Thor

— glaubte oft , wenn Menschen mich haßten, wenn Spöttereien mich

15 verfolgten — wenn alles, alles sich zusammentraf, u m mir eine einzige

— so lang' ersehnte seelige Stunde zu verderben — dann glaubt' ich

Bruder, Gott liebe mich nicht! glaubte — er zürne der L i e b e ! I! Jezt

weist Dus — Bruder! aber weiter schreib' ich nimmer — Sie wird

Dirs sagen.

20 Nur umarmen möcht ' ich Dich jezt — an Deinem Halse Freuden-

tränen weinen — in Deinem Stübchen — ich kans noch sehen, das

Stübchen — 's war mir alles so heilig — ich dachte, da habst Du schon

so oft an mich gedacht — u. 's war alles so still u m uns — u. ich kam

so gerade von Maulbron her — vom Abschied — vom Abschied — u.

19

Page 31: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr. 14. IS B R I E F E 178 + - 1 7 8 8

hatte eben Dein Mädchen gesehn, wie sie so sanft—ich m u ß hier auf- 25

hören, ich komme zu tief ins beschreiben — und 's ist so ein elendes

Zeug ums Schreiben — man drükt sich nicht halb so warm aus, als

man gerne wollte — sieht gerade aus, wie in den Tagen meiner

Klage — wo ich unter Leuten gerne lachen wolte — und nur ein

bitteres krummes Maul machte — Sicher! 's ist gerade so — Bruder I 30

Aber verzeih — lieber Freund — verzeih — ein ganzes Jahr sagt' ichs

Dir nicht — das liebe Geheimniß, das D u noch nicht weist — D u

kanst mich für falsch halten — aber, Gott weiß — wie michs oft

drükte — wie ich mit aller Gewalt das Geständniß noch ein mir hielt —

aber siehl ich mußt ' ihr so heilig so oft versprechen keiner Seele 35

nichts zu entdeken — aber neulich fragte sie mich in so einer Wonne-

stunde — ob ich meinem Nast noch nie nichts gesagt habe — Bruder I

Bruder! wie mirs da so wohl ward — »plözlich schreib ichs i h m « aber

sie will Dirs selbst sagen, die gute Seele —

Hier Gedichte vom H— er läßt Dich grüßen — warum D u ihn 40

dann nicht besuchst?

Hier mein Bild!

Bilfinger ist wirklich so gut — so brav — ich kcinn Dir sagen Bru-

der — ist wie D u — ist braver als ich I

Ich weiß nicht, ob Hiemer in Stutgard, oder D u meinen Pfeffel 45

hast — schreib mirs I

Schreib ja recht baldl komme ja recht bald! wir wollen paradie-

sisch zusammenleben! Jezt gute Nacht! Lieber! morgen früh

schreib ich Dir vielleicht noch einmal!

Dein so

Hölderlin.

15. AN I M M A N U E L NAST

Bester!

Daß ich jezt nichts vorbringen kan — tausendmal würd ' ich eben —

Bester — ruffen — und Freudetränen weinen über den besten aller

Freunde — wär ich bei Dir. Ja, Bruder — und wann ich die halbe Welt

20

Page 32: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 178 4 - 1 7 8 8 Nr.iS

5 durchstreifte — und mir einen Freund suchen wolte — der mir mer

als D u sein könnte — ich fand ihn nicht — bei unsrer Freundschaft 1

ich fand ihn nicht. 'S muß Ahndung gewesen sein — Lieber — daß

mich Dein Brief dißmal so über alles freuen werde Ich hatte

viel unentsiegelte Briefe vor mir liegen von meiner Mutter — mei-

10 nen lieben Geschwistern — von Freunden — aber frage nur den Bil-

finger — als wolt' ich ihn verschlingen — fuhr ich zuerst auf Deinen

los — riß mit dem Siegel beinah den ganzen Brief entzwei — und fand

noch tausendmal mer — als mein höchstes Erwarten erwartet hatte.

Lieber, lieber Freund — wie ichs da so überzeugend fülte daß Lieb'

15 und Freundschaft der Menschen gröstes Erdenglük sindl Ich wollte

mich plözlich hinsezen und wieder schreiben — aber keinen Buch-

staben könnt' ich vorbringen

Aber ich habe Dir so viel, viel zu schreiben — Lieberl

Nur zuerst vom Hiemerl höre was er mir neulich schrieb — » D u

20 »wilst Gedichte von mir? Gut! da hast Du eines — 'S ist ein wilder

»ausgearteter Junge — macht sich Geseze nach seinem Kopf — rennt

»o f t — daß mir immer nur bange war, er möchte sich Arm und Bein

»entzwei springen — wirft so Römermäßig mit Geistesgröße — und

»Vaterlandsliebe und Freiheitssinn um sich — daß ich ihn leider I! I

25 »in gar keine Modegeselschaft lassen darf — hat mir schon manche

»schlaflose Nacht gemacht — der Junge — daß er sich so gar nicht

»schmiegen will « So macht er etlich gute Seiten forti Höre

nun — wie er ernsthafter wurde. » D u bist mein Freund, sprach er,

»kanst ehrlich sein — das weiß ichl nimst Dir auch wohl etliche

30 »Stunden Zeit für Deinen H — ließ meine Arbeit also rezensenten-

»mäßig durch — tadle, wo zu tadlen ist — schreibe, was Dir so halb

»gefallen hat — und das ja recht baldll! und Deinem lieben Nast

»schiks auch — sonst keiner Seele — Du must lügen — oder er ist

»mehr, als ich und Du, schiks ihm ja — bitt ihn ja — eben das zu thun,

35 »worum ich Dich bat — schreibe jeder seine Gedanken — Du must

»den Nast aber nicht in meinem Neimen bitten, er soll nicht wissen,

»daß er seine Urteile für mich schreibt — hörst Dus? daß er desto

»strenger — desto unparteiischer ist. — Ich hoffe seine Urteile sollen

21

Page 33: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.lS B R I E F E 1 7 8 + - 1 7 8 8

»mir recht viel nüzen —« Ich hielt seinen Vorschlag für unnötig —

ich weiß, lieber Bruder, Du schreibst, wie Du denkst — schmeichle 40

ja nicht — ich will ihm auch ins Gesicht tadlen — sonst würde er mir

plözlich seine Freundschaft aufkünden. Sei ja recht streng! wir wol-

len uns so ehrenvest auf unsern Rezensentendreifuß sezen — er soll

Hiebe bekommen, wo ers verdient — so sind wir ihm am liebsten.

Das eigentliche Kostüme des Gedichts — den Plan — die eigene Geseze, +5

die er sich gemacht hat,schik ich Dir das nächstemal.

Aber in Ansehung seines Helden höre, was er schreibt —

» D u wirst mich tadlen — sollst mich tadlen — und must — daß ich

»gerade den hizigen, rachsüchtigen, abenteurlichen Trenk und wie

»die Titelgen heißen, die man ihm gibt, mit Recht gibt — daß ich 50

»gerade diesen besinge — Die Ursache — weil ich große Helden — das

»Trenk gar nicht ist — nicht zu einem Probestük nehmen wollte —

»kurz, ich bitte Dich, daß Du mehr auf das Gedicht selbst, als auf

»den Gegenstand desselben siehest.

Ich höre auf davon — schreibe Dir das nächstemal noch mehr dar- 55

über — Schike mir nur bald Deine Urteile — und das über jede Seite —

dann liebt er Dich über alles — Du wirst es sehen — Aber jezt—Lieber

— was meinst Du wol? Soll ich aufhören? — NeinI neini Ich kan

nicht Du musts wissen — lange genug trug ich vor diesem Winkel

meines Herzens eine Larve — Du soltest zürnen, Bruder — aber die 60

Ursachen weist Du ja, und verzeist—.

Sie ists — Du hasts erraten — soltests gleich beim ersten Wort von

Liebe erraten haben — dann — konnte sonst eine Seele hier sein, die

ich liebte? und wären noch tausend hier — ich schwörs Dir, Bruder —

so treu — so zärtlich — so ganz für mich und sonst für alles nichts — 65

D u fändest keine — außer — Du weistsi Du würdest zürnen, u. ich

imgerecht sein — wann dieses außer nicht dastände. Aber wo soll ich

anfangen? Soll ich Dir all' unsre freudige u. leidensvolle Tage her-

erzälen? Ich wils thun—werde aber sobald nimmer aufhören können.

Ich kam hieher — sah' sie — sie mich — Beide fragten wir jedes 70

nach dem Carakter des andern — wie's oft geht — blos aus Zufall tats

vieleicht Louise — beide fragten Deinen guten Vetter, des Famulus

22

Page 34: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8 Nr. 12. 13

Sohn — der damals hier war — Den Gang unsrer Liebe will ich Dir

nicht beschreiben — Dein lieber guter Vetter bracht uns schon im

75 ersten Monath meines Hierseins zusammen — Wies da in meinem

Herzen tobte — wie ich beinah kein Wort reden konnte — wie ich zit-

ternd kaum das Wort — Louise hervorstammelte — das weist Du —

Bruder — das hast Du selbst gefühlt. Dein Vetter kam bald fort —

und — schrökliche Tage kamen. Ich hatte das liebe Mädchen an

80 einem Orte gesprochen — wo ich, ohne vorher gehende Abrede sie

nie sprechen konnte — keiner Seele konnten wir uns vertrauen — kein

Ort war sonst möglich — wir blieben also auf die etlich Augenblike —

auf die etlich herausgestammelte Worte — beinah über einen Monath

geschieden. 0 Bruder! Bruder I das waren schrökliche Tage — namen-

85 lose Leiden — noch nie gefühlte Raserei zerriß mir das Herz. Dann —

es hatte sich Eifersucht ins Spiel gemischt — u. der Gegenstand dieser

war — Bilfinger — er war, unwissend von allem — auch ein Anbeter

von Louisen. Ich erfurs — schrieb ihre Entfernung von mir einer ge-

flissentlichen Vermeidung zu — fand endlich Gelegenheit — ihr

90 fürchterlichen Unsinn, wie ich mich noch erinnre — zu schreiben —

raste stündlich mit Bilfingern — u. weder B. wußte, woher die unbe-

greifliche Feindschaft komme, noch die gute L. was der Unsinn zu

bedeuten habe. Endlich — in der Stunde des äußersten Grimms sagt'

ich alles vor B. heraus — er entsagt' ihr freiwillig — dann er hatte

95 noch kein Wort mit ihr geredt — und so entstand unsre Freundschaft.

L . sprach ich bald auch an dem Pläzgen unsrer ersten Zusammen-

kunft — sie fragte mich voller Angst — was ich dann mit dem Brief

wolle? Ich ward verwirrt — sie noch verwirrter — und doch wars ein

seeliges Stündchen — doch schieden wir herzlich vergnügt. U m diese

100 Zeit wars, daß Du hieher kamst — daß ich Dein Freund wurde, von

Deiner Seite sprang ich einmal zu Ihr. Immer noch plagten mich

grimmige Launen — u. manche Träne floß — über der Ungewißheit

— ob sie mich auch wirklich liebe. Nur selten kam ich zu ihr — immer

verstolen — und das machte dem lieben Mädchen oft bange — Sie war

ICS ser zurükhaltend vor mir — weil sie mich nicht kandte — und ist das

nicht schon ein bewundrungswürdiger Zug in ihrer schönen Seele?

23

Page 35: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.lS B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8

Der Sommer kam — und mit ihm Leiden über meine Louise

und mich—Gott im Himmel I ich mag mich nimmer in die Tage ver-

sezen Bruder I Bruder I Tage, wo Zweifel gegen den Lenker mei-

nes Schiksaals in meiner Seele aufstiegen — die ich Dir nicht nennen iio

mag. Er hat sie mir vergeben, der Allbarmherzige — ich habe mit

mancher Träne, manchem nächthchen Gebet bereuet. —. Man be-

merkte den Kummer meiner Seele bald — und im ganzen Kloster

wurd' ich als gefärlich melanchohsch ausgesagt. Louise hört' es, und

ihr Kummer ghch dem meinigen. Der Schlaf floh mich bei Nacht — ii5

und bei Tag alle Tätigkeit ich erstikte meine Empfindungen

meist — wann ich an Dich schrieb — dann ich dachte — Du werdest

vieleicht über mich lachen — so weit gieng mein Mißtrauen gegen

jederman. U m die Ursachen unsrer Leiden frage mich, wann Du

wilt — Du solst sie all' erfaren — sie werden Dir gering vorkommen — 120

wann ichs überdenke — kan ichs auch nicht begreifen. Jezt stille von

den traurigen Tagen. Ich hatte für einen Jammermonath eine see-

lige Stunde, wo ich mit meiner Louise weinte — und für diese dankte

ich Gottl dankt' ihm endUch für alles — für all' die Leiden — all' die

Verfolgungen — all' die Tränen. Die Zweifel — das Murren gegen 125

den Ewigen must Du nur in die erste Wochen meiner Trauertage

rechnen, wo ich noch nicht gewont war zu tragen. Weist Du noch

Lieber! wie mirs so tobte in der Brust — als Du vorigen Sommer

schiedest — ich sah Dirs an. Du wundertest Dich —ich schied von Dir,

wie wanns auf ewig wäre — lieber guter Bruder 1 ich sah, wie Du 130

wieder Deinem Leonberg engegeneiltest — hörte, wie Du so entzükt

von freudigen Tagen, von wonnevollen Stunden redtest — und — ich

— wußte damals in der ganzen weiten Welt keinen Ort, wo ich Zu-

friedenheit hätte finden können, und ich war jezt -wieder ohne Dich,

bei dem ich meine Leiden so vergessen hatte — und ich — sähe, wie 135

mein Schiksaal immer schwärzer, meine Seele immer schwächer,

mein Körper immer kränklicher wurde — (Du wirst Dich noch erin-

nern, daß ich etlichemal Blut auswarf—) und diß war die Ursache

meines Dir vermutlich so unerklärlichen Scheidens. Weist Du noch,

Bruder, wie ich so ausgelassen lustig war, als wir miteinander nach i+o

24

Page 36: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8 Nr. 12. 13

Oelbronn giengen? Damals war ich bei ihr gewesen — Ich sähe sie

hinter uns in den Garten gehen — sprang von der Straße über die

Mauer — u. wie mirs bei ihr gewesen sei, kanst D u schließen, da ich

so — bei euch war — und deswegen ließ ich euch so lange noch auf

145 mich warten. Endlich wurd ' ich ganz zufrieden — außer daß das An-

denken an die Leiden mein Auge zuweilen noch trübte. . Und

jezt, Bester, jezt bin ich der glüklichste auf Erden —. Geh es wie es

will — ich liebe meine Louise ewig — ewig — und ewig — ewig —

liebt mich meine Louise. 0 D u kennst sie noch nicht ganz Bruder —

150 ich sah sie schon in Gesellschaften — sah sie schon, ohne von ihr be-

merkt zu werden, unter ihren Freundinnen — ol wie ganz anders ist

sie bei mir 1 Wann sie mit mir Gott u m glükliche Zukunft bittet —

Bruder I Bruder — wann sie so träumend meine Hand angreift —

»wann ich Dich einmal so lange nimmer sehel« Ich zittre vor

155 Freude, wann ich so die seelige Augenbüke denke. Sie gestand mir

einmal, die liebe Seele, sie sei einst so leichtsinnig gewesen — und

daß sie jezt so anders — so f romm, so treu, so zärtlich ist —, ich möchte

Nacht und Tag fortschreiben — wann ich mein volles Herz — Dir

hinschreiben wollte. — 'S ist wirklich tief in der MitternachtI D u

160 wirst also wohl glauben, daß der Schlaf sich einstellt.

Deiner verehrungswürdigen Freundin sage D u alles — was ich

sagen sollte. Der Dank für ihr gütiges Angedenken an mich wird

wärmer und schöner von Deinem Munde sein, als aus meiner müden

Feder. Schlaf wohl.

165 Dein

Hölderlin.

16. AN DIE G E S C H W I S T E R

Liebste Geschwisterige!

Ihr werdet wohl eurer lieben Frau Grosmamma und Mamma

recht viel guts gewünscht haben — und aus redlichem dankbarem

Herzen für so viele zärtliche Sorgen und Bemühungen, die sie im

5 vorigen Jahr mit euch gehabt haben — nicht wahr, liebe Geschwi-

25

Page 37: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.16.17 B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8

sterige, da habt ihr auch an mich gedacht, und mir auch etwas ge-

wünscht, dann ich weiß , daß ihr mich lieb habt, und das habt ihr

mir ja auch bewiesen, da ihr mir neulich so viel geschikt habt. Und

jezt will ich euch auch wünschen aus warmem, brüderlichem Her-

zen — Gehorsam und Liebe gegen den großen Gott — Gehorsam und lo

Liebe gegen eure liebe Frau Grosmamma und Mamma, Thätigkeit

in allem, und, wenn ich bitten darf — auch Liebe gegen euren Bru-

der, so wie ihr ihn immer geliebt habt, und er euch liebt und immer

lieben wird. Liebe Heinrike, lieber Carl — wenn ich jezt auf etlich

Augenblike bei euch wäre, und euch küssen könnte — seid nur immer 15

im Frieden beieinander, und wann ihr so vergnügt zusammen seid,

so denkt auch an

Euren

euch liebenden Bruder

Hölderlin. 20

17. AN DIE M U T T E R

Liebste Mamma I

Schon wieder eine Bitte! Sie werden wissen, daß jezt bald unseres

Herzogs Geburtstag ist, der hier ser festl. gefeiert wird. Prälat und

Herren und Damen, und Jungfern und Studenten und Schreiber

sind unter Musik und Redehalten und Gedichtedeklamiren den gan- 5

zen Nachmittag bei einander und am Abend stellen sie eine Illumina-

zion an. Da nun alles außer uns zusammen auch für Essen und Trin-

ken sorgt — so sizen wir auch zuscimmen — Bilfinger und Efferenn

und Hesler und Märklin und ich — dürft ' ich da u m ein paar Krüge

Weins bitten, liebe Mamma. Für das überschikte dank' ich gehör- 10

samst. In Ansehung Ihrer Vorschläge habe ich Ihre Klugheit recht be-

wundert—wann ich 60 Jahr' alt werde, werd ' ich nichtso klug. Der l .

Rike tausend Dank für ihren Brief. Dißmal hab' ich der Geschäffte so

viel, daß mir nicht ein Augenblik mehr zum Schreiben übrig bleibt.

Ihr 15 Hölderlin.

Das nächstemal werden Sie Zerrissenes genug bekommen.

26

Page 38: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 78 + - 1 78 8 Nr.iS

18. AN DIE M U T T E R

Liebste Mamma!

Verzeihen Sie, daß ich lezten Bottentag nicht geschrieben habe.

Sie werden wohl selbst daran gedacht haben, daß gerade am Tag, wo

ich sonst Briefe schrieb, unsers Herzogs Geburtsfeier war. Ich hatte

5 die Ehre bei unserm Festin als Dichter aufzutretten.

Weil ich Ihnen aber dißmal etwas schike, das Sie vieleicht mehr

freut, als mein Gedicht, so will ichs bis nächsten Bottentag sparen.

Sie waren neulich so zärtlich besorgt — in Ansehung meiner Gesund-

heit. Da kan ich Sie versichern, daß mir den ganzen Winter kein

10 Äderchen weh getan hat. Sie waren aber aus Gelegenheit des Weins

noch zärtlicher, noch mütterlicher besorgt — da will ich Ihnen unter

der Bedingung, daß Sie mich ja nicht für eigenliebig halten, einen

augenscheinlichen Beweis beilegen, daß Sie von meinem Karakter

gewis nichts solches zu befürchten haben. Der Brief ist von HE.Pfar-

15 rer Rotaker in Hausen ob Verena. Ich muß Ihnen aber die ganze

Sache erzälen. Rotciker ist arm. Einige Frauenzimmer von hier, die

es vmßten, und ihn gerne unbekanterweise unterstüzen wollten, tru-

gen's mir auf. Die edle Handlung rührte mich. Beschämt nahm ich

mir vor, ein gleiches zu thun. Aber mein Beutel versagte mir da-

20 malen meine Freude. Aber — wann ich ihn von liederlicher Gesell-

schaft abhalte, dachte ich, wann ich ihn in seinen Arbeiten unter-

stüze, ihm so viel als mir möglich, im Wissenschaftlichen beibringe,

(da l ehren ja ohnehin einst meine Hauptbeschäftigung werden soll)

— gefällts dem lieben Gott nicht eben so wohl, dachte ich, als Unter-

25 stüzung mit Geld oder Kleidungsstüken — Das übrige werden Sie aus

dem Brief sehen. Das aber muß ich noch hinzusezen, daß Rotaker

damals in der schlechtsten Geselschaft war — daß der Prälat seine

Streiche dem Vater schrieb, daß er auf seines Vaters drohende Er-

manungen ihm alles mit reuigem Herzen bekannte, mit den Worten

30 daß er ganz anders geworden seie, und diß mir zu danken habe. Aber

daß es nur sonst niemand erfärt, liebe Mamma! Man würde mich

27

Page 39: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.18.19 B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8

verlachen — daß ich meine Pflichten Erfüllung zur Befriedigung

meiner Eigenliebe mißbraucht hätte — Ihnen schrieb ichs bloß, weil

Sie eine so zärtlich besorgte Mutter sind.

D e m lieben guten Carl laß ich tausendmal danken für sein über- 35

schiktes. — Ich würde ihm und der 1. Heinrike schreiben, wann ich

nicht noch ein halb Duzend Briefe zu beantworten hätte. Leinen

Tuch werden Sie vicleicht schon fortgeschikt haben, wann dieser

Brief hinaufkommt. Ich muß eilen.

Ihr 40

gehorsamster Sohn

Hölderlin.

Ein guter Freund bittet mich, ich möcht ' ihm eine buchsbäumene

Flöte mit Horn garnirt beim Wohlhaupter bestellen — Sind Sie so

gütig und besorgen Sie es. Schreiben Sie mir, ob wir ins Unterland 45

reisen — W a n n nichts draus wird, so hab' ich schon alles bestellt — ich

kan mit Renzen, Bilfingern, und H i e m e m in dem Unterboigner Ge-

fährt fahren — doch so, daß ich immer wieder nein! sagen kan.

19. AN I M M A N U E L NAST

Lieber Bruder I

Nur etlich LauteI Schade, daß es nur etlich sind — ich wäre wirk-

lich so gut gestimmt. Denke nurl etwas in die ChronikI Ich bin auch

einmal wieder recht zufrieden mit mir — meinem Schiksaal. Ich soll

Dir meine mystische Briefe aufklären? Herzlich froh bin ich, daß 5

ich sie so mystisch geschrieben habe. Ich müßte mich jezt nur noch

mehr schämen. Jezt muß ich aufhören.

Vorige Woche habe ich wegen dem Examen solenne nicht schrei-

ben können I Ein schwaches Hinderniß!

Bilfinger u. Efferen grüßen Dich 1 Gelt, Lieber, D u rächst Dich nicht lo

an meinem bißherigenStillschweigen, und an diesem Gesudel da, und

schreibstnoch 2 -3 rechtlange Briefe vor Ostern ? 'S sindnoch SWochen!

Dein

vergnügter

Hölderlin. 15

28

Page 40: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 178 + - 1 7 8 8 Nr.20.21

20. AN DIE M U T T E R

Liebste Mamma I

Also in acht Tagen sind wir beieinander, es sei nun in Nürtingen,

oder im Unterland. Bestellungen weiß ich keine mehr zu machen.

Ich glaube, wir werden, wann wir reisen, eine Reise haben, wie auch

5 einmal an Ostern. Ich bin auf alle Fälle gerüstet. Wann Sie mir sagen

lassen, oder schreiben, Sie bleiben in Nürtingen, so fahr ich in dem

Unterboihinger Gefährt bis nach Boihingen — und Sie kommen mir

entgegen — kommen Sie aber ins Unterland, so erwarte ich Sie am

Dienstag nach dem Palmtag in Schwiebertingen, im Ochsen. Frei-

10 lieh hab' ich mich in Ansehung der Kleidungsstüke ganz auf die Reise

gerüstet z. E. daß ich keine Schuhe mitnehme. Wir haben wirklich

Schnee, bei dem aber demohngeachtet nicht so übel zu reisen wäre.

Ich freue mich, bald in den Armen der Meinigen zu sein. An alles

tausend Grüße.

15 Ihr

gehorsamster Sohn

Hölderlin.

21. AN I M M A N U E L NAST

Lieber Bruder!

D a leg ' ich meinen Ossian weg, und komme zu Dir. Ich habe

meine Seele gewaidet an den Helden des Barden, habe mit ihm ge-

trauert, wann er trauerte über sterbende Mädchen.

5 Und so — war ich gestimmt — u m etlich Augenblike ganz für Dich

zu sein.

Lange, lange schon ists freilich, daß wir nichts mehr von einander

hören—und denke, Bruder, die ganze Vakanz war ich kaum eine Meile

von Dir und konnte — unmöglich hin — nicht auf einen halben Tag.

10 Da saß ich ganze vier Wochen am Todtenbette meiner Tante in Gro-

ningen , und lernte dulden — von ihr I und jezt Bruder, jezt ist sie todt!

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Page 41: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.21 B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8

O Bruder I sie soll so gcuiz mein seeliger Vater gewesen sein, ich

hab' ihn nie gekannt, ich war drei Jahr alt, als er starb, aber ein herr-

licher Mann muß er gewesen sein, wenn er war, wie sie. Wann sie so

unter den unaussprechlichsten Schmerzen trauernd zum Himmel 15

sah, und sie in todesnahen Stunden die Sprache verlor, und ich für sie

bettete — und sie dann schnell wieder aus ihrem Röcheln aufwachte,

und staunte, daß sie noch auf der Erde sei — Bruder! Bruder I da ließ

sich viel lernen 1 Und als ich wieder hieher reiste, und auf Nimmer-

sehen von ihr Abschied nahm, und sie sagte — »wann wir uns auf die- 20

ser Welt nimmer sehen, so finden wir uns in jener« — 0 ! diese Worte

vergeß' ich nie I Es ist des Menschen seeligster Gedanke, der Gedanke

an die Ewigkeit — Wenn ich oft so düster zu meiner Louise komme,

und über Menschen klage — und mir für die Zukunft bange wird —

da mahnt sie mich an die Ewigkeit — und das sind seelige Stunden. 25

Meine Gedichte sind wirklich auf der Wanderschaft; — wann sie

wieder ohne blutige Köpfe nach Haus kommen — und sie ihr HE.

Papa Hölderlin nicht aus väterlicher Vorsicht wieder ein halb Jahr

ins Pult einsperrt, (denn es sind gar zu dumme Jungen) nun jal

wann diß nicht ist, sollen sie auch nach Leonberg marschiren. 30

Auf Pfingsten, Bruder, — wann Dir Dein Hölderlin Heb ist — wann

Du ihn noch 'mal sehen willst — (am nächsten Herbst muß ich ge-

radenwegs nach Haus, und dann nach Tübingen) lieber, lieber Bru-

der! im Namen aller Maulbronner Lieben bitt' ich Dich, komme!

Deine verehrungswürdige Freundin bitt' ich — sags ihr nur, ich bitte 35

gehorsamst, daß sie ihrem Nast sage, er möchte seinen Freund doch

nicht so umsonst hoffen lassen.

Sei so gut, und schik mir den Pfeffel, und Brutus und Cäsar

O wann Du nur gewiß kommst! Nur dißmal lasse mich nicht ver-

gebens hoffen — Ich bin ja +0

Dein

Hölderlin.

30

Page 42: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8 Nr. 12. 13

22. AN LOUISE NAST

Was wir doch für Menschen sind — Liebe! Ich meine, dieser Au-

genblik, da ich bei Dir war, sei seeliger gewesen, als alle, alle Stun-

den, da ich bei Dir. Unaussprechlich wohl war mirs, als ich so

oben am Berg gieng, und Deinen Kuß noch auf meinen Lippen

5 fühlte — Ich blikte so heiß in die Gegend, ich hätte die ganze Welt

umarmen mögen —und noch,noch ists mir so!

Deine Veilchen stehen vor mir, Louise! Ich will sie aufbewahren,

so lang ich kan.

Weil Du den Don Carlos ließst, will ich ihn auch lesen, auf den

10 Abend, wenn ich ausgeschaft habe.

Ich mache wirklich über Hals und Kopf Verse — ich soll dem bra-

ven Schubart ein Paquet schiken.

Auf meinen Spaziergängen reim' ich allemal in meine Schreib-

tafel — und was meinst D u ? — an Dich! an Dich! und dann lösch'

15 ichs wieder aus. Diß hatt' ich eben gethan, als ich vom Berg herab

Dich kommen sah.

0 Liebe! an Gott und an mich denkst Du in Deinem Stübchen?

Bleibe Du so, wann D u schon vielleicht die einzige unter Hunderten

bist.

20 Kommt Deine Jfr. Schwester Wilhelmine heut? Hast Du ihr das

Briefchen geschikt? oder giebst Dus ihr erst? Ich höre, sie befinde sich

besser. Ich soll Bilfingern auch ein Briefchen schiken — aber ich

seh' es ist unmöglich bis morgen.

Wann ich nur immer so zufrieden bliebe, wie ich jezt bin. Doch —

25 ich Hebe Dich ja unter jeder Laune fort — mein Zustand ist also doch

nicht der schlechteste. Denke recht oft an mich. D u weists — ich

bleibe unzertrennlich

Dein

Hölderlin.

31

Page 43: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.23 B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8

2 3 . A N D I E M U T T E R

Liebste Mamma I

Hier ein Stük meines Reistagebuchs. Sie müssen eben vorlieb neh-men mit dem Gesudel, ich schriebs oft halb im Schlaf, eh ich zu Bette gieng. Ich denke noch immer mit Vergnügen an die, obschon kurze fünftägige, doch weite Reise. Ich reiste von Mannheim aus noch wei- 5 ter nach Franken thai—wie Sie nächstens hören werden. Also tausend Dank, liebste Mamma, für das mir gemachte Vergnügen. Ich habe Ihnen versprochen,alles aufzuschreiben — hier ist es. In Bruchsaal Zeche 43 er Fahrlohn über den Rhein 8 er lo Zu Rheinhausen Zeche 7 er. Wieder Fahrlohn über den Rhein 24 er. In der Mannheimer Comedie 48 er. Dem Mannheimer Peruqieu 24 er. Zu Frankenthal zahlt ich die Zeche 1 f 58 er. i5 Zu Speier Trinkgeld 36 er. Dem Speirer Peruqieu 24 er. Von Speier zurük nahm ich ein Pferd 1 f 50 er. In Bruchsaal für den Mann Zeche 15 er Für das Pferd im Hinabreisen 2 f 20 Mit Kleinigkeiten ^ I f .

Summa 10 f 17 er. Blum zahlte auf der Reise die meiste Zeche, wie Sie sehen werden —

ich kam also herrlich davon. Wenn ich nur auch mündlich erzählen könte. Sagen Sie dem lieben Carl, in der Fortsezung komme viel vor 25 von großen Schiffen, mit Seegein, und Mastbäumen. Er soll sich nur recht freuen. Denken Sie, liebste Mamma, ich war nicht ganz wohl, eh' ich abreiste, nahm noch den Abend vorher Arznei zu mir — habe mich aber so gesund gereißt, daß mirs jederman ansieht. Ich habe noch viel zu thun. Ich schließe also mit der Versicherung, daß ich sei 30

Ihr gehorsamster Sohn

Hölderlin. 32

Page 44: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8 Nr.2)

Montags, den 2ten Jun. reißt ich ab. Es war ein schöner belebender

35 Morgen. Mein Herz erweiterte sich in all den Erwartungen deß, das

ich sehen und hören werde. Noch nie war mir so wohl, als da ich,

eine halbe Stunde von hier, den Berg hinunterritt — und unter mir

Knitlingen lag, und weit hinaus die geseegneten Gefilde der Pfalz.

Mit dieser Heiterkeit sezte ich meinen Weg fort durch Bretheim,

40 Diedelsheim, Gundelsheim, Heidelsheim, und jezt war ich in Bruch-

saal. Ich hatte im Sinn, mich im Rükweg aufzuhalten — wartete folg-

lich bloß im Wirtshaus auf Vetter Blumen. Ich wartete bis eins, es

kam kein Blum, wartete bis zwei, bis drei — noch nicht! Jezt war ich

ärgerlich. Gefallen hatte mirs in Bruchsaal ohnehin nicht, unter

45 dummen Pfaffen, und steiffen Residenzfrazen — mein Pferd hatt' ich

nur auf diesen Tag gemietet, der W e g nach Speier war lang, die Zeit

kurz, die Straße mir unbekannt. Was war zu thun?

Ich schikte den Mann, den ich bei mir hatte, um das Pferd zurük-

zunehmen, nach Haus, sezte mich aufs Pferd, und flugs Speier zul

50 Von Bruchsaal aus hatte ich zwar keine Chaussee mehr, aber doch

breiten, guten Sandweg. Ich passirte meist dike, schauerliche Wal-

dungen, so daß ich außer meinem Weg kaum drei Schritte weit um

mich sehen konnte. So dik habe ich in Wirtemberg noch keine Wäl-

der gesehn. Kein Sonnenstral drang durch. Endlich kam ich wieder

55 ins Freie, nachdem ich Forst, Hambrüken, und Wiesenthal passirt

hatte. Eine unabsehbare Ebene lag vor meinen Augen. Zur Rechten

hatte ich die Heidelberger, zur linken die Französische Grenzgebirge

— Ich hielt lange still. Der neue, unerwartete Anblik einer so unge-

heuren Ebene rührte mich. Und diese Ebene war so voll Seegens.

60 Felder, deren Früchte schon halb gelb waren — Wiesen wo das Gras,

das noch nicht abgemäht war, sich umneigte — so hoch, so reichlich

stcind es — und dann der weite, schöne, blaue Himmel über mir

Ich war so entzükt, daß ich vieleicht noch dort stände mit meinem

Roß, wann mir nicht gerade vor mir das fürstlichbischöfliche Lust-

65 schloß Waaghäußel in die Augen gefallen wäre.

Ich wolte eben darauf zu reiten, weil ich es auch in meiner

Marschruthe hatte — von wo aus ich dann über Lußheim gekommen

33

Page 45: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.2} B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8

w ä r e — a b e r m a n w i e ß m i c h l inks n a c h O b e r h a u s e n , w e i l s d a h i n

n ä h e r ist. V o n d e m L u s t s c h l o ß k a n i ch also n i ch t s s a g e n , als d a ß es

i m W a l d l i e g t , e i n e C a p e l l e , u . n o c h e t l i ch G e b ä u d e u m s ich hat , w e i - 70

t e r a b e r n i chts s e h e n s w ü r d i g e s , k e i n e G ä r t e n , k e i n e H o h e n h e i m e r

W i l d n i s s e , o d e r was i ch sonst d a e r w a r t e t h ä t t e . V o r O b e r h a u s e n b e -

m e r k t e i ch erst d i e D o m k i r c h e in S p e i e r , o b i ch sie s c h o n bald n a c h

Bruchsaa l hät te s e h e n k ö n n e n , so g r o ß ist d i e E b e n e — so u n g e h e u e r

h o c h ist d iese D o m k i r c h e . I c h g l a u b t e , i ch w e r d e jez t k e i n e V i e r t e l - 75

s t u n d e m e h r h a b e n , u n d f r e u t e m i c h s c h o n aufs A b e n d e s s e n in

Spe ie r , a b e r i ch hat te m i c h g e w a l t i g b e t r o g e n . V o n O b e r h a u s e n k a m

i c h n a c h R h e i n h a u s e n . H i e r m u ß t e i ch ü b e r d e n R h e i n f a h r e n ,

m u ß t e a b e r z i e m l i c h l a n g e w a r t e n , b i ß d i e Sch i f f e r v o m j e n s e i t i g e n

U f e r h e r ü b e r k a m e n , w e i l d i e Ü b e r f a h r t g e w ö n l i c h e i n e h a l b e S t u n d e so

l a n g d a u e r t . A b e r so g e r n e h a b ' i ch n o c h n i e g e w a r t e t , als d a m a l s .

D i e Z e i t w u r d e m i r gar n i c h t l a n g .

M a n stel le s ich v o r — e i n S t r o m d e r d r e i m a l b r e i t e r ist , als d e r

N e k a r , w o e r a m bre i t s ten ist — d ieser S t r o m v o n o b e n h e r a b Ein b e i -

d e n U f e r n v o n W ä l d e r n beschat te t — u n d w e i t e r h i n a b d ie A u s s i c h t 85

ü b e r i h n so l a n g , d a ß e i n e m d e r K o p f s c h w i n d e l t e — das w a r e i n A n -

b l i k — i c h w e r d ' i h n n i e v e r g e s s e n , e r r ü h r t e m i c h a u ß e r o r d e n t l i c h —

E n d l i c h k a m e n d ie Sch i f f e r h e r ü b e r . M a n f ä h r t in B o o t e n ü b e r , w e l -

c h e so g r o ß s i n d , d a ß z w e i G e f ä h r t e m i t P f e r d e n , u n d n o c h L e u t e

g e n u g d a r i n n P laz h a b e n . N a c h V e r f l u ß e i n e r h a l b e n S t u n d e w a r i ch 90

a m Spe i r i s chen U f e r . I c h f r a g t e b e i V o r ü b e r g e h e n d e n , w o u n g e f ä r

d i e F r a u B l u m i n n w o h n t e — u n d v r a r d e v o n e i n e m , d e r sie k a n n t e ,

in H E . P f a r r e r M a j e r s H a u s g e w i e s e n . W e i l s ich d e r T a g n e i g t e , m u ß t e

m e i n R ö ß l e i n n o c h a l l ' s e ine ü b r i g e K r ä f t e aus d e n s te i f fen F ü ß e n

z u s a m m e n n e h m e n — i ch d a c h t e — i c h u n d es k ö n t e n u n s ja j ez t b a l d 95

A b e n d e s s e n , u n d N a c h t r u h e h e r r l i c h s c h m e k e n lassen. U n d so — w a r

i ch in d e n Spe i rer T h o r e n . L a n g w e i l i g w u r d e m i r das e w i g e U m h e r -

r e i t e n in d e n G a s s e n , bis i ch H E . P f . M a j e r s H a u s e n d l i c h f a n d .

I c h w u r d e m i t s t ü r m i s c h e r F r e u d e v o n d e r R i k e u . B l u m e n , v o n d e r

F r a u B l u m i n , u n d d e r e n T o c h t e r , d e r P f . M a j e r i n , u n d P f . M a j e r m i t 100

a u ß e r o r d e n t l i c h e r H ö f l i c h k e i t a u f g e n o m m e n . G e n u g f ü r d i esen T a g l

34

Page 46: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8 Nr.23

d. 3ten. Jun.

Der Blum und die Rike hatten schon vor meiner Ankunft auf die-

sen Tag eine Reise nach Heidelberg vorgehabt. Es wurde also ausge-

105 macht, daß ich mein Pferd durch des Blumen Kutscher, der wieder

zurük nach Markgröningen solte, weil sie sich noch länger aufhalten

— hinaufschiken solte — und mit ihnen fahren, wo Blum kutschirte

Ich mußt also schon wieder morgens um 4 Uhr aus den Federn —

und um 5 Uhr saß ich zu gutem Glüke meiner matten Glieder — im

110 Cariol. Wir schiften wieder über den Rhein — und in ein paar Stun-

den waren wir in den berühmten churfürstlichpfälzischen Lustgär-

ten von Schwezingen.

Beschreibung ist hier wenig. Man muß die Pracht — die außer-

ordentliche Schönheiten der Kunst — die ausgesuchte Gemälde, die

115 Gebäude, die Wasserwerke, u.s .w. selbst gesehen haben — wenn

mein sich einen Begriff davon machen will. Doch eins muß ich nen-

nen. Es ist hier eine türkische Moschee (Tempel) angelegt, die man-

cher der sie sieht unter den vielen Schönheiten, vieleicht vergißt,

aber mir gefiel sie am besten. Das ganze ist, was Hohenheim, und die

120 Solitude mit einander — meinem Begriff nach. Von Schwezingen

nach Heidelberg hatten wir drei Stunden lang schnurgerade Chaus-

see — und auf beiden Seiten alte, eichengleiche Maulbeerbäume.

Ungefär um Mittag kamen wir in Heidelberg an. Die Stadt gefiel

mir außerordentlich wohl. Die Lage ist so schön, als man sich je eine

125 denken kan. Auf beiden Seiten und am Büken der Stadt steigen steile

waldichte Berge empör, und auf diesen steht das alte, ehrwürdige

Schloß — Ich stieg auch hinauf, und machte eine Walfart zu dem be-

rühmten Heidelberger Faß, dem Symbol so meinches Zechers, dem

Bonmot so manches Trinklieds. Es ist wirkl ich so groß, daß man

130 oben ganz bequem herumtanzen kan. Es sind Schranken auf ihm,

daß man ohne Gefar darauf gehen kan. Aber das kan ich ver-

sichern, daß ein Fall von seiner Höhe mir eben so unangenehm

wäre, als aus meinem Klosterfenster. Merkwürdig ist auch die neue

Brüke daselbst. Nachmittags reisten wir noch nach — Mannheim.

155 Wir hatten herrlichen W e g am Nekar hinab. Kaum waren wir aus-

35

Page 47: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.23 B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8

g e s t i e g e n , so g i e n g e n w i r ins Schausp ie l . S c h ö n e r , g e b i l d e t e r , v o l -

k o m m e n e r k a n m a n sich n i chts d e n k e n , als das M e i n n h e i m e r N a t i o -

n a l t h e a t e r . — N a c h d e m Schausp ie l s a h ' i ch n o c h das Z e u g h a u ß , w o

C a n o n e n k u g e l n , w i e S t e i n h a u f e n a u f g e b e u g t s i n d , w o i ch z u m e r -

s t e n m a l G r a n a t e n , B o m b e n , K a n o n e n U.S.W, s a h — u . d a n d ie Jesui ter - i40

k i r c h e ! das prächt igs te G e b ä u d e , das i ch a u f m e i n e r R e i s e f a n d . D i e

Stadt ist b e i n a h e z w e i m a l g r ö ß e r , als S t u t g a r d . D a s fürs t l i che S c h l o ß

s ieht m a n aus d e n m e i s t e n G a s s e n . D i e G a s s e n s ind g a n z g e r a d e —

A l l e s ist e b e n . D i e G e b ä u d e m a c h e n j e d e s m a l e in g r o ß e s V i e r e k . D a s

K a u f h a u s ist so u n g e h e u e r g r o ß , d a ß m i c h e i n G a n g u m dasselbe 145

h e r u m b e i n a h e i n e h a l b e V i e r t e l s t u n d e kos te te . A m A b e n d e s s e n k a m

i c h n e b e n e i n e n G r a f e n v o n S t y r o m z u s i zen . Es ist e i n B r u d e r v o m

B i s c h o i f in B r u c h s a a l . I c h w a r n u r e i n e S t u n d e u m d iesen M a n n ,

a b e r i c h w e r d ' i h n bis z u m G r a b e v e r e h r e n . E r ist G e n e r a l , u n d in

se ines H e r r n , des K ö n i g s v o n F r a n k r e i c h s D i e n s t e n g r a u g e w o r d e n . 150

E r u n t e r h i e l t s ich m i t m i r , w i e m i t s. B r u d e r — erzäh l te m i r v o n sei -

n e n S c h l a c h t e n , s e i n e n G e f a h r e n , s e inen S i e g e n , s e i n e n N i e d e r -

l a g e n — i ch hät te b a l d v e r g e s s e n , d a ß d ieser M a n n G r a f S t y r o m , u n d

i ch S t u d e n t H ö l d e r l i n w ä r e , u n d w ä r i h m u m d e n Hals g e f a l l e n , so

v i e l e L i e b e g e g e n i h n f l ö ß t e m i r d ieser G r e i s e i n . E r ist m i r a m v e r - 155

e h r u n g s w ü r d i g s t e n u n t e r a l l en L e u t e n , d i e i c h a u f m e i n e r R e i s e

k e n n e n l e r n t e .

D e n 4 t e n J u n i .

D i e F o r t s e z u n g f o l g t .

M i t t w o c h , d e n 4 J u n . 160

I c h b l i e b n o c h bis m o r g e n s 10 U h r in M a n n h e i m , in w e l c h e r Z e i t

i c h d e n H o f k a m m e r r a t h D i l l e n i u s , e i n e n Oncle v o n m e i n e m M ä r k -

l i n , b e s u c h t e , u n d sehr v i e l H ö f l i c h k e i t g e n o ß — I c h m a c h t e n o c h

e i n e n f l ü c h t i g e n Str i ch d u r c h d ie v o r n e h m s t e G a s s e n d e r S tadt , b e -

sähe das S c h l o ß u . das B o l l w e r k , u . ü b e r a l l f a n d i ch Pa l läs te , d i e m i c h 165

m i t S t a u n e n e r f ü l l t e n . U n t e r d e s s e n h a t t e n m e i n e G e f ä h r t e n s ich

re i s f e r t ig g e m a c h t , i c h s p r a n g in d ie C h a i s e , u n d t r e n n t e m i c h u n -

36

Page 48: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8 Nr.2)

gern von einem Ort, in welchem ich noch so viel merkwürdiges

sehen, noch so manchen neuen Begriff mir hätte erwerben können.

170 Wir mußten über fünf Brüken bis wir auf die Straße kamen; die die

über den eigentlichen Rhein gieng, war ungeheuer lang, und eine

Schiffbrüke. Hier waren große Boote an Ankern bevestigt, u. so an-

einander gereiht, auf diesen stand die Brüke. Wann nun Schiffe kom-

men, so sind Maschinen mit welchen man die Brüke an verschiede-

175 nen Orten öfnen kan. Das aber, was meine Augen am meisten auf

sich zog, waren die Churfürstliche Schiffe, die am Ufer standen. Vom

Wasser an bis ans Verdek (also den Boden ungerechnet) mochten sie

ungefär einen kleinen Stok hoch sein, ihre Länge aber betrug sich

sicher auf 24 Schuhe, der Mastbaum ragte einen großen Stok über

180 das Verdek hinaus — und eine Menge von Tauen (Seilen) hieng

daran herab, mit welchen mau den Mastbaum herablassen, und auf-

richten, das Seegeltuch einziehen und ausbreiten konnte. Ganz vom

war ein Zimmer, mit grünen Läden, und überhaupt das ganze Schiff

war gelb und roth angestrichen. So waren zwei da, ganz gleich nur

185 daß das Schiff der Churfürstin ein wenig kleiner war, als Theodors

(des Fürsten) selbst.

Wir kamen durch die schönste Alleen nach Okkersheim, wo der

Churfürstin ihr Siz ist. Ich kam hier in das nemliche Wirtshaus, in

welchem sich der große Schiller lange aufhielt, nachdem er sich aus

190 Stutgard geflüchtet hatte. Der Ort wurde mir so heilig — u. ich hatte

genug zu thun, eine Träne im Auge zu verbergen, die mir über der

Bewunderung des großen genialischen Dichters ins Auge stieg. Von

dem Lustschloß der Churfürstin kan ich nichts eigentliches sagen —

ich sah' nichts — als Häuser und Gärten, dann Schiller gieng mir im

195 Kopf herum. Um Mittag kamen wir zu Franken thai an. Nach dem

Essen giengen wir zuerst in die Gegelische Buchdrukerei, dann in die

Porzellanfabrike, wo ich im Magazin sehr schöne Arbeit antraff —

von da aus in die Seidenfabrike — wo mirs auch sehr wohl gefiel —

von da aus zum Canal, das ein sehr sehenswürdiges Werk ist. Be-

200 schreiben kan ich hier nicht, weil ich selbst ein dunkeln Begriff davon

habe.

37

Page 49: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.23 B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8

A m n e m l i c h e n N a c h m i t t a g f u h r e n w i r n o c h n a c h S p e i e r z u r ü k —

u n d so ha t t i ch d ie m e i s t e m e r k w ü r d i g e Städte d e r P f a l z i n k u r z e r

Z e i t g e s e h e n . M o r g e n s e h ' i ch m i c h in S p e i e r u m .

D o n n e r s t a g s d . 5 J u n . 205

M e i n erster G a n g w a r M o r g e n s z u r D o m k i r c h e . D i ß ist e i n e s d e r

m e r k w ü r d i g s t e n G e b ä u d e d ie i ch a u f m e i n e r R e i s e s a h , u n d das e i n -

z i g e , das i ch r e c h t g e n a u , u n d m i t g e h ö r i g e r M u s e b e s a h . W a n n m a n

v o r n a m g r o ß e n m a j e s t ä t i s c h e n Por ta l e i n g e h t , so s ieht m a n v o r s ich

e i n l e e r e n Plaz v o n e i n e r z i e m l i c h e n L ä n g e bis a n g r o ß e Sta f fe ln h i n , 210

u n d v o n u n g e w ö h n l i c h e r H ö h e , d i e d u r c h p r ä c h t i g e e i n f a c h e S ä u l e n

v o n d e n N e b e n g e b ä u d e n g e t r e n n t w i r d . Ü b e r d e n Sta f fe ln a b e r s teht

e i n g r o ß e r g a n z m a r m o r n e r A l t a r , w e l c h e r so h o c h ist , d a ß a u c h w i e -

d e r Sta f fe ln daran g e b a u t s i n d , u n d a u f w e l c h e m 5 b r e n n e n d e L i c h -

ter in g ü l d e n e n L e u c h t e r n s t e h e n . ( D i e L e u c h t e r s t e h e n p y r a m i d e n - 215

m ä ß i g , u n d d e r l ängs te mag s i cher e i n e E h l e messen) Neben d e m

A l t a r s tanden a u f b e i d e n Se i ten K i r c h s t ü h l e , u n d in d e n z w e i E k e n

n e b e n d e n K i r c h s t ü h l e n w i e d e r z w e i A l t ä r e , v o n g l e i c h e r P r a c h t , w i e

d e r erste . G a n z h i n t e n i m C h o r s tand d e r T h r o n des Bischofs v o n

B r u c h s a a l , das p r ä c h t i g s t e , w a s m a n sich v o r s t e l l e n k a n , u n d a u f 220

b e e d e n Se i ten des T h r o n s h e r u n t e r d i e S t ü h l e d e r D o m h e r r n w e l c h e

a l le v e r g o l d e t s i n d . U n d so n e h m e m a n das g a n z e r i e s e n m ä ß i g e G e -

b ä u d e z u s a m m e n , m a n stel le s ich u n t e n ans P o r t a l h i n , u n d d e n k e

s ich — w i e o b e n h e r a b d e r T h r o n u n d d ie p r ä c h t i g e S t ü h l e s c h i m -

m e r n — u n d d e r M a r m o r - A l t a r , w i e e r m i t s. L i c h t e r n so e r h a b e n 225

das teht — u n d o b e n das u n e r m e ß l i c h e G e w ö l b e i ch h i e l t e m i c h

e i n e S t u n d e d a r i n n a u f , u n d k ö n t e b e i n a h e n o c h b i s h e r j e d e n T a g

e i n e S t u n d e d a r i n n g e w e s e n se in , o h n e L a n g e w e i l e g e h a b t zu h a b e n .

V o n d a aus g i e n g i ch z u m R a t h B o ß l e r — u n d b e s ä h e se ine M u s i -

k a l i e n h a n d l u n g . Es ge f i e l m i r da a u c h sehr w o h l . D o c h e i l ' i c h z u 230

e i n e m i n t e r r e s a n t e r e n G e g e n s t a n d e . I c h h a t t e V o r m i t t a g s so z i e m l i c h

m i c h in S p e i e r u m g e s e h e n . N a c h m i t t a g s w o l t ' i ch also ins f r e i e , u m

d a in d e r G e g e n d u m h e r m e i n A u g e z u w a i d e n . I c h l i e f d e n g a n z e n

N a c h m i t t a g b e i n a h e i m g a n z e n S p e i r e r B e z i r k u m h e r , o h n e w a s z u

38

Page 50: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 8 4 - 1 7 8 8 Nr. 12. 13

235 finden, das meine Aufmerkscumkeit besonders Ein sich gezogen hätte.

Es gieng schon gegen Abend, als ich auf den sogenannten Gran kam,

(wo die Waaren der Schiffe ausgeladen werden). Ich glaubte neuge-

bohren zu werden über dem Anblik, der sich mir darstellte. Meine

Gefühle erweiterten sich, mein Herz schlug mächtiger, mein Geist

240 flog hin ins unabsehliche — mein Auge staunte — ich wußte gar nim-

mer was ich sah, und dastand ich — wie eine Bildsäule.

Man denke sich, der majestätischruhige Rhein, so weit her, daß man

die Schiffe kaum noct bemerkte — so weit hinaus, daß man ihn fast für

eine blaue Wand ansehen könnte, u. am gegenseitigen Ufer dike, wilde

2+5 Wälder — u. über den Wäldern her die dämmernde Heidelberger Ge-

birge — u. an der Seite hinab eine unermeßliche Ebene — u. alles so voll

Seegen des Herrn—u. um mich alles so thätig—da lud man Schiffe aus -

dort stießen andere ins Meer, und der Abendwind bließ in die schwel-

lende Seegel—ich gieng gerührt nach Haus, und dankte Gott, daß ich

250 empfinden konnte, wo tausende gleichgültig vorübereilen, weil sie ent-

weder den Gegenstand gewohnt, oder Herz, wie Schmeer, haben.

Den Abend brachte ich bei einem Glas Bier noch sehr vergnügt

zu — ich konnte den Leutchen ansehen daß sie mich gerne noch

länger bei sich gehabt hätten.

255 Freitags d. 6 Juni.

Da wär ich nun wieder im Kloster. Es war mir noch nie so eng, ich möcht als gerne meine Kirche.fürs Dom, meine Mauren für Palläste, meine Seen für den Rhein, und meinen dunkeln Schlafboden für fürstliche Alleen ansehen. Nur noch kürzlich die Geschichte des

260 heutigen Tages. Der Blum u. die Ricke begleiteten mich mit der Chaise bis nach Oberhausen, von wo aus ich mir ein Pferd bis hieher nahm. Um 12 Uhr war ich in Bruchsaal, kehrte aber dißmal bei Frau Baaß Vogtin ein, weil mirs im Wirtshaus so gar nicht gefallen hatte, und ich die ehmalige Jfr. Baas Nikolain auch wieder sehen wollte.

265 Sie freute sich sehr, auch wieder was von Ihnen zu hören, und war auserordentlich höflich u. freundschaftlich gegen mich. Um 3 Uhr reißt ich wieder weiter. Und so kam ich noch bei hellem Tag hieher, u. so hätte dann meine Reisbeschreibung ein Ende.

39

Page 51: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.2* B R I E F E 178 + - 1 7 8 8

24. AN I M M A N U E L NAST

Lieber Bruder 1 o

Bis in 14 Tagen bin ich bei Dir ! keinen Tag früher — oder später!

Ich reite mit Eisnern bis auf den Mittag nach Höfingen, und von da

aus nach Leonberg. Aber gleich den andern Tag drauf m u ß ich wie-

der fort. D u begleitst mich (eher laß ich nicht nach) biß in mein 5

Nürtingen, wenns auch nur auf etlich Tage war, und dann geh ich

wieder mit Dir nach Stutgard zurük, wo Bilfinger unsrer wartet, und

Dich bis Leonberg zurükbegleitet. Ists so recht — Lieber? Ich halte

Wort , und wanns der Kaiser selbst wäre, der mich zurükhalten wollt' .

Also ungefähr Nachmittags u m 2 Uhr in 14 Tagen bei Dir ! Ha ! lo

Bruder! Nur die W o n n e des ersten Umarmens ließ ich mich Tage-

reisen kosten. D u kannst mich nicht so lieb haben als ich Dich —

nein! unmöglich! das wäre eine unverzeihliche Eitelkeit von mir —

wenn ichs glauben wollte. Ich will Dir sagen — ich habe schon

manchmal von Mutter u. Geschwistern, u. die hab' ich der Himmel 15

weißt es 1 so lieb — und da hab' ich schon manchmal Abschied genom-

men — aber so sauer ward mir keiner noch, als der von Dir. Zu Land-

bek und Hiemer wollen wir miteinander selbst — wenn wir in Stut-

gard sind. 0 Bruder! Bruder! warum mirs wirklich so wohl ist! —

weil ich vorgestern etwas vollendet hab' , davon mir so manches 20

Duzend Tage lang der Kopf glühte —

Ich seh 's, 's ist doch auch gut - daß mir in der Welt so alles krum über

den W e g läuft — ich bleibe da brav vor mich — und genieße achtere

Freuden und habe nicht nöthig, mich über so viele Dummheiten zu

ärgern. 25

Ich will nur sehen, wenn Du u. Landbek Freunde sind! euch bringt

auf meine Ehre niemand mehr auseinander 1 Stell Dir einen schönen

— sanften — zärtlichen Mahler von 20 Jahren u. Deiner Größe vor, u.

Du hast ihn. Und mein Hiemer — ist eben ein lustiger Dichter I ganz

bon komme. Und ich bin auf Gottes Welt weiter nichts als eben 30

D e i n

Hölderlin.

40

Page 52: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

T Ü B I N G E N 1788-1793

Page 53: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text
Page 54: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3 Nr.2S

25. AN LOUISE NAST

Das war ein Brief von Dir, liebe Seele I hätst D u mich sehen kön-

nen, wie ich Tränen der innigsten Freude weinte, auf dieses neue

Zeichen Deiner so unaussprechlich süßen beglükenden Liebe, wie

ich in dem Augenblik so innig fühlte, was ich an Dir habe, wie meine

5 Tage wieder so heiter, so ruhig hinfließen. O Mädchen I Auch in der

Trennung ist Deine Liebe Seeligkeit, auch dieses Sehnen ist Wonne

Deinem Jüngling—dann jeder Augenblik sagt mir, daß Du Dich eben

so nach mir sehnst, daß Dir diese etlich Jahre eben so lange werden

als mir. Und nur noch eilf Wochen bis Ostern, Liebe? Freilich ists

10 lächerlich nur noch eilf Wochen — aber wir wollen uns eben so trö-

sten — und dann — o Louise! Louise I dann — Ich kann sie nicht

nennen, all die Seeligkeit die meiner in Deinen Armen wartet — der

Buchstabe ist eben Buchstabe, u. da laß ich Dichs lieber fühlen, wie

diese Erwartung mein Herz erhebt — Und D u erinnerst Dich noch

15 der lieben Worte, unsers lezten Besuches? sie sind Dir tief in die

Seele eingegraben? O Louise! sie sind mein einziger Gedanke in der

Einsamkeit, meine einzige Beschäftigung in den seeligen Dir ge-

weiheten Stunden.

0 u. Dein Traum? — herliches, liebes Mädchen, wie bin ich so

20 glüklich? u m wie viel glüklicher wär' ich, weinn ich in Deinen

Armen mein ganzes wonnerfültes Herz vor Dir ergießen könnte. Es

ist mir so wohl, wann ich daran denke, wie ich oft so gedultig, u. doch

so voll der innigsten Sehnsucht an jenem Pläzgen wartete, bis ich die

Teure am Fenster sah, u. wie er mich entzükte der Gedanke, daß D u

25 in der ganzen lieben Welt auf nichts bükest, als auf Deinen Hölder-

lin , daß nur ich in dieser Brust wohne — Louise! Louise! u. wann ich

Dich aus Deinem Hause dem Kreuzgang zu gehen sah — es ist mir

43

Page 55: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.2S.26 B R I E F E 1 7 8 8 - 1 79 3

noch alles so lebendig — der schöne majestätische Gang, das liebevolle

Auge nach mir heraufblikend — u. die Erwartung der seeligen

Stunde auf Deinem Gesichte so ganz ausgedrükt — u. wie uns Erd u. 30

Himmel schwanden, in der Stille u. Dämmerung 1 Und die gute

Heinrike ist wirklich bei Dir? Möchte doch all' die Freundschaft, die

sie uns erwiesen hat, ihr tausendfach in ihrer neuen Lage vergolten

werden. Sie wird mit ihrer heitern gefälligen Seele sich und ihren

Gatten gewiß beglüken. Und D u erinnerst Dich auch noch der glük- 35

liehen Zeiten in Leonberg — denkst D u noch an all die seelige Stun-

den? die Stunden der feurigsten süßesten Liebe? O Louise! ists dann

nimmer möghch, an irgend einem Orte bei guten Leuten so nah u m

Dich zu sein? Verdien' ichs nicht noch? so beglükt zu werden

Doch wieder ewige Plane! — 's wird Dir aber auch so gehen, liebe 40

Seele 1 Die Tage die ich in Leonberg zubrachte, waren zu schön, als

daß ich sie mir nicht noch oft wiederträumen solte. 0 nur der Ab-

schied I Es goß so eine süße Wehmuth über meine ganze Seele,

u. begleitete mich den ganzen W e g über. Nur, als ich die Berge u m

Nürtingen sähe, u. derWald vor Leonberg so nach u. nach sich hinter 45

mir verlohr — da stürzten mir Tränen des bittersten Schmerzens aus

den Augen — ich mußte lange hinstehen. — Der übrige Theil meiner

Reise wurde mir noch einmal so sauer, als zuvor.—

Deinen Jfr. Schwestern tausend Complimente — auch an Jfr. Käu-

felin u. ich laß ihr zum neuen Jahre einen flinken Pinsel wünschen. 50

Schlaf wohl, liebes Mädchen! Liebe mich, wie bisher. Ich bin ewig

Dein

Hölderlin.

26. AN DIE M U T T E R

Es schmerzt mich äußerst, liebe Mamma! daß ich Sie so traurig,

und niedergeschlagen — u. zwar über mich und mein Betragen —

sehen m u ß . Was das vergangne anbetrift, so bitt ich Sie, üebste

M a m m a ! tausend-tausendmal u m Vergebung, u. habe auch, da ich

vorgerstern zu Gottes Tisch gieng, ihm insonderheit jenes abgebetten. 5

44

Page 56: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 5 Nr.26.27

Was meine gegenwärtige Lage betrift, so kan ich Sie versichern, daß

ich meine Tage ganz heiter u. mit meinem Schiksaal zufrieden ver-

lebte, wenn Ihre Traurigkeit mir nicht eben so viel düstere Stunden

machte. Ich bitte so theuer ich kan, ich beschwöre Sie bei Ihren

10 Pflichten, als Mutter u. als Christin, die Sie bis auf den Punkt der

allzugroßen Traurigkeit so gewissenhaft erfüllen — heitern Sie sich

auf, genießen Sie des schönen Frülings, erfreuen Sie sich an dem hof-

nungsvollen Grün, das Gott unsern Feldern u. Bäumen wieder ge-

schenkt hat.

15 Ich habe noch einige Sachen, z .E. meine Flöte, etliche Bücher,

U.S.W, in Nürtingen. Sein Sie doch so gütig, u. schiken Sie mir sie.

Daß ich bei Schubart war, u. daß er mich so freundschaftlich mit

solcher Väterlichen Zärtlichkeit, aufnahm, werden Sie schon wissen.

Er erkundigte sich auch viel nach meinen Eltern, fragte mich, ob ich

20 auch zu den oft großen Ausgaben eines Poeten gehörig unterstüzt

werden könne — u. als ichs ihm mit ja beantwortete, empfal er mir

so inständig, Gott so hoch ich könnte, dafür zu danken, daß ich ganz

gerührt darüber wurde. O es wär eine Freude, so eines Mannes Freund

zu sein. Einen ganzen Vormittag bracht ich bei ihm zu.

25 D e m Majentag wohnten wir Nürtinger Studenten eben auch gerne

bei, aber weil erst die Vakanz ausgieng, mögen wir keine Körbe hohlen.

Ich muß in die Lektion; leben Sie wohl, liebste Mamma, u. lieben

Sie

Ihren

30 gehorsamsten Sohn

Hölderlin.

27. AN DIE M U T T E R

Erlaubniß. Werde also an nemlichem Tage in der Chaise zurük-

kehren. Sie sehen, liebste Mamma, meine körperliche, und Seelen-

umstände sind verstimmt in dieser Lage; Sie können schließen, daß

der immer wärende Verdruß, die Einschränkung, die ungesunde

45

Page 57: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.27. 28 B R 1 E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

Luft , die schlechte Kost, meinen Körper vieleicht früher entkräftet, 5

als in einer freiem Lage. Sie kennen mein Temperament, das sich

eben weil es Temperament ist, schlechterdings nicht verläugnen

läßt, wie es so wenig für Mishandlungen, für Druk und Verachtung

taugt. O liebe Mamma I mein seeliger Vater pflegte ja so oft zu sagen

»seine Universitätsjahre seien seine vergnügtesten gewesen« soll ich lo

einst sagen müssen »meine Universitätsjare verbitterten mir das

Leben auf immer« . Ist meine Bitte Schwachheit, so haben Sie Mit-

leiden mit mir ; ist meine Bitte vernünftig u. überlegt, o so lassen Sie

uns nicht durch allzuängsthche Zweifel an der Zukunft abgehalten

werden, einen Schritt zu thun, der Ihnen vieleicht im späten Alter 15

noch so viele Freuden macht. Ich habe noch viele Gründe, die ich

lieber mündlich sage. Leben Sie inzwischen wol. Empfangen Sie

mich wie sonst, liebe Mammal Ich bin gewiß, so bald ich sehe, daß

entweder Ihre Gegengründe triftiger sind, oder Ihr Herz zu ser da-

gegenkämpft, 20

Ihr

gehorsamer Son

Hölderlin.

Hier der lieben Rike das versprochene Liedchen. Für das über-

schikte danke ich gehorsamst. Meine Wäsche bring ich mit. 25

28. AN NEUFFER

Lieber Bruder 1

Nach langer Zeit unterhalt' ich mich wieder einmal mit D ir ; ich

hätte Dir oft von Tübingen aus geschrieben, aber die Verdrüßlich-

keiten, die Chikanen, die Ungerechtigkeiten, die ich leiden mußte ,

machten mich auch für die Freundschaft gleichgültig. In der Tat , 5

Lieber! mein Schiksaal beginnt in meinen Augen abenteuerlich zu

werden; wenn nichts wäre, als daß ich gerade den Tag zuvor, ehe

D u ankommst, meinen Fuß wund stoßen und, weil ich schon auf den

folgenden Tag Reiserlaubniß hatte, auf vier Wochen abreisen m u ß ,

46

Page 58: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3 Nr.28

10 ohne Dich zu sehen.Wärest Du doch in Tübingen gewesen! all' diß

wäre nicht geschehen. Ich würde nicht Ursache bekommen haben,

mer als jemals auf meine Dimission zu dringen, würde meiner Mut-

ter nicht lästig sein, würde mit meinem Mismuth nicht mir selbst

beschwerlich sein. 0 Bruder 1 daß ich so erfaren muß, wie viel Du mir

15 bist! — Auch sieht es ziemlich unpoetisch in meinem Kopfe aus.Was

ich aufs Papier hervorzwang, waren kurze Ausgießungen meiner

Laune, die ich nach etlich Tagen nimmer ansehen mochte. Über die

schöne Melodie hab' ich gleich nach der Vakanz ein Liedchen ge-

macht. Damals wars mir freilich noch heller ums Auge. In einigen

20 glüklichen Stunden arbeitete ich an einer Hymne auf Kolomb die

bald fertig freilich auch viel kürzer, als meine andern ist. Shake-

spearn hab' ich auch eine gelobt. Was hältst Du davon. Dieser Tage

bekomm' ich ein herrliches Buch — Samlung altteutscher Geschich-

ten — unter die Hände. 'S soll von Bürger sein. Und sieheI Lieber,

25 da war mir eine frohe Stunde bereitet. Ich fand den großen Gustav

mit so viel Wärme, so viel Verehrung geschildert — von s.Tode so

schäzbare Nachrichten, daß ich mirs heilig vornahm, so bald ich nach

Tübingen zurükkomme, die Feile wieder an meine Papiere zu legen,

und insonderheit in der Hymne auf seinen Tod aU' meine wen'gen

30 Kräfte zusammenzunehmen. Das Urteil unsers teuren Vorgängers

über die Hymnen auf Gustav leuchtete mir plözlich, als so treffend

ein, als mir noch nichts vorkam. Stäudlin ist warlich ein herrlicher

Mann.Wenn meine Mutter noch den Rath einiger einsichtsvoller

Männer gehört hat, u. dieser nach meinem Wunsch ausschlägt, so

35 werd' ich ihn bald auch im Brodstudium zum Muster nehmen kön-

nen. Ich sags nur Dir, u. bitte mir auch Deinen Rath aus. Überhaupt

lieber Bruder bitt' ich Dich um unserer Freundschaft willen, schreibe

mir so oft, u. soviel als möglich. Du vermagst alles über meine Gril-

len, u. Launen, u. wie die Plaggeister alle heißen. Einen Grus an

40 M. Hoffman, u. ich wolle der Ritterstube nächstens einen Transport

Kartoffeln schiken, wie ich versprochen habe. Lebe wol, Herzens-

bruder I

Dein

Hölderlin.

47

Page 59: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.29 B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 5

29. AN DIE M U T T E R

Beste Mutter!

Sie werden bald erraten, warum ich dißmal an Sie schreibe. Ich

glaube, der Brief wird Ihnen nicht unangenem sein.

Ich habe mich entschlossen, von nun an in der Lage zu bleiben, in

der ich bin. Der Gedanke, Ihnen unruhige Stunden zu machen, die 5

ungewisse Zukunft , die Vorwürfe, die ich von denen lieben Meinigen

verdiente, u. die ich mir in redhchem Maaße selbst machen würde

wann mich die Hofnung getäuscht hätte, der Rath meiner Freunde,

das ekle Studium der Juristerei, die Allfanzereien, denen ich mich

beim Advokatenleben ausgesezt hätte, u. von der andern Seite die lo

Freuden einer ruhigen Pfarre, die Hofnung auf gewisse bäldere Be-

dienstigungen, die Vorstellung, den Seinigen zu lieb vier Järchen

hindurch bei Beschwerlichkeiten gleichgültig zu sein, u. über Narr-

heiten zu lachen all diß bewog mich endlich, Ihnen, liebe Mamma

zu folgen. Elternrath beruhigt immerhin. G e h ' e s wie es will, 15

hab' ich doch diesen Trost I

Überdiß hab' ich Freunde in meinem Kloster, die ich schwerlich

irgendwo finden würde. Mein Neufer thut seine Pflicht redlich,

wann die Grillen sich einstellen. Und diese können sich kaum noch

einstellen, wann ich nicht beschäftigt bin. Ich hoffe, es soll alles noch 20

gut gehen. Der schwarze Rok darf also wol gemacht werden.

Schiken Sie nur das Tuch hieher, wann Sie's nicht inkommodirt. Die

runde Weste macht mir keine Verantwortung. Heute Abend hat

Vischer das erstemal gepredigt. Übers Jar, so Gott will, werd ich auch

die Kanzel betretten. Vieleicht gefall' ich mir bis dorthin noch besser 25

in der Geistlichen-Uniform.

Für das überschikte dank' ich herzlich. Ich will sehen, ob ich der 1.

Rike das nächstemal nicht eine Einladung zur Fr. Baas Schwabin

schreiben kan. Man mus sie nur aufs Capitel bringen. W a r u m die Jfr.

F. ihre Briefe gern in meine eingeschlossen hätte, seh' ich nicht ein. 30

(Diß der 1. RikeI)

48

Page 60: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 178 8 - 1 7 9 3 Nr.29.30

Daß Gentner genesen ist, freut mich herzlich. Bilfinger hat

schwerlich ein Kleid zu verkaufen. Er trug auf die Lezte immer Ein

einziges grobes Kleid.

35 Hier die schwarze Wäsche.

50. AN LOUISE NAST

Liebe, gute Louise!

Noch nie fühlte ich den Werth Deiner edlen Seele stärker, sah nie

meinen Abstand von Dir deutlicher, als bei Deinem lezten 1. Brief.

0 könnt' ich zu Deinen Füßen den trüben Augenblik Dir abbitten,

5 den ich Dir vieleicht durch meine trübsinnige Laune machte, könn-

test D u sehen, wie unwürdig Deiner so unbeschreiblich edeln Liebe

ich mich in dem Augenblik fühle, wann ich daran denke, daß meine

Grillen die Achtung, die ich ewig für Dich habe, u. haben soll, so un-

verzeihlich bei Seit sezten. Louise! Louise! liebes herrliches Mäd-

10 chenl und D u antwortest mir mit dieser himmlischen Güte? liebst

mich noch eben so heiß ? tröstest mich so zärtlich über meiner freilich

ziemlich traurigen Lage? Täglich, täglich neue Beweise — wie viel

ich an Dir habe — je öfter ich den Brief lese, desto schäzbarer wird er

mir — kein Wort Deiner Liebe entgieng mir, keine Silbe die mich so

15 ganz in Dein schönes Herz sehen ließ. 0 lieber Gott! was müssen das

für seelige Tage sein, da wir auf ewig vereint so ganz für einander

leben — Louise — was werd ' ich da an Dir haben — D u wirst mich

aufheitern in trüben Stunden, D u wirst mir die Lasten, die ich zu

tragen habe, versüßen, D u wirst mich mit der Welt versöhnen,

20 wann ich beleidigt bin. D u wirst mir alles, alles sein — 0 ! ich bin so

glüklich! Ich verspreche Dir von nun an, süßes liebes Mädchen —

von nun an — wann ich wieder so feindseelig schreibe, will ich nim-

mer Dein Hölderlin sein. Was ich diesen Nachmittag für eine seelige

Stunde hatte! ich wolte Deinen lezten Brief wieder lesen — bekam

25 aber einen altern in die Hand — u. dann wieder einen andern — bis

ich endlich alle gelesen hatte — auch den allerersten, liebe Seele! Sie

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Nr.30.31 B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

haben m e i n ganzes Herz schriebst D u damals, u. o Gott ! ich hab '

es noch, nach so vielen Prüfungen, die über Dich ergangen sind,

nach so vielen Leiden, die D u u m mich ausstehen mußtest, hab' ich

es noch, dieses teure Herz, u. nicht wahr, liebe Louise! ich werd es 30

ewig behalten? — Ich mußte innhalten, der Gedanke, daß ich Dein

Herz habe, u. die Erinnerung an all' die W o n n e der Vergangenheit

machte mich ganz weich — es wäre Dir ja auch so gegangen — bei

diesen Gedanken. — Meine 1. Rike ist jezt schon fünf Tage hier. Ich

gehe häufiger aus, als sonst. Sie sagte mir neulich, daß sie die Jfr. 35

Weberin auch in der wöchentlichen Gesellschaft kennen gelernt

habe, u. daß sie bald gute Freundinnen zusammen geworden seien.

So gern ich dem guten Mädchen dankte, daß sie so viel Theil an un-

serm Schiksaal nahm, u. an Jfr. Böhmin die schlechte Freundschaft

der Jfr. Duttenhoferin schrieb, (dann von daher weist Dus vermut- 40

lieh) so kennst D u ja die Wel t , man nennt es indiskret, wann unser-

einer mit Personen Deines Geschlechts, die ihm unbekannt sind,

etwas über Complimentereien schwäzt, u. dann m ü ß t ' ich Gelegen-

heit suchen, sie zu sprechen, u. da weist D u ja, daß ichs nicht gern

thue. Ich kan aber der Duttenhoferin ohnmöglich mehr ein gutes +5

Gesicht machen — deswegen geh ' ich lieber so bald n immer hin.

Neulich mußt ' ich meine Schwester dahin begleiten — ich saß wie

auf Kohlen, bis ich wieder weg war. Übrigens denk' ich dißmal, wie

Bilfinger, daß man sich nichts drum zu kümmern hat. Mögens die

hiesigen Mädchen meinetwegen wissen — welche Dich kennen, müs- 50

sen allemal denken, er ist glüklich! u. das schmeichelt meinem Stolz

noch obendrein. Hier meinen Schattenriß! Es soke mir laid thun,

wann ich wieder so schlecht getroffen wäre. Lebe wohl , liebe Louise!

und vergiß nie

Deinen 55

Hölderlin.

31. AN LOUISE NAST

Dank! tausend Dank, liebe Louise, für Deinen zärtlichen trösten-

den Brief! Er hat mich wieder froh gemacht. Ich glaube wieder an

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B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3 Nr.Jl

Menschenglük. Die Blumen machten mir unbeschreibliche Freude.

Ich schike Dir den Ring, und die Briefe hier wieder zurük. Behalt

5 sie, LouiseI wenigstens als Andenken jener seeligen Tage, wo wir so

ganz für uns lebten, daß uns kein Gedanke an die Zukunft trübte,

keine Besorgniß unsere Liebe störte. Und weiß Gott! LouiseI ich

muß offenherzig sein — es ist und bleibt mein unerschütterlicher

Vorsaz, Dich nicht um Deine Hand zu bitten, bis ich einen Deiner

10 würdigen Stand erlangt habe. Unterdessen bitt ich Dich, so hoch ich

kan, gute, teure Louise! Dich nicht durch Dein gegebnes Wort, blos

durch die Wahl Deines Herzens binden zu lassen. Du wirst es für un-

möglich halten, gute Seele, einen andern zu lieben, wie Du mir

schon so oft bezeugt hast — aber so mancher liebenswerthe Jüngling

IS wird indessen Dein Herz zu gewinnen suchen, so mancher achtungs-

würdige Mann um Deine Hand Dich bitten, ich will heiter Dir Glük

wünschen, wann Du einen würdigen wählst, und Du wirst dann

erst einsehen, daß Du mit Deinem mürrischen, mismutigen, krän-

kelnden Freunde nie hättest glüklich werden können. Sieh 1 Louise I

20 ich will Dir meine Schwachheit gestehen. Der unüberwindliche

Trübsinn in mir — aber lache mich nicht aus — ist wol nicht ganz,

doch meist — unbefriedigter Ehrgeiz. Hat dieser einmal, was er will,

dann, und bälder nicht, werd' ich ganz heiter, ganz froh, u. gesund

sein. Du siehst jezt den eigentlichen Grund, warum ich den freilich

25 zu raschen Vorsaz faßte, unser Verhältniß äußerl ich anders stim-

men zu wollen. Ich wolte Dich nicht b inden , weil es ungewiß ist,

ob jener mein ewiger Wunsch jemals erfüllt, ob jemals dieser — eben

menschliche — Ehrgeiz befriedigt wird, ob ich also jemals ganz heiter,

ganz froh und gesund werden kan. Und ohne diß würdest Du nie

30 ganz glüklich mit mir sein. Unsre Liebe könnte die nemliche blei-

ben, aber desto mer müßten Dich meine böse Launen, meine Klagen

über die Welt , u. was der Thorheiten mer sind, die mir zur andern

Natur worden sind, diese würden Dich desto mer schmerzen, je

stärker Du mich liebtest, und je stärker sonst in guten Stunden

35 me ine Liebe zu Dir wäre. Aber treulos kan ich nie werden. Und

wirst auch Du nie. Denn das ist nicht treulos, wann Du auf Bitten

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Nr. 31. 32 B R I E F E 178 8 - 1 7 9 3

Deines Geliebten, der aus Überzeugung, daß er Dich nie so glüklich hätte machen können, als der Würdigere — Dich bittet! wann Du alsdann den würdigern wählstI das ist nicht treulos! Du würdest immer noch, als beglükende Gattin eines andern, an den Freund +o Deiner Jugend denken, und Deine vorherige Liebe zu ihm würde blos durch den Gedanken eingeschränkt werden, wegen s. unbe-zwinglichen drükenden Schwachheiten würdest Du nie ganz glük-lich mit ihm haben sein können. Und so würdest Du gewiß nie treu-los ! Und ich würde denken, meine Liebe ist nicht für diese Welt I u. +5 mich Deines Glükes freuen, weite mir so gar getrauen. Dich an der Seite Deines Gatten zu sehen — u. euer beider Freund zu sein.

Ich weis schon, Liebe, was Du mir darauf antworten wirst. Ich hätte vieleicht auch gar nichts davon geschrieben, wann ich Dir gern nur einen einzigen Zug in meinem Charakter verbergen möchte. so Lebe wohl, teures einziggeliebtes Mädchen! Ewig

Dein Hölderlin.

32. AN D I E M U T T E R

Liebste Mamma!

Weil ich das leztemal nicht geschrieben habe, so will ichs jezt thun. Es dürfte aber wohl noch eine andre Ursache dabei sein, warum ich schreibe, nemlich — was ich schon lange nicht mer getan habe, Sie um Geld zu bitten. Ich muß Ihnen nur gestehen, ich be- 5 hielt einige Conto, z. E. den für den Hut vor mich, um Ihnen nicht so viel Ausgaben zu machen, u. in der gewissen Hofnung, sie von meinem Taschengeld zu zahlen, u. mir sonst abzubrechen, daß ich Ihnen nicht beschwerlich fallen müßte. Allein — wie viel unerwar-tete Ausgaben ich hatte, wie viel mir noch von 30 f. übrig blieb, wis- lo sen Sie, ich gab die lezten 8 f. vollends für Conto aus, weil Sie sagten, Sie wollen gleich den nächsten Bottentag darauf mir die unvermeid-lichste Ausgaben ersezen. Aber nötigere Ausgaben hinderten Sie, mir das gütige Versprechen zu halten. Stellen Sie sich vor, liebste Mam-

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B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3 Nr.32

15 mal wie ich mich behelfen mußteI Die ganze 8 Tage, da der Markt war, schloß ich mich ein, um ja nicht in Versuchung zu kommen, Geld auszugeben, und solches zu entlehnen, allein unvermeidliche Verlegenheiten zwangen mich, etwas zu entlehnen. Die 3 f. also, die ich neulich erhielt, waren auch nimmer zu meinem Gebrauch, u. ich

20 mußte neulich wieder von einem guten Freund entlehnen, als mich der Rheinwald von Urach besuchte, u. bei mir über Nacht blieb. — Ich bin offenherzig gewesen, liebe Mammal zürnen Sie mir.nicht! Der Gedanke, daß Sie mit mir zufrieden wären hielt mich bisher allein, daß ich nicht in den alten Lebensüberdruß fiel. Daß ich in

25 der Lokation um die zwei Stutgarder, Hegel u. Märklin hinunterge-kommen bin, schmerzt mich eben auch ein wenig.Wie gut habens andre, die ununterbrochen durch solche Schulfüchsereien in ihren Studien fort machen körmen! — Und daß ich von einer Person, die mir so teuer war, über meine Veränderung, die sie selbst für nötig

30 einsah, u. die mich tausend Kämpfe kostete, Vorwürfe hören muß, daß ich denken muß, du machst dem Mädchen traurige Tage — 0 liebe Mammal so viel hab' ich doch nicht verdient!! — Aber hab' ich doch ein gutes Gewissen, u. weiß mich unter meinen Büchern zu trösten, u. das ist herrlich! Ich wäre vieleicht schon oft auf Irrwege ge-

35 kommen, wenn mein Loos nicht wäre, mehr zu dulden, als andere.

Ich weiß, Sie stimmen hieriim volkommen mit mir überein; denn wenn ich dulden will, darf ich nur Ihrem Beispiel folgen. Freilich ists mir auch angebohren, daß ich alles schwerer zu Herzen nehme, aber ich danke Gott dafür, es bewahrt vor Leichtsinn.Werden Sie

•0 nicht ungehalten über meinen Brief, liebste Mamma 1 aber es wäre in keinem Fall recht gewesen, wenn ich weniger vom Herzen weg geschrieben hätte. Leben Sie wohl, liebste Mamma! grüßen Sie den guten Carl.

Ihr +5 gehorsamster Sohn

Hölderlin. Den Bilfinger bedaure ich. Noch mehr seine Eltern. HE. Prof:

Seiffert ist wirklich hier.

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Nr.}} B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

33 . A N D I E M U T T E R '

Liebste Mamma I

Wie ser mich Ihr gütiger Brief gefreut hat, kann ich Ihnen nicht beschreiben. Das überschikte soll wol angewandt, und die Ausgaben-berechnung auch allmälig in Aufname gebracht werden.

Rümelin ist zu bedauren. Und ich möchte die Behandlung gerade 5 in s. Lage, gerade als er im Ernste sich besserte, wol etwas mer als strenge nennen. Überhaupt ists unbeschreiblich, unter welchem Druke das Stipendium wirklich ist. Doch lassen sich derlei Sachen besser erzälen, wenn ich diesen Sommer einmal einen kleinen Be-such in Nürtingen mache. Übrigens kann ich Sie versichern, daß ich lo mit meinen Freunden, bes. Neufer und Magenau so zufrieden hin-lebe, als möglich. Wir sizen fleißig an unsren Schreibepulten, nicht weil wir müssen, sondern well die Freude des Studirens mit jedem Tage, den ich weiter fortrüke, auch größer wird. Und da sind wir so wenig als irgend jemand Mishandlungen ausgesezt.Wir drei haben 15 auch ein weiteres Feld vor uns als jeder andre, weil die Muse gleich ein saures Gesicht macht, wenn ihre Söhne einzig und allein auf dem philosophischen und theologischen Altare opfern. Und überdiß hab ich noch besonders Candidatengeschäfte. Diß erinnert mich, daß ich Sie bi tte, liebe Mamma 1 mich nicht vergessen zu lassen, in einem der 20 nächsten Bottentage Ihnen die Liste der Ausgaben, die ich zu Ende dieses Sommers als Candidat haben werde, zuzuschiken. Es ist so ge-wönlich, und ich halte es für gut, weil Sie sich doch einigermaßen darnach einrichten.

Der Brief an die 1. Rike ist auf der Stelle, da ich ihn bekam, durch 25 den Botten der eben abgehen wolte, nach Reutlingen promovirt worden.

Leben Sie wol. Ihr

gehorsamster Sohn 30 Friz.

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B R I E F E 178 8 - 1 7 9 3 Nr.}*

34 . A N D I E M U T T E R

Liebste Mammal

Für das überschikte dank' ich gehorsamst. Daß ich mit den Klei-dern für lieb nehme, ist meine Schuldigkeit. Haben Sie doch der Aus-gaben ohnehin so viele mit mir. Ich will Ihnen einstweilen die

5 Magisteriumsausgaben überhaupt schreiben, so wie ich sie mir von Fischer habe sagen lassen.

In den Viscus — die Kasse, die den HE. Professoren in die Fike fällt, — nemlich für das Ma^istriren 30 f. Für Disputiren 30 f. wovon ein Carolin, HE. Prof. Bök, unter dem ich disputire, das übrige, dem

10 Buchdruker, und Buchbinder gehört. Für die Kollegien, die zum Teil dieses halbe Jar teurer bezahlt werden müssen, weil man sie uns ein-zig ließt, beinahe wieder 30 f. Die Nebenausgaben z. E. das Essen im Wirtshaus, das jedesmal, nachdem wir des Vormittags sogenannte Theses verteidigt haben, gebräuchlich, und auch notwendig ist, weil

15 wir nicht zu unsrem Klosteressen können, getraue ich mir mit 11 f zu bestreiten. Ich bitte Sie recht, liebe Mamma, daß Sie den Brief einem Manne, der die Affaire auch mitgemacht hat, oder sonst genau weißt, vorzeigen; er mag Sie überzeugen, daß ich unmöglich weniger brauchen kann. Freilich ists ärgerlich, da die ganze Sache so urmüz

20 ist. Meinetwegen könnten alle Magisters und Doktors-Titel, sammt hochgelahrt und hochgeboren in Morea sein.

Es freut mich daß Camerer so gut für mich sorgen wolte wegen den Schnallen; allein ich sehe nicht ein, warum ich den Handel hätte nicht eingehen sollen. Des Märkl. Schnallen waren kaum 14 Tage

25 getragen.Wägen 8 Lothe wie meine alten. Diese mußten umgegos-sen werden. Ich wolte sie eben so gießen lassen, wie Märklins, und der Silberarbeiter forderte 4 f. Märkl. sah bei dem Silberarbeiter an-dere Schnallen, die mir zu affectirt gewesen wären; er wolte diese; er offerirte mir also den Handel. Meine Schnallen nahm der Silber-

30 arbeiter um 10 fan. Die ich jezt habe, kosteten vor 14Tagen den M. 16 f. und für die neue, die er jezt trägt, mußt er zu meinen alten noch

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Nr. 14. IS B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

9 fl aufgeben. Und daß ich gut Silber bei meinen neuen Schnallen habe, bürgt mir die Probe. Ich sehe also nicht ein, daß der Heindel etwa unklug gewesen wäre. Ich konnte wegen der Eile neulich die Sache nicht so umständlich schreiben. 35

Hier folgt die schwarze Wäsche. Der I. Rike schreib' ich nächsten Bottentag. Ihr Brief ist ja ohnediß erst halb zu Ende. Ich bin

Ihr gehors. Sohn

Friz. 40 35 . A N N E U F F E R

Lieber Bruder 1

Warum ich Dir so lange nicht geschrieben habe, hat Dir gewiß längst geahndet — Laider I laiderl aus bösem Gewissen.

Video meliora proboqite Deteriora sequor. 5

Doch so ganz schlimm stehts eben nicht. Aus Gelegenheit einer Auc-tion, wo ich freilich keinen Beruf hatte, kam ich Ihr nahe — erst kalte Büke — dann versönliche — dann Complimente — dann Erinnerun-gen und Entschuldigungen —1 so wars von beiden Seiten. Seelenver-gnügt gieng ich weg, nahm mir aber doch bei kälterem Blute vor, lo wie zuvorj den zurükhaltenden zu spielen, und bin bisher meinem Vorsaz getreu gewesen — das heißt — im Durchschnitt! Ein anders-mal geh'n wir mer ins Detail. Ich bin zum Stoiker ewig verdorben. Das seh' ich wol. Ewig Ebb' und Fluth. Und wann ich mir nicht im-mer Beschäftigung verschafte — oft aufzwänge, so wär ich wieder der 15 Alte. Du siehst, Herzensbruder! »mein beßres Selbst willig« — wirst mir also verzeihen, wirst mich leiten wo es noth ist, aufheitern, wo es Noth ist. — Mit den Büchern und Markknochen hab' ich noch nicht Wort gehalten. Leibniz und mein Hymnus auf die Warheit haußen seit einigen Tagen ganz in m. Capitolium. Jener hat Einfluß 20 auf diesen. Hältst Du es der Mühe werth, so will ich den Gesang an die Unsterblichkeit umarbeiten. Zu Deinem Maro allen Seegen Apolls! Du kanst am Abend ein artiges »Vixi« sprechen, wenn Du

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B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3 Nr.}J.}6

Deine Tage so verlebst, wie Du mir schriebst. Schike mir Deine neue 25 Gedichte — oder Fragmente oder Plane davon. Du machst mir dann

ein heiteres Stündlein mer. Reußens Gedicht auf Abels Abschied hat hin und wieder gute Stel-

len, wie mir deucht. Tausend Grüße dem Stäudlinischen Haus. Hast Du den Helvetius gekauft? — Von Kind, Magenau, Breitschwerd,

30 Wieland und vielen andern herzliche Grüße. Weist Du nichts von Stäudlins Allmanach, welche Gedichte er

dazu spendet, und wer sonst sein Scherflein beiträgt? Kanst Du mir nichts von Schubart erzälen? —

Lebe wol. In nächster halben Stunde wird uns der Durchlauchtige 35 heimsuchen. Lebe wol, lieber Bruder I

Dein Hölderlin.

56 . A N D I E S C H W E S T E R

Guten Morgen, liebe Rikel

Dißmal muß ich vor Dir zu schänden werden. Mein Kopf ist vom langen Nachtwachen so schwer diesen Morgen, daß ich alle Mühe habe, etwas auf das Papier zu bringen, geschweige, daß dieses Etwas

5 so voll guter heller Laune werden sollte, wie Dein lieber Brief war. Daß Du die Verlegenheit der harten Köpfe im Briefschreiben, in der ich wirklich wieder bin, auf Dich anwendest thut mir wehe. So solst Du's nimmer machen, Schwesterlein!

Heute haben wir großen Markttag. Ich werde, statt mich von dem 10 Getümmel hinüber und herüberschieben zu lassen, einen Spazier-

gang mit Hegel, der auf m. Stube ist, auf die Wurmlinger Kapelle machen wo die berümte schöne Aussicht ist. .

Wie mirs auf m. Stube gefalle? Herrlich, liebe Rike. Mein Repe-tent ist der beste Mann von der Welt. Das Zimmer ist eins der besten,

15 liegt gegen Morgen, ist ser geräumig, und schon auf dem zwoten Stokwerk. Sieben von meiner Promotion sind drauf. Ich darf Dir nicht erst sagen, daß das angenemer ist, als 6 andere Unbekannte.

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Nr.36. 37 B R I E F E 178 8 - 1 7 9 3

Und die Wenigen andern sind auch brave Leute, darunter Breier und Schellin g.

Dem 1. Carl zur Betrettung des bürgerlichen Rednerstuls meinen 20 Glükwunsch. So sei Demosthenes und Cicero dagestanden vor ihrem Volke. Nur daß die Scene etwas weitläufiger gewesen sei. Er soll nur ein rechter Mann werden, der 1. Carl. Denken und schaffen, in jedem Augenblike, wo s. Natur es vermag. Höre, Rike! es ist ein wunder-lich Dingl der Wunsch, was zu lernen, kan jeden andern 25 Wunsch verschlingen I Glaube mir das.

Lebe wol. Für das Überschikte tausend Dank. Lebe wol, l.Rikel

Dein zärtlicher Br. 30

Friz.

Wenn Du noch merere von m. Papieren findst, so schik sie mir doch! Es feien mir noch einige.

37. A N D I E S C H W E S T E R

Liebe Rike 1

Da mach' ich mich auf in meinem düstern Stüblein, seze mich ans Fenster, blike gegen Morgen, meinem lieben Nürtingen zu, und schreibe — um gute Bottschaft zu bringen. Fürs erste kann Dir als gute Botschaft gelten, weil Du mich so lieb hast, daß ich, ohngeachtet 5 meines eingeschlossenen Lebens, das ich immer ziemlich getreulich beobachte, meinem Vorsaze gemäß, von dem ich Dir oft vorsagfte, daß ich demohngeachtet auch am Körper brav gedeihe, und selten Runzeln auf der Stirne trage, denn Runzeln müssen doch für Trän-lein gelten, wenn sich keine Tränlein mer einstellen wollen, die 10 einem einst so leicht waren. Fürs zweite heiß' ich das gute Bott-schaft, daß ich die 1. Mamma versichern kann, Sie dürfe sich nicht nur für jezt keine Sorge machen, wegen meiner Börse, sondern Sie sei auf diesen Winter der Mühe beinah ganz überhoben, mir Zu-

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B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3 Nr.37.38

15 Schuß ZU schiken. Ich bin bei einem Berner Edelman, Namens von Vellenberg zum Unterricht im Lateinischen und Griechischen vor-geschlagen worden, und werde monatlich 5 f bekommen. Er ist ser artig u. in meinem Alter. Studirt hier unter der Aufsicht eines Hof-meisters mit vier andern Edelleuten aus der Schweiz.

20 Die liebe Mamma ist also einigermaßen schadlos gehalten von wegen ihrer unvermuteten Ausgabe. Den guten Karl bedaur' ich, daß er so bald ein bitter Kräutlein im Schreiberstande findet. Sag ihm,.ich habe ein Kräutlein gefunden, das jenes bittre ganz verges-sen mache. Es sei — Beschäftigung des denkenden Geistes. — Ob wir

25 nicht zu dem Ende kleine Aufsäze wechseln wolten, mein Karl und ich? — ob er mir nicht in glüklichen Stunden die Frage außeinander-sezen wolle: wie gelangt man zur waren Zufriedenheit? Ich will auch einen kleinen Aufsaz drüber machen, und dann, wenn Karl den seinen mir geschikt hat, ihm auch den meinen kommuniziren.

30 Oder solte ihm eine andre Materie gerade geläufiger sein, er soll sie wählen, one Rüksicht auf meinen Vorschlag, und ich will dann auch s. Materie wählen. Mir ist äußerst viel dran angelegen, daß der liebe Karl meinen Plan gut heißt. Ich hoff' es. Ich erwarte bald einen Auf-saz.

35 Dein zärtlicher Br.

Friz.

Den Markt über kam ich selten aus dem Zimmer. Also auch nicht nach Reutlingen. Die Vischerin, ihre Schwester und ihren Schwager

40 sprach ich hier doch. Lezten Samstag kam auch Kammerer hieher, u. gieng gestern, als am Monntag, wieder zurük.VieleEmpfele! von ihm.

3 8 . A N D I E S C H W E S T E R

Liebe Rike!

Verzeih! ich bin verschlafen. Habe kaum noch zu etlichen Zeilen Zeit. Ich bin ärgerlich über mich, daß ich Deinen lieben Brief so kurz

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Nr.3S.39 T, R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

abfertigen muß. Du nimmst mirs nicht übel Rike! Ein guter Schlaf ist doch auch gesund. 5

Sage der 1. Mamma, Sie möchte unbesorgt sein, ich werde meinen Informatorsstand so einzurichten suchen, daß mer Vorteil, als Scha-den herauskommen solle. Die 1. Mamma fragt mich, wer mich so empfohlen hat? — Einer von meiner Promotion M. Klüpfel schlug mich bei HE. Kanzler, der die Bestellung in Kommission hat, vor, lo und der Vorschlag ward in Gnaden angenommen.

Du wirst dem Anfang meines Aufsazes nicht viel Geschmak abge-winnen können; ich wählte zuweilen geflissentlich Ausdrüke, die nur in der sogenannten Gelehrtensprache, oder höchst selten anders-wo vorkommen, um den 1. Karl damit bekannt zu machen. Ich bin 15 begierig, was er mir drüber sagt. Meinem Plan nach füll ich vieleicht noch 2 Briefe an ihn damit aus. Auf einmal kennt' ich unmöglich den gamzen Aufsaz ausarbeiten, weil ich mir so gar wenig übrige Zeit der-malen abgewinnen kan. Und so hätt ich das hauptsächlichste beant-wortet. 20

Lebe wol, liebe Rike I Dein

zärtl. Bruder Friz.

39. AN D I E S C H W E S T E R

Liebe Rike I

Dein lieber Brief ist nicht so kurz ausgefallen, als Du anfangs dachtest. Aber freilich durch eine traurige Neuigkeit. Der Klein dauert mich unbeschreiblich. Wie doch der Mensch durch einige fal-sche Richtungen so ganz unglüklich werden kann. Hier geht es wirk- 5 lieh still und ruhig zu. Oder vielmer nur bei mir. Man kan sich in kurzer Zeit schnell ändern. Hätte ich es mir bälder zur Natur ge-macht, für mich zu leben, ich würde manchem Verdrusse nicht aus-gesezt gewesen sein.

Ich hoffe mein lieber Karl werde mir das nächstemal desto mer lo schreiben, weil er mich dißmal hat leer ausgehen lassen.

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B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3 Nr.39.40

Von Eßlingen bekam ich vorige Woche 7 f 20 er. Ich mußte aber bald 2 f für ein Buch, das ich vorigen Sommer gekauft hatte, und 2 f 24 er HE. Rep. Gönz für ein Kollegium, das ich vorigen Sommer bei

IS ihm gehört hatte, davon abgeben. Das, was mir die liebe Mamma schikte, war also dennoch wol angelegt. Ich mache dafür meine ge-horsamste Danksagung. So wie auch für das andre überschikte.

Was macht unser Vetter Maier in Denkendorff? gefälts ihm im Kloster?

20 Wirst über die Feiertage immer zu Hause bleiben? Meine Wäsche hab' ich zusammengesucht. Und schike sie hier.

Alle andre, die ich noch habe, ist frischgewaschen. Neufer ist nun auch wieder hier. Er empfielt sich. Mir ists ser lieb,

daß ich Ihn wieder um mich habe. 25 Ich wollte mich schon einigemal nach der 1. Frau Grosmamma er-

kundigen. Vergaß es aber jederzeit. Schreibe mir, ob sie wohl ist. Ich bin

Dein zärtlicher Bruder

30 Friz

Dürft ich mir nicht die Rappiere ausbitten, die ich zurükließ. Ich habe eines davon entlehnt, und möcht' es wieder heimgeben.

4 0 . A N D I E M U T T E R

Liebe Mammal

Silberne Schnallen hab' ich bisher nach vielem Suchen nicht fin-den können. Ich werde aber demongeachtet die Hofnung nicht auf-geben, da Ihnen aus dem Tone Ihrer Äußerungen gegen mich zu

s schließen, so viel daran liegt. Den Argwohn, daß ich Ihre Briefe nicht lese, verdien' ich schwerlich. Und was das kurze Briefschreiben anbetrift, so sah' ich schon ser viele Briefe an Eltern schreiben, die ser entfernt, und gewis auch ihren Söhnen lieb waren, und doch faßte man sich gewöhnlich ser kurz.

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Page 73: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.40 B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 5

Ich werde gewis Ihre Liebe nie nach der Länge der Briefe messen. 10 Der 1. Karl schreibt mir auch lange schon nimmer, fragt auch nicht warum ich ihm nicht schreibe, solt' ich deswegen glauben, er liebe mich minder, als zuvor? Verzeihen Sie, liebe Mamma! wann ich etwas schreibe, was nicht recht ist.

Sie haben ganz recht, daß die Reise nach Nürtingen sich nicht wol 15 schiken werde. Ich würde ohnehin auch Nachmittags erst ungerne weggelassen werden, und dann doch den andern Tag wieder kom-men müssen. Überdiß wüßt' ich nicht, wie ich mich schiklich kleiden möchte auf den Ball, wo merere, auch vermutlich viele Tübinger, worunter manche vieleicht eben nicht meine und auch schwerlich 20

Ihre Approbation haben, kommen werden. — Das schien mir komisch, daß die 1. Rike meine, blos um den Raum auszufüllen, hingeschrie-bene Possen so ernsthaft beantwortete. Geld hab' ich freilich keins. Mußte so gar einiges entlehnen. Das wird Sie schwerlich wundern, liebe Mamma! wenn Sie berechnen, was allenfalls für Lichter, Holz, 25

Papier, auch Tobak und zuweilen ein Gemüß, wenn mir das Kloster-essen den Magen umkehren würde, und dann vieleicht alle Sonntage ein Trunk Weins und was die Sachen alle sein mögen, den Monath durch auf die Person komme. — Nächsten Sonntag werd ich wieder predigen; wo ich mit meinem Oekonomus das Mittagsessen selbst be- 30 streiten muß, u. es gewöhnlich ist, auch etwas Wein und Gebaknes dazu zu nehmen.Wollen Sie nicht so gütig sein, und nächsten Monn-tag etwas zum gewöhnlichen hinzulegen, daß ichs dann dem Wirthe bezahlen kann.Wenn Sie meine lezte Predigt noch bei der Hand haben, bin ich so frei, Sie gehorsamst darum zu bitten. Ich habe 35 keine Abschrift davon, so wie ich sie Ihnen geschikt habe. Leben Sie wol, liebe Mamma! Fahren Sie fort, auch bei kleinen Nachlässigkei-ten zu lieben

Ihren gehorsamen Sohn 40

Friz.

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Page 74: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3 Nr.41

41 . A N D I E M U T T E R

Liebste Mamma t

Sie haben mich ganz beschämt mit Ihrer Güte. Ich bin noch so weit hinter Ihnen zurük im Guten, und Sie geben mir so viele Ge-legenheit, Ihnen nachzuahmen. Verzeihen Sie, liebe Mamma I wenn

5 mir ein Wort in meinem vorigen Briefe entfallen ist, das der kind-lichen Ehrfurcht zuwider sein mag. — Mit der Verläugnung der Reise nach Nürtingen ist es mein ganzer Ernst. Ich könnte doch in der kurzen Zeit meines Aufenthalts selten recht um Sie sein, und auf längere Zeit bekomme ich doch keine Erlaubniß. Wenns aber mög-

10 lieh ist, komm' ich noch diesen Monath. — Hier haben Sie meine gestern (als am Sonntage) abgelegte Predigt. Ich war dißmal ein wenig weitläufiger, als in meiner ersten.-Ich führte gerne eine Ma-terie aus, deren genaue und richtige Erkenntniß mir täglich wich-tiger wird. Derjenige Theil derselben in welchem gesagt wird, ohne

15 Glauben an Christum finde, wenn man die Sache genau prüfe, gar keine Religion, keine Gewißheit von Gott und Unsterb-lichkeit statt, ist es, womit ich mich seit einiger Zeit anhaltender als sonst beschäfftige. Ich glaube, es giebt viele gute Christen, die nicht von jenem Saze nach seinem ganzen Umfange überzeugt sind,

20 nicht als ob sie nicht glauben, wenn der Saz ihnen entwikelt wird, sondern weil sie nicht in Lagen kommen, wo sie die ganze Noth-wendigkeit der christlichen Religion von jener Seite kennen ler-nen. Erlauben Sie, liebe Mamma! daß ich Ihnen sage, wie ich nach und nach dahin gebracht wurde. Ich studirte denjenigen Theil der

25 Weltweisheit, der von den Beweisen der Vernunft für das Dasein Gottes und von seinen Eigenschaften, die wir aus der Natur erkennen sollen, handelt, mit einem Interesse dafür, dessen ich mich nicht schäme, wenn es gleich auf einige Zeit mich auf Gedanken führte, die Sie vieleicht unruhig gemacht hätten, wenn Sie sie gekannt hät-

30 ten. Ich ahnete nemlich bald, daß jene Beweise der Vernunft fürs Dasein Gottes, und auch für Unsterblichkeit, so unvollkommen

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Nr.4i.42 B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

wären, daß sie von scharfen Gegnern ganz oder doch wenigstens nach ihren Haupttheilen würden umgestoßen werden können. In dieser Zeit fielen mir Schriften über und von Spinoza, einem großen edehi Manne aus dem vorigen Jarhundert, und doch Gottesläugner 35 nach strengen Begriffen, in die Hände. Ich fand, daß man, wenn man genau prüft, mit der Vernunft, der kalten vom Herzen verlas-senen Vernunft auf seine Ideen kommen muß, wenn man nemlich alles erklären will. Aber da blieb mir der Glaube meines Herzens, dem so unwidersprechlich das Verlangen nach Ewigem, nach Gott 40 gegeben ist, übrig. Zweifeln wir aber nicht gerade an dem am mei-sten , was wir wünschen ? (wie ich auch in meiner Predigt sage) .Wer hilft uns aus diesen Labyrinthen? — Christus. Er zeigt durch Wun-der, daß er das ist, was er von sich sagt, daß er Gott ist. Er lehrt uns Dasein der Gottheit und Liebe und Weisheit und Allmacht der 45 Gottheit so deutlich. Und er muß wissen, daß ein Gott, und was Gott ist, denn er ist aufs innigste verbunden mit der Gottheit. Ist Gott selbst.

Das ist seit einem Jare der Gang meiner Erkenntnisse von der Gottheit. 50

Meiner lieben Rike und Karin, der mir doch auch wieder etwas schiken soll, tausend Grüße. — Es soll mich freuen, wenn der liebe Oncle Pfarrer in Löchgau wird. Vieleicht ist diß das Pläzchen, wo ich einmal etliche ruhige Vikariatsjare leben kann. — Für das überschikte bezeige ich meinen tausendfachen Dank 55

Ich bin Ihr

gehorsamster Sohn Friz.

4 2 . A N D I E S C H W E S T E R

Liebe Rikel

Du hast einen guten Anfang gemacht in unserer endlich erneuer-ten Korrespondenz. Meiner ist um ein gut Theil schlimmer. Ich muß Dir heute ziemlich flüchtig schreiben, aus dem simplen Grunde, weil

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B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3 Nr. 42. 4}

s ich, der strengen Kälte wegen, das Bette länger gehütet habe, wie sonst, und nun der Botte bald geht. Gelegentlich die Neuigkeit, daß vorgestern auf der Alb Schnee, u. gestern ebendaselbst so starker Hagel gefallen ist, daß die von hier merere Stunden entfernte Berge ganz weiß erschienen. Deine Reisebeschreibung hat mir viele

10 Freude gemacht, noch viel mer die Nachricht, daß Du mich diesen Sommer besuchen wilst. Der HE. Helfer hat also lieb Schwesterchen ins Auge gefaßt? — Ich verarg's ihm gar nicht. Wolt' ihm Dich recht herzlich gönnen, wenn er ein braver Mann ist, und Du Neigung zu ihme hättest. Denn das trau' ich Dir zu, liebe Rikel daß Deine

15 Neigung von Überlegung regiert wird, daß Du Herz und Verstand, und auch Glüksumstände, nicht nur Jugend und Wohlgestalt in An-schlag nimmst bei einer Wahl. Nun weiß ich freilich einen Mann, den Du länger kennst, als den HE. Helfer, den Du folglich besser beurteilen kannst; und da kann ich wenigstens Dir nicht Unrecht

20 geben, wenn Dein Herz dem, den Du besser kennst, den Vorzug so lange giebt, bis die Sache sich entscheidet, ob eine Verbindung mit ihm unmöglich, oder möglich ist. Der gute Doktor muß doch bald wissen, ob und in wie viel Jaren er einen Dienst zu hoffen hat, u. bis dahin kann Dich die 1. Mamma gar wol um sich brauchen. Ist eine

25 Trennung notwendig, so findet sich gewiß irgend ein Biedermann, mit dem Du glüklich sein wirst.

Für das überschikte mache der 1. Mamma m. gehorsamsten Dank! Dein

zärtlicher Bruder 30 Friz.

Mein Magisterhemd trag ich wirklich.

4 3 . A N D I E S C H W E S T E R

Liebe Rikel

Das freut mich, daß Dir mein Brief gefallen hat. Ich sprach, wie ich dachte. Und das ist eben nicht das sicherste Mittel, Deinem Ge-schlechte zu gefallen. Und sieh! liebe Rike! hätt' ich ein Reich zu

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Nr.*) B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

errichten, und Muth und Kraft in mir, der Menschen Köpfe und 5 Herzen zu lenken, so wäre das eines meiner ersten Geseze — Jeder sei, wie er wirklich ist. Keiner rede, handle anders, als er denkt, und ihm's um's Herz ist. Da würdest Du keinen Komplimentenschnak mer sehen, die Leute würden nimmer halbe Tage zusammensizen, one ein herzliches Wort zu reden — man würde gut und edel sein, lo weil man nimmer gut und edel scheinen möchte, und dann würd' es erst Freunde geben, die sich liebten bis in Tod, u. — ich glaube auch bessere Ehen u. bessere Kinder. Wahrhaftigkeit! Gottlob! Schwester! daß wir Geschwister Anlage genug zu dieser herrlichen Tugend von unserer teuren Mutter geerbt haben. — is

Die Unterlassungsgründe, die Du mir geschrieben hast, sind trif-tig genug.

Um mich werd' ich immer weniger besorgt, wenn ich der Zukunft denke, denn täglich werd ich mer überzeugt, daß kein Mensch leicht durch gute Tage übermütiger, durch schmale Kost aus der Hand des 20 Glüks hingegen bräver wird, als ich. Und da ist mein höchster Wunsch — in Ruhe und Eingezogenheit einmal zu leben — und Bücher schreiben zu können,one dabei zu hungern.

Lach' mich nicht aus, Schwesterlein! Die Brüder Josephs—one Dich im geringsten deimit zu vergleichen — ich sage, weiland die Brüder Jo- 25 sefs nannten ihn einen Träumer- und der Knabe wurde doch noch ein rechter Mann! Also um mich bin ich, in Ansehung einstiger Bedien-stungen -u . einstigenHeurathens u. Haushaltens wenig besorgt, wenns nur euch gut geht, ihr Lieben! die 1. Mamma gesund und froh unter uns lebt, u. Du einen braven Mann und wenig Hauskreuz dazu kriegst, und so der gute Karl so glüklich wird, wie er's verdient, und verdienen kann!

Adieu, Schwesterlein! Komm bald hieher! Dein

zärtlicher Bruder Friz. 35

Nun sez' ich mich wieder um die Predigt zu machen, die ich mor-gen Mittag abzulegen habe. Ich bin dißmal aufgelegt, recht vom Herzen weg zu reden, u. da wird's leicht gehen. Vom Neuffer ans ganze Hauß eine herzliche Begrüßung!

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B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr. 74

44 . A N D I E M U T T E R

Liebste Mamma I

Der berrok ist wirklich recht gut ausgefallen. Mit den Knöpfen hat es wol noch bis Montag Verzug. Die 1. Rike fährt doch hieher mit der Jfr. Gokin? — Im Schwabbischen Haus ist sie schon angekündet,

s HE. Geheimrath der bis Mittwoch wieder abreißt, fragte mich, ob meine Schwester nicht bald auch wieder hieher komme? und ich sagte ihm, auf den Donnerstag meiner Abreise, welches er ser gütig aufnahm. Meinen Dornenstok hab' ich vermutlich in Nürtingen. Solte er sich finden, so bitt' ich gehorsamst mir ihn zu schiken, weil

10 er mir ein unentbehrliches Meuble ist. Ich hab' im Sinne, 3 Hemb-der, 3 Schnupptücher, u. 3 paar Strümpfe (wegen dem Verreißen) mitzunemen, in einem kleinen Felleisen.Weil wir unsrer dreie (ich u. Hiller, den Sie kennen, u. Memminger) reisen, so kan uns von einem Hauptort zum andern ein Mann der uns die Wäsche trägt,

15 und den Weg zeigt, nicht viel kosten. Solte aber die Sache mir zu teuer sein, so nehm' ich das nötigste zu mir, und lasse das übrige, bis zu meiner Zurükkunft in Schaf hausen bei meinen Landsmänninnen. Die Fr. Zieglerin wird mir vermutlich auch einen Brief mitgeben. Und wenn Sie meinen, es schike sich, so wollt ich Sie gehorsamst

20 gebetten haben, mir von HE. Spezial, oder HE. Helffer einige Ad-dressen nach Zürch oder auch nach Schaff hausen, Kostanz, Winter-thur auszubitten. An Stäudlin wiU ich morgen deswegen schreiben. Auch zu HE. Kanzler will ich deswegen gehen. Ich denke, man muß eine Reiße, die man vieleicht taglebens nimmer macht, benuzen so

25 gut man kan. Ich habe vor einiger Zeit ein Hembd vom Nürtinger Vischer ent-

lehnt. Sollte es sich unter der Wäsche, die Sie wirklich unter Händen haben, befinden, so bitte ich gehorsamst, mir es, bezeichnet zu schiken.

Leben Sie wol,liebe Mammal 30 Ihr

gehorsamster Sohn Friz.

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N r . * ) B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

45 . A N D I E M U T T E R

Liebste Mamma!

Ich kann nun nebst Ihnen vermutlich auch meine liebe Baasen u., so wie ich an Ostern der farende Ritter war, das irrende Fräulein, Schwester Rike bewillkommen — laider nur schriftlich I Ich hätte ser gewünscht, auf einige Tage nach Nürtingen zu kommen, wenn ich 5 hätte hoffen können, Erlaubniß zu bekommen.

Die Neuigkeit, die Sie mir schreiben, beruhigt mich ser — aus Gründen, die Sie werden wol errathen können. Alte Liebe rostet nicht I Das gute Kind dachte immer noch an mich, wie ich mermalen erfuhr — u. hätte mich meine 21järige Klugheit nicht geleitet, so lo war ich vieleicht manchem Rezidiv ausgesezt gewesen. Freilich ge-steh' ich auch mitunter, daß mir die Nachricht auf einige Augenblike das arme Herzgen pochen machte! Doch das gehört nicht hieher! Bei Gelegenheit muß ich Ihnen sagen, daß ich seit Jar und Tagen fest im Sinne habe, nie zu freien. Sie können's immerhin für Ernst 15 aufnemen. Mein sonderbarer Karakter, meine Launen, mein Hang zu Projekten, u. (um nur recht die Warheit zu sagen) mein Ehrgeiz — alles Züge, die sich one Gefar nie ganz ausrotten lassen — lassen mich nicht hoffen, daß ich im ruhigen Ehestande, auf einer friedlichen Pfarre glüklich sein werde. Doch das ändert vieleicht die Zukunft. 20

Verzeihen Sie, daß ich so in den Tag hinein plaudere! Meine 21järige Klugheit ist eben noch ser oft unklug!

Von dem überschikten Gelde sind mir noch 3 Gulden übrig, die ich sorgfältig verwalte. Bis nächsten Bottentag, wo das Sümmchen vermutlich alle sein wird, will ich Ihnen die Rechenschaft vorlegen. 25

Mein Weingeld zieh' ich immer ein. Hab es bisher zuweilen an eine unschuldige Freude zuweilen an ein gutes Buch verwendet. Die-sen Sommer soll es aber blos für nötige Ausgaben gebraucht werden.

Wegen dem Stipendium will ich mein möglichstes thun. Hier schik ich Wäsche. Verzeihen Sie, daß ich mich habe zum 30

zweitenmal an das weiße Halstuch manen lassen.

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B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3 Nr.46

4 6 . A N D I E M U T T E R

Liebe Mamma!

Ich danke Ihnen recht von Herzen für die gütige Theilnahme, mit der Sie sich nach meinem Zustand erkundigen. Laid ists mir aber, daß Sie meine Briefe dazu veranlassen mußten. Es redlich zu sagen,

5 so ists mir nicht immer wohl. So ser ich mich verwahre, so hab' ich doch Morgens manchmal Kolik, und dann öfters Nachmittags Kopf-weh . Und dann hat das innere Leben seine jugendliche Kraft nimmer. Ich bin wenig traurig, und wenig lustig. Ich weiß nicht, ob diß der Gang des Karakters im Allgemeinen ist, daß wir, so wie wir dem

10 männlichen Alter uns nahen, von der alten Lebhaftigkeit verlieren, oder ist mein Studium, oder — mein Kloster schuld. Doch das hätt' ich nicht schreiben sollen. Am Ende sind's Grillen. Mich tröstet die Hofnung mit der Zukunft, und auch die Gegenwart läßt mich an Freuden nicht leer. Ich denke es soll alles noch gut gehen. — Grüz-

15 man hat Erlaubniß bekommen auf vier Tage. Ich dachte neulich nicht daran, daß man schlechterdings einen Brief von Haus muß vor-zeigen können. Möchten Sie nicht die Güte haben, und bis nächsten Bottentag einige Zeilen besonders an mich schreiben — ungefähr »Sie wünschten mich wegen einer weitläufigen Angelegenheit gern

20 auf einige Tage zu sprechen, und die Veränderung würde vieleicht meiner wankenden Gesundheit zuträglich sein.« —

Es würde mich ser freuen, wann ich auch wieder auf einige Zeit mich mit Ihnen mündlich unterhalten könnte, liebe Mamma! — Den lieben Geschwisterigen viele Grüße!

25 Ihr gehorsamster Sohn

Friz. Für das Überschikte meinen gehorsamsten Dank!

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Nr.*) B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

47. A N N E - U F F E R

Tüb. d. 28 iVov. 91.

Lieber Bruder!

Tausendmal hab' ich's mir seit Deinem lezten Brieff gesagt, daß Du noch der Alte seiest, nachsichtig und gut bei all' meinem Undank und meiner Liederlichkeit. Daß ich ein so nachlässiger Schuldner 5 bin, konntest Du leichter entschuldigen mit der lyrischen Unord-nung unsrer Oekonomie; daß ich aber keine Zeile schrieb, wie und wo sich mein Schifflein drehe, das war wieder eine schwere Aufgabe für Deine Verträglichkeit, denn das mußtest Du wissen, daß ich Deiner Theilnahme bedürffe, und daß es öde sein müsse um mich, lo und in mir, das mußte Dich ärgern, daß ich zu faul war, mir eine frohe Stunde zu machen, und mich zu erleichtern bei Dir. Bruder! mir ist, seit ich wieder hier bin, als hätten meine Lieben meine beste Kraft mit sich fort, ich bin unbeschreiblich dumm und indo-lent. Selten giebts lucida intervalla. Und wann ich denke, wie ihr 15 jezt aufwacht. Du und unser Magenau, und so stark werdet durch Freude und Liebe, wie ich so voll Stolzes und Muths war in den Göt-terstunden, die ich drunten feierte bei Dir, daß ich ein ganz andrer Mensch sein könnte, wenn meine Lage nicht wäre, die eben gerade für mich am wenigsten ist, dann möcht' ich freilich weit weg aus 20 dieser Lage.

Aber so ists nun einmal I ganz will ich doch nicht erlahmen. Mein Herzensmädchen hält mich eben immer noch in süßen Ban-den, entfernt sie mich schon von ihr. Aber königlich wird's mir ver-gütet, wenn ich 14Tage und länger darben mußte. So war's gestern. 25 Ich bin deß täglich gewisser, daß Lieb und Freundschaft die Fittige sind, auf denen wir jedes Ziel erschwingen.

Mit dem Hymnus an die Menschheit bin ich bald zu Ende. Aber er ist eben ein Werk der hellen Intervalle, und die sind noch lange nicht klarer Himmel! Sonst hab' ich noch wenig gethan; vom großen 30 Jean Jacque mich ein wenig über Menschenrecht belehren lassen.

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B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3 Nr.47

und in hellen Nächten mich an Orion und Sirius, und dem Götter-paar Kastor und Pollux gewaidet, das ists all! Im Emst, Lieberl ich ärgre mich, daß ich nicht bälder auf die Astronomie gerathen bin.

3S Diesen Winter soll's mein angelegentlichstes sein. Deine Aufträge hab' ich nach besten Kräften besorgt. Der Adler-

wirth hätte mich bald in Hize gebracht. Er habe die Anweisung schon an Uhland abgegeben, sagte er, würde Dir aber dennoch das Geld zuschiken, wär' er sonst bezahlt worden nach der Vakanz. Ich bot

•0 meiner Suada auf, und da kam endlich nach pro u. contra das Resultat heraus, daß er Dir, wenn es möglich sei, den Antheil,* den Du ihm für dieses Jahr am Stipendium versprachst. Dir zuschiken und biß zu gelegnerer Zeit warten wolle. Mit der Kaffeaffaire bin ich noch nicht im reinen. Ich sagte der Sch. daß ich ihr in D. Nahmen 4 f. 42 er. zu

•5 geben habe, sie brachte mir aber beiliegende Rechnungen, und prätendirt 14 f. 24 er. Gieb mir nur die nötige Verhaltungsregeln, die Canaille soll Dich nicht betrügen. Thu' es aber nur bald, Lieberl so lange Du Dich noch ganz der Sache erinnerst. — Saltus dithyram-bicus! Der schwäbische AUmanach ist noch nicht recensirt. Magenau

50 hat mir gestern einen herrlichen Brief geschrieben.Wie ein Kind hab' ich mich gefreut darüber 1 — Wenn Du willst, Lieberl so wollen wir schriftlich unsre Verse recensiren, wie in der güldnen Zeit unsers Bundes 1 Hältst Du was drauf, so sei so gut und rede mit Magenau drüber, wenn er zu Dir kommt 1 Ich wiU ihm indeß auch schreiben.

53 — Daß ich noch im Kloster bin, ist Ursache die Bitte meiner Mutter. Ihr zu lieb kann man wol ein paar Jahre versauren.

Schike mir bald Gedichte von Dir 1 Da genießen sich doch unsre Seelen noch besser, als in Briefen. Gelt Lieberl

Dein 60 Hölderlin.

Hier die Bücher für Deinen HE. Bruder! Tausend Grüße und Empfelungen in Stutgard von mir!

* oder vieleicht machen die 20 f das ganze Stipendium aus ? Um Mis-verstand zu vermeiden.

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Nr.SJ.S4 B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

48 . A N D I E S C H W E S T E R

Liebe Rikel

Danke für mich der Vorsehung! Sie hat groß Unglük von mir und andern abgewendet.

Lezten Samstag nach 9 Uhr Abends gieng Feuer aus im Kloster. Es war auf dem alten Bau in einer entlegenen lange gar nicht ge- 5 brauchten Kammer die voll Stroh lag. Aller Warscheinlichkeit nach fiel ein Funke von vorübergehendem Licht hinein, (denn die Kam-mer hatte keine Thüre) und so hatte sich eine Rauchwolke über dem Kloster versammelt, die den Thürmer aufmerksam machte ehe wir was wußten. Plözhch wird von einem Franzosen, der unser Feurio lo nicht auszusprechen wußte ganz ungeheuer geschrien an einem Zimmer auf dem alten Bau, wo ich gerade Besuch machte — wir hinaus — und die Treppe mit ihm hinab, denn was er wollte, wußten wir noch nicht — aber kaum waren wir die Treppe hinunter, so sahen wir schon am Ende des Ganges den wir erreicht hatten, Feuer zu der 15 Kammer herausschlagen.

Wir sprangen drauf los, die Flammen hatten schon die Balken er-griffen, und durch Feuer und Rauch war schon mein guter Rotaker u. einige andere vor uns hineingedrungen, warffen eine Thüre auf das brennende Stroh, und räumten den übrigen Quark vollens her- 20

aus. Natürlich hielten wir andern uns nicht lange auf, sondern spran-gen um Wasser, denen die im Feuer standen wenigstens so viel mög-hch zu helffen. Keine Gefäße hatten wir nicht außer Bouteillen, wir schrien um Hülffe — sie kam von denen in der Stadt, die das Feuer vor uns bemerkt hatten. Man bedurffte meiner nimmer so notwendig, 25 als mir das Einpaken notwendig war. Ich trug alles auf mein Schlaf-zimmer zusammen, das auf dem neuen Bau ist, u. in HE. Prokura-tors Garten geht, wo ich das notwendigste ins Bette paken und so in den Garten werffen wolte. Denn vor Gedränge dacht' ich würde man bald nicht zum Thor hinaus können mit Bagage, und es war zu so befürchten, daß der Brand äußerst schnell sein werde. Bald wurde

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B R I E F E 178 8 - 1 7 9 3 Nr.48. 49

gerufen, daß es vorbei seie. Der Rauch war aber in dem Stoke, der gerade über dem Feuer lag, lange so stark, daß man vermuthete, das Feuer liege im Fußboden verborgen, und überall aufbrach, vmd da

55 sich nichts zeigte, Wächter stellte die ganze Nacht durch. Ich gestehe, daß ich minder erschroken war, als ich mir von derlei

Unglük vermutet hätte; vieleicht war aber die große Gesellschaft, die gleiches Schiksaal mit mir hatte daran schuld. Keiner gab nur einen Laut von Jammer oder Schreken von sich, außer daß freilich ein un-

40 geheures Feuriogeschrei wegen dem Wassermangel gegen die Stadt hin schallte.

Gottlob daß es so gieng! — Für das überschikte danke ich gehorsamst. Das Päkle von der Jfr.

Kühnin könnt' ich nicht finden. Und nun hab' ich noch eine Bitte •5 an die liebe Mamma; die mir nicht gar leicht vom Herzen geht. Ich

habe nemlich dem Buchhändler den Conto a 13 fl noch nicht bezahlt, und hätte einige notwendige Bücher zu kauffen, die ich doch so lange ich ihm schuldig bin, nicht wol kommen lassen kan. Wann also die 1. Mamma das Geld entberen könnte! — es ist mir außerordentl. laid,

50 daß ich beinahe jedes halbe Jahr einmal der lieben Mamma auf diese Art lästig sein muß. Rede Du auch ein gutes Wort, liebe Rike! Ich bin das Geld nicht auf liederliche Art schuldig geworden. — Nun muß ich schleunig abbrechen.

Dein 55 zärtl. Br.

Friz. Z. Nachricht. Jfr. Nastin in Maulbronn ist mit einem Bruder ihres verstorbenen

Schwagers versprochen, wie ich höre.

49. AN D I E S C H W E S T E R

Liebe Rikel

Tausend Dank für Deinen lieben Brief! Du hattest eben nicht nötig, die Eile zu entschuldigen, mit der Du ihn schriebst.

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Nr.* ) B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

Ich freue mich jezt nur desto mer auf meine Osterferien, da ich wieder so lebhaft erfaren habe, daß es eben bei den lieben Meinigen 5 am besten zu wohnen ist. Ziemlichen Frost hatten wir unterwegs. Schaden hat mir aber die Reise im geringsten nicht angethan. Im Gegenteil find ich sie meiner Gesundheit ser zuträglich. Christ-lieb macht noch seine Danksagung. Wenn mir recht ist, hat der liebe Karl mir einen Auftrag gegeben.Worinn er aber bestand, weiß ich lo nimmer. Das Tischmesser hab' ich auch nimmer gefunden.

Kamerer hätte seinen Umweg wol machen können. Über acht Tagen werd' ich wol etwas bestimmtes schreiben können wegen unserer Statuten. Mir sollte laid thun, wenn sie so eingerichtet wä-ren , daß kein vernünftiger Mensch, one seiner Ehre zu vergeben, sie 15 eingehen, und wenn wir nicht dagegen wirken könnten, denn in diesem Falle — bin ich vest entschlossen, mir eine andre Lage auszu-finden, und sollt' ich auch mein Brod im Schweise meines Ange-sichts verdienen müssen. Gott weis, wie lieb mir die Meinigen sind, und wie ser ich wünsche, nach ihrem Gefallen zu leben, aber un- 20 möglich ist's mir, mir widersinnische, zweklose Geseze aufdringen zu lassen, u. an einem Orte zu bleiben wo meine besten Kräfte zu Grunde gehen würden. Ich hoff' es zur Vorsehung, daß es mir ander-werts auch in Zukunft gut gehen werde, wenn ich nur thue, was ich kann, ein Man zu werden, insonderheit da bis zu der Zeit, wo ich 25 eine geistliche Bedienstung zu hoffen habe, vermutlich die Regie-nmgsform sich ändert. Denn wenn Prinz Wilhelm (als Protestant) auf den Thron kommt, ist die Vergebung der geistlichen Aemter sei-ner Willkür ausgesezt, wie die der weltlichen. — Ich bin bei weitem nicht der einzige der diesen Entschluß gefaßt hat. Der gröste und so beste Theil unserer Repetenten und Stipendiaten will fort, in jenem FaUe. Und war' ich auch der einzige — ich will dennoch alles anwen-den, meine Ehre und meine Kräfte zu retten. Ich wolte viel geben, wenn ich mir eitle Sorge machte — aber ich fürchte —. Die neueren Nachrichten lauten gar nicht gut. Georgi allein protestirte wider des 35 Herzogs Einfälle, wurde aber überstimmt, imd so soll die Sache näch-stens vor sich gehen. Die Sache ist gewiß wichtig. Wir müssen dem

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B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3 Nr.S8.59.tO

Vater lande, und der Welt ein Beispiel geben, daß wir nicht geschaf-fen sind, um mit uns nach Willkür spielen zu lassen. Und die gute

40 Sache darf immer auf den Schuz der Gottheit hoffen. Lebe wol, liebe Rike! Daß nur die liebe Mamma sich nicht zu viel

Sorge macht! Ich darf an das nicht gedenken, wenn ich nicht muth-los werden will. Der Kampf zwischen kindlicher Liebe, und Ehrgefül ist gewiß ein schwerer Kampf. Lebe wol I

45 Dein zärtlicher Bruder

Friz.

5 0 . A N N E U F F E R

War ich doch noch bei Dir, Bruder meiner Seele I Aber so siz ich zwischen meinen dunklen Wänden, und berechne, wie bettelarm ich bin an Herzensfreude, und bewundre meine Resignation. Du und die holde Gestalt erscheinen mir wol in hellem Stunden. Aber die

s lieben Gäste finden eben keinen gar freundlichen Wirth. Mit meinen Hofnungen bin ich fertig geworden, wie ichs wollte. Glaube mir, die schöne Blume, die auch Dir blüht, die schönste im Kranze der Le-bensfreuden blüht für mich nimmer hienieden. Freilich ists bitter, solche Schönheit u. Herrlichkeit auf Erden zu wissen, u. seinem Her-

10 zen, das oft stolz genug ist, sagen zu müssen, sie ist nicht dir be-stimmt! Aber ists nicht thörigt und undankbar, ewige Freude zu wol-len, wenn man glüklich genug war, sich ein wenig freuen zu dürfen. Lieber Bruder! ich habe den Muth verloren, und so ists gut, nicht zu viel zu wünschen. Ich hänge mich an alles, wovon ich glaube, daß es

IS mir Vergessenheit geben könne, u. füle jedesmal, daß ich verstimmt und unfähig bin, mich zu freuen, wie andre Menschenkinder. Ich denke tausendmal, wenn ich nur Dich um mich hätte, es solte bald anders werden. Du kanst Dir nicht vorstellen, wie ich oft die alten herrlichen Tage vermisse, die wir hier zusammenlebten. — Ich will

20 Dich aber nicht weiter plagen mit meinen Grillen. Du hast ein so schönes Leben, daß es Sünde ist, es auch nur auf solche Art zu unter-brechen . Wergo wekte in mir das Andenken an meine kurzen Freuden

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Nr.SJ.S4 B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

neu auf. Ich hatte eine kindische Freude an dem lieben Griechen. Caffro hatte hier großen Beifall. Ich hatte bei dieser Gelegenheit auch wieder Verdruß, der aber zu unbedeutend ist, um weiter davon zu spre- 25 chen. Es sieht doch manchmal lumpig aus in der Menschen Herzen 1 —

In meinem Hymnus an die Freiheit sezt' ich aus Nachlässigkeit in eine Strophe, ein Wort, das nicht hingehört, es heißt »um der Güter, so die Seele füllen

Um der eingestammten Göttermacht, 30 Brüder ach! um unsrer Liebe willen Brüder! Könige der Endlichkeit! erwacht!

Das »Brüder!« in der lezten Zeile macht 2 Sylben zu viel. Sage doch dem lieben Doktor, daß er es wegstreicht. Warscheinlich ist der Druk des Gedichts noch nicht im reinen. Es liegt mir viel daran, eine solche 35 gemeine poetische Sünde nicht vor die Augen des Publikums kom-men zu lassen.

Wenn Du unter Deinen Freunden und Freundinnen bist so denke, wie's dem armen Jungen in Tübingen so wohl wäre, wenn er auch da wäre, und sage, wo Du kannst, und wilst, meine Grüße. Die Noten 40 schik ich, sobald sie abgeschrieben sind. Ich werde warscheinlich einen recht dummen Brief dazu schreiben. Das geht in Einem hin. Sie mag ohnehin keinen schmeichelhaften Begriff von mir bekommen haben. Ich benahm mich immer so linkisch.Wenn ich an die ver-geßne Begleitung beim Abschied denke, möchte ich mir Eins vor die 45 Stirne geben. Aber wie gesagt, mit meinen kindischen Hofnungen bin ich fertig. Und so soll mich's nicht grämen, lachte sie auch überlaut über den kranken Poeten. Aber dazu istIhreSeele zu sanft und gut. Bei Gott! ich werde sie ewig ehren. Der Adel und die Stille in ihrem Wesen kontrastirt ziemlich zu den Geschöpfen hier u. anderswo, die überall 50 bemerkt, und immer wizig sein, u. ewig nichts als lachen wollen. — Nicht wahr. Lieber ? ich habe nun lange Briefe schreiben gelernt ? Was mag die Ursache sein? — Schreib mir auch genau, wie Dirs geht. Warscheinlich giebt diß alsdann das Licht zu meinem Dunkel ab.

Dein 55 Hölderlin.

Rotaker läßt Dich grüßen.

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B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3 Nr.SI

51 . A N D I E S C H W E S T E R

Liebe Rike!

Ich weiß nicht, was am Ende aus unserer Korrespondenz werden wird. Da gehn mir immer tausend Dinge durch den Kopf, womit ich Dich zu meinem Bedauren nicht unterhalten kann. Ich glaube das

5 ist das Glük und Unglük der Einsamkeit, daß alles was man liest oder verfaßt mer in der Seele verarbeitet wird; aber das ist dann freilich schlimm, wenn was anders zu thun ist, daß die unzeitigen Gäste, die Gedanken ans gelesene oder verfertigte, denen, die hergehörten, den Plaz versperren. —

10 Nun wird's bald sich entscheiden zwischen Frankreich und den Oestreichern. In der Elbischen Zeitung heißt es zwar schon, die Fran-zosen seien total geschlagen — aber wohlgemerkt 11 die Nachricht ist von Koblenz aus, dem man nie ganz glauben darf, so bald die Nach-richt vorteilhaft lautet für die Oestreicher. Und was die Nachricht

15 zu einer warscheinlichen Lüge macht, ist, daß gestern in der Stras-burger Zeitung die Nachricht vom löten Jun. datirt eingeloffen ist, Lukner u. Lafayette, 2 französische Generäle haben die oestreichische Armee ganz eingeschlossen, u. hoffen, die Oestreicher zu zwingen, sich auf Gnad' und Ungnade zu ergeben.

20 Es muß sich also bald entscheiden. Glaube mir, liebe Schwester, wir kriegen schlimme Zeit, wenn die Oestreicher gewinnen. Der Mis-brauch fürstlicher Gewalt wird schröklich werden. Glaube das mir! und bete für die Franzosen, die Verfechter der menschlichen Rechte.

Verzeih, daß ich Dich so unterhalte. Aber ich habe ja die Jfr. Staud-as lin zur Vorgängerin. Ich gestehe daß mir ihr Brief äußerst gefiel.

Die Zeit, wenn ich meinen Kurmonat nehme, wird dadurch be-stimmt, wann Prof. Flatt auf einen Monat zu lesen aufhört. Über 8 Tagen werd' ich das gewis wissen, u. dann sichere Nachricht geben.

Für das überschikte meinen gehorsamsten Dank. Adieu, liebe Rike I 30 Dein

zärtlicher Bruder Friz.

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5 2 . A N D I E S C H W E S T E R

Liebe Rike I

Tausend Glük zu Deiner künftigen Lage I — Wenn Du so glüklich dabei bist, als Du's verdienst, u. gewiß Ihn glüklich machen wirst, so wirds gut gehen. Ich hörte indeß tausend Gutes von dem Manne. Im Innersten gerührt laß ich, was Du mir schriebst. Behalt mich 5 eben noch lieb, meine teure Rikel bei frohen Tagen u. der Liebe Deines künftigen Gatten. Du bist am Ziele. Wer weiß, wo der Wind mein Schiflein noch herum bläßt? Ich bin's versichert, daß ich bei unsrer teuren Mutter, vmd bei Dir, Schwester meines Herzens, im-mer noch einen Port findeI 0 ich hab' indessen oft an Dich gedacht. lo Es war doch nicht recht, daß ich nicht blieb. Aber ich wäre immer eine unbedeutende Person dabei geblieben. Freut sich doch die liebe Mamma auch Deines Schrittes unter den Sorgen, die freilich Ihr zärtlich Herz treffen mögen ? Der Himmel weiß, wie es mein herzlich-ster, vestester Vorsaz ist, die lange Mühe, die sie mit mir haben muß, 15 durch Freude einigermaaßen zu vergüten. Ach I ich sehne mich recht nach den Herbstferien, wie wir uns noch beisammen freuen wollen! An die Trennung wollen wir nicht denken, bis es sein muß. Du wirst bleiben, wie Du immer warst. Und Entfemimg trennt ja die Herzen nicht. 20

Meinen kleinen Liebling, das Eichhörnchen hätt' ich freilich auch gerne wiedergesehen. Es thut dem Herzen so weh, wenn etwas in der Natur untergeht! Ich will ihm eine Grabschrift machen, ich ge-steh' es, ich bin kindisch wehmütig geworden über den Tod des guten Thierchens. Es freut mich, daß der 1. Karl seinen Überrest so viel 25 möglich aufbewahrt.

Ich bekam das Paquet erst heute um 10 Uhr, mußte drauf in die Lection, u. jezt nach dem Essen will der Botte plözlich fort. Es ist mir also unmöglich, meine schwarze Wäsche noch einzupaken. An Hembdem wirds mir beinahe fehlen in nächster Woche, wegen der 30

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jezigen Hize. Leb wol, Liebe I Tausend Grüße u. Danksagungen EuchAUent

Das nächstemal mer. Dein

35 Friz. Über 8 Tagen soll die Wäsche gewiß folgen.

5 3 . A N D I E M U T T E R

Liebe Mamma!

Sie werden also zum voraus ein wenig daran gewöhnt, ohne die liebe Rike zu sein 1 — Übrigens der Theil vom nächsten Järchen, den Sie.ohne sie zubringen werden, wird schnell vorüber sein. Und dann

5 haben Sie ja auf ein halb Jar wenigstens 2 Buben im Hause — dann geht der ältere ein wenig in die Welt, u. wer weiß, wie bald der fah-rende Ritter umkehrt. Ich hab es ja noch immer gezeigt, wie wol mir der Mamma Brod schmekt, u. da ist leicht geschehen, daß man drau-ßen das Heimweh kriegt, zumal wenn einen die liebe Mamma so

10 gerne behält, u. vieleicht kaum fortläßt. An den guten Camerer hab' ich indeß schon manchmal gedacht. Ich glaub' übrigens, er wird sich gescheider benehmen, als ich warscheinlich an seiner Stelle thun würde. Des lieben Oncles Genesung freut mich von Herzen. Ich lege den Brief meines HE. Schwagers, u. das Concept vom Brief an Ihn

15 bei. Zu allem Glük hatt ich gerade kein Papier, u. der Brief mußte doch den Tag drauf schnell geschrieben werden, sonst würd ich ihn nicht konzipirt haben, also der 1. Mamma nicht damit dienen kön-nen. Warscheinlich wirds Ihnen ziemlich unleserlich vorkommen. Ich denke aber, Sie werden meinen Silberdruk meist gewohnt sein.

20 Die Wäsche will ich einpaken. Es wird warscheinüch noch Zeit sein, daß ich Ihnen ein Muster von der Weste schike, (ein guter Frevmd muß es noch von Haus beschreiben) — Sie schiken es dann zu Rapp in Stutgard, der ganz gewiß von der Gattung hat, wie ich höre, u. schreiben ihm, er soll den Zeug geradezu hieher schiken, wenn es

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Nr.SJ.S4 B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

Ihnen nicht beschwerUch ist. Dürft' ich um meinen Rok bitten? Ich 25 möchte gerne den Kragen ändern lassen.

Für das übersaiidte Geld mache ich Ihnen meine gehorsamste Danksagung.

Ihr gehorsamster Sohn 30

Friz. Hier auch der Zeug von hier. Das einzechte Muster kostet 20 er.

Die andern 18 er.

5 4 . A N N E U F F E R

Lieber Bruder!

Da hast Du den Brief. Noch ists mir wunderbar im Kopf und Her-zen von den verschiednen Empfindungen, die mich unter dem Schreiben zufälligerweise heimsuchten. Schön ists nicht, daß Du jezt gerade Rache nimmst, und nicht schreibst I Ich las neulich im 5 Propheten Nahum; der sagte von den Assyrischen Burgen, u.Vesten, sie seien, wie überreife Feigenbäume, so daß einem die Früchte ins Maul faUen, wenn main sie schüttle. Und ich war scherzhaft genug, es so ganz für mich auch auf mich anzuwenden. Meiner Treu I lieber Bruder! ich glaube, man dürfte nimmer viel schüttlen, so stände der 10 junge Baum nakt da mit dürren Zweigen. Ich habe hier schlechter-dings keine Freude. Da siz ich fast jede Nacht auf unsrer alten Zelle, und denk' an den mancherlei Verdruß des Tages, und bin froh, daß er vorüber ist! Weil ich mich nicht in die Narren schike, schiken sie sich auch nicht in mich. Wie gut ists dem braven Autenrieth gegan- 15 gen. Freilich ists für die Lebenden traurig, wenn so eine gute Seele in der Hälfte der Jahre dahinmuß 1 Das Stipendium ekelt mich nur noch mer an, seit ich die hirn- u. herzlosen Äußerungen wieder hörte über seinen Tod, und über die andern Neuigkeiten in der Welt.Man trägt sich hier mit einer fürchterlichen Sage über Schubart im 20 Grabe. Du magsts warscheinlich wissen. Schreibe mir doch davon.

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B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 5 N.r.S4.SS

Du glaubst nicht, wie ich so sehnlich immer einem Briefe von Dir entgegen sehe. Es wäre doch auch einmal wieder eine Freude. Du kannst Dir denken, daß es unter solchen Umständen mir schwer

25 wird, so selten an das sanfte, schöne Wesen zu denken, als ich mir vornahm. Ich habe sie nur ganz leise um ihre Freundschaft gebeten. Weiter kan ich nichts wollen. Meine liebe Rike schrieb mir heute auch, daß sie recht lustig in Stutgard gewesen sei. Das gute Kind ist ganz unvermutet Braut geworden .Wir wollen uns recht freuen, lieber

30 Bruder I wenns ihr gut geht. — Von ihrer neuen Freundin, Breierin, schreibt sie ganz begeistert. Hast Du wol was verlauten lassen? Sie hat die Anmerkung gemacht, es wundre sie gar nicht, wenn ein so sanfter Charakter, und so großer Verstand einen Mann oder Jüiigling feßle. — Aber das Wort feßlen ist doch ein hartes Wort! Meinst Du

35 wirklich, daß es anwendbar sei auf den armen Schelm? Du wirst lachen, daß mir in diesem meinem Pflanzenleben neu-

lich der Gedanke kam, einen H3rmnus an die Künheit zu machen. In der That, ein psychologisch Rätsel! — Es ist schon tiefe Nacht. Schlaf wol, lieber Bruder 1 Du träumst warscheinlich schon. So

40 wünsch' ich Dir heiterers Erwachen als ich gewönlich habe. Schreib doch bald Lieberl Thue Dein möglichstes, daß ich auch ein paar Sil-ben kriege von Ihrl

Dein Hölderlin.

5 5 . A N D I E M U T T E R

Es freut mich unendlich, liebe Mamma! daß Sie so zärtlichen An-teil an der Heiterkeit nehmen, die Sie in meinen Briefen finden. Meine Jugendhize schlug den Weg der Melancholie ein. Nun die Hize ein wenig verflogen scheint, bleibt auch, will ich hoffen, das

5 Grillenfangen aus. Man verdirbt sich manche edle Stunde mit fruchtlosen Wünschen u.Träumen. Und werden diese nicht erfüllt, so ist vollends Feuer im Dache. Eins ist aber übrig, das Sie mir nicht billigen werden. Ich kann es kaum von mir erlangen, in so manche

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Nr.*) B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

Gesellschaft, worinn aufgenommen zu sein, ich für hohe Ehre achten sollte, wie die Leute meinen, in so manche Gesellschaft mit ihren lo Thorheiten u. Alfanzereien mich zu schiken. Diß will aber ja nicht heißen, liebe Mamma, als ob ich meine Visiten nicht pflichtschuldigst abstattete. Die Gesellschaften, von denen ich redete, betreffen meist die jüngere Welt.

Um aber von meinem Thun u. Wesen abzukommen, will ich die 15 kindliche Bitte an Sie thun, liebe Mammal wegen dem Kriege sich nicht zu viel Sorge zu machen.Warum sollen wir uns mit der Zu-kunft plagen? Was auch kommen mag, so arg ists nicht, als Sie vieleicht fürchten mögen. Es ist wahr, es ist keine Unmöglichkeit, daß sich Veränderungen auch bei uns zutragen. Aber gottlobI wir 20

sind nicht unter denen, denen man angemaßte Rechte abnemen, die man wegen begangner Gewaltthätigkeit u. Bedrükung strafen könnte. Überall, wohin sich noch in Deutschland der Krieg zog, hat der gute Bürger wenig oder gar nichts verloren, u. viel, viel gewon-nen . Und wenn es sein muß, so ist es auch süß imd groß, Gut u. Blut 25 seinem Vaterlande zu opfern, und wenn ich Vater wäre von einem der Helden, die in dem großen Siege bei Möns starben, ich würde jeder Träne zürnen, die ich über ihn weihen woUte. Rürend ists und schön, daß unter der französischen Armee bei Mainz, wie ich gewiß weiß, ganze Reihen stehen von 15 u. 16järigen Buben. Wenn man sie 30 ihrer Jugend wegen zur Rede stellt, sagen sie, der Feind braucht so gut Kugeln u. Schwerder, um uns zu tödten, wie zu größem Solda-ten, u. wir exerziren so schnell als einer, u. wir geben unsren Brü-dern, die hinter uns im Gliede steh'n, das Recht, den ersten von uns niederzuschießen, der in der Schlacht weicht. Aber der Bote will fort. 35 Leben Sie wol liebe Mamma!

Ihr gehorsamster Sohn

Hölderlin.

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5 6 . A N N E U F F E R

Lieber Bruder I

Hat je meine Bitte etwas bei Dir gegolten, so laß es jeztl Komm zu mir. Ich habe Deiner so nötig. Meine Mutter erwartete Dich ganz zuverlässig mit mir und hat mir aufgegeben, Dich jezt wieder einzu-

5 laden. Der Gentner sollte es auch thun. Ich glaub' aber, er hat's ver-gessen. Einige Tage kannst Du doch Deinen Geschäften und Deinen Freuden abbrechen.

An D. Stäudlin m. Empfehl. Ich habe s. Commission ausgerichtet. Hofrath Bilfinger woU' ihm eine Parthie von der Ehescheidung zu-

10 weisen. Hast Du die Lebr. auch unterdeß gesehen? oder gesprochen?

Schreib mir doch. Inliegenden Brief schikst Du so bald möglich an die Bardili in

Expeditionsrath Jäger's Haus bei der Spitalkirche. Leb wol, Lieber. 15 Komm fein gewiß.

Dein Hölderlin.

57. A N N E U F F E R

Ich versprach Dir, lieber Bruder I dißmal gewiß zu schreiben. Ich habe gut Wort halten. Du bist mir wieder so lieb geworden, alter HerzensfreundI Siehl ich dank' es meinem Schiksaal tausendmal, daß es Dich mir wiedergab, gerade da, wo all' meine schönen Hof-

s nungen zu welken anfiengen. Unser Herz hält die Liebe zur Mensch-heit nicht aus, wenn es nicht auch Menschen hat, die es liebt. Wie oft sagten wirs uns, daß unser Bund ein Bund sei für die Ewigkeit. Das hatt ich alles vergessen, ich Thorl Warlich, ich bin ein kleiner Mensch, daß Kindereien Dich mir entlaiden konnten. Im Grunde

10 war's aber doch kein so armseeliger Zwist. Du warst verändert; Deine Herzensangelegenheiten machten Dich so unbestimmt; Du kanntest Dich selbst nicht; wie solt' ich Dich kennen? als den, der

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Nr.S7 B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

m e i n e erste F r e u n d s c h a f t , u n d dessen F r e u n d s c h a f t m i r l i e b e r , als

m e i n e erste L i e b e w a r . D u m u ß t e s t d e r w i e d e r w e r d e n , d e r D u in

d e r g l ü k l i c h e n Z e i t u n s e r e r g e m e i n s c h a f t l i c h e n F r e u d e n , u n d H o f - 15

n u n g e n , u n d B e s c h ä f t i g u n g e n w a r s t , sonst w a r s g e s c h e h e n u m

u n s e r e F r e u n d s c h a f t . A b e r g o t t l o b ! i ch k e n n e D i c h w i e d e r . U n d i ch

g l a u b e , w i r d a n k e n es m e i s t d e r w o l t ä t i g e n L i e b e . D e i n I n t e r m e z z o

m i t d e r H a f n e r i n t a u g t e n i c h t s . S ie k a m m i t R ö ß l i n n a c h N ü r t i n -

g e n . D e r K u m m e r p l a g t sie n i c h t . D a s sei D i r z u m T r ö s t e g e s a g t . S ie 20

w a r ser lust ig m i t R ö ß l i n . Es g a b m i t u n t e r z i e m l i c h a l b e r n e S p ä ß e .

Ü b e r h a u p t ge f i e l sie m i r g a n z u n d gar n i c h t . I h r e N a t u r m o c h t e g u t

s e i n . A b e r d i e l i ebe N a t u r ist d u r c h L e i d e n s c h a f t , u n d G e f a l l s u c h t e r -

b ä r m l i c h v e r h u n z t . E t w a s W i z , u n d S i n n l i c h k e i t d i e F ü l l e ! das ists,

w a s h i n t e r d e r a r t i g e n O b e r f l ä c h e s e i n W e s e n t r e i b t , u n d w e i t e r 25

ü b e r a l l n i c h t s .

N u n bist D u f r e i l i c h a u f b e s s e r e m W e g e . G i e b n u r a u c h z u w e i l e n

N a c h r i c h t aus D e i n e m Parad iese . H i e r zu L a n d ists w ü s t u n d l eer ,

u n d d ü r r e , w i e es i m S o m m e r d ü r r e w i r d . Se la .

M e i n e H e r z e n s k ö n i g i n ist ja n o c h b e i e u c h d r u n t e n . I c h v e r m i s s e 30

das -gute M ä d c h e n r e c h t o f t .

S täudl ins H i e r s e i n w a r f ü r m i c h e i n Fes t tag . F r e i l i c h h ä t t ' es n o c h

g r ö ß e r n J u b e l a b g e g e b e n , w e n n e in g e w i s s e r a l ter K a m e r a d sich hät te

a u f e i n e n T a g aus d e m see l i gen Z a u b e r k r a i s e l o s m a c h e n k ö n n e n , in

d e n e r m i t L e i b u n d S e e l e g e b a n n t ist. 35

Si magna licet componere parvis oder umgekehrt! so bannen mich

d i e l a i d i g e n F i n a n z e n a u c h in e i n e n Z a u b e r k r a i s — in m e i n e e i n s a m e

S t u b e . I c h m u ß m i c h z i e m l i c h m e n a g i r e n . S c h l a g v i e r b i n i ch M o r -

g e n s a u f , u n d k o c h e m e i n e n K o f f e e selbst u . d a n n an d i e A r b e i t . U n d

so b l e i b i ch m e i s t in m e i n e r K l a u s e bis A b e n d s ; o f t in d e r G e s e l l s c h a f t 40

d e r h e i l i g e n M u s e , o f t b e i m e i n e n G r i e c h e n ; j ez t g e r a d e w i e d e r in

H E . Kants S c h u l e . L e b w o l , l i eber B r u d e r I D a s n ä c h s t e m a l s c h i k ' i ch

D i r v i e l e i c h t e i n F r a g m e n t m e i n e s R o m a n s z u r B e u r t e i l u n g . Bist D u

n e u g i e r i g , so k a n n s t D u d e n l i e b e n D o k t o r i n z w i s c h e n f r a g e n . I c h

las i h m etwas v o r daraus . 45

D e i n

H ö l d e r l i n .

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B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3 Nr.S8.59.tO

58. AN D E N B R U D E R

Cotta schrieb aus Frankreich, w ie ich von Stutgard aus er fuhr , den

14ten Julius, den T a g ihres Bundesfestes werden die Franzosen an

allen Enden u n d Orten mit hohen Thaten fe iern. Ich bin begierig .

Es hängt an einer Haarspize, ob Frankreich zu G r u n d e gehen soll,

3 oder ein großer Staat w e r d e n ?

Wirk l i ch hab ' ich 9 Bogen me iner Producte für unser künft iges

Journal vor m i r l iegen. K o m m t es zu Stande, so werden m i r die

n e u n Louisd ' ore wol thun. Leider werde er zur Bezahlung von Schulden und

den Ausgaben beim Abschied beinahe 100 Thlr brauchen. Er solle es der Mama bei-

10 bringen. Seit einiger Zeit habe er gew\ß öconomisch gelebt.

59. AN D E N B R U D E R

Der Bruder solle das Mögliche thun, dqß er in Frieden von seinen Philistern ab-

ziehen könne. Trotz der Krankheit seiner Börse lebe er Göttertage, die nur der Ge-

danke ans rmhe Scheiden, die Sorge wegen seiner Schulden u. seiner künftigen Lage

verbitterten. Er solle das Mögliche thun, um die böse Summe zusammenzubringen.

5 30ß. sollte er einige Wochen vor seinem Abschied haben.

60. AN N E U F F E R

D u hast R e c h t , HerzensbruderI D e i n Genius war m i r ser n a h e

diese T a g e her. In der T a t , ich fülte das Ewige D e i n e r L i e b e zu m i r

selten mit solcher Gewisheit u n d stillen Freude. So gar D e i n W e s e n

hat mir D e i n Genius seit einiger Ze i t mitgetei l t , w ie ich g laube. I ch

schrieb unsrem Stäudlin von m a n c h e m seeligen Stündchen , das ich

jezt habe. Sieh I das war 's , daß D e i n e Seele in mir lebte. D e i n e R u h e ,

D e i n e schöne Zufr iedenhei t , mi t der D u auf Gegenwart und Z u k u n f t ,

auf Natur und Menschen blikst, diese fü l t ' i ch . A u c h D e i n e künen

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Nr.* ) B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

H o f n u n g e n , w o m i t D u a u f u n s e r h e r r l i c h e s Z i e l b ü k s t , l e b e n i n m i r .

Z w a r s c h r i e b i c h a n S t ä u d l i n : N e u f e r s stil le F l a m m e w i r d i m m e r l o

h e r r l i c h e r l e u c h t e n , w e n n v i e l e i c h t m e i n S t r o h f e u e r l ä n g s t v e r -

r a u c h t i s t ; a b e r dieses v i e l e i c h t s c h r e k t m i c h e b e n n i c h t i m m e r , a m

w e n i g s t e n in d e n G ö t t e r s t u n d e n , w o i c h aus d e m S c h o o s e d e r b e -

s e e l i g e n d e n N a t u r , o d e r aus d e m P l a t a n e n h a i n e a m Ihssus z u r ü k -

k e h r e , w o i c h u n t e r S c h ü l e r n P ia tons h i n g e l a g e r t , d e m F l u g e des 15

H e r r l i c h e n n a c h s a h , w i e e r d i e d u n k e l n F e r n e n d e r U r w e l t d u r c h -

s t re i f t , o d e r s c h w i n d e l n d i h m f o l g t e in d i e T i e f e d e r T i e f e n , in d ie

e n t l e g e n s t e n E n d e n des G e i s t e r l a n d s , w o d i e S e e l e d e r W e l t i h r L e b e n

v e r s e n d e t in d ie t a u s e n d P u l s e d e r N a t u r , w o h i n d i e a u s g e s t r ö m t e n

K r ä f t e z u r ü k k e h r e n n a c h i h r e m u n e r m e ß U c h e n K r e i s l a u f , o d e r 20

w e n n i ch t r u n k e n v o m Sokrat i s chen B e c h e r , u n d sokrat i scher gese l l i -

g e r F r e u n d s c h a f t a m G a s t m a h l e d e n b e g e i s t e r t e n J ü n g l i n g e n l a u s c h -

t e , w i e sie d e r h e i l i g e n L i e b e h u l d i g e n m i t s ü ß e r f e u r i g e r R e d e , u n d

d e r S c h ä k e r A r i s t o p h a n e s d r u n t e r h i n e i n w i z e l t , u n d e n d l i c h d e r M e i -

ster , d e r g ö t t l i c h e Sokrates selbst m i t se iner h i m m l i s c h e n W e i s h e i t 25

sie a l le l e h r t , w a s L i e b e sei — d a , F r e u n d m e i n e s H e r z e n s , b i n i ch

d a n n f r e i l i c h n i c h t so v e r z a g t , u n d m e i n e m a n c h m a l , i c h m ü ß t e d o c h

e i n e n F u n k e n d e r s ü ß e n F l a m m e , d i e in s o l c h e n A u g e n b l i k e n m i c h

w ä r m t , u . e r l e u c h t e t , m e i n e m W e r k c h e n , i n d e m i c h w i r k l i c h l e b e

u . w e b e , m e i n e m H y p e r i o n m i t t e i l e n k ö n n e n , u n d sonst a u c h n o c h so

z u r F r e u d e d e r M e n s c h e n z u w e i l e n e twas a n ' s L i c h t b r i n g e n .

I c h f a n d b a l d , d a ß m e i n e H y m n e n m i r d o c h se l ten in d e m G e -

s c h l e c h t e , w o d o c h d ie H e r z e n s c h ö n e r s i n d , e i n H e r z g e w i n n e n w e r -

d e n , u . d i ß bes tärkte m i c h in m e i n e m E n t w ü r f e e ines g r i e c h i s c h e n

R o m a n s . L a ß D e i n e e d l e n F r e u n d i n n e n u r t e i l e n , aus d e m F r a g - 35

m e n t e , das i ch u n s r e m S t ä u d l i n h e u t e s c h i k e , o b m e i n H y p e r i o n

n i c h t v i e l e i c h t e i n m a l e i n P l ä z c h e n a u s f ü l l e n d ü r f t e , u n t e r d e n H e l -

d e n , d i e u n s d o c h e i n w e n i g besser u n t e r h a l t e n , als d i e w o r t - u n d

a b e n t e u e r r e i c h e n R i t t e r . Besonders ist m i r a n d e m U r t e i l d e r P e r s o n

g e l e g e n , d i e D u n i c h t n e n n s t . I c h h o f f e , das F o l g e n d e soll sie u n d +0

a n d e r e m i t e i n e r h a r t e n Ste l le ü b e r i h r G e s c h l e c h t , d i e aus d e r S e e l e

H y p e r i o n s h e r a u s g e s a g t w e r d e n m u ß t e , v e r s ö n e n . U r t e i l e selbst

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B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3 Nr.60

a u c h , l i e b e r B r u d e r ! D e n G e s i c h t s p u n k t , aus d e m i ch dieses F r a g -

m e n t e ines F r a g m e n t s a n g e s e h e n w ü n s c h t e , h a b ' i c h in d e m B r i e f e

45 a n S täud l in so gar m i t l a n g w e i l i g e r W e i t l ä u f i g k e i t a u s g e f ü r t . I c h

w ü n s c h t e D i r das W e s e n t l i c h s t e d a v o n d i ß m a l n o c h s c h r e i b e n z u

k ö n n e n . A b e r d ie Z e i t w i r d w o l n i c h t h i n r e i c h e n . N u r so v i e l . D i e s e s

F r a g m e n t s c h e i n t m e r e i n G e m e n g s e i z u f ä l l i g e r L a u n e n , als d i e

ü b e r d a c h t e E n t w i k l u n g e ines v e s t g e f a ß t e n K a r a k t e r s , w e i l i c h d ie

50 M o t i v e z u d e n I d e e n u . E m p f i n d u n g e n n o c h i m D v m k e b i lasse, u .

d i ß d a r u m , w e i l i ch m e r das G e s c h m a k s v e r m ö g e n d u r c h e i n G e m ä l d e

v o n I d e e n u n d E m p f i n d u n g e n ( z u a e s t h e t i s c h e m G e n ü s s e ) , als d e n

V e r s t a n d d u r c h r e g e l m ä ß i g e p s y c h o l o g i s c h e E n t w i k l u n g b e s c h ä f t i g e n

w o l t e . N a t ü r l i c h m u ß sich a b e r d o c h a m E n d e alles g e n a u a u f d e n

55 Karakter , u . d i e U m s t ä n d e , d i e a u f i h n w i r k e n , z u r ü k f ü r e n lassen.

O b d i ß b e i m e i n e m R o m a n d e r Fal l i s t , m a g d i e F o l g e z e i g e n .

V i e l e i c h t h a b ' i c h g e r a d e das un in te ressantes te F r a g m e n t g e w ä h l t .

Ü b r i g e n s m u ß t e n d ie n o t w e n d i g e n V o r a u s s e z u n g e n , o n e d i e das f o l -

g e n d e n o c h w e n i g e r g e n o s s e n w e r d e n k a n n , als das g a n z e z w e i t e B u c h

60 o n e das erste n o c h u n v o U e n d e t e , d iese n o t w e n d i g e n V o r a u s s e z u n g e n

m u ß t e n e b e n a u c h d a s t e h e n . — W a s D u so s c h ö n v o n d e r terra incog-

nita i m R e i c h e d e r Poes ie sagst , t r i f t g a n z g e n a u b e s o n d e r s b e i e i n e m

R o m a n e z u . V o r g ä n g e r g e n u g , w e n i g e , d i e a u f n e u e s s chönes L a n d

g e r i e t h e n , u . n o c h e i n e U n e r m e s s e n h e i t z u ' r E n t d e k u n g u n d B e a r b e i -

65 t u n g l D a s v e r s p r e c h ' i c h D i r h e i l i g , w e n n das G a n z e m e i n e s H y p e -

r ions n i c h t d r e i m a l besser w i r d , als dieses F r a g m e n t , so m u ß e r o n e

G n a d e i n ' s F e u e r . Ü b e r h a u p t , w e n n n i c h t d ie N a c h w e l t m e i n e R i c h -

t e r i n w i r d , w e n n i c h das m i r n i c h t b a l d m i t p r o p h e t i s c h e r G e w i s h e i t

sagen k a n , so r e i ß ' i c h , w i e D u , j e d e Sa i te v o n m e i n e r L e i e r , u n d b e -

70 g r a b e sie in d e n S c h u t t d e r Z e i t . D e i n L i e d h a t m i r ser , ser w o h l g e -

t h a n , b e s o n d e r s d i e l ez te S t r o p h e . N i c h t w a h r , l i e b e r B r u d e r I d iese

l ez te S t r o p h e g e h ö r t z u d e n e n , w o m a n d e n v e r h ü l l t e n G o t t h e i t e n d e r

P h i l o s o p h i e d e n S c h l e i e r l ü p f t ? U m w a s i c h D i c h a m m e i s t e n b e -

n e i d e , ist , w i e i c h D i r , g l a u b ' i c h , s c h o n o f t sag te , D e i n e l i ch tvo l l e

75 D a r s t e l l u n g . I c h r i n g e d a r n a c h m i t a l l en K r ä f t e n . A b e r n o c h e i n

f i re imdl i cher G e s i c h t h ä t t e d e r l i e b e G a s t , D e i n L i e d , b e k o m m e n ,

87

Page 99: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.SJ.S4 B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

w a r ' es in Gesellschaft Deines H y m n u s g e k o m m e n . Ich m ö c h t e fast

g lauben, D u machest es mi t d iesem H y m n u s , w ie m a n c h e r Schalk

in den Kampfspielen gethan haben m a g . E r l ieß sich nicht sehen,b is

der G e g n e r recht sicher in die Bahn trat, u n d demüt ig te den armen 80

Buben mi t se inem unerwarteten Siege dann u m so mar . K o m m e n u r !

I ch bin auf alles ge faßt . Ich schikte m e i n e n H y m n u s unsrem Stäud-

l in . Das zaubrische L i c h t , in d e m ich ihn ansah, da ich mi t i h m zu

E n d e war , u. noch m e r , da ich ihn euch mitgetei l t hatte an d e m u n -

vergeßl i chen Nachmittage , ist n u n so ganz v e r s c h w u n d e n , daß ich 85

mich n u r mi t der H o f n u n g eines baldigen bessern Gesangs über

seine Mänge l trösten kann. — W i e stehts dann eigentl ich m i t d e m

Journale? — Hast D u schon an Matthison geschrieben? — Ich n o c h

nicht . Hier m e i n Hesiod.

A c h l D u hast freilich recht , daß es eine köstliche fruchtbare Ze i t 90

sein m ü ß t e , w e n n wir wieder zusammenleben könnten , w ie ehmals .

Ich werde m e i n möglichstes t h u n , u m bald bei D i r zu sein. U n d n u n

lebe w o l l

D e i n

Hölder l in . 95

Das Paquet an Stäudlin lag schon fertig da, als diesen M o r g e n D e i n

l ieber Brief ankam. D a r f ich D i c h b i t ten, es i h m zu b r i n g e n ?

61. AN D E N B R U D E R

D a ß Marat , der schändliche T y r a n n , ermordet ist, wirst D u n u n

auch wissen. D i e heilige Nemesis wird auch den übr igen Volksschän-

dern zu seiner Zeit den L o h n ihrer niedrigen Ränke und u n m e n s c h -

l ichen Entwür fe angedeihen lassen. Brissot dauert mich i m Inner -

sten. D e r gute Patriot wird n u n warscheinlich ein Opfer seiner n ie -

drigen Feinde. N u n g e n u g v o m Staatswesen.

Er solle der Mutter in seinem Namen tausendmal dafür danken, dqß sie sein Be-

kenntniß mit solcher Nachsicht aufgenommen.

88

Page 100: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 5 Nr.62.63

63. AN D E N B R U D E R

Klagt über seine verdrießlichen Geschäfte. Glaube mir , CS ist nicht SO arg,

an den Fronkarren der löblichen Schreiberei gespannt zu sein, als an

der Galeere der Theo log i e zu seufzen.

Ich k ö n n t ' es w o l denken , daß D i r Hemsterhuis gefallen w e r d e .

5 Das nächstemal schik ich D i r den zweiten The i l .

Wi l l s t D u nicht auch den furchtbaren L e h r e r der Despoten ,

Machiavel l , lesen? Seine ganze Schrift beschäftigt sich mi t d e m

P r o b l e m , w ie ein Volk a m leichtesten zu unter jochen sei. Ich traue

Dir ' s zu , daß seine fürchterl ichen Grundsäze D i c h nicht verderben

10 w ü r d e n .

Schiller, (Verfasser des Carlos) wird nächsten W i n t e r in Hei lbronn

zubr ingen , m e i n theurer Matthison ist schon wieder i m L a n d e . Er

braucht eine K u r i m W i l d b a d .

Glaubst D u , ich werde auf den W i n t e r eine kleine Gesellschaft

15 z u s a m m e n b e k o m m e n , die ich i m Griechischen in formiren könnte?

I ch hätte große Lust dazu!

63. AN D I E M U T T E R

Liebste M a m m a I

I ch wol lte heute auf eine Stunde nach Nürt ingen reiten, u m Ihnen

persönlich zu danken, für Ihre G ü t e und mütter l iche Vorsorge , so

großen Jubel machte Ihr lieber Brief . A b e r Geschaffte verhindern

5 m i c h . Glauben Sie, l iebe M a m m a , täglich lern ' ich m e r den Geist

u n d das Herz kennen u n d ehren , d e m ich alles i m G r u n d e danke,

was ich b in . Mir ists o f t so deutlich u n d lebendig , w e n n ich wieder so

e inen herzlichen weisen Brief gelesen habe , daß wen ige solch' e ine

Mutter haben w i e ich, u n d sehen Sie, d iß ist me in Ahnenstolz — diß

10 ist m i r unendl ich mer , als w e n n m e i n e Mutter sich Baronessin von

p .p . schriebe. — Es ist keine R e d e davon , daß Sie n u r e inen Hel ler

89

Page 101: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.6} B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

v o n I h r e r H a u s h a l t u n g f ü r m i c h a b b r e c h e n so l l en . U n d a u c h v o n

d e m j e n i g e n , das ja a u c h d o c h e i g e n t l i c h g a n z i n I h r e r D i s p o s i t i o n

s t e h t , w e r d ' i ch v e r h ä l t n i ß m ä ß i g n u r ser w e n i g b r a u c h e n , d a i c h bis

d a h i n a u f u n g e f ä r h u n d e r t T h a l e r e i g n e s V e r d i e n s t r e c h n e n k a n . 15

G l a u b e n S i e , l i e b e M a m m a , d a ß es g e w i ß k e i n S c h w i n d e l g e i s t ist , d e r

m i c h e i n e n s o l c h e n B e s t i m m u n g s o r t a u f e i n e k l e i n e Z e i t w ä h l e n

l ä ß t . I c h h a b e m e r e r e ser r ee l l e U r s a c h e n . I c h h a b e , w e n n i ch m i c h

r e c h t e r i n n e r e , I h n e n s c h o n e i n i g e d e r s e l b e n a n g e f ü r t , \md w i l l es

b a l d m ü n d U c h a u s f ü r l i c h t h u n . V i e l G e l d b r a u c h e n S ie in k e i n e m 20

Fa l l a u f e i n m a l a u f z u t r e i b e n . I c h b r a u c h e w e i t e r n i ch t s als d i e n ö t i g -

ste K l e i d u n g , u n d e twas T a s c h e n g e l d , d i e R e i s e u . p p . z u b e s t r e i t e n .

I c h w e i ß g e w i ß , d a ß i c h m i t w e n i g e m G e l d m a r l e r n e , m i c h w e s e n t -

l i c h e r a u s b i l d e , als m i t v i e l e m . W e d e r J e n a , n o c h d i e S c h w e i z h a b e n

K r i e g z u b e f ü r c h t e n . So l l te d e r K r i e g u n s n ä h e r k o m m e n , w e l c h e s 25

m i r a b e r u n w a r s c h e i n l i c h ist , so ist n a t ü r l i c h , d a ß i c h m e i n e F a m i l i e

n i c h t ver lasse , u n d b l e i b e . I c h s e h e n i c h t , d a ß i c h v i e l G e l d n ö t i g

h ä t t e n a c h B l a u b e u r e n . F ü r das ü b e r s a n d t e m a c h e i c h I h n e n m e i n e

g e h o r s a m s t e D a n k s a g u n g .

D a s U n g l ü k des H E . Ke l l ers g e h t a u c h m i r n a h e . E r ist l a i d e r ! 30

w i e d e r e i n O p f e r s c h l e c h t e r R e g i e r u n g . D e r v e r d a m t e D i e n s t h a n d e l

p . p . I D a h a b e n S ie g a n z aus m e i n e m H e r z e n g e s p r o c h e n , l i e b e M a m -

m a l d a ß es o f t r e c h t s c h w e r ist , w e n n e i n e m d i e H ä n d e so g e b v m d e n

s i n d . W e n n m a n se iner B r ü d e r N o t h m i t a n s e h e n m u ß , u n d d o c h m i t

a l l e r M ü h e n i c h t a b h e l f e n k a n n , das ist b i t t e r ! — D i e s e r g r o ß e Sto f f 35

ist a u c h d e r g e w ö n l i c h s t e I n h a l t m e i n e r P r e d i g t e n a n das V o l k . S ie

k ö n n e n g l a u b e n , d a ß i c h d a aus w a r m e m H e r z e n s p r e c h e . O f t d e n k '

i c h , w e n n i c h w i e d e r v o n m e i n e r K a n z e l h e r u n t e r b i n , » h a s t d u n u r

e i n F ü n k c h e n m e r M e n s c h e n l i e b e u n d h e r z l i c h e t h ä t i g e T h e i l n e h -

m u n g e r w e k t , so bist d u e i n g l ü k l i c h e r M e n s c h . « O w e n n i c h sonst 40

k e i n e n a u s g e b r e i t e t e n N u z e n s t i f ten k a n n in d e r W e l t , so b l e i b t m i r

d o c h d i ß , m i t b r ü d e r l i c h e m H e r z e n e inst e i n e G e m e i n d e z u b e l e h r e n

u n d z u e r m a h n e n . N o c h m a l t a u s e n d D a n k ! e d l e t e u r e M u t t e r I

I h r

g e h o r s a m e r S o h n 45

Fr i z .

90

Page 102: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 178 8 - 1 7 9 3 Nr.63.64

M e i n F u ß ist g e h e i l t , a b e r u m d ie H a u t stärker z u m a c h e n , m u ß

i ch n o c h e i n P u l v e r d a r a u f s t r e u e n .

D e n B r i e f d e n i ch e i n s c h l i e ß e , b e k a m i ch ges tern v o n d e r 1. R i k e .

50 I c h l e g e a u c h d e n m e i n i g e n b e i .

64. A N D I E M U T T E R

L i e b e M a m m a l

I c h b e d a u r e h e r z l i c h , d a ß I h n e n m e i n B r i e f U n r u h e v e r u r s a c h t

h a t . Sie d ü r f e n v e r s i c h e r t s e i n , d a ß i ch alles anwrenden w e r d e , d a ß

S ie d i e F r e u d e , d i e i c h I h n e n z u m a c h e n , m i c h unabläss ig b e s t r e b e n

5 w e r d e , n i c h t m e r so t e u e r z u s tehen k o m m t , w i e b i sher . A n H E . O n c l e

h a b ' i ch n o c h n i c h t g e s c h r i e b e n . I c h m u ß g e s t e h e n , d a ß i ch a n d ie

U m s t ä n d e d e r l i e b e n S c h w e s t e r g e r a d e d a n i c h t d a c h t e , u n d ü b e r -

h a u p t n i c h t w u ß t e , o b S ie in d e r V a k a n z n o c h in B l a u b e u r e n se in

w ü r d e n , o d e r n i c h t , u n d o b S ie v o n jez t a n d r o b e n b l e i b e n . I c h b i t t e

10 S ie r e c h t ser, l i e b e M a m m a , b e i d e r 1. R i k e n i ch t s d a v o n z u b e r ü r e n ,

u . i h r z u s a g e n , d a ß i ch m i t A n f a n g d e r n ä c h s t e n W o c h e i h r schre i -

b e n , u n d m i c h m e l d e n w e r d e , als G a s t in d e r V a k a n z .

K a n n i ch e i n e g u t e H o f m e i s t e r s t e l l e b e k o m m e n , so b e s c h e i d ' i ch

m i c h g e r n e so l a n g e , m i t m e i n e m Jena i s chen P r o j e c t , bis i ch v i e l e i c h t

15 selbst ( w e n i g s t e n s ) d i e H ä l f t e des E r f o r d e r l i c h e n z u s a m m e n g e h o f -

m e i s t e r t — u . z u s a m m e n g e s c h r i e b e n h a b e . F r e i l i c h ists e i n e z i e m l i c h

u n f e i n e R o l l e , d i e i ch z u N ü r t i n g e n sp ie len w e r d e , w e n n i c h m i c h ,

I h r e m g ü t i g e n V o r s c h l a g e n a c h , bis a u f W e i t e r e s z u H a u s e a u f h a l t e n

so l l te . I s t m a n a u c h n i c h t u n t ä t i g , so sagen d ie L e u t e d o c h , er v e r -

20 z e h r t s e i n e r M u t t e r das B r o d , u n d n ü z t i h r a u f d e r W e l t n i chts . A u c h

m u ß i c h f ü r c h t e n , w e n n i c h zu l a n g e k e i n e n P laz b e k o m m e , das

K o n s i s t o r i u m m ö c h t e m i c h b e i ' m K o p f k r i e g e n , u n d m i c h a u f i r g e n d

e i n e Vvkariatstel le z u e i n e m P f a r r e r h i n z w i n g e n , d e r k e i n e n f r e i w i l -

l i g e n V i k a r b e k o m m e n k a n n . I c h w i l l a b e r m i t a l l en K r ä f t e n m i c h

25 u m e i n e H o f m e i s t e r s t e U e b e w e r b e n . A n d e r n sich d a n n bis a u f Ostern

d i e U m s t ä n d e b e i I h n e n , l i e b e M a m m a , d a ß es v i e l e i c h t n o c h m ö g -

91

Page 103: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.SJ.S4 B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

l ieh w ä r e — so w e r d ' i ch i m m e r h i n n o c h I h r e G ü t i g k e i t b e n ü z e n k ö n -

n e n . D e s 1. Karls B r i e f hat m i c h a u c h ser g e f r e u t . I c h w e r d ' i h m bis

n ä c h s t e n B o t t e n t a g d a f ü r d a n k e n . — V e r z e i h e n Sie a lso , l i e b e M a m -

m a ! w e n n i c h m i c h in m e i n e m l e z t e n B r i e f z u h a r t a u s g e d r ü k t h a b e , 30

u n d l i e b e n Sie m i t I h r e r b i s h e r i g e n L i e b e

I h r e n

g e h o r s a m e n S o h n

F r i z .

M e i n e B e t t z i e c h e ist z i e m l i c h s c h w a r z . 35

65. A N D E N B R U D E R

D a s w a r b r a v , l i eber Kar l , d a ß D u m i r a u c h e i n m a l w i e d e r schr iebst .

D a ß D u T e i l n e h m e n w ü r d e s t a n m e i n e r F r e u d e ü b e r d i e n e u e B e -

k a n n t s c h a f t , k ö n n t ' i ch v e r m u t h e n . I c h w e r d ' s a u c h n i e v e r g e s s e n ,

w i e l i eb w i r u n s h a t t e n , als B u b e n , u n d als J ü n g l i n g e . S i e h ! l i e b e r

K a r l , das d a c h t ' i ch a u c h , als D u ü b e r M a n g e l e ines F r e u n d e s k l a g - ä

test . I c h k e n n ' es w o l , dieses E r w a c h e n des j u g e n d l i c h e n H e r z e n s , i ch

h a b e sie a u c h g e l e b t , d i e g o l d n e n T a g e , w o m a n sich so w a r m u n d

b r ü d e r l i c h ein alles a n s c h l i e ß t , u n d w o e i n e m d o c h d i e T e i l n a h m e a n

A l l e m n i c h t g e n ü g t , w o m a n Eines w i l l . E i n e n F r e u n d , in d e m s ich

u n s e r e S e e l e w i e d e r f i n d e u n d f r e u e . So l l i ch D i r s g e s t e h e n , i ch b i n lO

bald ü b e r d iese s c h ö n e P e r i o d e h i n a u s . I c h h a n g e n i c h t m e r so w a r m

a n e i n z e l n e n M e n s c h e n . M e i n e L i e b e ist das M e n s c h e n g e s c h l e c h t ,

f r e i l i ch n i c h t das v e r d o r b e n e , k n e c h t i s c h e , t r ä g e , w i e w i r es n u r z u

o f t f i n d e n , a u c h in d e r e i n g e s c h r ä n k t e s t e n E r f a r u n g . A b e r i ch l i e b e

d ie g r o ß e , s c h ö n e A n l a g e a u c h in v e r d o r b e n e n M e n s c h e n . I c h l i e b e 15

das G e s c h l e c h t d e r k o m m e n d e n J a r h u n d e r t e . D e n n d i ß ist m e i n e

seel igste H o f n u n g , d e r G l a u b e , d e r m i c h stark e r h ä l t u n d t ä t i g , u n -

sere E n k e l w e r d e n besser s e i n , als w i r , d i e F r e i h e i t m u ß e i n m a l k o m -

m e n , u n d d ie T u g e n d w i r d besser g e d e i h e n in d e r F r e i h e i t h e i l i g e m

e r w ä r m e n d e n L i c h t e , als u n t e r d e r e iskal ten Z o n e des D e s p o t i s m u s . 20

W i r l e b e n in e i n e r Z e i t p e r i o d e , w o alles h i n a r b e i t e t a u f bessere T a g e .

92

Page 104: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3 Nr.iS

D i e s e K e i m e v o n A u f k l ä r u n g , d iese sti l len W ü n s c h e u n d B e s t r e b u n -

g e n E i n z e l n e r z u r B i l d u n g des M e n s c h e n g e s c h l e c h t s w e r d e n sich

ausbre i t en u n d v e r s t ä r k e n , u n d h e r r l i c h e F r ü c h t e t r a g e n . S i e h ! l i e -

25 b e r K a r l l d i ß ists, w o r a n n u n m e i n H e r z h ä n g t . D i ß ist das h e i l i g e

Z i e l m e i n e r W ü n s c h e , u n d m e i n e r T ä t i g k e i t — d i ß , d a ß i ch in u n -

s e r m Z e i t a l t e r d i e K e i m e w e k e , d i e in e i n e m k ü n f t i g e n r e i f e n w e r d e n .

U n d so , g l a u b ' i c h , g e s c h i e h t es , d a ß i ch m i t e twas w e n i g e r W ä r m e

a n e i n z e l n e M e n s c h e n m i c h a n s c h l i e ß e . I c h m ö c h t e ins A l l g e m e i n e

30 w i r k e n , das A l l g e m e i n e l äß t u n s das E i n z e l n e n i c h t g e r a d e h i n t a n -

s e z e n , a b e r d o c h l e b e n w i r n i c h t so m i t g a n z e r S e e l e f ü r das E i n z e l n e ,

w e n n das A l l g e m e i n e e i n m a l e i n G e g e n s t a n d u n s e r e r W ü n s c h e u n d

B e s t r e b u n g e n g e w o r d e n ist. A b e r d e n n o c h k a n n i ch n o c h F r e u n d

e ines F r e u n d e s s e i n , v i e l e i c h t k e i n so z ä r t l i c h e r F r e u n d , w i e e h m a l s ,

35 a b e r e in t r e u e r , tä t iger F r e u n d . 0 ! u n d w e n n i ch e i n e See le f i n d e ,

d i e , w i e i c h , n a c h j e n e m Z i e l e s t rebt , d i e ist m i r h e i l i g u n d t e u e r ,

ü b e r alles t euer . U n d n u n , H e r z e n s b r u d e r ! j enes Z i e l , B i l d u n g , B e s -

s e r u n g d e s M e n s c h e n g e s c h l e c h t s , j enes Z i e l das w i r in u n s e r m

E r d e n l e b e n n u r v i e l e i c h t u n v o l l k o m m e n e r r e i c h e n , das a b e r d o c h

•0 u m so l e i ch ter e r r e i c h t w e r d e n w i r d v o n d e r bessern N a c h w e l t , j e

m e r a u c h w i r in u n s e r e m W i r k u n g s k r e i s e v o r b e r e i t e t h a b e n — j enes

Z i e l , m e i n K a r l l l e b t , i ch w e i ß es , v i e l e i c h t n u r n i c h t so k lar , a u c h in

D e i n e r S e e l e . W i l l s t D u m i c h z u m F r e u n d e , so soll j enes Z i e l das

B a n d s e i n , das v o n n u n a n u n s r e H e r z e n ves ter , u n z e r t r e n n H c h e r ,

•5 i n n i g e r v e r e i n i g t . O l es g i e b t v i e l e B r ü d e r , a b e r B r ü d e r , d i e s o l c h e

F r e u n d e s i n d , g iebts w e n i g e . L e b e w o l . D e r l i e b e n M a m m a t a u s e n d

h e r z l i c h e G r ü ß e .

D e i n

F r i z .

50 M a t t h i s o n s G e d i c h t e h a b ' i ch w e g g e l i e h e n . H i e r e twas anders . D i e

U n t e r r e d u n g d e s M a r q u i s P o s a m i t d e m K ö n i g d a r i n n ist m e i n

L e i b s t ü k . pag. 2 5 9 .

93

Page 105: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.*) B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

66. A N D I E M U T T E R

L i e b e M a m m a 1

T a u s e n d D a n k f ü r I h r e L i e b ' u n d G ü t e a u c h dieses h a l b e Jahr 1 —

So ser i ch m i c h f r e u e , d i e l i e b e n M e i n i g e n n u n ba ld w i e d e r u m m i c h

zu h a b e n , so m a c h t m i c h d o c h z u w e i l e n d i e so s chne l l u n d d o c h o f t so

l a n g s a m v e r s c h w u n d n e Z e i t e twas e r n s t h a f t . I c h sol l m i c h n u n b a l d 5

v o l l k o m m e n a u s g e b i l d e t h a b e n z u m e i n e r k ü n f t i g e n B e s t i m m u n g ,

u n d d o c h b l e i b t m i r so v i e l z u r ü k . G l a u b e n S i e , l i e b e M a m m a ! so z u -

f r i e d e n i c h w i r k l i c h m e i s t m i t d e r W e l t b i n , so b i t t e r u n z u f r i e d e n b i n

i c h o f t m i t m i r . 0 ! w a s i c h m i r v o r u n g e f ä r 6 Jaren f ü r V o r s t e l l u n g e n

m a c h t e , v o n d e m , w a s i ch i n m e i n e n j e z i g e n Jaren se in w e r d e . Ist es l o

G l ü k o d e r U n g l ü k , d a ß m i r d i e N a t u r d i esen u n ü b e r w i n d l i c h e n T r i e b

g a b , d i e K r ä f t e in m i r i m m e r m e r u n d m e r a u s z u b i l d e n ? —

G e s t e r n h a b ' i ch in d ie f ranzös i sche S c h w e i z g e s c h r i e b e n a n Sei ts ,

d a ß i c h i h m v o n d i esen O s t e r n ü b e r 2 Jare z u D i e n s t s t e h e . F i n d ' i ch

a b e r m e i n A u s k o m m e n in J e n a , so b l e i b ' i c h l i e b e r d o r t , als H o f m e i - 15

ster o d e r w a s i ch sonst le isten k a n n , u m I h n e n , l i ebe M a m m a l v o n

j e n e r Z e i t a n k e i n e M ü h e m e r z u m a c h e n .

M e i n e S t r ü m p f e , d i e z u w e i l e n e i n w e n i g s c h a d h a f t w a r e n l i e ß i ch h i e r

ausbessern , w e i l i ch d ie bessern n i c h t indessen t r a g e n w o l l t e , bis i ch d i e

z e r r i ß n e n w i e d e r v o n N ü r t i n g e n b e k ä m e . I c h g l a u b e n i c h t d a ß i ch n o c h 20

n e u e b r a u c h e . I n d e r P r o k u r a t u r sagte m a n m i r n e u l i c h , m a n h a b e g e -

h ö r t , m e i n S c h w a g e r u . m . S c h w e s t e r l e b e n , w i e E n g e l , z u s a m m e n .

W i e m i c h das f r e u t e , l i e b e M a m m a ! u . w i e m i c h s f r e u e n w i r d , das G l ü k

d e r g u t e n L e u t e m i t a n z u s e h n , u n d d a n n a u c h I h r e F r e u d e , d i e S ie h a -

b e n w e r d e n — u n d n i c h t w a h r , l i e b e M a m m a ! d iese I h r e F r e u d e w i r d 25

a u c h z u m T h e i l e i n e Ä u ß e r u n g d e r L i e b e s e i n , d i e Sie zu m i r h a b e n ? —

L e b e n Sie w o l bis Sie m ü n d l i c h g r ü ß e n w i r d u n t e r t a u s e n d F r e u d e n

I h r

g e h o r s a m e r S o h n

F r i z . 30

D i e Hebe F r a u G r o s m a m m a ist d o c h w i e d e r g a n z w o h l ? m e i n g e -

horsamstes K o m p l i m e n t !

94

Page 106: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3 Nr.S8.59.tO

67. A N N E U F F E R

L i e b e r B r u d e r !

V e r z e i h , d a ß i c h so l a n g e z ö g e r t e m i t d e m D a n k e f ü r d ie B e f r i e d i -

g u n g m e i n e r N e u g i e r d e . W i e i ch D i r a b e r s c h o n o f t sagte , i c h

s c h r e i b e n i c h t g e r n e , w e n n i c h w e n i g o d e r n i ch t s h a b e , w a s i ch aus

5 m e i n e m K o p f u n d H e r z e n d e m F r e u n d e m i t t e i l e n k ö n t e . U n d d a b i n

i c h w i r k l i c h b e t t e l a r m , l i eber N e u f e r I — W e n n n u r d e r M e n s c h n i c h t

so per i od i s ch w ä r e 1 o d e r i c h w e n i g s t e n s n i c h t u n t e r d ie ärgs ten g e -

• h ö r t e in d i e s e m P u n k t !

I c h d e n k e aber , es soll b a l d anders w e r d e n . E i n paar S t u n d e n , w o

10 i c h D i c h u m m i c h h ä t t e , k ö n n t e n , g l a u b ' i c h , v i e l G u t e s s t i f t en .

S c h a d e n w ü r d e a u c h e i n r e c h t l a n g e r B r i e f n i c h t s . — I c h zäle d ie

A u g e n b l i k e , bis i c h e r f a r e , d a ß u n d w e n n i c h in d i e W e l t h i n a u s dar f .

I c h b i n h i e r so t ä t i g , als m ö g l i c h . A b e r es w i l l n i chts g e d e i h e n . ' A u f

B ü r g e r s u n d Vossens A U m a n a c h b i n i c h ä u ß e r s t b e g i e r i g . K ö n n t e s t

15 D u sie m i r n i c h t d iese W o c h e a u f t r e i b e n ; sie so l l ten d e n nächs ten

B o t t e n t a g w i e d e r z u r ü k f o l g e n . S c h r e i b m i r a u c h v o n D e i n e n B e -

s c h ä f t i g u n g e n u n d F r e u d e n , l i e b e r B r u d e r 1 I c h w i l l n i c h t n e i d i g w e r -

d e n , so g r o ß a u c h f ü r j ez t d i e V e r s u c h u n g dazu f ü r m i c h sein d ü r f t e .

W e i s t D u n i c h t , w i e b a l d u n g e f ä r u n s e r E x a m e n a n f ä n g t ? M ö c h -

20 test D u so g u t s e i n , u n d m i r m e i n e n T e r m i n s c h r e i b e n ? I c h p r e d i g e

so v i e l m ö g l i c h a u f d e n u m l i e g e n d e n D ö r f e r n , u m m i c h so l a n g i ch

n o c h Z e i t h a b e , z u ü b e n .

Se i d o c h so g u t , u n d f r a g e be i S täud l in a n , o b e r g l a u b e , das R e i s -

g e l d v e r s t e h e sich v o n selbst , o d e r o b i ch d a r u m a n f r a g e n so l le , w e n n

25 e twas aus m e i n e r Ste l le w e r d e n so l l te . Es solte m i c h r e c h t f r e u e n ,

a u c h e i n paar W o r t e v o n d e m t e u e r n F r e u n d e z u l e sen j es v e r s t e h t

s ich a b e r , d a ß es m i t se iner K o m m o d i t ä t g e s c h e h e n m ü ß t e . So bald

i ch N a c h r i c h t v o n m e i n e r Ste l le h a b e , b i n i c h b e i E u c h , I h r L i e b e n I

M e i n e i n z i g e r G e n u ß ist w i r k l i c h H o f n u n g u n d E r i n n e r u n g .

30 S c h r e i b m i r ' s d o c h , w e n n D u f r ü h e r das n ä h e r e v o n d e m Sch ik -

saale d e r D e p u t i r t e n G u a d e t , V e r g n i a u d , Brissot p . p . hörs t . A c h ! das

95

Page 107: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.67.6S B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

Schiksaal d ieser M ä n n e r m a c h t m i c h o f t b i t ter . W a s w ä r e das L e b e n

o n e e i n e N a c h w e h ?

G u t e N a c h t , H e r z e n s b r u d e r I L a ß d o c h b a l d e twas v o n D i r h ö r e n !

D e i n 35

H ö l d e r l i n .

68. A N N E U F F E R

L i e b e r N e u f f e r l

D u sche inst m i c h v e r g e s s e n zu h a b e n ; sonst hätst D u m i c h in m e i -

n e m e i n f ö r m i g e n L e b e n s c h o n l a n g e m i t e i n e m B e s u c h , o d e r w e n i g -

stens m i t e i n e m B r i e f ge t rös te t . I n m e i n e m K o p f ists b ä l d e r W i n t e r

g e w o r d e n , als d r a u ß e n . D e r T a g ist ser k u r z . U m so l ä n g e r d ie ka l t en 5

N ä c h t e . D o c h h a b ' i ch e i n G e d i c h t a n

— » d i e G e s p i e l i n d e r H e r o e n

D i e e h e r n e N o t w e n d i g k e i t

a n g e f a n g e n .

W a r u m i c h s c h r e i b e , u n d n i c h t , w i e i c h v o r h a t t e , selbst n a c h lO

S t u t g . k o m m e a u f e i n i g e T a g e , das w o l t ' i ch D i r e i g e n t l . s a g e n .

I c h b i n m i t m e i n e r H o f m e i s t e r s t e l l e s c h l i m m d a r a n . I c h h a b e n o c h

k e i n e e n t s c h e i d e n d e A n t w o r t , u n d k a n n m i c h also a u c h n i c h t d a r a u f

r ü s t e n , u n d auss ta f f i ren . M e i n e M u t t e r h ä t t e m i r n o c h m a n c h e s v o r -

h e r zu b e s o r g e n , u n d i c h b i n so n e u g i e r i g , als s ie , d e n n d i e U n g e w i s - 15

h e i t m e i n e r k ü n f t i g e n L a g e m a c h t m i r e b e n k e i n e g u t e L a u n e .

W e i l i ch z u g l e i c h m e i n e K l e i d u n g in S t u t g . b e s o r g e n m ö c h t e , k a n n

i c h n i c h t b ä l d e r h i n u n t e r als bis d i e A n t w o r t da ist . U n d da m ö c h t ' i c h

D i c h b i t t e n , l i eber B r u d e r I d a ß D u D i c h n a c h E m p f a n g des B r i e f e s

be i S täud l in e r k u n d i g e s t , o b e r n o c h n i chts b e s t i m m t e s w e i ß , u n d i m 20

Fal l D u e twas e r f ä h r s t , m i c h l i e b e r g l e i c h d u r c h d e n z u r ü k g e h e n d e n

B o t e n b e n a c h r i c h t i g e s t ; a b e r a u c h i m a n d e r n Fal l k ö n t e s t D u e i n W e r k

d e r B a r m h e r z i g k e i t t h u n , w e n n D u m i r so bald D i r i m m e r m ö g l i c h

ist , m i t e i n e m B r i e f e e i n m a l w i e d e r e i n e r e c h t f r o h e S t u n d e m a c h t e s t .

E i n f r e u n d l i c h W o r t v o n e i n e m F r e u n d e ist j ez t m e r B e d ü r f h i ß f ü r 25

m i c h , als j e .

L a ß m i c h n i c h t v e r g e b e n s h o f f e n 1 T a u s e n d G r ü ß e a n S t ä u d l i n ,

u n d a n d e r e F r e u n d e I

D e i n

H ö l d e r l i n . 30 96

Page 108: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

W A L T E R S H A U S E N JENA N Ü R T I N G E N

1794-1795

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Page 110: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 179 4 - 1 7 9 5 Nr.69

69. AN D I E M U T T E R

Koburg. d. 26 Dec.

Liebste Mamma I

Diesen A b e n d kam ich ganz w o h l hier an . I ch konnte es m e i n e m

Herzen nicht versagen, Sie kurz davon zu benachricht igen, u m so

s m e r , da ich w e g e n d e m schlechten W e g e etwas verspätet worden b in .

Freitags k a m ich erst aus Stutgard w e g . In N ü r n b e r g m u ß t ' ich m i c h

bis Dienstag aufhalten. U n d gestern Abends , a m M i t t w o c h , reist ' ich

von Erlang ab. D e m u n g e a c h t e t hatt ' ich bis jezt n icht nöt ig , m e i n e n

Koffer aufzuschl ießen.

10 V o n hier reis ' ich m o r g e n f r ü h m i t Extrapost ab , u n d werde m o r -

gen Mittags in Waltershausen sein. D e n Postwagen kann ich n icht

w o l m e r von hier aus benüzen .

Ich hatte, so viel mir die Trennung von den lieben Meinigen er-laubte, mitunter ser vergnügte Stunden, besonders in Nürnberg und

15 Erlangen. Das weitere das nächstemal. Ich gehe nun gutes Muts meiner Bestimmung entgegen. Sein auch

Sie gutes Mutes, liebe Manmia! Schließen Sie von meiner glüklich geendigten Reise auf ferneres Glük 1

N o c h m a l tausend D a n k für alles L i e b e u n d G u t e I Al len den l ieben

20 Mein igen , in Löchgau u n d Blaubeuren, u n d m e i n e m Herzensbruder

tausend G r ü ß e ! W i e o f t hab ' ich nicht an alle die L i e b e n u n d an Sie,

teure Mutter I m i t D a n k u n d auch freilich m i t W e h m u t h gedacht 1

M i t nächstem Bottentage schreib ' ich von Waltershausen, u n d

hoffe dann bald fröl iche Nachrichten von Ihnen zu erhalten.

25 L e b e n Sie indeß w o l , l iebe M a m m a ! E w i g

Ihr

gehorsamer Sohn Hölderlin.

99

Page 111: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.10 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

70. AN S T Ä U D L I N U N D N E U F F E R

Waltershausen, d. 30 Dec. 1793.

Neufem mitzuteilen!

Teuren Freunde!

Ich habe mich nun im Innern des Hauses und der Menschen, die 5 ich vor mir habe, und auch draußen in meinen Tannenwäldern, und auf meinen Bergen umgesehen, so viel es seit leztem Freitag, wo ich Abends ankam, möglich war; und so kann ich euch außer den un-fruchtbaren Nachrichten von meiner dumpfen Postwagenreise noch einiges mitteilen, das mer Bezug auf meine jezige und künftige Exi- lO Stenz hat. Ich muß euch aber voraus sagen, daß ihr mir's wol recht zu danken habt, daß ich jezt schon schreibe. Ich weke so das mit Mühe eingeschläferte Andenken an euch, und alles Teure, an die ganze liebe Vergangenheit in mir, und diß läßt mich eben keine glükliche Rolle spielen. Über meine Reise von Stutg. bis Nürnberg kann ich 15 euch nichts sagen. Ich schloß meist die Augen, und ließ euch, und was mir sonst lieb ist, vor mir erscheinen. In Nürnberg lebt' ich auf. Mit HE. Ludwig wurd ein rechtes gespaßt, und getumultuirt. Zum Journal will er nur wenig beitragen, weil ihm seine Englischen Blät-ter so viel zu schaffen machen. Er verspricht, einen Verleger für das 20 Journal aufzubringen, wenn er wie er sich ausdrükte, eine recht be-träch tüche Anzal von Mitarbeitern aufweisen können werde. Sein Mund ist leibhaftig die Posaune des Egoismus. Übrigens war ich, wie gesagt, recht vergnügt mit ihm. Dienstags (denn Sonntags kam ich in Nümb. an) fuhr ich nach Erlang hinüber und feierte da den 25 Christtag in der Universitätskirche, wo Prof. Ammon eine herrliche schön und hell gedachte Predigt hielt, womit er wenigstens zehen Scheiterhaufen und Anathema's verdiente. Mittwoch Abends reist' ich wieder von Erlangen ab, kam spät nach Mitternacht in Bamberg an, auf einem verdamt kalten und unsichem Wege, wo man uns 30

100

Page 112: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3 Nr.37.38

wegen den Diebsbanden in den Wäldern einen Husaren entgegen-schikte. Von Bamberg bis Koburg, wo ich Donnerstag Abends ankam, hatt' ich den ganzen Tag über das himmlische Thal, das von der Ize durchflössen wird, vor und hinter mir. (Im Vorbeigehen! in ganz

35 Franken bemerkt' ich zu meinem großen Verdrusse, wie ihr denken könnt, laute Unzufriedenheit mit der woltätigen preußischen Re-gierung. Es sollen in den fränkischpreußischen Landen nächstens 60000 Mann ausgehoben werden; auch im Nürnberger Gebiete. Denn Preußen hat ein altes Recht auf den Nürnberger Distrikt. In

40 Nürnberg haben die Grobschmiede St. Antoin zu deutsch edirt, Obst und Fleisch taxirt, und den Patriziern etwas vom Aufhängen zu ver-stehen gegeben. In Koburg haben die Bürger bei einem Brcinde die Miliz geprügelt. p. p. p.) In Koburg reist ich Freitag Morgens um 3 Uhr mit Extrapost ab, und kam Abends hier an, traff an HE. Major von

45 Kalb, (der in französischen Diensten war, und unter Lafaiette den Amerikanischen Krieg mitmachte,) den humansten gebildetsten Mann, eine Freundin der Frau von K., die noch mit zwei Kindern in Jena ist, meinen künftigen Zögling, einen schönen guten Buben, aber auch noch den Hofmeister an, der, wie das ganze Haus, noch

50 kein Wort von m. Ankunft wußte, und mich ungeachtet seines klu-gen edlen Benehmens in große Verlegenheit sezte. Sprechen Sie doch mit Schiller über dieses, lieber Doktor 1 Der Major tröstet mich so gut er kann über die gespannte Lage. Das übrige nächstens. Tausend Empfelungen an meine edlen Freundinnen u. FreundeI Ewig

55 Euer Hölderlin.

Das Gedicht an das Schiksaal hab' ich beinahe zu Ende gebracht wärend der Reise. — Meine Adresse ist: M. H. Hofm. bei HE. Major von Kalb in Waltershausen bei Meinungen.

60 Gegen den Pfarrer und Verwalter hier bin ich ein Zwerge puncto der Bouteillenhälse, die Sie, lieber Doktor, so gerne herunter-schlugen ! I

101

Page 113: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr. 71 B R I E F E 1 7 9 4 . - 1 7 9 5

71. A N D I E M U T T E R

Waltershausen, d. 3 Jan. 1794.

Liebste Mammal

Trost und Freude von oben zum neuen Jare I Tausend Dank für alle Liebe im alten, und den andern vergangnen Jaren 1 5

Morgen sinds acht Tage, daß ich hier ankam. Und in Warheit I noch nicht einer war mir unangenem. Der HE. Major von Kalb, der ge-bildetste gefälligste Mann von der Welt, empfieng mich wie einen Freimd; und hat sich noch nicht geändert bisher. Die Frau von Kalb ist noch in Jena. Meinen Kleinen muß man liebhaben, so ein guter lo gescheider schöner Bube ist er. Meine Lebensart ist folgende: Mor-gens zwischen 7 und 8 Uhr wird mir mein Koffee aufs Zimmer ge-bracht, wo ich dann mir selbst leben kann bis 9 Uhr. Von 9 Uhr bis 11 geb' ich Unterricht. Nach zwölf wird zu Mittag gespeist. {NB. weil Sie mich wegen der sächsischen Kochkunst so bedauerten, muß ich 15 Ihnen sagen, daß hier eine Wiener Köchin ist und der Tisch gar schön besezt.) Nach dem Essen kann ich, wie auch Nachts bei dem Major bleiben oder nicht, mit dem Kleinen ausgehen oder nicht, ar-beiten oder nicht, wie ich will. Von 3 bis 5 Uhr geb' ich wieder Unter-richt. Die übrige Zeit ist mein. Auch Nachts wird hier gespeist; und 20 ich vergesse unsern Nekarwein leicht bei dem treflichen Biere, das, wie von mir, auch von der Herrschaft getrunken wird. Ich füle mich auch ganz gesund dabei. Meine Reise wird mir, wie ich gelegenheitl. hörte, bezahlt. Die Gegend ist ser schön. Das Schloß liegt über dem Dorfe auf dem Berge, und ich habe eines der angenemsten Zimmer. 25 Auch sind die Menschen hier, so viel ich sie bisher kennen lernen konnte, recht guter Art. Mit dem Pfarrer besonders bin ich schon recht gut Freund. Ich möchte unter solchen Umständen in keine Stadt. Die Pferde des Majors kann ich benüzen, wann ich will. Er liebt die Ruhe ser, verreist selten, und hat immer wenig Gesellschaft. 30 »Ich habe mich lange genug unter Menschen, zu Land und zu Meer

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herumgetummelt, spricht er, jezt ist mir Weib und Kind, und Haus und Garten um so lieber.« Er war noch vor drei Jaren in französi-schen Diensten, und hat unter Lafayette den Amerikanischen Krieg

35 mitgemacht. Er hat im Gesichte viel ähnliches mit HE. Hofrath in Nürtingen (dem und dessen ganzen Hause Sie mich empfelen).

Die vergnügteste Zeit meiner Reise hatt' ich in Nürnberg. Stäud-lin gab mir eine Adresse an den Legationssecretair Schubart mit. Nürnberg ist ein ehrwürdiger Ort mit seinen gothischen Pallästen,

•0 und emsigen Einwonem, und liegt recht freundlich da auf der weiten Ebne, die rings mit Tannenwäldern bekränzt ist. Ich lernte auch in der Lesegesellschaft und auf einem Lusthause ser kultivirte Men-schen kennen. In Erlang hatt' ich mit meinem Landsmann und Vet-ter, einem Sohne des Leibmed. Jäger in Stutg. einen recht vergnüg-

•5 ten Christtag. Hörte auch da eine köstliche schön und hellgedachte Predigt von Prof. Ammon. Nach Blaubeuren und Löchgau schreib' ich nächste Woche. Tausend herzliche Grüße u. Empfelungen. Mei-nem lieben Karl einen schönen guten Morgen I

Ihr 50 Friz.

Überall in Nürtingen tausend Empfelungen I Meinen Brief von Koburg aus haben Sie, wie ich hoffe, jezt be-

kommen. Meine Adresse ist: An M. Hölderlin, Hofmeister bei HE. Major

55 von Kalb in Waltershausen bei Meinungen. frei bis Nürnberg.

72. A N D I E S C H W E S T E R

Waltershausen bei Meinungen, d. 16. Jenner. 94.

Verzeih, teure SchwesterI daß ich Dir mein tägliches Andenken an Dich, den HE. Schwager, und Deine Kleinen noch nicht schrift-

5 lieh bezeugte. So klein aber hier meine Gesellschaft ist, so war ich im-

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Nr. } } B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

mer durch hundert Umstände so zerstreut, daß ich kaum Ruhe genug finden konnte, an die 1. Mutter zu schreiben. Von Koburg aus, auf der Reise noch, schrieb ich ihr das erstemal; den Freitag nach dem neuen Jare wieder; habe aber noch keine Antwort. Wenn ich morgen wieder vergebUch warten müßte, so wütd' es mir doch Sorge machen. Sei so lo gut, und schike auch diesen Brief nach Nürtingen. Ich bin gewiß, daß fröliche Nachrichten von hier aus ihr nicht ungelegen kommen. —Ich kan mich gut in meine Lage schiken. Daß sie also nicht schlimm ist, kannst Du Dir leicht denken, da ich im Punkt der Zufriedenheit mit Recht ein wenig bei Dir im Mißkredit bin. Hätt' ich auch auf der 15 Welt keine Freude, so würde mich mein lieber Junge schadlos halten. Könt' ich ihn nur einmal im Jare Dir produziren I Er ist ganz dazu ge-schaffen, um nach humanem Grundsäzen der Erziehung gebildet zu werden. Mein Major ist ein recht guter Mann, gebildet auf dem Meere und im Kriege, und im Umgange mit den besten Köpfen un- 20 sers Zeitalters in Deutschland, Frankreich u.Amerika. Und doch soU er, wie die Leute sagen, nur ein Zwerg am Geiste sein gegen die Majorin, die noch in Jena ist. »Sie erzeigen der Menschheit einen Dienst durch die Bildung eines ächten denkenden Menschen — schrieb sie mir in einem Briefe, den ich aufbewaren werde — Sie er- 25 zeigen der Menschheit einen Dienst, und mir ist es vorbehalten, Ihnen die Dankbarkeit zu äußern, die sie Ihnen schuldig ist.«

(Mein Kleiner lärmt so um mich herum, aus Freude, daß er heute von mir ein fleißiger guter Junge genannt wurde, daß ich beinahe zu keinem Gedanken kommen kann. Ich kann Dir nicht helfen liebe so Rike I Stören mag ich ihn nicht.)

Der Pfarrer hier ist ein Mann nach meinem Herzen, und tränken wir hier nicht Bier statt Wein, so wäre sicher auf Erden kein vertrau-ter Paar als er u. ich. Freilich wird mein teurer HE. Schwager sich ein wenig wundern, wie zwei so heterogene Geschöpfe zusammen- 35 taugen, wenn ich ihm sage, daß er ein großer Diplomatiker ist. Er würde aber gewiß auch Geschmak finden an dem Biedermanne.

Die zuvorkommende herzliche Gefälligkeit, womit mich überall hier die Leute aufnahmen, hat mich überhaupt, wie mir scheint, ge-

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40 selliger gemacht, als ich je war. Auch stehn mir mancherlei Belusti-gungen zu Dienste, wenn ich Gebrauch davon machen will. Ich kann mit dem Major auf die Jagd wenn ich will, hab aber bisher wolweis-lich noch keinen Haasen geschossen. Vieleicht lern' ichs doch noch. Die Gegend hier ist treflich. Die Gesellschafterin der Majorin, eine

45 Wittwe aus der Lausiz, ist eine Dame von seltnem Geist \md Herzen, spricht französisch und Englisch, und hat so eben die neuste Schrift von Kant bei mir gehöhlt. Überdiß hat sie eine ser interessante Figur. Daß Dir aber nicht bange wird, liebe Rikel für Dein reizbares Brü-derchen, so wisse 1) daß ich um 10 Jare Uüger geworden, seit ich

50 Hofmeister bin 2) und vorzüglich, daß sie versprochen und noch viel klüger ist, als ich. Verzeihe mir die Possen, HerzensschwesterI Das nächstemal was gescheideres I Ewig Dein

Friz. Überall tausend Grüße 1

55 Bitte ja den 1. Karl zu grüßen. In Deinem Hause versteht sichs von sich selbst. Nächstens werd'

ich HE. Schwager schreiben. NB. Der Major, der große Bekantschaften in der politischen Welt

hat, versichert aufs gewisseste, daß wir bis Ostern Friede haben 60 werden.

73. A N D I E M U T T E R

Waltershausen. 23. J. 94.

Ich bin jezt hier zu Hause, liebste MutterI Meine Gesundheit scheint sich bei der hiesigen Lebensart eher zu verstärken, als nur in irgend etwas zu leiden.Wenn ich wegen meines Berufs dem Geiste

5 etwas abbrechen muß von seiner gewohnten Narung, so darbt der Körper um so weniger. — Ihre Besorgnisse wegen des Kriegs scheinen mir, wie ehmals, auch jezt noch etwas zu groß zu sein. Wenn wir auch nicht Friede bekämen bis Ostern, welches doch ser warscheinlich ist, so scheint es überhaupt nicht als wolten sich die Franzosen weit von

10 ihrem Vaterlande entfernen. Der Major kündete nur schon an, so

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Nr. 73. 74 B R I E F E 1 79 4 - 1 79 5

bald sie gänzlich über den Rhein herüber wären, müßt' ich mit mei-nem Friz nach Jena, weil auch ihm in diesem Falle etwas bange wäre. — Ich bin jezt gerade Herr im Hause. Der Major ist verreist, u. die gn. Frau noch üi Jena. Die Briefe die sie mir schreibt, zeugen von ebenso vielem Verstände, als Herzensgüte. Ich lebe ganz one allen 15 Zwang, den Etiquette und Stolz sonst einem auflegt in meiner Lage. In der Gegend könnt' ich mich wegen der Witterung und wegen Ge-schäften noch nicht viel umsehen. Übrigens werd' ich nächsten Sonn-tag eine kleine Exkursion machen nach Königshofen, einer Stadt im Würzburgischen 2 Stunden von hier, um da ein paar Landsleute und 20

Universitätsfreunde den Sekretär Troll und Hofmeister Kleinmann, die beede 6 Stunden weit von hier bei HE. von Wellwart in Birken-feld angestellt sind, zu sprechen. Die Schwaben haben sich überall bald aufgespürt. — Mein Reisgeld wird mir warscheinlich erst von der Frau Majorin ausbezahlt. Ehe sie angekommen ist, mag ich nicht 25 sollizitiren.

Ihren lieben Brief bekam ich gestern am 22sten. Er war also nicht viel über 8 Tage unterweges. Nach Löchgau würd' ich gern' auch schreiben, wenn mir noch so viel Zeit übrig wäre. Ich muß Ihnen zum voraus sagen liebe Mamma, daß Sie sich nicht daran stoßen, so wenn meine Briefe oft etwas lange ausbleiben, oft auch ser flüchtig geschrieben sind. Ich erfare es oft nur eine Stunde vorher, daß ein Bote nach Meinungen abgeht. Regelmäßig geht keiner. Tausend Herzensgrüße an Karin, nach Löchgau und Blaubeuren. Ewig

Ihr 35

Friz.

AN D I E G R O S S M U T T E R

Ich kann Sie, meine verehrungswürdige Grosmutter! jezt um so eher von meiner Lage unterhalten, da mir nun Leind und Leute etwas bekannter sind. Mein erstes aber ist, daß ich Ihnen sage, wie unvergeßlich mir die Liebe der Meinigen ist, und besonders die Ihrige. Tausendmal sind Sie mir gegenwärtig, und ich danke Ihnen 5

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B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr. 74

im Geiste für jeden sprechenden Beweis Ihrer Güte, und freue mich dann der unaussprechhchen Freude, womit wir uns einst wieder-sehen werden. Wir werden uns gewiß wiedersehen, liebe verehrungs-würdige Grosmutter I Möcht' ich ganz ein würdiger Enkel von Ihnen

10 werden I Ich kann so manches Gute, das meine Jugend von Ihnen u. den 1. Meinigen genoß nicht besser vergelten, als wenn ich meine Pflicht tue in meinem Wirkungskreise. Es fordert mich auch alles dazu auf. Mein lieber Zögling hängt an mir, wie an einem Vater oder Bruder. Ich dachte mir nie die Seeligkeit, die in dem Geschäfte eines

15 Erziehers liegt. Das kleinste Gute, das ich in ihm pflanze, wird durch seine grosen Folgen eine Unendlichkeit von Seegen. Dieser Gedanke stärkt mich unendlich in meinen Bemühimgen. Auch wird mir mein Geschäft von allen Seiten erleichtert. Ich lebe ganz one Zwang, und finde überall entgegenkommende Freundschaft. Ich lebe zwar ziem-

20 lieh einsam, aber ich finde diß gerade günstig für die Bildung des Geistes und Herzens. Der Menschen, mit denen ich umgehe, sind wenige, aber es sind verständige und gute Menschen. Das Örtchen, wo ich für jezt lebe, ist zwar etwas entfernt von Städten und ihren Neuigkeiten und Torheiten, aber seine Lage ist ser angenem, und

25 das Schloß steht auf einem der schönsten Hügel des Tals, und auch der Garten ums Haus herum giebt mir schon jezt manche frohe Stunde, und werm ich ausfliegen will, habe ich nordwärts 5 Stunden von hier im Sächsischen — Meinungen, im Würzburgischen 8 Stun-den von hier Schweinfurt u.s.w. Gotha liegt ungefär eine Tagreise

30 von hier, jenseits der Thüringer Gebirge, die hier einen ser schönen Prospect geben. Bis Ostern werd' ich wol eine kleine Reise dahin machen, und dann auch Friemar aufsuchen.

Die wenigen Nachrichten, die ich von meiner Reise geben konnte, werden Ihnen wol schon mitgeteilt worden sein. Der Prediger hier

35 im Orte ist ein Biedermann; wir leben recht als Freunde zusammen. Mit Anfang der nächsten Woche werd' ich auch einmal wieder die Kanzel betreten. Die wenige Fertigkeit, die ich hatte, würde sich wieder verlieren, wenn ich mich nicht übte, und das wünscht' ich doch nicht.

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Nr. 14. IS B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

Sie sind doch immer wol, und alle die Lieben in Löchgau? Ich bin 40 recht begierig auf neue Nachrichten von Ihnen. Den lezten Brief der 1. Mutter erhielt ich erst am 18ten. Die Weile war mir ziemlich lange geworden. Um so gröser war die Freude, da der längsterwartete end-lich erschien. Ich bin verdrießUch, daß ich schon enden, und über-haupt den Brief so eilig schreiben muß.Wenn mirs einmal weniger 45 an Zeit gebricht, will ich das versäumte einhohlen. An HE. Oncle imd Fr.Tante, Frau Helfferin, die 1. Bäschen, und an Louis tausend, tausend Grüße und Empfelungen. Leben Sie wol, liebe Grosmutter 1 Ewig

Ihr 50 gehorsamer Enkel

Hölderlin. Waltershausen,

d. 25.Febr. 1794.

Tausend Herzensgrüße an Sie, liebe Mutter, und die Lieben in 55 Blaubeuren, und den lieben Karl — auch nach Markgröningen! Ich addressirte den Brief an Sie, weil mir dißmal die Zeit gebricht, mer zu schreiben. Er ist eigentlich für die 1. Grosmutter, wie Sie sehen werden.

75. A N N E U F F E R

Lieber Bruder I

Ich glaube, die Stunde, in der ich Dir schreibe, ist gerade so eine, wie man sie haben muß, um an Herzensfreunde zu schreiben. Es muß uns ein rechtes Bedürfniß werden, sich einer Seele, die einem eigen angehört, mitzuteilen, und ists der Mühe werth, zu schreiben. 5

Es war gar nicht brüderlich von mir, daß ich Dich und mich mit Zweifel und Unglauben plagte, weil Du nicht gleich schriebst. Ich kannte Dich ja. Du hast wpl etwas lieberes, als ich Dir sein kann. Aber darum bleibst Du doch nicht weniger mein, wie Du es anfangs warst, und sein konntest. lo

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B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3 Nr.32

Verhältnisse des innern und äußern Lebens, unsre Geister und Herzen, wie das Schiksaal, haben einen Bund zwischen Dir und mir gestiftet, der schwerlich je zerreißen kann.Wir lernten uns so ganz kennen, in unsem Schwächen und Tugenden, und blieben doch

15 Freunde. Der Zauber der Neuheit ist längst bei uns verschwunden. Die schöne Täuschung, wo man in den ersten Stunden und Tagen des Findens alles gefunden zu haben meint, da wo man doch nur Etwas finden kann, findet nimmer statt zwischen Dir und mir, und doch blieben wir Freunde.

20 Wir ringen um Einen Preis, und blieben doch Freunde.Wir ver-kanten uns, und blieben doch Freunde. Lieber! was woUen mir mer, um zu glauben, daß unser Bund ewig ist, und—daß wirkeine kleinen Seelen sind?

Es ist sonderbar; ich habe, seit wir uns fanden, so manche Meta-25 morphose in meinem Innern erlitten, so manches, woran ich mit aU'

meiner Liebe hieng, Ideen und Individuen, die mich damals über alles interessirten, haben ihre Bedeutung für mich verloren, neue Ideen, neue Individuen rissen mich hin, aber Dir ist mein Herz treu geblieben. Ich muß also doch wol nicht so wandelbar sein, wo wahrer

30 Werth mein Herz einmal gewann. Von Deiner Seite wundert mich diß weniger. Dein treuer beharrlicher Sinn ist die Wurzel all' Deines Glüks und Deines Werths. Deswegen ist mirs auch so klar, daß Du einst glüklicher imd größer sein wirst, als ich.

Du bist auf dem rechten Wege, Bruder! Du lässest die Köpfe der 35 andern in ihrer Erschütterung, und gehest Deinen Gang. Es ist

eine große Kunst, interessanten Gegenständen nicht sein ganzes Herz hinzugeben, wenn sie andre, die man schon im Herzen hat, verdringen würden. Diß ist Deine Kunst. Du verschließest keinem Dinge, das schön und gut und groß ist Dein Herz, aber räumst ihm

40 auch nur so viel Plaz ein, als dazu gehört, daß es neben andern be-stehen kann.Wohl Dir! Ich weit', ich könt' es auch. Friedsames inn-res Leben ist doch das höchste, was der Mensch haben kan.

Daß Du auch Deinem Virgil so ganz treu bleibst, freut mich un-aussprechlich. Der Geist des hohen Römers muß den Deinen wunder-

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Nr.4i .42 B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3

bar stärken. Deine Sprache muß im Kampfe mit der seinigen immer 45 mer an Gewandheit und Stärke gewinnen. Der Dank für Deinen Kampf wird freilich ein Dank deutscher Nation sein, indolenten An-gedenkens! Aber Freunde erringst Du Dir gewis. Überdis scheinen mir unsere Leute in diesen lezten Jaren doch etwas mer an Teil-nemung an Ideen, und Gegenständen, die außer dem Horizonte des 50 Unmittelbarnüzlichen liegen, gewöhnt worden zu sein; man hat jezt doch mer Sinn für Schönes und Großes als je; laß das Kriegsge-schrei verhallen, und die Warheit und Kunst wird einen seltnen Wir-kungskreis erleben. Freilich ließe sich auch manches dagegen sagen.

Und was ists, wenn auch wir armen Schelme vergessen werden, 55 oder nie ganz ins Andenken kommen, wenns nur mit den Menschen überhaupt besser wird, wenn die heiligen Grundsäze des Rechts und der reineren Erkentniß ganz ins Andenken kommen, und ewig nim-mer vergessen werden.

Mich beschäftigt jezt beinahe einzig mein Roman. Ich meine jezt 60 mer Einheit im Plane zu haben; auch dünkt mir das Ganze tiefer in den Menschen hinein zu gehn. Das Gedicht für Deine Selma schik' ich warscheinlich über 8 Tage. Der Botentag überraschte mich, ehe ich eine kleine Verbesserung damit vornemen konnte. Ich muß Dich zum voraus um Deine Nachsicht bitten, lieber Bruder! Es wird Dir 65 unbegreiflich scheinen, daß man Deine Sebna so schlecht besingen könne, oder doch so mittelmäsig. Hier inzwischen eine Kleinigkeit für Dich. Sie ist das Produkt einer frölichen Stunde, wo ich an Dich dachte. Du sollst einmal etwas besseres haben. Du kannst das kleine Ding ja mir halb zur Straffe halb zum Lohn in die Einsiedlerinn 70 transportiren, oder wohin Du willst. —

An Neuffer. Im Merz. 1794.

Noch kehrt in mich der süße Früling wieder, Noch altert nicht mein kindischfrölich Herz, Noch rinnt vom Auge mir der Thau der Liebe nieder, 75 Noch lebt in mir der Hofnung Lust und Schmerz.

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B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr.7S.76

Noch tröstet mich mit süßer Augenwaide Der blaue Himmel und die grüne Flur, Mir reicht die Göttliche den Taumelkelch der Freude,

80 Die jugendliche freundliche Natur.

Getrost I es ist der Schmerzen werth,diß Leben, So lang uns Armen Gottes Sonne scheint, Und Bilder beßrer Zeit um unsre Seele schweben. Und ach I mit uns ein freundlich Auge weint. — Hölderlin.

85 Meinen herzlichsten Dank, daß Du mir mit dem Gelde so brüder-lich aushalfst. Hier folgen die 2 Caroline zurük. Schreibe mir, so bald Dirs möglich ist. Lebe wol.

Von Magenau hab' ich vergessen zu schreiben. Ich begreif ihn nicht. Aber Du must ihn doch nicht ganz wegwerfen, lieber Bruder!

90 vieleicht findst Du einmal wieder eine beßre Seite in ihm auf.

76. AN SCHILLER

In einer Stunde, worinn die Nähe eines grosen Mannes mich ser ernst machte, versprach ich, der Menschheit Ehre zu machen in mei-nem jezigen durch die Folgen so ausgebreiteten Wirkungskreise. Ich versprach es Ihnen. Ich lege Ihnen Rechenschaft ab.

s Meinen Zögling zum Menschen zu bilden, das war und ist mein Zwek. Überzeugt, daß alle Humanität, die nicht mit andern Worten Vernunft heißt, oder auf diese sich genau bezieht, des Namens nicht Werth ist, dacht' ich in meinem Zögling nicht frühe genug sein Edel-stes entwikeln zu können. Im schuldlosen Naturstande könnt' er jezt

10 schon nimmer sein, und war auch nimmer drinn. Das Kind konnte nicht so gehütet werden, daß aller Einfluß der Gesellschaft auf seine erwachenden Kräfte abgeschnitten worden wäre. Wenn es also mög-lich war, es jezt schon zum Bewußtsein seiner sittlichen Freiheit zu bringen, es zu einem der Zurechnung fähigen Wesen zu machen,

15 so mußte diß geschehen. Nun hat es zwar für jezt, wie mir scheint.

III

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Nr.76 B R I E F E 1 79 4 . -1 79 5

für die erweiterten moralischen Verhältnisse schwerlich eigentliche

Rezeptivität, aber doch gewiß für die engem, worunter das des

Freundes zum Freund' in meinem Falle das einzige anwendbare war.

Ich suchte nicht seine Gunst. Daß er um die meinige sich nicht

bewarb, sucht' ich auch zu verhüten, und die Natur bedurfte hier 20

keines großen Widerstandes. Ich folgte aber dem Zuge meines Her-

zens, der in guten Stunden mich recht innig mit der frölichen reg-

samen und bildsamen Natur des Knaben verbrüderte. Er verstand

mich, \md wir wurden Freunde. An die Autorität dieser Freund-

schaft, die unschuldigste, die ich kenne, sucht' ich alles, was zu thun 25

oder zu lassen war, anzuknüpfen. Weil aber doch jede Autorität, wor-

an des Menschen Denken und Handien angeknüpft wird, über kurz

oder lange grose Inkonvenienzen mit sich fürt, wagt' ich allmälig

den Zusaz, daß alles, was er thue und lasse nicht blos um seinet und

meinetwillen zu thun oder zu lassen sei, und ich bin sicher, wenn er 30

mich hierinn verstanden hat, so hat er das höchste verstanden, was

noth ist.

Hierauf gründen sich die Mittel zu meinem Zwek in näherer oder

entfernterer Beziehxmg. Mit einem Detail wiU ich Ihnen nicht lästig

sein. Die tiefe Achtung gegen Sie, mit der ich aufwuchs, mit der ich 35

so oft mich stärkte oder demütigte, die mich auch jezt in meiner und

meines Zöglings Bildung nicht lässig werden läßt, diese Achtung läßt

mich nicht zu geschwäzig werden.

Unendlich wird diese Achtung verstärkt, durch Ihre Güte, der ich

meine gegenwärtige in so mancher Rüksicht günstige Lage dsinke. *o

Die seltne Energie des Geistes, die ich an der Frau von Kalb be-

wundere, soll, wie ich hoffe, dem meinigen aufhelfen, um so mer, da

alles beiträgt, mich zu heitrer Tätigkeit zu stimmen. Könt' ich doch

die mütterüchen Hofnungen dieser edlen Dame realisiren!

Sie ist seit einer Woche hier. Sie trug mir einen Empfel an Sie auf, +5

mit der Versicherung, nächstens zu schreiben.

Wie sie mir sagte, hätt' ich das Glük haben können, einige Monate

um Sie zu sein. Ich füle tief, was ich verscherzte. So viel hab' ich durch

meine Schuld noch nie verloren. Lassen Sie mir meinen Glauben,

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B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr.76.77

50 edler groser Maii I Ihre Nähe hätte Wunder gewirkt in mir. W a r u m

muß ich so arm sein, und so viel Interesse haben u m den Reichtum

eines Geistes? Ich werde nie glüklich sein. Indessen ich muß wollen,

und ich will. Ich will zu einem Manne werden. Würdigen Sie mich

zuweilen eines aufmerksamen Bliks I Der gute WiUe des Menschen

55 ist doch nie ganz one Erfolg.

Ich nehme mir die Freiheit, ein Blatt beizulegen, dessen Unwerth

in meinen Augen nicht so ser entschieden ist, daß ich es mir zur offen-

baren Insolenz anrechnen könnte, Sie damit zu belästigen, dessen

Schäzung aber eben so wenig hinreicht, mich aus der etwas bangen

60 Stimmung zu sezen, womit ich dieses niederschreibe.

Sölten Sie das Blatt würdigen, in Ihrer Thalia zu erscheinen, so wür-

de dieser Reliquie meiner Jugend mer Ehre widerfahren, als ich hofte.

Ich bin mit der wahrsten Hochachtung

Ihr

65 ergebenster Verehrer

M. Hölderlin.

77. AN NEUFFER

Hier, lieber Bruder 1 hast D u das Kind des Frülings und der Freimd-

schaft, das Liedchen an Deine Selma. Freilich sollte ein solcher Vater

und eine solche Mutter eher einen Adon, wie Bürgers hohes Lied, als

einen solchen armen Schelm erzeugen. Übrigens bin ich zufrieden

5 wenn nur eine ganz kleine Spur seines Vaters und seiner Mutter

merkbar ist in ihm.

Ich bin ser neugierig, einmal wieder etwas von Dir zu lesen. —

Schiller ist ja krank? Die Nachricht hat mich ser traurig gemacht.

Mein Gedicht an das Schiksaal wird warscheinlich diesen Sommer in

10 der Thalia erscheinen. Ich kann es jezt schon nimmer leiden. Über-

haupt hab' ich jezt nur noch meinen Roman im Auge . Ich bin vest

entschlossen, von der Kunst zu scheiden, wenn ich mich auch hier-

über am Ende auslachen mus. Übrigens komm' ich jezt so ziemlich

von der Region des Abstracten zurük, in die ich mich mit meinem

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Nr. 77. 78 B R I E F E 1 7 9 + - 1 7 9 5

ganzen Wesen verloren hatte. Ich lese auch jezt nur bei dürftiger 15

Laune. Meine lezte Leetüre ist Schillers Abhandlung über Anmuth

und Würde gewesen. Ich erinnere mich nicht etwas gelesen zu haben,

wo das beste aus dem Gedankenreiche, und dem Gebiete der Emp-

findung und Fantasie so in Eines verschmolzen gewesen wäre. W e n n

nur dieser hohe Geist noch einige Dezenne unter uns bliebe! — Lebe 20

wol, Lieberl Tausend Grüße an unsern Stäudlinl Introduzire mein

Liedchen so gut als möglich bei Deiner Sekna, daß sie nicht zürnt.

Bitte auch die andern Guten alle, mein, so gut es möglich ist, zu ge-

denken.

Dein 25

Hölderlin.

Der Schuster, bei dem D u mir Schuhe machen ließest, fordert

Bezahlung von meiner Mutter. Es wäre mir ser laid, wenn ich mich

irrte, und das Geld nicht noch vor meiner Abreise ihm geschikt hätte.

Erinnerst D u Dich nimmer? 30

78. AN DIE M U T T E R

Endlich, liebe Mutter! kann ich den Wunsch, mich mit Ihnen zu

unterhalten, einmal wieder befriedigen. Ich bin glüklich, wenn es

Ihnen und den lieben Meinigen allen so gut geht, wie mir. Ich bin

gesunder, als je, thue, was ich zu thun habe, mit Lust, und finde für

das wenige, was ich thun kann, eine Dankbarkeit, die ich nie erwar- 5

ten konnte. Meine Lage ist in der That ser günstig; im freundschaft-

lichen Umgange mit guten geistreichen Menschen, bei ungestörter

Thätigkeit, bei wolthätigen Freuden des Geistes imd Herzens, bei der

zuvorkommenden Gefälligkeit, womit man die kleinste Bequemlich-

keit, die ich wünsche, mir verschafft, bei den Aussichten auf eine 10

meiner Bildung noch günstigere Lage müßte ich wirklich grosen

Geschmak am Klagen finden, wenn ich jezt nicht Sie versicherte, daß

ich ser zufrieden bin.

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B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3 Nr . 41

Meine Zeit ist getheilt in meinen Unterricht, in die Gesellschaft

15 mit meinem Hause, und in eigne Arbeiten. Mein Unterricht hat den

besten Erfolg. Es ist gar keine Rede davon, daß ich auch nur Einmal

die gewaltsame Methode zu brauchen nötig hätte, eine unzufrie-

dene Miene sagt meinem lieben Friz genug, und nur selten braucht

er mit einem ernsten Worte bestraft zu werden. Wenn wir in Gesell-

20 Schaft zusammen sind, wird meist vorgelesen, abwechslungsweise,

bald von Herrn, bald von der Frau von Kalb, bald von mir und über

Tische oder auf Spaziergängen oft in Emst und Scherze, wie es jedem

gelegen ist, davon gesprochen. Wenn ich aber über einer eignen Ar-

beit etwas zerstreut bin und Gesichter schneide, so weis man schon,

25 wie's gemeint ist, und ich brauche nicht unterhaltend zu sein, wenn

ich nicht in der Laune bin. Daß diß ganz nach meinem Sinne ist,

können Sie sich denken. Die Zeit, die mir zu meiner eignen Beschäf-

tigung übrig bleibt, ist mir jezt teurer, als je, ich werde warschein-

lich nächsten Winter in Weimar im Zirkel der grosen Männer, die

30 diese Stadt in sich hat, zubringen. Ich werde da außer meinem Zög-

linge noch einen Sohn von dem Consistorialpräsident Herder unter-

richten, und in dessen Hause logiren. Auch mit Göthe und Wieland

will mich die Frau von Kalb, die von allen diesen die vertrauteste

Freundin ist, bekannt machen. Nächsten Sommer werd' ich dahin

35 abreisen, und den jungen Herder hieher abhohlen, und dann mit die-

sem und meinem Friz auf den Herbst vieleicht auf lange Zeit one die

Eltern nach Weimar ziehen. Auch werd' ich nächstens im Namen der

Frau von Kalb nach Nürnberg reisen, wenn die Person, die ich dort

sprechen solle, nicht schon abgereist ist.

40 Heute haben wir den Herzog von Meinungen zu Gaste, und ich

soll, wie die Majorin sagt, mit ihm Bekanntschaft machen. Vieleicht

kann ich auch den Abend, ehe der Brief mit dieser Gelegenheit fort

muß,noch etwas von ihm schreiben.

Mittags.

45 Ich suchte mit guter Gelegenheit auf einige Augenblike wegzu-

kommen, um mich noch so viel möglich mit Ihnen zu unterhalten.

Sie können denken, welch ein Kontrast es ist, sich an den Heerd der

115

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Mutter hinzudenken — unmittelbar nach solchen Paradestunden.

Der Gedanke an meine Heimath thut mir jezt unaussprechhch wol,

so gut mir's unter diesen Menschen ergeht. Ich finde überall, daß ein 50

Prophet in seinem Vater lande wenig gilt, und in der Feme zu viell

Ich muß oft lachen, wenn ich daran denke, wie ich sonst so scheu und

bescheiden war, und jezt, nothgedrungen, um nicht für einen Pinsel

zu gelten, mir eine Grace geben muß, sollt' es auch nur sein, um

dem Hause keine Schande zu machen. Machen Sie sich immer lustig 55

über diese Bekenmg, liebe Mutter! Mein schwäbisches Herz soll,

hoffentlich, auch unter solchen Umständen bleiben, wie es war. —

Nur Eine Stunde möcht' ich einmal wieder um Sie sein, nur Eine!

vmd um meinen Karl und meine Schwester, imd die andern Lieben.

Überall hin tausend Grüße und Empfelungen I 60

Der Herzog von Meinungen kontrastirt gar ser zu den andern

Menschen aus dieser Region. Er ist ein Mann von ungefär 30 Jaren,

aber noch ein Jüngling an Jovialität, und Mittheilungsgabe. Er ist

sehr populär. Er trägt abgeschnittene Haare, und scheint überhaupt

auf das eigentliche Ceremonienwesen wenig zu halten. — 65

Nächste Woche schreib' ich auch an HE. Schwager. Ich würde Sie

bedauern, liebste Mutter, wenn Sie auf Ostern die Gesellschaft des

HE. Schwagers und der lieben Rike entberen müßten. Mein Karl soll

mir doch auch schreiben. Ich denke tausendmal an ihn. Ich hoffe

nicht, daß er sein Versprechen, als Freiwilliger die Flinte zu tragen, 70

soll halten müssen. Ich habe auch hier schon von ihm gesprochen,

von seinem Fleiß, vmd allen seinen Anlagen zum brauchbaren

Manne. Ich gehe immer mit dem Gedanken um, ihm ein ange-

nemeres und seiner Bildung günstigeres Pläzchen zu verschaffen.

Was hat er jezt für Pläne? wird er wol nach Markgröningen kom- 75

men? — Jezt noch eine Kommission! Sie mag Ihnen wol nicht ganz

angenem sein, aber ich konnte sie nicht wol ablehnen. Die Frau

Majorin wünschte sechs Maaße Kirschengeist aus Schwaben zu

haben. Sie will Ihnen das Geld für den Kirschengeist sowol als für

den Transport zustellen, der Kirschengeist müßte aber freilich von 80

einer guten Sorte sein. Hier kann man keinen haben. Die Frau Ma-

116

Page 128: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 S Nr.78.79

jorin will Ihnen nächstens selbst schreiben, wie sie sagte. Ich bedaure, daß das Papier schon voll ist.

Leben Sie wol, liebste Mutter 1 85 Ewig Ihr

Friz.

79. A N D I E M U T T E R

Waltershausen, d. 20 Apr. 1794.

Liebste Mutter 1

Ich eile, Sie zu versichern, daß ich bei gesundem Leibe und frohem Mute, auch dermalen noch in Waltershausen festangesessen bin. Ich

5 kann nicht ganz begreifen, daß mein lezter Brief noch nicht ange-kommen gewesen sein soll, ehe Sie den Ihrigen schrieben. Es wäre mir ser laid wenn er verloren gegangen wäre, imd Sie inzwischen auf eine Nachricht von mir hätten warten müssen. Auch hab' ich darinn von manchem geschrieben, was ich jezt wegen Kürze der Zeit nicht

10 wiederhohlen kann. Das einzige, was ich wiederhohlen muß ehren-halber I ist, daß ich eine Kommission habe, von der Frau von Kalb, Sie zu bitten, daß Sie 6 Maaße Kirschengeist für sie aufkaufen. Sie will das Portogeld nebst dem übrigen zurükschiken, so bald sie den Preis weis.

Möcht' ich doch jezt nur ein paar Stimden unter meinen Lieben 15 in Nürtingen seini HE. Schwager und die hebe Rike sind wol jezt da.

Tausend Grüße. Im Geiste bin ich oft dort. Am Ostermontage hab' ich auch wieder gepredigt. Ich sage das

Ihnen, liebste Mutter! weil ich weiß, daß es Ihnen so höchst tröst-lich ist.

20 Mein Heber Friz lag beinahe 3 Wochen lang krank. Jezt aber ist er beinahe vollkommen hergestellt. Und seine Maladie, ein Rhevma-tism, der ihm in die Glieder zog, läßt nirgends keine Spur zurük. Ich war manchmal ser um ihn bekümmert. Die junge schöne Seele hat meine ganze Liebe.

25 Ich sah nirgends einen schönem Früling, als hier. Sind die Felder in meinem Vaterlande auch so voll unendlichen Seegens? Es sollte mich recht freuen für die guten Schwaben.

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Nr.79.80 B R I E F E 179 4 . -1 79 5

Ich lege hier die Antwort auf den Brief bei, den ich in dem Ihrigen eingeschlossen bekam. Ich kann und mag jezt nicht wol an eine Ver-änderung meiner Lage denken. Schreiben Sie mir doch recht viel das so nächstemal, von den lieben Blaubeurer Gästen. Ich wünschte ser oft einen regehnäsigen Botentag zu haben. Ich werde immer über-rascht, und kann das, was ich schreiben wollte,nicht mer schreiben.

Ich finde jezt, daß die Sorgen und Grillen doch auch für etwas gut sind. Seit ich keine mer habe, beginn' ich dik zu werden. 35

Daß die liebe Fr. Grosmeimma nicht wol ist, bedaur' ich recht ser. Ich hoffe auch von dieser Seite das nächstemal erfreuliche Nachrich-ten zu hören. Verzeihen Sie, liebe Mutter 1 daß ich dißmal so im Hui! schreibe. Das nächstemal will ichs gut zu machen suchen. Ewig

Ihr 40 Friz.

80. A N D E N B R U D E R

Waltershausen bei Meinungen, d. 21 Mai 1794.

Lieber Bruder!

Das war brav, daß Du mir einmal Deine Existenz und Dein brü-derliches Andenken kund thatest. Ich dachte schon oft indeß an Dich, 5 seit der Stunde, wo wir uns auf dem Felde schieden, und so lange nicht scheiden konnten.

Jezt scheint mir die Entfemimg immer so himmelweit, und ich meine oft, ich müßte geschwind einen Flug zu euch Lieben wagen. Aber bis dahin mögen wir wol noch um manchen Tag älter werden. lo

Ich zweifle, ob ich meine gegenwärtige Lage so schnell verlassen werde. Ich habe Muße zur Selbstbildung, auch Veranlassung von außen, und, wenn die Tage gut sind, gelten mir meine übrigen Be-schäftigungen für Erhohlungsstunden. Es ist noch ungewiß, ob ich nächsten Winter nicht so wol in Weimar als in Jena zubringen werde. 15 Beides ist mir, wie Du Dir denken kannst, höchst angenem. Hier leb'

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Page 130: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 + - 1 7 9 5 Nr.BO

ich ser still. Ich erinnere mich nur weniger Perioden aus meinem

Leben, die ich immer so mit gleicher Fassung und Ruhe zugebracht

hätte.

20 Du weist es, Bruder 1 welch' ein Werth darinn liegt, daß man sich

durch nichts zerstreut. Du hast dieses Glük auch. Genieß' es I Wenn

einem auch nur Eine Stunde vom Tage übrig bleibt, zu freier Thätig-

keit des Geistes, wo man seine angelegentlichsten edelsten Bedürf-

nisse besorgen kann, so ists viel, wenigstens genug, um sich für die

25 übrige Zeit zu stärken und zu erheitern.

Bruder! halte Dein besseres Selbst empor, und laß es durch nichts

niederdrüken, durch nichts 1 Es liegt mir ser viel daran, zu wissen,

welche Richtung Dein Geist nimmt. Sei so gut. Lieber, imd benach-

richtige mich, so oft Du kannst, davon. Von meinen eignen Beschäf-

30 tigungen will ich Dir nächstens Rechenschaft geben. Ich habe jezt

etwas unter den Händen, wovon ich nicht sprechen mag, bevor es im

Reinen ist.

Kannst Du die neuesten Stüke von Schillers Thalia, oder Ewalds

Urania, oder auch der schwäbischen Flora auffinden, so siehe nach

35 meinem Namen, und denke meiner I Es sind aber meist Kleinigkeiten,

die Du dort finden wirst. Meine einzige Lektüre beinahe ist Kant

für jezt. Immer mer enthüllt sich mir dieser herrliche Geist.

Es freut mich ser für euch, daß die liebe Fr. Grosmamma da ist.

Tausend herzliche Empfelungen. Sie ist doch wieder ganz wol? Daß

•0 meine kleine Nichte so waker gedeiht, war auch eine recht angeneme

Nachricht für mich.

Nach Blaubeuren will ich schreiben. Die liebe Mutter wird von der

Frau von Kalb gebeten, mit dem Kirschengeist zu warten, bis die

heurigen Kirschen gereift sind, und es dann in Krügen und einem

45 Kästchen zu schiken. Mein Friz ist wieder ganz wol, und macht mir

immer viel Freude. Ich fand nicht leicht so ein gutes Kind.

Behüt' euch Gottl ihr Lieben I

Euer

Friz.

50 Was macht mein guter Hiemer?

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Nr.ai B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

81. AN D E N SCHWAGER B R E U N L I N

Völkershausen, am Pfingstfeste. 94.

Sie erlaubten mir, theuerster Herr Schwager! Ihnen zuweilen von

mir Nachricht zu geben. Ich hätt' es wol früher gethan, wenn ich

nicht immer gehoft hätte, Gelegenheit zu finden, Sie von etwas Inte-

ressanterem , als ich selbst bin, zu unterhalten. 5

Bei meiner einsamen Lage aber, die ich doch in mancher Rüksicht

ser günstig finde, m u ß ich jezt dennoch die Nachrichten auf meine

eigne Existenz einschränken.

Diese lauten nun für meine teilnemenden Freunde ziemlich gut.

Ich finde täglich mer, daß es das Schiksaal gar nicht übel mit mir ge- lo

meint hat, da es mich in den engen Zirkel versezte, in dem ich lebe.

Man kommt mit seinen Gedanken und Gesinnungen eher in's Reine,

wenn die Gegenstände u m einen nicht zu mannigfaltig sind.

Überdis ist mein Leben doch nichts weniger, als einsiedlerisch. W i e

Sie sehen, bin ich jezt auf einer kleinen Reise begriffen. Das ganze 15

Haus ist hier bei der ser zahlreichen zum Teil interessanten v. Steini-

schen Familie auf Besuch. Die Lage des hiesigen Guts ist die ange-

nemste von der Wel t , in der Nachbarschaft des Rhöngebirges, das

, Franken v o m Fuldischen Lande trennt.

Ich werde morgen eine kleine Exkursion aufs Rhöngebirge und 20

ins Fulderland vornemen, wovon ich mir manche frohe Stunde ver-

spreche. Ich m u ß doch einmal wieder mich selbst und die Wel t in vol-

ler Unabhängigkeit geniesen.

Ich hoffe dann wieder u m so wirksamer mein Tagewerk zu besor-

gen . Meine eignen Beschäftigungen sind izt ser konzentrirt, zum Teil 25

aus freier Neigung, zum Tei l , weil doch meine Zeit etwas beschränkt

ist. Ich teile mich jezt, was das Wissenschaftliche betrift, einzig in die

Kantische Philosophie und die Griechen, suche wol auch zuweilen

etwas aus mir selbst zu produziren. Durch günstige Zufälle ist mirs

möglich gemacht worden, meine Kleinigkeiten in Herders Briefen 30

120

Page 132: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 8 8 - 1 7 9 3 Nr.41

für die Humanität, Schillers Thalia, auch Ewalds Urania aufzustel-

len. Gute Gesellschaft hab' ich da gröstenteils.

Fürchten Sie aber ja nicht, daß ich dadurch versucht werden möchte,

über der bis jezt ziemlich imbedeutenden Mitteilung meines Selbsts

35 die mir noch so nötige Kultur zu versäumen. Nie war diß weniger

der Fall als jezt.

Zuweilen möcht ich doch auch einige Tage unter den Meinigen

leben. Meine liebe Schwester und Sie, theuerster Herr Schwager!

sind mir in zu lebhaftem Angedenken, als daß ich mich nicht ser oft

•0 nach Blaubeuren wünschen sollte; auch dacht ich um Ostern manch

liebes mal an Nürtingen und seine lieben Gäste.

Ich bin ser begierig, recht viel von der Entwiklung des vielver-

sprechenden kleinen Vetters zu hören. Wir haben auch so ein junges

Genie im Hause ein Töchterchen des HE. v. Kalb, die mich ser oft an

45 den lieben Christian erinnert. Ihre Kleine wird Ihnen jezt wol auch

viele Freude machen. —

Haben Sie die Güte, theuerster HE. Schwager, meine 1. Mutter

von meinem fortdaurenden Wolsein zu benachrichtigen, weil ich

diese Woche, vieleicht auch die nächste, nimmer werde schreiben

50 können. Ich hoffe, bald nach meiner Rükkehr nach Waltershausen

auch wieder Nachricht von den lieben Meinigen zu bekommen. Ver-

zeihen Sie, teurer HE. Schwager! ich mußte so im Fluge schreiben,

und doch mocht' ichs nimmer länger anstehn lassen. Ich hoff ' es ein

andermal gut zu machen. Überall in Blaubeuren viele Empfelungen!

55 Meiner lieben Schwester und den Kleinen tausend Grüße! — Ewig

Ihr

ergebener Fr. und Dien.

Hölderlin.

121

Page 133: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr. 82 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

82. AN DIE M U T T E R

W a l t e r s h a u s e n ,

d . 1 Jul. 9 4 .

L i e b s t e M u t t e r 1

Ich fürchte fast, daß Ihnen mein langes Stillschweigen dißmal

besonders ser ungelegen gewesen sein möchte. Sie werden aber aus 5

dem Briefe, den ich an H E . Schwager schrieb, gesehen haben, was

zum Theil die Ursache davon war. Überdiß gesteh' ich Ihnen, daß

mir ein Theil Ihres Briefes es beinahe unmöglich machte, ihn unmit-

telbar auf den Empfaing zu besmtworten, wiewol ich im Grunde, was

diesen Fall betrift, längst entschlossen war. Ich sähe längst, daß ich lo

meine Bildung so gut als aufgeben müßte , wenn ich jezt schon eine

feste häusliche Lage wählen solte. Sie werden mir vieleicht, wie in

manchen Fällen, das Beispiel anderer entgegensezen, die sich glük-

lich schäzen würden, eine so frühe Versorgung zu finden, wie es die

Leute nennen. Aber es ist, wie ich glaube, weder Unbescheidenheit, 15

noch Träumerei, wenn ich für mein Wesen, so weit ich seine Bedürf-

nisse kenne, für j ezt n o c h eine Lage notwendig halte, in der ich mer

Möglichkeit vor mir sehe, an mannigfaltigen Gegenständen, one die

Einschränkungen eines fixirten bürgerlichen Verhältnisses meinen

Geist und mein Herz zu nähren. Liebe Mutter 1 es ist Pflicht, seinen 20

eigentümlichen Charakter zu kennen, sei er nun gut oder schlimm,

und so viel möglich, sich in Umständen zu erhalten, oder sich in

solche zu versezen zu suchen, welche gerade diesem Charakter gün-

stig sind. Überdiß ist es ganz gegen meine Grundsäze, auf solchem

W e g e in eine Stelle der bürgerlichen Gesellschaft einzutreten.Wäre 25

es in meinem Falle auch nur ein böser Schein, so will und soll ich

vorzüglich in einer solchen Angelegenheit, auch diesen meiden.

I c h b i n , aus d e n e inge für ten G r ü n d e n , g e w i s , d a ß Sie m e i n e n n a c h

w i e d e r h o h l t e r u n b e f a n g e n e r U e b e r l e g u n g g e f a ß t e n E n t s c h l u s b i l -

l i g e n , u m so m e r , da i c h Sie b e i d ieser G e l e g e n h e i t v e r s i c h e r e , d a ß 30

i ch n i e m a l s e i n e n W e g zu m e i n e r k ü n f t i g e n W i r k s a m k e i t w ä h l e n

122

Page 134: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 + - 1 7 9 5 Nr.82

werde, wo ich Ihnen auf irgend eine Art zur Last fallen, oder gar

Unehre machen könnte. Sie sagen mir, daß Sie die L. bedauren.

Ich denke aber, wenn sie mir im Ernste gut ist, so kann sie nichts

35 wünschen, was wider meinen Karakter ist. War es ihr aber nur so halb

Ernst, min so wird sie sich trösten, und ich mus mich auch zu trösten

suchen. So ser ich wünsche, ein solches Verhältnis, so sonderbare Sei-

ten es auch in meinen Augen immer hatte, nie zu brechen, so ge-

traue ich mir doch nicht, sie gerade heraus zu bitten, mir zu lieb

40 einem Glük zu entsagen; denn das wird es wie ich hoffe, doch für sie

sein. Ich überlasse diß Ihnen, liebe Mutter, wenn Sie anders zu irgend

einer Entscheidung — oder sagen Sie, was Sie vieleicht schon gesagt

haben, ich sei verreist, und schreibe nicht. — Gottlob I so hätt' ich den

schwierigen Punkt von der Brust weg. Sie können glauben, daß es

45 meinem törichten Herzen schwer wurde, so vernünftig zu schreiben,

denn ich bin, wenn ich die Sache genau besehe, doch unruhig, nicht

um meinetwillen, sondern um ihretwillen. Ich mus aufhören.

Schreiben Sie bald, liebe, ewigteure Mutter! auch wenn Sie wollen,

der Frau von Kalb. Von meiner Reise hab ich Ihnen noch gar nichts

50 erzählt. Aber nächsten Botentag schreib' ich dem 1. Carl, und dann

soils geschehen.

Gesund bin ich immer. Auch mein ökonomischer Zustand ist gut.

Die Motion auf dem Rhöngebirge, und im Fulderlande ist mir ser

gut bekommen. Übrigens, so gern ich durch die Welt streiche, ist mir

55 mein sorgenfreies stilles Waltershausen doch auch lieb. — Tausend

Empfelungen an die 1. Fr. Grosmamma; dem 1. Karl schreib' ich gewis

mit nächstem. Sein Brief hat mich außerordentlich gefreut, beson-

ders die Nachricht von s. jezigen so gut gewählten Leetüre. Behalten

Sie mich lieb,teuerste Mutter!

60 Ihr

Friz.

123

Page 135: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

iVr.SJ B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

85. AN NEUFFER

Lieber Bruder I

Mit jedem Briefe von Dir wird mir die gegenseitige Mitteilung

unsers Wesens und seiner Zustände unentberlicher. Mit warem An-

teil bedaur' ich den Unfall, der Deine edle Geliebte, und mit ihr Dich

traf. Ihr werdet da erst ganz gefühlt haben, was Ihr einander seid. 5

Es ist der innerste Wunsch meines Herzens, daß dieses schöne Band

sich erhalte in dieser seltnen Innigkeit. W e n n ich mir träume, daß

mir wol auch einmal ein solches Weib werden könnte, und mein

häuslicher Heerd recht nahe bei Dir und Deinem Röschen wäre, so

kann ich wol manchmal dem ewigen Sehnen von einer Stelle der lo

Wel t zur andern von einer Wirksamkeit zur andern seine gehörige

Schranke sezen, oder vielmer es besser verstehen, u m so mer, da ich

so klar sehe, aus meiner jezigen Lage, wie ein enger stiller Gesichts-

und Wirkungskreis, wenn man nur einmal ganz vertraut mit ihm

geworden, unsere Kräfte in unablässiger Tätigkeit, und eben weil die 15

Mannigfaltigkeit von Gegenständen nicht ermüdet und zerstreut,

uns u m so stärker und reiner erhält, wie auch da manche schöne

Freude, die man bei flüchtigem Vorübereilen nicht bemerken

könnte, verborgen hegt. Übrigens, wie es das heilige Schiksaal will !

W i r können nicht Berge zu Thalen, und Thale zu Bergen machen. 20

Aber wir können uns auf dem Berge des weiten Himmels und der

freien Luft , und der stolzen Höhe, und im Thale der Ruhe und Stille

freuen, und mit den Lieblichkeiten und HerrUchkeiten, die wir von

oben herab übersehen hätten, u m so vertrauter werden. Noch besser!

Giebts auf dem Berge für uns zu thun, so klimmen wir hinauf, kön- 25

nen wir pflanzen und bauen im Thale, so bleiben wir da.

Verzeih das, Heber Bruder! Aber mein kau so einen zufälligen Ge-

danken nicht leicht schnell wieder verlassen, wenn er ein wenig

gleichartig ist mit unserem Wesen, und geratet so ins Schwäzen hin-

ein . — Zu der Stelle Deines Briefs, wo D u über Unfruchtbarkeit Dei- 30

nes Geistes Dich äußerst, schreib' ich Dir eine Stelle aus Herders

124

Page 136: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr.83

Tithon und Aurora ab: »Was wir Überleben unsrer selbst nennen,

ist bei bessern Seelen nur Schlummer zu neuem Erwachen, eine Ab-

spannung des Bogens zu neuem Gebrauche. So ruhet der Aker, damit

35 er desto reicher trage: so erstirbt der Baum im Winter, damit er im

Frühlinge neu sprosse und treibe. Den Guten verlasset das Schiksaal

nicht, so lange er sich nicht selbst verläßt, und unrümlich an sich

verzweifelt. Der Genius, der von ihm gewichen schien, kehrt zu

rechter Zeit zurük, und mit ihm neue Tätigkeit, Glük und Freude.

40 Oft ist ein Freund ein solcher G e n i u s ! « Mach mir die Freude,

Lieber, und schreibe bald, daß ich zum Teil Dir so was gewesen sei.

Deine Übersezung des Katilina interessirt mich um so mer, da ich

noch von vorigem Jare, wo ich ihn las, mit ihm bekannt bin. Es ist

recht ein Geschäft zu seiner Zeit. Du hast recht, das Übersezen ist

45 eine heilsame Gymnastik für die Sprache. Sie wird hübsch geschmei-

dig, wenn sie sich so nach fremder Schönheit und Größe, oft auch

nach fremden Launen bequemen mus. Aber, so ser ich Dich bewun-

dere, daß Du mit solcher Beharrlichkeit das Mittel zu Deinem Zweke

vorbereiten kannst, so werd' ich Dir doch einen Fehdebrief schiken,

50 wenn Du nach Vollendung beider Arbeiten, die Du jezt unter den

Händen hast, eine neue der Art anfängst. Die Sprache ist Organ unse-

res Kopfs, unseres Herzens, Zeichen unserer Phantasien, unserer

Ideen; uns mus sie gehorchen. Hat sie nun zu lange in fremdem

Dienste gelebt, so, denk' ich, ist fast zu fürchten, daß sie nie mer ganz

55 der freie reine, durch gar nichts, als durch das Innre, so und nicht

anders gestaltete Ausdruk unseres Geistes werde. Ich würde mich

gerne näher darüber erklären, lieber Bruder! wenn ich jezt durch

den abgehenden Boten nicht getrieben würde. — Diesen Nachmittag

wurd' ich im Schreiben durch die Majorin unterbrochen. Sie sah,

60 daß ich an Dich schrieb, und trug mir auf, Dir recht herzlich zu dan-

ken für Deinen Gruß, Dir zu schreiben, daß sie an die Fortdauer un-

serer Freundschaft, mer als bei irgend einer, glaube, nach allem was

sie von uns wisse, denn wenn einmal Wesen zu diesem Zwek sich die

Hand reichen, daß sie durch Anteil an allem was Geist und Gemüth

65 interessire, an allem, was das Seyn erhöhe, erweitere, verherrhche,

125

Page 137: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.83.84 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

sich stärken, und emporhelfen, dann seien sie auf ewig verbunden,

denn ihre Liebe seie, wie der Fortschritt ihrer Vervollkommung un-

endlich . Diß ist beinahe wörtHch, was sie sagte. Ferner: — wenn Dei-

ner gedacht werde, so dürfen ja auch in diesem Gespräche die Unzer-

trennlichen nicht geschieden werden, und so begleite Dich immer 70

auch Röschen — sie möchte den Menschen sehen, der sich nicht freue

über eine solche in unsern Tagen so seltne Liebe u . s .w . Ich glaube

D u kanst aus diesen Worten, die ich getreu ausrichtete, einen Theil

ihres Wesens ahnden. — Mein Junge ist recht guter Art, ehrlich, frö-

lich, lenksam, mit gutzusammenstimmenden, auf keine Art exzen- 75

trischen Geisteskräften, und vom Köpfchen bis auf die Füße bild-

schön. Ich würde Dir gerne auch noch etwas von mir, von meinem

Roman, meinen kantischästhetischen Beschäftigungen, einer Reise

übers Rhöngebirge ins Fulderland, die ich neulich machte, und sonst

von manchem erzälen, wenn ich nicht genötiget wäre zu schließen. 80

Weist D u nicht, ob Stäudlin mein Gedicht an die Künheit in die

Uremia geschikt hat? Ich wünschte es zu wissen, u m vieleicht andern

Gebrauch davon zu machen.

Dein

Hölderlin. 85

Sei so gut, schike beiliegenden Brief in Hegels Haus, und grüße

bei Gelegenheit die Heglin, sag' ihr, auch Hesler empfele sich ihr,

und wenn ich nicht übereilt worden wäre, würd ' ich mir die Freiheit

genommen haben, ihr selbst zu schreiben. Ob ich das bei andern

Briefen an ihren Bruder thun dürfe? 90

S'l'. AN H E G E L

Waltershausen bei Meinungen,

d. 10 Jul. 1794.

Lieber Bruder 1

Ich bin gewis, daß D u indessen zuweilen meiner gedachtest, seit

wir mit der Loosung — Reich Gottes I von einander schieden. An die-

126

Page 138: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 179 + - 1 7 9 5 Nr.S*

ser Loosung würden wir uns nach jeder Metamorphose, wie ich

glaube, wiedererkennen.

Ich bin gewis, es mag mit Dir werden, wie es will, jenen Zug wird

nie die Zeit in Dir verwischen. Ich denke, das soll auch der Fall sein

10 mit mir. Jener Zug ists doch vorzüglich, was wir aineinander lieben.

Und so sind wir der Ewigkeit unserer Freundschaft gewis. Übrigens

wünscht' ich doch oft Dir nahe zu sein. Du warst so oft mein Genius.

Ich danke Dir ser viel. Das fül ich erst seit unserer Trennung ganz.

Ich möchte Dir wol noch manches ablernen, auch zuweilen etwas

15 von dem meinigen mitteilen.

Das Briefschreiben ist zwar immer nur Nothbehelf; aber doch

etwas. Deswegen sollten wir es doch nicht ganz unterlassen. Wir müs-

sen uns zuweilen mahnen, daß wir große Rechte aufeinander haben.

Ich glaube, daß Du Deine Welt in mancher Rüksicht für Dich

20 ziemlich tauglich finden wirst. Ich habe aber nicht Ursache, Dich zu

beneiden. Für mich ist meine Lage gleich gut. Du bist mer mit Dir

selbst im Reinen, als ich. Dir ists gut, irgend einen Lärm in der Nähe

zu haben; ich brauche Stille. An Freude fehlt es mir auch nicht. Dir

gebricht sie nirgends.

25 Deine Seen und Alpen möchte ich wol zuweilen um mich haben.

Die grose Natur veredelt, und stärkt uns doch unwiderstehlich. Da-

gegen leb' ich im Kreise eines seltnen, nach Umfang und Tiefe, und

Feinheit, und Gewandtheit ungewönlichen Geistes. Eine Frau von

Kalb wirst Du schwerlich finden in Deinem Bern. Es müßte Dir ser

30 wol thun, an diesem Strale Dich zu sonnen.Wäre unsere Freund-

schaft nicht. Du müßtest ein wenig ärgerlich sein, daß Du Dein gutes

Schiksaal mir abtratest. Auch sie mus beinahe denken, daß sie ver-

loren habe, bei meinem blinden Glüke, nach allem was ich ihr sagte

von Dir. Sie hat mich schon ser oft gemahnt, an Dich zu schreiben;

35 auch jezt wieder.

Frau von Berlepsch war ja, oder ist noch in Bern; auch Baggesen.

Schreibe mir doch, wenn Du kannst, recht viel von beiden. — Stäud-

lin hat mir bis jezt nur Einmal geschrieben; auch Hesler nur Einmal.

Ich glaube, wir haben viel zu thun, wenn uns der leztere nicht

127

Page 139: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.S4 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

schaamroth machen soll. Ich hoffe immer, auf irgend einem Wege +0

ihn bald zu sehn zu bekommen.

Ist Mögling in Bern ? — Tausend Grüße an ihn. Ihr werdet manche

frohe Stunde zusammen haben.

Schreibe mir doch recht viel, was Du jezt denkst und thust, lieber

Bruder 1— 45

Meine Beschäftigung ist jezt ziemHch konzentrirt. Kant und die

Griechen sind beinahe meine einzige Leetüre. Mit dem ästhetischen

Theile der kritischen Philosophie such' ich vorzügHch vertraut zu

werden. Neulich machte ich eine kleine Exkursion übers Rhönge-

birge hinein ins Fulder Land. Man glaubt auf den Schweizerbergen 50

zu sein, den kolossalischen Höhen, und reizenden fruchtbaren Thä-

l em nach, wo die zerstreuten Häuserchen am Fuße der Berge, im

Schatten der Tannen, unter Heerden, und Bächen liegen. Fuld selbst

hat auch eine recht liebliche Lage. Die Bergbewohner sind, wie über-

all, etwas barsch, und einfältig. Übrigens mögen sie manche gute 55

Seite haben, die unsere Kultur vertilgt hat.

Schreibe mir doch bald, lieber HegelI Ich kann Deine Mitteilung

unmöglich ganz entberen.

Dein

Hölderlin. 60

d. 14.

In Eile muß ich hinzusezen, daß ich beiliegendes Blatt auf Ehre!

erst seit einigen Tagen bekommen. Ich bin ser ärgerlich über die

Impertinenz eines Juristen von Hildburghausen, dem Hesler die

Briefe um Ostern mitgab, und der sie warscheinlich erst vor einigen 65

Wochen nach Meinungen schikte, von wo ich sie, one zu wissen

durch welche Gelegenheit bekam. Denn daß sie von Hildburghausen

kommen, schließ ich aus einem Briefe, den ich gestern von Heslern

erhielt, und wo er seine Empfindlichkeit gegen mich zu äußern

scheint, da er doch die Sache hätte zuvor prüfen sollen.Wie gesagt, 70

der FaU verdrießt mich im höchsten Grade, besonders da ich im

Punkte der Liederlichkeit von alten Zeiten her Dir etwas zu viel

128

Page 140: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr.84.SS

bekant bin. Übrigens wäre diese Liederlichkeit zu schlecht für mich,

und ich habe mein Ehrenwort gegeben. Zu Deiner Beruhigung muß

75 ich hinzusezen, daß ich Heslers Wappen-kenne, und daß es unver-

sehrt war an meinem Briefe. Schreibe mir bald. Uber Heslers Briefe

schreib' ich Dir, so bald es nur möglich ist.

85. AN DIE M U T T E R

Waltershausen bei Meiningen,

d. 30. Jul. 1794

Liebste Mutter I

Ich denke, etwas sei Ihnen lieber, als gar nichts, und schreibe in

5 Eile einige Zeilen, u m Ihnen durch gar zu langes Stillschweigen

keine Sorge zu machen. Ich glaubte, diese Woche würde noch ein

Bote nach Meiningen gehen; da ich aber eben höre, daß diß erst bis

Monntag der Fall ist, so muß ich noch, so gut ich kan, die Gelegen-

heit benüzen, die ich jezt habe. Dennoch will ich aber bis Monntag,

10 wenn ich anders nicht verhindert werde, Ihre beiden lieben Briefe

eigentlicher beantworten, auch warscheinlich von der Fr. v. Kalb, die

sich ser freut über Ihren Brief, und Ihnen inzwischen dafür durch

mich danken läßt, eine Antwort beizulegen haben.

Was mir jezt mein Andenken an die 1. Meinigen etwas verdüstert,

15 ist der Gedanke, daß Sie sich so ser viele, und zu große Sorge machen

werden über den Krieg. Die Franzosen werden nie so weit ins Inre

von Deutschland vorzudringen suchen. Und für das Leben und den

nötigen Unterhalt hat unsre ganze liebe Familie gewis in keinem

FaUe zu sorgen.

20 Ich werde warscheinlich nächste Woche wieder etliche Tage ver-

reisen. Es ist diß ser nötig für mich, weil ich in meiner Einsamkeit

beinahe gezwungen bin zu immerwährender sizender Beschäftigung,

und so leicht etwas Hypochondrie sich einnistet, wenn man nicht

auch zuweilen wieder den Geist und den Körper lüftet.

25 D e m lieben Karl wolt ' ich immer schreiben, aber ich wartete im-

129

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Nr.SS. 86 B R I E F E 179 4 - 1 7 9 5

mer, bis ich recht gut aufgelegt wäre, und so vergieng die Zeit. Die

Reise ins Fulderland hab' ich allein, und zu Fuße gemacht.

Daß in den Briefen, die ich e ingeschlossen b e k o m m e , das Da-

tum immer u m ein paar Monate früher Eingesezt ist, als der Brief

wirklich geschrieben ist, ärgert mich. Denn das weis ich doch gewis, 30

daß der Brief nirgends ein paar Monate liegen bleibt. Ich kann so eine

Falschheit nicht leiden, und auch die Briefe sind etwas leer. Es ist

aber übrigens gut, daß ich so zuweilen durch die Erinnerung an

meine alten Thorheiten, die doch auch ihr Gutes hatten, vor neuen

gewarnt werde, wiewol in diesem Eremitenleben die Gelegenheit 35

gänzlich mangelt. Ich kann also, wenn es sein mus, gar wol treu

bleiben.

Nur viele Neuigkeiten, liebe MutterI So m8inches unverdiente

Laid mir angethan wurde in meinem Vaterlande, so n e h m ' ich an

allem, was daher kommt, doch immer mer den wärmsten Anteil. Und +o

ich spreche sicher von meinen Freunden und Bekannten mer, als sie

von mir ; daß ich von den 1. Meinigen dieses nicht gesagt haben wiU,

versteht sich von selbst. Ich habe meinem Zögling die Zeit abgebro-

chen, in der ich dieses schrieb; Sie können sich also denken, daß ich

unmöglich weitläufiger sein kann. Und hiemit bis auf Mereres Adieu. 45

Tausend Grüße und Empfelungen der 1. Fr. Grosmamma, meinem

Karl, u. den Lieben Allen.

Ewig

Ihr

Friz. 50

86. AN DEN BRUDER

Waltershausen, d. 21 Aug . 1794.

Ich bin Dein Schuldner von lange her, lieber Bruder! Aber in dem

Vertrage, den unsere Herzen gestiftet, steht ja nicht geschrieben,

daß wir mit einander viele Worte machen, und recht lange Briefe

schreiben sollen, sondern daß wir Männer werden, und nur unter 5

dieser Bedingung uns gegenseitig als Brüder anerkennen wollen.

130

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B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr.S6

Unter rastloser Thätigkeit reift man zum Manne, unter dem Bestre-

ben, aus Pflicht zu handeln, auch wenn sie nicht viel Freude bringt,

auch wenn sie eine ser kleine Pflicht scheint, wenn sie nur Pflicht ist,

10 reift man zum Manne; unter Verläugnung der Wünsche, unter Ent-

sagung und Überwindung des selbstsüchtigen Teils unseres Wesens,

dem es nur immer recht bequem und wol sein soll, unter stillem Har-

ren, bis ein größerer Wirkungskreis sich aufthut, und unter der

Überzeugung, daß es auch Größe sei, seine Kräfte auf einen engen

15 Wirkungskreis einzuschränken, wenn Gutes dabei herauskömmt,

und kein größerer Wirkungskreis sich aufthut; unter einer Ruhe, die

keine Schwachheit der Menschen empört, und kein eitler Prunk

derselben, keine falsche Größe, keine vermeintliche Demüthigung

in Verwirrung sezt, die nur durch Schmerz und Freude über das Wol

20 oder W e h der Menschheit, nur durch das Gefül eigner UnVollkom-

menheit unterbrochen wird, reift man zum Mainne; unter dem un-

ablässigen Bestreben seine Begriffe zu berichtigen und zu erweitern,

unter der unerschütterlichen Maxime, in Beurteilung aller mög-

lichen Behauptungen und Handlungen, in Beurteilung ihrer Recht-

25 mäßigkeit und Vernunftmäßigkeit schlechterdings keine Autorität

anzuerkennen, sondern selbst zu prüfen, unter der heiligen uner-

schütterlichen Maxime, sein Gewissen nie von eigner oder fremder

Afterphilosophie, von der stokfinstem Aufklärung, von dem hoch-

wolweisen Unsinne beschwazen zu lassen, der so manche heilige

30 Pflicht mit dem Namen Vorurteil schändet, aber eben so wenig sich

von den Thoren oder Bösewichtern irre machen zu lassen, die unter

dem Namen der Freigeisterei und des Freiheitsschwindels einen den-

kenden Geist, ein Wesen, das seine Würde und seine Rechte in der

Person der Menschheit fült, verdammen möchten oder lächerlich

35 machen, unter all' diesem, un d vielem andern reift man zum Manne.

Wir müssen große Forderungen an uns machen, Bruder meines Her-

zens I WoUten wir sein, wie die Armseeligen, denen es so wol ist in

dem Bewustsein ihres kleinen Werths? Glaube mir, mir wird sonder-

bar zu Muth, wenn ich der Hofnungen gedenke, die man sich vom

40 folgenden Jarhundert macht, und die verkrüppelten, kleingeisteri-

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Nr.86 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

sehen, rohen, anmaßlichen, unwissenden, trägen Jünglinge dagegen

stelle, deren es überall so viele giebt, und die alsdann ihre Rolle spie-

len sollen. Die wenigen, die noch eine Ausnahme machen, müssen

sich ermuntern und unterstüzen. Noch etwas! Es ist jezt noth, daß

man sich sagt: sei klug, sprich nichts, so war es auch ist, wenn du 45

sicher bist, es wird kein Zwek dadurch erreicht. Opfre nie dein Ge-

wissen der Klugheit auf. Aber sei klug. Es ist ein goldner Spruch:

Werft eure Perlen nicht vor die Schweine. Und was du thust, thue

es nie in der Hize. Überdenke kaltl und füre mit Feuer ausl — Ich

bin gewis, daß Du mit mir darinn einig bist, daß Brüder so mit ein- so

ander sprechen müssen. Beigelegter Brief ist von der Majorin an

unsere liebe Mutter. Es ist ein Beweis, wie selten man seine Schuldig-

keit thut, bei der Erziehung, wenn ein Erzieher, der im Allgemeinen

nach Überzeugung und Gewissen handelt, bei tausend Fehlern, die

er macht, als etwas Seltnes betrachtet wird. 55

Lezten Sonntag war ich auf dem Gleichberge, der sich eine Stunde

von Römhild über die weite Ebene erhebt. Ich hatte gegen Osten das

Fichtelgebirge (an der Gränze von Franken und Böhmen), gegen

Westen das Rhöngebirge, das die Gränze von Franken und Hessen,

gegen Norden den Thüringer Wald, der die Gränze von Franken und 60

Thüringen macht, gegen mein liebes Schwaben hinein, südwestlich,

den Staigerwald zum Ende meines Horizonts. So studirt' ich am lieb-

sten die Geographie der beiden Halbkugeln, wenn es sein könnte!

Schreibe mir doch auch recht viel von Deinen Beschäftigungen, von

den sorglichen oder freudigen Tagen der lieben Mutter, von den Um- 65

ständen aller der theuren Unsrigen, von meinen Bekannten, von H.,

B., G., etc. kurz von allen, die Du kennst, und die mich nur einiger-

maaßen interessiren können. Grüße mir aUe bei Gelegenheit recht

herzlich! —

Daß Robespierre den Kopf lassen mußte, scheint mir gerecht, und 70

vieleicht von guten Folgen zu sein. Laß erst die beiden Engel, die

Menschlichkeit und den Frieden, kommen, was die Sache der Mensch-

heit ist, gedeihet dann gewis! Amen.

Dein

Friz. 75

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B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr.BT

87. AN NEUFFER

Waltershausen, d. 25. Aug . 94.

Könnt ' ich Dir helfen, Freund meiner Seele I Gott weis es! ich gäbe

mein Leben gerne darum. Meine Freude ist hin, ich werde mitten

unter dem, was mich umgiebt, von Deinem Grame gemahnt, und

5 ich weiß nicht, wie ichs ertragen könnte, wenn nicht D u Dich wenig-

stens rettetest.

Lieber! D u must. D u wirst Deinen Geist emporhalten, es komme,

was da will. D u gehörst der Menschheit, D u darfst sie nicht verlassen.

Durch große Freude, und großen Schmerz reift der Mensch zum

10 Manne. Eine Zukunft , wie der Held im Kampfe sie erwarten kann,

wartet Deiner. D u wirst nicht gefüllos durchs Leben gehn, das könig-

liche Bewustsein, namenlosen Schmerz bezwungen zu haben, wird

Dich geleiten, D u wirst Dich emporringen in die Region des Unver-

gänglichen, D u wirst unter den Menschen bleiben, und Mensch sein,

15 aber ein göttlicher Mensch.

Lieber! Unvergeßlicher! D u gehörst auch mir. Unter allem woran

mein Herz hieng mit Hofnung einer Dauer, dauerte mir bisher ein-

zig der Bund mit Dir. Ich weis keine Seele, an die ich glaubte, wie an

Dich. Ich war noch nie so reich, wie D u . Ich war nie glüklich durch

20 Liebe, weis nicht, ob ich es je werden werde, aber ich war oft unaus-

sprechlich glüklich durch Dich, und hoft es immer mer zu werden

auf diesem Wege . Kennst D u mich nimmer, bin ich Dir nichts mer,

mein Bruder? Laß uns zusammen aushalten in dieser finstern Zone,

zusammen wirken, und nur vom Siege unser Herz nähren. Ich

25 schwöre Dirs, zunächst der Menschheit, soll nichts auf Erden ein

Recht auf mich haben wie D u , ich werde Dein sein, wie Deine Seele,

und wenn ich vor keinem Sterblichen mich beuge so will und werd

ichs ewig vor Dir .Welten erobern, Staaten einreißen, und aufbauen

wird mir nie so gros dünken, als solchen Schmerz zu überwinden.

30 Gönne mir den Trost m. Lebens, und Dir den Triumph aller

Triumphe! Ich lasse Dich nicht. Ich werd' es one Ende Dir zurufen.

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.Nr.87 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

und ich würd es sagen, wenn ich von Deiner und ihrer Leiche käme:

Der Schmerz kan mich zu Boden werfen, aber überwähigen kann er

mich nicht, so bald ich will.

Laß sie vorangehn, wenn es so sein soll, auf dem unendlichen 35

Wege zur Vollendung! Du eilst ihr nach, wenn Du auch noch Jare

hier verweilst. Der Schmerz wird Deinen Geist beflügeln, Du wirst

mit ihr gleichen Schritt halten, ihr werdet verwandt bleiben, wie ihr

es seid, und was sich verwandt ist, findet sich doch wol wieder.

Und wirst Du mich anhören? Ich hoffe noch. Es wird mir durch 40

den Tod ihres Vaters, durch euer Verhältnis, das bei tausend Seelig-

keiten, doch gewis auch mcinchen stillen Kummer herbeifürt war-

scheinlich, daß vieleicht diese scheinbare Schwindsucht, die Wirkung

eines tief leidenden Gemüts sein könnte. Ist es das, so kann ich ruhi-

ger sein. 45

Ich beschwöre Dich, schreibe mir mit nächstem Posttage wieder,

so wenig es auch sein mag, nur wie es steht mit ihr und Dir. Wird es

nicht anders: so hält mich schlechterdings nichts, ich eile und komme,

und bitte Dich auf den Knien, Dein zu schonen. Gelingt mir gar

nichts, so hoff ' ich doch durch ein paar herzliche Tage Deinen Gram 50

in etwas zu unterbrechen, und auch das ist mir schon Grundes genug,

zu kommen.

0 mein Neufferl wär' ich schon bei Dir! ich habe keine Ruhe.

Könt' ich doch mit nächstem Briefe von Dir etwas heitrer werden.

Vergiß nicht, daß Du es bist, der leidet, und daß ich es bin, der mit 55

Dir trägt. Des Himmels Seegen über die duldende Heilige!

Ewig

Dein

Hölderlin.

Ich benüzte in Eile die nächste Gelegenheit, u. schreibe Dir über 60 Würzburg. Du wirst auch gerne haben, wenn Dein Brief früher hie-her kömmt. Addressire ihn deswegen nach Waltershausen bei Neu-stadt an der Saale.

über Würzburg.

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B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr.SS

88. AN NEUFFER

Waltershausen bei Meiningen.

d. 10 Oct. 94.

Ich war Dir schon u m einige Tagereisen näher, als gewönlich, auf

einem Kalbischen Gute auf dem Staigerwalde, in der Gegend von

5 Bamberg, u. erwartete da Deinen lezten Brief, der mich troz aller

Protestationen bestimmt hätte, zu Dir zu eilen und Dir zu zeigen,

daß D u n o c h etwas treues in der Welt hättest, wenn dieser Brief nicht

so frölich und herrhch gelautet hätte. Ich bekam ihn ser bald, ich

hatte vor meiner Abreise von hier überall dafür gesorgt, daß er mir

10 eilends nachgeschikt wurde. Das Opfer war also nicht gros, lieber Bru-

der, da ich beinahe schon halbwegs war, und mich die Natur mit ein

paar rüstigen Beinen versehen hat. Aber da kam der Brief, und das

weis nur ich, wie ser mich das freute, daß D u mich nicht brauchtest.

Es war eine von den Stunden, worinn uns die Freude auf Monate

15 stärkt. Der Wunsch liegt tief und ewig in meiner Seele, daß diese

schöne Liebe bestehen möge , mit allen Seehgkeiten, u. allen Tugen-

den, die sie giebt, mit all ' ihren Blüten und Früchten. Sie kömmt

mir immer vor, wenn ich das Zeitalter dagegen halte, wie eine Nach-

tigall im Herbste. — Das kannst D u mir glauben, lieber guter Bru-

20 der I daß die Ungleichheit, in der ich von dieser Seite mer durch Schik-

saal, als durch mein eignes Wesen gegen Dir stehe, mich gar nicht

hindert, die ganze Schönheit, u. den ganzen Werth dieses Verhält-

nisses mit Freude und Achtung zu erkennen. Ich sage nicht umsonst

mit Achtung, denn ohne das, dem Achtung gebürt, one Adel und

25 Vestigkeit des sittlichen Menschen könnte sicher ein solches Verhält-

nis nicht bestehen. Etwas hab' ich doch auch; den Bund mit Dir : Er

wird bestehen, mit seinen Blüten und Früchten, wie der Bund Dei-

ner Liebe. Es ist mir damit ser Ernst, lieber Neufer! Ich bin zu ser

überzeugt, ich werde alle Tage in meiner Überzeugung zu ser be-

30 stätigt, daß man eine solche Freundschaft nicht auf jeder Straße fin-

det, als daß ich die unsrige nicht ewig festhalten sollte. Es ist beinahe

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Nr.88 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

mein einziger Trost, wenn ich Trost bedarf, daß doch mein Herz mit

Einem Wesen in einem daurenden Verhältnisse steht, daß ich doch

Ein Gemiith kenne, worauf ich trauen kann. Daß ich dieses Trostes

bedarf, wirst Du mir gerne glauben, weil Du , wie ich weist, wie die 35

Meisten es recht gut mit sich meinen, mit andern hingegen wenn sie

könnten, es gröstenteils ungefär halten möchten, wie mit ihren Töp-

fen und Stühlen; man hütet sich wol sie zu zerbrechen, so Isinge man

sie braucht, oder so lange sie nicht aus der Mode sind; — u. daß ich

mich nicht zerbrechen lasse, versteht sich; daß ich nur so lange mich 40

brauchen lasse, bis ich mich selbst besser brauchen kann, versteht

sich auch; aber das ist doch ser wenig.

Mein jeziger äußerer Beruf wird mir oft ser schwer. Dir keinn ich

es wol sagen. Ich schwieg indes auch gegen Dich, weil ich besonders

Dir nur zu viel Veranlassung gab, in mir einen Unmuth über alles zu 45

vermuten, das nicht versilbert und vergoldet ist, einen ewigen Jam-

mer darüber, daß die Welt kein Arkadien ist. Über diese kindische

Feigheit bin ich aber so ziemlich weg. Aber ich bin ein Mensch. Ich

mus doch wol gewissenhaften, oft ser angestrengten Bemühungen

Erfolg wünschen. Es mus mir also wehe thun, wenn dieser Erfolg so

beinahe gänzlich mangelt, durch die ser mittelmäsigen Talente mei-

nes Zöglings, und durch eine äußerst fehlerhafte Behcindlung in s.

frühern Jugend, u. Etndere Dinge, womit ich Dich verschonen will.

Daß mir das wehe thut, wäre an sich nicht ser bedeutend, aber daß

mich das unvermeidlich in meinen andern Beschäftigungen stört, 55

scheint mir nicht so unbedeutend. Es wäre Dir wol auch ser unange-

nem, wenn Dir eine Hälfte des Tags über einem Unterrichte ver-

gienge, wobei Du nichts gewännest, als etwas Geduld, und die an-

dere Hälfte ser oft durch die Erfarung, daß der andere nichts dabei

gewinnt, beinahe unnüz für Dich gemacht würde. — Übrigens such' 60

ich mich emporzuhalten, so gut es geht, und wenn mir nur die Sonne

in meine Fenster scheint, steh' ich meist heiter auf, und benüze

dann, so gut ich kann, ein paar Morgenstunden, die einzigen, wo ich

eigentlich Ruhe habe. Die meisten vergiengen mir diesen Sommer

über meinem Roman, wovon Du die fünf ersten Briefe diesen Win- 65

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B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr.88

ter in der Thalia finden wirst. Ich bin nun mit dem ersten Theile bei-

nahe ganz zu Ende. Fast keine Zeile blieb von meinen alten Papie-

ren. Der große Übergang aus der Jugend in das Wesen des Mannes

vom Affecte zur Vernunft, aus dem Reiche der Fantasie ins Reich der

70 Warheit und Freiheit scheint mir immer einer solchen langsamen

Behandlung werth zu sein. Ich freue mich übrigens doch auf den

Tag, wo ich mit dem Ganzen im Reinen sein werde, weil ich dann

unverzüglich einen andern Plan, der mir beinahe noch mer am Her-

zen liegt, den Tod des Sokrates, nach den Idealen der griechischen

75 Dramen zu bearbeiten versuchen werde. Lyrisches hab' ich seit dem

Früling noch wenig gedichtet. Das Gedicht an das Schiksaal, das ich

noch zu Hause anfieng,.vorigen Winter beinahe ganz umänderte, und

um Ostern in einem Briefe an Schiller einschlos, scheint dieser ser

gut aufgenommen zu haben, nach dem, was er mir sagte in der Ant-

80 wort auf meinen lezten Brief, wo ich ihm das Fragment von Hyperion

schikte. Er hat es für einen Allmanach bestimmt, wovon er künftig

der Herausgeber sein wird, und ich will ihm auf sein Begehren noch

einiges dazu schiken. Es wird von der Fruchtbarkeit meiner Natur

abhängen, ob ich für den Rheinhartischen Allmanach und die Aka-

85 demie, und das Konzische Musäum Dir etwas werde schiken können,

ich möchte Dir nicht gerne Schande machen, es wäre auch ser lieder-

lich, wenn ich Dein brüderliches Anerbieten so belohnen wollte, mit

flüchtigen Producten möcht' ich also Dich nicht gerne belästigen.

Vieleicht kaim ich Dir einen Aufsaz über die ästhetischen Ideen

90 schiken; weil er als ein Kommentar über den Phädrus des Plato gel-

ten kann, und eine Stelle desselben mein ausdrüklicher Text ist, so

wär' er vieleicht für Konz brauchbar. Im Grunde soll er eine Analyse

des Schönen und Erhabnen enthalten, nach welcher die Kantische

vereinfacht, und von der andern Seite vielseitiger wird, wie es schon

95 Schiller zum Theil in s. Schrift über Anmuth und Würde gethcin hat,

der aber doch auch einen Schritt weniger über die Kantische Gränz-

linie gewagt hat, als er nach meiner Meinung hätte wagen sollen.

Lächle nicht! Ich kann irren; aber ich habe geprüft, und lange und

mit Anstrengung geprüft. — Jezt bin ich an einer Umarbeitung mei-

137

Page 149: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.88.89 B R I E F E 179 + - 1 7 9 5

nes Gedichts an den Genius der Jugend. — Warscheinlich werd ' ich loo

mit Anfang des Novembers nach Jena abreisen. Man sieht, daß mein

physisches Ich, mit meinen andern Kräften, etwas Noth leidet in

meiner Lage, und schikt mich auf ein halb Jahr mit meinem Zög-

ling, dem es auch in einigen Rüksichten nötig ist, dahin, u m mich

zu behalten. Ich will sehen, wie es gehn wird. Genuß erwart' und 105

will ich wenig ; aber etwas soll es, wie ich denke, zu meiner Bildung

beitragen.Tausend Dank für den gütigen Grus von Deinem edeln

Mädchen; ich erwiedre ihn von ganzer Seele. Dein Gedicht machte

mir viele Freude, die vorlezte Strophe besonders als Poesie, und als

Ergus Deines Herzens. Die Majorin läßt Dich grüßen. » D e i n Grus 110

habe sie recht ser gefreut !« Ich mus aus Mangel an Zeit schließen,

ehe ich es will.

Dein

Hölderlin.

Schreibe mir doch auch was von Gotthold. Ist Hiller nach Amerika ? 115

Hat wol die Heglin m . Brief ihrem Bruder geschikt? Was machen die

andern guten schönen Kinder? D u glaubst nicht, wie lieb mir izt

Neuigkeiten aus euren Gegenden und Zirkeln sind.

89. AN NEUFFER

Jena. d. Nov. 94.

Ich bin nun hier, wie D u siehst, lieber Bruder! und ich habe Ur-

sache, mich darüber zu freuen, nicht so wol , weil ich hier bin, als

weil mich mein Hiersein in dem Glauben bestätiget, daß es uns leicht

wird etwas durchzusezen, sobald wir nur nicht ans Ziel getragen 5

sein, sondern mit eignen Füßen gehen wollen, und es nicht achten,

wenn zuweilen ein hartes Steinchen die Sohle drükt. Ich weis gar

wol, daß es ein größer Ziel giebt, und größere Mühe , mer Arbeit und

mer Gewin; aber zu großen Dingen hat man in dieser Welt auch sel-

ten mer als kleine Beispiele. 10

138

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B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr.S9

Ich habe jezt den Kopf und das Herz voll von dem, was ich durch

Denken und Dichten, auch von dem, was ich pflichtmäßig, durch

Handeln, hinausfüren möchte, lezteres natürlich nicht allein. Die

Nähe der wahrhaft großen Geister, und auch die Nähe wahrhaft gro-

15 ßer selbsttätiger mutiger Herzen schlägt mich nieder und erhebt

mich wechselsweise, ich mus mir heraushelfen aus Dämmerung u.

Schlummer, halbentwikelte, halberstorbne Kräfte sanft und mit Ge-

walt weken und bilden, wenn ich nicht am Ende zu einer traurigen

Resignation meine Zuflucht nehmen soll, wo man sich mit andern

20 Unmündigen und Unmächtigen tröstet, die Welt gehen läßt wie sie

geht, dem Untergänge und Aufgange der Warheit und des Rechts,

dem Blühen und Welken der Kunst, dem Tod imd Leben von allem,

was den Menschen, als Menschen interessirt, wo man dem allem aus

seinem Winkel mit Ruhe zusieht, und wenns hoch kömmt, den For-

25 derungen der Menschheit seine negative Tugend entgegenstellt. Lie-

ber das Grab, als diesen ZustandI Und doch hab' ich oft beinahe

nichts anders im Prospect. Lieber alter Herzensfreund 1 in solchen

Augenbliken vermiß' ich oft recht Deine Nähe, Deinen Trost, und

das sichtbare Beispiel Deiner Vestigkeit. Ich weis, daß auch Dich zu-

30 weilen der Muth verläßt, ich weis, daß es allgemeines Schiksaal der

Seelen ist, die mer, als thierische Bedürfnisse haben. Nur sind die

Grade verschieden. Eine Stelle, die ich heute in dem Vorberichte zu

den Wielandschen sämtlichen Werken zufällig ansah, brennt mir

noch im Herzen. Es heist da: die Muse Wielands habe mit dem An-

35 fange der deutschen Dichtkunst angefangen, und ende mit ihrem

Untergange I allerliebst! Nenne mich einen Kindskopf! aber so was

kann mir eine Woche verderben. Seis auch! Wenn 's sein mus, so zer-

brechen wir unsre unglüklichen Saitenspiele, und thun, was die

Künstler träumten ! Das ist mein Trost. — Nun auch was von hier.

40 Fichte ist jezt die Seele von Jena. Und gottlob! daß ers ist. Einen

Mann von solcher Tiefe und Energie des Geistes kenn' ich sonst nicht.

In den entlegensten Gebieten des menschlichen Wissens die Prin-

zipien dieses Wissens, und mit ihnen die des Rechts aufzusuchen und

zu bestimmen, und mit gleicher Kraft des Geistes die entlegensten

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Nr.89 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

künsten Folgerungen aus diesen Prinzipien zu denken, und troz der 45

Gewalt der Finsternis sie zu schreiben und vorzutragen, mit einem

Feuer und einer Bestimtheit, deren Vereinigung mir Armen one diß

Beispiel vieleicht ein unauflösliches Problem geschienen hätte, —

diß, lieber Neufer! ist doch gewis viel, und ist gewis nicht zu viel ge-

sagt von diesem Manne. Ich hör' ihn alle Tage. Sprech' ihn zuweilen. 50

Auch bei Schiller war ich schon einigemale, das erstemal eben nicht

mit Glük. Ich trat hinein, wurde freundlich begrüßt, und bemerkte

kaum im Hinter gründe einen Fremden, bei dem keine Miene, auch

nachher lange kein Laut etwas besonders ahnden ließ. Schiller nannte

mich ihm, nannt' ihn auch mir, aber ich verstand seinen Nahmen 55

nicht. Kalt, fast one einen Blik auf ihn begrüßt ich ihn, und war ein-

zig im Innern und Äußern mit Schillern beschäftigt; der Fremde

sprach lange kein Wort. Schiller brachte die Thalia, wo ein Fragment

von meinem Hyperion u. mein Gedicht an das Schiksaal gedrukt ist,

u. gab es mir. Da Schiller sich einen Augenblik darauf entfernte, 60

nahm der Fremde das Journal vom Tische, wo ich stand, blätterte

neben mir in dem Fragmente, u. sprach kein Wort. Ich fült' es, daß

ich über imd über roth wurde. Hätt' ich gewust, was ich jezt weis,

ich wäre leichenblas geworden. Er wandte sich drauf zu mir, erkun-

digte sich nach der Frau von Kalb, nach der Gegend und den Nach- 65

bam unseres Dorfs, u. ich beantwortete das alles so einsylbig, als ich

vieleicht selten gewohnt bin. Aber ich hatte einmal meine Unglüks-

stunde. Schiller kam wieder, wir sprachen über das Theater in Wei-

mar, der Fremde lies ein paar Worte fallen, die gewichtig genug

waren, um mich etwas ahnden zu lassen. Aber ich ahndete nichts. 70

Der Mahler Majer aus Weimar kam auch noch. Der Fremde unter-

hielt sich über manches mit ihm. Aber ich ahndete nichts. Ich gieng,

u. erfuhr an demselben Tage im Klubb der Professoren, was meinst

Du? daß Goethe diesen Mittag bei Schiller gewesen sei. Der Him-

mel helfe mir, mein Unglük, u. meine dummen Streiche gut zu ma- 75

chen, wenn ich nach Weimar komme. Nachher speist ich bei Schiller

zu Nacht, wo dieser mich so viel möglich tröstete, auch durch seine

Heiterkeit, u. seine Unterhaltung, worinn sein ganzer kolossalischer

140

Page 152: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R l E F E 1 7 9 + - 1 7 9 5 Nr.89.90

Geist erschien, mich das Unheil, das mir das erstemal begegnete, ver-

so gessen lies. Auch bei Niethammer bin ich zuweilen. Das nächstemal

mer von Jena. Schreibe mir izt auch bald, Ueber Bruder!

Dein

Hölderlin.

Meine Adresse ist: an im Vogtischen Garten.

90. AN DIE M U T T E R

Jena. d. 17 Nov. 94.

D a bin ich nun , liebste Mutter, höre Lektionen, besuche Schiller,

auch zuweilen einen öffentlichen Cirkel, und bin sonst zu Hause in

mancherlei Arbeit vergraben. Die Hälfte des Tages, die ich meinem

5 Kleinen opfern m u ß , geb' ich freilich hier u m so ungerner weg, da

ich durch manches zu eigener Thätigkeit bestimmt werde, was in

Waltershausen mir nicht vorkommen konnte. Die Reise aus Franken

hieher m u ß t ' ich zu meinem Verdrusse mit dem Postwagen machen,

und es wurde mir dadurch unmögüch gemacht, Friemar, das auf der

10 Seite von Gotha liegt, aufzusuchen. Ich hörte aber von einem Pastor

aus der Gegend, der mit mir fuhr, daß er zwar nicht in Friemar

selbst, aber in einem benachbarten Dorfe Leute kenne, die sich

Heyn's nennten. Ich mache die Rükreise ganz sicher zu Fuße, und

werde schlechterdings sie nicht anders als über Friemar machen. Von

15 meiner Reise weiß ich Ihnen nichts zu sagen, als daß Schmalkalden,

eine hessische Stadt, nichts weniger als eine moderne Gestalt, übri-

gens eine außerordentliche Industrie hat; daß es ein königlicher An-

blik ist, den man auf der Höhe des Thüringer Waldes genies't, wo

man hinter sich einen großen Theil von Franken, mit seinen Bergen

20 und Wäldern, vor sich die großen Ebenen von Sachsen hat, und in

der dunkeln F e m e das Harzgebirge. Die glüklichen Menschen in den

Thä lem des Thüringer Walds, die mit unsern Schwarzwäldern ihren

Wohlstand und ihre Geradheit und Gesundheit gemein haben,

möchte man beneiden, wenn man nicht denken könnte, daß man

141

Page 153: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.90 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 79 5

unter den Leiden des cultivirten Lebens auch mer vieleicht fördert 25

und nuzt. Hindurch durch die Nacht müssen wir einmal, und glük-

lich der, der auch mithilft, und arbeitet. Gotha ist ein hübscher Ort,

aber ein luxuriöses Völkchen mag es da sein. Doch will ich niemand

Unrecht thun, und gerne gestehen, daß mein Urtheil nur flüchtig

und äußerst unzuverlässig ist. Erfurt ist enorm groß, aber menschen- 30

leer. Der Coadjutor von Dalberg ist die Seele dieses Orts; sonst möcht'

er auch so ziemlich seelenlos sein; er ist merkwürdig durch die vielen

schönen Gesichter, die man da sieht. Von Weimar sag' ich nichts, bis

ich einmal drüben gewesen bin und hoffentlich mer gesehen, mer

gehört und gewonnen habe, als bei der flüchtigen Durchreise. Hier 35

wohne ich in einem Garten, in der Vorstadt, habe ein paar hübsche

Zimmer, gute Kost (was man in Jena gute Kost nennt,) und habe den

Vortheil, daß mein Hausherr Buchhändler ist und ein großes Lese-

institut hat, wo ich immer das Neueste aus der ersten Hand auf

einige Tage bekommen keinn. Doch lassen meine Geschäfte mich 40

diese Gelegenheit meist nur über Tisch und nach Tisch benuzen.

Fichte's neue Philosophie beschäftigt mich izt ganz. Ich hör' ihn auch

einzig und sonst keinen. Schiller behandelt mich sehr freundschaft-

lich. Auch Paulus nahm mich höflich auf. In seinem Hause war ich

noch nicht; man thut besser, die Professoren, mit denen man nicht 45

ganz gut bekainnt ist, da aufzusuchen, wo sie einmal ihre Zeit der

Gesellschaft bestimmt haben, d. h. in den öffentlichen Cirkeln, deren

es hier genug giebt, und wo mem auf einen ziemlich guten Ton lebt,

besonders männlicher Seits, denn so viel ich die Damen mit eigenen

Augen und durch Hörensagen kennen lernte, haben sie etwas Zuvor- 50

kommendes, das nichts weniger als Grazie, und etwas Zurükstoßen-

des, das nichts weniger als Würde ist. Übrigens besuch ich diese Cir-

kel äußerst selten, wenn ich muß und will. Mit Hesler komm' ich

manchmal zusammen. Die Gegend von Jena ist treflich. . . .

Meine Adresse ist: an im Vogtischen Garten. 55

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B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr.91

91. AN D I E M U T T E R

Jena. d. 26 Dez. 94.

Ich bedaure von Herzen, liebe Mutter 1 daß Ihnen das lange Still-

schweigen Sorge machte. Doch hab' ich den Trost, daß es gänzlich

ohne meine Schuld geschah. Ich schrieb noch vor meiner Abreise von

5 Waltershausen, entschuldigte mich mit einer Reise in die Gegend

von Bamberg, auf ein Kalbisches Gut, daß ich Ihren Brief, der den

Kirschengeist u. die Strümpfe, wofür ich herzlich danke, begleitete,

nicht bälder beantwortet hatte, meldete Ihnen meine nahe Abreise

nach Jena, und mein Vorhaben, auch meine Verwandten in Friemar

10 zu besuchen, (denn daß noch eine Heynische Familie da ist, und im

Wohlstande lebt, weiß ich jezt gewiß) und Sie werden finden, daß

ich mich in meinem lezten Briefe, den ich von hier aus schrieb, auf

jenen, der allem nach verloren gegangen ist, bezog. Ich muß Sie recht

ser bitten, liebe Mutter! daß Sie doch nie die Ursache von einem

15 langen Ausbleiben meiner Briefe in irgend einen Unfall sezen; ich

verspreche Ihnen heilig, daß ich gerade dann am schleunigsten von

mir Nachricht geben werde, wenn ich irgendwo Ihrer mütterUchen

Theilnahme bedürfte. Bei der Abhängigkeit, in der ich lebe, könnte

es oft kommen, daß unvorhergesehene Verändenmgen in meiner

20 Lage, mich den Ort, wohin Sie zunächst zu schreiben hätten, nicht

genau bestimmen, auch von mir selbst keine bestimmte Nachricht

mich geben ließen, und in diesen und ähnlichen Fällen glaubt' ich

fast besser zu thun, wenn ich so leinge wartete, bis ich sichre Nach-

richt geben könnte. In einem solchen Falle bin ich beinahe jezt.

25 Meine Herrschaft findet den Aufenthalt auf dem Lande jezt plözlich

zu langweilig, und weil in jeder Stadt mein Zögling eben so gut wie

hier berathen scheint, wenn es nur eine Stadt ist, so fallen die Grün-

de, warum er hieher geschikt wurde weg , und ich bin genötigt, Jena

wider all mein Vermuthen nächste Woche schon wieder zu verlassen,

30 werde mich in Weimar, wo sich die Majorin, die uns abzuhohlen ge-

kommen ist, noch einige Wochen aufhält, auch noch umsehen, und

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Nr.91 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

dann wahrscheinlich nach Nürnberg abreisen. Ich bedaure, daß Ihre

Freude über die Glükssterne, die mir aufzugehen schienen, so kurz

ist; ich bin übrigens resignirt, und froh, daß ich meine kurze Zeit

hier so gut, als möglich anwandte. Ich fand auch Freunde unter den 35

hiesigen Professoren, besonders interessirte sich Schiller für mich.

Auch Niethammer benahm sich recht brav gegen mich. Ich finde

beim Abschiede, daß ich bei einem längeren Aufenthalt noch man-

ches angeneme und vorteilhafte hätte erfaren können. Ich gestehe

Ihnen, daß ich aus manchen reel len Gründen entschlossen war, 40

mein Verhältnis zu verlassen, und zu versuchen, ob ich mich nicht

hier souteniren könnte; ich erklärte es der Majorin, die meine Gründe

triftig finden mußte, und die Sache wäre beinahe abgethan gewesen,

wenn nicht Schiller einen glüklichen Mittelweg ausgefunden, und

mich bewogen hätte, mich dahin zu erklären, daß, wenn meine Be- 45

denklichkeiten, die auch er gültig fand, bis Ostern nicht wegfallen,

das Verhältnis aufgehoben sein sollte. Da diese Bedenklichkeiten vor-

züglich meinen Zögling betreffen, so werden Sie es selbst gut finden,

wenn ich sie nicht ohne Noth außeinanderseze. Glauben Sie, liebe

Mutter 1 daß der jugendUche Übermuth, wenn er je meine Handlun- so

gen bestimmte, jezt gewis mich nimmer leitet. Ein froher Gedanke

ists mir, daß ich Ihnen bald um vieles näher bin, und vieleicht ein-

mal auf einige Tage mein Vaterland und die Meinigen wiedersehen

kann, ehe sie sichs versehen. — Es thut mir auch weh, meine guten

Landsleute besonders Heslern, u. Camerern von Sundelfingen, der 55

hier seine medicinischen Studien fortsezt, so bald wieder zu verlassen.

— Ein merkwürdiger Zug in meiner Lebensgeschichte I Ich sprach

kein süßes Wort mit irgendeiner hiesigen Dame. Meine einge-

schränkte Zeit ließ es mir auch nicht zu, die schönen und lustigen

Cirkel zu besuchen. Einmal war ich schuldigerweise bei Madam Pau- 60

lus, wo ich mich aber lieber an den Professor hielt, weil er in der

That in theologischer Rüksicht ein interessanter Meinn ist. Ich sage

das auf die lieben wohlgemeinten Ermahnungen. — Ich schreibe

Ihnen, noch eh' ich eine Antwort von Ihnen bekomme, noch einmal

von Weimar aus. Ich bin izt wegen der nahen Abreise etwas zer- 65

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B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr.9t

Streut. Was macht mein Karl? Er soll mir doch verzeihen, daß ich im

Briefschreiben so nachlässig bin. Denkt er denn auch noch oft an

mich? Und wie gehts den andern Lieben? Ihnen u. der Frau Gros-

mamma für das Weinachtsgeschenk herzlichen Dank! Auch ein gutes

70 neues Jahr! Nach Blaubeuren, und Löchgau tausend Empfelungenl

Ihr

Friz.

Mit dem Kirschengeist haben Sie große Ehre eingelegt. Ich soll

Ihnen dafür und für Ihren Brief recht ser danken.

75 Ich hätte beinahe einen wichtigen Punct vergessen. Sie fragen

mich, ob ich nicht Lust hätte zur Pfarre in Nekarshausen? Ich ge-stehe, daß es mir ser schwer werden würde, jezt schon von meiner Wanderschaft, und meinen Beschäftigungen, und kleinen Planen zurükzukehren, und mich in ein Verhältnis einzulassen, das doch, so

80 viel ehrwürdiges und eingenemes es hat, mit meinen jezigen Beschäf-tigungen und mit dem Fortgange meiner Bildung zu unvereinbar ist, als daß es nicht eine mißliche Revoluzion in meinem Karakter be-wirken müßte. Auch ferne ist man sich nahe, liebe Mutter! Die Be-quemlichkeit, die ich freilich auf einer Pfarre mer fände, als in mei-

85 ner jezigen Lage, wird mir im dreißigsten Jahre desto besser bekom-men. Auch möcht' ich einen Versuch nicht wagen, der mich mit Leu-ten, die mich nicht kennen, und nie kennen werden, in ein Suppli-kantenverhältnis sezt. Hätt' ichs nötig, so würde die lezte Rüksicht zu unbedeutend sein, um mich davon abzuhalten. Meiner Freundin

90 in T. schreib' ich heute noch. Ich gesteh Ihnen, daß ich nach allem, wie ich sie beurteilen m u ß , nicht wünschen kann, ein engeres Ver-hältnis mit ihr geknüpft zu haben, oder noch zu knüpfen. Ich schäze manche gute Eigenschaft an ihr. Aber ich glaube nicht, daß wir zu-sammen taugten. Und so schreib ich ohne irgend eine Ursache,

95 als aus der einzigen, weil ich indessen oft unbefangen über ihren Karakter und ihr ehmaliges Benehmen gegen mich nachdachte. Nicht, als wär' es je schlimm gewesen, aber es war nicht so, um mich

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Nr.91.92 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

ZU einer unwiderruflichen Wahl bestimmen zu können.

Leben Sie recht wohl.

Haben Sie die Güte, den beigelegten Brief zu versieglen. Er bedarf loo

glaub' ich, keiner Adresse.

92. AN DIE M U T T E R

Jena. d. 16. Jan. 1795.

W u n d e m Sie sich nicht, liebste Mutter 1 daß ich jezt, da Sie mich

vieleicht, meinem lezten Briefe nach, schon in Nürnberg vermuthe-

ten, wieder von hier aus schreibe.

Ich denke, diese Überraschung soll Ihnen, wenn ich mich näher 5

erklärt habe, nicht ser unangenem seyn.

Ich bin auf meine Kosten hier, ohne daß ich genötigt wäre, Ihnen

vor der Hand auf irgend eine Art lästig zu seyn. — Ich war aus guten

Gründen nie ganz offenherzig gegen Sie über mein bisheriges Ver-

hältnis. Ich dachte, die Schwierigkeiten, und innigen Leiden, die ich lO

in ungewöhnüchem Grade auf meiner Laufbahn traf, durch beharr-

liche und zwekmäsige Bemühung zu überwinden, und vermuthete

nicht, daß endlich der Schritt nötig seyn werde, bei welchem ich

nicht wohl vermeiden kann, manches, worüber ich bisher schwieg,

gegen Sie zu äußern, weil ich Ihnen von meiner getroffenen Verän- 15

derung Rechenschaft geben m u ß . Daß mein Zögling bei einer mit-

telmäßigen Naturanlage noch im höchsten Grade unwissend war, als

ich seine Bildung begann, war freilich nicht angenem, doch eben kein

Grund, seine Bildung nicht alles Ernstes vorzunehmen, und ich that

diß, wie Gott mein Zeuge ist, wie auch seine Eltern es erkennen, mit 20

aller Gewissenhaftigkeit, nach meiner besten Einsicht.

Daß aber eine gänzliche Unempfindhchkeit für alle vernünftige

Lehre, womit ich auf seine verwilderte Natur wirken wollte, in ihm

war, daß hier weder ein ernstes Wort Achtung, noch ein freundliches

Anhänglichkeit ans Gute hervorbrachte, war für mich freilich eine 25

bittere Entdekung. Ich suchte die Ursache dieser beinahe fortdauern-

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B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr.92

den Verstoktheit in der Prügelmethode, welche vor meiner Ankunft

allem nach bis zum höchsten Exzeß gegen ihn ausgeübt wurde. Oft

schien es, als hätt' ich ihn aus seinem Schlafe gewekt, er war offen,

30 verständig, und es schien keine Spur seiner Rohheit mer an ihm zu

seyn, und in seinen Kentnissen machte er an solchen Tagen unbe-

greiflich schnelle Schritte. Ich wurde vergöttert, als hätt' ich Wunder

gethan an dem Kinde, mein ehrlicher Pfarrer in Waltershausen

drükte mir so herzlich die Hand, und gestand mir, daß er nach allen

35 Versuchen, die auch er mit dem Kinde gemacht hätte, verzweifelt

hätte, und durch mich beschämt wäre, und auch die Ungebildetem

im Dorfe und Hauße fühlten die glükliche Metamorphose, die mit

dem Kinde vorgegangen war. Das machte mich froh, u. muthig. Aber

eben so schnell, und unvermuthet fiel er auch wieder in die höchste

40 Stumpfheit und Trägheit zurük. Sein Vater hatte mich, freilich mit

zu großer Schonung gegen mich, auf ein Laster aufmerksam gemacht,

wovon zuweilen Spuren an dem Kinde bemerkt worden waren. Der

Zustand seines Gemüths und Geistes machte mich endlich noch auf-

merksamer, und ich entdekte laider 1 zum Theil auch durch sein Ge-

45 ständnis, mer als ich fürchtete. Ich kann mich unmöglich deutlicher

gegen Sie erklären. Ich lies ihn keinen Augenblik beinahe von der

Seite, bewachte ihn Tag und Nacht aufs ängstlichste, sein Körper wie

seine Seele schien sich zu erhohlen, u. ich hofte wieder. Aber er wußte

am Ende meiner Aufmerksamkeit doch zu entgehen, und seine Ver-

so stoktheit, die Folge jenes Lasters, stieg besonders zu Ende des Som-

mers zu einem Grade, der mir beinahe auch meine Gesundheit, aUe

Heiterkeit, und so auch meinen Geisteskräften ihre gehörige Tätig-

keit raubte. Ich bot allen Mitteln auf, um zu helfen, umsonstI Ich

erklärte mehreremale offenherzig meinen Gram über aUe fehlge-

55 schlagene Maasregeln, bat um Rath, um Unterstüzung, man tröstete

mich, und bat mich, auszuharren, so lange mirs möglich wäre. Um

mich einigermaßen für so manche verlorene bittre Stunde zu ent-

schädigen, auch um den Knaben zu zerstreuen, und durch Tanzstun-

den p.p. in mer Bewegung zu sezen, schikte man uns nach Jena.

60 Durch unsägliche Mühen, fast beständiges Nachtwachen, vmd die

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Nr.92 B R I E F E 1 7 9 + - 1 7 9 5

dringendsten Bitten und Ermeihnungen, und durch gerechte Strenge

gelang mirs, auf einige Zeit das Übel seltner zu machen, und so wa-

ren die Fortschritte in der moralischen und wissenschaftlichen Bil-

dung wieder recht schön. Aber es hielt nicht lange, die gcuize Unmög-

lichkeit, auf das Kind reel zu wirken, und ihm zu helfen, grif meine 65

Gesundheit und mein Gemüth auf das härteste an. Das ängstliche

Wachen bei Nacht zerstörte meinen Kopf, und machte mich für

mein Tagwerk beinahe unfähig. Inzwischen kam die Majorin. Das

edle Weib ütt ser viel über ihr Kind, auch über mich. Schiller und sie

bat mich, es nur Einmal noch zu versuchen. Auch der Major suchte 70

mich und sich zu trösten, u. schrieb, ich möchte eben ausharren, so

lang ich könnte. Wir reisten nach Weimar ab, und da dort das Übel

mit jedem Tage bei dem Kinde troz der Bemühungen der Ärzte, und

meiner fortdauernden Anstrengung zu-, meine Gesundheit, mein

Muth, meine Heiterkeit mit jedem Tage abnahm, wie es notwendig 75

war, erklärte mir die Majorin, daß sie mich nun nicht länger könne

leiden sehn, sie wollte nicht, daß ich ohne Nuzen zu Grunde gienge,

rieth mir, hiehfer zu gehn, und mich hier zu halten, so lang ich

könnte, versprach mir, ihren ganzen Einfluß zu meinem künftigen

Glüke aufzubieten, und versah mich mit Geld für ein Vierteljahr. 80

Bei meiner eingeschränkten Lebensart denk' ich mit 7 Karolinen

ganz gut bis Ostern auszureichen. SchiUer nimmt sich meiner recht

herzHch an.Werd' ich mit einer Arbeit, die ich schon seit Jaren un-

ter den Händen habe bis Ostern fertig, so werd' ich auch dann Ihnen

nicht lästig sein. Ich bin izt in einer Periode, die auf mein gcinzes 85

künftiges Leben wahrscheinlich ser entscheidend ist. Auch Herder,

den ich Einmal in Weimar besuchte, interessirt sich ser für mich,wie

mir so eben die Majorin schreibt, und läßt mir sagen, ich möchte ihn

doch, so oft ich nach Weimar käme besuchen. Diß wird auch ziem-

Hch oft geschehen; ich mußt es der Majorin versprechen, beim Ab- 90

schiede; sie will in Weimar bleiben, und hat nur einen Hauslehrer

für ihren Sohn angenommen. Eben weil sie in Weimar blieb, war ihr

auch ein Hofmeister nicht mer so notwendig. Sie will Ihnen näch-

stens schreiben. Auch den großen Göthe sprach ich drüben. Der Um-

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B R I E F E 1 7 9 + - 1 7 9 5 Nr.92

95 gang mit solchen Männern sezt alle Kräfte in Tätigkeit. — Mein Plan ist izt, bis nächsten Herbst hier noch Stunden zu hören, auch mit eignen Arbeiten Leib und Seele zu nähren, und dann entweder hier Kollegien zu lesen, oder um eine neue Hofmeisterstelle in der Schweiz oder sonst mich umzusehen, oder auch als Gesellschafter mit

100 einem jungen Manne zu reisen. Freilich dependiren alle diese Dinge nicht ganz von mir. Insoferne sie von mir dependiren, such' ich mir durch Fleis und Erhaltung meiner Kräfte den Erfolg zu sichern, und was das andere betrift, hoff' ich auf ein gutes Schiksaal und gute Menschen. Erhalten Sie mir meinen Muth durch Ihre gütige Theil-

105 nähme an meinem Schiksaal! Lassen Sie sich, liebste Mutter! durch keine ungegründete Sorge in den Hofnungen stören, die Sie von mir gewis hegen, weil eine Mutter schwerlich je aufhören wird, von ihrem Sohne etwas zu hoffen! Gönnen Sie mir den ungestörten Ge-brauch meiner Kräfte, der mir seit meiner frühen Jugend jezt bei-

110 nahe zum ersten male zu Theil wird! Glauben Sie, daß ich nicht aus kindischen Motiven meine sparsame Mahlzeit, die ich des Tages Ein-mal genieße, einer reichen Tafel, und sogar für jezt dem Heerde meiner Heimath vorzog. Dafür fühl' ich auch jezt schon neue Kraft und neuen Muth in mir! Nur das, guter Gott! nur das möcht' ich er-

115 ringen, daß meine Mutter von Herzensgrunde sagen könnte, es war an ihm keine Mühe und Sorge vergebens! — Leben Sie wohl! Grüßen Sie alle die lieben Meinigen 1 Ich will izt wieder öfter schreiben. Meine bisherige unruhige Lage machte es mir beinahe unmöglich. Schreiben Sie mir doch so bald nur möglich. Ich sehne mich recht ser

120 nach einem Briefe von Ihnen. Und so eine herzliche Freude, die ich dann habe, gönnen Sie mir gewis. Leben Sie wohl.

Ihr Friz.

Mit neuen Kleidern war ich versehen, ehe ich hieher kam. Für 1-25 mein Logis zahl ich bis Ostern 5 Thaler. Für Kost wöchentlich

14 Groschen. Der Krug Bier kostet mir täglich 3 er. u. das Frühstük ungefär 6 er. Ich wohne — neben dem Fichtischen Hauße, so kön-nen Sie mein unbekantes Logis auf der Adresse bezeichnen.

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Nr.102.103 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

93. AN NEUFFER

Jena. d. 19 Jenner. 95.

Ich habe Dir viel zu schreiben, lieber Bruder! — Ich habe Dir vor-

erst zu sagen, daß ich mein bisheriges Verhältnis verlassen habe, und

nun als unabhängiger Mensch hier lebe. D u fühlst wohl mit mir,

daß ich meinen Muth zu diesem Schritte ziemlich zusammenneh- 5

men mußte. D u giebst mir Deinen Seegen dazu, das weis ich. Ich

hätt' ihn schwerlich gethan, wenn zu dem gerechten Wunsche, ein-

mal einen ernstlichen Versuch mit mir zu machen, nicht die beson-

dern Umstände meiner bisherigen Lage gekommen wären. Ich

schrieb Dir noch vor meiner Abreise von Waltershausen, wie ser ich lo

durch mein Erziehersgeschäft in meiner Selbstbildung gestört würde.

Ich litt mer, lieber Neuffer! als ich schreiben mochte. Ich sah, wie sich

das Kind mit jedem Tage mer verdarb, und konnte nicht helfen,

wahrscheinlich hätt' es auch ein vollkomnerer Erzieher nicht ge-

konnt. W i r kamen hieher, ich verläugnete beinahe meine Wünsche, 15

den hiesigen Aufenthalt zu benüzen ganz, nur u m das Äußerste an

meinem Zöglinge zu versuchen; ich wagte meine Gesundheit durch

fortgeseztes Nachtwachen, denn das machte sein Übel nötig, und ich

wollte auch so den verlornen Tag zumThei l ersezen, oft schien es mir

zu gelingen, aber es folgten nur traurigere Rezidive, und ich fieng 20

auch an, auf eine gefährliche Art an meinem Kopfe zu leiden, durch

das öftere Wachen, wohl auch durch den Verdruß. In diesen trüben

Tagen überraschte mich Dein Brief, und er that mir unaussprechlich

wohl, so ser Deine Glükwünsche zu meiner damaligen Empfindung

kontrastirten. Schillers Umgang hielt mich auch noch empor. Zv. 25

Ausgange des Dez. kam die Majorin hieher, uns abzuhohlen, weil sie

unvermuthet sich entschlossen hatte, in eine Stadt zu ziehen, und so

unsern hiesigen Aufenthalt nimmer notwendig fand. W i r reisten

nach Weimar ab, und ich hätte da manche goldne Stunde besser ge-

nossen , wenn nicht meine Gesundheit und mein Gemüth so hart an- 30

gegriffen gewesen wäre.

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B R I E F E 1 7 9 4 - 1 79 5 Nr.93

Ich kam zu Herdern, und die Herzlichkeit, womit mir der edle

Man begegnete, machte auf mich einen unvergeßlichen Eindruk.

Seine Darstellungsart verläugnet sich auch in seinem Gespräche

35 nicht. Doch glaubt' ich auch eine Simplizität an ihm zu bemerken,

und eine Leichtigkeit, die man im Verf. der Geschichte der Mensch-

heit nicht vermuthen sollte, wie mich dünkt. Ich werde wohl noch

öfter zu ihm kommen. Auch mit Göthen wurd' ich bekannt. Mit

Herzpochen gieng ich über seine Schwelle. Das kannst Du Dir den-

+0 ken. Ich traf ihn zwar nicht zu Hauße; abernachher bei der Majorin.

Ruhig, viel Majestät im Blike, u. auch Liebe, äußerst einfach im

Gespräche, das aber doch hie und da mit einem bittern Hiebe auf die

Thorheit um ihn, und eben so bittern Zuge im Gesichte — und dann

wieder von einem Funken seines noch lange nicht erloschnen Genies

•5 gewürzt wird — so fand ich ihn. Man sagte sonst, er sei stolz; wenn

man aber darunter das Niederdrükende, u. Zurükstoßende im Be-

nehmen gegen unser Einen verstand, so log man. Man glaubt oft

einen recht herzguten Vater vor sich zu haben. Noch gestern sprach

ich ihn hier im Klubb. Auch mit Mahler Majer, seinem beständigen

50 Gesellschafter, einem einfachen ehrlichen Schweizer, aber strengen

Künstler unterhielt ich mich in Weimar und hier recht fröhlich. —

Hast Du Göthens neuen Roman,Wilhelm Meister gelesen? — Nur

Göthe könnt' ihn schreiben. Besonders wirst Du Dich über das Ständ-

chen vor Marianens Hause, u. das Gespräch über die Dichter freuen.

55 — Aber ich vergesse meine eigne Geschichte. Ich hatte schon bei un-

serer Abreise von hier der Majorin erklärt, und diese hatte es Schil-

lern gesagt, daß ich Lust hätte, zu bleiben. Die Majorin und Schiller

baten mich zu dringend, die Probe noch Einmal zu machen, da jezt

Ärzte mitwirkten, als daß ich nicht hätte dadurch bestimmt werden

60 sollen. Da aber die Sache in Weimar nicht besser wurde, u. da ein

Hofmeister für den Kleinen auch nicht so ser Bedürfniß ist, weil er

da sonst Unterricht haben kan, und im übrigen ohnediß meine Hülfe

und Aufsicht lange nicht hinreichend ist bei den jezigen Umständen,

so erbot sich die Majorin von selbst, meinem Jammer ein Ende zu

63 machen, ich nahm sie beim Worte, sie wollte aber nicht, daß ich so

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Nr.102.103 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

plözlich gienge, ich stellte ihr vor, daß ich meiner Gesundheit so bald

möglich Ruhe schaffen, auch mein unterbrochnes KoU. bei Fichte

noch hören möchte, und sie gab endlich nach, versah mich noch mit

Gelde auf ein Vierteljahr, will sonst alles thun, um mir einen längern

Aufenthalt hier möglich zu machen, bat mich, ja alle Monathe ein 70

paarmal hinüber zu kommen, u. zeigte noch beim Abschiede ihren

ganzen edlen Sinn, u. ihre, wie ich doch glauben muß, herzliche

Freundschaft für mich. — Ich wollte Dir Rechenschaft von meinem

Schritte geben, u. war darum so umständlich. Ich arbeite jezt den

ganzen Tag vor mich. Gehe nur Abends in Fichtes Kollegium, und so 75

oft ich kcinn, zu Schillern. Er nimmt sich meiner recht treulich an.

Wie es femer wird, weis ich selbst nicht. Es fehlt mir hier nichts, als

D u , mein Bruder! Wenn werden wir uns wiedersehn? Glaube mir,

ich fühle oft, daß ich an nichts so unveränderlich hänge, wie an Dir.

Ich finde das nirgends, was Du mir bist. Und hab' ich in meinem Le- 80

ben wahr aus dem Grunde des Herzens gesprochen, so ist es jezt.

Ich möcht auch oft bei Dir seyn, um Dich, so viel ich könnte zu er-

heitern. Daß diese edle Liebe so trübe Tage haben soll! Grüße Dein

Röschen, sag' ihr, daß ich ein recht fröliches Fest feiern woUe, wenn

ich ihre völlige Genesung erfahre. Auch sonst solltest Du Deinen 85

alten Muth nicht fahren lassen, lieber Bruder! Ich ängstige mich

auch oft genug. Aber Du gabst mir doch sonst so ein gut Beispiel. Ein

Stük Deiner Äneide wirst Du in der neusten Thalia finden. Schillers

neues Journal die Hören, werden in dieser Art das erste Werk in

Deutschland sein. Ich bitte Dich, das, was D u mir von der ernsten 90

Satyre schriebst, ja nicht aufzugeben. SchiUer sagt auch, man müsse

jezt das Publikum recht in Indignation sezen, um darauf zu wirken.

Er sprach mit Teilnahme von der Rastlosigkeit, womit Du an Deiner

Aeneide arbeitest. Zeigte mir auch die Episode von Nisus und Eurya-

lus in Konzens Journal. Laß Dich doch durch Voß nicht abschröken. 95

Tritt kühn heraus, u. laß die Leute sich wundem, über den Men-

schen, der sich mit Vossen messen wollte. Desto besser für Dich!

Willst Du mir Gedichte schiken für den künftigen Schillerischen

Allmanach? Ich begreife nicht, wo er die, die ich ihm noch in Schwa-

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B R I E F E 1 79 4 . -1 79 5 Nr.9}

100 ben in Deinem Nahmen gab, hingebracht haben könnte, u. vermuthe,

daß er sie für den Allmanach spart. Er hat mir aufgegeben, Dich zu

grüßen.

Weltmann, der hier seit kurzem Prof. der Geschichte u. wie D u

Dich erinnerst, Verf. einiger Gedichte im Bürgerischen AUm. ist,

105 lernte ich gestern auch kennen. Er ist ein leichtes zierliches Wesen —

ganz im Göttinger Style. — Auch Niethammer, der ser freundschaft-

lich gegen mich ist, läßt Dich grüßen.

Du firagst mich, wie es sich mit meiner Tübinger Geschichte ver-

halte? Wie immer. Ich sagte Dir noch vor meiner Abreise, wenn ich

HO mich recht erinnere, daß ich mit dem guten Kinde manche frohe

Stunde gehabt, auch freilich manche bittre, daß ich aber, so wie ich

sie näher hätte kennen lernen eine engere Verbindung nie hätte

wünschen können. Ich hab' ihr vor kurzem noch geschrieben, so wie

man aber in der Welt manche Briefe schreibt. Guter Gott! es waren

115 seelige Tage, da ich, ohne sie zu kennen, mein Ideal in sie übertrug,

und über meine Unwürdigkeit trauerte. Könten wir doch ewig ju-

gendUch bleiben. Schreibe mir doch die Gründe, die Dich zu der

Frage bestimmten. Hier lassen mich die Mädchen und Weiber eis-

kalt. In Waltershausen hatt' ich im Hauße eine Freundin, die ich un-

120 gerne verlor, eine junge Wittwe aus Dresden, die jezt in Meinungen

Gouvernante ist. Sie ist ein äußerst verständiges, vestes, u. gutes

Weib, und ser unglüklich durch eine schlechte Mutter. Es wird Dich

interessiren, wenn ich Dir ein andermal mehr von ihr sage, u. ihrem

Schiksaal.

125 Ich wurde diesen Mittag durch Besuch verhindert. Dir zu schrei-

ben und muß jezt eilen. Schreibe mir, wenn Du kannst, dißmal un-

mittelbar nach dem Empfang meines Briefs. Ich sehne mich unge-

wöhnlich nach einer Zeile von Dir. Erhalte mir einen Theil Deines

Herzens! Ich kann ihn nie entbehren, im Leben nie!

130 Ewig

Dein

Hölderlin.

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Nr.102.103 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

Noch eine Bitte 1 könntest Du nicht meine Mutter besuchen, und, wenn Du finden solltest, daß sie mit der Veränderung meiner Lage nicht ganz zufrieden wäre, sie beruhigen. Ich will alles thun, um ihr 135 nicht lästig zu werden, und lebe deswegen auch ser sparsam, esse des Tags nur Einmal ziemlich mittelmäßig, und denke bei einem Kruge Bier an unsem Nekarwein, u. die schönen Stunden, die ihn heiligten. Leb wol Lieber!

94. AN H E G E L

Jena. d. 26 Jenn. 95.

Dein Brief war mir ein frölicher Willkomm bei meinem zweiten Eintritt in Jena. Ich war zu Ende des Dez. mit der Majorin von Kalb und meinem Zögling, mit dem ich zwei Monathe allein hier zuge-bracht hatte, nach Weimar abgereist, ohne so eine schnelle Rükkehr 5 selbst zu vermuthen. Das mannigfaltige Elend, das ich durch die be-sondem Umstände, die bei meinem Subjecte stattfanden, im Er-ziehungswesen erfahren mußte, meine geschwächte Gesundheit, und das Bedürfnis, mir wenigstens einige Zeit selbst zu leben, das durch meinen hiesigen Aufenthalt nur vermehrt wurde, bestimmte lo mich noch vor meiner Abreise von Jena, den Wunsch, mein Verhält-nis zu verlassen, der Majorin vorzutragen. Ich lies mich durch sie und Schillern überreden, den Versuch noch einmal zu machen, konnte aber den Spaß nicht länger als 14 Tage ertragen, weil es unter anderem auch mich beinahe ganz die nächtliche Ruhe kostete, und 15 kehrte nun in vollem Frieden nach Jena zurük, in eine Unabhängig-keit, die ich im Grunde jezt im Leben zum erstenmale genieße, und die hoffentlich nicht unfruchtbar seyn soU. Meine productive Tä-tigkeit ist izt beinahe ganz auf die Umbildung der Materialien von meinem Romane gerichtet. Das Fragment in der Thalia ist eine 20 dieser rohen Massen. Ich denke bis Ostern damit fertig zu seyn, laß mich indeß von ihm schweigen. Den Genius der Künheit, dessen Du Dich vieleicht noch erinnerst, hab' ich, umgearbeitet.

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mit einigen andern Gedichten in die Thalia gegeben. Schiller nimmt

25 sich meiner ser an, und hat mich aufgemuntert, Beiträge in sein

neues Journal, die Hören, auch in seinen künftigen Musenalmanach

zu geben.

Göthen hab' ich gesprochen, Bruder! Es ist der schönste Genuß un-

sers Lebens, so viel Menschlichkeit zu finden bei so viel Größe. Er un-

50 terhielt mich so sanft und freundlich, daß mir recht eigentlich das Herz

lachte, u. noch lacht, wenn ich daran denke. Herder war auch herz-

lich, ergriff die Hand, zeigte aber schon mer den Weltman; sprach

oft ganz so allegorisch, wie auch Du ihn kennst; ich werde wohl noch

manchmal zu ihnen kommen; Majors von Kalb werden wahrschein-

35 lieh in Weimar bleiben, (weswegen meiner auch der Junge nicht mer

bedurfte, und mein Abschied beschleuniget werden konnte) und die

Freundschaft worinn ich besonders mit der Majorin stehe, macht mir

öftere Besuche in diesem Hauße möglich.

Fichtens spekulative Blätter — Grundlage der gesammten Wissen-

de schaftslehre — auch seine gedrukten Vorlesungen über die Bestim-

mung des Gelehrten werden Dich ser interessiren. Anfangs hatt' ich

ihn ser im Verdacht des Dogmatismus; er scheint, wenn ich mut-

maßen darf auch wirklich auf dem Scheidewege gestcinden zu seyn,

oder noch zu stehn — er möchte über das Factum des Bewußtseins in

+5 der Theor ie hinaus, das zeigen ser viele seiner Äußerungen, und das

ist eben so gewis, und noch auffallender transcendent, als wenn die

bisherigen Metaphysiker über das Daseyn der Welt hinaus wollten —

sein absolutes Ich ( = Spinozas Substanz) enthält alle Realität; es ist

alles, u. außer ihm ist nichts; es giebt also für dieses abs. Ich kein Ob-

50 ject, denn sonst wäre nicht alle Realität in ihm; ein Bewußtsein ohne

Object ist aber nicht denkbar, und wenn ich selbst dieses Object bin,

so bin ich als solches notwendig beschränkt, sollte es auch nur in der

Zeit seyn, also nicht absolut; also ist in dem absoluten Ich kein Be-

wußtsem denkbar, als absolutes Ich hab ich kein Bevnißtsem, und

55 insofern ich kein Bewußtsein habe, insofern bin ich (für mich) nichts,

also das absolute Ich ist (für mich) Nichts.

So schrieb ich noch in Waltershausen, als ich seine ersten Blätter

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las, unmittelbar nach der Leetüre des Spinoza, meine Gedanken nie-der; Fichte bestätiget mir

60

Seine Auseinandersezung der Wechselbestimmung des Ich und Nicht- 65 ich (nach s. Sprache) ist gewis merkwürdig; auch die Idee des Stre-bens p.p. Ich muß abbrechen, und muß Dich bitten, all' das so gut als nicht geschrieben anzusehen. Daß Du Dich an die Religionsbe-griffe machst, ist gewis in mancher Rüksicht gut und wichtig. Den Begriff der Vorsehung behandelst Du wohl ganz parallel mit Kants 70 Teleologie; die Art, wie er den Mechanismus der Natur (also auch des Schiksaals) mit ihrer Zwekmäsigkeit vereiniget, scheint mir eigentlich den ganzen Geist seines Systems zu enthalten; es ist frei-lich dieselbe, womit er alle Antinomien schlichtet. Fichte hat in An-sehung der Antinomien einen ser merkwürdigen Gedanken, über 75 den ich aber lieber Dir ein andermal schreibe. Ich gehe schon lange mit dem Ideal einer Volkserziehung um, u. weil Du Dich gerade mit einem Teile derselben der Religion beschäftigest, so wähl ich mir vieleicht Dein Bild und Deine Freundschaft zum conductor der Ge-danken in die äußere Sinnen weit, und schreibe, was ich vieleicht so später geschrieben hätte, bei guter Zeit in Briefen an Dich, die Du beurteilen und berichtigen sollst.

9 5 . A N D I E M Ü T T E R

Jena. d. 22 Febr. 1795.

Liebste Mutter!

Nehmen Sie den innigsten Dank meines Herzens für Ihre seltne unveränderliche Güte. Es war eine der schönsten Stunden meines Lebens, die mir Ihr lezter Brief gab. Ihr Herz, das mir ewig ein Mu- 5

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ster bleiben wird, ist in jeder Zeile so unverkennbar, und es ist der schönste Lohn für mich, wenn ich einst dieses Herz erfreuen kann durch Früchte, die der Pflege würdig waren. Ich glaub' es Ihnen gerne, daß Ihnen die unüberdachten Äußerungen meines vorlezten

10 Briefes unangenem seyn mußten. Verzeihen Sie, entschuldigen Sie mich mit meiner damaligen gedrükten Lage. Glauben Sie, liebste Mutter I daß es in manchen Rüksichten das Beste war, daß ich mich nicht, wie es beinahe geschehen wäre, von der Majorin erbitten ließ, und blieb. Selbst die jezigen Zeitumstände, die Sie wünschen ließen,

15 daß ich mein Verhältnis fortgesezt hätte, sind mitunter ein Grund, der meine Veränderung rechtfertigt. Auch könnten meine Aussich-ten für jezt nicht günstiger seyn. Schiller nimmt sich meiner so wahrhaft väterlich an, daß ich dem großen Manne neulich selbst gestehen mußte, ich wüßte nicht, wie ichs verdiente, daß er so ser

20 sich für mich interessire. Er giebt ein neues Journal heraus, mit an-dern Mitarbeitern, unter welchen jezt aufzutreten, ich mich ohne den größten Übermuth nicht für würdig halten konnte. Für den Bogen werden ihm 5 Louisd'or bezahlt. Nun fragte er mich neulich, wie es mit meinem hiesigen Aufenthalt stehe? Ich sagt ihm, daß

25 ich von Ihnen einen recht freundhchen Brief bekommen hätte, der mich hoffen ließe, daß ich wol bis auf den Herbst würde bleiben kön-nen. Dann sagt' er mir: »wir müssen sehen, wie wir es machen, daß Sie Ihrer Familie so wenig als möglich lästig sind«, sprach manches im Allgemeinen, und sagte mir endlich, ob ich nicht ungefär das

30 und das für seine Hören (sein Journal) ausarbeiten möchte, von 4 Bogen^könnt' ich bequem ein halb Jahr leben. Nun kömmt's darauf an, ob mirs gelingt, etwas zu liefern, was taugt, und so würd' ich bis zu Ende des nächsten halben Jahres eine ziemliche Einnahme haben, vieleicht noch früher. Die Arbeit, die ich bisher unter den

35 Händen hatte, geht mir gut von Statten. Es wäre freilich zu viel Glük, wenn er diese aufnähme. Ich muß aber zweiflen, weil sie 2-Bände stark wird, und er doch nicht gerne ein Bruchstük nehmen wird, auch deswegen nicht wol das Ganze aufnehmen kann, weil in seinem vorigen Journale, wo er es weniger genau nahm, schon ein

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Bruchstük davon gedrukt ist, also ein Teil der Arbeit von ihm zum +o zweitenmale aufgetischt werden müßte. Übrigens werd' ich ihm auf sein Begehren die Arbeit, wovon nach Ostern der erste Band fertig seyn wird, vorlegen. Ich habe indeß durch einen Freund bei einem Verleger die Anfrage thun lassen, unter welchen Bedingungen er geneigt wäre das Manuscript anzunehmen. Ich machte zur Bedin- +5 gung, daß ich nach Empfang des Manuscripts, und nicht erst, wenn das Buch gedrukt wäre, bezahlt würde, denn sonst würde ich das Geld erst bis zu Ende des nächsten halben Jahrs bekommen; und erwarte baldige Antwort. Auch war' ich geneigt, eine neue Hofmeisterstelle bei Justizrath Brun in Kopenhagen, wo ich eine Reise nach Italien 50 und in die Schweiz machen könnte, anzunehmen, wenn, indeß ich von hier aus vorgeschlagen werde, nicht ein anderer mir zuvorge-kommen ist, und Sie, liebste Mutter, es gut heißen. In jedem Falle versichere ich Sie, daß ich überhaupt keine günstige Hofmeisterstelle abweisen werde. Die Hofnungen, die mir vieleicht in Jena erfüllt 55 werden könnten, verdarb' ich mir durch eine temporäre Entfernung nicht. Auch sind diese Hofnungen mir eben nicht so ser an's Herz ge-wachsen . Es würde mir auch wol thun, in mein Vaterlemd zurükkeh-ren zu können, auf einen Posten, der meiner Natur nicht unange-messen wäre. — 0 meine MutterI Sie fragen, ob ich Sie lieb habe, 60 könnten Sie in mein Herz sehen 1 Ich bin gewis, daß mir diese innige Anhänglichkeit ein Sie bleiben wird, so laing ich das Gute lieben werde. Ich denke so manchen lieben Abend, wenn ich ausruhe von meiner Arbeit: säßest du jezt am Tische neben den Deinigen! Das goldne Wiedersehn! — Sie fragen mich, wie weit Nürnberg von Jena, 65 und Jena von Waltershausen und von Weimar entfernt wäre. Von Nürnberg mag Jena wol sechzig Stunden entfernt se)Ti, von Wal-tershausen dreißig, nach Weimar hat man vier Stunden. Nächste Woche will ich wirklich wenn ich nicht verhindert werde, zu Fuße hinüber 1 Das Wetter hinderte mich indeß. Ich bin gottlob jezt so ge- 70 sund, als ich es lange nicht war. Ich pakte mich immer wol ein wäh-rend der Kälte, um nicht so viel Holz zu brauchen. Es ist hier ziem-lich theuer, und meist von Tannen. Jezt haben wir heitere Tage.

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Meine Baarschaft reicht wol noch bis nach den Osterfeiertagen hin. 75 SoUt' ich bis dahin kein Geld vom Buchhändler bekommen, so würd'

ich bitten, hebste Mutter, wenn es Ihnen nicht zu ungelegen wäre, mir sieben bis zehn Karolin zu schiken. Ich gebe Ihnen zugleich mein Ehrenwort, daß ich dann nie um einen Heller mer Sie berauben will, daß ich schlechterdings, weil ich es für Pflicht halte, das "Geld

80 nicht nehmen werde, ohne Ihre Versicherung, daß ich es als einen Teil dessen, was ich künftig von Ihnen empfangen werde, anzusehen habe; auch versichere ich Sie, daß ich es Ihnen schreiben will, sobald ich hoffen kann, vom Buchhändler schon nach Ostern Geld zu erhalten, wo ich dann vor der Hand Ihnen nicht lästig zu

85 seyn genöthigt wäre, und daß ich nicht um so viel gebeten hätte, wenn ich nicht noch einen kleinen Posten in Meiningen zu bezahlen hätte.

Ich weis eine ganz gute Gelegenheit, wie Sie mir das Geld werden, ohne Porto, schiken können. Ich will Ihnen davon das nächstemal

90 schreiben. Schreiben Sie mir auch bald wieder, liebste Mutter! Es ist immer ein Festtag für mich, wenn ich von Ihnen einen Brief bekom-me. Dem lieben Karl dank ich tausendmal für seinen Neujahrs-wunsch.Wenn er nur zu Ihren Briefen mir zuweilen eine Linie hin-zusezen möchte, würd' es mich freuen. Schreiben Sie mir auch das

95 nächstemal etwas spezielles von meiner lieben Rike. Glauben Sie wohl, daß sie mir noch so gut ist, wie sonst? Bleibt die 1. Fr. Gros-mamma noch lange bei Ihnen? Ich wünsch' es ser. Tausend Emp-felungen an Sie, und die andern Lieben, auch meinen Freunden in Nürtingen. - Kammerer von Sundelfingen wohnt mir gegenüber. Wir

100 sizen manchmal Abends ein Stündchen bei einander. — Mein bischen Schreiberei in Schillers Thalia trägt mir manchen freundlichen Gruß, und manche höfliche Einladung ein. Es freut mich immer, wenn so ein ganz fremder Mensch nach meinem Nahmen fragt, und den Büchermacher zum Koffee bittet, den ich mir dann recht gut

105 schmeken lasse. Halten Sie diß nicht für Unbescheidenheit, liebste Mutter 1 Ich wollt Ihnen damit nur sagen, daß mirs gut gehe. Ich kann aber demungeachtet meine Eingezogenheit nicht verlassen.

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und will auch nicht. Nun hab' ich Ihnen genug vorgeschwazt. Leben Sie woll Behalten Sie mich immer in freundlichem Angedenken, liebste Mutter I Ewig iio

Ihr dankbarer Sohn

Hölderlin. Legt einen Brief der Kalb an die Mutter bei.

96. AN D I E M U T T E R

Jena. d. 12 März. 95.

Es wird mich Verläugnung kosten, liebste Mutter! den Brief diß-mal so abzukürzen, wie ich es wol genöthiget seyn werde; aber es würde mich auch eben so schwer ankommen, Ihren goldnen lieben Brief nicht sogleich zu beantworten, so wenige Zeit mir dazu noch 5 übrig ist. Sie sind besorgt um mich, theure Mutter! und ich habe keine Sorge, als Ihnen süße Tage zu machen, so wahr Sie einzig sind und Ihre Güte! Es ist der erste meiner Wünsche, diese Güte vergel-ten zu können; werd' ichs je können? Ich hab' es mir heilig geschwo-ren, von nun an nicht müde zu werden im Fortschritte zu reinem lo Guten imd Wahren, und in diesem Fortschritte bin ich Einer Hülfe gewis. Sie kennen diese. Es ist mein vester, ernster Glaube, wie der Ihrige, der Vater der Geister und der Natur versagt keiner redlichen Bemühung seinen Beistand.Wenn wir dahin trachten und ringen, wohin ein göttlicher Trieb in der Tiefe unserer Brust uijs treibt, dann 15 ist alles unser! Selbst der Widerstand ist ein Werkzeug der ewigen Weisheit, uns vest und stark zu bilden im Guten. — Ich lebe ser stille, ganz nach meinem Wunsche. Ein Besuch bei Schillern, der ohne Aufhören mich mit Freundschaft und recht väterlicher Güte über-häuft, giebt mir mehr Genuß und Stärkung, ab jede andere Gesell- 20

Schaft. Er hat an Cotta in Tübingen in meinem Naiimen geschrieben, ob er mein Werkchen in Verlag nehmen woUe, und ich erwarte alle Tage Antwort. Auch meine sonstige Lebensart läßt mich ser zufrie-

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den. Ich finde, daß man ser glüklich seyn kann bei eingeschränkten 23 Verhältnissen. Auch kann ich Sie versichern, liebste Mutter I daß ich

bei meiner Arbeit immer dafür sorge, daß ich auch für den andern Tag Kräfte und Heiterkeit übrig behalte. Auch hänge ich nicht lei-denschafthch an dem Gedanken, hier mich etabliren zu können. Glauben Sie, daß es mich einen großen Kampf kosten würde, wenn

50 ich eine Lage erwählen sollte, die mich nöthigen würde, einen gro-ßen Teil meines künftigen Lebens ohne Ihren Umgang, liebste Mut-ter I und entfernt von den andern lieben Meinigen zuzubringen. Und wir leben ja, wie mein Karl schrieb, nicht um zu glänzen, wir leben um wolzuthun. — Wie mich die Briefe gefreut haben I Mein Bruder

35 ist ein edler Mensch. 0 meine Mutter 1 hätten Sie nichts, als diesen reingesinnten strebenden Jüngling zum Sohne, Sie wären reicher, als Tausende. Wie soll es meinem Herzen ein Fest werden, ihn wie-derzusehen! Ich muß ihm viel schreiben. Ich bin sein Schuldner von langer Zeit. Sie werden erlauben, daß ich das nächstemal den Brief

40 an ihn richte. Auch meiner lieben Rike will ich schreiben. Es ist einer meiner schönsten Tage, den ich heute hatte, bei Empfang all der herzlichen Briefe 1 Meine Schwester meinte es herzlich gut, daß sie mir rieth, an's hebe Vaterland mich zu halten. Ich werd' auch wol nicht ewig ausbleiben. — Ob Schiller die Vokation angenommen

45 hat, oder nicht, weis ich selbst nicht. Er erklärte sich nicht deutlich, und so geradezu fragen könnt' ich auch nicht. Es ist mir aber wahr-scheinlich, daß er hier bleiben wird, weil er von neuem sich ein Haus gemiethet hat. — Wenn ich eine Hofmeisterstelle nehme, so muß sie ser günstig seyn. Niethammer war auch, seit er sich in Jena aufhält,

50 eine Zeit lang in Gotha Hofmeister, und er wurde bei seiner Rükkehr nur um so besser aufgenommen.

Leben Sie wol, beste Mutter! Tausend Grüße und Empfelungen an alle! Ewig

Ihr 55 gehorsamer Sohn

Friz.

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97. A N D E N B R U D E R

Jena. d. 13 Apr. 1795.

Ich bin Dein Schuldner von lange her, lieber Bruder. Aber die Freude, die Du mir durch die mannigfaltigen Äußerungen Deines brüderlichen reinen Herzens machtest, läßt sich in keinem Falle durch Worte vergelten. Überhaupt weis ich nicht, wie ich so viele Liebe 5 verdienen soll, die ich von allen den theuren Meinigen erfahre.

Die Güte unserer lieben Mutter beschämt mich so unendlich. Wäre sie auch nicht unsere Mutter, und widerführe diese Güte nicht mir, ich müßte doch ewig mich freuen, daß eine solche Seele auf Erden ist. 0 mein Karl! wie sehr wird unsere Pflicht uns erleichtert! Es lo müßte kein menschlich Herz in uns seyn,wenn die Theilnahme einer solchen Mutter uns nicht unendlich stärkte in unserem geistigen Wachstum. — Ich glaube Du bist auf dem rechten Wege, lieber Bru-der! In Deinem Herzen ist das uneigennüzige Gefühl der Pflicht, Dein Geist entwikelt sich dieses Gefühl mit Hülfe anderer edeln Gei- 15 ster, deren Schriften Deine Freunde sind, das Gefühl Deines Herzens wird reingedachter unbestechlicher Grundsaz, der Gedanke tödtet es nicht, es wird gesichert, bevestiget durch den Gedainken. Auf diesen Gedanken der Pflicht d. h. auf den Grundsaz: der Mensch soll immer so hcindeln, daß die Gesinnung aus der er handelt, zum Gesez für alle 20 gelten könnte, und er soll so handeln, lediglich weil er soll, weil es das heilige unabänderliche Gesez seines Wesens ist (wie jeder finden kann, der sein Gewissen, das Gefühl jenes Gesezes, das sich bei ein-zahlen Handlungen äußert, mit unpartheiischem Auge prüft), also auf jenes heilige Gesez unserer Moralität gründest Du die Beurthei- 25 lung Deiner Rechte; jenem heiligen Geseze immer näher zu kom-men, ist Dein lezter Zwek, das Ziel aU Deines Bestrebens, und dieses Ziel hast Du mit allem gemein, was Mensch heißt; was nun als Mit-tel nothwendig ist zu jenem höchsten Zwek, alles, was Dir unent-behrlich ist zur nie vollendeten Vervollkommnung Deiner Sittlich- 30 keit, darauf hast Du ein Recht; das Unentbehrlichste ist hiebei na-

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türlich Freiheit des Willens (wie könnten wir Gutes thun, wenn wir das Gute nicht wollen könnten? was aus Zwang geschieht, ist nicht die Handlung eines guten Willens, also nicht gut im eigentlichen

35 Sinn, vieleicht nüzlich, aber nicht gut, vieleicht legal, aber nicht mo-ralisch) ; und so kann durchaus keine Deiner Kräfte auf eine Art ein-geschränkt werden, wodurch sie minder oder mehr zu Deiner Bestim-mung untauglich gemacht würde, und so auch kein Product Deiner Kräfte, und so oft Du eine solche Einschränkung Deiner Kräfte, oder

+0 ihrer Producte nicht zulässest, so oft behauptest Du ein Recht, sey es mit Worten oder mit der That. Natürlich hat also jeder Mensch gleiche Rechte in diesem Sinne; keinem, er sey wer er will, wenn er nur Mensch ist, kann der Gebrauch seiner Kräfte oder ihrer Producte auf eine Art streitig gemacht werden, die ihn mehr oder weniger hinderte,

+5 seinem Ziele, der höchstmöglichen Sittlichkeit, näher zu kommen. — Weil aber dieses Ziel auf Erden unmöglich, weil es in keiner Zeit

erreicht werden kann; weil wir uns nur in einem unendlichen Fort-schritte ihm nähern können, so ist der Glaube an eine unendliche Fortdauer nothwendig, weil der unendliche Fortschritt im Guten

50 unwidersprechliche Forderung unsers Gesezes ist, diese unendliche Fortdauer ist aber nicht denkbar ohne den Glauben an einen Herrn der Natur, dessen Wille dasselbe will, was das Sittengesez in uns ge-bietet, der also unsere unendliche Fortdauer wollen muß, weil er un-sern unendlichen Fortschritt im Guten will, und der, als der Herr der

55 Natur, auch Macht hat, wirklich zu machen, was er will. Natürlich ist diß menschlich von ihm gesprochen, denn der Wille und die That des Unendlichen sind Eines. Und so gründet sich auf das heihge Ge-sez in uns der vernünftige Glaube an Gott und Unsterblichkeit, auch an die weise Lenkung unserer Schiksaale, in so fern sie nicht von uns

60 abhängig sind; denn so gewiß der höchste Zwek höchstmögliche Sitt-hchkeit ist, so nothwendig wir diesen Zwek als den höchsten an-nehmen müssen, so nothwendig ist uns der Glaube, daß die Dinge, da wo unseres Willens Macht nicht hinreicht, sie gehen wie sie wol-len , dennoch zu jenem Zweke zusammen wirken, d. h. von einem hei-

65 ligen weisen Wesen, das die Macht hat, wo die unsrige nicht hin-

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reicht, zu jenem Zweke eingerichtet seyen. Ich sehe, daß ich noch manches zu sagen hätte, aber ich breche ab, weil ich Dir auch gerne, so gut es sich mit wenigen Worten thun läßt, eine Haupteigentüm-lichkeit der Fichte'schen Philosophie mittheilte. »Es ist im Men-schen ein Streben in's Unendliche, eine Thätigkeit, die ihm schlech- 70 terdings keine Schranke als immerwährend, schlechterdings keinen Stillstand möglich werden läßt, sondern immer ausgebreiteter, freier, unabhängiger zu werden trachtet, diese ihrem Triebe nach unend-liche Thätigkeit ist beschränkt; die ihrem Triebe nach unendhche unbeschränkte Thätigkeit ist in der Natur eines Wesens, das Be- 75 wußtseyn hat (eines Ich, wie Fichte sich ausdrükt), nothwendig, aber auch die Beschränkung dieser Thätigkeit ist einem Wesen, das Be-wußtseyn hat, nothwendig, denn wäre die Thätigkeit nicht be-schränkt, nicht mangelhaft, so wäre diese Thätigkeit alles, und außer ihr wäre nichts, litte also unsere Thätigkeit keinen Widerstand von su außen, so wäre außer uns nichts, wir wüßten von nichts, wir hätten kein Bewußtseyn; wäre uns nichts entgegen, so gäbe es für uns kei-nen Gegenstand; aber so nothwendig die Beschränkung, der Wider-stand und das vom Widerstande bewirkte Leiden zum Bewußtseyn ist, so nothwendig ist das Streben in's Unendhche, eine dem Triebe 85 nach gränzenlose Thätigkeit in dem Wesen, das Bewußtseyn hat, denn strebten wir nicht, unendlich zu seyn, frei von aller Schranke, so fühlten wir auch nicht, daß etwas diesem Streben entgegen wäre, also fühlten wir wieder nichts von uns verschiedenes, wir wüßten von nichts, wir hätten kein Bewußtseyn.« — Ich habe mich so deut- 90 lieh gemacht, als mir nur immer möglich war, bei der Kürze, mit der ich mich ausdrüken mußte. Zu Anfang dieses Winters, bis ich mich hineinstudirt hatte, machte mir die Sache manchmal ein wenig Kopf-schmerzen, um so mehr, da ich durch Studium der Kantischen Philo-sophie gewöhnt war, zu prüfen, ehe ich annahm. — Niethammer hat 95 mich auch gebeten, an seinem philosophischen Journale mitzuarbei-ten, und so habe ich diesen Sommer über ein ziemlich Stükchen Ar-beit vor mir. Mein Werkchen, von dem ich schon schrieb, hat Cotta in Tübingen, auf Schillers Veranlassung, in Verlag genommen; wie

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100 viel er mir bezahlen wird, soll, so will es Schiller, ausgemacht wer-den, wenn G)tta hieher kömmt, welches ungefähr in 14 Tagen ge-schehen wird. Ich hoffe, unserer lieben guten Mutter nun nicht so leicht mehr beschwerlich fallen zu müssen. Ich dank' ihr für das Überschikte mit allem Danke meines Herzens; ich werd' es nie verges-

105 sen, daß ich in meiner jezigen Lage mit solcher Güte unterstüzt wurde. Schiller wird wohl hier bleiben. Wahrscheinlich laß' ich mich näch-

sten Herbst, wenn ich bleibe, hier examiniren. Das ist die einzige Bedingung, die mir die Erlaubnis giebt, Vorlesungen zu halten. Um den Professorstitel ists mir nicht zu thun, und die Professorsbesoldung

110 ist hier nur bei sehr wenigen beträchtlich. Viele haben gar keine. — Ich habe noch einiges von einer kleinen Lustreise zu erzählen, die ich machte, weil das Bedürfnis einer Bewegimg nach dem beständi-gen Sizen den Winter über sehr groß bei mir war, und ich gerade noch ein paar französische Thaler übrig hatte. Aber ich spare es für

115 einen Brief an meine liebe Rike. — Die schöne versprochene Weste werd ich mit großem Dank annehmen. Vieleicht nimmt es aber die liebe Mutter nicht ungütig, wenn ich das Geständnis thue, daß ich noch vmverarbeiteten Westenzeug — ein Geschenk, das ich in Wal-tershausen mitnahm, im Koffer habe, hingegen Beinkleider noth-

120 wendig brauche. Nicht wahr. Lieber! ich bin etwas indiscret? Ich muß der lieben Rike nächsten Mittwoch schreiben, heute reicht die Zeit nicht mehr hin.

Lebe wohl, tausend herzliche Grüße an alle.

9 8 . A N D I E S C H W E S T E R

Jena d. 20 Apr. 95.

Liebe Schwester!

Ich danke Dir herzlich für Deine Theilnahme, für Dein fort-dauerndes Andenken. Du wirst mir gerne glauben, daß man viel ver-

5 mißt in der Entfernung, wenn einem die Heimath so unentbehrlich gemacht worden ist, wie mir, durch so viele Liebe vmd Güte. Ich

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könt' es auch schwerlich über mich gewinnen, so lange wegzubleiben, wenn mich nicht zuweilen ein Grus oder ein Brief entschädigte. Übrigens geht mir es recht gut, und ich glaube, daß mein hiesiger Aufenthalt in keinem Falle ohne Nuzen ist. Es wäre meine Schuld, lO wenn er zweklos für mich wäre. — Diesen Winter über hab' ich mich ziemlich müde gesessen, ich glaubte, es wäre nötig, meine Kräfte wieder ein wenig anzufrischen und es ist mir gelungen durch eine kleine Fußreise, die ich nach Halle, Dessau und Leipzig machte. Man kann sich mit etUchen Thalern und ein paar gesunden Füßen unmög- 15 lieh mehr verschaffen, als ich auf dieser Reise fand. Die Gegenden sind zwar durchaus platt, meist sandig und im Verhältnisse mit unserem Vaterlande ziemlich unfruchtbar. Aber auch sie wurden mir merk-würdig durch das Schlachtfeld von Roßbach, wo ich auf meinem Wege nach Halle vorüber kam, und durch das von Lüzen, wo der 20 große Gustav Adolf fiel — es war mir sonderbar zu Muth, wie ich ein dem erbärmlichen Steine stand, womit man ihn ehren willl — u. die Gegend von Dessau ist sehr verschönert durch geschmakvolle Anla-gen, die der Fürst überall machte.

In Halle war mir das Waisen- u. Erziehungshaus das merkwürdig- 25 ste. Die Simplizität seines Äußern freute mich. Von dem Geiste, der da in der Erziehung herrscht, kann ich, als Augenzeuge, nur so weit urtheilen, als ich bei einer öffentlichen Prüfung der Waisenkinder und Eindern Zöglinge bemerken konnte.

Da herrschte ganz die kleinliche, spielende, pedantische und doch so kindische Manier der Pädagogen, die eine Weile so großen Lärm machten. Es ist freilich schwer, gegen das Kind in Belehrung und Behandlung sich so zu äußern, wie es der Menschheit würdig ist, und wie man einen edlen mänlichen Geist und keinen egoistischen, fa-den, arbeitscheuen Schwächling aus ihm zu bilden hoffen kann, also 35 mit reinen Begriffen, und strengen aber gerechten Forderungen, und doch darüber nicht zu vergessen, daß man es mit einem Kinde zu thun hat, aber es ist doch auch zu arg, im Wesenthchen kindisch in Neben-sachen pedantisch zu seyn, kleinliche Begriffe so vorzutragen, daß das Kind kein Wort versteht von dem feierlichen Bombaste und arm- +0

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seelige Forderungen so wichtig zu nehmen, als ob an ihnen das Heil der Welt läge.

In Dessau war mein erstes, daß ich den neuen Kirchhof besuchte. Es liegt wirklich recht viel Menschlichkeit und Schönheit in der Idee,

•5 die da ausgeführt ist. Gleich das edle Portal, wo oben auf der Kuppel die Hoffnung — eine rührende, fast durchaus gutgearbeitete Gestalt— auf ihren Anker sich lehnt, und auf den beiden Seiten des Eingangs, zwei Jünglinge mit ausgelöschter Fakel in Nischen stehn — machte mir eine seltne Freude. Dann geht man fort in einer AUee, wo einem

50 unter Blumen und Gesträuchen die Gräber zur Seite stehn, und an der Mauer herum sind Grüfte, wo die, welche schon Eines beherber-gen mit weißen Marmorplatten geschlossen sind, die meist durch ihre simple herzvolle Aufschrift sich sehr von unsern gothischen Grab-steinen unterscheiden. Das jezige Dessauische Schulgebäude war mir

55 deswegen interessant, weil es der Fürst zu diesem Gebrauche ein-räumte, und sein Sohn daneben in einem Hauße wohnt, das so ganz demüthig sich ausnimt neben dem Pallaste. Die Stadt ist schön.

Die Gärten von Luisium u.Wörrliz, wo ich einen herrlichen Tag zubrachte, beschreib' ich Dir ein cindermal, weil ich wieder nach mei-

60 ner laidigen Gewohnheit den Brief zu spät anfieng. In Leipzig macht' ich die interessante Bekantschaft des Prof. Hey-

denreich und Buchhändlers Göschen. Ich wurde von beiden sehr gut aufgenommen; überhaupt kommt den feinen Sitten der Leipziger nichts gleich, was ich in diesem Puncte bis jezt bemerken konnte.

65 Ich machte die ganze Reise in 7 Tagen und fühle nun, daß sie mir sehr gesund und zuträglich war.

Gerne hätte ich sie gegen einen Besuch vertauscht bei Dir, Liebe! und meinem verehrungswürdigen HE. Schwager, dem ich mich empfehle und mit einem unendlich langen metaphysischen Briefe

70 drohe. Du hättest es mir wohl auch gegönnt, daß ich mich die Oster-tage über mit Dir und Deinen lieben Gästen gefreut hätte.Tausend Grüße an unsre theure Mutter! Könt ich doch so vieler Güte werth werden, die ich so unaufhörlich von ihr erfahre; überall, wo ich noch bekannt bin, meine Empfelungen! Der Dem. Fehleisen sage für ihren

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gütigen Grus meinen besten Dank. — Deinen lieben Kleinen wünsch' 75 ich alles Gedeihen! Lebe wohl, liebe Schwester! Dieser Brief soll für keinen gelten. Diesen Sommer schreib' ich gewiß Dir öfter, imd so Gott will, sehn wir uns nächsten Herbst wenigstens auf einige Tage; ich habe mich überzeugt, daß ich mit sehr wenigem sehr weit kom-men kann. 80

Dein Friz.

Ich habe mein Logis verändert und wohne in einem sehr ange-nehmen Gartenhause über der Stadt. Aber schreibe im Schillingischen ßrükenthor. 85

99. AN N E U F F E R

Jena. d. 28 Apr. 95.

Lieber Bruder!

Ich hoffte immer auf eine recht gute Stunde, wo ich Dir eiamal wieder mich ganz, und alle die kleinen Schiksaale, die mich in Be-wegung erhalten, mittheilen wollte. Aber ich glaube wohl, daß ich 5 mir diese Freude bis dahin werde sparen müssen, wo wir uns wieder-sehn. Ich hätt' auch wohl bälder geschrieben, wenn mich nicht eine vergnügliche Reise in meiner glüklichen Einförmigkeit unterbro-chen hätte. Ich war zu Ende des Winters nicht ganz gesund, aus Man-gel an Bewegung, vieleicht auch, weil ich die Nectar- und Ambrosia- lo kost, die man in Jena findet, noch nicht genug ertragen konnte; ich half mir durch einen Spaziergang, den ich über Halle nach Dessau, und von da über Leipzig zurükmachte. Ich kan Dich nicht mit Reise-beobachtungen plagen, ich mochte das Wesen nie recht leiden, wahr-scheinlich, weil ich keine Gaabe dazu habe, ich bin meist mit dem 15 Totaleindruk zufrieden und denke auch da, wo mir etwas aufstößt, es sei mißlich, so im Vorübergehen ein Urtheil zu faillen. Besonders ist unser einem nicht zu trauen, der alle Tage, die Gott giebt, durch eine andre Brille sieht, die ihm, wer weis woher? aufgesezt wird. Bei

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20 Heydenreich und Göschen war ich recht vergnügt. Heydenreich scheint ein feiner kluger Mensch zu seyn, und alle Erfahrungen der Welt gemacht zu haben. Göschen hat bei einer in seiner Lage seltnen Kultur des Verstandes und Geschmaks eine noch seltnere Herzlich-keit und Unbefangenheit übrig behalten.

25 Jezt genieß' ich den Frühling. Ich lebe auf einem Gartenhause, auf einem Berge, der über der Stadt liegt und wovon ich das ganze herrliche Thal der Saale überschaue. Es gleicht unserem Neckarthale in Tübingen, nur daß die Jenischen Berge mehr Großes und Wunder-bares haben. Ich komme beinahe gar nicht unter die Menschen. Zu

30 Schillern mach' ich immer noch meinen Gang, wo ich izt meist Göthen antreffe, der sich schon ziemlich lange hier aufhält. Schiller läßt Dich grüßen und um einige Gedichte in seinen AUmanach bit-ten. Du möchtest sie nur mir schiken. Ich freue mich unendHch, daß Du Dich wieder fühlst. Dein lezter Brief machte den vorhergehenden

35 schaamroth; ich nehme die Freude, die Dir Heyne machte, als wäre sie mir widerfahren — wir wollen mit Eigensinn aushalten, nicht wahr. Lieber? wir wollen uns durch keine Noth der Welt aus dem Wege treiben lassen, den uns xmsere Natur wies. Ich begreiffe jezt, wie Du so gerne übersezen magst. Schiller hat mich veranlaßt, Ovids

40 Phaeton in Stanzen für seinen Alhnanach zu übersezen, und ich bin noch von keiner Arbeit mit solcher Heiterkeit weggegangen, als bei dieser. Man ist nicht so in Leidenschaft, wie bei einem eigenen Pro-ducte, imd doch beschäfftiget die Musik der Versification den Men-schen ganz, der andern Reize, die so eine Arbeit hat, nicht zu geden-

45 ken. — Für das erste Bändchen meines Romans hat mir Q)tta in Tübingen 100 fl bezahlt. Ich mochte nicht weiter fordern, um mich keinem Jüdeln auszusezen. Schiller hat mir den Verlag besorgt. Scan-dalisire Dich ja nicht an dem Werkchen 1 Ich schreib' es aus, weil es einmal angefangen und besser, als gar nichts ist, und tröste mich mit

50 der Hoffnung, bald mit etwas anderem meinen Kredit zu retten.

Diesen Sommer wenigstens werd' ich ganz in Ruhe und Unab-hängigkeit leben. Aber wie der Mensch istl es fehlt ihm immer et-was, auch mir — und das bist Du, vieleicht auch ein Wesen, wie Dein

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Nr.102.103 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

Röschen ist. Es ist sonderbar — ich soll wahrscheinlich nie lieben, als im Traume. War das nicht bisher mein Fall? und seit ich Augen habe, 55 lieb' ich gar nicht mehr. Es ist nicht, als wollt' ich mich von alten Bekantschafften lossagen — gelegenheitlich! Du wolltest mir einmal von der Lebretin schreiben, thue es doch! — aber halte das gegen Deine Liebe und ihre Freuden und Schmerzen und bedaure mich! Ist Dein gutes edles Mädchen wieder ganz gesund. Ihr müßt himm- 60 lische Tage untereinander haben. Es ist doch das Einzige, was von Glük auf Erden sich findet, das Glük, zu lieben, wo man sich achtet, und erprobt hat. Ich glaube. Du wirst mich frömmer und theilneh-mender finden, wenn wir einmal wieder beisammen sind und Du mir wieder halbe Nächte lang von Deinem Röschen erzählst. 65

Gott erhalte sie und Dich so, wie ihr seid 1 — Wie geht es Dir sonst, lieber Bruder? Wir sind zu wenig umständlich in dem, was wir uns voneinander sagen. Aber ich glaube, es ist so mit allem Briefschrei-ben. Nächsten Herbst komm' ich sicher, wär' es auch nur auf einige Tage. Ich muß einmal wieder erwarmen bei Dir und meiner lieben 70 Familie. — Lieber Bruder! ich wollte Dir allerlei schreiben, aber ich bin in einen Ton hinein gekommen, aus dem ich für heute schwer-lich mehr herauskäme. Ich würde mich nur wiederhohlen, würde mich auch vieleicht zu sehr erweichen. Nächstens mehr!

Dein 75 Hölderlin.

100. A N N E U F F E R

Jena. d. 8 Mai. 95.

Ich will es versuchen, lieber armer Bruder! ob ich mich so weit sammeln kan von meinem Schmerz, um Dich zu schonen in dem Deinigen. Ich gestehe Dir, es überwältiget mich auch, und ich weis nicht, was ich Dir sagen soll, wenn ich das edle unersezliche Wesen 5 vor Augen habe, das für Dich lebte, und mir sagen muß: das ist Tod I 0 mein Freund! ich begreif es nicht, das Nahmenlose, das uns eine Weile erfreut und dann das Herz zerreißt, ich habe keinen Gedanken

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für das Vergehen, wo unser Herz, das Beste in uns, das Einzige, 10 worauf zu hören noch der Mühe werth ist mit allen seinen Schmer-

zen um Bestand fleht — der Gott, zu dem ich betete als Kind, mag es mir verzeihen! ich begreife den Tod nicht in seiner Welt — Lieber! Du solltest mir heilig seyn in Deiner Trauer, ich sollte die traurige Verwirrung, in der ich über allem bin, die der Schmerz über Dein

15 Schiksaal mir erst recht fühlbar machte oder — ich weis es selbst nicht — erst bewirkte, ich sollte sie verschweigen vor Dir. Ich bin ein laidiger Tröster. Ich tappe herum in der Welt wie ein Blinder, und sollte dem leidenden Bruder ein Licht zeigen, das ihn erfreute in sei-ner Finsterniß. Nicht wahr. Lieber! Du lerntest etwas Bessers in der

20 Schule Deiner Geliebten? nicht wahr. Du wirst sie wiederfinden? o wenn wir auch nur darum da wären, um eine Weile zu träumen und dcLnn zum Traum eines andern zu werden — hasse mich nicht um dieser armseeligen Worte willen, Du bist von jeher der Natur treu geblieben, Dein reiner unverwirrter Sinn wird Dich trösten, die

25 Heilige wird nicht für Dich dahin seyn, und daß Du die lieben Worte nicht mehr hörst, worinn der edle Geist sich Dir offenbarte, und sie nicht mehr vor Dir steht in ihrer wandellosen Liebenswürdigkeit — mein Bruder! kann Dein Herz den Trost ertragen, womit ich das meinige gerne beruhigen möchte — ihr Geist wird Dir in jeder Tu-

30 gend, jeder Wahrheit wieder begegnen, Du wirst sie wiedererkennen in jeder Größe und Schönheit, worinn uns dann doch die Welt zu-weilen erfreut.Wie schwach ich vor Dir erscheinen muß! Ich sehe Deinen Brief wieder an, der mir ewig heilig seyn soll, ich finde wie Du mir sagst, daß sie, sie Dich geleiten werde durchs ganze Leben,

35 daß ihre stete Gegenwart Dich erhalten werde so wie Du bisher um sie lebtest in der Höhe und Reinigkeit — wie gönn' ich der lieben Seeligen den ewigen Frühhng über ihrem Grabe, den Frühling Dei-nes Herzens! Denn ich hoff es zu Dir und dem Seegen, womit das Andenken an sie Dich lohnen wird, der bessere Theil Deines Her-

40 zens wird nie altern; Du wirst Dich mit jedem Tage freuen können, ihrer würdiger, ihr ähnlicher geworden zu seyn.

Eure Liebe war einzig, ein Wunder in der jezigen herzlosen klei-

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nen Welt. Ist sie nicht eine Liebe für die Ewigkeit? Glaube mir, Freund meiner Seele, Du wirst mir künftig manchmal sagen, wenn ich Deines Werths mich freue und Dir sage, daß Du der Einzige 45 seiest, der mich die Dürftigkeit des Lebens vergessen lasse, dann wirst Du mir sagen, das dank' ich Ihrl sie half mir empor aus der Gleichgültigkeit, die uns das Leben giebt, in Ihr erschien mir mehr, als die Meisten nur glauben, mehr, als Tausende sind, sie gab mir Glauben an mich, sie gieng mir voran im Leben und im Tode und so ich ring' ihr nach durch die Nacht hindurch — Herzensbruder I ich halte mich an Dich, ich mache den Gang mit Dir, ich theile den Schmerz mit Dir, ich will auch seine Früchte mit Dir theilen; Du hast Recht, unser Leben sei die Melodie über ihrem Grabe, eine bes-sere, als unser armes Saitenspiel ihr geben kann — wunderbar! mein 55 Schmerz war wirklich unaussprechlich, ich hatte nichts als Thränen, und mußte mir Gewalt anthun, um Dir die wenigen armen Worte zu sagen, und den ersten Trost schöpft' ich wieder aus Deinem Briefe — könte Dir der meinige etwas sejm! o könten wir uns über-haupt mehr seynl Die Entfernung von Dir ist mir jezt dreifach 60 schmerzüch. Ich habe Dir neulich geschrieben, daß ich auf den Herbst kommen wollte. Ists mögüch, so komm' ich bälder. Wärest Du hier, so möcht' ich wohl bleiben. Aber so halt' ich es wohl schwerlich aus. Wir gehn nun beede so verarmt in der Welt herum, wir ha-ben beede nichts, als was wir uns sind, außer dem, was eine bessere C5 Welt in und über ims uns ist, mein Neufferl und wir sollten nur so halb füreinander leben? Ich komme bald; Du sollst mich dann auf ihr Grab führen. Guter Gott! ein solches Wiedersehn hofft' ich nicht. — Köntest Du mich nicht abhohlen, lieber Bruder! oder noch früher mich besuchen ? Es wäre Dir gewiß gut. Du würdest überall Freunde 70 finden.Thu' es doch, wenn es irgend thunlich ist. Ich schreibe Dir mit nächstem Posttag wieder. Kannst Du es über Dich gewinnen, so thue es auch bald. Es leiden viele mit Dir und mir. Wir woUen leiden, wie sie geütten hätte an unserer Stelle. Erhalte Dich der Welt und mir! Leb wohl, guter, edler I 75

Dein H.

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1 0 1 . A N D I E M U T T E R

Jena. d. 22 May. 95.

Ich fühlte heute recht sehr, liebste Mutter I wie mir Ihre gütigen Briefe zum Bedürfniß geworden sind. Ich weiß nicht, ob mir die Zeit, seit ich nichts mehr von Ihrer Hand sah, nur dißmal so unge-

5 wohnlich lange vorkömmt, oder ob Sie mich wirklich etwas länger als sonst, harren lassen; schon eine Woche lang tröstete ich mich im-mer über meine Besorgnisse, ob Sie gesund seyn möchten, ob Ihnen nicht vieleicht etwas in meinem lezten Briefe mißfallen haben möchte, mit der Hoffnung, daß ich heute gewiß einen Brief erhalten

10 würde. Aber ich hoffte umsonst. Verzeihen Sie, liebste MutterI daß ich diß äußerte. Ich weiß gewiß, daß ich nun nie mehr auf Ihre lieben Briefe so lange schweige, wie es oft der FaU war. Ich nehm es für eine gerechte Strafe. — Hat vieleicht die Reise nach Blaubeuren Sie ver-hindert? Weim nur diß die Ursache wäre!

15 Ich lebte, seit ich Ihnen zum leztenmale Nachricht von mir gab, wie ich immer lebte, seit ich hier bin, zufrieden mit meiner Einge-zogenheit und zuweilen fröhlich, wenn ich glaube, es sey mir etwas gelimgen an meiner Arbeit. Aber man findet doch immer bald wie-der, wie schülerhaft man in manchem ist, und es ist gut, daß man diß

20 so findet, man wird dadurch in Thätigkeit erhalten. Auch bin ich ge-sünder, als man sich von der hiesigen Lebensart es versprechen kann.

Nun eine Hauptsache! — Es ist mir diese Woche eine Hofmeister-stelle von einem Frankfurter angetragen worden, dem ein hiesiger Studierender mich bekannt machte, während seines Aufenthalts in

25 den dortigen Gegenden, wo er seine Ferien zubrachte. Dieser Frank-furter hat die Kommission von einem Holländischen Kaufman, der sich in Offenbach, eine Stunde von Frankfurt, aufhält, ihm für einen Erzieher zu sorgen. Der Frankfurter rühmt das Haus des Kaufmanns, schreibt, es wären 4 Söhne zu unterrichten und in Aufsicht zu haben,

30 der vorige Erzieher hätte tausend Gulden bekommen, der künftige würde wohl nicht weniger bekommen, aUes hätte man frei und auf

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Nr.101 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

ein achtungsvolles Betragen zu rechnen. Man wollte nur inzwischen bei mir anfragen, ob ich vieleicht geneigt wäre, die Stelle anzuneh-men, um sich dann über die bestimmteren Bedingungen zu vereini-gen.Weil die Sache in jedemFalle wieder rükgängig gemacht werden 35 kann und ich doch noch gestern Antwort geben mußte, habe ich in-zwischen mit Ja geantwortet und warte nun auf bestimmtere Nach-richt, vorzüglich aber auf Ihre Entscheidung. Diesen Sommer würde ich wohl bequem hier leben können, ohne Ihnen lästiger zu seyn, als ich es schon war, Cotta in Tübingen wird mir bis auf den September 40 100 £1 auszahlen für ein unbedeutendes Manuscript, das er von mir in Verlag nahm, ob das aber bis nächsten Winter eben so der Fall wäre, kann ich nicht mit Gewißheit sagen, weil ich den Erfolg meiner Ar-beit nicht beurteilen kann, öffnet sich mir eine günstigere Aussicht, als so eine Tausendguldenhofmeisterstelle ist, so ward' ich freie Hand 45 haben, auch jene zu ergreifen. Haben Sie die Güte, liebste Mutter! mir bald darüber zu schreiben ohne alle Rüksicht auf irgend eine Neigung, die Sie bei mir voraussezen könnten. Ich kann es Ihnen versichern, daß ich schlechterdings nur das Klügere zu wählen Lust habe. Ich habe mich schon so oft überzeugt, wie heilsam es für mich 50 war, Ihrem mütterlichen Rathe zu folgen. Ich möchte ihn nicht leicht in dieser Sache entbehren. — Sie würden dann wohl auch nicht zürnen, liebste Mutter, wenn ich den Weg über meine Heimath mach-te. Sehr beträchtlich wäre ja der Umweg nicht. Ich gienge des Tags 8 Stunden; menagirte mich, wie ichs indeß gelernt habe; die Freude 55 des Wiedersehens wäre ja ein paar Tagereisen werth. Wie tausendmal habe ich mir schon Ihren Empfang geträumt I Man lernt sehr, sehr viel in der Fremde, liebste Mutter! Man lernt seine Heimath achten. Wie ein Kind erzähle ich oft meinem Freunde von meinem Hauße, wie mirs da immer so wohl gieng, von meiner Mutter und Grosmut- 60 ter — und meinen Geschwistern.Tausend Herzensgrüße an all' die Lieben. Schreiben Sie doch bald. Ich denke immer, ich werde schon mit Anfang nächster Woche einen Brief von Ihnen erhalten. Vieleicht enthält dieser schon etwas, woraus ich auf Ihre Meinung von der Ver-änderung meiner Lage schließen kann. 65

Ewig Ihr Friz.

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102. AN S C H I L L E R Nürtingen bei Stutgard.

d. 23. Jul. 1795.

Ich wußte wohl, daß ich mich nicht, ohne meinem Innern merk-

lichen Abbruch zu thun, aus Ihrer Nähe würde entfernen können.

5 Ich erfahr' es izt mit jedem Tage lebendiger.

Es ist sonderbar, daß man sich sehr glüklich finden kann unter dem

Einfluß eines Geistes, auch wenn er nicht durch mündliche Mit-

theilung auf einen wirkt, blos durch seine Nähe, und daß man ihn

mit jeder Meile, die von ihm entfernt, mehr entbehren muß. Ich

10 hätt' es auch schwerlich mit all' meinen Motiven über mich gewon-

nen, zu gehen, wenn nicht eben diese Nähe mich von der andern

Seite so oft beunruhiget hätte. Ich war immer in Versuchung, Sie zu

sehn, und sah Sie immer nur, um zu fühlen, daß ich Ihnen nichts

seyn konnte. Ich sehe wohl, daß ich mit dem Schmerze, den ich so

IS oft mit mir herumtrug, nothwendiger weise meine stolzen Forde-

rungen büßte; weil ich Ihnen so viel seyn wollte, mußt' ich mir

sagen, daß ich Ihnen nichts wäre. Aber ich bin mir dann doch zu gut

bewußt, was ich damit wollte, um mich nur leise darüber zu tadeln.

Wär' es Eitelkeit gewesen, die so ihre Befriedigung suchte, die von

20 einem großen Manne, wenn er einmal dafür anerkannt ist, einen

freundlichen Blik erbettelt, um sich mit der unverdienten Gaabe

über die eigne Armseeligkeit zu trösten, der der Mann ziemlich in-

different ist, wenn er nicht für ihre kleinen Wünsche taugt, hätte

mein Herz zu so einem belaidigenden Hofdienste sich erniedriget,

25 dann freilich würd' ich mich recht tief verachten. Aber ich freue

mich, daß ich so gewiß mir sagen kann, daß ich den Werth des Gei-

stes, den ich achte, so weit ich ihn ermessen kann, in mancher guten

Stunde rein empfand, und daß mein Streben, ihm recht viel zu seyn,

im Grunde nichts anders war, als der gerechte Wunsch, dem Guten

30 und Schönen und Wahren, sey es unerreichbar oder erreichbar, sich

mit seinem Individuum zu nähern, und daß man nicht gerne dabei

einzig sein Richter ist, ist gewiß auch menschlich, gewiß natürlich.

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Es ist sonderbar, daß ich Ihnen diese Apologie gab. Aber eben darum, weil diese Anhänghchkeit in der That mir heilig ist, such' ich sie in meinem Bewußtse)m von allem, was durch eine scheinbare 35 Verwandschaft sie entwürdigen könnte, zu sondern, und warum sollt' ich mich über sie nicht vor Ihnen äußern, wie sie vor mir er-scheint, da sie doch Ihnen angehört? Nur alle Monathe möcht' ich zu Ihnen tmd mich bereichem auf Jahre. Ich suche übrigens mit dem, was ich von Ihnen mitnahm, gut hauszuhalten und zu wuchern. Ich 40 lebe sehr einsam und glaube, daß es mir gut ist. Von meinem Freunde Neuffer lege ich Ihnen einige Gedichte bei. Er will sich die Freiheit nehmen, Ihnen mit noch Einem aufzuwarten, so bald er, wie er noch wünscht, es durchgearbeitet hat.

Erlauben Sie es, so schik' auch ich noch ein paar Gedichte nach. 45 Bei dem, was ich beilege, betrübte es mich oft, daß das erste, was

ich auf Ihren unmittelbaren Antrieb vornahm, nicht besser werden sollte. Ich biQ mit ewiger Achtung

Ihr Verehrer 50

M. Hölderlin.

105. AN JOHANN G O T T F R I E D E B E L

Nürtingen, d. 2 Sept. 95.

Mein verehrungswürdiger Freund 1

Sie haben mir große Freude gemacht durch Ihre gütige Zuschrift. Das Glük, unter Menschen zu leben, die meine Bedürfnisse und Überzeugungen mit mir theilen, wird für mich mit jedem Tage seit- 5 ner; um so mehr muß ich es dem danken, der mich glauben läßt, er finde einen Theil seines Wesens ia mir.

Sie haben die Güte, sich nach dem Ausgang meiner Reise zu er-kundigen. Er war gröstentheils sehr unterhaltend für mich, denn er war gröstentheils das Echo von dem, was Sie mir in den paar guten lo Stunden mitgetheilt hatten.

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B R I E F E 179 4 - 1 7 9 5 Nr. 10}

Ich darf es Ihnen wohl sagen, daß ich die schönen Tage, die ich mir von Ihrem Umgange verspreche, nicht leicht anderswo zu finden hoffe, und daß ich von keinem andern möglichen Verhältnisse den

15 Gewinn für mein Innres erwarte, den ich den seltnen Menschen dan-ken würde, mit denen mich vieleicht Ihre Freundschaft und mein gu-ter WiUe in Beziehung bringt. Sie sehen also, daß ich vollen Grund hatte, mich indeß frei zu erhalten. — Grausam fehlgeschlagene Be-mühungen hätten mich vieleicht bestimmt, mich mit Erziehung nim-

20 mer so leicht zu beschäftigen, wenn ich nicht glaubte, daß es unerlaubt und tmzwekmäßig wäre, einzig auf sich zurükzuwirken, u. daß in un-serer jezigen Welt die Privaterziehung noch beinahe das einzige Asyl wäre, wohin man sich flüchten könnte mit seinen Wünschen und Be-mühtmgen für die Bildung des Menschen. So sehr wirkten mir in

25 meinem vorigen Verhältnisse die Menschen und die Natur entgegen. Befürchten Sie deswegen nicht, mein theurer Fretmdl daß ich von

mir oder dem Kinde Wunder erwarte! Ich weis zu gut, wie viele Inkonvenienzen jede Verfahrungsart in der Erziehung besonders hat, und wie sehr oft bei mir die Ausführung unter dem Plane bleibt, um

30 Wunder von mir zu erwarten. Ich weis zu gut, daß die Natur nur stuffenweise sich entwikelt, und daß sie den Grad und den Gehalt der Kräfte unter die Individuen vertheilt hat, um von dem Kinde Wimder zu erwarten. — Ich glaube, daß die Ungedult, womit man sei-nem Zweke zueilt, die Klippe ist, woran gerade oft die besten Men-

35 sehen scheitern. So auch in der Erziehung. Man möchte so gerne in sechs Tagen mit seinem Schöpfungswerke zu Ende seyn; das Kind soll oft Bedürfhisse befriedigen, die es noch nicht hat und vernünf-tige Dinge anhören und fassen, ohne Vernunft I und das macht dann die Erzieher, weil sie auf dem rechten Wege ihre Absicht nicht er-

•0 reichen, tyrannisch und ungerecht, das macht den Erzieher und den Zögling gleich elend.

Ich bin gewis, daß hier, wie überall, Gerechtigkeit das erste Gesez ist, das man zu befolgen hat und ich bin sehr geneigt, zu glauben, daß hier, wie überall, eine durchgängige bis ins kleinste Detail konse-

45 quente Gerechtigkeit auch die beste Klugheit ist.

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Ich würde deswegen von meinem Zöglinge nicht eher ein (im strengen Sinne) vernünftiges Verfahren fordern, bis er Vernunft hätte, bis er einmal zum Bewußtseyn oder Gefühl seiner höhern und höchsten Bedürfnisse gekommen wäre. Würd' ich aber von ihm nicht eher Vernunft fordern, bis er sie hätte, so würd' ich von ihm 50 gar nichts fordern, bis er einmal mir das Recht gegeben hätte, ihn als vernünftiges Wesen zu betrachten. Denn was ich von ihm for-dern würde, würd' ich nur um der Vernunft willen fordern, oder wie man das höchste Prinzip, aus dem der Mensch handeln soll, sonst nennen und darstellen will; (denn das werden Sie mit mir voraus- 55 sezen, daß man vernünftiger weise, wenn man etwas von dem Kinde fordert, nicht an das Prinzip des Handelns appellirt, wie es in irgend einem philos. Systeme dargestellt ist, sondern wie es dem Kinde nach seinen Jahren und seiner Individualität sich darstellen kann.)

Rousseau hat Recht: la premiere et plus importante education est, 60 de rendre un enfant propre ä itre ilevi.

Ich muß das Kind aus dem Zustande seines schuldlosen aber ein-geschränkten Instinkts aus dem Zustande der Natur heraus auf den Weg führen, wo es der Kultur entgegenkömmt, ich muß seine Menschheit, sein höheres Bedürfniß erwachen lassen, um ihm dann 65 erst die Mittel an die Hand zu geben, womit es jenes höhere Bedürfniß zu befriedigen suchen muß, ist einmal jenes höhere Bedürfniß in ihm erwacht, so kann und muß ich von ihm fordern, daß es dieses Be-dürfniß ewig lebendig in sich erhalten und ewig nach seiner Befrie-digung streben soll. Aber darinn hat Rousseau Unrecht, daß er es 70 ruhig abwarten will, bis die Menschheit im Kinde erwacht, und indeß sich gröstentheils mit einer negativen Erziehung begnügt, nur die bösen Eindrüke abhält, ohne auf gute zu sinnen. Rousseau fühlte die Ungerechtigkeit derer, die das Kind wo nicht mit dem Flammen-schwerd doch mit der Ruthe aus seinem Paradiese aus dem glük- 75 liehen Zustande seiner Thierheit herausjagen wollten und gerieth, wenn ich ihn anders recht verstehe auf das entgegengesezte Extrem. Wenn das Kind von einer andern Welt umgeben wäre, als die gegen-wärtige ist, dann möchte Rousseau's Methode zwekmäßiger seyn.

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B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr.lOi

80 Mit dieser andern bessern Welt muß ich das Kind umgeben, sie ihm nicht aufdringen, ohne alle Prätension, wie die Natur ihm entgegen-kömt, muß ich ihm die Gegenstände zuführen, die groß und schön genug sind, sein höheres Bedürfniß, das Streben nach etwas Besse-rem oder wenn man will seine Vernunft in ihm zu erweken. Ich

85 glaube, daß die Geschichte besserer Zeiten diese Welt des Kindes wer-den kann, wenn sie mit Auswahl und einer Darstellung behandelt wird, wie sie dem Kinde überhaupt und dem Individuum angemessen ist, das ich vor mir habe, z. B. die römische Geschichte mit dem leben-digen Detaile des Livius und Plutarchs. Ich würde aber das Kind nie

90 fragen, ob es das Gesagte behalten hätte, denn es wäre ja nicht um die Geschichte, sondern um ihre Wirkungen aufs Herz zu thun, und so bald das Kind die Geschichte als ein Mittel zur Gedächtniß oder auch Verstandesübung betrachten müßte, so würde die beabsichtigte Wirkung wegfallen.

95 Weil ich aber in dieser Periode, wie gesagt, nichts fordern möchte von meinem Zöglinge, und es doch nothwendig scheint, ihm einen Unterricht zu geben, den er später nicht gerne anhören würde, so müßte ich die Triebe, die schon da und zu diesem Zweke hinreichend sind, in Anspruch nehmen, wie den Nachahmungstrieb, den Neuig-

100 keitstrieb p.p. Ich glaube, daß nicht leicht ein Kind ist, dem nicht auch einfiele, was wohl hinter seinen Bergen liegen möchte. Wenn die Geographie nicht, wie gewöhnlich, so eine todte papierne Geo-graphie ist; wenn die Karte mit zwekmäßig bearbeiteten Reisebe-schreibungen belebt wird, so wird sich dieser Unterricht ohne For-

105 derung und Zwang, wie ich glaube, dem Kinde mittheilen lassen. Wenn das Kind täglich bemerken kann, wie die Arithmetik ein we-sentlicher Bestandtheil nüzlicher Beschäftigungen ist, so wird es auch wohl gerne so etwas treiben, und ich gestehe, daß ich auf diesen Ar-tikel des Unterrichts viel rechne, weil er dem Lehrlinge, wie Mathe-

110 matik überhaupt, ein Bild strenger Ordnung mehr, wie etwas ande-res, giebt. Das Kind eine Sprache systematisch zu lehren, möchte sehr schwer halten, wenn es geschehen sollte, noch ehe das Kind fähig ist, auf einen freigewählten Zwek hin sich anzustrengen, wo also Zwang

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und ungerechte Forderungen nicht leicht zu vermeiden wären. Doch kann man sich ja gesprächsweise mit einer Sprache so ziemlich fami- 115 liarisiren. Das würde wohl zuerst mit der französischen der Fall seyn. — Zwang würd ich nur da gebrauchen, wo ihn das Vemimftrecht überall behaupten muß, wo der Mensch sich selbst oder andern uner-laubte Gewalt anthun wollte.

Ich würde Ihnen nicht lästig gewesen seyn mit diesen Äußerun- 120

gen, wenn ich nicht für nothwendig hielte, daß Sie und Ihre edeln Freunde vor aUem mit meiner Denkart in diesem Geschäffte bekannt würden. Und doch hab' ich für diese Absicht viel zu wenig gesagt. Von dem WiUen zeugen die Worte so selten. Aber doch darf ich es Ihnen sagen, wie ich von mir hoffe, daß ich mich eben so rein und 125 treu, wie die edeln Eltern, für ihre guten Kinder interessiren würde. An Kräften würd' es mir wohl auch nicht immer fehlen, wenn ich nur des Tags ein paar Stunden zur ruhigen Bildung imd Pflege mei-nes eignen bedürftigen Wesens gewiimen könnte. So und in der Ge-sellschaft der Gebildetem, die mich aufnähmen, würd' ich mich für 130 meine Zöglinge erheitern und stärken. —

Sollten Sie einen Erzieher für die andere Familie wünschen, so würd' ich Ihnen einen jungen Gelehrten, der sich jezt in der Schweiz aufhält, und der beinahe mein Ideal seyn könnte in diesem Verhält-nisse, so wie ich mir ihn darinn denke, vorschlagen. Ich vermuthe, 135 daß er zu haben wäre. — Haben Sie die Güte, mich Ihren verehrungs-würdigen Freunden zu empfehlen. Mit wahrer Achtung

Ihr Fr.

M. Hölderlin. 140

104 . A N S C H I L L E R

Nürtingen bei Stutg. d. 4 Sept. 95.

Sie verzeihen, verehrungswürdiger Herr HofrathI daß ich den Beitrag, wozu Sie mir die Erlaubniß gaben, so spät und so ärmlich gebe. Maladie und Verdruß hinderten mich, das, was ich wünschte, 5

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auszuführen. Vieleicht zürnen Sie nicht, wenn ich Ihnen diß in eini-ger Zeit zuschike. Ich gehöre ja — wenigstens als res nullius — Ihnen an; also auch die herben Früchte, die ich bringe.

Das Mißfallen an mir selbst und dem was mich vimgiebt hat mich 10 in die Abstraction hineingetrieben; ich suche mir die Idee eines un-

endlichen Progresses der Philosophie zu entwikeln, ich suche zu zei-gen, daß die unnachläßliche Forderung, die an jedes System gemacht werden muß, die Vereinigung des Subjects und Objects in einem ab-soluten — Ich oder wie man es nennen will — zwar ästhetisch, in der

15 intellectualen Anschauung, theoretisch aber nur durch eine unend-liche Annäherung möglich ist, wie die Annähenmg des Quadrats zum Zirkel, und daß, vim ein System des Denkens zu realisiren, eine Un-sterblichkeit eben so nothwendig ist, als sie es ist für ein System des Handelns. Ich glaube, dadurch beweisen zu können, in wie ferne die

20 Skeptiker recht haben,und in wie ferne nicht. Es ist mir oft, wie einem Exulanten, wenn ich mich der Stunden

erinnere, da Sie sich mir mittheilten, ohne über den trüben oder un-geschliffnen Spiegel zu zürnen, worinn Sie Ihre Äußerung oft nim-mer erkennen konnten.

25 Ich glaube, daß diß das Eigentum der seltnen Menschen ist, daß sie geben können, ohne zu empfangen, daß sie sich auch »am Eise wärmen« können.

Ich fühle nur zu oft, daß ich eben kein seltner Mensch bin. Ich friere und starre in dem Winter, der mich umgiebt. So eisern mein

30 Himmel ist, so steinern bin ich. Auf den October werd ich wahrscheinlich eine Hofmeisterstelle in

Frankfurt beziehen. Ich würde mich über mein Geschwäz vieleicht damit vor Ihnen

entschuldigen, daß ich es einigermaßen für Pflicht hielte, Ihnen von 35 mir Rechenschaft zu geben; aber so würd' ich mein Herz verläugnen.

Es ist beinahe mein einziger Stolz, mein einziger Trost, daß ich Ihnen irgend etwas und daß ich Ihnen von mir etwas sagen darf. Ewig

Ihr Verehrer

•0 Hölderlin.

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N r . l i * B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

105 . A N N E U F F E R

Du beschämst mich, Lieber! ich erwartete einen Verweis über meine Trägheit, daß ich so sehen, wie immer an's Briefschreiben komme, und fand diesen Beweis Deiner TheiLiahme an mir, Deines thätigen Andenkens.

Das Verhältniß, von dem Du mich benachrichtigest, wäre mir in 5 mehr, als Einer Rüksicht sehr erwünscht. Die Menschen, unter de-nen ich leben, die Beschäfftigungen, die ich finden würde, wären sicher von Gewinn für mich.

In wie fem ich mit dem, was ich für Erziehung denken und thun kann, zureiche zu diesem Posten, kann ich noch nicht entscheiden, lo bis ich das Detail der Bildung, die der junge Mensch genießen soll, kenne.

Möchtest Du vorerst fragen, ob das Nähere in der Sache noch so lange könnte aufgeschoben werden, bis ich Antwort von Frankfurt haben werde, auf meine Anfrage, die ich da zu machen habe. Daß 15 ich diß thun muß, wirst Du aus dem beigelegten Briefe sehn.

Ich werde sehen, daß ich so bald möglich, bestimmtere Nachricht von mir geben kann. Ich muß gestehen, daß ich nicht ohne Resig-nation dieser schönen Hoffnung entsagen würde.

Das Verhältniß, das mich bestimmte, das Anerbieten, das mir die- 20 sen Sommer in Stutgard gemacht wurde, auszuschlagen, dieses bi-sarre Verhältniß, das Du kennst, würde mir wohl dißmal Ruhe las-sen. Auf meinen lezten gewiß rechtUchen ehrlichen Brief, den ich nach Tübingen schrieb, hab' ich noch keine Antwort, und es war noch einige Tage vor meiner Abreise in's Unterlaind, daß ich schrieb. 25 Wohl mir, wenn ein guter Gott mein Herz befreit!

Wie geht Dirs, lieber Bruder! Ich wünsche Dir oft im Stillen die Ruhe und die Thätigkeit, wobei Du gedeihen keinnst.

Hast Du Schillers Gedicht in den Hören gelesen? Schreibe mir doch Dein durchgängiges Urtheil darüber. Du darfst mich nicht 30 schonen. Die Trunkenheit, womit ich davon sprach, war noch kein

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B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr.10S.106

Urtheil. Eben das scheint mir die Sache des Geschmaks zu seyn, daß er die unwillkürliche Sensation, die man bei einem Kunstgegen-stande erfährt, hinterher untersucht und bestätiget oder für zufällig

35 erklärt und verwirft. Mit meinem spekulativen pro und contra glaub' ich imnjer näher

an's Ziel zu kommen. Ich habe mein glüklich müßig Leben so gut genüzt als möglich. —

Es geht uns, wie den jungen Rossen. Wie wir zusammen unsem Weg 40 anfiengen, flogen wir oder glaubten doch zu fliegen und jezt wär' es

oft beinahe Noth, daß man Sporen und Peitsche brauchte. Freilich werden wir auch so ziemlich mit Stroh gefüttert. — Wir wollen aber doch das beste hoffen.

Leb wohl, Lieber! Schreibe mir bald wieder. Darf ich Dich bitten, 45 mich HE. Prof. Ströhlin zu empfehlen?

Dein Hölderlin.

106. AN JOHANN G O T T F R I E D E B E L

d. 9. Nov. 95.

Mein verehrungswürdiger Freund!

Ich verschob es von einer Woche zur andern, Ihnen von mir Nach-richt zu geben. Ich mußte, wenn ich die Wahrheit schreiben wollte,

5 Ihnen von der Verlegenheit sagen, in der ich mich sehe und das konnte nicht wohl geschehen, ohne einen Schatten von Indiscretion. Da mich endlich die Noth treibt, tröst' ich mich mit Ihrer gütigen Auffordenmg, es Ihnen zu melden, wenn ich zur Veränderung mei-ner Lage veranlaßt werden sollte. Es ist Ihnen wohl unbekannt, wie

10 sehr wir Würtembergischen Theologen von unserm Konsistorium dependiren; unter anderem disponiren diese Herrn auch über unsern Aufenthalt. Weil ich nun nicht gerade in einer öffentlichen Beschäff-tigung begriffen bin, so muß ich erwarten, mit nächstem, besonders, da die Weinachtsfeiertage heranrüken, zu einem Pfarrer geschikt zu

15 werden, um ihn zu unterstüzen, wenn ich nicht indeß oder doch un-

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Nr.106 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

mittelbar nach diesem Termin irgend ein ander legitimes Verhältniß eingehe. Nun ist mir zwar seit kurzem wieder eine Erzieherstelle in Stutgard angetragen worden; Sie mögen aber selbst urtheilen, wie sehr es mich Verläugnung kosten würde, den Hoffnungen zu ent-sagen, zu denen Sie mich berechtigten. 20

Ich gestehe, daß ich nicht ohne Resignation Ihnen dieses Geständ-niß thue. So groß die Versuchung für mich ist, zu wünschen, daß ich bald um Sie und Ihre edeln Freunde seyn möchte, daß ich wenigstens mich davon vergewissern könnte, so ganz ist es doch wider meiaen Sinn überall, dem Freunde Ungeduld zu zeigen, wo er mit Recht in 25 seiner Wahl zögert, noch mehr, wie hier der Fall sejm könnte, zu prätendiren, daß er mir anderweitige wesentlichere Rüksichten auf-opfere.

Ich bitte Sie recht sehr, edler Freund, daß Sie diß indeß von mir glauben, bis Sie vieleicht sich näher überzeugen. Haben Sie einen 30 Trost für mich, so erfreuen Sie mich recht bald!

Es würde mir auch sehr wehe thun, meinen Sinklär nicht zu sehen. Sie werden mit mir überzeugt seyn, daß eine so frühe Reife des Ver-standes, wie sie diesem Menschen eigen ist, und noch mehr eine so unbestechliche Reinigkeit des Gemüths in unsrer Welt ein seltner 35 Fund ist.

Es sollte mir so gut bekommen, einmal wieder Nahrung für mein Inneres zu finden. Hier zu Land ist der Boden nicht gerade schlimm, aber er ist ungepflügt, und die Steinhaufen, die ihn drüken, hindern auch den Einfluß des Himmels, und so wandl' ich meist unter Disteln 40 oder Gänseblumen.

Leben Sie wohll Empfehlen Sie mich dem edeln Hauße, das vie-leicht mich aufnimmt.

Haben Sie die Güte, mir auch ein Näheres von Ihren literarischen Arbeiten und anderem, womit Ihr Geist mit Theilnehmung sich be- +5 schäfftiget, mitzutheilen, wenn ich Sie nicht bald genug sehen sollte. Könt' ich Ihnen auch nichts zurükgeben, als den Beweis, daß ich Sie gefaßt hätte, so wär' es ja doch nicht umsonst. Sie wissen, die Geister müssen überall sich mittheilen, wo nur ein lebendiger Othem sich

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B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr.i06.i07

SO regt, sich vereinigen mit allem, was nicht ausgestoßen werden muß, damit aus dieser Vereinigung, aus dieser unsichtbaren streitenden Kirche das große Kind der Zeit, der Tag aller Tage hervorgehe, den der Mann meiner Seele, (ein Apostel, den seine jezigen Nachbeter so wenig verstehen, als sich selber) die Zukunft des Herrn nennt.

55 Ich muß aufhören, sonst hör' ich gar nicht auf. Ihr

wahrer Freund Hölderlin.

Tausend herzliche Grüße an Sinklär, wenn Sie ihn sprechen soll-60 ten, ehe der Brief an ihn, mit dem ich dißmal nur zur Hälfte fertig

wurde, nach Homburg kömmt.

107. AN H E G E L

Stutgard. d. 25. Nov. 95.

Du thust mir Unrecht, Lieber! wenn Du mein Stillschweigen mei-ner Nachlässigkeit zuschreibst; ich werde bis jezt von den Frankfurtern hingehalten, wegen dem Kriege, wie sie schreiben; ich wartete von

5 einer Woche zur andern um Dir bestimmte Nachricht zu geben, und habe noch jezt keine, weder in Deiner Sache noch in meiner eignen.

Übrigens müßt' ich Dich wohl in jedem Falle in Frankfurt ent-behren, weil das Kind 4 Jahre alt ist, und Du eben nicht sehr geneigt scheinst. Dich damit zu belästigen. — Du fragst mich wegen der Re-

10 petentenstelle? Du willst Dich durch meinen Entschluß bestimmen lassen? Lieberl da thuest Du Dir Unrecht. Ich habe vorerst die Prä-tension gar nicht zu machen, tauge schlechterdings nicht dazu, so wenig, ab in irgend einVerhältaiß wo man verschiedne Charaktere, verschiedne Situationen vor sich hat, und dann hab' ich laider I noch

15 ganz besondere Gründe, die ich meinen ehemaligen Tübinger Thor-heiten danke. Aber für Dich wär' es wohl Pflicht, insofern Du den Todtenerweker in Tübingen machen könntest; freilich würden die Todtengräber in Tübingen ihr Möglichstes gegen Dich thun.Wenn

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Nr.107.10S B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

ich denke, Du köntest vergebens arbeiten, so halt' ichs freilich für Verrath, den Du an Dir selbst begehest, wenn Du Dich mit dem 20 armseeligen Volke befassen willst. Ob es aber einen bessern Wir-kungskreis für Dich giebt, unter Deinen Schweizern oder unter un-sern Schwaben, das ist freilich eine schwere Frage. Vieleicht könntest Du ein Reisegeld bekommen, von hier aus, und das wäre nicht das schlimmste. Wenn ich nicht bald eine gelegne Hofmeisterstelle finde, 25 so mache ich wieder den Egoisten, suche für jezt keine öffentliche Beschäfftigung, und lege mich aufs Hungerleiden.

Renz wird wohl Repetent werden, wie ich höre. Ihr könntet ein schönes Leben zusammen führen. Lege nur nicht Deine literarischen Beschäfftigungen bei Seite. Ich dachte schon, eine Paraphrase der Pau- 30 linischen Briefe nach Deiner Idee müßte der Mühe wohl werth seyn.

Das nächstemal mehr. Ich möchte, das Briefeschreiben gienge zwischen uns einmal, wenigstens auf einige Zeit, zu Ende. Wenn wir uns nicht sprechen, so ist wenigstens von meiner Seite, wenig Vor-theil für Dich dabei. 35

Leb wohl. Dein

Hölderlin.

Fichte ist wieder in Jena und liest diesen Winter über das Natur-recht . Sinklär ist jezt in Homburg bei seinen Eltern. Er läßt Dich herz- 40 lieh grüßen; er ehrt Dein Andenken wie immer. Grüße mir Mögling!

108. A N N E U F F E R

Lieber Bruder 1

Gerne hätt' ich Dir neulich auch geschrieben, wie ich den Brief, den ich dem Seits ausdrüklich versprochen hatte, in Dein Haus ad-dressirte. Aber die Zeit gebrach mir. Ich bin überhaupt wie ein hohler Hafen, seit ich wieder hier bin, und da mag ich nicht gerne einen Ton von mir geben. Das Unbestimmte meiner Lage, meine Einsamkeit und der Gedanke, daß ich hier allmähg ein lästiger Gast

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B R I E F E 179 4 - 1 7 9 5 Nr.108

seyn möchte, driikt mich nieder, und so wird mir meine Zeit fast unnüz. Überdiß bin ich noch nicht ganz gesund.

10 Ich weiß mir nicht zu helfen, wenn ich bis Sonntag keinen Brief von Frankfurt erhalte. Denn ich zweifle ob mich unsere Herren in Stutgard werden in Ruhe lassen, und so viel ich Dich verstehen konnte, wird aus der Stelle in Ströhlins Hauße schwerlich etwas.

War' ich doch geblieben, wo ich war. Es war mein dümmster 15 Streich, daß ich ins Land zurükgieng. Jezt find ich hundert Schwie-

rigkeiten nach Jena zurükzugehn; man konnte mir keine Gewalt an-thun, wenn ich blieb, jezt müßt' ich Wunderdinge hören, wenn ich wieder hin wollte.

Hast Du indeß an Deinen Gedichten gefeilt? Ich wünschte mir 20 Deine Geduld. Ich war in meinem Leben nicht so impaäens limae

wie jezt. Aber wenn man sich niemand mittheilen kann, wenn man immer nur sein Machwerk vor sein eignes Auge halten muß, ists kein Wunder. Es nüzt sich am Ende alles ab. Das Gute fühlt man nicht mehr und das Schlechte übersieht man.

25 Ich schäme mich, daß ich Dich so mit meinem Unmuth plage. Aber wenn ich mit Gewalt von meinem armen Individuum abstra-hiren wollte, schrieb' ich eine Dissertation und keinen Brief. Das ist das gute und schlimme in der Freundschaft, daß man sich immer giebt wie man ist, daß man die bösen Tage zweimal fühlt, weil man

30 davon sprechen darf, so auch die bessern. Darf ich Dich bitten, mir mit dem zurükgehenden Boten, den

Kasimir, das Muster von meinem Kleide, auch das Papier zu schiken, wo ich die Requisita des HE. Stähle drauf schrieb, und das ich auf Deinem Tische liegen ließ. Sollte sich das Muster und das Papier ver-

35 loren haben, so sei so gut, und suche das eine von Landauer und das andere vom Schneider wieder zu bekommen.

Leb wohl! Wo möglich, schik' ich Dir die versprochne Elegie in ein paar

Wochen. Jezt hab' ich wieder zu Kant meine Zuflucht genommen, 40 wie immer, wenn ich mich nicht leiden kan.

Dein Hölderlin.

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Nr.109 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

109. AN JOHANN G O T T F R I E D E B E L

Nürtingen, d. 7 Dec. 95.

Mein verehrungswürdiger Freund!

Ich nehme Ihre gütige Einladung mit Dank an. Ich hoffe, Sie und Ihre edeln Freunde noch näher überzeugen zu können, wie sehr ich es schäze, daß mir möglich gemacht worden ist, was ich wünschte. 5

Ich hoffe, mit nächster Woche abreisen zu können. Ich bin zwar schon einige Zeit nicht ganz wohl, aber, allem nach, wird es wenig-stens keine Woche mehr dauern.

Es ist viele Güte von Ihnen, daß Sie sich um eine Wohnung für mich bemühen wollen. Sollte es mir mögüch werden, in Ihre Nähe lo zu kommen, so wäre es mir dreifach angenehm, oder könt' ich doch vieleicht über Tisch Ihre Gesellschaft gewinnen. Sollten Sie auch hierinn sich für mich bemühn, und Bestellung machen, so würd' ich bitten, daß Sie nur für einen Mittagstisch sorgten. Ich esse, so lange blos von meinem Willen die Rede ist, Abends nicht. 15

Versichern Sie Ihre Freunde zum voraus, daß sie Schlaken genug, natürliche und unnatürliche, ursprüngliche und zufällige, von man-cher schlimmen Lage mir aufgedrungene Untugenden an mir be-merken werden, daß ich aber Muth und Willen genug habe, auch durch ihr Mißfallen belehrt, gebessert zu werden. Ich war wirklich 20 Willens, eh' ich noch hoffen konnte, auf diese Art geprüft, gekannt zu werden, alles, was ich an mir bekämpfe, was ich besonders als Er-zieher an mir bekämpfen würde, geradezu zu nennen, wenn ich nicht auf der eindem Seite hätte denken müssen, es scheine, als wolle man seine Untugenden zur Tugend machen, und Nuzen ziehen aus 25 seiner Schwachheit, wenn man ein offen Geständniß wage.

Ich breche ungern jezt schon ab. Aber ich bin jezt gerade von an-dern Beschäfftigungen zu sehr zerstreut, gedrängt, als daß ich mich länger Ihnen mit Ruhe mittheilen könnte, und ich werde mich ja schadlos halten. Glauben Sie, ich weiß das Glük zu schäzen, mich nun 30 bald in Ihrem imd Ihrer Freunde Umgang bereichern zu können.

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Page 202: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr.109.110

Leben Sie indeß wohl. Versichern Sie Ihre edeln Freunde von all dem, was Sie mir in der Seele lesen mögen.

Ihr 35 wahrer Freund

Hölderlin. Wollen Sie die Güte haben, diesen Brief an Sinklär zu schiken?

110. A N N E U F P E R

Lieber Bruder I

Ich werde nächste Woche nach Frankfurt abreisen. Ich hätte die Trennung selbst so nahe nicht geglaubt. Laß uns schweigen davon!

Ich bin izt so überhäuft zerstreut, wie Du, von andern Beschäff-5 tigungen. — Darf ich Dich bitten, mir dißmal den Zettel vom Schnei-

der zu schiken. Ich muß bis zu Ende der Woche die Kleider noch haben, und könnt' ihm das Futtertuch noch nicht schiken. Sei so gut \md bitt' ihn, sie doch inzwischen zu schneiden. Ich käme in große Verlegenheit. Bitte Landauern, ihm ohne weiteres das Tuch zu dem

10 Kleide zu geben. Auch möcht' mir Landauer einen Curi besorgen. Das Maas wird

wohl dazu nicht nötig seyn. Die Schuhe werden wohl fertig seyn. Es ist erbärmlich, daß ich Dir jezt solche Dinge schreiben muß;

ich werde mich wohl noch einen Tag in Stutgard aufhalten, und da 15 wollen wir noch vom Herzen zum Herzen sprechen. Schreibe mir, an

welchen Tagen der Postwagen nach Heilbronn abgeht. Ärgre Dich nur nicht, über die kleinen unleidlichen Sorgen, die ich Dir mache. Ich muß schließen.

Dein 20 Hölderlin.

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Nr.Ill B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

111. AN I M M A N U E L N I E T H A M M E R

Löchgau. d.22 Dec. 95.

Mein verehrungswürdiger Freund I

Ich hätte Dir immer so vieles sagen mögen und habe Dir nie nichts gesagt. Ich hoffte Dir manches schreiben zu können, und habe 5 Dir noch nichts geschrieben. Aber das weist Du, ohne daß ich es sage und schreibe, wie sehr ich das Verdienst in dem Manne ehre, der sich nur meinen Freund nannte, da er doch auch mein Lehrer war, und wie herzhch ich mich darüber freue, daß dieses Verdienst mit jedem Tage allgemeiner gerechter einerkannt wird. lo

Deine Güte für mich läßt mich hoffen, daß ich die Bitte, die ich jezt an Dich mache, nicht vergebens mache.

Mein Freund und Vetter, Majer von Löchgau, findet es zwek-mäßiger, seinen Aufenthalt in Tübingen, wo er ein Jahr im Sti-pendium zugebracht hat, mit dem glüklichen Jena zu verwech- i5 sein.

Dein Unterricht, Deine Theilnahme würde ihn unendlich sichern und fördern in seiner künftigen Bildung.

Er wird nicht unempfänglich seyn, für das, was Du ihm seyn könntest; er hat Talente und sein guter WiUe wird auch da überwin- 20

den, wo die Wissenschaft Dornen hat. Versag' ihm nicht die gütige Aufnahme, deren schon mancher sich

erfreut hat, und laß Dich mit meinem unendlichen Dank, und dem glüklichen Erfolg, den Deine Theilnahme an ihm haben wird, be-gnügen; denn das weiß ich wohl, daß die Thaten des Geistes unbe- 25

lohnbar sind. Ich beneid' ihn um Deine Gegenwart; ich habe oft das Heimweh nach Jena.

Gerne möcht' ich mich durch Briefe entschädigen, wozu mich Deine Güte berechtigte, aber es wird mir schwer, mich da mitzu-theilen, wo ich mit mir selbst noch nicht einigermaasen im Reinen 30 bin, und so muß ich einsam bleiben, wider meinen Willen.

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B R I E F E 179 + - 1 7 9 5 Nr.Ill

Ich reise jezt zu einer Hofmeisterstelle nach Frankfurt (zu Ban-quier Gontard) und wenn ich da Ruhe und Zeit genug gewinnen kann, so mach' ich mir vieleicht bald die Freude, mich über einiges

35 von Dir zurechtweisen zu lassen. Schelling ist, wie Du wissen wirst, ein wenig abtrünnig geworden,

von seinen ersten Überzeugungen. Er gab mir diese Woche viele Empfehlungen an Dich auf. —

Überall, unter aUen, die Dich kennen, fand ich die Achtung, auch 40 die Theilnahme an Deinem Glük, die man Dir schuldig ist, und man

trug mir auf. Dich, wenn ich könnte, davon zu versichern. Es ist sehr günstig für meinen Vetter, daß er schon jezt eben diese

Achtung mit mir theilt. Er ist um so glüklicher, Dein Schüler zu seyn, und unter Deinen

45 Augen zu leben. Ich schließe sehr ungern; aber ich bin etwas beeilt.

Ganz der Deinige.

M. Hölderlin.

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F R A N K F U R T 1796-1798

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B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 N r . t 0 4

112. A N D I E M U T T E R

Frankfurt, den vorlezten Dec. 95.

Liebste Mutter 1

Ich kan Ihnen noch nichts von meiner hiesigen Lage sagen. Nehmen s Sie damit vorlieb, daß ich Sie von meiner glüklichen Ankunft versi-

chern kann; ich bin gesünder, als ich von Ihnen gieng, wenn schon die Reise dißmal beschwerlicher und langwieriger, als gewöhnlich, war.

Ich fühle nun erst den Werth der glüklichen ruhigen Tage, die ich bei Ihnen genoß. Oft bin ich noch in Gedanken bei Ihnen, bei

10 meinem Karl — ich kann nicht danken, kann es auch nicht vergelten, kann mir es auch nicht selbst geben, find' es auch nicht mehr anders-wo, was ich von dem Herzen meiner Lieben empfieng.

Mein Karl soll eben seine Einsamkeit ertragen, wie ich sie auch ertragen will. Es ist doch besser, in der Schreibstube einsam zu seyn,

15 als unter dem unbedeutenden Lärme der Menschen, die einen nichts angehn.

Unser Vetter schikte sich recht gut in die Entfernung. Er war meist heiter und ruhig, und klug, menagirte sich auch, wie ich. Lezten Dienstag, den Tag nach unserer Ankunft reiste er ab. Der Abschied

20 wurd' uns freilich noch schwer. Meine besten Wünsche und Hofnun-gen begleiten ihn.

Ich schreibe noch diese Woche meiner lieben Schwester und mei-nem Karl, und dann kann ich vieleicht mehr von mir sagen.

Ich könnte von hieraus alle Tage schreiben. Die Post geht alle Tage. 25 Lassen Sie mich doch recht genau wissen, wie Sie leben! Werden

Sie nur heiter, liebste Mutter I Ich werfe mir's sonst vor, ich denke, wenn Sie mehr Freude an mir hätten, fühlten Sie das Unangenehme

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Nr.102.103 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

des Lebens weniger. Wenn nur Ihre Gesundheit sich auch bald beve-stiget. Ich hoffe, die Reise nach Blaubeuren soll auch das ihrige thun.

Hat das Schiksaal meines Karls sich noch nicht entschieden? 30 Ich freue mich innigst, recht bald etwas von ihm selber zu hören. Nun will ich auch noch, meinem Versprechen gemäß, an HE.Oncle

schreiben. Sie können denken, wie die guten Leute auf Nachrichten warten.

Leben Sie wohll Ich suche mich damit zu trösten, daß ich doch 35 bald wieder schreiben kann. Es ist freilich ein trauriger Trost! Ich brauche guten Muth und such' ihn mir zu geben, so gut ich kann. Aber ich fühl' es wohl, ich bin so stark nicht mehr, wie vor 2 Jahren. Damals hofft' ich noch Ersaz von der Welt für den Verlust derer, die meinem Herzen näher sind. 40

Leben Sie recht wohl! Leb wohl, lieber Karl! Euer

Friz. Meine Adresse ist für jezt noch

an M. Hölderlin 45 in Frankfurt am Mcdn.

in der Stadt Mainz abzugeben.

113. A N P F A R R E R M A J E R

Frankfurt, den lezten Dec. 95.

Verehrungswürdiger Herr Oncle!

Es freut mich unendlich, daß ich Ihnen für Ihre Güte, Ihre Theil-nahme doch etwas geben ksin — gute Nachricht; und ich weiß, wie 5 viel diß für Sie ist.

Wir kamen bei aller Beschwerlichkeit und Langsamkeit der Reise doch glüklich und gesund lezten Monntag hier an.

Ich kann Ihnen sagen, daß mein Freund die bittre Entfernung mit einem Muth ertrug, den ich an ihm bewundere, da ich sein Gemüth, lO

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B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr.lOi

seine Liebe für seine Familie kenne, und da ich an meinem eignen Herzen erfahre, wie viel er verlor.

Am Morgen des Tags nach unserer Ankunft reiste er ab. Es war für uns beede eine traurige Stunde. Doch hatt' ich den

15 Trost, daß mein Freund wenigstens so viel von ihm selbst abhängt, seine Reise so glüklich, so nach allen Theilen erwünscht, fort-sezen würde, wie sie angefangen war. Daß wir, unter anderem, auch gut ökonomisirten, mag Ihnen beweisen, daß mein lieber Vetter mit 2 Karolinen und einer Kleinigkeit drüber, bis hieher ausreichte; er

20 sezte mich auf diese Art außer Stand, ihm einen Beweis meiner Dienstfertigkeit zu geben.

Was mich weiter über seine Reise beruhigt, ist, daß er bei dem besten Wetter, in einem bedekten Postwagen und nur in Gesell-schaft eines einzigen sehr artigen Mannes, eines Frankfurter Profes-

25 sionisten, abreiste, und so wahrscheinlich jezt in Eisenach angekom-men seyn wird, von wo aus er nur noch 2 kleine Tagreisen hat. Seine Äußerungen während der Reise, in Augenbliken, wo wir uns gegen-seitig ganz, ohne irgend einen Schatten von Zwang, vor uns öff-neten, die Mittheilung seiner Überzeugungen und Wünsche bestä-

30 tigte mich immer mehr in den fröhlichen Hoffhungen, die ich schon zuvor hegte.

Von mir kann ich noch nichts bestimmtes sagen. Heute werd' ich nähere Bekantschaft mit meinen Leuten machen.

Gestern Abends besuchte mich mein künftiger Zögling, und ich 35 habe für jezt allen Grund, zu glauben, daß er mich in nicht geringem

Grade schadlos halten wird für die traurige Zeit, die mir mein ehe-maliger machte. Haben Sie die Güte, diß meiner Mutter zu schrei-ben. Ich hatte schon den Brief an sie geschlossen, ehe der Kleine bei mir war.

40 Tausend Grüße und Empfehlungen im ganzen theuren Zirkel der Meinigen, und besonders Trost und Hoffiiung für die beiden ver-ehmngswürdigen Müttern in Ihrem Hauße. Ewig

Ihr ergebenster

45 M. H.

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Nr.li* B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

114. A N D E N B R U D E R

Frankfurt am Main. d. 11 Jan. 96.

Ich kann Dir jezt nicht schreiben wie ich wünschte, lieber Karll Ich möcht' es nicht gerne einen Tag länger anstehen lassen, Nach-richt von meiner Lage zu geben, und habe doch eben jezt keine Stunde, wo ich unzerstreut mein Innres Dir mittheilen könnte. Da- 5 von, von mir, im eigentlichen Verstände, brauchst Du auch für jezt noch keine Nachricht; denn es hat sich in diesem Sinne nichts ver-ändert, wird sich auch, der Hauptsache nach, wie ich meine, nicht leicht etwas ändern; aber um mich ist indeß manches vorgegangen, wovon das Neueste ist, daß ich nun wirklich mein Verhälmiß ange- 10 treten, daß ich, nach meinem, freilich noch nicht vesten, unwider-ruflichen Urtheil, die besten Menschen zu Freimden, \md an den Kindern dieser Menschen Zöglinge habe, wie man sie wohl nicht leicht wieder finden dürfte, wenn man Unbefangenheit, reine Natur, ohne Rohheit, sucht, daß ich in keinem Stüke genirt bin bei meinem 15 Verhältniß, jährlich 400 fl. und alles frei habe.

Von sehr interessanten Menschen, die ich kennen lernte, beson-ders während meines Aufenthalts in Homburg, bei Sinklär, der Dich grüßen läßt, von mancher Freude, mancher Bemerkung, überhaupt von meinem bisherigen mannigfaltigen Leben geb' ich Dir vieleicht 20 ein andermal Rechenschaft.

Ich denke an Dich in stillen Augenbliken, ich fühle, daß wir im-mer mehr Freunde werden. Lieberl Freundschaft ist ein großes Wort, faßt sehr viel in sich.

Was macht die liebe Mutter? Ich freue mich über mein gutes 25 Schiksaal, weil ich denke, daß es zu ihrer Erheiterung beitragen wird. — Gerne schrieb' ich noch an meine theure Schwester, aber ich habe heute nicht einen Augenblik mehr übrig. Sie soll doch ja nicht glauben, als wär' es Mangel an der brüderüchen Liebe, die sie gewiß immer in mir gefunden haben wird. Ich habe dieser Tage etliche 30 Briefe zu schreiben, und der an meine Schwester wird der erste seyn.

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B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr.10S.106

Sollten Briefe an mich angekommen seyn, oder ankommen, so sei so gut, sie mir so bald als möglich zuzuschiken. Paquete schikst Du mir unfrankirt.

35 Ich wohne noch in der Stadt Mainz, einem Gasthofe, weil mein Zimmer in Gontards Hauße noch nicht ganz zurecht gemacht ist. Adressire die Briefe dahin.

Leb wohl, lieber Bruder I Laß uns einander treu bleiben I Dein

•0 Hölderlin.

115. A N N E U P F E R

Frankfurt am Main, d. IS./flTi. 96.

Lieber Bruder 1

Ich hätte Dir nicht wohl ohne Zerstreuung schreiben können, 5 wenn ich nicht bis jezt gewartet hätte, auch jezt noch wirst Du die

Folgen des Umherirrens, des unsteten getheilten Interesses, das einem so eine Lage unwillkührlich giebt, an mir finden. Ich weiß wohl, daß es einmal Zeit wäre, mich weniger durch Neuheit beun-ruhigen zu lassen; aber ich mußte wieder finden, daß, bei aller Vor-

10 sieht, das Unbekannte für mich sehr leicht mehr wird, als es wirklich für mich se)m kann, daß ich bei jeder neuen Bekantschaft von irgend einer Täuschung ausgehe, daß ich die Menschen nie verstehen lerne, ohne einige goldne kindische Ahndungen aufzuopfern.

Ich weiß, daß ich in Deinen Augen nichts verliere durch dieses 15 demüthigende Geständniß.

Glaube übrigens deßwegen nicht, als wäre meine neue Lage nicht so, daß man nicht gewissermaaßen damit zufrieden seyn könnte.

Ich lebe, wie es scheint, unter sehr guten und wirklich, nach Ver-hältniß, seltnen Menschen; sie könnten wohl noch mehr seyn, ohne

20 daß ich das obige zurüknehmen müßte. Du verstehst mich gewiß, wenn ich Dir sage, daß tmser Herz auf

einen gewissen Grad immer arm bleiben muß. Ich werde mich auch

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Nr.HS.lib B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

wohl noch mehr daran gewöhnen, mit Wenigem fürheb zu nehmen, und mein Herz mehr darauf zu richten, daß ich der ewigen Schön-heit mehr durch eignes Streben und Wirken mich zu nähern suche, 25 als daß ich etwas, was ihr gliche, vom Schilisaal erwartete. Du hast wohl recht, mit Deiner treuen Lehre, die Du mir manchmal gabst, daß man deßwegen die fröhlichen Stunden des Lebens nicht von sich weisen soll, daß auch das Lachen, was doch sicher kein hohes Glük ist, gut sei für den Menschen; aber Du fühlst wohl auch, daß sich das 30 nicht leicht lernt; es ist Naturgaabe, die ich gewiß nicht verwerfen würde, wenn ich sie hätte. —

Es war für mich Bedürfniß, Lieber! Dir das mitzutheilen, was ge-rade mein Gemüth beschäftigte, und so wirst Du nicht zürnen, daß ich nicht von was anderem sprach. 35

Die Bedingungen, unter denen ich mein Verhältniß eingieng, sind vortheilhaft genug. Ich kann mit durchgängiger Ungebundenheit le-ben, brauche meinem Zögling, der schon mein gEinzes Herz gewonnen hat, durch seine reine freie Unbefangenheit, nur den Vormittag zu widmen, und bekomme jährlich 400fl, bei dem, daß ich alles frei habe. •o

Für Seits könnt' ich noch nichts bestimmtes ausmachen.Wenig-stens hat mir Dr. Ebel bis jezt noch nichts auf meine Fragen geant-wortet, das für oder wider unseres Freundes und mein Interesse ent-schiede. Ebel wird, wie er mir heute sagte, nächster Tage selbst an Seits schreiben. Lebe wohl. 45

Dein Hölderlin.

Grüße alle meine Freunde von mir. Hofrath Jung läßt Dich grüßen.

116. A N D E N B R U D E R

d. 11 Febr. 96. Lieber Bruder!

Ich danke Dir ganz herzlich für die brüderliche Theilnahme an meinem Schiksaale, wie auch unserer lieben Mutter. Du hast mich

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B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.116

5 in bösen Tagen gesehn und Geduld mit mir gehabt, ich wollte nun auch, Du könntest die fröhhchere Periode mit mir theilen.

Es war auch Zeit, daß ich mich wieder etwas verjüngte; ich wäre in der Hälfte meiner Tage zum alten Manne geworden. Mein Wesen hat nun wenigstens ein paar überflüssige Pfunde an Schwere ver-

10 loren und regt sich freier und schneller, wie ich meine. Deus nobis haec otia fecit. Du wirst mir das gönnen, Lieber! wirst

nicht gerade deßwegen denken, daß meine alte Liebe rosten werde über meinem neuen Glük. Aber Glük wirst Du meine Lage auch nennen, wenn Du selbst siehst und hörst, und das kann ich, wenig-

15 stens, was die Reisekosten und Logis und Kost in Frankfurt betrift, sehr bald und sehr leicht möglich machen.

Von weiteren Planen sprech' ich mit Dir, wenn ich mehr in dieser Rüksicht mich umgesehen habe. Ich war schon wieder in Homburg, auf Sinklärs dringendes Bitten. Er geht wahrscheinlich an den Ber-

20 liner Hof, um da als Geschäftsmann von der pique auf zu dienen, be-trachtet diß aber nur als eine nicht unzwekmäßige Vorübung zu bes-seren Tagen. Er läßt Dich herzlich grüßen.

Ich bedaure Dich, Lieberl daß Deine zum Theil wirklich alberne Lage Dir böse Launen abnöthigt. Vergiß Dich in Ideen: das ist frei-

25 lieh ein kurzer Rath, ein kalter Trost, aber gewiß Deiner und meiner würdig. Glaube, mein Karl! daß ich alles für Dich thun werde, was ich kann, und denke, daß Du doch in hiesiger Gegend Menschen hast, die Dich zu schäzen wissen. Werde nur nicht müde. — Ich ar-beite jezt einzig an den philosophischen Briefen, deren Plan Du

30 kennst, um sie an Prof. Niethammer zu schiken, der mich an mein Versprechen mahnte xmd mich um Aufsäze bat in dem Briefe, den Du mir überschiktest.

Weist du nichts Neues von meinem Roman? Hat SchiUer noch nichts an mich geschikt?

35 Sei doch so gut, mir meine Flöte, sicher gepakt, zu schiken. Sie muß noch in Nürtingen liegen.

Was macht denn unser guter Fripon? Das Thier liegt mir sonder-bar am Herzen, das macht, daß er mir Freude machte in Stunden,

201

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N r . l 0 3 . i 0 4 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

WO ich über die Menschen trauerte. Es ist ein herzlich tröstend Ge-fühl, die Verwandtschaft, in der wir stehen mit der weiten frohen 40 Natur, zu ahnden und so viel möglich, zu verstehen. Auf den Som-mer ward' ich mich wohl auch einmal auf Botanik legen. Über meine Erziehungsgeschäfte und über ihre Freuden ein andermal.

Der lieben Mutter nochmal tausend Dank für ihre guten mütter-Hchen Äußerungen. Schreib' mir auch von ihr, von ihrer Gesund- +5 heit, ihrer Gemüthsstimmung.

Dein Friz.

117. A N I M M A N U E L N I E T H A M M E R

Frankfurt am Main. d. 24 Februar 1796.

Mein verehrungswürdiger Freund I

Ich verschob es von einem Tag zum andern, Dir von mir Nach-richt zu geben. Ich würde wohl auch noch länger mit dem Brief, den ich Dir schulde, zuwarten, wenn ich von Dir nicht an mein Verspre- 5 chen gemahnt würde. Du thust diß so sanft, daß ich ordentlich be-schämt bin. Du fragst mich, wie ich mich in meiner neuen Lage fühle, und ob ich mit den Aufsäzen, die ich Dir noch in Jena zu schreiben versprach,bald zu Ende kommen werde.

Die neuen Verhältnisse, in denen ich jezt lebe, sind die denkbar lo besten. Ich habe viel Muße zu eigener Arbeit, und die Philosophie ist wieder einmal fast meine einzige Beschäftigung. Ich habe mir Kant und Reinhold vorgenommen und hoffe, in diesem Element meinen Geist wieder zu sammeln und zu kräftigen, der durch frucht-lose Bemühungen, bei denen Du Zeuge warst, zerstreut und ge- 15 schwächt wurde.

Aber der Nachhall aus Jena tönt noch zu mächtig in mir, und die Erinnerung hat noch zu große Gewalt, als daß die Gegenwart mir heilsam werden könnte. Verschiedene Linien verschlingen sich in meinem Kopf, und ich vermag sie nicht zu entwirren. Für ein conti- 20

202

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B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr.i06.i07

nuirliches angestrengtes Arbeiten, wie es die gestellte philosophische Aufgabe erfordert, bin ich noch nicht gesammelt genug.

Ich vermisse Deinen Umgang. Du bist auch heute noch mein philo-sophischer Mentor, und Dein Rath, ich möge mich vor Abstractionen

25 hüten, ist mir heute so theuer wie er mir früher war, als ich mich darein verstriken ließ, wenn ich mit mir uneins wurde. Die Philo-sophie ist eine Tyrannin, und ich dulde ihren Zwang mehr, als daß ich mich ihm freiwillig unterwerfe.

In den philosophischen Briefen will ich das Prinzip finden, das mir 30 die Trennungen, in denen wir denken und existiren, erklärt, das

aber auch vermögend ist, den Widerstreit verschwinden zu machen, den Widerstreit zwischen dem Subject und dem Object, zwischen unserem Selbst und der Welt, ja auch zwischen Vernunft und Offen-barung, — theoretisch, in intellectualer Anschauung, ohne daß un-

3S sere praktische Vernunft zu Hilfe kommen müßte. Wir bedürfen da-für ästhetischen Sinn, und ich werde meine philosophischen Briefe »Neue Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen« nen-nen. Auch werde ich darin von der Philosophie auf Poesie und Reli-gion kommen.

40 Schellin g, den ich vor meiner Abreise sah, ist froh, in Deinem Jour-nal mitzuarbeiten und durch Dich in die gelehrte Welt eingeführt zu werden. Wir sprachen nicht immer accordirend miteinander, aber wir waren uns einig, daß neue Ideen am deutlichsten in der Briefform dargestellt werden können. Er ist mit seinen neuen Über-

•5 Zeugungen, wie Du wissen wirst, einen besseren Weg gegangen, ehe er auf dem schlechteren ans Ziel gekommen war. Sag mir Dein Urtheil über seine neuesten Sachen.

Empfiehl mich allen, bei denen ich in" freundlichem Andenken bin und erhalte mir Deine Freundschaft, die mir so theuer war. Es

50 wäre der schönste Lohn für mich, wenn ich Dich bald durch Früchte erfreuen könnte, von denen ich sagen werde, daß ihr Reifen durch Deine Pflege und Wartung mitbefördert worden ist.

Dein Hölderlin.

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Nr.106 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

118. A N N E U F F E R

Frankfurt, im März. 96.

Lieber Bruder!

Ich wunderte mich nicht, daß Du so lange nicht schriebst. Ich weiß ja, wie das geht; man möchte gerne dem Freunde etwas sagen, was man nicht gerade eine Woche später zurüknehmen muß, und 5 doch wiegt uns die ewige Ebb' und Fluth hin \md her, und was in der einen Stunde waiir ist, können wir ehrlicher weise in der nächsten Stunde nicht mehr von uns sagen, und indeß der Brief ankommt, den wir schrieben, hat sich das Laid, das wir klagten, in Freude, oder die Freude, die wir mittheilten, in Laid verwandelt, und so ists mehr 10 oder weniger mit den meisten Äußerungen unsers Gemüths und Geistes. Die Augenblike, wo wir Unvergängliches in ims finden, sind so bald zerstört, der Unvergängliche wird selbst zum Schatten, und kehrt nur, zu seiner Zeit, wie Frühling und Herbst, lebendig in uns zurük. Das ists, warum ich wenigstens nicht gerne schreibe. 15

Du willst Rath für Dein Herz von mir. Lieber! Du mußtest bei-nahe voraussehn, daß ich dazu nicht der Mann war.Wär ich weise ge-nug, um die mächtige Stimme der Natur nicht zu achten, so könnt ich Dir wohl eine gutgemeinte altkluge Predigt schiken, wär ich thöricht genug, um dem unbedachtsamen Zuge des Herzens das Wort 20

zu reden, so würd' ich Dir vieleicht noch einen großem Gefallen thun. Aber ich bin, laider oder gottlobI keines von beiden.

Ich kann Dir nichts sagen, als was ich Dir schon einmal sagte; fin-dest Du, daß das liebhche Geschöpf für Dich, und nur für Dich ge-macht, das heißt, unter allem was lieben kan. Deinem Wesen am 25

nächsten ist, dann lache der Klugheit ins Angesicht und wags im Nahmen der heiligen Natur, vor der das Menschen werk, die bürger-lichen Verhältnisse, so wenig gelten, als unsre Regeln von Schiklich-keit und Anstand vor den Kindern.

Ist es aber blos ein Behelf Deines verlassenen Herzens, ist es blos so die Armuth des Lebens, die das Schiksaal Dich fühlen ließ, daß Du

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B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5 Nr.109.110

SO hohen Werth in dieses Wesen legst, ist es mehr ein Kind der Noth, mehr von zufälligen Umständen Dir abgedrungen, als die reine un-vermischte Äußerung Deines Innersten, dann freilich würd' ich um

35 Dich trauern, wenn Du dennoch Dich, die künftigen Blüthen und Früchte Deines Geistes, Deine ewig jugendliche ruhige Heiterkeit, die häuslichen Freuden, die Dich vieleicht anderswo erwarteten, und vieleicht noch manches andre aufs Spiel seztest.

Laß Dich das nicht irre machen, lieber alter Freund! Denke, daß 40 hierinn eigentlich keiner dem andern etwas sagen kann, daß ich also,

im Grunde genommen, auch nichts gesagt habe. Mir geht es so gut, wie möglich. Ich lebe sorgenlos, und so leben

ja die seeligen Götter. Daß Schiller den Phaeton nicht aufnahm, daran hat er nicht Un-

45 recht gethan, und er hätte noch besser gethan, wenn er mich gar nie mit dem albernen Probleme geplagt hätte; daß er aber das Gedicht an die Natur nicht aufiiahm, daran hat er, meines Bedünkens nicht recht gethan. Übrigens ist es ziemlich unbedeutend, ob ein Gedicht mehr oder weniger von uns in Schillers Alhnanache steht. Wir wer-

50 den doch, was wir werden sollen, und so wird Dein Unglük Dich so wenig kümmern, wie meines.

Sei glüklich. Lieber! und nehm es gedultig an, wenn bei großer Freude großer Schmerz ist! —

Für die Nachricht von der Lebretin dank' ich Dir; ich hätt' es 55 auch nicht um sie verdient, wenn sie nicht gut von mir gedacht

hätte. Dein

Hölderlin.

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Nr.107.10S B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

119. AN D E N B R U D E R

Frankfurt , d . März . 96 .

Mir gehts noch i m m e r g u t ; ich bin gesund u n d habe keine Sorgen

u n d das ist ja g e n u g , u m wenigstens sein T a g w e r k ungestört auszu-

üben .

D u willst, schreibst D u mir , m i t Aesthetik D i c h beschäfftigen. 5

Glaubst D u nicht , daß die B e s t i m m u n g der Begriffe ihrer V e r e i -

n i g u n g vorausgehen müsse , u n d daß demnach die untergeordneten

T h e i l e der Wissenschaft , z. B. Recht lehre ( i m reinen S inn ) , Moral -

philosophie p .p . müssen studirt w e r d e n , ehe m a n an die cacumina

rerum geht? Glaubst D u nicht , daß m a n , u m die Bedürft igkeit der lo

Wissenschaft kennen zu lernen , u n d so ein Höheres über ihr zu ahn-

d e n , müsse zuvor diese Bedürft igkeit e ingesehn haben? M a n kann

freil ich auch von oben hereinsteigen, m a n m u ß es in so fern i m m e r ,

als das reine Ideal alles Denkens u n d T h u n s , die undarstellbare, u n -

erreichbare Schönheit uns überall gegenwärt ig seyn m u ß , aber in 15

seiner ganzen Vollständigkeit u n d Klarheit kann es doch n u r dann

erkannt w e r d e n , w e n n m a n durchs Labyr inth der Wissenschaft h in-

durchgedrungen , u n d n u n erst, n a c h d e m m a n seine H e i m a t h recht

v e r m i ß t hat , i m stillen Lande der Schönheit a n g e k o m m e n ist.

Doch wolle er ihm damit nur Stoff zum Nachdenken geben. Um alle Autorität ab- 20

zulehnen, gestehe er ihm offenherzig, daß er diesen Punkt wirklich noch nicht reif-

lich genug überdacht habe.

Hatte einen Besuch von einem Vetter Bräunlin gehabt, der nach Wetzlar ging.

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B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.120

120. A N C O T T A

F r a n k f u r t , d . 15 M a i 1 7 9 6 .

I h r e g ü t i g e Z u s c h r i f t h a t m i c h b e s t i m m t , d e n H y p e r i o n n o c h

e i n m a l v o r z i m e h m e n , u n d das G a n z e in E i n e n B a n d z u s a m m e n z u -

d r ä n g e n ; es w a r , i n d e ß i c h I h n e n das M a n u s c r i p t gesch ik t h a b e , d i e -

5 ser W u n s c h e i n i g e m a l in m i r e n t s t a n d e n ; d i e V e r z ö g e r u n g des D r u k s

u n d I h r e Ä u ß e r u n g ü b e r d ie A u s d e h n u n g des W e r k s w a r e n m i r also

k e i n e s w e g s u n a n g e m e s s e n ; n a t ü r l i c h m u ß i ch n u n a b e r a u c h d e n

A n f a n g , d e n S ie s c h o n h a b e n , a b k ü r z e n , u m e in V e r h ä l t n i ß in d i e

T h e i l e z u b r i n g e n ; i c h m u ß Sie d a h e r b i t t e n , m i r das M a n u s c r i p t so

10 b a l d m ö g l i c h z u s c h i k e n , w e i l m e i n C o n c e p t m i r z u m T h e i l v e r l o r e n

g e g a n g e n ist. I c h sch ike es I h n e n n a c h e i n i g e n W o c h e n s i cher z u r ü k ,

u n d in u n g e f ä h r 2 M o n a t h e n a u c h das Ü b r i g e . D i e B o g e n z a h l m u ß

n u n f r e i l i c h n o t h w e n d i g u m e i n Beträcht l i ches s ich v e r g r ö ß e r n . I c h

h a b e a b e r ja m i t I h n e n ü b e r h a u p t n i c h t n a c h B o g e n g e r e c h n e t , i m d

15 k a n n m i c h b e i m e i n e n j e z i g e n U m s t ä n d e n a u c h so m i t d e n a u s g e -

m a c h t e n 100 G u l d e n b e g n ü g e n . W o l l e n S ie m i r f ü r d ie n e u e M ü h e

d i e F r e u d e m a c h e n u n d das B u c h ü b e r h a u p t a u f S c h r e i b p a p i e r u n d

m i t s ä u b e r n l a te in i s chen L e t t e r n d r u k e n lassen, so w ü r d ' i ch I h n e n

r e c h t sehr d a n k e n . I c h h a b e d i e s i chre H o f f n u n g , d a ß I h n e n d ie

20 S a c h e n i c h t g a n z l i e g e n b l e i b t , w e n n i ch anders v o n d e n e i n z e l n e n

U r t h e i l e n , d i e m i r ü b e r e i n F r a g m e n t des B u c h s , das n o c h in d e r

T h a l i a e i n g e r ü k t ist , z u O h r e n g e k o n m i e n s i n d , a u f d i e A u f n a h m e

des P u b l i k u m s ü b e r h a u p t s c h l i e ß e n d a r f . H a b e n S ie d i e G ü t e , m i r

das , w a s i ch I h n e n f ü r d i e ü b e r s c h i k t e n T h e i l e des P l u t a r c h s c h u l d i g

25 b i n , w i e das v o r i g e n S o m m e r e m p f a n g e n e K a r o l i n v o m G a n z e n a b -

z u z i e h e n , u n d dieses u n t e r d e r b e k a n n t e n A d r e s s e n a c h N ü r t i n g e n

zu s c h i k e n . I c h b i n m i t al ler H o c h a c h t u n g

I h r

e r g e b e n s t e r D i e n e r

30 i l f . H ö l d e r l i n .

207

Page 221: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.109 B R I E F E 1 7 9 4 - 1 7 9 5

121. A N D E N B R U D E R

F r a n k f u r t , d . 2 Jun. 1 7 9 6 .

L i e b e r B r u d e r I

D e i n l ez ter B r i e f h a t m i r u n e n d l i c h e F r e u d e g e m a c h t . G ö t h e sagt

i r g e n d w o : » L u s t i m d L i e b e s ind d ie F i t t i ge z u g r o ß e n T h a t e n . « —

So ists a u c h m i t d e r W a h r h e i t ; w e r sie l i e b t , w i r d sie f i n d e n ; w e s s e n 5

H e r z s ich ü b e r d e n ä n g s t h c h e n , ego i s t i s chen Ges ichtskre is e r h e b t , in

d e m d i e m e i s t e n h e r a n w a c h s e n u n d d e n w i r l a i d e r l a u f d e m F l e k

E r d e , d e r u n s z u r R u h ' u n d W a n d e r u n g g e g e b e n ist , fast ü b e r a l l

w i e d e r f i n d e n , w e s s e n G e m ü t h n i c h t b o m i r t ist , dessen G e i s t ist es

g e w i ß a u c h n i c h t i m e i g e n t l i c h e n S i n n e . l o

D e i n S t r e b e n u n d R i n g e n m a c h t D e i n e n G e i s t i m m e r stärker u n d

g e l e n k e r , l i eber K a r l ! D u scheinst m i r t i e f e r z u g e h e n u n d n a c h

m e h r als e i n e r Se i te D i c h z u r i c h t e n .

D i ß ist d e n n a u c h d ie w a h r e G r ü n d l i c h k e i t , n ä m l i c h : v o l l s t ä n d i g e

K e n n t n i ß d e r T h e i l e , d i e w i r b e g r ü n d e n u n d i n E ins z u s a m m e n b e - 15

g r e i f e n m ü s s e n , u n d t i e f e bis ans ä u ß e r s t e E n d e des W i s s e n s d u r c h -

d r i n g e n d e K e n n t n i ß des B e g r ü n d e n d e n u n d B e g r e i f e n d e n . D i e V e r -

n v m f t , k a n n m a n s a g e n , l e g t d e n G r u n d , d e r V e r s t a n d b e g r e i f t .

D i e V e r n u n f t l e g t d e n G r u n d m i t i h r e n G r u n d s ä z e n , d e n G e s e z e n

des H a n d e l n s u n d D e n k e n s , i n s o f e r n sie b los b e z o g e n w e r d e n a u f 20

d e n a l l g e m e i n e n W i d e r s t r e i t i m M e n s c h e n , n ä m U c h a u f d e n W i -

d e r s t r e i t d e s S t r e b e n s n a c h A b s o l u t e m u n d d e s S t r e b e n s n a c h

B e s c h r ä n k u n g . J e n e G r u n d s ä z e d e r V e r n u n f t s ind a b e r selbst w i e d e r

b e g r ü n d e t d u r c h d i e V e r n u n f t , i n d e m sie v o n d ieser b e z o g e n w e r d e n

a u f das I d e a l , d e n h ö c h s t e n G r u n d v o n a l l e m ; u n d das S o l l e n , das in 25

d e n G r u n d s ä z e n d e r V e r n u n f t e n t h a l t e n ist , ist a u f d iese A r t a b h ä n -

g i g v o m ( i d e a l i s c h e n ) S e y n . S i n d n u n d i e G r u n d s ä z e d e r V e r n u n f t ,

w e l c h e b e s t i m m t g e b i e t e n , d a ß d e r W i d e r s t r e i t j enes e d l g e m e i n e n ,

s ich e n t g e g e n g e s e z t e n Strebens soll v e r e i n i g e t w e r d e n ( n a c h d e m . .

I d e a l d e r S c h ö n h e i t ) , s ind d iese G r u n d s ä z e i m A l l g e m e i n e n a u s g e - 30

ü b t a n j e n e m W i d e r s t r e i t , so m u ß j e d e V e r e i n i g u n g dieses W i d e r -

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Page 222: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 179 6 - 1 7 9 8 Nr.121

streits e i n R e s u l t a t g e b e n , u n d diese Resu l ta te d e r a l l g e m e i n e n V e r -

e i n i g u n g des W i d e r s t r e i t s s ind d a n n d i e a l l g e m e i n e n B e g r i f f e des

V e r s t a n d e s , z. B . d i e B e g r i f f e v o n Substanz u n d A c c i d e n s , v o n W i r -

35 k u n g u n d G e g e n w i r k u n g , P f l i c h t u n d R e c h t etc. D i e s e Begr i f f e s ind

n u n d e m V e r s t ä n d e e b e n das, w a s d e r V e r n u n f t das I d e a l i s t ; so w i e

d i e V e r n u n f t n a c h d e m I d e a l e i h r e G e s e z e , so b i l d e t d e r V e r s t a n d

n a c h d i esen B e g r i f f e n se ine M a x i m e n . D i e s e M a x i m e n e n t h a l t e n d ie

K r i t e r i e n u n d B e d i n g u n g e n , u n t e r w e l c h e n i r g e n d e i n e H a n d l u n g

•0 o d e r e i n G e g e n s t a n d j e n e n a l l g e m e i n e n B e g r i f f e n m u ß u n t e r w o r f e n

w e r d e n . Z . B . i ch h a b e das R e c h t , e i n e S a c h e , d i e n i c h t u n t e r d e r

D ispos i t i on e ines f r e i e n W i U e n s s teht , m i r z u z u e i g n e n . A l l g e m e i n e r

B e g r i f f : R e c h t . B e d i n g u n g : sie s teht n i c h t i m t e r d e r D ispos i t i on

e ines f r e i e n W i l l e n s . D i e d e m a l l g e m e i n e n B e g r i f f e u n t e r w o r f e n e

45 H e i n d l u n g : Z u e i g n u n g e i n e r S a c h e .

I c h s c h r e i b e D i r dieses h i n , w i e m a n sich e i n e f l ü c h t i g e Z e i c h n u n g

o d e r sonst e twas in d e n B r i e f l e g t , zu e i n e r v i e r t e l s t ü n d i g e n U n t e r -

h a l t u n g .

D a ß D i r D e i n Schiksaal o f t s c h w e r a u f l i e g t , das g l a u b ' i c h D i r

50 g e r n e , l iebes H e r z ! Se i e i n M a n n u n d s i ege . D i e K n e c h t s c h a f t , d i e

v o n a l l en Se i ten a u f xmser H e r z u n d u n s e r n Ge i s t in f r ü h e r J u g e n d

u n d i m M a n n e s a l t e r h i n e i n d r i n g t , d i e M i s h a n d l u n g u n d E r s t i k u n g

u n s e r e r ede ls ten K r ä f t e g i e b t u n s a u c h das h e r r l i c h e S e l b s t g e f ü h l ,

w e n n w i r d e n n o c h u n s e r e besseren Z w e k e d u r c h f ü h r e n . I c h w i l l

55 a u c h das M e i n i g e t h u n . E i n e a n d e r e Ste l le k a n n u n d w i l l i ch D i r

n i c h t v e r s c h a f f e n . D u b r a u c h s t j ez t s ch le chterd ings M u ß e ; D u m u ß t

D i r selbst l e b e n k ö n n e n , e h e D u f ü r A n d e r e l ebst . A u s d ieser R ü k -

s i cht s c h l a g ' i ch D i r , g e g e n m e i n e sonst igen Ä u ß e r u n g e n , n a c h r e i f e -

r e r Ü b e r l e g u n g , v o r , d a ß D u e i n e U n i v e r s i t ä t b e s u c h s t . W e n n m i c h

m e i n w a n k e l m ü t h i g e s Schiksaal in m e i n e r g e g e n w ä r t i g e n L a g e e r -

h ä l t , k a n n i c h z u E n d e des n ä c h s t e n W i n t e r s g a n z g u t 2 0 0 f l . e n t b e h -

r e n ; d i e s ch ik ' i ch D i r u n d D u gehs t n a c h Jena u n d k a n n s t , w i e i c h

g l a u b e , jedes Jahr a u f d iese lbe S u m m e , w o h l a u c h a u f e twas m e h r ,

b e i m i r r e c h n e n , u n d d e n k l e i n e n Z u s c h u ß , dessen D u n o c h b e n ö -

65 t h i g t s e y n d ü r f t e s t , w i r d D i r u n s e r e l i e b e M u t t e r n i c h t v e r s a g e n .

209

60

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Nr.i21 B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

Danke mir nur nicht, meine Überzeugung gebietet es mir, und die Erfüllung eines Gebots läßt ja nicht wohl eine andere Vergeltung zu, als die, daß wir unseren Zwek erreichen. Und wie könnten wir daran zweifeln, lieber Bruder I

Von wichtigen Bekanntschaften in dem Sinne, wie Du es meinst, 70 kann ich Dir laiderl wenig oder gar nichts schreiben.

Laß die Welt ihren Gang gehn, wenn er nicht aufgehalten werden kann, wir gehn den unsern.

Ich hoffe diesen Sommer mehr zu thun, als bisher. Der Trieb, aus unserm Wesen etwas hervorzubringen, was zurükbleibt, wenn wir 75 scheiden, hält uns doch eigentlich einzig an's Leben vest.

Freilich sehnen wir uns oft auch, aus diesem Mittelzustand von Leben und Tod überzugehn in's unendliche Seyn der schönen Welt, in die Arme der ewigjugendlichen Natur, wovon wir ausgegangen. Aber es geht ja alles seine stete Bahn, warum sollten wir uns zu früh 80 dahin stürzen, wohin wir verlangen.

Die Sonne soll uns doch nicht beschämen. Sie gehet auf über Bösen und Guten; so können ja auch wir eine Weile unter Menschen und ihrem Thun und in unserer eigenen Schranke und Schwachheit verweilen. — Für Deinen Freund H. will ich sorgen, wenn es mög- 85 lieh ist. Sinklär, den ich erst neuUch wieder besuchte, läßt Dich herz-lich grüßen. Er trauert, wie wir.

Fichte hat ein Naturrecht herausgegeben, diesen Augenblik be-komm ich es vom Buchhändler, kann es also noch nicht beurtheilen. Übrigens glaub' ich Dir dennoch mit gutem Grunde rathen zu kön- 90 nen, daß Du es kaufst.

Tausend Grüße an unsere liebe Mutter imd übrigen Verwandten und Freunde I

Leb' wohl, mein Karl I Dein 95

Hölderlin. Cotta hält mich unangenehmer weise auf. Hoffentlich wird er das

Geld geschikt haben oder bald schikeri, wenn gleich jezt erst mit dem Druk meines Buchs angefangen wird.

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B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.l22

122 . A N D E N B R U D E R

Frankfurt.

Du bist glüklich, mein Karl, durch das, was Du Dir selbst bist, und ich wollte. Du sähest das ein, wie ich. Du würdest weniger den Mangel empfinden, der von außen Dich umgiebt. Sieh'I deßwegen

5 finden auch die meisten Menschen überall wunderschöne Dinge, wundergroße, wundererfreuhche Dinge, weil sie alles, was ihnen begegnet, an ihrer innem Armuth imd Beschränktheit messen, weil sie so gar nicht verwöhnt sind durch sich selbst.Weil sie sich selbst zum Sterben Langeweile machen, dünkt's ihnen überall so amüsant,

10 und weil sie fühlen, es sey so eigentüch nicht so sehr der Mühe werth, daß sie das Glük begünstige, sind sie auch so äußerst dankbar gegen dieses, und nennen auch höflicher weise das weise und gerechte Schiksaal gnädig.

(Bei Gelegenheit! ich möchte doch wissen, was eigenthch Gnade 15 wäre?) — Aber wenn Du schon Dir selbst sehr viel bist, so bedarfst

Du deßwegen auch der rechten Pflege für Dein Herz und Deinen Geist. Genuß der Wahrheit imd der Freundschaft 1 Könnt' ich ihn so voll und stark und rein Dir geben, als du es werth bistl Aber Einer ist nicht Alles, und ich bin ohnediß, wie ein alter Blumenstok, der schon

20 einmal mit Grund und Scherben auf die Straße gestürzt ist, und seine Sprößlinge verloren \md seine Wurzel verlezt hat, und nun mit Mühe wieder in frischen Boden gesezt und kaum durch ausgesuchte Pflege vom Verdorren gerettet, aber doch hie und da noch immer welk und krüpplig ist und bleibt. Ich werde deßwegen ganz gewiß,

25 so lang ich lebe, allem aufbieten, um, so weit es von mir abhängt, und Du meiner bedürfen magst. Dein Leben auch anderwärts Dir angenehm, d. h. den Bedürfnissen Deines edlern Wesens angemessen zu machen.

Ich kann unmöglich glauben, daß unsere theure Mutter den soliden 30 Gründen, die ich ihr vorlegen werde, ihren Beifall versagen und ihren

Willen und Seegen Dir nicht zu einer Reise nach Jena geben wird.

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Nr. 122 B R I E F E 179 6 - 1 7 9 8

Du wirst die Wahrheit finden und doch wenigsteijs einen ganzen Freund, wie ich hoffe! Den Plan zu Deinem Studium möcht' ich zu-vor von Dir selbst hören, um ganz in Beziehung auf Deinen eigen-thümlichen Wunsch und Karakter meinen Vorschlag zu machen. Es 35 läßt sich im Allgemeinen vieles plaudern, aber, um nüzlich zu seyn, müssen wir einander auch auf das, was jeder besonders ist und hat, aufmerken.

An Aussichten kann es Dir zur rechten Zeit nicht fehlen. Du magst ein Fach ergreifen, welches Du willst, so bin ich gewiß, daß 40 Du es darinn nicht bei der Mittelmäßigkeit wirst bewenden lassen, und Männer, die im Kameralfach oder in der Rechtspflege und Wis-senschaft mehr als mittelmäßig, sind eben ihrer Seltenheit wegen jezt überall zum Lehrstuhl oder zum Geschäfftsleben äußerst gesucht.

In jedem Falle kannst Du Hofmeister werden, so gut wie ich, und +5 glüklich seyn, und all' die Lumpereien des politischen und geist-lichen Würtembergs und Deutschlands und Europa's auslachen, so gut, wie ich.

d.10 Jun.

So weit hatt' ich neulich geschrieben. Jezt bin ich auf frappante 50 Art unterbrochen. Die Kaiserl. Armee ist jezt auf ihrer Retirade von Wezlar begriffen, und die Gegend von Frankfurt dürfte demnach zunächst einen Haupttheil des Kriegsschauplazes abgeben. Ich reise deßwegen mit der ganzen Familie noch heute nach Hamburg ab, wo sich Verwandte meines Haußes befinden. HE. Gontard bleibt allein 55 hier. Es wird wichtige Auftritte geben. Man sagt, die Frsuizosen Seyen in Würtemberg. Ich hoffe, die Sache wird wenigstens denen, die mich da zunächst angehn, nicht sehr viel reelles Übel bringen. Sei ein Mann, Bruder 1 Ich fürchte mich nicht vor dem, was zu fürchten ist, ich fürchte mich nur vor der Furcht. Sage das der lie- 60 ben Mutter. Beruhige siel Wär' ich nicht auf diese Art pflichtmäßig nüzlich, ich käme zu Euch. Muth und Verstand braucht jezt Jeder. Hize und Ängstlichkeit sind jezt nicht mehr gangbare Münzen.

Lebt wohl, Ihr Lieben alle! Euer 65

Friz.

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B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.l23

125. A N N E U F F E R

Frankfurt.

Hätt' ich Dich doch bei mir, lieber Bruder! daß wir uns einmal wieder Freude machen könnten mit unsern Herzen. Die Buchstaben sind für die Freundschaft, wie trübe Gefäße für goldnen Wein. Zur

5 Noth schimmert etwas durch, um ihn vom Wasser zu unterscheiden, aber lieber sieht man ihn doch im kristallnen Glase.

Ich möchte wissen, wie Dir's jezt gerade geht. Ich wollt', es gienge Dir, wie mir. Ich bin in einer neuen Welt. Ich konnte wohl sonst glauben, ich wisse, was schön und gut sey, aber seit ich's sehe, möcht'

10 ich lachen über aU' mein Wissen. Lieber Freund! es giebt ein Wesen auf der Welt, woran mein Geist Jahrtausende verweilen kann und wird, und dann noch sehn, wie schülerhaft all unser Denken und Verstehn vor der Natur sich gegenüber findet. LiebUchkeit und Hoheit, und Ruh und Leben, u. Geist und Gemüth und Gestalt ist

15 Ein seeliges Eins in diesem Wesen. Du kcinnst mir glauben, auf mein Wort, daß selten so etwas geahndet, und schwerlich wieder gefunden wird in dieser Welt. Du weist ja, wie ich war, wie mir gewöhnliches entlaidet war, weist ja, wie ich ohne Glauben lebte, wie ich so karg geworden war mit meinem Herzen, und darum so elend; könnt' ich

20 werden, wie ich jezt bin, froh, wie ein Adler, wenn mir nicht diß, diß Eine erschienen wäre, und mir das Leben, das mir nichts mehr Werth war, verjüngt, gestärkt, erheitert, verherrlicht hätte, mit sei-nem Frühlingslichte? Ich habe Augenblike, wo all' meine alten Sor-gen mir so durchaus thöricht scheinen, so unbegreiflich, wie den

25 Kindern. Es ist auch wirklich oft unmöglich, vor ihr an etwas sterbliches zu

denken und eben deßwegen läßt so wenig sich von ihr sagen. Vieleicht gelingt mirs hie und da, einen Theil ihres Wesens in

einem glüklichen Zuge zu bezeichnen, und da soll Dir keiner unbe-30 kannt bleiben. Aber es muß eine festliche durchaus ungestörte

Stunde seyn, wenn ich von ihr schreiben soll. —

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Nr.l23.12-( B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

Daß ich jezt lieber dichte, als je, kannst Du Dir denken. Du sollst auch bald wieder etwas von mir sehen.

Was Du mir mittheiltest, hat Dir herrlichen Lohn gewonnen. Sie hat es gelesen, hat sich gefreut hat geweint über Deinen Klagen. 35

O sei glükUch, lieber Bruder I Ohne Freude kann die ewige Schön-heit nicht recht in uns gedeihen. Großer Schmerz und große Lust bildet den Menschen am besten. Aber das Schustersleben, wo man Tag für Tag auf seinem Stuhle sizt, und treibt, was sich im Schlafe treiben läßt, das bringt den Geist vor der Zeit ins Grab. 40

Ich kann jezt nicht schreiben. Ich muß warten, bis ich weniger mich glüklich und jugendlich fühle. Leb wohl, treuer, geprüfter, ewiglieber Freund I Könt' ich ans Herz Dich drükenl Das wäre jezt die wahre Sprache für Dich und mich!

Deia 45 Hölderlin.

d. 10 Jim. Ich reise heute noch nach Hjimburg ab, wegen dem Kriege... Leb

wohl, mein Bruder! Die Zeit dringt mich. Ich schreibe, wo möglich, Dir bald wieder. 50

124. A N S C H I L L E R

Cassel, d. 24/«Z. 96.

Ich bin so frei, verehrungswürdiger Herr Hofrath, Ihnen einen kleinen Beitrag zur künftigen Blumenlese zu schiken. Lieber hätt' ich ihn gebracht, und mich wieder Ihrer Nähe gefreut. Sie sind ge-sünder, wie man mir sagt, und das ist ein Trieb mehr für mich, zu 5 Ihnen zu wallfahrten und Sie zu sehn. Aber bis dahin muß ich wenig-stens noch einige Monathe geduldig seyn. Ich bin jezt auf der Flucht mit der Familie, bei der ich seit vorigem Winter in Frankfurt sehr glükhch lebe. Es sind wirklich seltne Menschen, unter denen ich bin, und um so schäzbarer für mich, weil ich sie so zu rechter Zeit fand, lo

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B R I E F E 179 6 - 1 7 9 8 Nr.l24.12S

weil einige bittere Erfahrungen mich wirklich gegen Verhältnisse aller Art hatten mistrauisch gemacht.

Ich wollte Ihnen einmal wieder in meiner ganzen Bedürftigkeit erscheinen, wollte Sie um Ihre Meinung fragen über manches, was

15 mich jezt beschäfftigt, und woUte durch allerhand Umwege ein paar freundliche Worte mir von Ihnen erbeuten, aber ich bin genöthigt, abzubrechen.

Wollen Sie die Güte haben, mich der Frau Hofräthin zu emp-fehlen?

20 Ganz der Ihrige

M. Hölderlm.

125 . A N D E N B R U D E R

Kassel, d. 6 Aug. 96.

Ich hoffe, mein Karl, daß es wegen der Posten jezt mögUch ist. Dir einmal wieder Nachricht zu geben und dann auch solche wieder von Dir zu erhalten; denn Du kannst Dir leicht denken, daß es in man-

5 eher Rüksicht für mich großes Bedürfniß ist, die besondern Um-stände von den großen Begebenheiten, die sich bei Euch zugetragen haben, und besonders alles, was meine theure Familie dabei betrift, genau zu wissen.

Ich würde mich wohl mehr mit beunruhigenden Wahrscheinlich-10 keiten plagen, wenn nicht die Phantasie auch in den Rheingegenden

mit dem Kriege vertrauter würde. Unsere gute Mutter bedaur' ich herzlich, und bin besorgt für sie,

weil ich weiß, wie viel sie unter solchen Umständen durch ihren Sinn und ihre Demuth leidet.

15 Dir, mein Karl, kann die Nähe eines so ungeheuern Schauspiels, wie die Riesenschritte der Republikaner gewähren, die Seele innigst stärken.

Es ist doch was ganz leichters, von den griechischen Donnerkeulen zu hören, welche vor Jahrtausenden die Perser aus Attika schleuder-

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Nr. 122 B R I E F E 179 6 - 1 7 9 8

ten über den Hellespont hinweg bis hinunter in das barbarische Susa, 20 als so ein unerbittlich Donnerwetter über das eigne Haus hinziehen zu sehen.

Freilich seht ihr auch nicht unentgeldlich dem neuen Drama zu. Doch, mein' ich, seyd ihr noch so ziemlich gut hinweggekommen. Eben heute las ich in der Zeitung, daß General St. Cyr über Tübin- 25 gen, Reutlingen und Blaubeuren den Oesterreichern nachgeeilt sey, und bin dadurch in Unruhe gesezt wegen unserer lieben Schwester und ihrem Hauße; auch bin ich bange wegen der Condeischen Un-thiere, die noch die Erde verunreinigen und so häßlich unter Euch haußen. Schreibe doch nach Empfang dieses Briefs auf der Stelle, 30 lieber Karl! Meiner Lage fehlt nichts, als Ruhe über die Meinigen. Ich lebe seit drei Wochen und drei Tagen sehr glüklich hier in Kassel. Wir reisten über Hanau und Fuld — ziemlich nahe bei dem französi-schen Kanonendonner, doch noch immer sicher genug, vorbei. Ich schrieb Dir an dem Tage meiner Abreise, daß wir nach Hamburg 35 giengen, aber der hiesige Ort ist in so mancher Rüksicht interessant für Mad. Gontard, daß sie beschloß, sich einige Zeit hier aufzuhal-ten, da wir hier angekommen waren. (Sie läßt die 1. Mutter und Dich grüßen, und räth euch, eure Lage so heiter als möghch an-zusehen.) Auch HE. Heinze, der berühmte Verfasser des Ardin- 40 ghello, lebt mit uns hier. Es ist wirklich ein durch und durch trefli-cher Mensch. Es ist nichts schöners, als so ein heitres Alter, wie dieser Mann hat.

Wir haben auch hier seit einiger Zeit unsre Schauspiele, nur daß sie friedlicher waren, als die eure. Der König von Preußen war bei 45 dem hiesigen Landgrafen auf Besuch, und wurde ziemlich feierlich bewirthet.

Die Natur, die einen hier umgiebt, ist groß und reizend. Auch die Kunst macht einem Freude; der hiesige Augarten und der weiße Stein haben Anlagen, die unter die ersten in Deutschland gehören. 50 Auch haben wir Bekanntschaft mit braven Künstlern gemacht.

Die Gemäldegallerie und einige Statuen im Museum machten mir wahrhaft glükliche Tage.

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B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.l2S.126

Nächste Woche reisen wir ins Westphälische, nach Driburg (ein 5S Bad in der Nähe von Paderborn) ab. Ich lege Dir die Adresse bei, un-

ter der ich Deinen Brief sicher erhalte.Wird es Friede, so sind wir mit Anfang des Winters in Frankfurt.

Leb' wohl, mein Karll Gieb keine Deiner rechtmäßigen HoShun-gen auf I schreibe mir bald und viel und genau und ja auch dabei aus

60 Deinem Herzen. Grüße unsere gute Mutter und all die lieben Unsrigen tausendmal

und versichere sie meiner herzlichen Theilnahme. Dein

Friz.

126. A N D E N B R U D E R

Frankfurt, d. 13 Oct. 96.

Ich bin Dir nun wieder um ein gut Theil näher als vor einiger Zeit, und fühl' es. Meinen lezten Brief erhieltst Du aus Kassel. Von da reisten wir in das deutsche Böotien, nach Westphalen, durch wilde

5 schöne Gegenden, über die Weser, über kahle Berge, schmuzige, un-beschreiblich ärmliche Dörfer und noch schmuzigere, ärmlichere holperige Wege. Diß ist meine kurze und getreue Reisebeschreibung.

In unserem Bade lebten wir sehr still, machten weiters keine Be-kanntschaften, brauchten auch keine, denn wir wohnten unter herr-

10 liehen Bergen und Wäldern und machten unter uns selbst den besten Cirkel aus. Heinze reiste und bUeb mit uns. Ich brauchte das Bad ein wenig und trank das köstliche stärkende und reinigende Mineralwasser und befand und befinde mich ungewöhnlich gut davon. Was Dich be-sonders freuen wird, ist, daß ich sagen kann, daß wir wahrscheinlich

15 nur eine halbe Stunde von dem Thale wohnten, wo Hermann die Legionen des Varus schlug. Ich dachte, wie ich auf dieser Stelle stand, an den schönen Maitagnachmittag, wo wir im Walde bei Hahrd bei einem Kruge Obstwein auf dem Felsen die Hermannsschlacht zu-sammen lasen. Das waren doch immer goldne Spaziergänge, Lieber,

20 Treuer 1 Sie sollen, wie ich hoiTe, noch schöner seyn, wenn wir einmal

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Nr.t26 B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

wieder beisammen sind. Ich wünschte der lieben Mutter emstliche

Meinung zu vernehmen über meinen Vorschlag, den ich diesen Som-

mer zu Verbesserung Deiner Lage that.

Wir wollen sie nicht bestürmen; sie wird uns genau die ökonomi-

schen Gründe sagen, die sie bestimmen, wenn sie gegen unsere Mei- 25

nung ist.

Philosophie m u ß t Du studiren, und wenn Du nicht mehr Geld

hättest, als nöthig ist, um eine Lampe und ö l zu kaufen, und nicht

mehr Zeit, als von Mitternacht bis zum Hahnenschrei. Das ist es, was

ich in jedem Falle wiederhohle, und das ist auch Deine Meinung. 30

Professoren und Universitäten kannst D u freiüch im Nothfal l

entbehren, aber ich möchte Dir denn doch gönnen, heber Junge!

daß Du Dich weniger leiden müßtest, um Dein edelstes Bedürfniß zu

befriedigen.

Es sollte mich so herzlich freuen, einmal in Dir den Denker und 35

Geschäfftsmann, wie es sich gehört, vereint zu sehen.

Geht es nicht nach Jena, so soll es wenigstens nach Frankfurt gehn.

Du sollst Dich einmal tüchtig mit mir freun. Ich schike Dir vor den

Weihnachtsfeiertagen (denn gerade um diese Zeit wird's völlig ruhig

auf den Straßen seyn); also vor den Weihnachtsfeiertagen schik' ich 40

Dir das Reisegeld, Du kaufst Dir einen warmen Mantel, sezest Dich

auf den Postwagen, bleibst einige Tage hier, besuchst den lieben

Sinklär in Homburg, und dann geht's rüstig wieder in die Amts-

stube, ohne irgend einen Aufwand.

Das, im Falle Du nicht nach Jena gehst! +5

Mir geht es gut. Du wirst mich weniger im revolutionären Zustand

finden, wenn Du mich wieder siehst; ich bin auch sehr gesvmd. Ich

schike Dir hier ein Stükchen Kasimir zu einer Weste. Unsere Messe

ist dißmal sehr leer. Wenn nur Würtemberg und meine theure Fa-

milie auch jezt vor neuen Ungelegenheiten gesichert istl Ich mag 50

nicht viel über den politischen Jammer sprechen. Ich bin seit einiger

Zeit sehr stille über alles, was unter uns vorgeht.

Grüße Alles! die theure Mutter und Schwester und Grosmamma,

und alle Andern in Löchgau und Blaubeuren besonders!

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Page 232: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.l26.i27

55 Wenn's der lieben Mutter nicht unbequem ist, bitt' ich sie, auch ein wenig das nächstemal an mich zu schreiben. Mich verlangt, auch einmal etwas von ihr zu sehen; sie ist doch wohl und ist mir noch gut?

Dein

60 Friz.

127. AN H E G E L Frankfurt, d. 24 Oct. 96.

Liebster Hegel!

Endlich geht es denn doch einmal. Du erinnerst Dich, daß ich zu Anfang des Sommers von einer

5 äußerst vorteilhaften Stelle schrieb, und daß es mein ganzer Wunsch um Deinet und meinetwillen wäre, daß Du hieherkämst, zu den braven Leuten, von denen die Rede war.

Kriegsunruhen waren wohl die Hauptursache warum ich so lange keine Antwort bekam. Ich war auch den ganzen Sommer über in

10 Kassel und Westphalen, also vollends außer Stande, Dir einige Nach-richt hierüber zu geben.

Vorgestern kömmt HE. Gogel ganz unvermuthet zu uns und sagt mir, wann Du noch frei seiest, und Lust zu diesem Verhältniß hät-test, würd' es ihm lieb seyn. Du würdest zwei gute Jungen zunächst

15 zu bilden haben, von 9—10 Jahren, würdest durchgängig ungenirt in s. Hauße leben können, würdest, was nicht unwichtig ist, ein eig-nes Zimmer bewohnen, wo Du Deine Buben nebenan hättest, wür-dest mit den ökonomischen Bedingungen sehr zufrieden seyn, von ihm und seiner Familie soll ich übrigens nicht zu viel gutes schrei-

20 ben, weil gespannte Erwartung immer schlecht befriediget würde, wollest Du aber kommen, so stehe sein Haus Dir alle Tage offen.

Nun der Commentarl weniger als 400 fl. bekömmst Du schwer-lich. Das Reisegeld wird Dir bezahlt werden, wie mir, und Du kanst wohl auf 10 Karoline rechnen. Alle Messe wirst Du ein sehr be-

25 trächtlich Geschenk bekommen. Und alles wirst Du frei haben, etwa

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Nr. 127 B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

Friseur Barbier u. was sonst Kleinigkeiten sind, ausgenommen. Du wirst sehr guten Rheinwein oder französischen Wein über Tisch trinken. Du wirst in einem Hauße wohnen, das eines der schön-sten in Frankf. ist, und auf einem der schönsten Pläze in Frankf. steht. 30

Du wirst an HE. u. Fr. Gogel anspruchlose unbefeuigne, vernünf-tige Menschen finden, die, so viel sie Beruf zum geselligen Leben haben, durch ihre Jovialität und ihren Reichtum, doch gröstentheils sich selbst leben, weil sie und besonders die Frau, mit den Frank-furter Gesellschaftsmenschen und ihrer Steifigkeit, und Geist- 35 und Herzensarmuth nicht sich befassen und verunreinigen und ihre häusliche Freude verderben mögen.

Glaube mir, durch das leztere ist alles gesagt! Endlich, Lieber, laß mich auch das Dir ans Herz legen. — Ein Mensch, der unter ziemlich bunten Verwandlungen seiner Lage und seines Karakters, dennoch +o mit Herz und Gedächtniß und Geist Dir treu geblieben ist, und gründlicher und wärmer, als je. Dein Freund seyn wird, und jedes Interesse Deines Wesens, und jede Angelegenheit des Lebens willig und freudig mit Dir theilen, und dem zu seiner schönen Lage nichts fehlt, als Du, dieser Mensch wohnt gar nicht weit von Dir, wenn Du 45 hieherkömmst.

Wirklich, Lieber, ich bedarf Deiner, und glaube, daß Du auch mich wirst brauchen können.

Wenn wir einmal auf dem Sprunge sind, Holz zu spalten, oder mit Stiefelwachs und Pomade zu handeln, dann laß uns fragen, ob es 50 nicht etwa noch besser wäre, Repetent in Tübingen zu werden. Das Stipendium riecht durch ganz Würtemberg und die Pfalz herunter mich an, wie eine Bahre, worinn schon allerlei Gewürm sich regt. Im Ernste Lieber, Du darfst Deinen Geist nicht so muthwillig auf eine so unleidliche Probe sezen. 55

Daß Du Dich auf das, was ich Dir über das ökonomische gesagt habe, verlassen kannst, muß dadurch Dir bewiesen werden, daß alle hiesigen Kaufleute in dieser Rüksicht beinahe durchaus dasselbe beobachten. Von der Hauptsumme kannst Du ganz sicher seyn. Das

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Page 234: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.127.128

60 weiß ich aus sichern Händen. Ich habe HE. Gogel gesagt, ich werde Dich bitten, Du möchtest, in einem Briefe an mich, Deine Gedan-ken über dieses Verhältniß und Deine Wünsche, so weit Du es für nötig findest, äußern, und das woU' ich ihm zu lesen geben. Du kannst also auf diese Art noch alles berichtigen, oder, wenn du lieber

65 willst, ohne alles weitere hieherkommen. Laß uns nur jezt machen, daß die Sache so schnell, ab möglich vor sich geht. Übrigens sagt mir HE. Gogel, daß er auch im Nothfalle noch ein paar Monathe warten könne. Ich hätte noch manches Dir zu sagen, aber Deine Hieher-kunft muß die Vorrede zu einem langen langen interessanten unge-

70 lehrten Buche von Dir und mir seyn. Dein

Hölderlin.

128. AN H E G E L

Frankfurt, d. 20 Nov. 96.

Liebster Hegel!

Die ganze Sache ist in's Reine gebracht. Du bekommst, wie ich vorauswußte, 400 fl, hast freie Wäsche und Bedienung im Hauße

s und die Reisekosten will HE. Gogel vergüten, wenn Du hieher kömmst, oder, wenn Du es nötig finden solltest. Dir den Wechsel nach Bern schiken. Ich schreibe Dir seine eignen Worte, die ich in diesem Augenblik von ihm erfahre.

Wolltest Du den Wechsel nach Bern haben, um anderweitige mög-10 liehe Inkonvenienzen zu vermeiden, so schreib' es mir mit nächstem,

ich will sehen, daß ich es mit Schiklichkeit besorge und ohne Dich im mindesten zu exponiren.

Daß Du erst in der Mitte des Jenners kommst, erträgt HE. Gogel geduldiger, als ich; ich wollte, wir hätten heute Neujahrsabend.

15 HE. Gogel hat Deinen Brief gelesen, und war, wie ich wohl denken konnte, sehr vergnügt darüber. Wenn Du noch der Alte bist, so wirst Du in seinem Karakter und seiner Art, sich zu äußern, sehr viel Be-ziehung mit Deiner Eigentümlichkeit finden.

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Page 235: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.l2S B R I E F E 179 6 - 1 7 9 8

Die Materie und Form des Unterrichts wird, wie natürlich Deiner Einsicht überlassen. Deine Gewandtheit in der französischen Spra- 20

che nimmt HE. G. wie ein seltnes und bedeutendes Geschenk. Seine Jungen, 2 an der Zahl, seien gut, sagt er, eines seiner 2 Mäd-

chen, denen Du aber nur gelegentlich hie und da was beibringst ist etwas hartköpfig. Das kann Dich aber nicht sehr verdrießen. Daß Deutschland in Europa liegt, behält Dir wohl jede .Wer unterhält sich 25 nicht gerne mit so einem guten Ding eine Viertelstunde?

Mit den Jungen wirst Du, so sehr der erste Unterricht unsern Geist oft drüken muß, Dich dennoch lieber beschäfftigen, als mit Staat und Kirche, wie sie gegenwärtig sind. Auch werden gewöhn-lich zum Unterricht im Schönschreiben, Rechnen, Zeichnen, Tan- 30 zen. Fechten, oder was sonst Dinge sind, die nicht gerade von uns er-wartet werden können, Meister genommen, denen man das Kind gainz wohl anvertrauen kan, so daß Du hinlänglich wirst ausruhn können.

Wir wollen brüderlich Müh' und Freude theilen, alter Herzens-freund I Es ist recht gut, daß mich die Höllengeister, die ich aus Fran- 35 ken mitnahm, und die Luftgeister, mit den metaphysischen Flügeln, die mich aus Jena geleiteten, seitdem ich in Frankfurt bin, verlassen haben. So bin ich Dir noch etwas brauchbar. Ich sehe, daß Deine Lage Dich auch ein wenig um den wohlbekannten immerheitern Sinn gebracht hat. Siehe nur zu! Du wirst bis nächsten Frühling wie- 40 der der Alte seyn. Was Du von leiten und führen sprichst, Lieber, Theurer I das hat mir wehe gethan. Du bist so manchmal mein Men-tor gewesen, wenn mein Gemüth zum dummen Jungen mich machte, und wirst's noch meinchmal seyn müssen.

Du wirst Freunde finden, wie man sie nicht überall findet. 45 Vorige Woche hab' ich Sinklair in Homburg besucht. Er freut sich

auch unendlich, daß Du komst. Ich sage Dir, Lieberl Du brauchst nichts als Dein und mein Haus, um recht glükliche Tage zu haben. Der Tag des Wiedersehens wird uns ziemlich verjüngen. Ich komme Dir bis Darmstadt entgegen, wenn sichs nur immer einrichten läßt. 50 Dann nehm' ich Dich erst zu mir, und freue mich satt an Dir und dann bring' ich Dich dem guten Gogel ins Haus.

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B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.i28.129

Ich habe vorgestern von Dir geträumt, Du machtest noch allerlei weitläufige Reisen in der Schweiz herum, und ich wollte mich todt-

55 ärgern. Nachher hatt' ich herzliche Freude an dem Traum. Leb wohl, lieber Hegel I Schreibe mir bald wieder. Wärst Du nur

schon aus dem Bemerbiet wegl Dein

Hölderlin.

129. A N S C H I L L E R

Frankfurt, d. 20 Nov. 1796.

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e r I

Es macht mich oft traurig, daß ich Ihnen nimmer, wie ich sonst wohl durfte, ein Wort aus meiner Seele sagen kann, aber Ihr gänzlich

5 Verstummen gegen mich macht mich wirklich blöde, und ich muß immer wenigstens irgend eine Kleinigkeit vorschüzen können, wenn ich mich dazu bringen soll, meinen Nahmen Ihnen wieder zu nen-nen.

Diese Kleinigkeit ist dißmal die Bitte, daß Sie die unglüküchen 10 Verse, die keinen Plaz finden konnten in Ihrem dißjährigen All-

manache, mir wieder zur Durchsicht geben möchten, denn das Manuscript, das ich Ihnen im August von Kassel aus zuschikte, war das einzige, das ich hatte.

Möchten Sie es doch nicht für verlorne Mühe halten, Ihr Unheil 15 beizusezen, denn auch hierinn kann ich alles leichter ertragen, als

Ihr Stillschweigen. Ich erinnere mich noch sehr gut jedes kleinsten Zeichens Ihrer

Theilnahme an mir. Sie haben mir auch, da ich noch in Franken lebte, einmal ein paar Worte geschrieben, die ich immer wieder-

20 hohle, so oft ich verkannt bin. Haben Sie Ihre Meinung von mir geändert? Haben Sie mich auf-

gegeben? Verzeihen Sie mir diese Fragen. Eine Anhänglichkeit an Sie, gegen

welche ich oft vergebens angieng, wenn sie Leidenschaft war, eine

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Nr.129.130 B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

Anhänglichkeit, die noch immer mich nicht verlassen hat, nöthigt 25 solche Fragen mir ab.

Ich würde mich darüber tadeln, wenn Sie nicht der einzige Mann wären, an den ich meine Freiheit so verloren habe.

Ich weiß, daß ich nicht ruhen werde, bis ich durch irgend etwas Errungenes und Gelungenes wieder einmal ein Zeichen Ihrer Zu- so friedenheit erbeute.

Glauben Sie nicht, daß ich feire, wenn ich nicht von meinen Be-schäfftigungen spreche. Aber es ist schwer, gegen die Niederge-schlagenheit auszuhalten, die einem der Verlust einer Gewogenheit giebt, wie diejenige war, die ich besaß oder mir träumte. 35

Ich bin verlegen, scrupulös über jedes Wort, das ich Ihnen sage, und doch bin ich sonst so ziemlich, wenn ich andern Menschen ge-genüber mich finde, über jugendliche ÄngstHchkeit weg.

Sagen Sie mir ein freundhch Wort, und Sie sollen sehen, wie ich verwandelt bin. 40

Ihr wahrer Verehrer Hölderlin.

130. A N D I E M U T T E R

Frankf. d. 20 Nov. 96.

Liebste Mutter 1

Ich schreibe dißmal an Sie, weil ich Ihnen zunächst von dem Ent-schlüsse, zu dem ich mich durch wohlgeprüfte Gründe bestimmt habe, wegen der Präceptoratstelle, Rechenschaft zu geben schuldig 5 bin. Seyn Sie versichert, daß es mich nicht weniger Verläugnung kostet, als Sie und meinen Karl, Ihre tägUche Gegenwart, und Ihren herzlichen Umgang entbehren zu müssen. Meine Lage ist sehr glük-lich, aber wo in der Welt vermißt man gerne seine Mutter und solch einen Bruder und seine Familie? Sie können also wohl glauben, daß lO es mir nicht so leicht wird, den günstigen ehrenhaften Ruf meiner guten Mitbürger unbenüzt zu lassen. Aber einmal wär es doch nicht dankbar, ein Haus, dem ich bisher nicht einen Zehendtheil der schö-

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B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.1)0

nen Freundschaft, die ich täglich erfahre, vergelten konnte, und mei-15 nen hofnungsvoUen Zögling zu verlassen, gerade in einem Zeit-

puncte, wo er anfangt, mein Herz und meinen Unterricht eigent-licher zu verstehen. Denn ob ein anderer ihm gerade das seyn würde, was ich ihm seyn kann, ist ungewiß. Das Kind ist von der Natur bei-nahe ganz so gemacht, wie ich, so viel ich weiß, aus ihren Händen

20 gieng, Ich finde mich tausendmal mit meinen ursprünglichen Eigen-heiten in ihm, auch das Kind ahndet in mir ein gleichgeschaffen Ge-müth und das gerade erleichtert mir meine Erziehung so sehr, das gerade scheint mir immer mehr die unumgängliche Bedingung jeder glüklichen Erziehimg zu seyn.

25 Femermüßt' ich fürchten, daß meine Gesundheit, von der ich mei-nen Geist und meinen Karakter so sehr oft abhängig fühlen mußte, leicht wieder ihr gewonnenes Gleichgewicht verlieren könnte in einer Lage, wie die angebotene seyn würde. Sie wissen, liebste Mutter,, wie ich körperlich, und gröstentheils darum auch am Gemüthe litt,

30 den Sommer über, den ich in Nürtingen zubrachte. Ich bin jezt völlig hergestellt. Aber würd' es wohl so bleiben können bei einem so im-ruhigen Amte, und würd' ich es lange mit dem gehörigen Aufwände von Kräften versehen können? Schulmeistern könnt' ich unmöglich, und 40 Knaben nach reinen Grundsäzen und mit anhaltendem be-

35 lebendem Eifer zu erziehen, ist wahrhaftig eine Riesenarbeit, beson-ders wo häusliche Erziehung und anderweitige Anstalten so sehr oft entgegenwirken.

Ferner würden die Beschäfftigungen, die, durch Natur und Ge-wohnheit, mir unentbehrliches Bedürfniß geworden sind, und ohne

40 welche für mich kein Glük der Erde genießbar ist, diese frohen, we-nigstens unschuldigen Beschäfftigungen würden beinahe ganz unter-bleiben müssen, wenn ich nicht jede Mittemacht zum Tage machen wollte, und das darf und kann ich nicht, wenn ich nicht in Einem Jahre fertig seyn will.

•5 Das sind, wie ich glaube, drei solide Gründe. Ich könnte noch manches hinzusezen, aber ich halt' es nicht für nötig, da ich weiß, wie sehr Sie aUes,was ich bisher gesagt, selbst empfinden.

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Nr.130 B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

Wir wollen uns durch Besuche und fröhliche Nachrichten, so viel es möglich ist, für den versagten näheren Umgang schadlos halten. Sie haben, wie ich noch wohl weiß, selbst sehr oft geäußert, daß Sie 50 mir nie entschieden zu einer solchen Lage rathen würden.

Danken Sie in meinem Nahmen, überall, wo meiner in sofern gedacht wird, recht herzlich 1 Sagen Sie, daß ich das Andenken mei-ner Mitbürger zu schäzen wisse und zu verdienen suche.

Dem lieben Karl wiU ich, wenn es möglich, noch morgen den er- 55 sten seiner zwei Heben Briefe besonders beantworten.

Ihnen, liebste Mutter, dank ich innigst für Ihren langen gütigen Brief. Was Sie mir über unsre ökonomischen Verhältnisse sagen, nehm' ich mit Bescheidenheit und Überzeugung an. Ich weiß gewiß, Sie werden für unsern Karl, der uns und dem Vaterlande so viel ver- 60 spricht, in der Folge thun, was Sie können, was auch ich gewissen-haft verspreche. Freuen wird Sie die Nachricht, daß einer meiner schäzbarsten Universitätsfreunde, M. Hegel aus Stutgard, durch meine Vermittlung wahrscheinlich zu Anfang des nächsten Jahrs als Hofmeister hieher in Eine der glüklichsten hiesigen Familien kom- 65 men wird. Könt' ich doch meinen Karl auch in die Nähe bringen, auf einige Zeit. Aber das darf ich vor Ihnen nicht laut sagen.

Bleiben Sie nur immer recht gesund und genießen Sie Ihr und Ihrer Kinder Glük mit ungestörtem Herzen.

Grüßen Sie alles von mir 1 Was macht die liebe Schwester und ihre 70 Familie. Es hat mich unendhch gefreut, daß all' die lieben Meihigen in dem rasenden Kriege so unbeschädigt geblieben sind. Leben Sie wohl, liebste Mutter 1

Ihr Friz. 75

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B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.iil

131. A N D E N B R U D E R

Frankfurt, d. Nov. 96.

Lieber Karll

Ich kann dißmal nur das Echo Deines ersten lieben Briefes ma-chen, nur vorerst mein herzlich Ja! sagen zu allem, was Du gesagt,

ä und muß es auf ein andermal ersparen, umständlicher mich über die nötige Geistesbildung imd eine zwekmäßige Lage, die jene unterstü-zen, und die Richtung, die jene nehmen soll, gegen Dich zu erklären.

Du hast äußerst richtig und schön in Deinen geäußerten Gesin-nungen das Feuer jugendlicher Thätigkeit, die in's Unendliche geht,

10 mit der Einschränkung derselben auf ein freies häusliches Leben gepaart. Darinn bestehet alle Lebensweisheit, daß wir uns nicht zu sehr ausdehnen und nicht zu sehr konzentriren, und ein Mensch, der bei ausgebreitetem Geiste, doch mit einfachem Herzen seinen eignen Boden pflanzt und seine Kinder erzieht, also der Mensch, der

15 Du sehr leicht werden wirst, scheint mir nach allem, was ich gedacht und erfahren, der glüklichste und der menschlichste, also der voll-kommenste Mensch zu seyn. Du wirst sicher bald eine Lage finden, wo Du doch ein paar Stunden des Tages wirst Deinen Geist aus der ermüdenden Unthätigkeit, in der er freilich durch die meisten bür-

20 gerliehen Geschaffte erhalten wird, erheben können. Wir wollen uns also trösten, bis auf bessere Zeit, die Du dann dop-

pelt kräftig und glüklich benüzen wirst, weil Du sie durch Entbehren schäzen gelernt hast. Es ist auch noch etwas, das Dich trösten muß, nämlich die unläugbare Wahrheit, daß jeder nicht gemeine Kopf die

25 Sphäre, wo er sich findet, sie sey auch welche sie wolle, zuweilen zu enge finden muß. Ich sage zuweilen I denn er besinnt sich auch wieder und sagt sich, daß ein unendlicher Spielraum die Entwiklung des Gei-stes wohl noch weniger dürfte begünstigen, als ein beschränkter.

Du hast bisher mit Deiner Lage wie ein edler Kämpfer gerungen. 30 Thue es noch eine Weile und die schlimmste Periode wird überstan-

den seyn.

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Nr.131.132 B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

Über die vorgeschlagene Reise nachFrankfurt sagstDu mir gar nichts. Über Fichte's Naturrecht will ich Dir das nächstemal schreiben.

Ich möchte Dir gerne etwas Gründliches und Vollständiges sagen und habe jezt nicht Zeit dazu. 35

Mein Hyperion wird wohl bis nächste Ostern auf einmal ganz er-scheinen. Zufälle haben seine Erscheinung verzögert.

Sei doch so gut, Lieber! und schike mir die zwei schwäbischen Alhnanache, worinn meine früheren Gedichte gedrukt sind, ich möchte sie gerne durchfeilen, und habe kein Manuscript davon. 40

Lebe wohl, mein Karl! Nimm vorlieb für dißmal. Dein

Friz.

132. AN JOHANN G O T T F R I E D E B E L

Frankfurt. d. 10 Jan. 97.

Mein Theurer!

Ich zögerte blos deswegen so lange mit einer Antwort auf Ihren ersten Brief, weil ich fühlte, wie viel darauf zu antworten war, und 5 weil mir kein Moment, wo ich Muße hatte, Ihnen zu schreiben, reich genug war, um Ihnen alles zu sagen, was ich wünschte.

Es ist herrlich, lieber Ebel! so getäuscht und so gekränkt zu seyn, wie Sie es sind. Es ist nicht Jedermanns Sache, für Wahrheit und Ge-rechtigkeit sich so zu interessiren, daß man auch da sie siehet, wo sie lo nicht ist, und wenn der beobachtende Verstand vom Herzen so be-stochen wird, so darf meui wohl sich sagen, daß das Herz zu edel sei für sein Jahrhundert. Es ist fast nicht möglich, unverhüllt die schmuzige Wirklichkeit zu sehen, ohne selbst darüber zu erkranken; das Auge thut wohl, so lange es kann, dem Splitter sich zu verschlie- 15 ßen, und dem Rauch und Staube, der sich ihm aufdringt, und so ists auch ein schöner Instinkt des Menschen, manches, was nicht unmit-telbar sein Stoff ist, fröhlicher anzusehen. Aber Sie halten denn doch es aus und ich schäze Sie eben so sehr darum, daß Sie jezt noch sehen mögen, als darum, daß Sie zuvor nicht ganz so sahn. 20

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B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.l}2

Ich weiß, es schmerzt unendlich, Abschied zu nehmen, von einer Stelle, wo man alle Früchte und Blumen der Menschheit in seinen Hoffhungen wieder aufblühn sah. Aber man hat sich selbst, und wenige Einzelne, und es ist auch schön, in sich selbst und wenigen

25 Einzelnen eine Welt zu finden. Und was das Allgemeine betrift, so hab' ich Einen Trost, daß nem-

lich jede Gährung und Auflösung entweder zur Vernichtung oder zu neuer Organisation nothwendig führen muß. Aber Vernichtung giebts nicht, also muß die Jugend der Welt aus unserer Verwesimg

30 wieder kehren. Man kann wohl mit Gewißheit sagen, daß die Welt noch nie so bunt aussah, wie jezt. Sie ist eine ungeheure Mannigfal-tigkeit von Widersprüchen und Kontrasten. Altes und Neues! Kultur und RohheitI Bosheit und Leidenschaft! Egoismus im Schaafpelz, Egoismus in der WolfshautI Aberglauben und Unglauben! Knecht-

35 Schaft und Despotism! unvernünftige Klugheit, unkluge Vernunft! geistlose Empfindung, empfindungsloser Geist! Geschichte, Erfah-rung, Herkommen ohne Philosophie, Philosophie ohne ErfahrungI Energie ohne Grundsäze, Grundsäze ohne Energie! Strenge ohne Menschlichkeit, Menschlichkeit ohne Strenge! heuchlerische Gefäl-

40 ligkeit, schaamlose Unverschämtheit! altkluge Jungen, läppische Männer! — Man könnte die Litanei von Sonnenaufgang bis um Mit-ternacht fortsezen und hätte kaum ein Tausendtheil des menschlichen Chaos genannt. Aber so soll es seyn! Dieser Charakter des bekannte-ren Theils des Menschengeschlechts ist gewiß ein Vorbote außeror-

ts dentlicher Dinge. Ich glaube an eine künftige Revolution der Ge-sinnungen und Vorstellungsarten, die alles bisherige schaamroth machen wird. Und dazu kann Deutschland vieleicht sehr viel bei-tragen. Je stiller ein Staat aufwächst, um so herrlicher wird er, wenn er zur Reife kömmt. Deutschland ist still, bescheiden, es wird viel

50 gedacht, viel gearbeitet, und große Bewegungen sind in den Herzen der Jugend, ohne daß sie in Phrasen übergehen wie sonstwo. Viel Bildung, und noch unendlich mehr! bildsamer Stoff! — Gutmütigkeit und Fleiß, Kindheit des Herzens vmd Männlichkeit des Geistes sind die Elemente, woraus ein vortrefliches Volk sich bildet.Wo findet

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Nr.132.133 B R I E F E 1 79 6 - 1 79 8

man das mehr, als unter den Deutschen? Freilich hat die infame 55 Nachahmerei viel Unheil unter sie gebracht, aber je philosophischer sie werden, um so selbstständiger. Sie sagen es selbst, Lieber! man solle von nun an dem Vaterlande leben. Werden Sie es bald thun? Kom-men Siel Kommen Sie hieherl Ich begreife Sie nicht, wenn Sie nicht hieher kommen. Sie sind ein armer Mann in Paris. Hier ist Ihr Herz 60 sehr, sehr reich, reicher, als Sie vieleicht selbst einsahn, und Ihr Geist darbt, wie ich meine doch auch nicht. Sie haben Freunde hier, haben noch mehr. Ich wußte nicht, böser Mensch, wie ungenügsam Sie wa-ren . Jezt weiß ichs. Ich messe die Menschen mit keinem kleinen Maas-staab und kenne gewiß Ihr Innerstes, lieber Ebel! und so muß ich 65 sagen, ich begreife nicht, wie Sie unzufrieden seyn konnten mit Menschen, oder vielmehr mit Einer Seele, — das gute Mädchen sagte mir neulich, sie wisse keinen vollkommneren Menschen, als Ebel, und die Thränen standen ihr in den Augen; aber das sollt' ich wohl eigentlich nicht verrathen. — Auch sonst werden Sie ganz sich wieder 70 finden in unserem Cirkel. Hegel ist, seit ich den Brief anfieng, hie-hergekommen. Sie werden ihn gewiß liebgewinnen.

HE. u. Fr. Gontard läßt Sie durch mich grüßen. Auch Henry! Leben Sie wohl! Kommen Sie bald.

Hölderlin. 75

Hegel war mit Gogel von hier in ein Verhältniß getreten, eh' Ihr lezter Brief ankam. Ich suche aber einen anderen, der Ihnen kon-veniren könnte.

1 3 3 . A N D E N B R U D E R

Frankfurt, d. 10 Jan. 97.

Lieber Karl!

Die Briefe von unserer lieben Mutter und Dir waren des langen Harrens wohl werth.Es freute mich jede Sylbe darinn.

Daß Deine Lage sich so günstig verändert hat, freut mich beson- 5 ders. Ich glaube wirklich, daß B. der Mann ist, Dich zu schäzen und von Dir geschäzt zu werden. Du kennst ihn auch so weit, daß Du

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B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.l33

hoffen kannst, mit ihm in vernünftigen Gesprächen Deinen Geist, wo nicht zu bereichern, doch zu beleben. Er ist Mathematiker, und

10 es wird Dir sehr wohl thun, nach Vollendung des naturrechtlichen Studiums, an die Mathematik zu gehen, die, wie Du finden wirst, die einzige Wissenschaft ist, die der möglichen wissenschaftlichen Voll-kommenheit des Naturrechts an die Seite gesezt werden kann. Ich beschäfftige mich jezt häufig mit dieser herrlichen Wissenschaft, und

15 finde, um es noch einmal zu sagen, daß diese — und die Rechtlehre, wie sie werden kann und muß, die einzigen, in diesem Grade voll-kommenen reinen Wissenschaften sind im ganzen Gebiete des menschlichen Geistes. Ich will besonders mündlich mich sehr viel gegen Dich über das Naturrecht, und dann auch über die Parallele,

20 in die ich es gesezt habe, erklären. Aber was mir jezt eigentlich am Herzen liegt, ist die Hoffnung, Dich wieder zu sehen. Ich danke Dir recht sehr, lieber Karl, daß Du mir so meinen Willen thust und kommst. Es soll Dich nicht reuen. Es wird Dein Wesen unendlich befreien, Dich einmal außer den Gränzen von Gesellschaft und

25 Land, worinn Du bisher gelebt, zu sehen. Für einen, der so einge-zogen lebte, wie Du, ist eine Reise nach Frankfurt ein eben so reich-haltiger Genuß, als vieleicht für manchen eindern eine durch halb Europa. All' meine Freuden, alles, was in meinem Herzen Jugend-liches ist, will ich an Dein Herz drüken. Du wirst mich gesundern,

30 ordentlichem Sinnes finden. Für Dein Logis ist gesorgt. Wie gedenkst Du Deine Reise zu machen? Für jeden Fall schik' ich Dir vier Caro-line. Ist's nicht genug, so sag' es gerade heraus. Für die Rükreise will ich dann schon auch wieder sorgen, wenn es noth thut.

Sage der lieben Mutter tausend Dank für ihren gütigen Brief. Ich 35 will das nächstemal an sie schreiben, und auch an die liebe Schwester.

Jezt hab' ich noch beinahe ein halb Duzend Briefe zu expediren. Über meine Arbeiten noch immer kein Wort I Laß mir den Eigensinn, lie-ber Karl! Ich denke am Ende denn doch Deine brüderliche Theil-nahme zu befriedigen.

•0 Sey so gut, Lieber! schreib' mir dißmal recht bald wieder, wenn ich schon dißmal so kurz weg schreibe, so geschieht es aus Nothwendigkeit.

Dein Friz.

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Nr.l34 B R I E F E 179 6 - 1 7 9 8

134. A N D I E M U T T E R

d. 30 Jan. 97 Liebste Mutter!

Ich bin glüklich und unglüklich durch Ihre Güte. Ich sollte sie er-wiedern, durch völlige Befriedigung Ihrer mütterUchen Wünsche, und ich könnte doch diß nur auf eine Art, die Ihnen selbst über kurz 5 oder lange unangenehm seyn müßte. Wenn Sie meinen Karakter be-urtheilten, wie ich ihn selber beurtheilen muß, so würden Sie ziem-lich resignirt seyn, wenn ich zwar die Ehre, die mir durch das be-wußte Anerbieten geschiehet, mit ungeheucheltem Dank annehme, aber das Glük, das ich bei jeder andern Art zu denken und zu emp- lo finden gewiß ergriffen haben würde,nicht benüze.

Liebe Mutter 1 man begehrt einen tauglichen Menschen. Bin ich denn das, wenn ich ehrlich seyn will?

Ist das Alter und die Stimmung, worinn ich lebe tauglich zu irgend einem festen häuslichen Verhältniß? Wie viele Bedürfnisse, mich zu 15 bilden und zu wirken, hab' ich noch, die in einer Lage, wie meine künftige seyn würde, unmöglich sich befriedigen lassen würden ? Wie viele Foderungen mach' ich an den Menschen überhaupt, wie un-endlich viele würd' ich machen, an das Wesen, das ausschließend und daurend mich interessiren sollte? Man muß älter, muß durch man- 20

cherlei Versuche und Erfahrungen genügsamer geworden seyn, um sich zu sagen: hier will ich stehen bleiben und ruhn!

Ich bitte, halten Sie diß für keine Grillen, keine Phantasien, wie mein gewöhnüch unter meinen Landsleuten derlei Äußerungen zu nehmen pflegt. Es ist kein Unverstand, daß ich hierinn der Natur 25 folge, und, in jener Rüksicht, mich frei erhalte, so lang ich kann; gerade, weil ich mich und jeden, der mir hierinn gleicht, besser, als gewöhnlich ist, verstehe, gerade darum folg' ich der Natur.

Es wird schon einmal anders werden. Ein ruhiger Ehemann ist eine schöne Sache; nur muß man einem nicht sagen, daß er in den 30 Hafen einlaufen soll, wenn er von seiner Fahrt die Hälffte kaum zu-rükgelegt hat.

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Page 246: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

D R I E F E 179 6 - 1 7 9 8 Nr.13*

Und dann fühl ich auch mich tüchtiger zum Erzieher als zum Pre-digtamt. Ich würde schwerlich in den Vortrag, der bei unsern Ge-

35 meinden eingeführt und unumgänglich ist, so gut einstimmen und so leicht, als nötig wäre, da ich hingegen ein Amt, wie mein gegen-wärtiges ist, würd' es auch ausgebreiteter, so ziemlich erfüllen zu können glaube. Das Lehramt ist auch überhaupt, so viel ich sehe, bei den jezigen Zeiten wirksamer, als das Predigtamt. Ich glaube,

•0 ich habe Ihnen diß schon in dem lezten Briefe geäußert, auch münd-lich, so viel ich mich erinnere.

Auch werden Sie mir nicht verdenken, wenn ich gestehe, daß ich für mein Wesen, und seine Bedürfnisse, meine gegenwärtige Lage für die angemessenste halte. Der 1. Bruder soll Ihnen bei seiner Zu-

45 rükkunft sagen, ob es leicht sei, edle Menschen zu verlassen, wie diese bei denen ich lebe, und einen gebildeten Umgang aufzugeben, wie der ist, den ich täglich genieße. HE. u. Fr. Gontard fühlen ganz mit mir, wie sehr es Ihrem mütterlichen Herzen angelegen seyn muß, mich nahe zu haben.Wir haben mit herzlichem Antheil über Ihren

50 lieben Brief zusammen gesprochen. Wir haben Sie gewiß verstanden, liebste Mutter 1

Aber Sie verlieren ja gar nichts, wenn ich hier bleibe. Ich hätt' in der Entfernung, die Sie mir bestimmten, Sie jährlich einmal besucht. Das kann und will ich auch von hier aus.

55 Ich hätt' Ihnen alle Wochen Nachricht gegeben. Das kann und will ich auch von diesem Tage an von hier aus.

Sie hätten an meinem ökonomischen Zustand Freude gehabt. Das können Sie auch jezt und mehr!

Ich bin auch so gesund seit langer Zeit noch keinen Winter ge-60 wesen, und ich bin gewarnt genug, in dieser Rüksicht ohne Zwcmg

die Lage nicht zu wechseln. Die Eile verbietet mir, alles mögliche auszuführen, was Sie über meinen Entschluß beruhigen und erhei-tern kann. Geben Sie deswegen Ihre Theilnahme an meinem Wohl-seyn nicht auf, theuerste Mutter 1 Machen Sie sich alle guten Hof-

65 nungen von meiner und Ihrer Zukunft! denn ich denke, sie sollen sich erfüllen.

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Page 247: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.l34.ns B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

Der lieben Schwester und dem Karl schreib ich morgen und schik' ihm zugleich das kleine Reisegeld.

Ewig Ihr 70

treuer Sohn Hölderlin.

135. AN D E N BRUDER

Frankfurt, d. 4 Febr. 97.

Es bekümmert mich jezt manchmal, wenn ich denke, daß ich der lieben Mutter und Dir die schönen Plane so verrüke. Aber das muß Dich ohne weiteres vermuthen lassen, daß mein Innerstes mich dringt, der angebotnen Lage dißmal auszuweichen, weil ich alle die 5 immertreue Anhänglichkeit ein euch, ihr Lieben! zu bekämpfen habe,und nicht von dieser überwunden werde.

Ich mochte den Punct, über den Du besonders mich zu beruhigen suchtest, in meinem lezten Briefe nicht berühren, weil ich vermu-then konnte, daß der Brief in fremde Hände vieleicht gehen müßte. lo Du siehest aber selber, lieber Bruder! wie das Dein und mein Herz drüken müßte, wenn wir uns in eine solche innige Verbindung mit einem Wesen wagten, das wir, ohne eine vakante Pfarrstelle oder dergleichen, im Leben vieleicht mit keinem Auge gesehn, oder auch bei gelegentlicher Ansicht wahrscheinlich doch wohl nicht als das 15 Einzige betrachtet hätten, womit wir einen Bund aufs ganze Leben schließen möchten. Ein solch Verhältniß muß, nach meiner Mei-nung, nicht einmal veranlaßt seyn durch eine andre Rüksicht. Es darf in beeden Theilen nicht der leise Wunsch sich regen, daß man sich gefallen möchte, weil es so gerade recht sich schikte. Da ferner 20

schon die Erklärung gegeben ist, daß nur ein solcher, der das Mäd-chen heurathete, den Dienst bekommen sollte, so war' es ungereimt, noch um die Erklärung zu bitten, daß einzig um der eigenen Taug-

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Page 248: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.l3S.l)6

lichkeit willen und sonst aus keiner andern Rüksicht einem die Stelle 25 wäre zuerkannt worden. Und nur bei einer solchen Erklärung könnt'

ich mich entschließen, einen solchen Dienst zu nehmen, wenn nicht andere Gründe mich bestimmten, überhaupt noch jezt nicht einen solchen Dienst zu nehmen. Diese andern Gründe hab' ich in mei-nem lezten Briefe genannt.

30 Schickt ihm das Reisegeld für die Reise nach Frankfurt.

136. AN N E U F F E R

Frankfurt, d. 16 Febr. 97.

Mein Theuererl

Ich habe eine Welt von Freude umschifft, seit wir uns nicht mehr schrieben. Ich hätte Dir gerne indeß von mir erzählt, wenn ich jemals

5 stille gestanden wäre und zurükgesehen hätte. Die Wooge trug mich fort; mein ganzes Wesen war immer zu sehr im Leben, um über sich nachzudenken.

Und noch ist es sol noch bin ich immer glüklich, wie im ersten Moment. Es ist eine ewige fröhliche heilige Freundschaft mit einem

10 Wesen, das sich recht in diß arme geist- u. ordnungslose Jahrhundert verirrt hati Mein Schönheitsinn ist nun vor Störung sicher. Er orien-tirt sich ewig an diesem Madonnenkopfe. Mein Verstand geht in die Schule bei ihr, und mein uneinig Gemüth besänftiget, erheitert sich täglich in ihrem genügsamen Frieden. Ich sage Dir, lieber Neuffer!

15 ich bin auf dem Wege, ein recht guter Knabe zu werden. Und was mich sonst betrift, so bin ich auch ein wenig mit mir zufriedner. Ich dichte wenig und philosophire beinahe gar nicht mehr. Aber was ich dichte, hat mehr Leben und Form; meine Phantasie ist williger, die Gestalten der Welt in sich aufzunehmen, mein Herz ist voll von

20 Lust; und wenn das heilige Schiksaal mir mein glüklich Leben er-hält, so hoff ich künftig mehr zu thun, als bisher.

Ich denke mir wohl, lieber Bruder! daß Du begierig seyn wirst, umständlicher von meinem Glüke mich sprechen zu hören. Aber ich

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Page 249: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr. 122 B R I E F E 179 6 - 1 7 9 8

d a r f n i c h t ! I c h h a b e s c h o n o f t g e n u g g e w e i n t u n d g e z ü r n t ü b e r u n -

sere W e l t , w o das Beste n i c h t e i n m a l in e i n e m P a p i e r e , das m a n 25

e i n e m F r e u n d e s ch ikt , s i ch n e n n e n d a r f . I c h l e g e D i r e i n G e d i c h t a n

Sie b e i , das i ch z u E n d e des v o r i g e n W i n t e r s m a c h t e .

D e n S o m m e r ü b e r h a b ' i c h in Kassel u n d in e i n e m W e s t p h ä l i s c h e n

B a d e , i n d e r G e g e n d d e r a l ten H e r m a n n s s c h l a c h t , g e l e b t , g r ö s t e n -

thei ls in G e s e l l s c h a f t v o n H e i n z e , d e n D u als V e r f . des A r d i n g h e l l o 30

k e n n s t . E r ist e i n h e r r l i c h e r a l t e r M a n n . I c h h a b e n o c h n i e so e i n e

g r ä n z e n l o s e G e i s t e s b i l d u n g b e i so v i e l K i n d e r e i n f a l t g e f u n d e n .

V o n m e i n e m H y p e r i o n w i r d d e r erste B a n d bis n ä c h s t e O s t e r n e r -

s c h e i n e n . Z u f ä l l i g e U m s t ä n d e v e r z ö g e r t e n d i e H e r a u s g a b e so l a n g e .

M e i n e A u s w a n d e r u n g aus F r a n k f u r t u n d d ie Z e r s t r e u u n g e n d e r 35

R e i s e w a r e n S c h u l d , d a ß i ch n i c h t z u r e c h t e r Z e i t in d e n S c h i l l e r -

s c h e n A l l m a n a c h e twas s c h i k e n k o n n t e . Nächstes Jahr h o f f ' i ch a u c h

w i e d e r an D e i n e r Se i te z u e r s c h e i n e n , L i e b e r l D a s L i e d , das i c h v o n

D i r d a r i n n f a n d , ist s ehr a u s g e a r b e i t e t . S c h r e i b e m i r r e c h t v i e l v o n

D e i n e n A r b e i t e n , D e i n e m G e s c h m a k , D e i n e r S t i m m u n g ! W i r w o l - +0

l e n w i e d e r s c h n e l l e r d i e B r i e f e w e c h s e l n . H e g e l s U m g a n g ist s ehr

w o h l t h ä t i g f ü r m i c h . I c h l i e b e d i e r u h i g e n V e r s t a n d e s m e n s c h e n ,

w e i l m a n s ich so g u t b e i i h n e n o r i e n t i r e n I t a n n , w e n n m a n n i c h t

r e c h t w e i ß , in w e l c h e m Fal le m a n m i t s ich u n d d e r W e l t b e g r i f f e n

ist. 45 I c h w o l l t e D i r so v i e l s c h r e i b e n , bes te r N e u f f e r l a b e r d i e a r m e n

M o m e n t e , d i e i c h h a b e d a z u , s ind so sehr w e n i g , u m das D i r m i t z u -

t h e i l e n , w a s in m i r w a l t e t u n d l e b t ! Es ist a u c h i m m e r e i n T o d f ü r

u n s r e stille S e e l i g k e i t , w e n n sie z u r S p r a c h e w e r d e n m u ß . I c h g e h e

l i eber so h i n i n f r ö h l i c h e m s c h ö n e m F r i e d e n , w i e e i n K i n d , o h n e z u 50

ü b e r r e c h n e n , w a s i ch h a b e u n d b i n , d e n n w a s i c h h a b e , f a ß t j a d o c h

k e i n G e d a n k e n i c h t g a n z . N u r i h r B i l d m ö c h t ' i ch D i r z e i g e n u n d so

b r a u c h t e es k e i n e r W o r t e m e h r ! Sie ist s c h ö n , w i e E n g e l . E i n zartes

ge ist iges h i m m l i s c h r e i z e n d e s G e s i c h t ! A c h 1 i ch k ö n n t e e i n J a h r t a u -

send l a n g in see l iger B e t r a c h t u n g m i c h u n d alles v e r g e s s e n , b e i i h r , 55

so u n e r s c h ö p f l i c h r e i c h ist d iese a n s p r u c h l o s e stil le S e e l e in d i e s e m

B i l d e ! M a j e s t ä t u n d Z ä r t l i c h k e i t , u n d F r ö h l i c h k e i t u n d E r n s t , u n d

236

Page 250: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.l}6.13?

süßes Sp ie l u n d h o h e T r a u e r u n d L e b e n u n d Ge i s t alles ist in u n d a n

i h r z u E i n e m g ö t t l i c h e n G a n z e n v e r e i n t . G u t e N a c h t , m e i n T h e u r e r !

60 » W e n d i e G ö t t e r l i e b e n , d e m w i r d g r o ß e F r e u d e , g r o ß e s L a i d z u

T h e i l . « A u f d e m B a c h e z u s c h i f f e n , ist k e i n e K u n s t . A b e r w e n n u n s e r

H e r z u n d u n s e r Schiksaal in d e n M e e r s g r u n d h i n a b u n d a n d e n H i m -

m e l h i n a u f u n s w i r f t , das b i l d e t d e n S t e u e r m a n .

D e i n

65 H ö l d e r l i n .

137. A N D I E S C H W E S T E R F r a n k f . a . M . d . l 7 F e b r . 97 .

Beste S c h w e s t e r I

D u hast m i r g r o ß e F r e u d e g e m a c h t m i t D e i n e m B r i e f . I c h f i n d e

es n i c h t ü b e l , d e n s c h ö n e n G e n u ß , d e n e r m i r g a b , m i r so o f t , als

5 m ö g l i c h z u v e r v i e l f ä l t i g e n u n d v e r s p r e c h e D i r d e s w e g e n , m i t s t r e n g -

ster G e w i s s e n h a f t i g k e i t j e d e n D e i n e r B r i e f e z u b e a n t w o r t e n u n d

w e r m al le T a g e e i n e r k ä m e . D i ß w i r d n u n n i c h t d e r Fal l s e y n , a b e r

i c h r e c h n e d o c h v o n n u n a n a u f 2 des M o n a t s . D e i n e N e u i g k e i t e n

w a r e n m i r al le interessant . D a ß C a m e r e r s ich m e i n e r n o c h o f t e r i n -

10 n e r t , f r e u t m i c h ä u ß e r s t . E r ist e i n e r v o n d e n w e n i g e n M e n s c h e n ,

d i e m i c h e i g e n t l i c h k e n n e n ; u n d das ist i h m sehr l e i c h t g e w o r d e n ,

d e n n e r sah m i c h in J e n a fast a l le T a g e , a n L e i b u n d See le i m h ö c h -

sten N e g l i g e e . M i r ist er d u r c h d iesen U m g a n g aufs g a n z e L e b e n l i eb

g e w o r d e n , u n d i c h f r e u e m i c h d e s w e g e n r e c h t sehr , d a ß er in B l ä u -

i s b e u r e n u n d in D e i n e r G e s e l l s c h a f t l e b t . I c h g l a u b e . D e i n e F r e u n d i n

h a t a n i h m d e n M a n n g e w ä h l t , d e r i h r e inz ig a n g e m e s s e n ist. E i n e

F r a u v o n l e b e n d i g e m G e i s t ist a m b e s t e n b e r a t h e n d u r c h e i n e n

r u h i g e n gesez ten M a n n , w i e K a m m e r e r ist.

I c h w ü n s c h t e jezt m a n c h m a l D e i n e Fe l sen u n d W ä l d e r i m d B e r g e

20 vmd D e i n B lau t h a i , statt m e i n e r P r o m e n a d e n u m m i c h z u h a b e n ;

n a t ü r l i c h m ü ß t e s t D u a u c h dabe i s e y n .

D u w ü r d e s t D e i n e g r o ß e F r e u d e h a b e n , w e i m D u sähest , w i e g u t

m i r s g e h t , i m d w i e i c h a n f a n g e , i m m e r m e h r n a c h D e i n e m S i n n e z u

237

Page 251: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.137.i38 B R I E F E 1 79 6 - 1 7 9 8

w e r d e n , z u f r i e d n e r z u s e y n , m e h r G l e i c h g e w i c h t in m i r z u h a b e n .

W ä r ' es n i c h t m ö g l i c h g e w e s e n , d a ß u n s e r Kar l in G e s e l l s c h a f t 25

D e i n e s l i e b e n M a n n e s hätte z u m i r k o m m e n k ö n n e n ? D u sol ltest

d o c h e i n m a l D e i n e Ü b e r r e d u n g s k u n s t a n i h m v e r s u c h e n . Ist es j ez t

n i c h t m ö g l i c h , d a ß e r d i e f r e u n d s c h a f t l i c h e , g e s u n d e R e i s e m a c h t ,

so f i n d e t s ich v i e l e i c h t d o c h n o c h e i n g ü n s t i g e r e r Z e i t p u n c t . I c h d a r f

es ja d o c h so s chne l l n i c h t w a g e n , z u E u c h z u k o m m e n , w e n n i c h 30

n i c h t des H e i m w e h s w i l l v e r d ä c h t i g w e r d e n .

I c h g l a u b e . D u w i r s t es u n t e r d e n G r ü n d e n , d i e i ch g e n a n n t , n i c h t

u n v e r n ü n f t i g f i n d e n , d a ß i ch d e n b e k a n n t e n V o r s c h l a g w e g e n d e r

P farrs te l l e so u n d n i c h t anders b e a n t w o r t e t h a b e . Es sol l te m i r

ä u ß e r s t la id t h u n , w e n n m e i n e F a m i l i e es n i c h t b i l l i g t e , d a ß i ch f ü r 35

j ez t , w o h l a u c h f ü r k ü n f t i g , a u f e i n e m s o l c h e n W e g e m e i n G l ü k

n i c h t s u c h e .

D e i n e l i e b e n K i n d e r g r ü ß e v o n m i r . S ie so l len n u r g e s u n d b l e i b e n .

I c h g l a u b e , Chr i s t ian w i r d D i r i m m e r m e h r F r e u d e m a c h e n , je m e h r

es Z e i t s e y n w i r d , w o sein g u t e r K o p f s ich e n t w i k e l n m u ß . D e r k l e i - 40

n e n P u p p e n k ö n i g i n m ö c h t ' i ch e i n m a l z u s e h n 1

S c h r e i b e m i r b a l d w i e d e r , beste S c h w e s t e r 1

D e i n

t r e u e r B r u d e r

F r i z . 45

158. A N D I E S C H W E S T E R

F r a n k f u r t , d . A p r . 9 7 .

L i e b s t e S c h w e s t e r !

I c h k a n n m i r d e n k e n , d a ß D u u n s e r n B r u d e r i m G e i s t e h i e h e r

b e g l e i t e t h a s t ; i ch w o U t ' , es hät te w i r k l i c h g e s c h e h e n k ö n n e n .

S e i n B e s u c h h a t m i r sehr h e i t e r e T a g e g e m a c h t . I c h w a r w e i t 5

w e n i g e r gesezt b e i m ers ten E m p f a n g ; d e n a r m e n J u n g e n hat te d e r

P o s t w a g e n so gesezt g e m a c h t . E r t h a u t e m i r a b e r b a l d a u f . E r m u ß t e

g l e i c h d e n a n d e r n T a g m i t m i r n a c h H o m b u r g h i n ü b e r , z u S ink lär ,

e i n e m g a n z v o r z ü g l i c h e n j u n g e n M a n n e , d e r m e i n F r e u n d ist , i m

238

Page 252: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.l}3

10 g r ü n d l i c h s t e n S i n n e des W o r t s . T a g s d a r a u f g i e n g es v o n H o m b u r g

a u f das G e b i r g e d e r G e g e n d , v o n dessen Spize w i r v i e l e M e i l e n h i n -

a u f d e n k ö n i g l i c h e n R h e i n u n d se inen k l e i n e r n B r u d e r , d e n M a i n

u n d d ie g r ü n e n u n e n d l i c h e n E b e n e n s a h n , d i e z w i s c h e n d e n b e e d e n

S t r ö m e n l i e g e n , u n d F r a n k f u r t m i t d e n l i e b l i c h e n D ö r f e r n u n d

15 W ä l d c h e n d ie d r u m h e r u m l i e g e n , u n d das stolzere M a i n z u n d d ie

h e r r l i c h e n F e r n e n , d i e F r ä n k i s c h e n G e b i r g e u n d W ä l d e r d e n Spes -

sart u n d das R h ö n g e b i r g e , a u f e i n e r Se i t e , a u f d e r a n d e r n d e n H u n d -

r ü k e n , w e i t e r h i n a u f d i e B e r g e a n d e r Bergs t raße u n d d ie i m Elsaß

u n d h i n t e r u n s d ie h ö c h s t e n G e b i r g s p i z e n in d e r G e g e n d v o n B o n n

20 U.S .W.

D a n n g i e n g es h e r a b n a c h M a i n z ; das I n n e r e d e r Stadt k ö n n t ' u n s

w e n i g i n t e r e s s i r e n ; d i e g r o ß e n V e s t u n g s w e r k e k o n n t e m a n n i c h t

w o h l s e h e n , o h n e s ich d e m Mi l i ta i r a u s z u s e z e n ; d i e K i r c h e n s ind

n i e d e r g e s c h o s s e n o d e r z u M a g a z i n e n g e m a c h t , interessante M e n -

25 sehen s ind jezt a u c h n i c h t zah l re i ch d a , ü b r i g e n s f r e u t e es d o c h d e n

K a r l , e i n e n m e i n e r B e k a n n t e n , d e n P r o f . V o g t , k e n n e n z u l e r n e n , d e r

d u r c h se ine Schiksaale , d i e d u r c h d ie e n t f e r n t e T h e i l n a h m e a n d e r

M a i n z e r R e v o l u t i o n v e r a n l a ß t w u r d e n , n o c h m e h r a b e r d u r c h s e i n e n

r e i n e n e i n f ä l t i g e n Karakter u n d se inen Ge i s t u n d se ine K e n n t n i s s e

30 w i r k l i c h e i n m e r k w ü r d i g e r M a n n in m e i n e n A u g e n ist.

Ü b e r d ie M a i n z e r G e g e n d soll D i r Kar l selbst e twas s a g e n . V o n

H e r z e n gehts i h m g e w i ß 1 D a n n b l i e b e n w i r n o c h e i n i g e T a g e h i e r

z u s a m m e n , m a c h t e n k l e i n e E x k u r s i o n e n , u n d w ä r e n w a h r s c h e i n l i c h

n o c h e i n i g e T a g e l ä n g e r z u s a m m e n g e b l i e b e n , hä t t en n i c h t d i e H e r r n

35 R e p u b l i k a n e r u n s e i n e n Str i ch d u r c h d ie R e c h n u n g g e m a c h t . W i r

sahn des M o r g e n s e i n e n k l e i n e n T h e i l d e r Ka i ser l i chen retraite. E i n

Z u g aus d ieser P h y s i o g n o m i e sagte u n s g e n u g . W i r besch lossen , d a ß

u n s e r A b s c h i e d s c h o n N a c h m i t t a g s d a r a u f g e s c h e h e n so l l te . I c h b e -

g le i t e te d e n g u t e n B r u d e r n o c h e i n e S t u n d e w e i t , u n d so k a m e n w i r ,

40 sehr s chne l l u n d sehr s c h w e r , v o n e i n a n d e r .

D e n z w e i t e n T a g n a c h Karls A b r e i s e w a r d ie Französ i sche K a v a l -

l e r i e s c h o n v o r u n s e m T h o r e n , b e i n a h e in d e m s e l b e n A u g e n b l i k e , d a

e i n K u r i e r v o n B u o n a p a r t e a n G e n . H o c h e h i e r d u r c h k a m , u n d d ie

239

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Nr.l38 B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

ganze Stadt mit Friedensjubel erfüllt hatte. Es war eine ganz eigne Situation. — Die Franzosen vor den Thoren wollten auf die Friedens- +5 nachricht keine Rüksicht nehmen; (sie wollten ihrer ordre folgen, auch die Frankfurter Messe ein klein wenig plündern) Gen. Hoche, an den der Kurier war, war noch nicht gegenwärtig, und so war man einen ganzen Mittag ungewiß, wie es werden würde, denn einen emstlichen Angriff hätte die kaiserliche Garnison nicht abgewartet. 50 Aber die beederseitigen Generäle kamen denn doch zu einem Waf-fenstillstand endlich überein; die Franzosen zogen sich hinter die Nied, ein paar Stunden von hier zurük, und wir leben jezt wieder ganz ruhig.

Nächster Woche ziehn wir wahrscheinlich in ein Landhaus bei der 55 Stadt, das HE. Gontard gemiethet hat. Das Haus selbst ist treflich gemacht und man wohnt mitten im Grünen, am Garten unter Wie-sen, hat Kastanienbäume um sich herum und Pappeln, und reiche Obstgärten und die herrliche Aussicht aufs Gebirg. Je älter ich werde, ein desto größer Kind bin ich mit dem Frühlinge, wie ich sehe. 60 Ich will mich noch aus allen Herzenskräften an ihm freuen. Laß Dir ihn auch wohl bekommen, liebe Schwester! Man muß alles Beste thun und empfeingen, ehe mEin alt wird.

Wenn Du ein Buch findst, Hyperion betitelt, so thue mir den Gefallen und lies es bei Gelegenheit. Es ist auch ein Theil von mir, 65 und verkürzt deswegen Dir gewiß einige Stunden. Ich sollte Dir es von Rechtswegen schiken, aber die Exemplare, die ich für mich be-stellte, hat die 1. Mutter geradezu hieher geschikt, und ich vergaß es, an Cotta deswegen zu schreiben.

Hier ist etwas weniges aus der Messe. Nehme fürlieb! 70 Was machen Deine lieben Kinder? Ich werde tausend Freude an

ihnen haben, wenn ich einmal wieder unter Deinem Dache bin. Schreibe mir nur immer Deine fröhlichen Neuigkeiten. So ist es

mir am liebsten, wenn ich wie mit Augen sehen keinn, wie Dirs geht. Je mehr Kleinigkeiten, desto besser I 75

Das Allgemeine ist in Lehrbüchern recht gut, aber in unsem Brie-fen wollen wir recht unvernünftig von uns selbst, und unsem un-

240

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B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.138.139

w i c h t i g e n u n d w i c h t i g e n A n g e l e g e n h e i t e n z u e i n a n d e r s p r e c h e n . —

D u g laubst n i c h t , w i e m i r s F r e u d e m a c h t , an D e i n häus l i ch g e n ü g -

80 s a m W e s e n z u d e n k e n 1 Es ist n i c h t ü b e l , w e n n m a n in d e r J u g e n d

o b e n h inaus w i l l ; a b e r das r e i f e r e L e b e n n e i g t s ich w i e d e r z u m

M e n s c h l i c h e n u n d St i l l en .

L e b e w o h l , m e i n e L i e b e 1 E i n e n h e r z l i c h e n G r u ß a n D e i n e n

M a n n , u n d D e i n e K i n d e r ; g r ü ß e alle B e k a n n t e n v o n m i r .

85 D e i n

Fr iz .

139. A N S C H I L L E R

F r a n k f u r t , d . 2 0 Jun. 97 .

M e i n B r i e f u n d , w a s er e n t h ä l t , k ä m e n i c h t so spät , w e n n i ch g e -

wisser w ä r e , v o n d e m E m p f a n g , dessen Sie m i c h w ü r d i g e n w e r d e n .

I c h h a b e M u t h u n d e i g n e s U r t h e i l g e n u g , u m m i c h v o n a n d e r n

S K u n s t r i c h t e m u n d M e i s t e r n u n a b h ä n g i g z u m a c h e n , vuid i n s o f e r n

m i t d e r so n ö t i g e n R u h e m e i n e n G a n g zu g e h e n , a b e r v o n I h n e n

d e p e n d i r ' i ch u n ü b e r w i n d l i c h ; u n d w e i l ich f ü h l e , w i e v i e l e i n W o r t

v o n I h n e n ü b e r m i c h e n t s c h e i d e t , s u c h ' i ch m a n c h m a l , Sie zu v e r -

g e s s e n , u m w ä h r e n d e iner A r b e i t n i c h t ängs t i g z u w e r d e n . D e n n i ch

10 b i n g e w i ß , d a ß g e r a d e d iese Ä n g s t i g k e i t u n d B e f a n g e n h e i t d e r T o d

d e r K u n s t ist , u n d b e g r e i f e d e ß w e g e n sehr g u t , w a r u m es s c h w e r e r

ist , d i e N a t u r z u r r e c h t e n Ä u ß e r u n g zu b r i n g e n , in e i n e r P e r i o d e , w o

s c h o n M e i s t e r w e r k e n a h u m e i n e n l i e g e n , als in e i n e r a n d e r n , w o d e r

K ü n s t l e r fast a l le in ist m i t d e r l e b e n d i g e n W e l t . V o n d ieser u n t e r -

15 s c h e i d e t e r s ich z u w e n i g , m i t d ieser ist e r zu v e r t r a u t , als d a ß er s ich

s t e m m e n m ü ß t e g e g e n i h r e A u t o r i t ä t , o d e r sich ihr g e f a n g e n g e b e n .

A b e r diese s c h l i m m e A l t e r n a t i v e ist fast u n v e r m e i d l i c h , w o g e w a l t i g e r

u n d vers tänd l i cher , als d i e N a t u r , a b e r e b e n d e ß w e g e n a u c h u n t e r -

j o c h e n d e r u n d pos i t iver d e r r e i f e G e n i u s d e r M e i s t e r a u f d e n j ü n g e r n

20 K ü n s t l e r w i r k t . H i e r spielt das K i n d n i c h t m i t d e m K i n d e , h i e r ist

n i c h t das alte G l e i c h g e w i c h t , w o r i n n d e r erste K ü n s t l e r s ich m i t se i -

n e r W e l t b e f a n d , d e r K n a b e h a t es m i t M ä n n e r n zu t h u n , m i t d e n e n

241

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Nr.139 B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

er s c h w e r l i c h so v e r t r a u t w i r d , d a ß er i h r Ü b e r g e w i c h t v e r g i ß t . U n d

f ü h l t er d i ß , so m u ß er e i g e n s i n n i g o d e r u n t e r w ü r f i g w e r d e n . O d e r

m u ß er es n i c h t ? W e n i g s t e n s m ö c h t ' i ch m i r n i c h t h e l f e n , w i e d i e 25

s c h w a c h e n H e r r n , d i e in s o l c h e m F a l l e , w i e S ie w i s s e n , g e w ö h n l i c h

d e n W e g d e r M a t h e m a t i k e r e i n s c h l a g e n u n d d u r c h u n e n d l i c h e V e r -

k l e i n e r u n g das U n e n d h c h e d e m B e s c h r ä n k t e n g l e i c h u . ä h n h c h m a -

c h e n . K ö n t e m a n sich a u c h d ie I n f a m i e v e r z e i h e n , d i e m a n a n d e m

B e s t e n b e g e h t , so ists d a n n d o c h e in gar z u s ch l e ch ter T r o s t : 0 = 01 30

I c h n e h m e m i r d ie F r e i h e i t , I h n e n d e n ers ten B a n d m e i n e s H y p e -

r ions b e i z u l e g e n . Sie h a b e n sich des B ü c h l e i n s a n g e n o m m e n , da es ,

d u r c h d e n E i n f l u ß e i n e r w i d r i g e n G e m ü t h s s t i m m u n g u n d fast u n -

v e r d i e n t e r K r ä n k u n g e n gänz l i ch entste l l t , u n d so d ü r r u n d ä r m l i c h

w a r , d a ß i ch n i c h t daran d e n k e n m a g . I c h h a b ' es m i t f r e i e r e r Ü b e r - 35

l e g u n g u n d g l ü k l i c h e r e m G e m ü t h e v o n n e u e m a n g e f a n g e n u n d

b i t t e Sie u m d ie G ü t e , es b e i G e l e g e n h e i t d u r c h z u l e s e n , u n d m i c h

d u r c h i r g e n d e in V e h i k e l I h r U r t h e i l w issen z u lassen. I c h f ü h l e , d a ß

es u n k l u g w a r , d e n ersten B a n d o h n e d e n z w e i t e n auszus te l l en , w e i l

j e n e r gar z u w e n i g se lbstständiger T h e i l des G a n z e n ist. 40

M ö c h t e n d ie G e d i c h t e , d i e i ch b e i l e g e , d o c h e i n e r Ste l le in I h r e m

M u s e n a l l m a n a c h e g e w ü r d i g t w e r d e n k ö n n e n ! — I c h g e s t e h e I h n e n ,

d a ß i ch z u sehr d a b e i interessirt b i n , als d a ß i c h o h n e U n r u h e m e i n

Schiksaal bis zur ö f f e n t l i c h e n E r s c h e i n u n g des M u s e n a l l m a n a c h s a b -

w a r t e n k ö n n t e , u n d b i t te Sie d e ß w e g e n , e twas Ü b r i g e s z u t h u n , u n d 45

m i r m i t e i n paar L i n i e n zu s a g e n , w a s Sie d e r A u f n a h m e w e r t h g e -

f u n d e n h a b e n . W e n n Sie es e r l a u b e n , s ch ik i c h I h n e n n o c h e ines o d e r

z w e i d e r G e d i c h t e , d i e vo r i ges Jahr z u spät k a m e n , u m g e a r b e i t e t n a c h .

I c h e r s c h e i n e f r e i l i c h , w e n n i c h so s p r e c h e , e twas b e d ü r f t i g v o r

I h n e n , aber i ch s c h ä m e m i c h n i c h t , d e r A u f m u n t e r u n g e ines e d e l n 50

Geis tes z u b e d ü r f e n . I c h k a n n Sie v e r s i c h e r n , d a ß i c h m i c h u m so

w e n i g e r m i t e i te ln B e f r i e d i g u n g e n t rös te , u n d d a ß i ch sonst sehr still

b i n ü b e r das , was i c h w ü n s c h e u n d t r e i b e . I c h b i n m i t t i e f e r A c h t u n g

I h r

E r g e b e n s t e r 55

M . H ö l d e r l i n

242

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B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.140

140. A N N E U F F E R

F r a n k f u r t , d . 1 0 / u Z . 1797 .

L i e b s t e r N e u f f e r 1

I c h h a b e D i r l a n g e n i c h t g e s c h r i e b e n . Es ist a u c h o f t u n m ö g l i c h .

I n d e ß i ch D i r sagen w i l l : so ist e s ! ist es s chon anders g e w o r d e n . D a s

5 Schiksaal t re ib t uns v o r w ä r t s u n d i m Kre ise h e r u m , u n d w i r h a b e n

so w e n i g Z e i t , be i e i n e m F r e u n d e zu v e r w e i l e n , w i e e i n e r , m i t d e m

d i e Rosse d a v o n g e g a n g e n s ind . A b e r d e r G e n u ß ist a u c h u m so g r ö -

ß e r , w e n n m a n w i e d e r stille hä l t , u n d d e m v e r t r a u t e n H e r z e n zu

sagen s u c h t , w o r a n m a n ist, u n d so sich se lber w i e d e r sagen l e r n t ,

10 w o r a n m a n ist. — D u feh ls t m i r o f t , m e i n B e s t e r ! P h i l o s o p h i r e n , P o l i -

t i s i ren , u . s . w . l ä ß t es sich m i t M a n c h e m . A b e r d ie Z a h l d e r M e n -

s c h e n , d e n e n m a n sein S c h w ä c h s t e s , u n d sein Stärkstes o f f e n b a r t , d i e

m a g m a n n i c h t so l e i ch t v e r d o p p e l n . I c h h a b ' es a u c h fast g a n z v e r -

l e r n t , so g a n z v e r t r a u e n d e i n e m F r e u n d e m i c h zu ö f f n e n . I c h m ö c h t e

15 be i D i r s i zen , u n d erst an D e i n e r T r e u e w i e d e r r e c h t e r w a r m e n —

d a n n so l l t ' es w o h l v o n H e r z e n g e h n ! — 0 F r e u n d ! i ch s c h w e i g e u n d

s c h w e i g e , u n d so h ä u f t sich e i n e L a s t a u f m i r , d i e m i c h a m E n d e fast

e r d r ü k e n , d i e w e n i g s t e n s d e n S i n n u n w i d e r s t e h l i c h m i r v e r f i n s t e r n

m u ß . U n d das e b e n ist m e i n U n h e i l , d a ß m e i n A u g e n i m m e r klar ist ,

20 w i e sonst . I c h wi l l es D i r g e s t e h e n , d a ß ich g l a u b e , i ch sei b e s o n n e n e r

g e w e s e n als j ez t , h a b e r i ch t iger als jezt g e u r t h e i l t v o n a n d e r n u n d

m i r in m e i n e m 2 2 s t e n J a h r e , da i ch n o c h m i t D i r l e b t e , g u t e r N e u f -

f e r ! 0 ! g i e b m i r m e i n e J u g e n d w i e d e r I I c h b i n zerrissen v o n L i e b e

u n d H a ß .

25 A b e r i ch kcinn D i r n i c h t g e f a l l e n m i t der le i u n b e s t i m m t e n Ä u ß e r u n -

g e n . D e s w e g e n b i n i ch l i eber st i l le .

A u c h D u bist g l ü k l i c h e r g e w e s e n , als D u bist . D o c h hast D u R u h e .

U n d o h n e sie ist alles L e b e n so g u t , w i e d e r T o d . I c h m ö c h t e sie a u c h

h a b e n , m e i n L i e b e r !

30 D u hast d i e H a r f e , w i e D u schre ibst , e i n e Z e i t l a n g an d e r W a n d

h ä n g e n g e h a b t . D a s ist a u c h g u t , w e n n m a n o h n e Gewissensb isse es

243

Page 257: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.140.141 B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

t h u n k a n n . D e i n S e l b s t g e f ü h l r u h t a u c h n o c h a u f a n d r e r g l ü k l i c h e r

T h ä t i g k e i t ; u n d so bist D u n i c h t v e r n i c h t e t , w e n n D u n i c h t D i c h t e r

b is t . M i r ist sonst alles M ö g l i c h e , w a s i c h a l lenfal ls t r e i b e n k ö n n t e ,

v e r l a i d e t , u n d d ie e i n z i g e F r e u d e , d i e i ch m i r se lber g e b e , ist d i e , 35

d a ß i ch m i r z u w e i l e n e in paar Z e i l e n , d i e . i c h aus w a r m e r S e e l e h i n -

s c h r i e b , in d e m ersten A u g e n b l i k e W o h l g e f a l l e n lasse ; a b e r w i e v e r -

g ä n g l i c h diese L u s t ist, we i s t D u se lber . M e i n e A m t s g e s c h ä f f t e h a b e n ,

i h r e r N a t u r g e m ä ß , e i n z u g e h e i m e s R e s u l t a t , als d a ß i ch m e i n e K r a f t

in i h n e n f ü h l e n k ö n n t e . +0

W i l l s t D u m i r n i c h t s c h r e i b e n , o b u n d w i e d e r erste B a n d v o n m e i -

n e m H y p e r i o n be i e u c h a u f g e n o m m e n w i r d , u n d w a s D e i n speziel les

U r t h e i l d a r ü b e r ist.

I c h h a b e das G e d i c h t , a n D i o t i m a , das i c h D i r das l e z t e m a l s ch ik te ,

s c h o n f ü r Sch i l l e rn b e s t i m m t , i ch k a n n es also n i c h t w o h l in d e m 45

L a n g i s c h e n A l l m a n a c h e d r u k e n lassen , u n d w e i l das E x e m p l a r , das

D u hast , das korrektes te ist, u n d i ch k e i n e A b s c h r i f t d a v o n h a b e , so

b i t t ' i ch D i c h , i m Z u t r a u e n a u f D e i n e N a c h s i c h t , m i r e i n e K o p i e

d a v o n so b a l d D i r n u r m ö g l i c h ist , z u s c h i k e n , w e i l es sonst z u spät

s e y n m ö c h t e , es an d e n M a n n zu b r i n g e n . D u w ü r d e s t m i r F r e u d e 50

m a c h e n , w e n n D u e twas v o n d e m D e i n e n b e i l e g t e s t .

L e b e w o h l , m e i n L i e b e r l

W i e i m m e r

D e i n

H ö l d e r l m . 55

141. A N D I E M U T T E R

F r a n k f u r t d . 10 Jul. 1797 .

L i e b s t e M u t t e r !

I c h h a b e m i t d e r s e l b e n U n r u h e a u f e i n e n B r i e f v o n I h n e n g e w a r -

t e t , m i t d e r Sie m e i n S t i l l s c h w e i g e n a u f n a h m e n . I c h m a c h t e m i r

m a n c h m a l G e d a n k e n , h o f f t e m a n c h m a l v e r g e b e n s , u n d w a r e b e n i m 5

B e g r i f f , I h n e n z u s c h r e i b e n , w a s i ch I h n e n u n d d e r l i e b e n S c h w e s t e r

z u laid g e t h a n h ä t t e , d a ß i c h a u f m e i n e g u t g e m e i n t e n B r i e f e k e i n e

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Page 258: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.l68.i69

A n t w o r t b e k ä m e — a b e r I h r l i eber B r i e f h ie l t m i c h h i n l ä n g l i c h s chad -

los . I c h b i n n u n a u c h sehr b e g i e r i g , was m i r d ie 1. S c h w e s t e r s chre ib t .

10 I c h h a b e d e n B r i e f , d e n Sie m i r v e r s p r e c h e n , n o c h n i c h t .

U n s e r Karl s c h r i e b m i r s chon v o n d e m V e r d r u s s e , d e n I h n e n d i e

V e r ä n d e r u n g I h r e r H a u s m i e t h e m a c h t . I c h w u n d r e m i c h , d a ß Sie

g e n ö t h i g e t w e r d e n , a u s z u z i e h e n , da Sie d o c h , w o i ch n i c h t i r r e , es

z u r B e d i n g u n g des Kauf fes m a c h t e n , d a ß Sie e i n e gewisse A n z a h l v o n

15 Z i m m e r n so l a n g ' es I h n e n d i e n l i c h w ä r e , f ü r H a u s z i n n s b e w o h n e n

k ö n n t e n . U n d d a n n w u n d r e i ch m i c h a u c h , d a ß Sie n i c h t l i eber das

fatale N ü r t i n g e n g a n z ver lassen u n d sich in B l a u b e u r e n o d e r L ö c h -

g a u o d e r in d e r N ä h e d ieser O r t e e i n e W o h n u n g g e m i e t h e t h a b e n .

D i e B e s c h w e r l i c h k e i t e n e i n e r s o l c h e n V e r ä n d r u n g k ö n n e n gar n i c h t

20 b e r e c h n e t w e r d e n , gegen d e n g ü n s t i g e n E i n f l u ß , d e n e i n e n e u e , n a c h

I h r e r E ins i ch t g e w ä h l t e L a g e a u f I h r e n K ö r p e r u n d I h r e n Ge i s t hät te

h a b e n m ü s s e n .

I c h m ü ß t e m i c h sehr i r r e n , l i ebste M u t t e r I w e n n n i c h t in I h n e n

n o c h sehr v i e l g e s u n d e K r ä f t e l ä g e n , d i e s ich d u r c h e i n e n g u t e n

25 M u t h u n d f r i s che L u f t , u n d e i n e n h e i t e r n B l ik a u f das u n s c h u l d i g e

L e b e n d e r N a t u r r e c h t sehr l e i c h t w i r k s a m m a c h e n l i e ß e n . O d e r

w o l l t ' i ch I h n e n r a t h e n , so v i e l sie k ö n n t e n , n e b e n I h r e r A r b e i t d u r c h

L e e t ü r e I h r e n G e i s t zu b e s c h ä f f t i g e n , w e i l d e r sonst aus n a t ü r l i c h e r

L e b h a f t i g k e i t , s ich A r b e i t u n d S o r g e m a c h t , w o e in anderes v i e l e i c h t

30 r u h i g w ä r e . W o l l e n S ie d i ß n i c h t , l iebste M u t t e r ! so s c h r e i b e n Sie

r e c h t o f t u n d r e c h t l a n g e B r i e f e an m i c h , i ch wi l l I h n e n m i t g l e i c h e m

M a a ß e v e r g e l t e n , u n d das g ä b e d o c h a u c h v i e l e i c h t I h r e m G e m ü t h

z u w e i l e n e i n e he i t e re R i c h t u n g .

I h r e K i n d e r s ind jezt al le a u f e i g n e n F ü ß e n , s ind g e s u n d , s ind al le

35 in L a g e n , d i e m a n g e w i ß n i c h t d r ü k e n d n e n n e n k a n n , w e n n m a n

d i e W e l t e i n w e n i g k e n n t u n d w e i ß , was d r ü k e n d ist, v o n al len s ind

S ie g e l i e b t u n d v e r e h r t , v o n a n d e r n Verhä l tn i s sen z . B . m i t d e m N ü r -

t i n g e r V o l k e , k ö n n e n Sie sich b e f r e i e n , w e n n Sie n u r w o l l e n , an M i t -

t e l n , s ich das L e b e n l e i c h t u n d a n g e n e h m z u m a c h e n , f e h l t es I h n e n

40 n i c h t , so bald S ie n u r s ich I h r e n K i n d e r n n i c h t o p f e r n , u n d u m

d i e s e r w i l l e n , aus e i n e r T u g e n d , d i e i ch I h n e n n i c h t v e r g e b e n

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Nr.141.142 B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

kann, Ihr theures Leben durch leicht vermeidliche Sorgen sich verkürzen wollen. Ich wollte, wenn ich mich so weit durch die Welt hindurchgearbeitet und meine Pflicht so redlich erfüllt hätte, wie Sie, ich wollte mir ein bequemer Alter machen, wie Sie! 45 Ich weiß es, liebste Mutter, daß sich nicht alles vermeiden, und daß Ihr zartempfindendes Gemüth sich nicht so leicht abhärten läßt, aber Sie sollten nur nicht in einen geheimen Bund sich mit dem Schmerz einlassen, und nicht zu generös ihn in sich walten lassen. — Wenn es möglich ist, besuch' ich Sie zu Ende dieses Sommers auf ein paar Tage 50 mit meinem Zögling. Sollten Sie zu enge wohnen, so würd' es nicht unschiklich seyn, wenn wir, so viel es nötig wäre, im Gasthof logirten. Doch kann ich nichts gewisses versprechen. Die guten Löchgauer bedaur' ich recht sehr! Ich hätte schon lange an HE. Oncle geschrie-ben, aber ich weiß wahrhaftig! nicht, was ich über meinen Vetter 55 schreiben soll. Die Krankheit hat bei diesem ihren Nuzen vieleicht. Nach Blaubeuren meine herzlichen Grüße! Der 1. Frau Grosmamma meine herzlichsten Wünsche für dauerhaftere Gesundheit! Ewig

Ihr Friz. 60

Meinen guten Bekannten gratulir' ich zu ihren Präzeptoraten. Ich wollte, ich könnte mich auch zu so etwas entschließen. Man hat doch s. eignen Heerd.

143. A N D E N B R U D E R

Frankfurt. Lieber Karl!

Deine Besorgnisse waren ganz ungegründet. Ich habe Deinen Brief nicht gleich bei der Hand und die Zeit ist zu kurz, um ihn zu suchen, sonst wollt' ich Deine Zweifel Dir umständhch lösen. 5

Du fragst mich über meine Gemüthsstimmung, über meine Be-schäfftigungen. Die erste ist aus Licht und Schatten gewebt, wie über-all, nur daß die Massen oft stärker, abstechender sind bei mir. Meine Beschäfftigungen sind um so mehr sich gleich. Ich dichte, unterrichte

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B R I E F E 179 6 - 1 7 9 8 Nr.142.143

10 meine Kinder, und lese zuweilen ein Buch. Ich verlasse auch meine Tagesordnung sehr ungern.Wer es nie entbehrt hat, wie ich, der weiß nicht, wie viel ein Tag, wo msin so hinarbeitet, und ruhigen Gemüths bleibt, werth ist. Den Meisten ist das Leben zu schläfrig. Mir ist es oft zu lebendig, so klein auch der Kreis ist, worinn ich mich

15 bewege. Es war mir noch vor wenig Jahren unbegreiflich, daß irgend eine Situation, die unsre Kraft zurükhält, in irgend einer Rüksicht, eine günstige genannt werden könne. Jezt fühl' ich manchmal, welch ein Glük.darinn liegt, wenn ich sie mit andern vergleiche, die uns oft zu viel aus uns entfernen, die für uns das sind, was der Rübsamen für

20 die Äker, die zu viel Kraft aus uns ziehen, und uns für die Folgezeit unbrauchbar machen.

Laß Dein Leben immerhin so unbedeutend bleiben, wie es ist! Es wird noch Bedeutung genug bekommen. Ich wollte Dir manches vorräsoniren. Aber die Nacht ist wunderschön. Der Himmel und die

25 Luft umgiebt mich, wie ein Wiegenlied, und da schweigt man lieber. Mein Hyperion hat mir schon manches schöne Wort eingetragen.

Ich freue mich, bis ich vollends mit ihm zu Ende bin. Ich habe den ganz detaillirten Plan zu einem Trauerspiele gemacht, dessen Stoff mich hinreißt.

30 Ein Gedicht, der Wanderer betitelt, kannst Du auch von mir im neuesten Stüke der Hören lesen. Einiges wirst Du auch von mir im nächsten Schillerischen Allmanach finden.

Ich bin etwas müde, lieber Karl I von den Geschafften des Tags. Sei also so gut, und dispensire mich dißmal von weiteren Äußerungen.

35 Ich schreibe Dir bald wieder, und wacher, und wärmer! Wie immer Dein

Friz.

143. A N D I E M U T T E R

Liebste Mutter!

Es freut mich, daß Sie Veranlassung bekommen haben, an mich zu schreiben. Ich war eben im Begriff, Ihnen Ihren vorlezten lieben

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Nr.l4J B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

Brief zu beantworten, und bin jezt Ihr doppelter Schuldner. Beson-dern Antheil nehme ich an der Freude, die Sie haben ü ber den Beifall, 5 womit Blum von unserm Karl spricht. Ich bin gewiß, daß es dem Kopf und dem natürlichen Karakter meines Bruders nur an dem hin-länglichen Wirkungskreise fehlt um sich auf das vorteilhafteste zu zeigen. Sie dürfen meiner Beurteilung in so weit gewiß trauen, wenn ich Ihnen sage, daß er kein gewöhnlicher Mensch ist, und daß lo er mit etwas mehr Muth und Gedult, was sich aber gar leicht in ihm entwikeln kan, auf eine Stufe sich hinarbeiten kann, die, unter sei-nen Umständen,nicht jeder erreicht.

Sie fragen mich über mein Verhältniß, meine Bekantschafften, meine Hoffnungen. Bei allen Schwierigkeiten, die immerhin bei 15 jedem Verhältnisse meiner Art sich häuffen, such' ich denn doch für jezt nichts anders; ich weiß auch wohl, daß jede andre Lage, in die ich mich begeben könnte, so wie Sie mich jezt beurtheilen, Ihren völli-gen Beifall nicht haben könnte, und das mit Recht! denn jedes Amt, das ich suchen könnte und möchte, will einen reifen Mann, und 20

der bin ich noch nicht. Das Neueste, was ich Ihnen von meinen Be-kantschafften sagen kainn, ist, daß mein Verhältniß mit Schiller, das eine Weile ein wenig unterbrochen schien, durch die angenehmsten Äußerungen von seiner Seite wieder wärmer, als je, zu leben ange-fangen hat. Meine Hoffnungen sind sehr unbestimmt, und ich wollte 25 nicht,daß ich andere hätte. Freiheit und Ruhe ist das einzige, was ich suche, und brauche, und das hoff ich zu finden. — Ich bedaure, lieb-ste Mutter! daß ich den Besuch im Vaterlande, der Ihnen und mir so innigst freudig wäre gewesen, noch izt nicht realisiren kann. Ich weiß nemlich nicht, ob ich nicht bis nächste Ostern mit meinem 30 Zöglinge um der französischen Sprache willen nach Genf muß, und weil ich dann doch über Würtemberg käme, so wäre eine Reise im Herbste schon leichter zu verläugnen, und in dieser Hoffnung glaub' ich den ökonomischen Gründen folgen zu müssen, und versage mir den schönen Genuß einstweilen, aber, blos um ihn aufzuschieben. 35 Meiner lieben Schwester will ich schreiben. Das traurige Schiksaal des guten Fehleisens wüßt' ich schon. Seine Familie bedaur' ich

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B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.i43.i44

äußerst. — Ich wollte, Sie würden von unangenehmen Zufällen, wie die Veränderung Ihrer Wohnung ist, verschont 1 Nur Ruhe möcht'

40 ich Ihnen gönnen, Stille vmd Ruhel — Die Kommission besorg' ich recht gerne. Ich muß noch so viele Briefe schreiben und bitte Sie deß-wegen, mich für dißmal zu dispensiren. Tausend herzliche Grüße an meine theure Grosmutter von dem ältsten Enkel! Ewig

Ihr

•5 Friz.

144 . A N S C H I L L E R

Ihr Brief wird mir unvergeßlich seyn, edler Man I Er hat mir ein neues Leben gegeben. Ich fühle tief, wie treffend Sie meine wahr-sten Bedürfnisse beurtheilt haben, und ich folge um so freiwilliger Ihrem Rath, weil ich wirklich schon eine Richtung nach dem Wege

5 genommen hatte, den Sie mir weisen. Ich betrachte jezt die metaphysische Stimmung, wie eine gewisse

Jimgfräulichkeit des Geistes und glaube, daß die Scheue vor dem Stoffe, so unnatürlich sie an sich ist, doch als Lebensperiode sehr natürlich und auf eine Zeit so zuträglich ist, wie alle Flucht bestimm-

10 ter Verhältnisse, weil sie die Kraft in sich zurükhält, weil sie das ver-schwenderische jugendliche Leben sparsam macht, so lange, bis sein reifer Überfluß es treibt, sich in die mannigfaltigen Objecte zu theilen. Ich glaube auch, daß eine allgemeinere Thätigkeit des Geistes und Lebens, nicht blos dem Gehalte, dem Wesen nach vor den bestimm-

15 tem Handlungen und Vorstellungen, sondern daß auch wirklich der Zeit nach, in der historischen Entwiklung der Menschennatur die Idee vor dem Begriffe ist, so wie die Tendenz vor der (bestimmten, regelmäßigen) That. Ich betrachte die Vernunft, als den Anfang des Verstandes, und wenn der gute Wille zaudert und sich sträubt, zur

20 nüzlichen Absicht zu werden, so find' ich es ebenso karakteristisch für die Menschennatur überhaupt, als es für Hamlet karakteristisch ist, daß es ihn so schwer ankömmt, etwas zu thun, aus dem einzi-gen Zweke, seinen Vater zu rächen.

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Nr.144 B R I E F E 179 6 - 1 7 9 8

Ich hatte von je den Brauch, mein überflüssig Räsonnement Ihnen vorzuplaudern, aber ich habe so eine Art von Eingeing nötig, um 25 mich eigentlicher an Sie zu adressiren, und Sie sehen den Grund davon und verzeihens.

Sie werden fragen, wie ich dazu komme, die neue Übersezung von Kabale und Liebe, die Ihnen der Englische Übersezer zuschikt, durch meine Hände gehen zu lassen. 30

Ein Freund von mir, Sekretär Mögling aus Stutgard, der sich mit dem Würtembergischen Prinzen einige Zeit in London aufhielt, be-suchte mich bei seiner Rükreise, und weil er weiß, daß ich die Ehre habe, Ihnen bekannt zu seyn, gab er mir den Auftrag, oder eigent-lich, er wollte mir die Freude lassen, es Ihnen zu überschiken. Der 35 Verleger des Buchs, der es meinem Freunde zunächst zustellte, emp-fiehlt sich Ihnen ebenfalls und äußert den Wunsch, Ihre neuesten Werke, sogleich bei ihrer Erscheinung zu bekommen; er habe es unternommen, eine Übersezung von all' Ihren Schriften zu liefern. Sollt' es Ihnen lästig seyn, diesen Wunsch selbst zu befriedigen, so 40 würde ich es mir zur Ehre rechnen, nach Ihrer Disposition mich mit dem Verleger in Korrespondenz zu sezen.

Ich danke Ihnen innigst für Ihre gütige Aufnahme des Wanderers in die Hören. Glauben Sie, daß ich diese Ehre zu schäzen weiß I Auch freut es mich äußerst, daß Sie den Aether Ihres Allmanachs würdig +5 gefunden haben. Ihrer Erlaubniß gemäß, schik' ich Ihnen das Ge-dicht an die klugen Rathgeber. Ich hab' es gemildert und gefeilt, so gut ich konnte. Ich habe einen bestimmteren Ton hineinzubringen ge-sucht, so viel es der Karakter des Gedichts leiden wollte. Ich lege Ihnen noch ein Lied bei. Es ist das umgearbeitete und abgekürzte Lied an 50 Diotima, das Sie schon von mir besizen. Ich nähre die Hoffnung, daß es in dieser Gestalt wohl eine Stelle in Ihrem Allmanache finden dürfte.

Sie sagen, ich sollte Ihnen näher seyn, so würden Sie mir sich ganz verständlich machen können; von Ihnen bedeutet mir ein solches Wort so viel! 55

Aber glauben Sie, daß ich denn doch mir sagen muß, daß Ihre Nähe mir nicht erlaubt ist? Wirklich, Sie beleben mich zu sehr, wenn

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B R I E F E 1 79 6 - 1 7 9 8 Nr.144.14S

ich um Sie bin. Ich weiß es noch ganz gut, wie Ihre Gegenwart mich immer entzündete, daß ich den gsmzen andern Tag zu keinem Ge-

60 danken kommen konnte. So lang ich vor Ihnen war, war mir das Herz fast zu klein, und wenn ich weg war, könnt' ich es gar nicht mehr zusammenhalten. Ich bin vor Ihnen, wie eine Pflanze, die man erst in den Boden gesezt hat. Man muß sie zudeken um Mittag. Sie mögen über mich lachen; aber ich spreche Wahrheit.

65 Hölderlin.

145. AN D E N B R U D E R

Schickt die Briefe, worin die Kinder CarVn noch für die Geschenke danken,die er ihnen

geschickt. Solche Briefe waren schon liegen geblieben; heute schrieben sie neue hinzu.

Die schönen Herbsttage thun mir sehr wohl. Ich wohne noch mit meinem Zögling allein im Garten. Die Familie ist wegen der Messe

5 in die Stadt gezogen. Die reine frische Luft und das schöne Licht, das dieser Jahreszeit eigen ist, und die ruhige Erde mit ihrem dunk-leren Grün, auch mit ihrem sterbenden Grün, und mit den durch-schimmernden Früchten ihrer Bäume, die Wolken, die Nebel, die reineren Sternennächte — all das ist meinem Herzen näher als irgend

10 eine andre Lebensperiode der Natur. Es ist ein stiller, zärtlicher Geist in dieser Jahreszeit.

Neuffer hat mich richtig besucht.Wir haben einige Tage recht vergnügt zusammen zugebracht. Seine Treuherzigkeit und heitre Laune sind Arznei für unser einen.

15 Ich weiß es zu schäzen, lieber Karl, daß Du so fleißig bist in Dei-nem bestimmten Geschäffte. Nicht sowohl, was wir treiben als wie wir etwas treiben, nicht der Stoff und die Lage, sondern die Behand-lung des Stoffs und der Lage bestimmt den Werth der Menschenkraft. Es giebt in jeder menschlichen Thätigkeit eine Vollendung, auch

20 unter den Akten. Freilich will der Fisch ins Wasser und der Vogel in die Luft, und so hat unter den Menschen auch einer ein ander Ele-ment als der andre. Nur muß man nicht denken, das Homogenste sei

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Nr. 145. 14b B R I E F E 179 6 - 1 7 9 8

immer auch das angemessenste. Der idealische Kopf thut am besten, das Empirische, das Irrdische, das Beschränkte sich zum Elemente zu machen. Sezt er es durch, so ist er, und auch nur er, der vollkommene 25 Mensch.

146. AN D I E S C H W E S T E R

Liebe Schwester!

Ich rechnete seit langer Zeit darauf, den Herbst zum Theil mit Dir, in Deinem Hauße, unter Deinen Kindern, Deinen Freunden, besonders auch mit Deinepi Manne zuzubringen, mit dem ich lange schon in näherer Beziehung einmal wieder zu leben mich sehnte. Ich 5 freue mich äußerst, seine Bekantschaft, wie von neuem zu machen, wenn ich einmal bei euch bin. Ich ehre und verstehe Menschen von seinem Karakter immer mehr. Ich möchte manchmal zu ihm können, und bei seiner Ruhe und Menschenkentniß in die Schule gehn.

Du, meine Liebe, bist nun ganz Mutter, hpffende Mutter, und ich 10

theile DeinGlük und Deine Sorgen. Ich weiß nichts achtungswerthe-res, als eine Frau in Deinen Umständen, und ich demüthige mich tief vor Dir, wenn ich mir denke, wie Du jezt bist. Das ist doch eigentlich schönes Verdienst um die Welt. Das ist das treueste Opfer, das ein lebend Wesen der Natur bringt. Ich freue mich, Liebe, daß 15 Du die schöne Erfahrung schon einmal so glüklich gemacht hast, weil ich hoffen kann, Deine theure Gesundheit werde so wenig darunter leiden, wie ich wünsche.

Wie wär' es glüklich gewesen, wenn ich Dich hätte besuchen kön-nen! Aber es gieng denn doch nicht wohl, weil ich wahrscheinlich 20

auf Ostern verreise. Bis dahin bin ich gewiß bei Dir, und da sollen sich alle frohen Augenblike erfüllen, mit denen ich manchmal mich unterhalte. Dcmn gehn wir zusammen in eurer Felsenregion herum, und erinnern uns an die alten vergnügten Tage, dann fahren wir zu-sammen nach Ulm und Elchingen, zu den geistlichen Herren deren 25

häßliche Gesichter so zur wunderschönen Gegend kontrastiren, nach

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B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.146.147

Wiblingen, und zu den alten Klosterfrauen, und nach Asch, und auf das kleine Örtchen, das unten an der Blau liegt, wo ich einmal nach einer Kahnfahrt sehr gute Fische gegessen habe u.s.w.

30 Entschuldige mich, meine Liebe, daß ich Dir noch nichts von unserer Messe schiken kan. Ich habe sie noch gar nicht gesehn. Du must Dich eben nicht scandalisiren an den Kleinigkeiten, womit ich Dir meine Ergebenheit bezeuge. Was machen Deine lieben Kinder? Überall meine Grüße und Empfehlungen.

35 Dein Friz.

11-7. A N D E N B R U D E R

Frankfurt, d. 2'Nov. 97.

Mein Theurerl

Es ist mir unendlich viel werth, mein Wesen so wirksam und so freundlich aufgenommen in einer Seele zu finden, wie die Deine ist.

5 Es stillt und besänftiget mich nichts mehr, als ein Tropfen lauterer, unverfälschter Liebe, so wie im Gegentheil die Kälte und geheime Unterjochungssucht der Menschen mich, bei aller Vorsicht, deren ich fähig bin, doch immer überspannt und zu unmäßiger Anstren-gung und Bewegung meines innern Lebens aufreizt. Lieber Karl!

10 es ist ein so schönes Gedeihn in allem, was wir treiben, wenn es mit gehaltner Seele geschieht, und uns das stille, stete Feuer belebt, das ich besonders in den alten Meisterwerken aller Art, als herrschenden Karakter, immer mehr zu finden glaube. Aber wer erhält in schöner Stellung sich, wenn er sich durch ein Gedränge durcharbeitet, wo

15 ihn alles hin und her stößt? Und wer vermag sein Herz in einer schö-nen Gränze zu halten, wenn die Welt auf ihn mit Fäusten ein-schlägt ? Je angefochtener wir sind vom Nichts, das, wie ein Abgrund, um uns her uns angähnt, oder auch vom tausendfachen Etwas der Gesellschaft und der Thätigkeit der Menschen, das gestaltlos, seel-

20 und lieblos uns verfolgt, zerstreut, um so leidenschaftlicher und hef-tiger und gewaltsamer muß der Widerstand von unsrer Seite wer-

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den. Oder muß er es nicht? Das ists ja eben, was Du auch an Dir er-fährst, mein Lieber! Die Noth und Dürftigkeit von außen macht den Überfluß des Herzens Dir zur Dürftigkeit und Noth. Du weist nicht, wo Du hin mit Deiner Liebe sollst und mußt um Deines Reich- 25 thums willen betteln gehn.Wird so nicht unser Reinstes uns verun-reinigt durch Schiksaal, und müssen wir nicht in aller Unschuld ver-derben? 0 , wer nur dafür eine Hülfe wüßte? Kann man nur thätig seyn, kann man nur über irgend einem Stoffe sich ermüden, so ist vieles gut. Meui stellt sich dadurch doch immer einen Schatten des 30 Vollkommnen vors Auge, und das Auge waidet sich von einem Tage zum andern daran. Mit dieser Stimmung las ich ehmals Kant. Der Geist des Mannes war noch ferne von mir. Das Ganze war mir fremd, wie irgend einem. Aber jeden Abend hatt' ich neue Schwierigkeiten überwunden; das gab mir ein Bewußtseyn meiner Freiheit; und das 35 Bewußtseyn unserer Freiheit, unserer Thätigkeit, woran sie sich auch äußere, ist recht tief verwandt mit dem Gefühle der höhern, göttlichen Freiheit, das zugleich Gefühl des Höchsten, des Vollkomm-nen ist. Auch im Gegenstande selber, mag er noch so fragmentarisch seyn, sobald nur irgend eine Ordnung in ihn gebracht wird, ist ein +0 Schatten des Vollkommnen. Wie fände sonst manch schönes weib-liches Gemüth in seiner aufgeräumten Stube seine Welt?

Das Gedicht an den Aether mit D. unterschrieben im neuen Schil-lerischen Allmanache ist von mir. Vieleicht bekömmst Dus vors Ge-sicht, und findest einige Befriedigung für Dein Herz darinn. —Mache +5 doch einmal einen Gang nach Vaihingen zu Helfer Conz. Es wird Dich sicher nicht reuen, seine Bekanntschaft gemacht zu haben, und ich denke, er wird Dich auch recht lieb gewinnen. Versichere ihn meines innigsten Andenkens, und dank' ihm in meinem Nahmen für den schäzbaren Gruß, den er mir durch Neuffer geschikt, und für 50 die freundliche Aufnahme meines Hyperion. Sag' ihm, ich wartete nur die Erscheinung des zweiten Bandes ab, um das Ganze ihm zu-zuschiken, und über einiges, das mir sehr am Herzen liege, bei Ge-legenheit des Büchleins, ihn zu fragen. — Ich bin mit dem gegen-wärtig herrschenden Geschmält so ziemlich in Opposition, aber ich 55

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B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.1*7.148

lasse auch künftig wenig von meinem Eigensinne nach, und hoffe mich durchzukämpfen. Ich denke, wie Klopstok:

Die Dichter, die nur spielen. Die wissen nicht, was sie und was die Leser sind,

60 Der rechte Leser ist kein Kind, Er will sein männlich Herz viel lieber fühlen,

als spielen.

Heinze, der Verf. des Ardinghello, hat bei Dr. Sömmering sich sehr aufmunternd über Hyperion geäußert.

65 Das Übrige, was in Deinem Briefe zu beantworten ist, beantwort' ich gewissenhaft das nächstemal und bald. Ich habe jezt nur so viel zu schreiben. Fürchte nur nicht, irgend einen Auftrag entgelten zu müssen. Wie müßt' ich klein seyn? und wie unendlich weniger müß-test Du mir gelten? Dir bleib' ich sicher treu. Denn wir sind Brüder,

70 wenn wirs auch nicht heißen. Dein

Hölderlin.

148. A N D I E M U T T E R

Frankfurt, d. Nov. 97.

Liebste Mutter!

Wundern Sie sich nicht, wenn ich so lange mit einer Antwort zögerte. Es giebt so manche Stimmungen, wo es nothwendig wird zu

3 schweigen. Wenn ich nun geschrieben hätte, in Augenbliken, wo ich fühlte, in den mannigfaltigen Zerstreuungen, denen ich durch mein Verhältniß ausgesezt bin, sei es fast unmöglich, meinen Karakter zu retten, und meine besseren Kräfte, wenn ich da geschrieben hätte und gesagt, so günstig meine Lage scheint, so ungünstig ist sie von

10 mancher Seite für mein wahres Interesse, und ich muß lieber ein stilleres Leben wählen, wenn seine Außenseite auch unangenehmer scheint, als beharren in einer dem Scheine nach sehr angenehmen Situation, wenn diese mein ruhiges Bewußtseyn, und die ungestörte

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Nr.148 B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

Thätigkeit meiner Seele mir nicht läßt — wenn ich so geschrieben hätte, wie hätten Sie es aufgenommen? was hätten Sie geantwortet? 15 und doch könnt' ich sehr gegründete Veranlassung haben, so zu schreiben; von der andern Seite mußte es meinem. Gemüth sehr schwer ankommen, Ihnen auf diese Art nothwendig eine trübe Stunde zu machen, und vor Ihnen als der alte unzufriedne, unstäte, ungedultige, unkluge Mensch zu erscheinen. Mußt' ich da nicht mit 20 einem Briefe zaudern, wenn ich Ihnen nicht etwas zum Schein hin-sagen wollte, wovon mein Herz nichts wußte, und Sie wissen, diß leztere ist unter uns nicht eingeführt.

Sie fragen, was denn jezt, im gegenwärtigen Augenblike, da ich schreibe, meine Gesinnung sei? Wenn ich aufrichtig reden soll, so 25 muß ich Ihnen sagen, daß ich mit mir selbst im Streit bin. Von einer Seite scheint die vernünftige Sorge für meinen Karakter der unter so manchen widersprechenden Eindrüken die ich leide, kaum sich aufrecht hält, und das gerechteste Bedürfniß meines Geistes zu er-fordern, eine Lage zu verlassen, wo sich immer zwei Parthien für 30 und gegen mich bilden, wovon die eine fast mich übermüthig und die andre sehr oft niedergeschlagen, trüb und manchmal etwas bitter macht. Das war die ganzen zwei Jahre über mein beständiges Schik-saal, und mußt' es seyn, und ich sah' es in den ersten Monathen un-widersprechlich voraus. Das beste wäre freilich gewesen, sich still 35 und in Entfernung, und mit beeden Theilen die Beziehungen so all-gemein, als möglich, zu erhalten. Aber diß geht wohl an, wenn einer sein eignes Haus und keine besondern Verhältnisse hat, wo man oft in häufige Beziehungen gerathen muß. Sie können es sich denken, daß man in meiner Lage nicht immer seiner Einsicht folgen kann, 40 so fern man diese Lage beibehalten will. Also mehr oder weniger mußt' ich mich den ganz verschiedenen Begegnungen aussezen, die in gewissem Grade jeder hier erfahren wird, der mein Verhältniß hier versucht und sich nicht ganz zur Null zu machen weiß. Nun wiederhohl ich, daß ich einerseits sehr überzeugt bin, daß ich mehr 45 oder weniger immerhin an meinem Karakter und an meinen Kräften leiden muß, wenn ich meine 2jährigen Erfahrungen noch länger

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.170.171

fortzusezen genötigt bin, und so scheint die Wahl eines eindern weni-ger zerstreuenden Verhältnisses meine Pflicht zu seyn. Ich würde

50 zum Beispiel weit weniger Kollisionen der genannten Art erfahren, wenn ich, wie Neuffer in Stutgard, hier oder in Mannheim oder in einer andern großen Stadt in verschiedenen Häußern Unterricht gäbe, und es ist hier schon oft der Fall gewesen, daß ein Hofmeister auf diese Art seine Lage veränderte. Ich würde auch mehr eigne

55 Zeit gewinnen, und das Einkommen würde zu meinem Lebens-unterhalt hinreichen. — Aber von der anderen Seite fühl' ich auch, daß es überall schwer ist, uns in einem gewissen Grade gut und stark zu erhalten, und daß eine Lage die man schon kennt, und schon handzuhaben ein wenig gelernt hat, immer im Allgemeinen einer

60 fremden vorzuziehen ist, wo man wieder von neuem anfangen muß, die Dinge um uns zurecht zu bringen. Dann sind auch die Menschen, unter denen ich lebe, doch nicht so, daß ich es über mich bringen könnte, im Unfrieden zu scheiden, und auf eine sanfte Art fortzu-kommen, hält sehr schwer; wenigstens wüßt' ich es für jezt nicht

65 wohl anzufangen. Dann verlaß ich auch meine Kinder nicht gerne, zum Theil, weil sie mir wirklich lieb sind, und zum Theil, weil ich sie nach und nach gewohnt bin. Dann giebt auch eine Veränderung der Lage eine Störung in meinen Beschäfftigungen, die ich jezt sehr ungern unterbreche. Vorzüglich aber hält mich diß fest, weil ich Sie

70 zu beunruhigen fürchte. Es ist also für izt nichts anders zu thun, als alle Kunst und alle Vorsicht zu gebrauchen, um die Gesellschaft, worinn ich lebe, nicht sehr störend auf mich wirken zu lassen, und still und vest auf meinem eignen Wesen zu beruhen. Vorzüglich muß ich eben in Gedanken haben und behalten, daß das Leben eine

75 Schule ist, und daß die ruhigen, ächtglüklichen Augenblike auch nur Augenblike sind. Vieleicht wirds auch nun stiller in unserem Hauße; dieses ganze Jahr haben wir fast beständig Besuche, Feste und Gott weiß I was alles gehabt, wo dann freilich meine Wenigkeit immer am schlimmsten wegkommt, weil der Hofmeister besonders in Frankfurt

80 überall das fünfte Rad am Wagen ist, und doch der Schiklichkeit wegen muß dabei seyn. Amenl ich weiß nicht, wie viele Blätter

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Nr.148.149 B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

lang ich Ihnen einmal wieder ein Klagelied gesungen habe. Man muß eben denken, daß man die Ehre, unter die gebildetere Klasse zu ge-hören, überall mit etwas Schmerz bezahlen muß. Das Glük ist hinter dem Pfluge. Lassen Sie sich aber ja nicht beunruhigen, beste Mutter! 85 Wenn Sie nur nicht sorgen müssen, daß mein Wesen unter meinem Schiksaal leidet 1 und so weit soll es auch nie konamen. Schweigen dürft ich nicht ganz. Um mich für jezt und künftig zu beurtheilen, müssen Sie auch von meinen Umständen das Nöthige wissen.

Ich schike Ihnen und der lieben Fr. Grosmamma hier Halstücher, 90 wie ich glaubte, daß sie Ihrer gütigen Vorschrift gemäß seyn. Für die 1. Schwester gehört das Nez, um die Haare drein zu binden. Es wird hier sehr häufig getragen. Die Art, wie es aufgesezt wird, wird wohl auch in Blaubeuren bekannt seyn. Sie soll eben vorlieb nehmen, bis ich etwas anständigeres für sie gefunden habe. Für HE. Schwager bin 95 ich so frei, ein paar Stüke englisch Leder zu Stiefeln beizulegen. Die Vorschuhe werden von gewöhnlichem Leder gemacht. Er soll mich nur nicht auslachen.

Dem lieben Karl schreib ich geradezu nach Gröningen. Der lieben Schwester schreib ich diese Woche noch. Der lange Brief an Sie lieb- loo ste Mutter, hat mir die Zeit weggenommen.

Tausend herzliche Empfehlungen an alle. Ihr

ergebenster Sohn Hölderlin. 105

149. A N D E N B R U D E R

Meine Tage sind jezt meist so ausgefüllt, daß es einigermaasen zu entschuldigen ist, daß ich den Brief an Dich, meinTheurerl so lange nicht weggeschikt. Sei doch so gut und schreibe unserer lieben Mut-ter! daß ich meine Lage wieder ganz zurechtgebracht, und daß ich ruhig lebe, und gesünder bin, als diesen Sommer; aber ich bitte Dich, mein Lieber! thu' es doch gleich. Ich möchte die gute Mutter jezt

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B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.i49. ISO

k e i n e n A u g e n b l i k m e h r ü b e r m i c h b e u n r u h i g t w i s s e n , d e n n n a c h

I h r e m Karakter w a r sie d i ß w a h r s c h e i n l i c h ü b e r m e i n e n lez ten B r i e f .

L e b w o h l , B e s t e r ! S c h r e i b e m i r ba ld was g u t e s .

150. A N D I E M U T T E R

T h e u r e M u t t e r I

I c h b e d a u r e h e r z l i c h , d a ß Sie sich m e i n e t w e g e n S o r g e g e m a c h t

h a b e n . I c h hätte d e ß w e g e n sehr g e w ü n s c h t , e i n m a l , d a ß Sie m e i n e n

lez ten B r i e f , als das , was er w i r k l i c h ist , n e m l i c h als e i n e l e i d e n -

5 schaft lose D a r s t e l l u n g des H o f m e i s t e r l e b e n s , w i e es m e h r o d e r w e -

n i g e r übera l l ist, g e n o m m e n , d a ß S ie f e r n e r m e i n e E r z ä h l u n g aus

d e m G e s i c h t s p u n c t e b e t r a c h t e t h ä t t e n , d a ß es m i r n o t h w e n d i g w a r ,

I h n e n das W a h r e m e i n e r L a g e zu s a g e n , w e i l Sie be i e i n e r m ö g l i c h e n

V e r ä n d e r u n g m e i n e M a a s r e g e l n hät ten f ü r g r u n d l o s n e h m e n m ü s -

10 s e n . Sie k ö n n e n u n m ö g l i c h w ü n s c h e n , d a ß i r g e n d e i n M e n s c h u n t e r

j e d e r B e d i n g u n g e in V e r h ä l t n i ß b e i b e h a l t e .

Ü b r i g e n s k ö n n e n Sie vers i cher t s e y n , d a ß i ch e i n e L a g e , d i e i ch e i n -

m a l b e g r i f f e n u n d so v ie l m ö g l i c h , m i r a k k o m o d i r t h a b e , o h n e N o t h

n i e m a l s ver lassen w e r d e . V o r z ü g l i c h aber b e d a u r e i c h , l iebste M u t t e r ,

15 d a ß Sie d ie N a c h r i c h t v o n m e i n e m W o h l b e f i n d e n , d ie i c h , d u r c h d e n

l i e b e n K a r l , I h n e n u n m i t t e l b a r a u f I h r e n v o r l e z t e n B r i e f zu wissen that ,

w i e es s c h e i n t , n o c h n i c h t e rha l t en h a b e n . W a h r s c h e i n l i c h hat sich d e r

B r i e f an m e i n e n B r u d e r verspäte t , w e i l i ch i h m e in P a q u e t s ch ikte , das

a u f d e m l a n g s a m e n P o s t w a g e n a b g e h e n m u ß t e . D a s w a r a u c h d e r

20 G r u n d , w a r u m ich m i t e i n e m Br ie f e an Sie so l a n g e z ö g e r t e . I c h w o l l t e

I h n e n so v ie l s chre iben , d a ß ich d ie r e c h t e S t u n d e n i e m a l s f i n d e n k o n n -

t e , u n d w e i l ich g l a u b t e , Sie d u r c h d e n 1. Kar l b e r u h i g t zu h a b e n , so

m e i n t ' i c h , d a ß ich w o h l e i n e b e q u e m e S t u n d e a b w a r t e n k ö n n t e .

D a s G l ü k m e i n e r h e b e n S c h w e s t e r ist m i r u n e n d l i c h v i e l w e r t h ,

25 u n d e b e n so h o c h s chäz ' ich d ie s c h ö n e E h r e , d i e m i r so n e u ist , v o n

so w ü r d i g e n E l tern z u m P a t h e n , z u m b e s o n d e r n l e b e n s l ä n g l i c h e n

F r e u n d e ihres K i n d s b e r u f e n z u s e y n .

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Page 273: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.lSO.lSl B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

G e n i e ß e n Sie n u n g a n z d e r F r e u d e , d i e I h r e m H e r z e n d e r u n -

s c h u l d i g e E n k e l u n d das h ä u s l i c h e G l ü k e i n e r s chäzbaren T o c h t e r

g e b e n m u ß , u n d lassen Sie I h r e R u h e d u r c h k e i n e G e d a n k e n a n d e n 30

S o h n s t ö r e n , d e r e b e n in d e r F r e m d e l e b t , u n d l e b e n m u ß , bis se ine

e i g n e N a t u r u n d ä u ß e r e U m s t ä n d e i h m e r l a u b e n , a u c h i r g e n d w o

m i t H e r z u n d S i n n e n e i n h e i m i s c h z u w e r d e n .

L a s s e n S i e , i c h b i t t e S ie , d i ß Jahr e i n Jahr d e r R u h e f ü r Sie w e r -

d e n . Sie h a b e n das I h r e in d e r W e l t g e t h a n . S ie k ö n n e n z u f r i e d e n 35

s e y n . S ie h a b e n a u c h so v i e l , b e s o n d e r s in d e r l e z t e n Z e i t e r f a h r e n ,

u m g l a u b e n z u k ö n n e n , u n d l e b e n d i g i n n e z u w e r d e n , d a ß i m E i n z e l -

n e n , w i e i m G a n z e n , m i t t e n in S t ü r m e n e i n g u t e r a l l e r h a l t e n d e r

G e i s t u n e n d l i c h w a l t e t u n d l e b t , e i n G e i s t des F r i e d e n s u n d d e r O r d -

n u n g , d e r d a r u m n u r i n d e n K a m p f e i n w i l l i g e t , in L e i d e n u n d T o d , 40

u m ü b e r a l l alles d u r c h d ie M i s t ö n e des L e b e n s z u h ö h e r n H a r m o n i e n

z u f ü h r e n . D a s ist a u c h m e i n e s H e r z e n s G l a u b e , u n d in d i e s e m

G l a u b e n , d i e s e m S i n n e w ü n s c h ' i ch I h n e n e i n gutes Jahr . L e b e n Sie

r e c h t w o h l I L a s s e n S ie m i c h m e i n langes S t i l l s c h w e i g e n d o c h n i c h t

e n t g e l t e n . 45

I h r

t r e u e r S o h n

F r i z .

151. A N D E N S C H W A G E R B R E U N L I N

F r a n k f . a . M . d . 1 0 / a n . 1 7 9 8 .

Res te r H E . S c h w a g e r I

I c h w e i ß I h n e n n i c h t g e n u g z u s a g e n , w i e sehr i c h es a c h t e , n u n

d u r c h e i n n e u e s s chönes B a n d a n Sie g e k n ü p f t z u s e y n . G l a u b e n S i e ,

es h e i ß t m i r r e c h t sehr v i e l , m i c h d e n P a t h e n I h r e s l i e b e n K i n d e s 5

n e n n e n z u d ü r f e n . Sie g e b e n m i r e i n b e s o n d e r e s R e c h t , i m G e i s t e

t h e i l n e h m e n zu d ü r f e n a n I h r e n V a t e r s o r g e n u n d V a t e r f r e u d e n , u n d

das ist f ü r m i c h e i n n e u e r G r u n d , das L e b e n z u l i e b e n , d a ß S ie a u f

d iese A r t m e i n e n S i n n a u f e i n u n s c h u l d i g W e s e n g e h e f t e t h a b e n , das

n u n d e m Schiksaal u n d d e r l e b e n d i g e n W e l t e n t g e g e n w ä c h s t . I c h l o

260

Page 274: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.lSl

betrachte a u c h se ine T a u f e als e i n Z e u g n i ß unseres G l a u b e n s a n d ie

k ü n f t i g e M e n s c h e n w ü r d e des K i n d e s , u n s e r e r H o f f n u n g , d a ß das

h e i l i g e u n e n t w i k e l t e L e b e n h e r v o r g e h n w i r d z u m G e f ü h l e se iner

se lbst , u n d a n d e r e r W e s e n , z u m G e f ü h l e d e r l e b e n d i g e n G o t t h e i t ,

15 in d e r w i r l e b e n u n d s ind , zu d e m ä c h t e n C h r i s t u s g e f ü h l e , d a ß w i r

u n d d e r V a t e r Eins s i n d , u n d in d i esen G e d a n k e n h ä t t ' i ch g e r n e das

l i e b e K i n d a u c h m i t d e n a n d e r n a u f d i e A r m e g e n o m m e n .

D i e b r a v e W ö c h n e r i n m a g n u n a u c h i h r e F r e u d e h a b e n . S ie ist

a u c h ihres G l ü k s so w e r t h . I c h w ü n s c h t e r e c h t sehr , i h r z e i g e n z u

20 k ö n n e n , w i e sehr i c h sie schäze u n d l i e b e . I c h h a b e n u n a u c h e i n e n

Z u g m e h r , zu e i n e m B e s u c h in m e i n e r t h e u e m F a m i l i e , u n d so b a l d

i c h es n u r m i t a n d e r n R ü k s i c h t e n , d i e i c h z u n e h m e n g e n ö t h i g e t

b i n , v e r e i n i g e n k a n , so w e r d ' i ch m e i n e n W u n s c h m i r e r f ü l l e n .

D a n n soU m i r a u c h I h r U m g a n g b e s o n d e r s , t h e u e r s t e r H E . S c h w a -

25 g e r 1 m a n c h e H o f f n u n g e r f ü l l e n . I c h h a b e das Schiksaal so w e i t e h r e n

g e l e r n t , d a ß e in t i e f e r f a h r e n e r G e i s t d e r e i n z i g e ist , b e i d e m i ch n o c h

g e r n e in d i e S c h u l e g e h e n m ö c h t e . I c h f ü h l e i m m e r m e h r , w i e u n -

z e r t r e n n l i c h u n s e r W i r k e n u n d L e b e n m i t d e n K r ä f t e n z u s a m m e n -

h ä n g t , d i e u m u n s h e r s ich r e g e n , u n d so ist n a t ü r l i c h , d a ß i c h es

30 l a n g e n i c h t h i n r e i c h e n d h a l t e , aus s ich se lber z u s c h ö p f e n , u n d se ine

E i g e n t h ü m l i c h k e i t , w ä r e sie a u c h d i e a l l g e m e i n g ü l t i g s t e , b l i n d l i n g s

u n t e r d ie G e g e n s t ä n d e h i n e i n z u w e r f e n . W o l l e n S ie m i r d e n V e r l u s t

I h r e s p e r s ö n l i c h e n U m g a n g s z u w e i l e n d u r c h e i n e n B r i e f e r s e z e n , so

w e r d ' i ch es zu s chäzen w i s s e n .

35 I h r e n v o r l e z t e n B r i e f h a b e i ch n o c h n i c h t e r h a l t e n . E r l a u b e n S ie

m i r , z u m Z e i c h e n m e i n e r F r e u d e f ü r das K l e i n e d iese K l e i n i g k e i t

b e i z u l e g e n . R e c h n e n S ie in a l l e m a u f m i c h , w a s Ü b e r e i n s t i m m u n g

m i t I h n e n u n d E r g e b e n h e i t f ü r I h r e F a m i l i e e r f o r d e r t .

M e i n e r l i e b e n S c h w e s t e r w i l l i ch in d e r n ä c h s t e n r u h i g e n S t u n d e

40 se lber n o c h s c h r e i b e n . Küssen Sie das l i e b e K i n d in m e i n e m N a h m e n ,

u n d d ie a n d e r n d a z u .

I h r

e r g e b e n s t e r S c h w a g e r

M. H ö l d e r l i n .

261

Page 275: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.lS2 B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

152. A N D E N B R U D E R

F r a n k f u r t , d . 12 F e b r .

A b g e g a n g e n d . 14 M ä r z . 1 7 9 8 .

L i e b s t e r B r u d e r I

Es b e w e i s t m i r f ü r D e i n e g u t e N a t u r , d a ß D u u n t e r a l l en D e i n e n

G e s c h a f f t e n an a c h t e m i n n e r e m L e b e n d o c h i m m e r g e w i n n s t , w i e 5

i c h s e h e ; v o n d e r a n d e r n Sei te bes tät ige t D e i n Be isp ie l m i c h in d e r

M e i n u n g , d i e i ch s c h o n o f t z u G u n s t e n d e r m e c h a n i s c h e n A r b e i t

w a g t e ; d a ß sie w e n i g e r t ö d t e n d se i , als e i n e W i r k s a m k e i t , w o i m

O b j e c t u n d in d e r B e h a n d l u n g d i e W i l l k ü h r m ö g l i c h e r i s t ; d a ß sie

d e n M e n s c h e n w e n i g e r z e r r e i ß e , als e i n m o r a l i s c h G e s c h ä f f t ; d a ß sie 10

vms l e idenscha f t l o ser lasse, in so f e r n d ie L e i d e n s c h a f t d o c h w o h l v o r -

n e h m l i c h d u r c h d ie U n g e w i ß h e i t k ö m m t , in d e r w i r u n s b e f i n d e n ,

w e n n e i n u n b e s t i m m t e r G e g e n s t a n d u n s k e i n e b e s t i m m t e R i c h t u n g

n e h m e n l ä ß t . W e i ß i ch n u r , w a s e i g e n t H c h z u t h u n ist , so w e r d ' i chs

a u c h m i t R u h e t h u n ; h a b ' i ch a b e r v o n d e m G e g e n s t a n d e k e i n e n 15

s i chern u n d g e n a u e n B e g r i f f , so w e i ß i ch a u c h n i c h t , w e l c h e K r a f t

u n d w e l c h e s M a a s v o n K r a f t i h m a n p a ß t , u n d m u ß i ch d e n n aus

F u r c h t , z u w e n i g z u t h u n , z u v i e l , o d e r aus F u r c h t , zu v i e l z u t h u n ,

z u w e n i g t h u n , d . h . l e i d e n s c h a f t l i c h h a n d e l n . L i e b e r K a r l l es ist o f t

w ü n s c h e n s w e r t h e r , b los m i t d e r O b e r f l ä c h e unsers W e s e n s bes chä f f - 20

t ig t z u s e y n , als i m m e r se ine g a n z e S e e l e , sei es in L i e b e o d e r i n

A r b e i t , d e r z e r s t ö r e n d e n W i r k l i c h k e i t auszusezen . A b e r d a v o n ü b e r -

z e u g t maui s ich n i c h t g e r n e in d e n S t u n d e n des j u g e n d l i c h e n E r -

w a c h e n s , w o al le K r ä f t e h i n a u s s t r e b e n n a c h T h a t e n u n d F r e u d e n ,

u n d es ist a u c h w o h l n a t ü r l i c h , d a ß w i r g e r n e u n s o p f e r n , d a ß w i r 25

u n s e m ersten F r i e d e n h i n g e b e n f ü r das G l ü k d e r W e l t u n d f ü r d e n

i m g e w i s s e n R u h m d e r N a c h w e l t . A b e r z u e i l i g m ü s s e n w i r n i c h t

s e y n , w i r m ü s s e n z u f r ü h n i c h t u n s r e s c h ö n e l e b e n d i g e N a t u r , d i e

h e i m a t h l i c h e W o n n e unsers H e r z e n s g e g e n K a m p f u n d E i f e r u n d

S o r g e v e r t a u s c h e n , d e n n d e r A p f e l fä l l t , w e n n er n i c h t k r a n k ist , 50

erst v o m S t a m m e , w e n n e r r e i f ist .

262

Page 276: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.lS2

L i e b e r Kar l 1 i ch s p r e c h e w i e e iner , d e r S c h i f f b r u c h ge l i t t en h a t .

So e i n e r rä th n u r gar z u g e r n e , d a ß m a n i m H a f e n b l e i b e n sol l , bis d i e

beste Jahrszeit zu d e r F a h r t v o r h a n d e n sei . I c h hatte o f f e n b a r zu f r ü h

35 h i n a u s g e s t r e b t , z u f r ü h n a c h e twas G r o ß e m g e t r a c h t e t , u n d m u ß es

w o h l , so l a n g i ch l e b e , b ü ß e n ; s c h w e r l i c h w i r d m i r e twas g a n z g e l i n -

g e n , w e i l i ch m e i n e N a t u r n i c h t in R u h e u n d anspruch loser S o r g e n -

los igke i t a u f r e i f e n l i e ß .

I c h s chre ibe das alles m e h r u m m e i n e t w i l l e n , w e i l das H e r z m i r

•0 vo l l d a v o n ist. D u brauchs t d iese P r e d i g t n i c h t sehr .

Shakspeare e r g r e i f t D i c h so g a n z ; das g l a u b ' i c h . D u m ö c h t e s t a u c h

v o n d e r A r t e twas s c h r e i b e n , l i eber K a r l l i ch m ö c h t ' es a u c h . Es ist

k e i n k l e i n e r W u n s c h . D u m ö c h t e s t es , w e i l D u a u f D e i n e N a t i o n

m i t w i r k e n m ö c h t e s t ; i ch m ö c h t ' es d a r u m a u c h , d o c h m e h r n o c h ,

45 u m in d e r E r z e u g u n g e ines so g r o ß e n K u n s t w e r k s , m e i n e n a c h V o l l -

e n d u n g d ü r s t e n d e See le zu sät t igen .

Ist es D e i n E r n s t , als Schr i f t s te l ler a u f d e n d e u t s c h e n Karakter z u

w i r k e n u n d d i ß u n g e h e u r e B r a c h f e l d u m z u a k e m u n d a n z u s ä e n , so

w o l l t ' i ch D i r r a t h e n , es Heber in o r a t o r i s c h e n , als poet i s chen V e r -

50 s u c h e n zu t h u n . D u w ü r d e s t s chne l l e r u n d s i cherer z u m Z w e k e g e -

l a n g e n . I c h w u n d e r t e m i c h s chon o f t , d a ß u n s e r e g u t e n K ö p f e n i c h t

h ä u f i g e r d a r a u f g e r a t h e n , e i n e k r a f t v o l l e R e d e zu s c h r e i b e n , z. B. ü b e r

d e n M a n g e l a n N a t u r s i n n b e i d e n G e l e h r t e n u n d G e s c h ä f f t s l e u t e n ,

ü b e r re l ig iöse Sc lavere i p . p . D i r l i e g e n po l i t i sche u n d m o r a l i s c h e G e -

55 g e n s t ä n d e i m V a t e r l a n d e besonders n a h , z. B. Z ü n f t e , S t a d t r e c h t e ,

C o m m u n r e c h t e p . p . Z u g e r i n g f ü g i g s ind der le i O b j e c t e g e w i ß n i c h t ,

u n d D u bist d u r c h D e i n e L o k a l k e n n t n i ß dazu b e r u f e n , w e n i g s t e n s f ü r

d e n A n f a n g . D o c h w i l l i ch m i t d e m a l l e m n i chts D i r e i n - u n d a u s r e d e n .

I c h h o f f e . D i c h ba ld z u s e h e n u n d zu s p r e c h e n . W e n n es n u r s ich

60 i r g e n d t h u n l ä ß t , k o m m ' i ch a u f d e n M ä r z zu e u c h L i e b e n . I c h s u c h e

R u h e , m e i n B r u d e r 1 D i e w e r d ' i ch f i n d e n a n D e i n e m H e r z e n u n d

i m U m g a n g m i t u n s r e r t h e u r e n F a m i l i e . Bester K a r l l i ch s u c h e n u r

R u h e . H a l t e m i c h n i c h t f ü r f e i g u n d schlaf f . M e i n e seit Jahren so

m a n n i g f a c h , so o f t e r s chüt ter te N a t u r w iU n u r s ich s a m m e l n , u m

65 d a n n e i n m a l w i e d e r f r i sch a n e i n e A r b e i t zu g e h n .

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Nr.lS2 B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

Weist Du die Wurzel alles meines Übels? Ich möchte der Kunst leben, an der mein Herz hängt, und muß mich herumarbeiten unter den Menschen, daß ich oft so herzhch lebensmüde bin. Und warum das ? Weil die Kunst wohl ihre Meister, aber den Schüler nicht nährt. Aber so etwas sag' ich nur Dir. Nicht wahr, ich bin ein schwacher 70 Held, daß ich die Freiheit, die mir nöthig ist, mir nicht ertroze. Aber siehe, Lieber, dann leb' ich wieder im Krieg, und das ist auch der Kunst nicht günstig. Laß es gut seyn 1 Ist doch schon mancher unter-gangen, der zum Dichter gemacht war. Wir leben in dem Dichterklima nicht. Darum gedeiht auch unter zehn solcher Pflanzen kaum eine. 75

Ich habe unter meinen kleinen Arbeiten noch keine gemacht, während welcher nicht irgend ein tiefes Leiden mich störte. Sagst Du, ich soll nicht achten, was mich leiden macht, so sag' ich Dir, ich müßte einen Leichtsinn haben, der mich bald um alle Liebe der Menschen brächte, unter denen ich lebe. — 80

Wie geht es denn in Eurer politischen Welt? Die Landtagsschrif-ten hab' ich noch nicht wiederfinden können. Ich hab' sie jemand geliehn und weiß nicht mehr, wem. Verzeih' es mir, mein Lieberl Ich halte Dich gern auf jede Art dafür schadlos.

Die Briefe, die ich Dir schiken sollte, nach dem Auftrage, den Du 85 hattest, müssen wohl in Nürtmgen in Verwahrung liegen. Hier hab' ich keine. Ich kenne mein Herz und weiß, daß es so kommen mußte, wie es kam. Ich hab' in meiner schönsten Lebenszeit so manchen lie-ben Tag vertrauert, weil ich Leichtsinn und Geringschäzung dulden mußte, so lange ich nicht der einzige war, der sich bewarb. Nachher 90 fand ich Gefälligkeit und gab Gefälligkeit, aber es war nicht schwer zu merken, daß mein erster tieferer Antheil in dem unverdienten Leiden, das ich duldete, erloschen war. Mit dem dritten Jahre meines Aufenthalts in Tübingen war es aus. Das Übrige war oberflächlich, und ich hab' es genug gebüßt, daß ich noch die zwei lezten Jahre in 95 Tübingen in einem solchen interesselosen Interesse lebte. Ich hab' es genug abgebüßt durch die Frivolität, die sich dadurch in meinen Karakter einschlich, und aus der ich nur durch unaussprechlich schmerzliche Erfahrungen mich wieder loswand. Das ist die reine

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B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.lS2.1S3

100 W a h r h e i t , l i eber K a r l l M u ß t D u v o n m i r s p r e c h e n , so s i e h , w i e D u

D i r h i l f s t . B e t r ü b e n m ö c h t ' i ch u m alles das g u t e H e r z n i c h t .

V o n D e i n e n A n g e l e g e n h e i t e n w i l l i c h , w i e i ch h o f f e , ba ld m ü n d l i c h

m i t D i r das N ä h e r e b e s p r e c h e n . I n j e d e m Fal l ists m i r e i n g r o ß V e r g n ü -

g e n , d a ß D u so f r ü h D i c h z u m g r ü n d l i c h e n G e s c h ä f f t s m a n n b i ldest .

105 D i e C i s r h e n a n e r w e r d e n n ä c h s t e n s , w i e m a n h o f f t , l e b e n d i g e r u n d

ree l l e r r e p u b l i k a n i s c h s e y n . Besonders soll in M a i n z d e m mi l i tär i s chen

D e s p o t i s m u s , d e r daselbst j e d e n F r e i h e i t s k e i m zu erst iken d r o h t e ,

n u n b a l d ges teuer t w e r d e n .

N u n , l e b ' w o h l , m e i n L i e b e r l W i e i m m e r

110 D e i n

Fr i z .

153. A N D I E M U T T E R

F r a n k f u r t , d . 10 M ä r z . 1 7 9 8 .

L i e b s t e M u t t e r I

M a n n i g f a l t i g e G e s c h ä f f t e h i n d e r n m i c h ö f t e r z u s c h r e i b e n . E i n

B r i e f , d e n m a n in e i n e r ü b r i g e n M i n u t e s chre ib t , ist fast des B o t e n -

5 l ohns n i c h t w e r t h u n d t räg t d e n A n s c h e i n v o n Kä l te u n d Nachläss ig -

kei t n o c h m e h r , als gänz l i ches S t i l l s c h w e i g e n , u n d z u e i n e m B r i e f e ,

w o i ch I h n e n d e u t l i c h e r d ie F o r t d a u e r m e i n e r k i n d l i c h e n G e s i n n u n -

g e n b e z e u g e n k a n n , f e h l t m i r , w i e gesag t , s ehr o f t R u h e u n d Z e i t .

Es ist f r e i l i ch m e i n e i g n e r S c h a d e . I c h m u ß a u c h u m so ö f t e r I h r e

10 l i e b e n B r i e f e , d i e i m w a h r s t e n S i n n e m e i n e m g a n z e n W e s e n o f t so

sehr w o h l t ä t i g s i n d , e n t b e h r e n . A b e r v i e l e i c h t b e g l ü k t m i c h b a l d I h r

p e r s ö n l i c h e r U m g a n g a u f e i n i g e Z e i t . D i e R e i s e in d ie S c h w e i z , d i e

i c h m i t m e i n e m Z ö g l i n g m a c h e n so l l te , s che in t u n t e r b l e i b e n z u w o l -

l e n . W e n i g s t e n s w i r d n ichts m e h r d a v o n g e s p r o c h e n , u n d d i e U n -

15 r u h e n in j e n e n G e g e n d e n s ind in j e d e m Fal le e i n h i n l ä n g l i c h e r

G r u n d d a g e g e n .

A b e r i ch h a b e v o r l ä u f i g v o n e i n e m B e s u c h e g e s p r o c h e n , d e n i c h

m e i n e r F a m i l i e z u m a c h e n W i l l e n s w ä r e , u n d m a n h a t m i r n i chts

d a g e g e n e i n g e w e n d e t . D i e K o s t e n , d i e i ch so sehr w i e m ö g l i c h , I h n e n

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Page 279: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.153 B R I E F E 179 6 - 1 7 9 8

u. mir ersparen werde, sind wohl nicht zu theuer, gegen das, was ich 20 an meinem Gemüth und meiner Gesundheit dabei gewinnen werde.

Sollte freilich mein Aufenthalt in Frankfurt nicht mehr lange dauern, so würd' es unklug seyn, meinen kleinen Geldvorrath zu schwächen, weil eine Veränderung in meiner Lage immerhin mit Unkosten verknüpft ist. 25

Ich bin jezt wieder gesünder, als vor einiger Zeit, wo ich sehr an Nervenkopfweh litt. Der Frühling thut jedem wohl, und es sollte mir durchaus gut bekommen, wenn ich ihn in Ruhe mit meinen Ver-wandten und Freunden genießen könnte.

Es muß Ihnen viel Freude gemacht haben, bei Ihren kleinen 30 Enkeln in Blaubeuren zu leben. Es ist ein lieber Ort, und Sie müssen in meinem Nahmen der guten Schwester dröhn, daß sie einige Tage mich wird behalten müssen, wenn meine kleine Reise zu Stande kommen sollte. Länger, als 14 Tage könnte mein Besuch im Ganzen nicht dauern, weil die Reise beinahe 14 Tage dauert und ich länger 35 als einen Monath nicht wohl aus seyn kann. Ob ich meinen Zögling mit mir nehme oder nicht, ist noch nicht ausgemacht. Ich würde auch schon lange wieder nach Blaubeuren geschrieben haben, wenn ich nicht so viel Hinderniß hätte.

Würd' ich doch Ihnen nicht lästig fallen, wenn ich mich ein paar 40 Tage zu Ihnen einquartirte? Sie haben mir noch gar nicht gesagt, in welcher Gegend ich Ihre neue Wohnung suchen müßte. Ich bin in jedem Falle begierig, zu wissen, wo ich Sie mir vorzustellen habe.

Ich will heute noch nachfragen, wie man das Haarnez aufsezt und dann das Rezept für die Hebe Schwester beilegen. Ich hatte das ganz 45 vergessen, sonst hätt'ich es schon lange besorgt.

Ich hatte eben Gelegenheit, zu fragen, wie das Haarnez aufgesezt würde. Da, wo es zusammengezogen wird, kommt es hinten an den Hals; der übrige Theil der Öffnung wird über alle Haare herein ge-zogen, bis an die Ohren; und über der Stirne steht es ungefähr 50 2 Finger breit hinter den Haaren zurük. Die hintern Haare werden geflochten oder ungeflochten hinaufgeschlagen und das Nez geht drüber her, wie eine Schlafhaube, so daß wenn es zusammengezogen

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B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.lS3. iS4. ISS

u n d Über d e r St i rne g e k n ü p f t ist, h i n t e n u n d a u f d e n Se i ten k e i n e

55 H a a r e h e r a u s g e h n ü b e r das N e z . D a n n w i r d ü b e r d ie S c h n u r , d i e das

N e z z u s a m m e n z i e h t , n o c h e in B a n d g e b u n d e n u n d o b e n , a u f d e m

K o p f , e in w e n i g a u f d e r Se i te , e i n e S c h l a u f e g e m a c h t . A b e r i ch

w e r d e w o h l d e r l i e b e n S c h w e s t e r das H a a r n e z selbst au fsezen m ü s -

s e n . — I c h w i l l I h n e n bald w i e d e r s c h r e i b e n , l iebste M u t t e r I I c h b i n

60 jez t gar zu sehr m i t G e s c h ä f t e n ü b e r h ä u f t . L e b e n Sie w o h l .

Ihr Fr iz .

154. A N N E U F F E R

F r a n k f u r t , i m M ä r z . 9 8 .

L i e b s t e r N e u f f e r l

I c h m a c h e m i r das V e r g n ü g e n , D i c h m i t e i n e m interessanten j u n -

g e n M a n n e z u s a m m e n z u b r i n g e n , d e r v o n e i n e r R e i s e d u r c h D e u t s c h -

5 l a n d in sein V a t e r l a n d d ie S c h w e i z z u r ü k k e h r t u n d d ie S t u n d e n , d i e

er in D e i n e m U m g a n g z u b r i n g e n w i r d , f ü r k e i n e v e r l o r e n e n ha l ten

w i r d . F.s ist H E . S c h i n z , K a n d i d a t d e r T h e o l o g i e aus Z ü r c h . E r w i r d

D i r v o n V a t e r Klops tok e r z ä h l e n , v o n J e n a , G ö t t i n g e n , D r e s d e n ,

B e r l i n p . p . Sei D u so g u t , u n d f ü h r ' i h n d a f ü r zu d e n K ü n s t l e r n in

10 S t u t g a r d u n d zu d e n a n d e r n , d i e D i r in l i terar ischer o d e r po l i t i scher

R ü k s i c h t , o d e r v o n Se i ten ihres gese l l s chaf t l i chen U m g a n g s interes -

sant s c h e i n e n . V e r z e i h m i r m e i n langes S t i l l s c h w e i g e n — M a l a d i e n ,

G e s c h ä f f t e , Z e r s t r e u u n g e n — u n d i c h h o f f es g u t zu m a c h e n , d e n n i ch

k o m m e in e i n i g e n W o c h e n selbst .

15 D e i n

H ö l d e r l i n .

155. A N D I E M U T T E R

F r a n k f u r t , d . 7 A p r . 1 7 9 8 .

L i e b s t e M u t t e r I

S ie w u n d e r n sich v i e l e i c h t , e i n e n B r i e f , statt e ines B e s u c h s , zu e r -

h a l t e n . A b e r d ie H i n d e r n i s s e , d i e s ich v o r f a n d e n , m e i n e n Z ö g l i n g

267

Page 281: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.lSS B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

m i t z x m e h m e n , w a r e n a u c h H i n d e m i s s e f ü r m i c h , d e n n i c h k a n n 5

m i c h n i c h t w o h l v o n i h m t r e n n e n , o h n e m e i n e n M a x i m e n u n d m e i -

n e m G e m ü t h e n t g e g e n z u h a n d e b i . U n d gesez t a u c h , d a ß f ü r j e z t

m e i n e u n a u s g e s e z t e A u f s i c h t n i c h t so n ö t i g f ü r i h n w ä r e , so w ü r d e i c h

d o c h n i c h t m i t r u h i g e m H e r z e n a b w e s e n d s e y n , w e i l es d o c h m ö g l i c h

w ä r e , d a ß er s ich v e r n a c h l ä s s i g t e , w ä h r e n d i ch n i c h t u m i h n w ä r e . l o

D a ß i ch n i c h t b ä l d e r s c h r i e b , m ü s s e n Sie s ich aus d e r U n e n t s c h l o s -

s e n h e i t e r k l ä r e n , in d e r i c h ü b e r m e i n e R e i s e w a r .

V i e l e i c h t f i n d e t s ich b a l d e i n g ü n s t i g e r e r Z e i t p u n c t , u m m e i n e

t h e u e m V e r w a n d t e n w i e d e r z u s e h n . I c h b i n s g e w o h n t , a u f e i n e n

W i m s c h z u r e s i g n i r e n , d e r n i c h t t h u n l i c h ist , i m d so k ö n n t ' i ch a u c h , 15

d a es d i e U m s t ä n d e z u e r f o r d e r n s c h i e n e n , e i n P r o j e c t a u f g e b e n , m i t

d e m i ch m i c h d e n W i n t e r ü b e r e imüsirte .

S ie w e r d e n r e c h t v e r g n ü g t e F e i e r t a g e h a b e n . U n d i c h f r e u e m i c h

in G e d a n k e n m i t daran . W e n n n u r d i e S o r g e n Sie n i c h t s t ö r e n , d i e S ie

s ich m a c h e n ü b e r d ie U n r u h n in W ü r t e m b e r g . I c h d e n k e a b e r , es soll 20

g u t g e h n . W e n n n u r d ie W ü r t e m b e r g i s c h e n H e r r e n D e p u t i r t e n e t -

w a s m e h r M u t h u n d G e i s t , u n d w e n i g e r K l e i n h e i t s s i n n u n d V e r -

l e g e n h e i t in R a s t a d t z e i g t e n , besonders b e i P e r s o n e n , v o n d e n e n d ie

E n t s c h e i d u n g a u s g e h t . A b e r d e r H e r r g iebts d e n S e i n e n s c h l a f e n d .

Es w i r d a u c h m i t d e n U n r u h e n so a r g n i c h t w e r d e n . U n d w e n n d i e 25

B a u e r n ü b e r m ü t h i g w e r d e n w o l l e n , u n d gesez los , w i e S ie f ü r c h t e n ,

so w i r d m a n sie s c h o n b e i m K o p f z u n e h m e n w i s s e n .

W a s m e i n e k ü n f t i g e V e r s o r g u n g b e t r i f t , d ü r f e n S ie n i c h t b a n g

s e y n , l i ebste M u t t e r I I c h w e r d e s i c h e r n i e m e h r in d e n Fal l k o m -

m e n , I h n e n z u r L a s t a n h e i m f a l l e n z u m ü s s e n . N u r m u ß i ch S ie b i t - 30

t e n , z u b e d e n k e n , d a ß w i r j ez t in e i n e r Z e i t s i n d , w o m a n n i c h t m e h r

aus L i e b h a b e r e i o d e r aus zärt l i cher S o r g e d i e o d e r j e n e V e r s o r g u n g ,

als aussch l i eß l i ch e h r e n h a f t , r ee l l u n d passend z u b e t r a c h t e n h a t .

H ä t t ' i ch m i c h z u n i chts g e b i l d e t , als m e i n B r o d z u v e r d i e n e n a u f d e r

K a n z e l , d i e i c h n i c h t b e t r e t e n m a g , w e i l sie z u h i m m e l s c h r e i e n d e n t - 35

w e i h t w i r d , h ä t t ' i c h z u sonst n i chts d i e J u g e n d k r ä f t e v e r w a n d t , so

m ö c h t ' es b a l d v i e l e i c h t e i n w e n i g m i ß l i c h s t e h n , m i t m e i n e m B r o d -

e r w e r b . A b e r i c h d e n k e , es soll so s c h l i m m m i t m i r n i c h t w e r d e n .

268

Page 282: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.ISS. 156

H E . S c h w a g e r u n d d e r l i e b e n S c h w e s t e r u n d a n Kar l w e r d ' i ch

+0 n o c h d iese W o c h e s c h r e i b e n , w e n n i ch m i c h z u v o r e i n w e n i g a u f d e r

M e s s e u m g e s e h e n h a b e . U n d d a n n so l len a u c h Sie e i n e n B r i e f b e -

k o m m e n , l iebste M u t t e r , d e r w e n i g e r f l ü c h t i g ist , als d ieser . I c h

w e r d e m i r d i ß m a l n a c h e i g n e m G e f a l l e n e twas v o n d e r M e s s e f ü r S ie

s u c h e n ; d e n n Sie sagen m i r d o c h n i c h t i m E r n s t , w a s I h n e n a m bes ten

45 g e f ä l l t .

V i e l e h e r z l i c h e E m p f e h l u n g e n a n alle I

I h r

Fr i z .

156. A N D I E S C H W E S T E R

L i e b s t e S c h w e s t e r 1

I c h hät te D i r b ä l d e r g e s c h r i e b e n , w a n n i ch n i c h t v o n e i n e r W o c h e

z u r a n d e r n g e h o f f t h ä t t e . D i c h z u s p r e c h e n . L a i d e r t hat s ich dieses

v e r e i t e l t , u n d i ch h ä t t ' es w a h r s c h e i n l i c h v o r a u s g e s e h e n , d a ß m e i n e

5 L a g e m i r s v e r h i n d e r n w ü r d e , w a n n m i c h n i c h t das V e r l a n g e n , e u c h

w i e d e r z u s e h e n , b l i n d g e m a c h t hä t t e . E i n H a u p t g r u n d ist d e r , d a ß

i ch m i c h n i c h t w o h l v o n a l l e m G e l d e entb l ösen k a n n , u m n i c h t d u r c h

d iese Fessel a n m e i n V e r h ä l t n i ß g e b u n d e n z u s e y n , u n d i m Fal l e i n e r

V e r ä n d e r u n g e twas g e s a m m e l t z u h a b e n , w a s f ü r d e n A n f a n g w e n i g -

10 stens h i n r e i c h t e . D a n u n n o c h a n d r e G r ü n d e h i n z u k a m e n , z . B . d a ß

i ch m e i n e n Z ö g l i n g n i c h t h i e r lassen u n d d o c h a u c h n i c h t o h n e

S c h w i e r i g k e i t e n m i t m i r n e h m e n k o n n t e , so e n t s c h l o ß i ch m i c h e n d -

l i c h , e i n e F r e u d e z u v e r l ä u g n e n , m i t d e r i ch m i c h m a n c h m a l d e n

W i n t e r ü b e r e r h e i t e r t ha t t e .

15 Je l ä n g e r m a n g e t r e n n t ist , l i ebste S c h w e s t e r I u m so g l ü k l i c h e r

w i r d d ie Z e i t , w o m a n e i n m a l w i e d e r e i n a n d e r n ä h e r ist , u n d w i r

h a b e n ja d ie s c h ö n e H o f f n u n g , e i n a n d e r i m m e r w i e d e r g a n z u n d g e -

s u n d zu f i n d e n .

D u wi rs t r e c h t f r o h s e y n , d e n F r ü h l i n g in R u h e g e n i e ß e n z u k ö n -

20 n e n , in D e i n e m s c h ö n e n h ä u s l i c h e n u n d gese l l s cha f t l i chen Kre i se .

269

Page 283: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.lS6.lS7 B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

D e i n G l ü k ist a c h t ; D u lebst in e i n e r S p h ä r e , w o n i c h t v i e l e R e i c h e n ,

u n d n i c h t v i e l e E d e l l e u t e ü b e r h a u p t n i c h t v i e l Ar i s tokraten s i n d ;

u n d n u r in d e r G e s e l l s c h a f t , w o d ie g o l d n e M i t t e l m ä ß i g k e i t zu H a u s

ist , ist n o c h G l ü k u n d F r i e d e u n d H e r z u n d r e i n e r S i n n zu f i n d e n , w i e

m i r d ü n k t . H i e r z . B . s iehst D u , w e n i g ä chte M e n s c h e n a u s g e n o m - 25

m e n , l auter u n g e h e u r e K a r i k a t u r e n . Bei d e n m e i s t e n w i r k t i h r

R e i c h t u m , w i e bei B a u e r n n e u e r W e i n ; d e n n g e r a d so l ä p p i s c h ,

s c h w i n d l i c h , g r o b u n d ü b e r m ü t h i g sind s ie . A b e r das ist a u c h g e w i s -

s e r m a a ß e n g u t ; m a n l e r n t s c h w e i g e n u n t e r s o l c h e n M e n s c h e n , u n d

das ist n i c h t w e n i g . 30

I c h sch ike D i r e i n e n sehr ga lanten m i t k l e i n e n R i e c h f l ä s c h c h e n

v e r s e h e n e n F ä c h e r aus d e r h i e s i g e n M e s s e . W e i l i ch z u ö k o n o m i s c h

b i n , u m D i r was solides zu s c h i k e n , m u ß i ch D i r w a s närr isches

s c h i k e n , d e n n das e i n e w i e das a n d e r e w i l l e twas h e i ß e n .

E n t s c h u l d i g e m i c h be i D e i n e m 1. M a n n e , d a ß i ch n o c h n i c h t 35

s c h r e i b e ; f ü r i h n m ö c h t ' i ch g e r n e e i n e S t u n d e , w o i ch m i c h s a m m e l n

k a n n , u n d das s ind u n s r e N e b e n s t u n d e n n i c h t h ä u f f i g .

G r ü ß e D e i n e l i e b e n K i n d e r . Chr is t ian w i r d n u n r e c h t h e r a n g e -

w a c h s e n s e y n . M e i n e Jfr . B r a u t H e i n r i k e soll m i c h r i c h t i g l e d i g f i n -

d e n , w e n n sie e i n m a l c o n f i r m i r t ist. D e r A l l e rk l e ins te ist d o c h w o h l 40

g e s u n d u n d stark?

L e b e w o h l , l i ebe S c h w e s t e r I g r ü ß e u n s e r e F r e u n d e .

D e i n

Fr iz .

157. A N D I E M U T T E R

L i e b s t e M u t t e r I

S ie k o m m e n d i ß m a l z i e m l i c h k u r z w e g . I c h h a b e , i m V e r t r a u e n

a u f I h r e N a c h s i c h t , d e n b e i d e n a n d e r n schon g e s c h r i e b e n , u n d w e n n

i ch n i c h t w a r t e n w i l l , bis w i e d e r d ie Post g e h t , so b le ibt m i r b e i n a h e

k e i n e Z e i t m e h r ü b r i g . I c h h a b e I h n e n m i t e i n e m H e r z e n vol l F r e u d e 5

g e d a n k t f ü r I h r e n l i eben t h e i l n e h m e n d e n B r i e f . Sie h a b e n s chon so

v i e l m i r g e g e b e n , g e b e n m i r i m m e r n o c h so v i e l d u r c h I h r e m ü t t e r -

270

Page 284: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.if?

l i e h e L i e b e , k ö n n t ' i ch d o c h a u c h m e h r b e i t r a g e n , u m I h n e n I h r

t h e u r e s L e b e n z u e r h e i t e r n .

10 I c h b i n sehr b e s o r g t , o b I h n e n das A u s z i e h n n i c h t z u u n b e q u e m

g e w o r d e n ist. D e n k e n Sie e b e n , l i ebste M u t t e r , in w i e m a n c h e m

H a u ß e i ch z u m Beispie l aus u n d e i n g e z o g e n b in bis j e z t , u n d g l a u b e n

S i e , j e d e r W e c h s e l , a u c h d e r u n b e d e u t e n d e , b r i n g t L e i d e n , w e n n

m a n n i c h t m i t e i n e r g e w i s s e n R u h e u n d Stärke i h n a n s i e h t . I c h sehe

15 n u n i m m e r m e h r , w i e v ie l w i r u n s d u r c h gewisse V o r s t e l l u n g e n jedes

Schiksaal e r h e i t e r n u n d e r l e i c h t e r n k ö n n e n . I n tausend Fäl len ists

r i c h t i g , d a ß , w e r n i c h t l e iden w i l l , a u c h n i e m a l s l e idet . Es ist f re i l i ch

e i n e A r b e i t , bis m a n d ie ä u ß e r e n Z u f ä l l e e in w e n i g g l e i c h g ü l t i g e r

a n s e h e n g e l e r n t u n d i r g e n d e in Interesse i r g e n d e i n e g u t e S t i m m u n g

20 g e w o n n e n h a t , d i e e i n e m in j e d e m Fal le b l e ib t . A b e r w e n n mein so

w e i t ist , h a t m a n a u c h so v i e l , als n u r e i n M e n s c h sich w ü n s c h e n

k a n n . —

W a s m a c h t u n s e r e l i ebe F r . G r o s m a m a ? Sie sol l ten in d iesen s chö -

n e n T a g e n r e c h t o f t z u s a m m e n spaziren g e h n .

25 S ie b i t t en m i c h u m e i n e v o n m e i n e n A r b e i t e n ? I c h d a n k e I h n e n

r e c h t sehr , d a ß Sie u m m e i n e S c h r e i b e r e i e n sich b e k ü m m e r n m ö g e n .

D a s n ä c h s t e m a l wil l ich etwas b e i l e g e n .

S a g e n S ie m i r a u c h , l iebste M u t t e r , w a s i ch I h n e n v o n d e r M e s s e

s ch iken sol l . I c h v e r s t e h e m i c h gar w e n i g , a u f der le i D i n g e . A b e r i ch

30 b i t te Sie r e c h t sehr , d a ß S ie m i r e twas n e n n e n . Sonst g e b ' i ch I h n e n

z u m T r o z m e h r aus , u n d k a u f e m e h r e i n , a l s i ch so l l te .

L e b e n Sie r e c h t w o h l l

I h r

Fr iz .

271

Page 285: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.iSS B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

158. A N N E U F F E R

F r a n k f u r t . J u n . 9 8 .

I c h m a g D i c h k e i n e n A u g e n b l i k l ä n g e r i m Z w e i f e l ü b e r m i c h las-

s e n , l iebster N e u f f e r 1 u n d s chre ibe d e ß w e g e n in al ler E i l e n o c h diese

paar W o r t e , e h e d i e Pos t a b g e h t , u m D e i n e n l ez ten B r i e f a u f d e r

Ste l le z u b e a n t w o r t e n . 5

H e i g e l i n sagte m i r , D u hättest i h m g e s a g t , e r soll m e i n e n B e i t r a g

z u D e i n e m A l l m a n a c h a u f se iner R ü k r e i s e m i t s ich n e h m e n , u n d

w e i l i c h i h n al le T a g e e r w a r t e t e , v e r s c h o b i c h m e i n e A n t w o r t so

l a n g e . M a n c h e L e i d e n h a b e n m i c h a u c h i n d o l e n t g e m a c h t . V e r g i e b ,

B e s t e r l u n d l a ß , u m u n s e r e r a l ten T a g e w i l l e n I m i c h D e i n H e r z l o

n i c h t a u c h v e r H e r e n , d e n n i c h b r a u c h es sehr .

B e i l i e g e n d e n B r i e f h a b ' i ch s c h o n l a n g a n D i c h g e s c h r i e b e n . D e r

M e r e a u k ö n n t ' i ch n i c h t w o h l s c h r e i b e n , w e i l m a n sagt , i c h h a b e

e i n e n L i e b e s h a n d e l m i t i h r o d e r w e r w e i ß m i t w e m ? in J e n a g e h a b t .

— A c h l L i e b e r l es s ind so w e n i g e , d i e n o c h G l a u b e n a n m i c h h a b e n , 15

i m d d i e h a r t e n U r t h e i l e d e r M e n s c h e n w e r d e n w o h l so l a n g e m i c h

h e r u m t r e i b e n , bis i ch a m E n d e , w e n i g s t e n s aus D e u t s c h l a n d , f o r t

b i n . N e h m e v o r H e b m i t d e n k l e i n e n G e d i c h t c h e n . W e n n s n u r m ö g -

l i c h ist , s ch ik i ch D i r n o c h e i n g r ö ß e r e s n a c h . I c h b i n a u c h , e h e i c h

w u ß t e , d a ß i ch D i r d a m i t d i e n e n k a n n , v o n a n d e r n u m G e d i c h t e 20

a n g e g a n g e n w o r d e n , u n d m u ß t e , w e i l i c h s ie v e r s p r o c h e n h a t t e ,

W o r t h a l t e n .

E w i g u n d v o n g a n z e m H e r z e n

D e i n

H ö l d e r l i n . 25

Sei d o c h so g u t , u n d s chre ibe m i r b a l d w i e d e r u n d l a ß m i c h e twas

v o n D e i n e r A r b e i t s e h n ; es w a r e i n e g r o ß e G r i l l e , d a ß D u dachtes t .

D e i n A l l m a n a c h h a b e m e i n e n Be i fa l l n i c h t . Se in I n h a l t k a n n ja erst

das U r t h e i l b e s t i m m e n , u . i ch w e i ß z u m v o r a u s , d a ß , w a s v o n D i r ist ,

m i r g e f a l l e n w i r d . 30

272

Page 286: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.i69

159. A N S C H I L L E R

F r a n k f u r t , d . 3 0 Jim. 1 7 9 8 .

H a l t e n Sie es n i c h t f ü r U n b e s c h e i d e n h e i t , d a ß i c h I h n e n w i e d e r

e i n i g e G e d i c h t e z u s c h i k e ; w e n n i ch s c h o n m i c h z u d e r H o f f n u n g

I h r e s Bei fa l ls n i c h t b e r e c h t i g e t f i n d e .

5 So sehr i c h v o n m a n c h e r Se i te n i e d e r g e d r ü k t b i n , so sehr a u c h

m e i n e i g n e s u n p a r t h e i i s c h e s U r t h e i l m i r d i e Z u v e r s i c h t n i m m t , so

k a n n i ch es d o c h n i c h t ü b e r m i c h g e w i n n e n , m i c h aus F u r c h t des

T a d e l s v o n d e m M a n n e zu e n t f e r n e n , dessen e i n z i g e n Ge i s t i ch so

t i e f f ü h l e , u n d dessen M a c h t m i r längst v i e l e i c h t d e n M u t h g e n o m -

i c m e n h ä t t e , w e n n es n i c h t e b e n so g r o ß e L u s t w ä r e , als es S c h m e r z ist,

Sie z u k e n n e n .

S ie d u r c h s c h a u e n d e n M e n s c h e n so g a n z . Es w ä r e d e ß w e g e n

g r u n d l o s u n d u n n ü z , v o r I h n e n n i c h t w a h r zu s e y n . S ie wissen es

selbst , d a ß j e d e r g r o ß e M a n n d e n a n d e r n , d i e es n i c h t s i n d , d i e R u h e

15 n i m m t , u n d d a ß n u r u n t e r M e n s c h e n , d i e s ich g l e i c h e n , G l e i c h g e -

w i c h t u n d U n b e f a n g e n h e i t b e s t e h t . D e ß w e g e n d a r f i ch I h n e n w o h l

g e s t e h e n , d a ß i ch z u w e i l e n in g e h e i m e m K a m p f e m i t I h r e m G e n i u s

b i n , u m m e i n e F r e i h e i t g e g e n i h n zu r e t t e n , u n d d a ß d i e F u r c h t , v o n

I h n e n d u r c h u n d d u r c h b e h e r r s c h t z u w e r d e n , m i c h s c h o n o f t v e r -

20 h i n d e r t h a t , m i t H e i t e r k e i t m i c h I h n e n z u n ä h e r n . A b e r n i e k a n n i ch

m i c h g a n z aus i h r e r S p h ä r e e n t f e r n e n ; i ch w ü r d e m i r so lch e i n e n A b -

fa l l s c h w e r l i c h v e r g e b e n . U n d das ist a u c h g u t ; so l a n g i ch n o c h in

e i n i g e r B e z i e h u n g b i n m i t I h n e n , ist es m i r n i c h t m ö g l i c h , e in g e -

m e i n e r M e n s c h zu w e r d e n , u n d w e n n s c h o n d e r Ü b e r g a n g v o m G e -

25 m e i n e n z u m V o r t r e f l i c h e n n o c h s c h l i m m e r ist , als das G e m e i n e

se lbst , so w i l l i c h d o c h in d i e s e m Fal le das S c h l i m m e r e w ä h l e n .

I h r

w a h r e r V e r e h r e r

H ö l d e r l i n .

273

Page 287: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.l60 B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

160. A N D I E M U T T E R

Frankfurt, d. 4. Jul. 1798;

Liebste Mutter I

Ich vermuthe, daß Sie jezt in Groningen sind, und adressire deß-wegen die Briefe an den 1. Karl. Sie können wohl glauben, wie nah es mir geht, daß ihm seine Arbeit durch unangenehme Gesundheits- 5 umstände erschwert wird, und ich freue mich recht für ihn, daß Sie ihm auf einige Zeit Ihre Gesellschaft schenken.

Sie haben wohl recht, mein seltnes Briefschreiben ein wenig übel aufzunehmen, und ich will in allem Ernste darauf denken, daß ich mich künftig in einer so schönen Pflicht nicht mehr so häuffig durch 10 Geschaffte und Störungen hindern lasse. Ich bin Ihnen so viel schul-dig, und ich sollte die kleine Freude, die ich Ihnen durch Briefe machen kann, nicht so sehr, wie möglich, vervielfältigen? Um das Einzige muß ich Sie bitten, Uebste Mutter! daß Sie sich nicht wun-dem, wenn Sie den Ton in meinen Briefen nicht immer gleich leben- 15 dig finden; denn es hängt wohl von uns ab, vernünftig zu denken und zu handeln, wenn wir wollen, aber es hängt nicht ab von uns, Empfindungen mitzutheilen. Sie werden das an Ihrem eignen Her-zen finden, daß es oft müder und verschloßner, oft lebendiger und zu einer wärmern Äußerung aufgelegter ist, und Sie würden es für 20

einen ungerechten Vorwurf nehmen, wenn man Sie nachlässig oder lieblos nennen wollte, weil Ihr Herz nicht immer wach ist. Und glauben Sie, ich bin oft froh daran, wenn mirs gelingt, ver-schlossener zu seyn und trokner, denn so taugt man besser für die Welt. — 25

Schreiben Sie mir doch so bald wie möglich wieder, wie sich der gute Karl befindet; wenn er nicht gute Zeit und Lust hat, soll er mir nicht selber schreiben. Seine Briefe machen mir unendliche Freude, aber ich will mich gerne verläugnen, wenn ich diese Freude auf seine Unkosten haben soU. Ist er einmal wieder gesund, so will ich schon 30 strengere Forderungen machen.

274

Page 288: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.i60.lbl

M a c h e n Sie s ich aber n u r n i c h t zu v ie l S o r g e ü b e r d ie G e s u n d h e i t

m e i n e s l i e b e n B r u d e r s , u n d h o f f e n Sie m i t m i r , d a ß se ine g u t e N a t u r

s ich d o c h ba ld h e l f e n m u ß . M e i n e n E m p f e l an H E . O b e r a m t m a n n s 1

35 I h r

g e h o r s a m s t e r S o h n

H .

M e i n e n herz l i chs ten D a n k d e r 1. Fr . G r o s m a m m a u n d I h n e n f ü r

d ie s c h ö n e n G e s c h e n k e I

161. A N D I E S C H W E S T E R

F r a n k f u r t , d . 4 Jul. 1 7 9 8 .

L i e b s t e S c h w e s t e r I

I c h h a b e D i r al ler le i D a n k z u s a g e n ; f ü r das G e s c h e n k aus D e i n e n

H ä n d e n , f ü r D e i n e n B r i e f , f ü r se ine L ä n g e u n d se inen I n n h a l t . I c h

5 g i e n g , n a c h d e m ich i h n e rha l t en u n d g e l e s e n , m i t i h m spaz ieren u n d

w o l l t ' i h n w i e d e r l e s e n , u n d b e h i e l t i h n d e n n o c h in d e r T a s c h e , w e i l

i ch i h n a u s w e n d i g w u ß t e , u n d ü b e r d i ß zu v i e l an D i c h u n d D e i n e

t r e u e Z u n e i g u n g z u m i r d a c h t e , u m in d e r O r d n u n g i h n w i e d e r z u

l e s e n . L i e b e S c h w e s t e r I es ist g u t e r V o r t h e i l , d e n m i r m a n c h e r l e i

10 E r f a h r u n g e n g e b e n , d a ß i ch j e d e T h e i l n a h m e u m so t i e fer s chäze .

Es g e h t u n s , w i e ichs o f t b e i d e n H e e r d e n a u f d e m F e l d e g e s e h e n

h a b e , d a ß sie z u s a m m e n r ü k e n u n d a n e i n a n d e r s t e h n , w e n n es r e e g n e t

u n d w i t t e r t . Je ä l ter u n d stiller m a n in d e r W e l t w i r d , u m so f es ter

u n d f r o h e r hä l t m a n sich a n e r p r ü f t e G e m ü t h e r . U n d das ist a u c h

IS g a n z n o t h w e n d i g , d e n n das , was m a n h a t , ve r s tehe t u n d e r m i ß t m a n

erst r e c h t , w e n n m a n s iehet , w i e w e n i g m a n c h e s a n d r e . i s t .

S a g e d o c h n i c h t s , m e i n e T h e u r e l v o n d e n K l e i n i g k e i t e n , w o m i t

i c h D i r m e i n A n d e n k e n an D i c h u n d m e i n e n W u n s c h , D i r i m G r o -

ß e m g e f ä l l i g zu s e y n , g e r n e a u s d r ü k e n m ö c h t e . I c h b i t te D i c h , n e h m •

20 es f ü r das , w a s es ist , f ü r e in u n s c h u l d i g e s V e r g n ü g e n , das i ch m i r

m a c h e , w e n n i ch m i c h b e s i n n e , was v o n so l chen D i n g e n sich f ü r D i c h

schikt xmd so in G e d a n k e n m i t D i r u n d d e n D e i n i g e n u m g e h n k a n n .

275

Page 289: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.161 B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

W e n n D u v o n D a n k spr ichst , w i e v i e l D a n k b i n i c h D i r n i c h t

s c h o n l a n g h e r s c h u l d i g . G l a u b e m i r , w e r o h n e e i g n e n H e e r d , u n d

h ä u f i g u n t e r F r e m d e n l e b t , d e r w e i ß es erst z u s c h ä z e n , u n d v e r g i ß t 25

es n i c h t , w e n n i h n e i n F r e u n d o d e r M u t t e r o d e r S c h w e s t e r i m

H a u ß e f r e u n d l i c h a u f g e n o m m e n h a t . Wie^ m a n c h e n f r e i e n f r o h e n

T a g h a b ' i c h u n t e r D e i n e m D a c h e z u g e b r a c h t ? — L i e b e S c h w e s t e r !

D u k a n n s t es selbst n i c h t f ü h l e n , w i e v i e l e i n H a u s w e r t h ist , w i e D e i -

n e s , w o d e r h u m a n e G e i s t D e i n e s 1. M a n n s u n d e i n H e r z , w i e D e i n e s , 30

h e r r s c h t . D u bist g l ü k l i c h , u n d w ü r d e s t es n o c h v i e l m e h r f ü h l e n ,

w e n n D u sähest , w i e d i e P r u n k w e l t f r e u d e l o s u n d trostlos ist , n i c h t

n u r f ü r u n s e r e i n e n , s o n d e r n a u c h f ü r s o l c h e , d i e d r i n n l e b e n u n d

v i e l daraus z u m a c h e n s c h e i n e n , i n d e ß g e h e i m e r U n m u t h , d e n sie

selbst n i c h t r e c h t v e r s t e h e n , i h n e n a n d e r S e e l e n a g t . Je m e h r R o s s e 35

d e r M e n s c h v o r s ich v o r a u s s p a n n t , j e m e h r d e r Z i m m e r s i n d , in d i e

e r s ich v e r s c h h e ß t , j e m e h r d e r D i e n e r s i n d , d i e i h n u m g e b e n , j e

m e h r e r s ich i n G o l d u n d S i lber s tekt , u m so t i e f e r h a t e r s ich e i n

G r a b g e g r a b e n , w o er l e b e n d i g - t o d t h e g t , d a ß d i e a n d e r n i h n n i c h t

m e h r v e r n e h m e n u n d e r d i e a n d e r n n i c h t , t roz all des L ä r m s d e n e r 40

u n d a n d r e m a c h e n . D e r e i n z i g e , d e n d iese t r a u r i g e K o m e d i e n o c h

g l ü k l i c h m a c h t , ist d e r , so z u s i e h t , u n d s ich t ä u s c h e n l ä ß t . K ö n n t ' i c h

d o c h n u r a u c h r e c h t g r o ß e A u g e n m a c h e n , v o r d e r H e r r l i c h k e i t d e r

W e l t I I c h w ä r e g l ü k l i c h e r u n d v i e l e i c h t e i n g a n z e r t r ä g l i c h e r j u n g e r

M e n s c h 1 So a b e r k a n n m a n m i r n i c h t i m p o n i r e n , w e n n m a n m i r 45

n i c h t d u r c h K a r a k t e r i m p o n i r t u n d d u r c h G e n i e , u n d w e i l das in d e r

W e l t so se l tne D i n g e s i n d , so w a r i c h l a i d e r l a u c h so se l ten in d e r

W e l t d e m ü t h i g , w i e es s ich g e h ö r t . Jezt b i n ichs f r e i l i c h , seit i ch e twas

m e h r ge l i t t en h a b e , d o c h ist das d ie r e c h t e A r t n i c h t . —

I c h m u ß a b b r e c h e n , w e i l d i e P o s t a b g e h t . E m p f i e h l m i c h D e i n e m 50

1. M a n n e . A l l e D e i n e K i n d e r g r ü ß e v o n m i r , u n d j edes , w i e es i h m

a m b e s t e n ge fä l l t . Soba ld d ie J f r . B r a u t a n f ä n g t , zu k r i z e l n , m u ß e i n e

zär t l i che C o r r e s p o n d e n z z w i s c h e n u n s b e e d e n etabl i r t w e r d e n . —

V i e l h e r z l i c h e G r ü ß e a n Z ) . V e i e l . I c h f r e u e m i c h ü b e r s e i n e n g u t e n

G e s c h m a k , u n d w e n n e r g l ü k U c h d a b e i ist , f r e u t es m i c h n o c h m e h r . 55

D e i n

Friz.

276

Page 290: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.l62

162. A N D E N B R U D E R

F r a n k f u r t , d . 4 / « Z . 1 7 9 8 .

D u hast m i r d i e B r i e f s c h e u e a b g e l e r n t , l i e b e r K a r l ! a b e r i c h w i l l

D i r e i n gu tes Beispie l g e b e n u n d w i e d e r s c h r e i b e n , e h e i c h e i n e A n t -

w o r t v o n D i r h a b e a u f d e n B r i e f , d e n i c h u n g e f ä h r u m O s t e r n D i r

5 s c h r i e b . D i e l i e b e M u t t e r s c h r e i b t m i r . D u seyest n i c h t w o h l u n d

habes t d a b e i sehr v i e l e G e s c h a f f t e . D a k a n n i ch m i r sehr g u t vors te l -

l e n , w i e u n g e r n D u an ' s B r i e f s c h r e i b e n k o m m e n m a g s t . M a n hat o f t

b e i a l ler K r a f t d e r J u g e n d k a u m f ü r das N o t h w e n d i g e G e d a n k e n u n d

G e d u l t g e n u g ü b r i g , so s t ö r e n d u n d s c h w ä c h e n d ist m a n c h m a l das

10 L e b e n , u n d k e i n e Z e i t ist s c h l i m m e r in j e d e r R ü k s i c h t , als d e r Ü b e r -

g a n g v o m J ü n g l i n g z u m M a n n . D i e a n d e r n M e n s c h e n u n d d ie e i g e n e

N a t u r m a c h e n e i n e m , g l a u b ' i c h , in k e i n e r a n d e r n L e b e n s p e r i o d e so

v i e l z u s c h a f f e n , u n d d iese Z e i t ist e i g e n t l i c h d i e Z e i t des S c h w e i ß e s

u n d des Z o r n s u n d d e r Sch la f l o s igke i t u n d d e r B a n g i g k e i t u n d d e r

15 G e w i t t e r , u n d d ie b i t terste i m L e b e n , so w i e d i e Z e i t , d i e a u f d e n

M a i f o l g t , d i e u n r u h i g s t e i m Jahr ist .

A b e r d i e M e n s c h e n g ä h r e n , w i e alles a n d e r e , w a s r e i f e n sol l , u n d

d i e P h i l o s o p h i e h a t n u r d a f ü r z u s o r g e n , d a ß d ie G ä h n m g so u n -

schädl i ch u n d so l e id l i ch u n d so k u r z , w i e m ö g l i c h ist , v o r b e i g e h t . —

20 S c h w i m m h i n d u r c h , b r a v e r S c h w i m m e r , u n d ha l te d e n K o p f n u r

i m m e r o b e n l B r u d e r h e r z I i ch h a b ' a u c h v i e l , s ehr v i e l g e l i t t e n u n d

m e h r , als i c h v o r D i r , v o r i r g e n d e i n e m M e n s c h e n j e m a l s aussprach ,

w e i l n i c h t alles a u s z u s p r e c h e n ist , u n d n o c h , n o c h l e i d ' i c h v i e l u n d

t i e f , u n d d e n n o c h m e i n ' i c h , das Bes te , w a s a n m i r ist , sei n o c h n i c h t

25 u n t e r g e g a n g e n . M e i n A l a b a n d a sagt i m z w e i t e n B a n d e : » W a s l e b t ,

ist u n v e r t i l g b a r , b l e i b t i n s e i n e r t i e f s t e n K n e c h t s f o r m f r e i ,

b l e i b t E i n s , u n d w e n n d u es zer re ißes t bis a u f d e n G r v m d , u n d w e n n

d u bis ins M a r k es zersch lägst , d o c h b l e i b t es e i g e n t l i c h u n v e r w u n d e t ,

u n d se in W e s e n e n t f l i e g t d ir s i e g e n d u n t e r d e n H ä n d e n u . s . w . « D i ß

30 l ä ß t s ich m e h r o d e r w e n i g e r a u f j e d e n M e n s c h e n a n w e n d e n , u n d a u f

d i e Ä c h t e n a m m e i s t e n . U n d m e i n H y p e r i o n s a g t : » E s b l e i b t u n s

277

Page 291: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.162.163 B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

Überall noch eine Freude. Der ächte Schmerz begeistert. Wer auf sein Elend tritt, steht höher. Und das ist herrhch, daß wir erst im Leiden recht der Seele Freiheit fühlen.« Leb wohl, Bester,Theurer! Schreib mir baldl Denke, daß ich Dir treu bin, wie Du mir! 0 , bleib nur, 35 wer Du bistl dem Vaterlande zu lieb und mir zu heb.

H. Du bekömmst auch Briefe von meinen Kindern.

165. AN N E U F F E R

Frankfurt im Aug. 1798.

Es freut mich, Bester! daß Du so fürlieb genommen hast mit mei-nen Kleinigkeiten. In einer Zeit, wo mir das Schiksaal, das ich auch im Unglük liebe, diese Liebe vieleicht mit Ruh und Heiterkeit ver-gelten wird, da will ich auch Dir kräftiger dienen. Du must es wis- 5 sen, daß ich Dir, der mich zuerst das Glük der Freundschaft wahr und gründlich lernte, alles geben will und muß, was Männer von sich fordern können, Geist und That, und herzliche Gefälligkeit. Mein Theurer! ehrst Du denn die Zeiten unserer wechselseitigen Zärtlichkeit auch so, wie ich? — Ich glaube, daß die Menschen, die lO sich einmal hebten, wie wir uns geliebt, auch eben darum alles Schönen fähig sind und alles Großen, und es werden müssen, wenn sie nur sich recht verstehn, und durch den Plunder, der sie aufhält, muthig sich hindurch arbeiten. Ich weiß es wohl, daß ich noch nichts bin, und vieleicht, ich werde nie nichts werden. Aber hebt das mei- 15 nen Glauben auf? und ist mein Glaube darum Einbildung und Eitel-keit? Ich denke nicht. Ich werde sagen, daß ich mich nicht recht ver-standen habe, wenn hienieden mir nichts trefliches gelingt. Uns sel-ber zu verstehn I das ists, was uns emporbringt. Lassen wir uns irre machen an uns selbst, an unserm &Etov, oder wie Dus nennen willst, 20

dann ist auch alle Kunst und alle Müh umsonst. Drum ists so viel W e r t h , wenn wir fest z u s a m m e n h a l t e n , und einander sagen, was in uns ist; drum ist es unser eigner gröster Schade, wenn wir uns aus

278

Page 292: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8 Nr.16).16*

ärmlicher Rivalität p.p. trennen und vereinzeln, weil des Freundes 2S Zuruf unentbehrlich ist, um mit uns wieder eins zu werden, wenn

unsre eigne Seele, unser bestes Leben uns entlaidet worden ist, durch die Albernheiten der gemeinen Menschen, und den eigensinnigen Stolz der andern, die schon etwas sind.

H i e r n o c h e i n i g e G e d i c h t c h e n .

30 Z u d e m , was i ch i m lez ten B r i e f e D i r v e r s p r o c h e n h a t t e , g e b r a c h

es m i r a n Z e i t .

D e i n

H ö l d e r l i n .

164. A N D I E M U T T E R

F r a n k f u r t a . M . d . 1 Sept . 9 8 .

L i e b s t e M u t t e r 1

Sie können sich denken, wie sehr mich all die lieben Briefe zusam-men freuen mußten, die Sie mir neuhch zugeschikt. Besonders hab'

5 ich Ihnen für Ihre gütige Einladung zu danken. Sie wissen wohl, daß mein Gewinn immerhin größer wäre, als der Ihre, wenn ich wieder einmal bei meiner theuren Familie und in Ihrem herzlichen Um-gang, liebste Mutter! leben könnte. Sie können also schließen, auf welcher Seite die Verläugnung größer ist. Aber ich habe so sehr ge-

10 lernt, mich ins Nothwendige zu schiken, daß ich mich auch dißmal wieder zu einem Aufschub meines vorgenommenen Besuchs ent-schließe. Mein lieber Zögling hat den Sommer über viel vom kalten Fieber gelitten, und so war ich genöthiget, den Unterricht ihm spar-samer zu geben, als gewöhnlich, und muß jezt alle Zeit gebrauchen,

15 um hereinzubringen, was versäumt ist. Auch meine eigneren Ge-schäffte haben etwas Noth gelitten, weil ich fast den ganzen Tag ihn nicht verließ, so lang er krank war, und die Krankheit, wenn sie schon nicht sehr gefährlich ist, doch mein Gemüth und meinen Geist nicht frei ließ. Auch für mich selber bin ich also genöthiget, zu Haus

20 zu bleiben. Ich denke, liebste MutterI daß wir, früher oder später, einmal noch recht glüklich miteinander leben werden.

279

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Nr.164 B R I E F E 1 7 9 6 - 1 7 9 8

Glauben Sie, ich freue mich im Geist mit Ihnen, wenn Sie Ihre lieben Gäste bei sich haben, und so geh auch ich nicht leer aus. —

Ich wundre mich, daß man in Tübingen den HE. Bibliothekar Schott zum Professorat befördert hat, weils doch gewissermaaßen 25 nöthig ist, daß einer, der auf einem solchen Posten ist, sich auch im Ausland hat bekannt gemacht, weil sonst die Akademie nicht viel von Fremden besucht wird, was zur Bildung der Studierenden und auch zum ökonomischen Bestand der Universität nicht wohl entbehrlich ist. Aus eben diesem Grunde wundre ich mich, warum man Schel- 30 ling übergangen hat. Das Alter thut zur Sache nichts; und da sein Ruhm jezt frisch ist, und nothwendig noch ein gut Theil steigen müßte, wenn Schelling durch große Aufforderungen getrieben würde, aller seiner Kraft und Wachsamkeit aufzubieten, so hätt' er wohl der Universität nicht wenig Ehre gemacht. Über seine Meinun- 35 gen hab' ich selber manchmal mich mit ihm gezankt; aber immer hab' ich auch in seinen irrigen Behauptungen einen ungewöhnlich gründlichen und scharfen Geist gefunden. Aber das will ich für den Brief mir sparen, wo ich es versuchen werde, bei HE. Schwager dem jungen Philosophen das Wort zu reden. 40

Die Geschichte des Harter ist sehr häßlich. Viele Empfehlungen an die Fr. Grosmamma und nach Blaubeuren.

Wie immer Ihr

treuer Sohn 45 Friz.

280

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H O M B U R G 1798 -1800

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B R I E F E 1796-1798 N r . l } 6 . 1 3 ?

165. A N D I E M U T T E R

Liebste Mutter!

Ihr reines Wohlwollen, das mich auch wieder in Ihrem lezten lie-ben Briefe so innigst erfreute, auch Ihre zum Theil gerechte Sorge für meine Gesundheit läßt mich hoffen, daß Sie die längstvorbereitete

5 Veränderung meiner Lage nicht mißbilligen werden. Ich muß Ihnen zuvörderst zeigen, wie sicher und in jeder Rüksicht

angemessen meine jezige Lage ist, und wenn ich dcuin noch die Gründe nenne, die mich veranlassen mußten, meine vorige Lage zu verlassen, nach langem Harren und vieler Gedult, so werden Sie mehr Ursache

10 zur Zufriedenheit als zur Unzufriedenheit in diesem Briefe finden. Durch Schriftstellerarbeit und sparsame Wirtschaft mit meiner

Besoldung hab' ich mir in den lezten anderhalb Jahren meines Auf-enthalts in Frankfurt 500 fl zusammengebracht. Mit fünfhundert Gulden, glaub' ich, ist man in jedem Orte der Welt, der nicht so

15 theuer ist, wie Frankfurt, wenigstens auf ein Jahr von ökonomischer Seite völlig gesichert. Ich hatte also insofern alles Recht, die Gesund-heit und die Kräfte, die durch die anstrengende Verbindung meiner Berufsgeschäffte und meiner eignen Arbeiten sich nothwendig schwächten, wiederherzustellen durch eine ruhigere Lebensart, die

20 ich mir nicht ohne Mühe auf diese Art möglich gemacht hatte. — Hiezu kam, daß mein Freund, der Regierungsrath von Sinklair in Homburg, der an meiner Lage in Frankfurt schon lange Theil ge-nommen hatte, mir rieth, zu ihm nach Homburg hinüberzuziehen, Kost und Logis um ein Geringes bei ihm zu nehmen, und mir durch

25 ungestörte Beschäfftigung endlich einen geltenden Posten in der gesellschaftlichen Welt vorzubereiten. Ich wandte ihm vie-les ein, unter anderem auch, daß ich auf diese Art in eine gewisse

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Nr.l38 B R I E F E 1796-1798

Dependenz von ihm geriethe, die Freunden nicht anständig wäre. Um diesen Einwurf zu heben, besorgte er mir ein Logis und Kost außer seinem Hauße, wo ich äußerst angenehm und ungestört und 30 gesund wohne, und für die Zimmer, Bedienung und Wäsche jähr-hch 70 fl zahle. Für das Mittagessen, welches wirklich im Verhältniß mit seinem Preise außerordentlich gut zubereitet ist, zahl ich täglich 16 er. Abends bin ich lange gewohnt, nur Thee zu trinken und etwas Obst zu mir zu nehmen; (da ich überflüssig viele Kleider, die freilich 35 in Frankfurt alle nothwendig waren mit mir hieher brachte, so sehn Sie wohl, wie weit ich mit meinem Geldvorrath hinreichen kann.)

Sinklairs Familie besteht aus vortreflichen Menschen, die mich alle schon längst bei meinen Besuchen mit zuvorkommender Güte be-handelten , und seit ich wirkhch hier bin, mit so viel Theilnahme und 40 Aufmunterung mich überhäufften, daß ich eher Ursache habe, mich um meiner Geschäffte und um meiner Freiheit willen zurükzuziehn, als zu fürchten, daß ich gar zu einsam leben möchte. Am Hofe hat mein Buch einigermaaßen Glük gemacht und man hat gewünscht, mich kennen zu lernen. Die Familie des Landgrafen besteht aus ächt- 45 edeln Menschen, die sich durch ihre Gesinnungen und ihre Lebens-art von andern ihrer Klasse ganz auffallend auszeichnen. Ich bleibe übrigens entfernt, aus Vorsicht und um meiner Freiheit willen, ma-che meine Aufwartung und lasse es dabei bewenden. Sie trauen mir zu, daß ich diß alles nur insofern erzähle, als es Ihnen angenehm, 50 und mir vieleicht im Nothfall nüzlich ist. Wesentlich ist aber der geistreiche verständige, herzliche Umgang meines Sinklair. Bei einem solchen Manne ist jede Stunde für den andern Gewinn an Seele und Freude. Sie können sich denken, welchen Einfluß diß auf meine Beschäfftigungen und auf meinen Karakter haben muß. Ich 55 erspare es auf ein andermal, der Kürze wegen, Ihnen noch manches zu sagen, was Sie überzeugen wird, wie sehr dieser Ort und meine gegenwärtige Lage für meine reelsten Bedürfnisse gemacht ist. Nöthig war es schlechterdings, mich irgend einmal in einer unab-hängigem Lage für mein künftiges Fach vorzubereiten, und urthei- 60 len Sie selbst, ob der Plaz, den ich dazu gewählt, angemessener seyn

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B R I E F E 1796-1798 N r . l } 3

könnte. — Ich gestehe Ihnen, ich hätte sehr gewünscht bei allem dem, in meiner vorigen Lage noch länger zu bleiben, einmal, weil es mir unendlich schwer wurde, mich von meinen guten wohlgerathnen

65 Zöglingen zu trennen, und dann auch, weil ich wohl sah, daß jede Veränderung meiner Lage, auch die nothwendige und günstige, Sie beunruhigen würde. Auch hätt' ich sicher nicht die Mühe gescheut, die es mir kostete, meine eigenen Arbeiten neben meiner Erziehung zu betreiben, wiewol ich sagen darf, daß eben das Interesse, das ich

70 für diese Kinder fühlte, mir schlechterdings nicht erlaubte, meine Erziehung mir auf irgend eine Art bequem zu machen. Die Liebe die sie zu mir hatten, und der glükliche Erfolg meiner Bemühungen erheiterte mich dann auch oft und machte mir das Leben leichter. Aber der unhöfliche Stolz, die geflissentliche tägliche Herabwürdi-

75 gung aller Wissenschaft und aller Bildung, die Äußerungen, daß die Hofmeister auch Bedienten wären, daß sie nichts besonders für I ' sich fordern könnten, weil man sie für das bezahlte, was sie thäten, U . S . W , und manches andre, was man mir, weils eben Ton in Frank-furt ist, so hinwarf — das kränkte mich, so sehr ich suchte, mich

80 darüber weg zu sezen, doch immer mehr, und gab mir manchmal einen stillen Aerger, der für Leib und Seele niemals gut ist. Glauben Sie, ich war gedultigl Wenn Sie jemals mir ein Wort geglaubt, so glauben Sie mir diß I Sie werden es für übertrieben halten, wenn ich Ihnen sage, daß es heutzutage schlechterdings unmöglich ist, in sol-

as chen Verhältnissen lange auszudauem; aber, wenn Sie sehen kön-ten, auf welchen Grad besonders die reichen Kaufleute in Frankfurt durch die jezigen Zeitumstände erbittert sind, und wie sie jeden, der von ihnen abhängt, diese Erbitterung entgelten lassen, so würden Sie erklärlich finden, was ich sage. — Ich mag

90 nicht mehr und nicht bestimmter von der Sache sprechen, weil ich wirklich ungern mich entschließe, von den Leuten schlimm zu spre-chen. — Diese beinahe täglichen Kränkungen waren es eigentlich, was me^e Berufsarbeiten und andere Beschäftigungen unsäglich mir erschwerte, und mich für beedes wirklich unnüz gemacht hätte, wenn

95 ich nicht in eben dem Grade Anstrengung aufgewandt hätte, in wel-

285

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Nr.139 B R I E F E 1796-1798

c h e m i ch l i t t . D a s k o n n t e j e d o c h n u r e i n e W e i l e d a u e r n . V o r i g e n

g a n z e n S o m m e r m u ß t i ch b e i n a h e m ü ß i g g e h e n , w e n n i ch f e r t i g

w a r m i t m e i n e n K i n d e r n , w e i l i ch m e i s t zu k r ä n k l i c h o d e r d o c h z u

m ü d e w a r zu e twas a n d r e m . — I c h s c h ä m e m i c h , in d i e s e m T o n e v o n

m i r zu s p r e c h e n , u n d n u r I h n e n zu l i e b , n u r , u m Sie v o n d e r N o t h - loo

w e n d i g k e i t e i n e r V e r ä n d e r u n g zu ü b e r z e u g e n , k a n n i ch m i c h d a z u

v e r s t e h n . — I c h m u ß t e m i c h e n d l i c h e n t s c h l i e ß e n , zu d e m s c h w e r e n

A b s c h i e d v o n d e n g u t e n K i n d e r n , d e m ich so l a n g e u n d d e r H i m m e l

w e i ß ! m i t w i e v ie l M ü h e u n d S o r g e a u s g e w i c h e n w a r . A u c h u m m e i -

n e r E h r e w i l l e n f a n d i ch es n i c h t s c h ö n , so l e i d e n d , w i e m i c h m e i n e 105

F r e u n d e s a h n , n o c h l ä n g e r v o r i h n e n zu e r s c h e i n e n . I c h erk lär te

H e r r n G o n t a r d , d a ß es m e i n e k ü n f t i g e B e s t i m m u n g e r f o d e r e , m i c h

a u f e i n e Z e i t in e i n e u n a b h ä n g i g e L a g e zu v e r s e z e n , i ch v e r m i e d al le

w e i t e r n E r k l ä r u n g e n , u n d w i r s c h i e d e n h ö f l i c h a u ß e i n a n d e r . I c h

m ö c h t e I h n e n n o c h g e r n e v o n m e i n e m g u t e n H e n r y v i e l e r z ä h l e n ; 110

a b e r i ch m u ß fast al le G e d a n k e n an i h n m i r aus d e m S i n n e s c h l a g e n ,

w e n n i ch m i c h n i c h t zu sehr e r w e i c h e n w i l l . E r ist e in t r e f l i cher K n a -

b e , v o l l se l tner A n l a g e n , u n d in so m a n c h e m g£inz n a c h m e i n e m

H e r z e n . E r v e r g i ß t m i c h n i e , so w i e i ch n i e m a l s i h n v e r g e s s e . I c h

g l a u b ' a u c h e i n e n ves ten g u t e n G r u n d in i h m g e l e g t zu h a b e n , a u f 115

d e n er w e i t e r b a u e n k a n n . Es f r e u t m i c h , d a ß i ch n u r dre i S t u n d e n

v o n i h m e n t f e r n t b i n ; so k a n n i ch d o c h v o n Z e i t zu Z e i t e r f a h r e n , w i e

es i h m g e h t . — I c h m u ß schne l l a b b r e c h e n , u m d e n B r i e f n o c h a u f d i e

Pos t zu b r i n g e n . E r f r e u e n Sie m i c h ba ld m i t e i n e m g ü t i g e n B r i e f e .

E m p f e h l e n S ie m i c h in B l a u b e u r e n . I c h w i l l a u c h nächs tens d a h i n 120

s c h r e i b e n ; tausend G r ü ß e a n d e n 1. K a r l ; es soll a u c h d iese W o c h e

n o c h , w e n n s m ö g l i c h ist, e in l a n g e r B r i e f an i h n a b g e h n . W i e b e f i n d e t

sich d ie F r a u G r o s m a m m a ? M a c h e n Sie ihr m e i n e herz l i chs ten E m p -

f e h l u n g e n . I c h b i n , w i e i m m e r h i n , m i t k i n d l i c h e r E r g e b e n h e i t

H o m b u r g v o r d e r H ö h e . I h r 125

d . 10 Ort . 1 7 9 8 . Fr i z .

M e i n e A d r e s s e .

M. H ö l d e r l i n , w o h n h a f t be i H E . W a g n e r , G l a s e r in H o m b u r g v o r

d e r H ö h e .

286

Page 300: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1796-1798 Nr.140

166. A N D I E M U T T E R

H o m b u r g v o r d e r H ö h e ,

d . 12 N o v . 1 7 9 8 .

L i e b s t e M u t t e r !

I c h d a n k e I h n e n r e c h t sehr , d a ß S ie d ie N a c h r i c h t v o n d e r V e r -

5 ä n d e r u n g m e i n e r L a g e m i t d i e s e m g ü t i g e n Z u t r a u e n z u m i r a u f g e -

n o m m e n h a b e n . I c h h a b e , seit ich h i e r b i n , r u h i g i m t ä g l i c h e n U m -

g a n g m i t m e i n e m F r e u n d e Sinklair g e l e b t . Jezt reist er in A n g e l e g e n -

h e i t e n des L a n d g r a f e n n a c h Rastadt . E r hat m i r d e n V o r s c h l a g g e -

m a c h t , i h m a u f d e r R e i s e u n d be i s e i n e m A u f e n t h a l t in Rastadt G e -

10 se l lschaft zu l e i s ten , u n d da ich d i ß n a c h d e n g e n e r ö s e n A n e r b i e t u n -

g e n m e i n e s F r e u n d e s b e i n a h e u n e n t g e l d l i c h t h u n k a n , a u c h in

Ras tadt m e i n e B e s c h ä f t i g u n g e n w e n i g s t e n s e i n e n T h e i l des T a g e s

g a n z u n g e s t ö r t f o r tsezen k a n n , so h a b ' i ch es f ü r u n v e r n ü n f t i g g e h a l -

t e n , d iese G e l e g e n h e i t zu m e i n e r B i l d u n g zu v e r n a c h l ä s s i g e n , u n d

15 b i n entsch lossen , h e u t e o d e r m o r g e n mi t i h m a u f 4 W o c h e n d a h i n

a b z u r e i s e n . W e n n das W e t t e r u n d d e r W e g es l e ide t , m a c h ' i ch

v i e l e i c h t v o n Rastadt aus e i n e n G a n g n a c h N ü r t i n g e n u . B l a u -

b e u r e n , u m e i n paar T a g e w i e d e r in d e m l a n g e n t b e h r t e n W i e d e r -

s e h e n m e i n e r t h e u r e n M u t t e r u n d d e r l i e b e n M e i n i g e n z u z u b r i n g e n .

20 F i n d i ch aber , d a ß d e r W e g zu w e i t u n d d ie Re i sekos ten f ü r m e i n e

j ez ige Ö k o n o m i e z u be t rächt l i ch s i n d , so wi l l ich w e n i g s t e n s d e n 1.

Kar l n a c h N e u e n b ü r g bes te l l en , w o h i n w i r b e i d e so w e i t n i c h t h a b e n

w e r d e n . E r w i r d d o c h w o h l in d i e s e m Fal le e i n i g e T a g e se ine G e -

schäf f te ver lassen k ö n n e n , u n d H E . O b e r a m t m a n n w i r d a u f m e i n e

25 expresse Bi t te g e r n e dare in w i l l i g e n . Fre i l i ch w i r d es m i r t i e f e V e r -

l ä u g n u n g kosten N ü r t i n g e n u n d B l a u b e u r e n n i c h t a u c h zu s e h e n . —

I c h w e r d e v o n Rastadt aus an Sie u n d d ie 1. S c h w e s t e r u n d an Kar l

a u c h s c h r e i b e n . H a b e n Sie d i e G ü t e m i c h indessen be i m e i n e n l i e b e n

C o r r e s p o n d e n t e n zu e n t s c h u l d i g e n .

30 S inkla ir l äß t sich I h n e n e m p f e h l e n . E r hat sich g e f r e u t , d a ß Sie das

g u t e Z u t r a u e n z u i h m h a b e n , d a ß er g u t e A u f s i c h t ü b e r m i c h f ü h r e n

287

Page 301: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

N r . 1 4 0 . 1 4 1 B R I E F E 1796-1798

werde, er woll' es auch pünktlich thun. Ordentlich lustig ist es, daß

Sinklairs Mutter gerade mich so zum sorgsamen Geleiter ihres H E .

Sohns bestellt, wie Sie den HE. Regierungsrath zu meinem Mentor

machen. Es wird auch wirklich wenig Freunde geben, die sich ge- 35

gensei tig so beherrschen und so unterthan sind.

Empfehlen Sie mich der 1. Fr. Grosmamma. Es freuet mich recht

herzlich, daß Sie dieses theuern Umgangs auf den Winter nicht ent-

behren müssen. Empfehlen Sie mich auch sonst überall.

Ihr +0

gehorsamster Sohn

Hölderlin.

167. AN N E U F F E R

Homburg vor der Höhe,

d. 12 Nov. 1798.

Liebster-Neufferl

Ich habe meine Lage verändert, seit ich Dir das leztemal schrieb

und habe im Sinne, einige Zeit hier in Homburg zu privatisiren. Es 5

ist etwas über einen Monath, daß ich hier bin, und ich habe indessen

ruhig, bei meinem Trauerspiel, im Umgang mit Sinklair, und im

Genuß der schönen Herbsttage gelebt. Ich war durch mancherlei

Leiden so zerrissen, daß ich das Glük der Ruhe wohl den guten Göt-

tern danken darf. lo

Ich bin sehr begierig auf Nachrichten von Dir und auf Deinen

Allmanach; ich werde aber wohl noch warten müssen, wenn ich ihn

nicht selbst bei Dir hohle, nicht, weil ich Dich für nachlässig halte,

sondern, weil Deine Briefe erst in 4 Wochen mich hier wieder treffen

werden. 15

Mein Freund Sinklair reißt nemlich in Angelegenheiten seines

Hofes nach Rastadt, und macht mir, unter sehr vortheilhaften Aner-

bietungen, den Vorschlag, ihm dahin Gesellschaft zu leisten. Ich kan

diß, durch Sinklairs Generosität, beinahe ganz ohne einen Verlust in

meiner kleinen Ökonomie, auch ohne meine Beschäftigungen sehr 20

288

Page 302: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1796-1798 Nr.138.139

ZU unterbrechen, ins Werk stellen und es wäre demnach sonderbar

gewesen, wenn ich nicht darein gewilliget hätte.

Heute noch oder morgen reisen wir ab.

Vieleicht, daß ich von Rastadt aus einen Gang ins Wirtembergische

25 mache. Sollte diß nicht möglich werden, so würd' ich Dich in einem

Briefe von Rastadt aus bitten, wenn Dich die Umstände nicht hin-

dern, auf einen bestimmten Tag in Neuenbürg einzutreffen, wo ich

dann hinkäme, um Dich einmal wieder von Angesicht zu Angesicht

zu haben. Es sollte mir unendlich lieb seyn über alles, was uns ge-

30 meinschaftlich interessirt, einmal wieder mit Dir sprechen zu kön-

nen. — Das Lebendige in der Poesie ist jezt dasjenige, was am meisten

meine Gedanken und Sinne beschäfftiget. Ich fühle so tief, wie weit

ich noch davon bin, es zu treffen, und dennoch ringt meine ganze

Seele danach und es ergreift mich oft, daß ich weinen muß, wie ein

35 Kind, wenn ich um und um fühle, wie es meinen Darstellungen an

einem und dem andern fehlt, und ich doch aus den poetischen Irren,

in denen ich herumwandele, mich nicht heraus winden kan. Ach I die

Welt hat meinen Geist von früher Jugend an in sich zurükgescheucht,

und daran leid' ich noch immer. Es giebt zwar einen Hospital, wohin

• 0 sich jeder auf meine Art verunglükte Poet mit Ehren flüchten kann

— die Philosophie. Aber ich kann von meiner ersten Liebe, von den

Hofnungen meiner Jugend nicht lassen, und ich will lieber verdienst-

los untergehen, als mich trennen von der süßen Heimath der Musen,

aus der mich blos der Zufall verschlagen hat.Weist Du mir einen

45 guten Rath, der mich so schnell wie möglich auf das Wahre bringt,

so gieb mir ihn. Es fehlt mir weniger an Kraft, als an Leichtigkeit,

weniger an Ideen, als an Nüancen, weniger an einem Hauptton, als

an mannigfaltig geordneten Tönen, weniger an Licht, wie an Schat-

ten, und das alles aus Einem Grunde; ich scheue das Gemeine und

50 Gewöhnliche im wirklichen Leben zu sehr. Ich bin ein rechter Pe-

dant, wenn Du willst. Und doch sind, wenn ich nicht irre, die Pedan-

ten sonst so kalt und lieblos, und mein Herz ist doch so voreilig, mit

den Menschen und den Dingen unter dem Monde sich zu verschwi-

stem. Ich glaube fast, ich bin aus lauter Liebe pedantisch, ich bin

289

Page 303: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.141 .142 B R I E F E 1796-1798

nicht scheu, weil ich mich fürchte, von der Wirklichkeit in meiner 55

Eigensucht gestört zu werden, aber ich bin es, weil ich mich fürchte,

von der Wirklichkeit in der innigen Theilnahme gestört zu werden,

mit der ich mich gern an etwas anderes schließe; ich fürchte, das

warme Leben in mir zu erkälten an der eiskalten Geschichte des

Tags und diese Furcht kommt daher, weil ich alles, was von Jugend 60

auf zerstörendes mich traf, empfindlicher als andre aufnahm, und

diese Empfindlichkeit scheint darinn ihren Grund zu haben, daß ich

im Verhältniß mit den Erfahrungen, die ich machen mußte, nicht

fest und unzerstörbar genug organisirt war. Das sehe ich. Kann es

mir helfen, daß ich es sehe? Ich glaube, so viel. Weil ich zerstörbarer 65

bin, als mancher andre, so muß ich um so mehr den Dingen, die auf

mich zerstörend wirken, einen Vortheil abzugewinnen suchen, ich

muß sie nicht an sich, ich muß sie nur insofern nehmen, als sie mei-

nem wahrsten Leben dienlich sind. Ich muß sie wo ich sie finde,

schon zum voraus als unentbehrlichen Stoff nehmen, ohne den mein 70

Innigstes sich niemals völlig darstellen wird. Ich muß sie in mich

aufnehmen, um sie gelegenheitlich (als Künstler, wenn ich einmal

Künstler seyn will und seyn soll) als Schatten zu meinem Lichte auf-

zustellen, um sie als untergeordnete Töne wiederzugeben, unter

denen der Ton meiner Seele um so lebendiger hervorspringt. Das 75

Reine kan sich nur darstellen im Unreinen und versuchst Du, das

Edle zu geben ohne Gemeines, so wird es als das Allerunnatürlichste,

Ungereimteste dastehn, und zwar darum, weil das Edle selber, so wie

es zur Äußerung kömmt, die Farbe des Schiksaals trägt, unter dem es

entstand, weil das Schöne, so wie es sich in der Wirklichkeit darstellt, so

von den Umständen unter denen es hervorgeht, nothwendig eine

Form annimmt, die ihm nicht natürlich ist, und die nur dadurch

zur natürlichen Form wird, daß man eben die Umstände, die ihm

nothwendig diese Form gaben, hinzunimmt. So ist z. B. der Karakter

des Brutus ein höchstunnatürlicher, widersinniger Karakter, wenn 85

man ihn nicht mitten unter den Umständen sieht, die seinem sanf-

ten Geiste diese strenge Form aufnöthigten. Also ohne Gemeines

kann nichts Edles dargestellt werden; und so will ich mir immer sa-

290

Page 304: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1796-1798 N r . i 4 3 . i 4 4

gen, wenn mir Gemeines in der Welt aufstößt: Du brauchst es ja so

90 nothwendig, wie der Töpfer den Leimen, und darum nehm es im-

mer auf und stoß es nicht von dir und scheue nicht dran. Das wäre

das Resultat.

Indem ich mir von Dir einen Rath erbitten und deßwegen meine

Fehler, die Dir freilich in gewissem Grade schon bekannt sind, recht

95 bestimmt darstellen, auch mir selber zum Bewußtseyn bringen

wollte, bin ich weiter hineingerathen, als ich dachte, und daß Du

meine Grübeleien ganz begreifst, so will ich Dir gestehen, daß ich

seit einigen Tagen mit meiner Arbeit ins Stoken gerathen bin, wo

ich dann immer aufs Räsonniren verfalle. Vieleicht veranlassen Dich

100 meine flüchtigen Gedanken, zu weiterem Nachdenken über Künst-

ler und Kunst, besonders auch über meine poetischen Hauptmängel

und wie ihnen abzuhelfen ist, und Du bist so gut und theilst es mir

bei Gelegenheit mit.—

Lebe wohl, liebster Neuffer I ich schreibe Dir sogleich von Rastadt

105 aus wieder.

Dein

Hölderlin.

168. AN D I E M U T T E R

Rastadt. d. 28 Nov. 98.

Liebste Mutter.

Ich bin vor 8 Tagen hier angekommen und habe indessen manche

interessante Bekantschaft gemacht. Auch die unbekannte Menge von

5 Fremden, die man zu sehen Gelegenheit hat, ist wenigstens mannig-

faltig genug an Gesichtern und Mund- und Lebensarten, daß man

daran das Auge gewöhnen kann, sich mehr und mehr in die Welt zu

finden.

Mit meinem Landsmann, dem Legationssecretarius Gutscher

10 komm ich häufig zusammen, er erweist mir viel Ehre und es freut

mich an ihm einen verständigen und aufmerksamen Geschäffts-

mann zu finden.

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Page 305: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.l4J B R I E F E 1796-1798

U n e n d l i c h la id h a t es m i r g e t h a n , d a ß v o r i g e W o c h e das W e t t e r

so s c h l i m m w a r , d a ß e i n e F u ß r e i s e n a c h W i r t e m b e r g b e i n a h e u n -

m ö g l i c h w a r . D a i c h n u n z u E n d e d e r W o c h e w i e d e r v o n h i e r abre i se , 15

so m u ß i c h d i ß m a l w i e d e r m e i n e W ü n s c h e v e r l ä u g n e n u n d S ie k ö n -

n e n es s ich v o r s t e l l e n , o b es m i r l e i c h t w i r d . N ä c h s t e n F r ü h l i n g aber ,

w e n n i c h m i t e i n e r A r b e i t , d i e i c h u n t e r d e n H ä n d e n h a b e , f e r t i g

b i n , d a n n v e r s a g ' i c h es m i r a u c h n i c h t l ä n g e r , u n d l e b e e i n p a a r

W o c h e n m i t I h n e n u n d d e n l i e b e n M e i n i g e n . 20

I c h h o f f e d a n n a u c h u m so f r o h e r m i t I h n e n z u s e y n . Jezt s c h w a n k '

i c h so z w i s c h e n V e r g a n g e n h e i t u n d Z u k u n f t ; das h e i ß t , d i e N i e d e r -

g e s c h l a g e n h e i t , d i e m i r n o c h e i n w e n i g v o n V e r g a n g e n e m a n h ä n g t ,

l ä ß t m i c h m a n c h m a l n i c h t , so w i e i c h m ö c h t e , h o f f e n d in d i e Z u k u n f t

s e h e n , u n d d i e Z u k u n f t l i e g t z u sehr m i r n o c h aus d e m A u g e u n d 25

i c h b i n m e i n e m g e g e n w ä r t i g e n Z i e l e n o c h n i c h t n a h e g e n u g g e r ü k t ,

u m d a r ü b e r e i n e d e m ü t h i g e n d e V e r g a n g e n h e i t z u v e r g e s s e n . —

M e i n e j e z i g e A r b e i t soll m e i n lezter V e r s u c h s e y n , l i ebste M u t t e r ,

a u f e i g n e m W e g e , w i e S ie es n e n n e n , m i r e i n e n W e r t h z u g e b e n ;

m i s l i n g t m i r d e r , so w i l l i ch r u h i g u n d b e s c h e i d e n , in d e m a n s p r a c h - 30

losesten A m t e , das i c h f i n d e n k a n n , d e n M e n s c h e n n ü z l i c h z u w e r d e n

s u c h e n , i c h w i l l das S t r e b e n m e i n e r J u g e n d f ü r das n e h m e n , w a s es

so o f t ist , n e m h c h f ü r z u f ä l l i g e n t s t a n d e n e n Ü b e r m u t h , f ü r ü b e r -

t r i e b e n e N e i g u n g , aus d e r S p h ä r e m i c h z u e n t f e r n e n , d i e m i r v o r g e -

s c h r i e b e n ist d u r c h m e i n e n a t ü r l i c h e n A n l a g e n u n d d i e U m s t ä n d e , 35

i n d e n e n i c h a u f g e w a c h s e n b i n .

H a b e n S ie d i e G ü t e , I h r e n n ä c h s t e n B r i e f w i e d e r n a c h H o m b u r g ,

w i e das l e z t e m a l zu adress i ren . F a h r e n S ie f o r t , l i ebste M u t t e r , m i t

I h r e m R a t h u n d m i t e i n e m f r e u n d l i c h e n W o r t e , w i e b i sher , m i c h z u

b e r i c h t i g e n u n d z u e r h e i t e r n . E m p f e h l e n S ie m i c h d e r 1. Fr . G r o s - •0

m a m m a u n d ü b e r a l l I

I h r

g e h o r s a m e r S o h n

H ö l d e r l i n .

292

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.l68.i69

+5 N a c h s c h r i f t .

Es ist m i r r e c h t sehr l a i d , l i ebste M u t t e r ! d a ß Sie d u r c h m e i n e n

V o r s c h l a g so b e u n r u h i g e t w o r d e n s i n d ; Sie s e h e n a b e r selbst , d a ß i ch

so z i e m l i c h u n s c h u l d i g d a b e i b i n , w e i l i ch v o n d e r U n s i c h e r h e i t d e r

L a n d s t r a ß e n in W i r t e m b e r g n i chts g e h ö r t h a t t e . I c h b i t t e S i e , so

50 h o c h i ch k a n n , ü b e r m i c h r u h i g zu s e y n , u n d sich das L e b e n so h e i t e r

w i e m ö g l i c h z u m a c h e n , da S ie in s ich u n d d o c h a u c h i n ä u ß e r e n

U m s t ä n d e n so v i e l G r u n d f i n d e n , d i e T r a u e r des L e b e n s m i t F r e u d e

z u m i s c h e n . Es s ch lägt a u c h m i c h so n i e d e r ; i c h d e n k e d a n n i m m e r ,

d a ß i ch gar n i chts s e y n m u ß , w e i l s ich a n d e r e E l t e r n o f t so v i e l e i n -

55 b i l d e n a u f i h r e K i n d e r .

169. A N D E N B R U D E R

R a s t a d t . d . 2 8 N o v . 1 7 9 8 .

L i e b s t e r K a r l !

W i r m ü ß t e n u n s f r e m d g e w o r d e n s e y n , w e n n w i r u n s n i c h t d u r c h

d ie G l e i c h h e i t u n s e r e r G e s i n n u n g e n u n d u n s e r e r N a t u r u n e n d l i c h

5 u n d e w i g n a h e w ä r e n ; d e n n w i r h a b e n w i r k l i c h d i ß m a l l ä n g e r , als z u

i r g e n d e i n e r Z e i t , u n s e r e s c h ö n e F r e u n d s c h a f t o h n e N a h r u n g ge las -

s e n . A b e r d ie G ö t t e r , w e n n sie s c h o n das O p f e r n i c h t b e d ü r f e n , f o r -

d e r n es d o c h d e r E h r e w e g e n . So m ü s s e n w i r a u c h d e r G o t t h e i t , d i e

z w i s c h e n m i r u n d D i r ist , d o c h w i e d e r v o n Z e i t z u Z e i t das O p f e r

10 b r i n g e n ; das l e i c h t e , r e i n e , d a ß w i r n e m l i c h z u e i n a n d e r s p r e c h e n

v o n ihr , d a ß w i r das E w i g e , w a s u n s b i n d e t , f e i e r n in d e n l i e b e n B r i e -

f e n , d i e n u r d a r u m u n t e r u n s so se l ten s i n d , w e i l sie aus d e m H e r z e n

u n d n i c h t , w i e so m a n c h e s , aus d e r F e d e r g e h n . E i n e l e b e n d i g e B l u m e

e n t s t e h e t l a n g s a m e r , als e i n e B l u m e v o n T a f t , u n d so m u ß a u c h e i n

15 l e b e n d i g e s W o r t s ich l a n g in u n s e r e r Brust b e w e g e n , e h e es z u m V o r -

s c h e i n k o m m t , u n d k a n n so h a u f e n w e i s e n i c h t s ich g e b e n , w i e d i e

S a c h e n , d i e m a n aus d e m Ä r m e l s chüt te l t . I c h w i l l d a m i t n i c h t s a g e n ,

als w ä r e n u n s e r e B r i e f e so w a s A u ß e r o r d e n t l i c h e s a n G e d a n k e n u n d

a n W i z u n d m a n n i g f a l t i g e n B e g r i f f e n u n d S a c h e n ; a b e r e twas ist

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Nr.148 B R I E F E 1796-1798

d a r i n n , w a s m a n das Z e i c h e n a l ler l e b e n d i g e n Ä u ß e r u n g e n n e n n e n 20

d a r f , das n e m l i c h , d a ß sie m e h r s a g e n , als es s c h e i n t , w e i l in i h n e n

e i n H e r z s ich r e g t , das ü b e r h a u p t i m L e b e n n i e m a l s alles sagen k a n n ,

w a s es sagen m ö c h t e . 0 , L i e b e r l w a n n w i r d m a n u n t e r u n s e r k e n n e n ,

d a ß d i e h ö c h s t e K r a f t in i h r e r Ä u ß e r u n g z u g l e i c h a u c h d i e b e s c h e i -

d e n s t e ist , u n d d a ß das G ö t t l i c h e , w e n n es h e r v o r g e h t , n i e m a l s o h n e 25

e i n e g e w i s s e T r a u e r u n d D e m u t h s e y n k a n n ? Fre i l i ch i m M o m e n t

des e n t s c h i e d e n e n K a m p f s ists e twas a n d e r s ! a b e r d a v o n ist h i e r , w i e

D u s iehst , n i c h t d i e R e d e . I c h b r a u c h e D i r n i c h t z u s a g e n , w i e m a n -

n i g f a l t i g , seit w i r g e g e n e i n a n d e r s c h w i e g e n , m e i n G e m ü t h v o n d e n

V e r ä n d e r u n g e n m e i n e s L e b e n s ist e r s c h ü t t e r t w o r d e n . D a ß i ch in 30

H o m b u r g l e b e , u n d w i e ? w i r s t D u aus d e m B r i e f e g e s e h e n h a b e n ,

d e n i ch a n d ie l i e b e M u t t e r s chr ieb . Bes ter I w i e o f t h ä t t ' i ch D i r g e r n e

g e s c h r i e b e n , in d e n l e z t e n T a g e n z u F r a n k f u r t , a b e r i ch v e r h ü l l t e

m e i n L e i d e n m i r se lbst , u n d i c h h ä t t e m a n c h m a l d i e S e e l e m i r aus -

w e i n e n m ü s s e n , w e n n i c h es a u s s p r e c h e n w o l l t e . I n H o m b u r g s u c h t ' 35

i ch in b e s t ä n d i g e r A r b e i t m e i n e R u h e w i e d e r zu f i n d e n , u n d w e n n

i c h m ü d e w a r , l e b t ' i c h m e i s t in Sinklairs G e s e l l s c h a f t . E r h a t als

t r e u e r F r e u n d a n m i r g e h a n d e l t . A u f s e i n e n V o r s c h l a g b i n i ch a u c h

m i t i h m h i e h e r g e g a n g e n . M a n f i n d e t h i e r m a n c h e r l e i M e n s c h e n b e i -

s a m m e n . N u r ist es s c h a d e , d a ß d i e d i p l o m a t i s c h e K l u g h e i t d i e G e - 40

s i chter u n d G e m ü t h e r al le in B a n d e n hä l t u n d w e n i g o f f n e gese l l -

s c h a f t l i c h e Ä u ß e r u n g z u S t a n d e k ö m m t . Ü b r i g e n s s t e c h e n , t roz d e r

g e m e i n s c h a f t l i c h e n V o r s i c h t , d e r F r a n z o s e u n d O e s t e r r e i c h e r u n d

S c h w a b e u n d H a n n o v e r a n e r u n d Sachse etc. n o c h g e n u g a b .

I c h hät te s e h r D i c h z u s p r e c h e n g e w ü n s c h t , l i eber K a r l l I c h h a t t ' 45

a u c h d e n P l a n , D i c h w e n i g s t e n s n a c h N e u e n b ü r g o d e r P f o r z h e i m z u

b e s t e l l e n , a b e r d ie Z e i t , d i e i ch d a z u v e r w e n d e n w o l l t e , ist u n t e r

s c h l e c h t e m W e t t e r v e r s t r i c h e n , u n d d iese W o c h e w i l l i c h w i e d e r

n a c h H o m b u r g z u r ü k . N ä c h s t e n F r ü h l i n g , w e n n i ch m i t m e i n e r

A r b e i t f e r t i g b i n , hä l t m i c h s c h l e c h t e r d i n g s n i ch t s a b , m e i n e m H e r - so

z e n e i n m a l d e n G e f a l l e n z u t h u n u n d e i n i g e W o c h e n b e i e u c h L i e b e n

z u z u b r i n g e n . D a ß i ch d a n n e i n paar M e i l e n w e i t e r z u w a n d e r n h a b e ,

t h u t n i c h t s , b e s o n d e r s in d e n s c h ö n e n M a i t a g e n . D e r f r o h e , g u t e .

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.i69

r e i n e L e b e n s g e i s t sei m i t u n s b e i d e n i n d e ß u n d e r h a l t e u n d f b r d r e

55 u n s ! —

D e r e i g e n t l i c h e G e w i n n , d e n m i r bis j ez t d e r h i es ige A u f e n t h a l t

g e g e b e n h a t , s ind e i n i g e j u n g e M ä n n e r vo l l G e i s t u n d r e i n e n T r i e b s :

M o r b e k , e i n P o m m e r a n e r , d e r izt a u f R e i s e n ist , u n d u n t e r d e n

M e n s c h e n u n d d e r N a t u r se ine rastlose See le z u e i n e m k ü h n e n p h i l o -

60 s o p h i s c h e n W e r k e b e f l ü g e l t , w o z u e r sich jez t n o c h Sto f f h i n w i r f t ;

H o r n , p r e u ß i s c h e r L e g a t i o n s s e c r e t ä r , e i n ä c h t g e b i l d e t e r M e n s c h ,

m i t t i e f e m G e f ü h l u n d g r o ß e m Interesse b e i f e i n e r Sitte u n d Jovia l i -

tä t , e in d e n k e n d e r K o p f be i r i c h t i g e m S i n n f ü r S c h ö n h e i t u n d K u n s t ;

V. P o m m e r e s c h e n , e i n S c h w e d e — g a n z l i e b e n s w ü r d i g e R u h e , a n -

65 s p r u c h l o s , g l ü k l i c h in s i ch , m a n n i g f a l t i g g e b i l d e t in W i s s e n s c h a f t e n

u n d S p r a c h e n , m ä n n l i c h s t o l z b e i h o h e r G u t m ü t h i g k e i t , Ges ta l t u n d

G e s i c h t in unzers tö r te r S c h ö n h e i t ; d a n n a u c h e i n h e r r l i c h e r A l t e r ,

K r i e g s r a t h S c h e n k aus D ü s s e l d o r f , i n t i m e r F r e u n d v o n J a k o b i , e i n

r e i n e r , h e i t r e r , ed l e r Karakter , k lar u n d i d e e n r e i c h ; e r spr i cht , o f t

70 w i e e i n J ü n g l i n g , in l auterer , f r o h e r B e g e i s t e r u n g , w e n n b e s o n d e r s

v o n s e i n e m Jakob i d i e R e d e ist , u n d s ieht so f r e u n d l i c h u n t e r u n s

j u n g e L e u t e h i n e i n , d a ß w i r so r e c h t e i n e d u r c h u n d d u r c h h a r m o -

n i s c h e F a m i l i e m a c h e n .

L a ß n u n a u c h b a l d w i e d e r e twas v o n D i r h ö r e n , B e s t e r l R . h a t

75 m i r v i e l v o n D i r e r z ä h l e n m ü s s e n , h a t m i r a u c h n a c h h e r be i se iner

R ü k k u n f t in ' s W i r t e m b e r g i s c h e g e s c h r i e b e n , d a ß e r D i c h b e s u c h t ,

w i e ichs i h m a u f g e t r a g e n , u n d w i e er D i c h g e f u n d e n . N i c h t w a h r .

D u schre ibst m i r n u n b a l d ? Adress i re D e i n e B r i e f e a n M. H ö l d e r l i n

be i H E . G laser W a g n e r in H o m b u r g v o r d e r H ö h e .

80 M a n h o f t h i e r w i e d e r m e h r w i e sonst e i n e n b a l d i g e n F r i e d e n .

U n s e r n L a n d s m a n n , d e n H E . L e g a t i o n s s e c r e t ä r G u t s c h e r Sprech '

i ch b e i n a h e alle T a g e . E r ist e i n v e r s t ä n d i g e r M a n n .

U n d n u n g u t e N a c h t , l i e b e r K a r l 1

D e i n

85 H ö l d e r l i n .

295

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Nr. lSO. lSl B R I E F E 1796-1798

170. A N D I E M U T T E R

Homburg vor der Höhe, d. 11 Dez. 1 7 9 8 .

Theure Mutter!

Ihr lieber Brief traf mich nicht mehr in Rastadt und er wurde mir hieher nachgeschikt. Es hat mich herzlich gefreut, daß ich bei mei- 5 nen Verwandten, wie ich sehen konnte, noch in gutem Angedenken bin, besonders Ihre gütige Vorsorge und Theilnahme, liebste Mutter, hat mich innig gerührt, und Sie können sich denken, wie sehr ich eben dadurch mich in Ihre Nähe gezogen fühlte. Ich mußte, um ruhige Überlegung zu gewinnen, meinen Entschluß über die ange- lO botene Hofmeisterstelle auf den anderen Tag verschieben, und auch dann wollt' ich meinem Urtheil noch nicht ganz trauen und ein paar Tage noch hingehn lassen, um Ihnen eine reiflich überdachte Ant-wort geben zu können.

Das Triftigste, was ich Ihnen sagen kann, ist wohl das, daß ich 15 nach Verlauf eines Jahrs schwerlich in Verlegenheit seyn werde, wenn nichts anderes sich mir darbietet, eine ähnliche Stelle zu be-kommen, denn die Hofmeister, die irgend einen Anspruch machen können, sind izt sehr selten zu bekommen, und es entschließt sich mancher, sich auf irgend eine andere Art zu behelfen, ehe er diß in 20 unseren Zeiten so mißliche Verhältniß eingeht, und sich alle den Mis Verständnissen aussezt, die jezt in diesem zweideutigen Stande so unausbleiblich sind, denn ein bestimmtes Amt, wo der Mann sein vorgeschrieben mechanisch Geschäfft hat, ist etwas ganz anderes und läßt sich viel leichter im Frieden abmachen, als die Kindererziehung, 25 die etwas so unendliches ist, und das tägliche Leben in Einem Hauße, wo man gegenseitig die Prätensionen bis aufs geringste ausdehnen muß, wenn man sich nicht in die Länge zur Last fallen will, und, wie gesagt, die Stimmung, in der sich jezt beinahe alle Personen fin-den, die sich Hofmeister halten, ist, bei dem besten Gemüth und der 30 höchsten Vorsicht von beiden Seiten doch so schwer zu behandeln,

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.170

daß ein junger Mann wirklich wohlthut, sich nicht an diese schwere Aufgabe zu wagen, so lang ihm noch ein ander Verhältniß bleibt, woran er sich nicht zu schämen hat, und wo er sein mäßiges Auskom-

35 men findet. Da sich aber alles lernen läßt und ich nun so ziemhch zu wissen glaube, wie man auch als Hofmeister in den meisten Häußern friedlich leben kann, so würde ich diß Verhältniß weniger als andere fürchten, die es noch nicht erfahren haben und ungeübter und un-gedultiger sind, nur muß ich immer ebensoviel an Lebhaftigkeit des

•0 Geistes verlieren, als ich an Zurükhaltung und Gedult in einem sol-chen Verhältnisse zuseze. Deßwegen glaube ich es mir schuldig zu seyn, so lang ich, ohne andern wehe zu thun, von dieser Seite mich schonen kann, mich zu schonen, um mit lebendiger Kraft ein Jahr lang in den hohem und reinem Beschäfftigungen zu leben, zu denen

45 mich Gott vorzüglich bestimmt hat. — Diese lezte Äußerung mag Ihnen auffallen, und Sie werden mich fragen, was denn diß für Be-schäfftigungen seien? — Aus dem, was Ihnen bisher von meinen Ar-beiten in die Hände gefallen seyn mag, werden Sie es schwerlich er-rathen, was mein eigenstes Geschafft ist, und doch hab' ich auch in

50 jenen unbedeutenden Stüken von ferne angefangen, meines Herzens tiefere Meinung, die ich noch lange vieleicht nicht völlig sagen kann, imter denen, die mich hören, vorzubereiten. Man kcuin jezt den Menschen nicht alles gerade heraussagen, denn sie sind zu träg und eigenliebig, um die Gedankenlosigkeit und Irreligion, worinn sie

55 steken, wie eine verpestete Stadt zu verlassen, und auf die Berge zu flüchten, wo reinere Luft ist und Sonn und Sterne näher sind, und wo man heiter in die Unmhe der Welt hinabsieht, das heißt, wo man zum Gefühle der Gottheit sich erhoben hat, und aus diesem alles be-trachtet, was da war und ist und seyn wird.

60 Liebste Mutter I Sie haben mir schon manchmal über Religion geschrieben, als wüßten Sie nicht, was Sie von meiner Religiosität zu halten hätten. 0 könnt' ich so mit Einmal mein Innerstes aufthun vor Ihnen! — Nur so viel! Es ist kein lebendiger Laut in Ihrer Seele, wozu die meinige nicht auch mit einstimmte. Kommen Sie mir mit

65 Glauben entgegen! Zweifeln Sie nicht, an dem, was Heiliges in mir

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Nr. 171 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

ist , so w i l l i ch I h n e n m e h r m i c h o f f e n b a r e n . O m e i n e M u t t e r ! es ist

e twas z w i s c h e n I h n e n u n d m i r , das u n s r e S e e l e n t r e n n t ; i c h w e i ß

i h m k e i n e n N a h m e n ; a c h t e t e ines v o n u n s das a n d e r e zu w e n i g , o d e r

w a s ist es sonst? D a s s a g ' i ch I h n e n t i e f aus m e i n e m H e r z e n ; w e n n Sie

s c h o n in W o r t e n m i r n i c h t alles sagen k ö n n e n , w a s Sie s i n d , es l e b t 70

d o c h in m i r , u n d be i j e d e m A n l a ß f ü h l ' i ch w u n d e r b a r , w i e Sie m i c h

i n g e h e i m b e h e r r s c h e n , u n d w i e m i t u n a u s l ö s c h l i c h t r e u e r A c h t u n g

m e i n G e m ü t h sich u m das I h r i g e b e k ü m m e r t . D a r f ichs I h n e n e i n -

m a l s a g e n ? w e n n i ch o f t in m e i n e m S i n n v e r w i l d e r t w a r , u n d o h n e

R u h e m i c h u m h e r t r i e b u n t e r d e n M e n s c h e n , so w a r s n u r d a r u m , 75

w e i l i ch m e i n t e , d a ß S ie k e i n e F r e u d e a n m i r h ä t t e n . A b e r n i c h t w a h r ,

S ie m i s t r a u e n sich n u r , S ie f ü r c h t e n I h r e S ö h n e z u v e r z ä r t e l n u n d

zu e i g e n w i l l i g z u m a c h e n , Sie f ü r c h t e n , d a ß I h r m ü t t e r l i c h G e m ü t h

S ie selbst b e t h ö r e n m ö c h t e , u n d d a n n I h r e S ö h n e o h n e L e i t u n g

w ä r e n u n d o h n e R a t h , u n d d a r u m sezen S ie l i e b e r z u w e n i g V e r - 80

t r a u e n in u n s u n d v e r s a g e n sich aus L i e b e d i e F r e u d e , d i e d e r E l t e r n

E i g e n t u m i m A l t e r ist , u n d h o f f e n l i e b e r w e n i g e r v o n u n s u m n i c h t

z u v i e l v o n u n s z u h o f f e n ? —

I c h w o l l t e I h n e n s c h r e i b e n , w a s f ü r G r ü n d e i ch h ä t t e , u m d i e a n -

g e b o t n e Ste l le a b z u l e h n e n , u n d es ist m i r l i e b , d a ß i ch be i d ieser G e - 85

l e g e n h e i t e i n m a l w i e d e r e i n W o r t aus m e i n e m H e r z e n g e s p r o c h e n

h a b e . D i ß G l ü k w i r d e i n e m in d e r W e l t so w e n i g z u T h e i l , d a ß m a n

es l e i ch t v e r l e r n e n k ö n n t e .

D e m l i e b e n Kar l h a b i ch v o n R a s t a d t aus g e s c h r i e b e n . N u n w ü l

ichs a u c h n i c h t l ä n g e r a n s t e h n lassen n a c h B l a u b e u r e n zu s c h r e i b e n . 90

Es b e k ü m m e r t m i c h , d a ß sich m e i n g u t e r B r u d e r , d e r so g l ü k l i c h z u

s e y n v e r d i e n t , n u n a u c h in se iner L a g e n i c h t g e f a l l e n k a n n . M ö g e n

S ie m i r n i c h t s c h r e i b e n , l i ebste M u t t e r , w a s das U n a n g e n e h m e ist ,

das i h m d a r i n n e n w i d e r f ä h r t ? — Es ist s c h ö n , d a ß u n s r e l i e b e n V e r -

w a n d t e n ü b e r d e n T o d des b i e d e r n H E . P f a r r e r s e i n i g e r m a a ß e n g e - 95

tröstet w e r d e n d u r c h das G l ü k , w o r i n n s ich m e i n e g u t e Baase K a r o -

l i n e f i n d e t . W ü n s c h e n S ie i h r h e r z l i c h a u c h in m e i n e m N a h m e n al le

F r e u d e , d i e sie w e r t h ist. S c h r e i b e n S ie m e i n e n w a h r s t e n D a n k , d a ß

sie b e i d e r Ste l le a n m i c h g e d a c h t h a b e n ; a b e r i c h k ö n n t e w e n i g s t e n s

298

Page 312: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.170.171

100 v o r e i n e m h a l b e n Jahre n i c h t a b k o m m e n u n d so l a n g e w ü r d e H E .

v o n G e m m i n g e i n e n E r z i e h e r f ü r s. K i n d e r w a h r s c h e i n l i c h n i c h t

e n t b e h r e n w o l l e n . I n e i n e m a n d e r n Fal le h ä t t ' i ch m i c h g l ü k l i c h g e -

schäzt , m i t H E . v o n G e m m i n g in B e z i e h u n g zu k o m m e n . T a u s e n d

E m p f e h l u n g e n an d ie 1. Fr . G r o s m a m m a u n d a n A l l e 1

105 I h r

Fr i z .

M e i n e m a l ten F r e u n d e G e n t n e r tausend G r ü ß e u n d G l ü k w ü n s c h e I

171. A N I S A A K V O N S I N C L A I R

H o m b u r g v o r d e r H ö h e .

d . 2 4 D e z . 1 7 9 8 .

M e i n T h e u r e r l

I c h h a b e D i r so l a n g e n i c h t g e s c h r i e b e n , w e i l i ch n u r mit h a l b e m

5 S i n n dabe i g e w e s e n w ä r e , d e n n b i sher ha t t en m i c h m e i n e Beschäf f t i -

g u n g e n , d i e m i r d u r c h d i e U n t e r b r e c h u n g l i eber g e w o r d e n w a r e n ,

m e h r als g e w ö h n l i c h o k k u p i r t . Es ist m i r , w i e D u o f t g e s e h e n hast ,

s e h r l e i c h t , alles l i e g e n z u lassen, w e n n D u se lber v o r m i r b is t , a b e r

d a g e h t es s c h o n l a n g s a m e r , w e n n d ie a l l m ä c h t i g e G e g e n w a r t i h r e n

10 w o h l t h ä t i g e n Z w a n g n i c h t a u s ü b t .

F ü r D e i n e B r i e f e d a n k e i ch D i r r e c h t sehr . P o m m e r e s c h e n s B e s u c h

h a t m i c h ä u ß e r s t g e f r e u t , w e i l es m i r w i r k l i c h e i n G e w i n n w a r , d i e -

sen in s e i n e r A r t so r e i n e n M e n s c h e n n o c h e i n m a l v o r A u g e n z u

h a b e n u n d sein B i ld u n d W e s e n n o c h d a u e r n d e r in m i c h a u f z u n e h -

15 m e n . D a n n w a r es m i r a u c h sehr d a r u m z u t h u n , d a ß i ch w i e d e r

v o n e u c h h ö r e n k o n n t e . I c h h a b e sehr a n G l a u b e n u n d M u t h g e w o n -

n e n , seit i c h v o n Ras tadt z u r ü k b i n . I c h sehe D i c h selbst k larer u n d

f e s te r , seit i ch D i c h m i t m e i n e n n e u e n F r e u n d e n z u s a m m e n d e n k e ,

u n d D u w e i s t , w i e sehr das so l che V e r h ä l t n i s s e , w i e unseres ist ,

20 s i cher t , d a ß m a n sich b e g r e i f t u n d r e c h t b e s t i m m t i m A u g e h a t . W o

e i n m a l d e r G r u n d g e l e g t ist , w i e b e i u n s , u n d E i n e r d e n A n d e r n v o l l

u n d t ie f g e f ü h l t h a t , in d e m , w a s e r se iner N a t u r n a c h b l e i b e n m u ß ,

299

Page 313: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr. 171 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

u n t e r a l len m ö g l i c h e n V e r w a n d l u n g e n , d a d a r f d i e L i e b e das E r -

k e n n t n i ß n i c h t s c h e u e n , u n d m a n k a n n w o h l s a g e n , d a ß in d i e s e m

Fal le m i t d e m V e r s t ä n d e d e r G l a u b e w a c h s e . U n d d a n n ists f r e i l i c h 25

w a h r , d a ß m e i n e S e e l e b e i s i ch selbst d a r ü b e r f r o h l o k t , d a ß es , a l l e n

A p o s t e l n d e r N o t h d u r f t z u m T r o z , n o c h m e h r , als E i n e n g i e b t , w o

s ich i n i h r e m e d e l n Ü b e r f l u ß d i e N a t u r n o c h g e ä u ß e r t , u n d d a ß i c h ,

a u ß e r D e i n e m G e i s t , j ez t a u c h n o c h a n d e r e r u f e n k a n n , z u m Z e u g -

n i ß g e g e n m e i n e i g e n z w e i f e l n d H e r z , das m a n c h m a l a u f d i e Se i t e 30

des u n g l ä u b i g e n P ö b e l s t r e t e n w i l l u n d d e n G o t t l ä u g n e n , d e r in d e n

M e n s c h e n ist . S a g ' es i h n e n n u r , d e n D e i n e n u n d M e i n e n , d a ß i c h

m a n c h m a l a n sie d e n k e , w e n n m i r s se i , als g ä b ' es a u ß e r m i r u n d e i n

paar E i n s a m e n , d i e i c h i m H e r z e n t r a g e , n i c h t s , als m e i n e v i e r W ä n -

d e , u n d d a ß sie m i r s e y e n , w i e e i n e M e l o d i e , z u d e r meui se ine Z u - 35

flucht n i m m t , w e n n e i n e n d e r b ö s e D ä m o n ü b e r w ä l t i g e n w i l l . Es ist

d i e v o l l e W a h r h e i t , w a s i c h s a g e , a b e r es w i l l m i r n i c h t g e f a l l e n , w e n n

i c h ü b e r e i n paar t r e f l i che M e n s c h e n so ü b e r h a u p t s p r e c h e u n d i c h

f ü h l e w o h l , i ch m ü ß t e j e d e m b e s o n d e r s s c h r e i b e n , w e n n i c h m i r

g e n u g t h u n w o l l t e . +0

I c h h a b e d ieser T a g e i n D e i n e m D i o g e n e s L a e r t i u s g e l e s e n . I c h

h a b e a u c h h i e r e r f a h r e n , w a s m i r s c h o n m a n c h m a l b e g e g n e t ist , d a ß

m i r n e m l i c h das V o r ü b e r g e h e n d e u n d A b w e c h s e l n d e d e r m e n s c h -

l i c h e n G e d a n k e n u n d S y s t e m e fast t r a g i s c h e r a u f g e f a l l e n ist , als d i e

Sch iksaa le , d i e m a n g e w ö h n l i c h a l le in d i e w i r k l i c h e n n e n n t , u n d i c h 45

g l a u b e , es ist n a t ü r l i c h , d e n n , w e n n d e r M e n s c h in s e i n e r e i g e n s t e n ,

f r e i e s t e n T h ä t i g k e i t , i m u n a b h ä n g i g e n G e d a n k e n selbst v o n f r e m -

d e m E i n f l u ß a b h ä n g t , u n d w e n n e r a u c h d a n o c h i m m e r m o d i f i z i r t

ist v o n d e n U m s t ä n d e n u n d v o m K l i m a , w i e es s ich u n w i d e r s p r e c h -

l i c h z e i g t , w o h a t e r d a n n n o c h e i n e H e r r s c h a f t ? Es ist a u c h g u t , u n d 50

sogar d ie erste B e d i n g u n g alles L e b e n s u n d a l ler O r g a n i s a t i o n , d a ß

k e i n e K r a f t m o n a r c h i s c h ist i m H i m m e l u n d a u f E r d e n . D i e a b s o l u t e

M o n a r c h i e h e b t s ich ü b e r a l l selbst a u f , d e n n sie ist o b j e c t l o s ; es h a t

a u c h i m s t r e n g e n S i n n e n i e m a l s e i n e g e g e b e n . A l l e s g r e i f t i n e i n a n -

d e r u n d l e i d e t , so w i e es t h ä t i g ist , so a u c h d e r re ins te G e d a n k e des 55

M e n s c h e n , u n d in a l ler S c h ä r f e g e n o m m e n , ist e i n e a p r i o r i s c h e , v o n

300

Page 314: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.171.172

al ler E r f a h r u n g d u r c h a u s u n a b h ä n g i g e P h i l o s o p h i e , w i e D u selbst

w e i s t , so g u t e i n U n d i n g , als e i n e pos i t ive O f f e n b a r u n g , w o d e r O f f e n -

b a r e n d e n u r alles d a b e i t h u t , u n d d e r , d e m d ie O f f e n b a r u n g g e g e b e n

60 w i r d , n i c h t e i n m a l s ich r e g e n d a r f , u m sie z u n e h m e n , d e n n sonst

h ä t t ' e r s c h o n v o n d e m S e i n e n e twas d a z u g e b r a c h t .

R e s u l t a t des S u b j e c t i v e n u n d O b j e c t i v e n , des E i n z e l n e n u n d G a n -

z e n , ist jedes E r z e u g n i ß u n d P r o d u c t , u n d e b e n w e i l i m P r o d u c t d e r

A n t h e i l , d e n das E i n z e l n e a m P r o d u c t e h a t , n i e m a l s v ö l l i g u n t e r -

es s c h i e d e n w e r d e n k a n n , v o m A n t h e i l , d e n das G a n z e daran h a t , so ist

a u c h daraus k lar , w i e i n n i g jedes E i n z e l n e m i t d e m G a n z e n z u s a m -

m e n h ä n g t u n d w i e sie b e e d e n u r E i n l e b e n d i g e s G a n z e a u s m a c h e n ,

das z w a r d u r c h u n d d u r c h i n d i v i d u a l i s i r t i s t u n d a u s l a u t e r

s e l b s t s t ä n d i g e n , a b e r e b e n so i n n i g u n d e w i g v e r b u n d e n e n

70 T h e i l e n b e s t e h t . Fre i l i ch m u ß aus j e d e m e n d l i c h e n G e s i c h t s -

p u n c t i r g e n d e i n e d e r s e l b s t s t ä n d i g e n K r ä f t e d e s G a n z e n d i e

h e r r s c h e n d e s e y n , a b e r sie k a n n a u c h n u r als t e m p o r ä r u n d g r a d -

w e i s e h e r r s c h e n d b e t r a c h t e t w e r d e n .

172. A N D E N B R U D E R

Sol l te D e i n Schiksaal n i c h t ü b e r k u r z o d e r l a n g e e i n e g ü n s t i g e

" W e n d u n g n e h m e n , so g e b ' i c h D i r m e i n he ihgs tes B r u d e r w o r t , d a ß

i c h m i t a l l e m , w a s i ch b i n u n d h a b e . D i r z u D i e n s t e n s e y n w e r d e .

I n d e s s e n b i t t ' i c h D i c h , L i e b s t e r l so h e i t e r , w i e m ö g l i c h . D e i n e L a g e

5 a n z u s e h e n . G ö n n e m i r d ie F r e u d e , m a n c h e b i t t re E r f a h r u n g a u c h in

D e i n e m N a h m e n g e m a c h t z u h a b e n , u n d fasse m i r d i ß W o r t , das

i ch D i r sagen w i l l , m i t D e i n e m he l l s ten G e i s t e a u f , u n d g l a u b ' es

m e i n e r L i e b e : d i e W e l t zerstört u n s bis a u f d e n G r u n d , w e n n w i r

j e d e B e l a i d i g u n g g e r a d e z u ins H e r z g e h e n lassen , u n d d i e B e s t e n

10 m ü s s e n s c h l e c h t e r d i n g s a u f i r g e n d e i n e A r t z u G r u n d e g e h e n , w e n n

301

Page 315: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.172 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

sie n i c h t n o c h z u r e c h t e r Z e i t d a h i n k o m m e n , d a ß sie a l les , w a s d i e

M e n s c h e n i h n e n aus N o t h d u r f t u n d Ge is tes - u n d H e r z e n s s c h w ä c h e

a n t h u n , in d e n r u h i g e n V e r s t a n d a u f n e h m e n , statt ins g u t e G e m ü t h ,

das a u c h , w e n n es g e k r ä n k t ist , v o n se iner G r o ß m u t h n i c h t lassen

k a n n , u n d d e n a r m e n B e l a i d i g u n g e n d e r M e n s c h e n d i e E h r e w i d e r - 15

f a h r e n l ä ß t , sie h o c h z u n e h m e n . G l a u b e m i r , d e r h i e r i n n g e w i ß

n i c h t a u s E i g e n d ü n k e l , s o n d e r n aus d e m t i e f e n G e f ü h l e seines M a n g e l s

u n d aus m a n c h e n t r ü b e n E r i n n e r u n g e n spr i ch t , g l a u b e m i r , d e r

r u h i g e V e r s t a n d ist d i e h e i l i g e A e g i d e , d i e i m K r i e g e d e r W e l t das

H e r z v o r g i f t i g e n P f e i l e n b e w a h r t . U n d ich g l a u b e , z u m e i n e m e i g e - 20

n e n T r ö s t e , d a ß d ieser r u h i g e V e r s t a n d , m e h r als i r g e n d e i n e T u g e n d

d e r S e e l e , d u r c h d ie E ins i ch t seines W e r t h s u n d g u t w i l l i g e b e h a r r -

l i c h e Ü b u n g k a n n e r w o r b e n w e r d e n . W i e m a n c h e s m ö c h t ' ich D i r

o f t m i t B l u t h i n s c h r e i b e n , w e n n i ch z u r ü k s e h e a u f d i e J a h r e , d ie i ch

w o h l zur H ä l f t e in G r a m u n d I r r e n v e r l o r , u n d d ie f ü r D i c h n o c h u n - 25

v e r b r a u c h t s i n d , bes ter K a r l l Es e r g r e i f t e i n e n w u n d e r b a r , w e n n

m a n s ich m i t saurer M ü h e u n d g e n a u e r N o t h h i n d u r c h g e r u n g e n

h a t , u n d d e n k t , d a ß es d e m a n d e r n , d e n m a n l i e b t , n u n a u c h n i c h t

l e i c h t e r w e r d e n soll . W i r f ü r c h t e n ü b e r h a u p t das Schiksaal v i e l w e n i -

g e r f ü r u n s , als f ü r d i e , d i e u n s e r m H e r z e n t h e u e r s i n d . — 30

E b e n sch lägt d i e G l o k e z w ö l f , u n d das Jahr 9 9 f ä n g t a n . E i n g l ü k -

l i ches Jahr f ü r D i c h , L i e b s t e r , u n d al le d i e U n s r i g e n l U n d d a n n e i n

n e u e s g r o ß e s g lük l i ches J a h r h u n d e r t f ü r D e u t s c h l a n d u n d d i e W e l t I

So w i l l i ch m i c h s c h l a f e n l e g e n .

d . l / a « . 1 7 9 9 . 35

I c h hat te h e u t e m e i n e g e w ö h n l i c h e n B e s c h ä f f t i g u n g e n b e i Se i te

g e l e g t u n d b i n in m e i n e m M ü ß i g g a n g e in a l ler le i G e d a n k e n h i n e i n -

g e r a t h e n ü b e r das I n t e r e s s e , das jezt d i e D e u t s c h e n f ü r speku la t i ve

P h i l o s o p h i e , u n d w i e d e r f ü r po l i t i sche L e e t ü r e , d a n n a u c h , n u r in

g e r i n g e r e m G r a d e , f ü r d ie P o e s i e h a b e n . V i e l e i c h t hast D u e i n e n 40

k l e i n e n lus t igen A u f s a z in d e r a l l g e m e i n e n Z e i t u n g ü b e r das d e u t s c h e

D i c h t e r k o r p s g e l e s e n . D i e s e r w a r es , was m i c h z u n ä c h s t dazu v e r a n -

l a ß t e , u n d w e i l D u u n d i c h jez t se l ten p h i l o s o p h i r e n , so w i r s t D u es

302

Page 316: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.l72

nicht undienlich finden, wenn ich diese meine Gedanken Dir nieder-•5 schreibe.

Der günstige Einfluß, den die philosophische und politische Lee-türe auf die Bildung unserer Nation haben, ist unstreitig, und vie-leicht war der deutsche Volkskarakter, wenn ich ihn anders aus mei-ner sehr unvollständigen Erfahrung richtig abstrahirt habe, gerade

50 jenes beiderseitigen Einflusses vorerst bedürftiger, als irgend eines andern. Ich glaube nemlich, daß sich die gewöhnlichsten Tugenden und Mängel der Deutschen auf eine ziemlich bornirte Häuslichkeit reduziren. Sie sind überall glebae addicti und die meisten sind auf irgend eine Art, wörtlich oder metaphorisch, an ihre Erdscholle ge-

Ä5 fesselt und wenn es so fort gienge, müßten sie sich am Ende an ihren lieben (moralischen und physischen) Erwerbnissen und Ererbnissen, wie jener gutherzige niederländische Maler zu Tode schleppen. Jeder ist nur in dem zu Hauße, worinn er geboren ist, und kann und mag mit seinem Interesse und seinen Begriffen nur selten darüber hinaus.

60 Daher jener Mangel an Elasticität, an Trieb, an mannigfaltiger Ent-wiklung der Kräfte, daher die finstere, wegwerfende Scheue oder auch die furchtsame unterwürfig blinde Andacht, womit sie alles aufnehmen, was außer ihrer ängstlich engen Sphäre liegt; daher auch diese Gefühllosigkeit für gemeinschaftliche Ehre und gemein-

es schaftliches Eigentum, die freilich bei den modernen Völkern sehr allgemein, aber meines Erachtens unter den Deutschen in eminen-tem Grade vorhanden ist. Und wie nur der in seiner Stube sich gefällt, der auch im freien Felde lebt, so kann ohne Allgemeinsinn und off-nen Bhk in die Welt auch das individuelle, jedem eigene Leben nicht

70 bestehen, und wirklich ist unter den Deutschen eines mit dem an-dern untergegangen, wie es scheint, und es spricht eben nicht für die Apostel der Beschränktheit, daß unter den Alten, wo jeder mit Sinn und Seele der Welt angehörte, die ihn umgab, weit mehr Innigkeit in einzelnen Karakteren und Verhältnissen zu finden ist, als zum

75 Beispiel unter uns Deutschen, und das affectirte Geschrei von herz-losem Kosmopolitismus und überspeinnender Metaphysik kaum wohl nicht wahrer widerlegt werden, als durch ein edles Paar, wie Thaies

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und Solon, die mit eineinder Griechenlcind und Aegypten und Asien durchwanderten, um Bekanntschaft zu machen mit den Staatsverfas-sungen und Philosophen der Welt, die also in mehr als Einer Rük- 80 sieht verallgemeinert waren, aber dabei recht gute Freunde, und menschlicher und sogar naiver, als alle die mit einander, die uns be-reden möchten, man dürfe die Augen nicht aufthun, und der Welt, die es immer werth ist, das Herz nicht öfthen, um seine Natürlichkeit beisEimmen zu behalten. 85

Da nun gröstentheils die Deutschen in diesem ängstlich bomirten Zustande sich befanden, so konnten sie keinen heilsameren Einfluß erfahren, als den der neuen Philosophie, die bis zum Extrem auf Allgemeinheit des Interesses dringt, und das unendliche Streben in der Brust des Menschen aufdekt, und wenn sie schon sich zu einseitig 90 an die große Selbstthätigkeit der Menschennatur hält, so ist sie doch, als Philosophie der Zeit, die einzig mögliche.

Kant ist der Moses unserer Nation, der sie aus der ägyptischen Er-schlaffung in die freie einsame Wüste seiner Speculation führt, und der das energische Gesez vom heiligen Berge bringt. Freilich tanzen 95 sie noch immer um ihre güldenen Kälber und hungern nach ihren Fleischtöpfen und er müßte wohl im eigentlichen Sinne in irgend eine Einsame mit ihnen auswandern, wenn sie vom Bauchdienst imd den todten, herz- und sinnlos gewordenen Gebräuchen und Meinun-gen lassen sollten, unter denen ihre bessere lebendige Natur unhör- 100 bar, wie eine tief eingekerkerte, seufzt. Von der andern Seite muß die politische Leetüre eben so günstig wirken, besonders, wenn die Phänomene unserer Zeit in einer kräftigen und sachkundigen Dar-stellung vor das Auge gebracht werden. Der Horizont der Menschen erweitert sich, und mit dem täglichen Blik in die Welt entsteht und 105 wächst auch das Interesse für die Welt, und der Allgemeinsinn imd die Erhebung über den eigenen engen Lebenskreis wird gewiß durch die Ansicht der weitverbreiteten Menschengesellschaft und ihrer großen Schiksaale so sehr befördert, wie durch das philosophische Gebot, das Interesse und die Gesichtspuncte zu verallgemeinern, imd iio wie der Krieger, wenn er mit dem Heere zusammenwirkt, muthiger

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und mächtiger sich fühh, und es in der That ist, so wächst überhaupt die Kraft und Regsamkeit der Menschen in eben dem Grade, in wel-chem sich der Kreis des Lebens erweitert, worinn sie mitwirkend und

115 mitleidend sich fühlen (wenn anders die Sphäre sich nicht so weit ausdehnt, daß sich der Einzelne zu sehr im Ganzen verliert). Übri-gens ist das Interesse für Philosophie und Politik, wenn es auch noch allgemeiner und ernster wäre, als es ist, nichts weniger als hinrei-chend für die Bildung unserer Nation, und es wäre zu wünschen, daß

120 der gränzenlose Misverstand einmal aufhörte, womit die Kunst, und besonders die Poesie, bei denen, die sie treiben und denen, die sie genießen wollen, herabgewürdigt wird. Man hat schon so viel gesagt über den Einfluß der schönen Künste auf die Bildung der Menschen, aber es kam immer heraus, als war' es keinem Ernst damit, und das

125 war natürlich, denn sie dachten nicht, was die Kunst, und besonders die Poesie, ihrer Natur nach, ist. Man hielt sich blos an ihre anspruch-lose Außenseite, die freilich von ihrem Wesen unzertrennlich ist, aber nichts weniger, als den ganzen Karakter derselben ausmacht; man nahm sie für Spiel, weil sie in der bescheidenen Gestalt des

130 Spiels erscheint, und so konnte sich auch vernünftiger weise keine andere Wirkung von ihr ergeben, als die des Spiels, nemlich Zer-streuung, beinahe das gerade Gegentheil von dem, was sie wirket, wo sie in ihrer wahren Natur vorhanden ist. Denn alsdann sammelt sich der Mensch bei ihr, und sie giebt ihm Ruhe, nicht die leere, son-

135 dem die lebendige Ruhe, wo alle Kräfte regsam sind, und nur wegen ihrer innigen Harmonie nicht als thätig erkannt werden. Sie nähert die Menschen, und bringt sie zusammen, nicht wie das Spiel, wo sie nur dadurch vereiniget sind, daß jeder sich vergißt und die lebendige Eigentümlichkeit von keinem zum Vorschein kömmt.

1*0 Du wirst verzeihen, liebster Bruder I daß ich so langsam und frag-mentarisch mit meinem Briefe bin. Es wird vieleicht wenigen der Übergang von einer Stimmung zur andern so schwer, wie mir; beson-ders kann ich mich nicht leicht aus dem Raisonnement in die Poesie heraus finden, und umgekehrt. Auch hat mich dieser Tage ein Brief

145 von unserer lieben Mutter, wo sie ihre Freude über meine Religiosi-

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tat äußerte, und mich unter anderm bat, unserer theuern 72jährigen Grosmutter ein Gedicht zu ihrem Geburtstage zu machen, und noch manches andere, in dem unaussprechlich rührenden Briefe so ergrif-fen, daß ich die Zeit, wo ich vieleicht an Dich geschrieben hätte, meist mit Gedanken an sie und euch Lieben überhaupt zubrachte. 150 Ich habe auch denselben Abend noch, da ich den Brief bekommen, ein Gedicht für die 1. Grosmutter angefangen, und bin in der Nacht beinahe damit fertig geworden. Ich dachte, es müßte die guten Müt-ter freuen, wenn ich gleich den Tag darauf einen Brief und das Ge-dicht abschikte. Aber die Töne, die ich da berührte, klangen so mäch- 155 tig in mir wieder, die Verwandlungen meines Gemüths und Geistes, die ich seit meiner Jugend erfuhr, die Vergangenheit und Gegenwart meines Lebens wurde mir dabei so fühlbar, daß ich den Schlaf nach-her nicht finden konnte, und den andern Tag Mühe hatte, mich wie-der zu sammeln. So bin ich. Du wirst Dich wundern, wenn Du die 160 poetisch so unbedeutenden Verse zu Gesicht bekommst, wie mir da-bei so wunderbar zu Muthe seyn konnte. Aber ich habe gar wenig von dem gesagt, was ich dabei empfunden habe. Es gehet mir über-haupt manchmal so, daß ich meine lebendigste Seele in sehr flachen Worten hingebe, daß kein Mensch weiß, was sie eigentlich sagen 165 wollen, als ich.

Ich will nun sehen, ob ich noch etwas von dem, was ich Dir neu-lich über Poesie sagen wollte, herausbringen kann. Nicht, wie das Spiel, vereinige die Poesie die Menschen, sagt' ich; sie vereinigt sie nemlich, wenn sie ächt ist und ächt wirkt, mit all dem mannigfachen 170 Laid und Glük und Streben und Hoffen und Fürchten, mit all ihren Meinungen und Fehlern, all ihren Tugenden und Ideen, mit allem Großen und Kleinen, das unter ihnen ist, immer mehr, zu einem lebendigen tausendfach gegliederten innigen Ganzen, denn eben diß soll die Poesie selber seyn, und wie die Ursache, so die Wirkung. Nicht 175 wahr. Lieber, so eine Panacee könnten die Deutschen wohl brauchen, auch nach der politisch philosophischen Kur; denn, alles andre abge-rechnet, so hat die philosophisch politische Bildung schon in sich selbst die Inkonvenienz, daß sie zwar die Menschen zu den wesentlichen.

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180 unumgänglichnothwendigen Verhältnissen, ZU Pflichtund Recht,zu-sammenknüpft, aber wie viel ist dann zur Menschenharmonie noch übrig? Der nach optischen Regeln gezeichnete Vor- und Mittel- und Hintergrund ist noch lange nicht die Landschaft, die sich neben das lebendige Werk der Natur allenfalls stellen möchte. Aber die Besten

185 unter den Deutschen meinen meist noch immer, wenn nur erst die Welt hübsch symmetrisch wäre, so wäre alles geschehen. 0 Griechen-land, mit deiner Genialität und deiner Frömmigkeit, wo bist du hin-gekommen? Auch ich mit allem guten Willen, tappe mit meinem Thun und Denken diesen einzigen Menschen in der Welt nur nach,

190 und bin in dem, was ich treibe und sage, oft nur um so ungeschikter und ungereimter, weil ich, wie die Gänse mit platten Füßen im mo-dernen Wasser stehe, und unmächtig zum griechischen Himmel em-porflügle. Nimm mir das Gleichniß nicht übel. Es ist unschildich, aber wahr, und unter uns gehet so was noch wohl an, soll auch nur

195 mir gesagt seyn.

Für Deine aufmunternden Äußerungen über meine Gedichtchen, und manches andre freundliche kräftige Wort in Deinem Briefe, dank' ich Dir tausendmal. Wir müssen fest zusammenhalten in aller unserer Noth und unserem Geiste. Vor allen Dingen wollen wir das

200 große Wort, das homo sum, nihil humani a me alienum puto, mit aller Liebe und allem Ernste aufnehmen; es soll uns nicht leichtsinnig, es soll uns 'nur wahr gegen uns selbst, und hellsehend und duldsam gegen die Welt machen, aber dann wollen wir uns auch durch kein Geschwäz von Affectation, Übertreibung, Ehrgeiz, Sonderbarkeit etc.

205 hindern lassen, um mit allen Kräften zu ringen, und mit aller Schärfe und Zartheit zuzusehn, wie wir alles Menschliche ein uns und andern in immer freieren und innigem Zusammenhang bringen, es sei in bildlicher Darstellung oder in wirklicher Welt, und wenn das Reich der Finsterniß mit Gewalt einbrechen will, so werfen wir die Feder

210 unter den Tisch und gehen in Gottes Nahmen dahin, wo die Noth am grösten ist, und wir am nöthigsten sind. Lebe wohl!

Dein Friz.

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Nr.l7} B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

173. A N D I E M U T T E R

H o m b u r g , i m Jan. 1 7 9 9 .

L i e b s t e M u t t e r !

I c h m u ß m i c h s c h ä m e n , d a ß i ch I h r e n 1. B r i e f , d e r m i r indessen

so v i e l e i n n i g g l ü k l i c h e S t u n d e n u n d A u g e n b l i k e g e m a c h t h a t , so

l a n g e n i c h t b e a n t w o r t e t h a b e . N o c h d e n s e l b e n A b e n d , da i c h i h n e r - 5

h a l t e n h a t t e , s c h r i e b i c h grös tenthe i l s das n i e d e r , w a s i c h I h n e n f ü r

m e i n e t h e u r e e h r w ü r d i g e G r o s m u t t e r b e i l e g e , u n d i c h h a b e es I h n e n

r e c h t v o n H e r z e n b e i m i r se lber g e d a n k t , d a ß S ie m i c h v o n d i e s e m

m i r h e i l i g e n G e b u r t s t a g e b e n a c h r i c h t i g e t h a b e n . D e r B r i e f a n S i e

sol lte T a g s d a r a u f g e s c h r i e b e n w e r d e n , i m d es w ä r e m i r se lber e i n e l o

F r e u d e g e w e s e n , w e n n i c h das , w a s i c h b e i m E m p f a n g des I h r i g e n

f ü h l t e , I h n e n so b a l d w i e m ö g l i c h h ä t t e s a g e n k ö n n e n . I c h w u r d e

a b e r indessen a u f m a n c h e r l e i A r t v e r h i n d e r t . Z e i t h ä t t e i c h w o h l g e -

h a b t , a b e r i ch m a g I h n e n g e r n e m i t u n g e s t ö r t e r S e e l e s c h r e i b e n . Es

w a r v o n k e i n e r B e d e u t u n g , w a s m i c h b e u n r u h i g t e , u n d m i r m e i n e i5

r e i n e r e S t i m m u n g n i c h t l i e ß . I c h sage I h n e n das , d a m i t S ie s ich k e i n e

S o r g e m a c h e n . H a r t e B e h a u p t u n g e n , d i e i c h z u l e sen b e k a m , d i e f r e i -

l i c h sehr g e g e n m e i n G e m ü t h a n g i e n g e n , w e i l sie g e g e n m e i n e u n -

e n t b e h r h c h s t e n Ü b e r z e u g u n g e n w a r e n , das w a r es g r ö s t e n t h e i l s , w a s

m i c h in m e i n e m f r i e d l i c h e n L e b e n u n t e r b r a c h . Es ist f r e i l i c h n i c h t 20

g u t , d a ß i c h so zers törbar b i n , u n d e i n f es ter , g e t r e u e r S i n n ist a u c h

m e i n täg l i chster W u n s c h , u n d n i ch t s e r h ä l t m i c h m e h r in D e m u t h ,

als d i e K e n n t n i ß m e i n e r S c h w ä c h e v o n d ieser S e i t e , u n d d a ß i c h b e i

a l ler m e i n e r e h r h c h e n B e m ü h u n g u n d E i n s i c h t des Bessern u n d

G l ü k l i c h e r n , d o c h n o c h i m m e r d e r alte E m p f i n d l i c h e b i n . I c h h a b e 25

d i e H ä l f t e m e i n e r J u g e n d in L e i d e n u n d I r r e n v e r l o r e n , d i e n u r aus

d ieser Q u e l l e e n t s p r a n g e n . Jezt b i n i c h w o h l g e d u l t i g e r u n d lass ' es

n i e m a n d e n t g e l t e n u n d b i n , w e n n i c h m i c h n i c h t i r r e , g e g e n a n d e r e

w e n i g e r l a u n i s c h , d e n n sonst , a b e r u m d i e i n n e r e R e i n h e i t u n d

r u h i g e W i r k s j m i k e i t k ö n n e n m i c h i m m e r n o c h E i n d r ü k e b r i n g e n , 30

d i e e i n e n v e s t e r G e b i l d e t e n v i e l e i c h t n i c h t e i n e n A u g e n b l i k s t ö r t e n .

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.l73

Freilich ist es jezt auch natürlich, daß mich jeder augenblikliche Miß-klang stärker trift, wo ich kaum aus tausendfältiger Unruhe mich herausgerettet habe und nun am Wohllaut des Guten und Wahren

35 und Schönen mich sammeln und stillen mag. Ich verspreche Ihnen und mir, mich immer zu üben, daß ich das, was ich bei ruhigem Sinne so leicht reimen kann, auch beim ersten Eindruke so aufneh-men lerne. Ich kenne kein größer Glük,als bescheidenes Wirken und Hoffen. Das kann aber bei einem leicht gekränkten Sinne nicht be-

40 stehen. — Ich suche auch durch mäßige Bewegung und durch Ord-nung meinen Körper zu bevestigen, weil ich einsehe, daß mitunter auch die Ursache in ihm liegt. Ich bin zwar gesund und jezt gesunder als sonst, und leide am Kopf und in den Eingeweiden nimmer, wie gewöhnlich, aber ich finde doch, daß meine Nerven zu reizbar sind.

•5 Ich sage das besonders auch, weil Sie sich mit dieser zärtlichen Theil-nahme nach meiner Gesundheit erkundigen. — Daß Sie meine Äuße-rungen über Religion mit dieser schönsten aller Freuden aufgenom-men haben, zeugt mir so ganz von dem Gemüth, das nur im Höch-sten seine Beruhigung findet. Ich glaub' es Ihnen wohl, theuerste

50 Mutter I wie es Ihnen das Andenken an mich erleichtem und erhei-tern muß, wenn Sie die besten Gefühle einer Menschenseele in mir wissen und sich daran halten können in den Zweifeln und Sorgen, mit denen sich auch die Besten einander betrachten müssen, und je lieber sie sich sind, je mehr, denn wir kennen ja kaum uns selbst, und

55 so bekannt, als wir uns selber sind, wird uns doch niemals ein ande-res. Ich behalte mirs vor, Ihnen bei mehrerer Muße ein vollständiges Glaubensbekenntniß abzulegen, und ich wollte, ich dürfte überall meines Herzens Meinung so offen und rein heraussagen, als ich bei Ihnen kann. Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer unserer Zeit,

60 die aus der heiligen lieben Bibel ein kaltes, geist- und herztödtendes Geschwäz machen, die mag ich freilich nicht zu Zeugen meines in-nigen, lebendigen Glaubens haben. Ich weiß wohl, wie jene dazu ge-kommen sind, und weil es ihnen Gott vergiebt, daß sie Christum ärger tödten, als die Juden, weil sie sein Wort zum Buchstaben, und

65 ihn, den Lebendigen, zum leeren Gözenbilde machen, weil ihnen das

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Gott vergiebt, vergeh' ichs ihnen auch. Nur mag ich mich und mein Herz nicht da blos geben, wo es mißverstanden wird, und schweige deßwegen vor den Theologen von Profession (d.h. vor denen, die nicht frei und von Herzen, sondern aus Gewissenszwang und von Amtswegen es sind) eben so gerne, wie vor denen, die gar nichts von 70 all dem wissen wollen, weil man ihnen von Jugend auf durch den todten Buchstaben und durch das schrökende Gebot,* zu glauben, 72 alle Religion, die doch das erste und lezte Bedürfniß der Menschen 80 ist, verlaidet hat. Liebste Mutter I wenn unter diesen Zeilen ein har-tes Wort ist, so ists gewiß nicht aus Stolz und Haß geschrieben, son-dern nur, weil ich keinen andern Ausdruk fand, wodurch ich mich so kurz wie möglich hätte verständlich machen können. Es mußte alles so kommen, wie es jezt überhaupt, und in der Religion besonders 85 ist, und es war mit der Religion fast so wie jezt, da Christus in der Welt auftrat. Aber gerade wie nach dem Winter der Frühling kömmt, so kam auch immer nach dem Geistestode der Menschen neues Leben, und das Heilige bleibt immer heilig, wenn es auch die Menschen nicht achten. Und es giebt wohl manchen, der im Herzen 90 religiöser ist, als er sagen mag und kann, und vieleicht sagt auch mancher unsrer Prediger, der nur die Worte nicht finden kann, mit seiner Rede mehr, als andere dabei vermuthen, weil die Worte, die er braucht, so gewöhnlich und so tausendfältig gemißbraucht sind. Nehmen Sie indeß mit diesen ungeheuchelten Äußerungen vorlieb, 95 bis ich eine Stunde gewinne, wo ich mit meiner ganzen Seele schrei-ben kann. — Ich stimme ganz mit Ihnen darinn überein, liebste Mut-ter I daß es gut für mich sejrn wird, wenn ich künftig das anspruch-

* Glaube kann nie geboten werden, so wenig als Liebe. Er muß 73 freiwillig und aus eigenem Triebe seyn. Christus hat freilich gesagt: wer nicht glaubet, der wird verdammt, d. h. so viel ich die Bibel ver- 75 stehe, streng beurtheilt werden, und das ist natürlich, denn dem blos pflicht- und rechtmäßig guten Menschen kann nichts vergeben wer-den, weil er selber alles in die That sezt, aber damit ist gar nicht ge-sagt, daß man ihm den Glauben aufzwingen solle. 79

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loseste Amt, das es für mich geben kann, mir zu eigen zu machen 100 suche, vorzüglich auch darum, weil nun einmal die vieleicht un-

glükliche Neigung zur Poesie, der ich von Jugend auf mit redlichem Bemühn durch sogenannt gründlichere Beschäfftigungen immer ent-gegen strebte, noch immer in mir ist und nach allen Erfahrungen, die ich an mir selber gemacht habe, in mir bleiben wird, so lange ich

105 lebe. Ich will nicht entscheiden, ob es Einbildung oder wahrer Natur-trieb ist. Aber ich weiß jezt so viel, daß ich tiefen Unfrieden und Mißmuth imter anderm auch dadurch in mich gebracht habe, daß ich Beschäfftigungen, die meiner Natur weniger angemessen zu seyn scheinen, z.B. die Philosophie, mit überwiegender Aufmerksamkeit

110 und Anstrengung betrieb und das aus gutem Willen, weil ich vor dem Nahmen eines leeren Poeten mich fürchtete. Ich wußte lange nicht, warum das Studium der Philosophie, das sonst den hartnäkigen Fleiß, den es erfordert, mit Ruhe belohnt, warum es mich, je uneinge-schränkter ich mich ihm hingab, nur immer um so friedensloser und

115 selbst leidenschaftlich machte; und ich erkläre mir es jezt daraus, daß ich mich in höherm Grade, als es nöthig war, von meiner eigentüm-lichen Neigung entfernte, und mein Herz seufzte bei der unnatürli-chen Arbeit, nach seinem lieben Geschaffte, wie die Schweizerhirten im Soldatenleben nach ihrem Thal und ihrer Heerde sich sehnen.

120 Nennen Sie das keine Schwärmereil Denn warum bin ich denn friedlich und gut, wie ein Kind, wenn ich ungestört mit süßer Muße diß unschuldigste aller Geschäffte treibe, das man freilich, und diß mit Recht, nur dann ehrt, wenn es meisterhaft ist, was das meine vieleicht auch aus dem Grunde noch lange nicht ist, weil ichs vom

125 Knabenalter an niemals in eben dem Grade zu treiben wagte, wie manches andre, was ich vieleicht zu gutmüthig gewissenhaft meinen Verhältnissen und der Meinung der Menschen zu lieb trieb. Und doch erfordert jede Kunst ein ganzes Menschenleben, und der Schü-ler muß alles, was er lernt, in Beziehung auf sie lernen, wenn er die

130 Anlage zu ihr entwikeln und nicht am Ende gar erstiken will.

Sie sehen, liebste Mutter! ich mache Sie recht zu meiner Vertrau-ten, und ich fürchte nicht, daß Sie mir diese ehrlichen Geständnisse

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Übel auslegen werden. Es giebt so wenige, vor denen ich mich öffnen mag.Warum sollt' ich denn mein Sohnsrecht nicht benüzen, und Ihnen zu meiner Beruhigung meine Anliegen nicht sagen. Und 135 glauben Sie nur nicht, daß ich Absichten dabei habe. Ich mag Ihnen nur gerne mit voller Wahrheit schreiben, und da müssen Sie mich eben haben, wie ich bin. Ich wollte eigentlich sagen, daß ich auch aus dem Grunde wohl thun würde, ein recht einfaches Amt ins Künftige zu suchen, weil sich ein anderes nicht wohl mit meinen 140 Lieblingsbeschäfftigungen reimen ließe. Es hat es mancher, der wohl stärker war, als ich, versucht, ein großer Geschäfftsmann oder Gelehrter im Amt, und dabei Dichter zu seyn. Aber immer hat er am Ende eines dem andern aufgeopfert und das war in keinem Falle gut, er mochte das Amt um seiner Kunst willen, oder seine Kunst um 145 seines Amts willen vernachlässigen; denn wenn er sein Amt auf-opferte, so handelte er unehrlich an andern, und wenn er seine Kunst aufopferte, so sündigte er gegen seine von Gott gegebene na-türliche Gaabe, und das ist so gut Sünde imd noch mehr, als wenn man gegen seinen Körper sündigt. Der gute Geliert, von dem Sie in 150 Ihrem lieben Briefe sprechen, hätte sehr wohl gethan, nicht Pro-fessor in Leipzig zu werden. Wenn er es nicht an seiner Kunst gebüßt hat, so hat er es doch an seinem Körper gebüßt. Muß ich also ein Amt annehmen, wie es denn wohl nicht anders thunlich ist, so glaub' ich eine Pfarrstelle auf dem Dorfe (recht weit von der Hauptstadt und 155 von den hohen geistlichen Herren weg) wird das Beste für mich seyn. Und warum nicht lieber in dem Lande, wo Sie sind und die Meinigen, als unter Fremden?

Übrigens ist es mir lieb, wenn es noch einige Jahre ansteht, und wenn ich hier mit dem Buche, an dem ich schreibe und mit meinem 16O Gelde zu Ende bin, so will ich eben wieder Hofmeister werden. Der schwedische Legations-Secretär von Pommereschen, dessen Be-kanntschaft ich, wie Sie wissen, in Rastadt machte und der mich auf seiner Rükreise neulich hier besuchte, machte mir beim Abschiede das Offert, ob er mir nicht in seiner Gegend (in schwedisch Pom- 165 mern, in der Gegend von Wismar) für eine Hofmeisterstelle sorgen

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sollte. Sein Vater, der, wenn ich nicht irre, Gouverneur in Stralsund ist, besorgt gewöhnlich für seine Bekannten derlei Stellen. Ich mochte es nicht geradezu ablehnen, um auf alle Fälle einen Ausweg

170 zu haben, besonders da er mir für eine solche Stelle sorgen will, wo ich mit einem jungen Menschen die Universität besuche. Ein Zu-wachs an Weltkenntniß (die Kenntniß des deutschen Volks ist be-sonders jedem, der ein deutscher Schriftsteller werden will, so noth-wendig, wie dem Gärtner die Kenntniß des Bodens) ist ja die einzige

175 Entschädigung, die mir dieses mühsame Verhältniß gewähren kann, und die Entfernung der Gegend, die auf einer Universität jedoch so sehr groß nicht seyn würde, scheint mir eher vortheilhaft als nach-theilig auf die paar Jahre, wo ich noch nicht auf das ruhige Leben unter den Meinigen rechnen kann. Übrigens bin ich noch nicht ent-

180 schlössen, und es bieten sich vieleicht indeß noch günstigere Ge-legenheiten von der Art an. Überhaupt geh' ich eine solche Stelle nur unter gewissen vesten Bedingungen ein, die mich so viel wie möglich vor Verdruß und Verlegenheiten sichern sollen. Und wenn ich ein-gesehen habe, daß ein solcher Zustand für mich noch auf einige Zeit

185 nothwendig ist, und nicht zu vermeiden, so werd' ich wohl auch Gedult imd Vorsicht dazu bringen. Als Vikarius würde ich von mei-nem Pfarrer dependiren, und da ich diese Lage noch gar nicht ge-lernt habe, würde sie mir wohl nicht leichter werden und ich müßte überdiß gröstentheils von Ihrer Unterstüzung leben, was ich doch

190 nicht wünsche, da Sie schon so sehr viel für mich gethan haben und mein lieber Karl es besser brauchen kann.

Ich schreibe Ihnen das alles, liebste Mutter! weil ich wohl weiß, wie sehr Sie zu wissen vmnschen, woran Sie mit mir sind, und Sie werden sich es nicht zu sehr zu Herzen nehmen, wenn Sie finden

195 sollten, daß mir das Leben nicht leicht wird, da Sie selbst am besten wissen, daß mit der Jugend das, was man Glük heißt, überall so ziem-hch weggeht. Ich wenigstens mache jezt nicht gerne größere An-sprüche auf die Welt, als, daß es mir nicht zu schwer werde, meinem Herzen und meinem Sinne getreu zu bleiben in den Umständen, die

200 mich noch im Leben betreffen können. Sie imd die lieben Meinigen

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Nr.173.174 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

möcht' ich in jedem Falle noch gerne wiedersehen, ehe ich meinen hiesigen Aufenthalt verändere, von dem ich mich freilich mit vieler Mühe trennen werde.

Ihre lieben Geschenke haben mich so sehr gefreut, daß ich nichts beßres wußte, als in der Freude zu meinen braven Hausleuten zu 205 laufen und ihnen zu verkündigen, ich hätte auch ein Weihnachts-geschenk bekommen. Ich danke Ihnen und der lieben Grosmamma recht herzlich dafür. Es ist mir nur laid, daß meine Ökonomie es mir nimmer so leicht macht, wie in Frankfurt, Ihnen auch auf diese Art meine Aufmerksamkeit zu bezeugen. Auch bei meiner theuren 210

Schwester entschuldigen Sie mich, daß ich es für jezt eben so beim guten Willen bewenden lasse. Sie kennt auch meine Anhänglichkeit an sie, und an ihr ganzes Haus zu sehr, als daß es irgend eines Zei-chens bedürfte, um ihr diese zu beweisen. Der Brief, den Sie mir von ihr geschikt haben, war mir ein Geschenk mehr. Ich sollt' ihr frei- 215 lieh auch längst geschrieben haben, aber da ich nach Rastadt reiste, hoft' ich sie vieleicht selber zu sehen, und indessen hatt' ich so viel zu thun, um das, was ich während der Reise versäumte, hereinzu-bringen, daß ich mich nächstens auf ein paar Tage hinsezen muß, um die Briefe alle zu beantworten, die ich indessen schuldig geblieben 220

bin, und da soll sie unter den ersten seyn.

Leben Sie nun wohl, liebste Mutter! bitten Sie die liebe Frau Gros-mamma, das Blatt als einen kleinen Theil von den frohen und ern-sten Empfindungen zu nehmen, mit denen ich im Herzen den ehr-würdigen Geburtstag gefeiert habe. 225

Meine herzlichen Empfehlungen an alle die Unsrigen. Ihr

treuer Sohn Friz.

174. A N D I E S C H W E S T E R

Liebste Schwester!

Ich habe fast das Recht auf Dein Andenken verloren; so lang ists, daß ich gegen Dich stillgeschwiegen habe. Aber es ist oft so, daß man

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aus lauter. Bedürfniß zu schreiben gar nicht schreibt. Ich will dann 5 immer eine recht gelegene Stunde abwarten, wo es mir von Herzen

gehn soll, und darüber versäum ich die Zeit, wo ich vieleicht nicht so ganz unzerstreut von andern Gedanken und Beschäfftigungen, aber doch immer so viel geschrieben hätte, daß Du meine unver-änderliche Liebe zu Dir daran hättest erkennen mögen.

10 Ich bin wieder auf eine Zeit zum Einsiedler geworden, wie Du weist, und ich denke. Du hast es gebilligt, weil Du wohl von mir voraus-sezen kannst, daß ich es nicht ohne Gründe that, und daß ich in einer solchen Muße nicht müßig gehe, auch nicht auf Kosten anderer mir einen gelegenen Zustand bereite. Glaube mir, meine BesteI es ist

15 kein Eigensinn, was mir meine Beschäfftigungen und meine Lage bestimmt. Es ist meine Natur und mein Schiksaal, und diß sind die einzigen Mächte, denen man den Gehorsam niemals aufkündigen darf, und ich hoffe bei diesen Gesinnungen Deiner stillen treuen Liebe am Ende noch recht würdig zu werden.

20 Du bist auf alle Fälle glüklicher, als der Mensch, der vieleicht nur am Ende seiner Bemühungen mit Gewisheit sagen kann; ich bin zu-frieden. Du lebest von einem Tage zum andern in Befriedigung Dei-ner besten Wünsche, und Dein häuslich Glük hat wohl nur gerade so viel Sorge, als nötig ist, um täglich Dir das, was Dein ist, desto

25 fühlbarer zu machen. Aber dem einen ist diß, dem andern das be-schieden, und ich ehre das, was Du bist und hast, um so eher, weil ich es entbehre. In mancher trostlosen Stunde habe ich mich schon zu Dir gesehnt, um an Deiner Freude mich zu erheitern und in Deiner Liebe zu mir etwas von dem zu empfangen, was Du in Dir hast und

30 um Dich. Ich hatte mir ein recht ruhig Wiedersehen ausgedacht. Aber die stürmischen Zeiten, die vieleicht von unserem Vaterlande nicht mehr ferne sind, werfen sich zwischen unsre lieben Wünsche, und wir würden uns vieleicht unter mancher Unruhe wiedersehen, wenn ich in einiger Zeit zu meiner theuern Familie zurükkäme. Ich

35 mag nicht davon sprechen wie viel mir der neue Krieg und das Übrige Sorge für die Meinigen eingiebt. Was mich über Deine Lage tröstet, ist, daß Du nicht allein bist und an die Einsicht und den

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vesten Sinn Deines schäzbaren Gemahls Dich halten kannst in drin-genden Fällen, die wir jedoch nicht hoffen woUen.

Was machen Deine lieben Kinder? Ich werde sie kaum noch ken- 40 nen. Drei Jahre machen so viel bei dem jungen Volke, das an Leib und Seele jeden Tag wächst; und der kleine Friz, den ich noch gar nicht gesehen habe, wird dann seyn, als wär' er schon recht lange in der Welt. Grüße sie mir aUe recht herzlich, jedes, so viel es mich sich vorstellen kann. 45

Wie geht es meinen Freunden Veiel und Kammerer u. meinen andern Bekannten?

Mein hiesiger Umgang schränkt sich meist nur auf zwei Freunde ein, die aber durch ihren Geist und ihre Kenntnisse und Erfahrun-gen, die sie, in Laid und Freude, in seltnem Grade gemacht haben, 50 so reiche Unterhaltung gewähren, daß wir uns oft einander aus dem Wege gehen müssen, um unsre Gespräche nicht zur Hauptsache werden zu lassen und uns den Kopf nicht zu sehr einzunehmen, weil jeder mehr oder weniger seinen ganzen Sinn, unzerstreut und unbe-rauscht von andern Ideen \md Interessen, zu seinem Geschäffte 55 braucht. Der eine dieser Freunde ist Sinklair, den Du schon aus Brie-fen, die ich an die 1. Mutter schrieb, kennen wirst; der andre Profes-sor Morbek aus Greifswald, der sich izt auf Reisen befindet, und, Sinklaim und mir zu gefallen, einige Monathe hier aufhält. Sonst machen die seltnen Schönheiten der hiesigen Gegend mein einzig 60 Vergnügen; das Städtchen liegt am Gebirg, und Wälder und ge-schmakvoUe Anlagen, liegen rings herum; ich wohne gegen das Feld hinaus, habe Gärten vor dem Fenster und einen Hügel mit Eich-bäumen, und kaum ein paar Schritte in ein schönes Wiesthal. Da geh' ich dann hinaus wenn ich von meiner Arbeit müde bin, steige 65 auf den Hügel und seze mich in die Sonne, und sehe über Frankfurt in die weiten Femen hinaus, und diese unschuldigen Augenblike geben mir dann wieder Muth u. Kraft zu leben und zu schaffen. Liebe Schwester! es ist so gut, als ob man in der Kirche gewesen wäre, wenn man so mit reinem Herzen und offnem Auge Licht und 70 Luft und die schöne Erde gefühlt hat.

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.i74.i7S

Lebe wohll Schreibe mir nun auch bald. Empfiehl mich überall. Ewig

Dein 75 treuer Bruder

Hölderlin.

Ich hatte diesen Brief schon vor einiger Zeit geschrieben, und er blieb nur liegen, weil ich noch anderes dabei schreiben wollte, woran ich durch Geschaffte und Maladie, (eine Gallenkolik, von der ich aber

80 jezt wieder frei bin) verhindert wurde.

175. A N D I E M U T T E R

Homburg vor der Höhe.

Liebste Mutter 1

Ich kann Ihnen dißmal nur wenig schreiben. Ich bin zu sehr okkupirt.

5 Die Nachricht von dem Unfall, der für Sie und die theure Fr. Gros-mamma so gefährliche Folgen hätte haben können, hat mich tief er-schüttert. Möge doch alles Unglük so an Ihnen vorübergehn!

Es ist wahrscheinlich, daß der Krieg, der nun eben v ieder aus-bricht, unser Wirtemberg nicht ruhig lassen wird, wiewohl ich von

10 sicherer Hand weiß, daß die Franzosen die Neutralität der Reichlän-der, also auch Wirtembergs, so lange wie mögüch respectiren wer-den, weil Preußen sich dafür aufs äußerste verwendet, und die Fran-zosen Ursache haben, einen Krieg mit dieser Macht zu vermeiden. Im Falle, daß die Franzosen glüklich wären, dürfte es vieleicht in

15 unserem Vaterlande Veränderungen geben. Ich bitte Sie bei aller meiner ungeheuchelten kindhchen Ergeben-

heit, beste Mutter! nehmen Sie alles Edle, was in Ihrer vortreflichen Seele liegt, und allen Glauben, der uns über die Erde erhebt, zu Hülfe, um so ruhig wie möglich, mit dem stillen Sinne einer Christin, un-

20 sem Zeiten zuzusehn, und das Unangenehme, was Sie dabei betrift, zu tragen. Es könnte mich unmännlich machen, wenn ich denken

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Nr.l7S. 176. 177 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

m ü ß t e , d a ß I h r H e r z d e n S o r g e n u n t e r l i e g e . D e n k e n S i e , d a ß i c h

k e i n e n V a t e r h a b e , d e r m i r m i t M u t h i m L e b e n v o r a n g e h t , u n d

g e b e n Sie m i r in d e r s c h ö n e n Gesta l t des r u h i g e n D u l d e n s , e in B e i -

spiel des M u t h s . I c h b r a u c h ' i h n a u c h , w e n n i ch n i c h t lässig w e r d e n 25

w i l l , in d e m , was m e i n e S a c h e ist. D a ß S ie u n t e r g e w i s s e n m ö g l i c h e n

V o r f ä l l e n k e i n U n r e c h t l e i d e n , d a f ü r w ü r d ' i ch m i t a l len m e i n e n

K r ä f t e n s o r g e n , u n d v i e l e i c h t n i c h t o h n e N u z e n . D o c h ist alles d i ß

n o c h sehr e n t f e r n t . —

176. A N S U S E T T E G O N T A R D

Es ist e i n u n a u s s p r e c h l i c h e r D a n k in m i r , L i e b e , d a ß d e r h i m m -

l ische F r ü h l i n g a u c h m i r n o c h F r e u d e g i e b t ,

177. A N D I E M U T T E R

L i e b s t e M u t t e r I

Es ist m i r u n e n d l i c h l a i d , d a ß Sie d u r c h m e i n S t i l l s c h w e i g e n b e -

i m r u h i g e t w o r d e n s i n d . D e r l ez te B r i e f , d e n i c h v o n I h n e n e r h a l t e n

h a b e , ist v o m 1 7 t e n F e b r u a r . I c h h a b e m i c h a u c h in d e m B r i e f e , d e n

S ie j e z t w e r d e n e r h a l t e n h a b e n , e i n i g e r m a a ß e n e n t s c h u l d i g e t . Es

g e h n m i r d a n n a u c h m a n c h m a l ü b e r b l o ß e m N a c h d e n k e n , in das i c h

w ä h r e n d d e r A r b e i t g e r a t h e , T a g e h i n w e g , a u c h k ö n n t ' i ch m i c h , b i s -

h e r , w e n i g e r d e m U m g a n g e m e i n e r F r e u n d e - e n t z i e h n , w o m i t i c h

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müßige Stunden ausfüllte, bin auch sonst immer so in Noth mit 10 Briefschreiben, daß es gewiß gröstentheils verzeihlich ist, wenn ich

oft, so sehr mir manchmal das Gewissen dabei schlägt, einen Brief an Sie von einem Tage zum andern verschiebe.

Glauben Sie nur, liebste Mutter I daß ich überhaupt mein Verhält-niß zu Ihnen nichts weniger als leicht nehme, und daß es mir oft

15 Unruhe genug macht, wenn ich meinen Lebensplan mit allen Ihren Wünschen zu vereinigen suche, und doch oft zu finden meine, daß ich Ihnen vieleicht auf dem gewöhnlichen Wege weniger Sorge und mehr Freude gemacht hätte, als auf dem, den ich jezt gehe, der doch auch für mich der unbequemere, aber meiner Natur der angemeß-

20 nere ist. Für Ihre gütige Einladung danke ich Ihnen recht herzlich, und es wird wohl die Zeit noch kommen, wo ich sie endlich einmal be-nüzen kann. Für jezt werden Sie einen bloßen Besuch selber in meiner Laage, wo ich alle Zeit, wo möglich, meinem Geschäffte wiedmen muß, für zu kostbar halten. Ich möchte wenigstens so lange hier

25 bleiben, bis ich mit meinem Buche fertig bin, was wohl noch ein halbes Jahr lang dauern kann. Was ich dann weiter vornehme, wird zum Theil von dem Gelingen oder Nichtgelingen meines Buchs, theils auch von andern Umständen abhängen. Nun glaube ich zwar zur Noth mit dem Gelde, welches ich noch vorräthig habe, bis dahin

30 auszukommen, doch muß ich Ihnen gestehen, daß durch die enorme Holztheurung und meine drei Wochen lange Maladie, wo ich zwar den Arzt nicht weiter als Einmal brauchen mußte, aber meine ge-wöhnUche Kost nicht brauchen konnte, mein Geldvorrath izt etwas geringer ist, als ich auf diese Zeit hin gerechnet habe. Ich bin des-

35 wegen so frei, Ihr gütiges mütterlichedles Anerbieten dahin zu be-nüzen, daß ich es mir vorbehalte, Ihnen gegen die Mitte des Som-mers hin zu schreiben ob ich der hundert Gulden nothwendig habe oder nicht, doch kann ich Ihnen im reinsten Ernste versichern, daß ich, um meiner eigenen Ruhe willen, das Geld nur als geliehen

•0 annehmen werde. Ich bin es Ihnen schuldig u. meinen Geschwistern, so zu hauideln. In der gegenwärtigen Zeit möchte ich, auch wenn es unter irgend einem rechtmäßigen Titel geschehen könnte, Ihre

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Nr.177 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

Einkünfte nicht um einen Heller schmalem, so lange ich nur noch in der Welt bestehen könnte. Sie werden es deswegen nicht für Kalt-sinn nehmen, wenn ich Ihnen nach Verlauf eines Jahrs in Geld oder 45 in natura die Zinsen des Geliehenen schike; es soll nur ein Zeichen seyn, daß das, was ich dißmal mir in unwiderruflichem Ernste aus-bedinge, nicht eitle Worte waren, und ich sage es Ihnen zum voraus, liebste Mutter! daß es mir reelle Unruhe machen würde, wenn Sie mir das Geld schikten, ohne die expresse Versicherung, daß Sie es in 50 Ihren Papieren als Kapital annotirt hätten. Ich würde mir, wenn Sie es nicht auf diese Art schiklich fänden, kein Gewissen daraus machen, an einem eindern Orte mit Ihrem Vorwissen Geld zu entlehnen, da ich sicher bin, für mein Buch doch so viel zu bekommen, daß ich eine solche Summe heimbezahlen könnte. Ich habe in Frankfurt einem 55 guten Freunde, auch sonst, manchmal auf einige Zeit ausgeholfen, und so könnte ich wohl auch einmal von der gegenseitigen Gefällig-keit Gebrauch machen.

Zum Schlüsse will ich Ihnen eine Stelle aus der Jenaer Literatur-zeitung abschreiben, wo meiner gedacht wird. So sehr ich es bisher 60 vermied, mit meiner kleinen Schriftstellerreputation vor Ihnen gros-zuthun, so darf ich doch in der jezigen Laage keine Gelegenheit vor-beigehn, wo ich Ihnen etwas Hoffnung geben kann, daß meine ge-genwärtige Arbeit eine günstige Aufnahme finden werde, und es wäre kindisch, wenn ich um den Verdacht der Eitelkeit zu vermeiden, 65 Sie jezt um eine kleine Freude bringen wollte. Es heißt nemlich in der genannten Zeitung aus Gelegenheit des Allmanachs den Neuffer herausgegeben hat, und wozu ich aus Freundschaft einige Kleinig-keiten dazu gegeben habe:

»Den Inhalt des Allmanachs möchten wir fast nur auf die Bey- 70 träge von Hölderlin einschränken. Die des Herausgebers (Neuffers) sind endlose Reimereien p.p. Vor den übrigen zeichnen sich die Klei-nigkeiten von HiUmar und Siegmar vortheilhaft aus, so wie die in-nigen elegischen Zeilen von Reinhard (dem französischen Gesand-ten) an seine Gattin über den Abschied von Deutschland. Die pro- 75 saischen Aufsäze sind ganz unbedeutend. Hölderlins wenige Beiträge

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a b e r s ind v o l l G e i s t u n d S e e l e , u n d w i r sezen g e r n z u m B e l e g e e i n

paar d a v o n h i e h e r . «

D a n n w e r d e n e i n paar G e d i c h t e v o n m i r a n g e f ü h r t ; in e i n e m da -

80 v o n hatte i ch a u f d i e A r b e i t angesp ie l t , d i e i ch j ez t u n t e r d e n H ä n d e n

h a b e ; d a r ü b e r ä u ß e r t s ich d e r R e c e n s e n t n o c h a m E n d e :

» D i e s e Z e i l e n lassen s c h l i e ß e n , d a ß H ö l d e r l i n e i n G e d i c h t v o n g r ö -

ß e r e m U m f a n g e m i t s ich u m h e r t r ä g t , w o z u w i r i h m v o n H e r z e n alle

ä u ß e r e B e g ü n s t i g u n g w ü n s c h e n , d a d i e b i s h e r i g e n P r o b e n se iner

85 D i c h t e r a n l a g e n u n d selbst das in d e m a n g e f ü h r t e n G e d i c h t e a u s g e -

s p r o c h e n e e r h e b e n d e G e f ü h l e i n s chönes G e l i n g e n h o f f e n l assen . «

I c h m u ß Sie a b e r b i t t e n , l iebste M u t t e r ! d a ß S i e , u m N e u f f e r s w i l -

l e n , d iese Ste l le n i r g e n d b e k a n n t m a c h e n . W o l l e n Sie es d e m 1. Kar l

m i t t h e i l e n , so k a n n i c h es n i c h t h i n d e r n . H E . S c h w a g e r in B l a u -

90 b e u r e n l iest d iese Z e i t u n g w o h l selbst . — I c h b i n r e c h t v o n H e r z e n

b e g i e r i g , v o n m e i n e r g u t e n S c h w e s t e r a u c h e i n m a l w i e d e r e i n e n

B r i e f z u b e k o m m e n . K a r l ist m i r e i n e n s c h u l d i g ; i c h w i U i h m a b e r

d e m o h n g e a c h t e t d iese T a g e w i e d e r s c h r e i b e n , w e i l m e i n lezter gar z u

k u r z w a r . Es f r e u t m i c h u n e n d l i c h , d a ß er so s ich I h r e r T h e i l n a h m e

95 u n d B e w u n d e n m g w e r t h m a c h t . I c h w e i ß es a u c h t i e f z u s c h ä z e n ,

d a ß e i n M e n s c h v o n so v i e l K o p f u n d i n n e r e r ä c h t e r B i l d u n g d o c h

a u c h m i t so l cher G e d u l d u n d G e s c h i k l i c h k e i t in s e i n e m A m t s g e -

schäf f te l e b t . S o r g e n S ie n u r n i c h t ! E r w i r d n o c h v i e l w e r d e n . D e n n

a m E n d e w i r d es b a l d d ie N o t h e r f o r d e r n , d a ß m a n w a h r h a f t v o r z ü g -

100 l i ehe u n d t a u g l i c h e M e n s c h e n , w i e er ist, h e r v o r s u c h t .

D i e g u t e G e s u n d h e i t , d e r i ch jezt g e n i e ß e , m a c h t e i n e n g r o ß e n

T h e i l m e i n e s G l ü k s aus , u n d m e i n e F r e u n d e n e h m e n h e r z l i c h e n

A n t h e i l . » A c h ! j e z t seh ' i ch d o c h e i n m a l w i e d e r F r e u d e in d i e s e m

A u g e ! « r i e f v o r e i n i g e r Z e i t m e i n ed l e r M o r b e k , als e r m i c h ansah .

105 Es w a r w i r k l i c h e i n u n a n g e n e h m e r Z u s t a n d , in d e m i ch m i c h b e -

f a n d . So m ü ß i g u n d k o p f l o s d e n g a n z e n T a g dazus i zen , w a r m i r u m

so s c h w e r e r , da i c h m i c h m e i s t n u r d u r c h B e s c h ä f f t i g u n g h e i t e r e r -

h i e l t .

I c h h a b e m i c h w i e d e r m i t d e m F r ü h l i n g e v e r j ü n g t , u n d sehe m i t

110 n e u e m M u t h u n d n e u e n K r ä f t e n ins L e b e n . Ü b e r m ü t h i g , u n g e -

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Nr.m B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

d u l d i g , u n b e s c h e i d e n k a n n u n d w i l l i c h n i e m e h r w e r d e n g e g e n d e n

L e n k e r m e i n e s Schiksaals.

S c h l a f e n Sie w o h l , l iebste M u t t e r I m e i n S t ü b c h e n w i l l m i r z u kal t

w e r d e n , v o n d e r N a c h t l u f t , u n d i ch w i l l m i c h z u B e t t e l e g e n .

I c h f r e u e m i c h r e c h t a u f d e n M a i . W i r h a b e n h i e r fast i m m e r n o c h 115

r a u h e T a g e . — Ü b r i g e n s ist es f r i e d l i c h h i e r . D i e s e G e g e n d e n h a b e n ,

so v i e l i c h wissen k a n n , w o h l n i c h t w i e d e r v o m K r i e g e z u b e f ü r c h t e n .

U n e n d l i c h f r e u t es m i c h , d a ß d o c h b i s h e r d ie 1. M e i n i g e n v e r s c h o n t

g e b l i e b e n sind.

I h r 120

g e t r e u e r S o h n

F r i z .

d . 18 A p r . 9 9 .

So w e i t h a t t ' i c h s chon v o r e i n i g e n W o c h e n g e s c h r i e b e n . A b e r

u n t e r a n d e r e m w u r d ' i ch a u c h d u r c h d ie K r i e g s n a c h r i c h t e n a u f g e - 125

h a l t e n , d e r e n A b l a u f i ch a b w a r t e n w o l l t e , u m I h n e n v i e l e i c h t e i n i -

g e s , was d a r a u f B e z u g h ä t t e , z u s a g e n . F r e i l i c h w a r es a u c h , d a ß i c h

m a l a d w a r , w i e Sie aus d e m B r i e f e a n d ie 1. S c h w e s t e r s e h e n w e r d e n ,

u n d d a ß i c h d a n n g e r n e d ie Z e i t , w o i c h m i c h s c h m e r z e n l o s f ü h l t e ,

z u m e i n e m G e s c h a f f t e b r a u c h t e . Jezt b i n i ch w i e d e r v ö l l i g g e s u n d , 130

u n d i c h f ü h l e es m i t F r e u d e u n d D a n k , s o r g e a u c h , w i e i c h zu I h r e r

B e r u h i g u n g sagen m u ß , r e c h t i m E r n s t e f ü r m e i n e G e s u n d h e i t .

Es ist m i r n i c h t w o h l m ö g l i c h , l i ebste M u t t e r ! d i e sen F r ü h l i n g

n a c h W i r t e m b e r g z u k o m m e n , d a i c h d i esen W i n t e r n i c h t al le Z e i t

z u m e i n e r A r b e i t u n d m e i n e n S t u d i e n b e n ü z e n k o n n t e , u n d m i r sehr i35

daran l i e g t , d a ß i c h m e i n e U n a b h ä n g i g k e i t r e e l b e n ü z e , so w i l l i c h

m e i n G e l d u n d m e i n e Z e i t n o c h s p a r e n , so g u t i c h k a n n , u n d w e n n

i c h bis a u f e i n e n P i m k t h i n f e r t i g b i n , m i r e h e r e i n e so l che F r e u d e

g ö n n e n . L e b e n Sie w o h l . E m p f e h l e n Sie m i c h d e r 1. Fr . G r o s m a m m a I

H e r z l i c h e G r ü ß e d e m 1. K a r l ! 140

I h r

g e t r e u e r S o h n

Fr i z .

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr. 178

178. A N N E U F F E R

H o m b u r g , d . 4 t e n J n . 1 7 9 9 .

L i e b e r N e u f f e r 1

D u k a n n s t s i cher a u f e i n i g e B e i t r ä g e v o n m i r r e c h n e n , u n d i ch

w e r d e , D e i n e m W u n s c h e g e m ä ß , a u c h e twas Prosaisches l i e f e r n .

5 V i e l e i c h t k a n n i c h D i r a u c h e in iges v o n d e n B e k a n n t e n s c h i k e n , m i t

d e n e n i ch u m g e h e o d e r k o r r e s p o n d i r e . I c h w ü n s c h e D e i n e m z w e i t e n

S o h n e alles L e b e n , u n d al le K r a f t u n d G r a z i e , d i e i ch i h m w ü n s c h e n

w ü r d e , w e n n er d e r m e i n i g e w ä r e .

I c h h a b e i m S i n n e , e i n e poet i s che M o n a t s c h r i f t h e r a u s z u g e b e n .

10 D a d ie H a u p t m a t e r i a l i e n f ü r d e n ersten J a h r g a n g , so v i e l i ch v o n e i g -

n e r H a n d d a z u g e b e n w e r d e , gröstenthe i l s s chon f e r t i g h e g e n u n d

i c h , b e i m e i n e r j e z i g e n L e b e n s a r t g a n z d e m U n t e r n e h m e n l e b e n

k a n n , so h o f f ' i ch es d u r c h z u s e z e n . U n d da i ch n o c h m i t n i e m a n d in

e i n e m b e s t i m m t e n V e r t r a g e d a r ü b e r b e g r i f f e n b i n , so b i t t ' i ch D i c h ,

15 H E . S t e i n k o p f d a v o n z u b e n a c h r i c h t i g e n , o b er es v i e l e i c h t f ü r d i e n -

l i ch hä l t , d e n V e r s u c h zu m a c h e n . D a s J o u r n a l w i r d w e n i g s t e n s z u r

H ä l f t e w i r k l i c h e a u s ü b e n d e Poes ie e n t h a l t e n , d i e ü b r i g e n A u f s ä z e

w e r d e n in d ie G e s c h i c h t e u n d B e u r t h e i l u n g d e r K u n s t e insch la -

g e n . D i e ers ten S t ü k e w e r d e n v o n m i r e n t h a l t e n e i n T r a u e r s p i e l ,

20 d e n T o d des E m p e d o k l e s , m i t d e m i c h , bis a u f d e n l ez ten A c t f e r t i g

b i n , u n d G e d i c h t e , l y r i s che u n d e l eg i s che . D i e ü b r i g e n A u f s ä z e w e r -

d e n e n t h a l t e n 1) karakter ist ische Z ü g e aus d e m L e b e n a l ter u n d

n e u e r D i c h t e r , d i e U m s t ä n d e , u n t e r d e n e n sie e r w u c h s e n , v o r z ü g l i c h

d e n e i g e n t ü m l i c h e n K u n s t k a r a k t e r e ines j e d e n . So ü b e r H o m e r , Sap-

25 p h o , A e s c h y l , S o p h o k l e s , H o r a z , R o u s s e a u , (als Ver fasser d e r H e l o i s e )

Shakesspear p . p . 2 ) D a r s t e l l u n g des E i g e n t ü m l i c h s c h ö n e n i h r e r W e r -

k e , o d e r e i n z e l n e r P a r t h i e n aus d i e s e n . So ü b e r d ie I l i a d e , besonders

d e n K a r a k t e r A c h i l l s , ü b e r d e n P r o m e t h e u s des A e s c h y l , ü b e r d ie

A n t i g o n ä , d e n O e d i p u s des S o p h o k l e s , ü b e r e i n z e l n e O d e n des H o r a z ,

30 ü b e r d ie H e l o i s e , ü b e r Shakesspears A n t o n i u s u n d K l e o p a t r a , ü b e r d ie

K a r a k t e r e des B r u t u s u n d Kassius in s e i n e m J u h u s Caesar , ü b e r d e n

323

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Nr. 178 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

M a c b e t h u . s . w . A l l e d iese A u f s ä z e w e r d e n so v i e l m ö g l i c h in l e b e n -

d i g e r a l l g e m e i n i n t e r e s s a n t e r M a n i e r , m e i s t e n s in B r i e f f o r m g e -

s c h r i e b e n s e y n . 3 ) R ä s o n n i r e n d e p o p u l ä r d a r g e s t e l l t e A u f s ä z e ü b e r

D e k l a m a t i o n , S p r a c h e , ü b e r das W e s e n , u n d d ie v e r s c h i e d e n e n A r t e n 35

d e r D i c h t k u n s t , e n d l i c h ü b e r das S c h ö n e ü b e r h a u p t . I c h k a n n m i t

g u t e m G e w i s s e n f ü r al le d iese A u f s ä z e b e s o n d e r s f ü r d i e l e z t e r n ,

n e u e w e n i g s t e n s n o c h n i c h t v e r b r a u c h t e A n s i c h t e n v e r s p r e c h e n , u n d

i c h g l a u b e m a n c h e W a h r h e i t a u f d e m H e r z e n z u h a b e n , d i e f ü r d ie

K u n s t n ü z l i c h u n d f ü r das G e m ü t h e r f r e u l i c h s e y n m a g . 4 ) w e r d e n 40

a u c h R e c e n s i o n e n n e u e r b e s o n d e r s in teressanter poe t i s cher W e r k e

g e l i e f e r t w e r d e n . I c h h o f f e B e i t r ä g e v o n H e i n z e , V e r f . des A r d i n -

g h e l l o , H e i d e n r e i c h , B o u t e r w e k , M a t t h i s o n , K o n z , S i e g f r i e d S c h m i d t

a u c h v o n D i r z u e r h a l t e n , w e n n D u e twas e n t b e h r e n k a n n s t .

D e r T o n , d e r d u r c h a u s in d e r Z e i t s c h r i f t h e r r s c h e n w i r d , m a c h t 45

es w o h l s c h i k l i c h , d a ß d e r H E . V e r l e g e r , w e n n e r es f ü r g u t f i n d e t ,

i h r a u c h d e n T i t e l : J o u r n a l f ü r D a m e n , äs the t i s chen I n n h a l t s , g e b e n

k a n n . W a s d e n G e i s t d e r s e l b e n b e t r i f t , so g l a u b ' i c h w o h l sagen z u

d ü r f e n , d a ß e r f ü r d i e S i t t e n b i l d u n g i m d ä c h t e E r h e i t e r u n g z u t r ä g -

l i c h e r s e y n d ü r f t e , als m a n c h e r a n d e r e . 50

J e d e n M o n a t h w ü r d e e i n S t ü k v o n 4 B o g e n , n i c h t sehr e n g e g e -

d r u k t , i n O c t a v f o r m e r s c h e i n e n . D e r H E . V e r l e g e r k ö n n t e m i r a u f -

k ü n d e n , w e n n e r w o l l t e , n u r m ü ß t e es w e n i g s t e n s 3 M o n a t h e v o r

e i n e r M e s s e g e s c h e h e n .

D i e B e s t i m m u n g des H o n o r a r s über lasse i c h s e i n e r E i n s i c h t u n d 55

B i l l i g k e i t . N u r so v i e l sez ' i c h h i n z u , d a ß i c h g a n z f ü r das U n t e r n e h -

m e n u n d v o n i h m l e b e n w e r d e , d a ß ü b r i g e n s m e i n e f r u g a l e E x i s t e n z

n i c h t so t h e u e r zu b e s o l d e n ist , w i e d i e d e r g r o ß e n M ä n n e r , w e l c h e

d i e H ö r e n h e r a u s g a b e n . I c h w e r d e a l l e m m e i n e m M u t h u n d F l e i ß

\md m e i n e n K r ä f t e n a u f b i e t e n , u m d iese Z e i t s c h r i f t g a n g b a r u n d 60

r ü h m l i c h z u m a c h e n , u n d i c h w e r d e d a f ü r s o r g e n , d a ß , w o m ö g l i c h

j e d e r J a h r g a n g , w e n i g s t e n s E i n g r ö ß e r e s poet i sches W e r k , z . B . e i n

T r a u e r s p i e l o d e r e i n e n R o m a n p . p . v o l l s t ä n d i g e n t h ä l t .

So l l te s ich H E . S t e i n k o p f e n t s c h l i e ß e n , es m i t m i r z u w a g e n , so

v e r s p r e c h ' i c h i h m g e r n e , d i e A u f t r ä g e , d i e v o n a n d e r n S e i t e n h e r z u r 65

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.i78

Mitarbeitxing für andere Zeitschriften an mich gemacht worden sind, bei Seite zu sezen, und für seinen Damenkalender wenigstens 4 Bo-gen von Jahr zu Jahr unentgeldlich zu hefern.

Ich würde es ihm auch freistellen, die Aufsäze der Zeitschrift, die 70 von mir sind, nach Verlauf einiger Zeit besonders abzudruken, unter

den Bedingungen, die mit der zweiten Auflage eines Buchs verbim-den sind.

Ich gestehe, daß es mich besonders freuen würde, mit HE. Stein-kopf in diese Beziehung zu kommen, als Deinem Freunde, und mei-

75 nem Bekannten, \md wenn ich schon nicht voraussezen darf, daß er das Zutrauen gegen mich hegt, das zu einem solchen Entschlüsse erforderlich ist, so wollt' ich dennoch ihm von meinem Plane sagen. Findet er ihn vortheilhaft für sich, so war es schiklich von meiner Seite, ihm, mit dem ich schon in Konnexion bin, das Anerbieten zu

80 machen. Dient es ihm nicht, so ist es eben so gut, als hätt' ich gegen ihn davon geschwiegen. Empfiehl mich ihm, und gieb ihm meinen Brief zu lesen.

Verzeih nur, daß ich Dich zur Mittelsperson mache. Ich würd' es nicht gethan haben, wenn ich nicht von mir wüßte, daß Du mich in

85 allem, wozu ich Dir dienen kann, bereit fändest. In jedem Falle schik' ich Dir die versprochenen Aufsäze. Die prosaischen werden wohl etwas allgemeinverständliches, einfach imd nicht allzu tro-ken dargestelltes über das Leben und die Karaktere von Thaies und Solon und Plato enthalten. Einen eigentüchmoralischen Aufsaz zu

90 liefern, für den Damenkalender, würde mir ziemlich schwer, wenn ich nicht aus meinem Herzen imd meinen Überzeugimgen zu viel oder zu wenig sagen soUte.

Ich bitte Dich recht sehr, mir so bald, wie nur möglich, Antwort und Nachricht auf diesen Brief zu geben.

95 Dein H.

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Nr.l79 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

179. A N D E N B R U D E R

H o m b u r g , d . 4 J u n . 1 7 9 9 .

M e i n T h e u r e r I

D e i n e T h e i l n a h m e , D e i n e T r e u e w i r d m e i n e m H e r z e n i m m e r

w o h l t h ä t i g e r ; a u c h w a s D u f ü r D i c h se lber b i s t , D e i n F l e i ß , d i e g l ü k -

l i c h e G e w a n d t h e i t , w o m i t D e i n G e i s t u n d D e i n e K r a f t s ich in B e r u f s - 5

gescha f f t u n d f r e i e r e B i l d u n g t h e i l t . D e i n M u t h , D e i n e B e s c h e i d e n -

h e i t g i e b t m i r i m m e r m e h r F r e u d e . L i e b e r K a r l ! m i c h e r h e i t e r t

n i chts so sehr , als z u e i n e r M e n s c h e n s e e l e sagen z u k ö n n e n : i c h

g l a u b ' a n D i c h ! u n d w e n n m i c h das U n r e i n e , D ü r f t i g e d e r M e n -

s c h e n o f t m e h r stört , als n o t h w e n d i g w ä r e , so f ü h l ' i ch m i c h a u c h lo

v i e l e i c h t g l ü k l i c h e r , als a n d r e , w e n n i c h das G u t e , W a h r e , R e i n e i m

L e b e n f i n d e , u n d i c h d a r f d e ß w e g e n d i e N a t u r n i c h t a n k l a g e n , d i e

m i r d e n S i n n f ü r s M a n g e l h a f t e s c h ä r f t e , u m m i c h das T r e f l i c h e u m

so i n n i g e r u n d f r e u d i g e r e r k e n n e n z u lassen , u n d b i n i ch n u r e i n m a l

so w e i t , d a ß i c h zur F e r t i g k e i t g e b r a c h t h a b e , i m M a n g e l h a f t e n w e - 15

n i g e r d e n u n b e s t i m m t e n S c h m e r z , d e n es o f t m i r m a c h t , als g e n a u

se inen e i g e n t ü m l i c h e n a u g e n b l i k l i c h e n , b e s o n d e r n M a n g e l zu f ü h -

l e n u n d zu s e h e n , u n d so a u c h i m Bessern se ine e i g e n e S c h ö n h e i t ,

se in karakterist isches G u t e z u e r k e n n e n , u n d w e n i g e r b e i e i n e r a l l -

g e m e i n e n E m p f i n d u n g s t e h e n z u b l e i b e n , h a b ' i ch d i ß e i n m a l g e w o n - 20

n e n , so w i r d m e i n G e m ü t h m e h r R u h e , u n d m e i n e T h ä t i g k e i t e i n e n

s t e t i g e r e n F o r t g a n g f i n d e n . D e n n w e n n w i r e i n e n M a n g e l n u r u n -

e n d l i c h e m p f i n d e n , so s ind w i r a u c h n a t ü r h c h e r w e i s e g e n e i g t , d i e -

s e m M a n g e l n u r u n e n d l i c h a b h e l f e n z u w o l l e n , u n d so g e r ä t h o f t d i e

K r a f t in v o r k o m m e n d e n F ä l l e n in e i n u n b e s t i m m t e s f r u c h t l o s e r - 25

m ü d e n d e s R i n g e n , w e i l s ie n i c h t b e s t i m m t w e i ß , w o es m a n g e l t , u n d

w i e d ieser , u n d g e r a d e d ieser , M a n g e l z u b e r i c h t i g e n , z u e r g ä n z e n

ist . So l a n g i ch k e i n e n A n s t o ß f i n d e , in m e i n e m G e s c h ä f f t , so g e h e t

es rüs t ig w e g , a b e r e i n k l e i n e r M i ß g r i f f , d e n i c h g l e i c h z u l e b h a f t

e m p f i n d e , u m i h n klar a n z u s e h e n , t r e ib t m i c h m a n c h m a l in e i n e u n - 30

n ö t h i g e Ü b e r s p a n n u n g h i n e i n . U n d w i e b e i m e i n e m G e s c h ä f f t , so

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.l79

gehet es mir alten Knaben auch noch im Leben, im UmgEinge mit den Menschen. Daß sich diese von Natur gewiß nicht ungünstige Empfindungsgaabe bei mir noch nicht zu einer Fertigkeit des be-

35 stimmteren Gefühls gebildet hat, kommt wohl imter anderm auch da her, daß ich zu viel Mangelhaftes und zu wenig Trefliches in Ver-hältnissen und Karakteren empfunden habe. — Du wirst durchaus finden, daß jezt die menschlicheren Organisationen, Gemüther, welche die Natur zur Humanität am bestimmtesten gebildet zu haben

40 scheint, daß diese jezt überall die unglükhcheren sind, eben weil sie seltener sind, als sonst in andern Zeiten und Gegenden. Die Bar-baren um uns her zerreißen unsere besten Kräfte, ehe sie zur Bil-dung kommen können, und nur die veste tiefe Einsicht dieses Schik-saals kann uns retten, daß wir wenigstens nicht in Unwürdigkeit ver-

•5 gehen. Wir müssen das Trefliche aufsuchen, zusammenhalten mit ihm, so viel wir können, uns im Gefühle desselben stärken und heilen und so Kraft gewinnen, das Rohe, Schiefe, Ungestalte nicht blos im Schmerz, sondern, als das was es ist, was seinen Kcirakter, seinen ei-gentümlichen Mangel ausmacht, zu erkennen. Übrigens, wenn uns

50 die Menschen nur nicht unmittelbar antasten und stören, so ist es wohl nicht schwer, im Frieden mit ihnen zu leben. Nicht so wohl, daß sie so sind, wie sie sind, sondern daß sie das, was sie sind, für das Einzige halten, und nichts anderes wollen gelten las-sen, das ist das Übel. Dem Egoismus, dem Despotismus, der Men-

55 schenfeindschaft bin ich feind, sonst werden mir die Menschen im-mer lieber, weil ich immer mehr im Kleinen und im Großen ihrer Thätigkeit und ihrer Karaktere gleichen Urkarakter, gleiches Schik-saal sehe. In der That! dieses Weiterstreben, dieses Aufopfern einer gewissen Gegenwart für ein Ungewisses, ein Anderes, ein Besseres

60 und immer Besseres seh' ich als den ursprünglichen Grund von al-lem, was die Menschen um mich her treiben und thun. Warum leben sie nicht, wie das Wild im Walde, genügsam, beschränkt auf den Boden, die Nahrung, die ihm zunächst liegt, und mit der es, das Wild, von Natur zusammenhängt, wie das Kind mit der Brust seiner

65 Mutter? Da wäre kein Sorgen, keine Mühe, keine Klage, wenig

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Nr. 179 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

Krankheit, wenig Zwist, da gab' es keine schlummerlosen Nächte U.S .W. Aber diß wäre dem Menschen so unnatürUch, wie demThiere die Künste, die er es lehrt. Das Leben zu fördern, den ewigen Voll-endungsgang der Natur zu beschleunigen, — zu vervollkommnen, was er vor sich findet, zu idealisiren, das ist überall der eigentüm- 70 hchste unterscheidendste Trieb des Menschen, und alle seine Künste und Geschaffte, und Fehler und Leiden gehen aus jenem hervor. Warum haben wir Gärten und Felder? Weil der Mensch es besser haben wollte, als er es vorfand. Warum haben wir Handel, Schiff-fahrt, Städte, Staaten, mit allem ihrem Getümmel, und Gutem und 75 Schlimmen? Weil der Mensch es besser haben wollte, als er es vor-fand. Warum haben wir Wissenschaft, Kunst, Religion? Weil der Mensch es besser haben wollte, als er es vorfand. Auch wenn sie sich untereinander muthwillig aufreiben, es ist, weil ihnen das Gegen-wärtige nicht genügt, weil sie es anders haben wollen, und so werfen 80 sie sich früher ins Grab der Natur, beschleunigen den Gang der Welt.

So gehet das Gröste und Kleinste, das Beste und Schlimmste der Menschen aus Einer Wurzel hervor, und im Ganzen und Großen ist alles gut und jeder erfüllt auf seine Art, der eine schöner, der andre wilder seine Menschenbestimmung, nemlich die, das Leben der 85 Natur zu vervielfältigen, zu beschleunigen, zu sondern, zu mischen, zu trennen, zu binden. Man kann wohl sagen, jener ursprüngliche Trieb, der Trieb des Idealisirens oder Beförderns, Verarbeitens, Ent-wikelns, Vervollkommnens der Natur belebe jezt die Menschen grös-tentheils in ihren Beschäfftigungen nicht mehr, und was sie thun, 90 das thun sie aus Gewohnheit, aus Nachahmung, aus Gehorsam gegen das Herkommen, aus der Noth, in die sie ihre Vorväter hineingear-beitet und gekünstelt haben. Aber um so fortzumachen, wie die Vor-väter es anfiengen, auf dem Wege des Luxus, der Kunst, der Wissen-schaft U . S . W . , müssen die Nachkömmlinge eben diesen Trieb in sich 95 haben, der die Vorväter beseelte, sie müssen, um zu lernen, organi-sirt seyn, wie die Meister, nur fühlen die Nachahmenden jenen Trieb schwächer, und er kömmt nur in den Gemüthern der Originale, der Selbstdenker, der Erfinder lebendig zum Vorschein. Du siehest, Lie-

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B R I E F E 1 79 8 - 1 8 0 0 Nr.i79

100 ber, daß ich Dir das Paradoxon aufgestellt habe, daß der Kunst- und Bildungstrieb mit allen seinen Modifikationen und Abarten ein eigentlicher Dienst sei, den die Menschen der Natur, erweisen. Aber wir sind schon lange darinn einig, daß alle die irrenden Ströme der menschlichen Thätigkeit in den Ocean der Natur laufen, so wie sie

105 von ihm ausgehen. Und eben diesen Weg, den die Menschen grösten-theils blindlings, oft mit Unmuth und Widerwillen, und nur zu oft auf gemeine unedle Art gehn, diesen Weg ihnen zu zeigen, daß sie ihn mit offenen Augen und mit Freudigkeit und Adel gehen, das ist das Geschafft der Philosophie, der schönen Kunst, der Religion, die

110 selbst auch aus jenem Triebe hervorgehn. Die Philosophie bringt jenen Trieb zum Bewußtseyn, zeigt ihm sein unendliches Object im Ideal, und stärkt und läutert ihn durch dieses. Die schöne Kunst stellt jenem Triebe sein vmendliches Object in einem lebendigen Bilde, in einer dargestellten höheren Welt dar; und die Religion lehrt ihn jene

115 höhere Welt gerade da, wo er sie sucht, und schaffen will, d. h. in der Natur, in seiner eigenen, vmd in der ringsumgebenden Welt, wie eine verborgene Anlage, wie einen Geist, der entfaltet seyn will, ahnden und glauben.

Philosophie und schöne Kunst und Religion, diese Priesterinnen 120 der Natur, wirken demnach zunächst auf den Menschen, sind zu-

nächst für diesen da, und nur, indem sie seiner reellen Thätigkeit, die unmittelbar auf die Natur wirkt, die edle Richtung und Kraft und Freude geben, wirken auch jene auf die Natur und wirken mittelbar auf sie reell. Auch dieses wirken jene drei, besonders die Religion,

125 daß sich der Mensch, dem die Natur zum Stoffe seiner Thätigkeit sich hingiebt, den sie, als ein mächtig Triebrad, in ihrer unendUchen Organisation enthält, daß er sich nicht als Meister und Herr dersel-ben dünke und sich in aller seiner Kunst und Thätigkeit bescheiden und fromm vor dem Geiste der Natur beuge, den er in sich trägt, den

130 er um sich hat, und der ilun Stoff imd Kräfte giebt; denn die Kunst und Thätigkeit der Menschen, so viel sie schon gethan hat und thun kann, kann doch Lebendiges nicht hervorbringen, den Urstoff, den sie umwandelt, bearbeitet, nicht selbst erschaffen, sie kann die schaf-

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Nr.n9 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

fende Kraft entwikeln, aber die Kraft selbst ist ewig und nicht der Menschenhände Werk. 135

So viel über menschliche Thätigkeit und Natur. Ich wollte, ich könnte es Dir so darstellen, wie es mir in der Seele und auch vor Augen liegt, wenn ich um mich herum die Menschen und jedes seine Welt ansehe, denn es giebt mir großen Trost und Frieden, versöhnt mich besonders mit der mannigfaltigen menschlichen Geschäfftig- 140 keit, und giebt mir ein tiefes Wohlgefallen an aUem Fleiße und tie-fere Theilnahme an dem Treiben und an den Leiden der Menschen. Du hast nichts Kleines vor, lieber Bruder! wenn Du die Organisation einer ästhetischen Kirche darstellen willst und Du darfst Dich nicht wundern, so viel ich einsehe, wenn Dir während der Ausführung i+s Schwierigkeiten aufstoßen, die Dir fast unübersteiglich scheinen. Die Bestandtheile des Ideals überhaupt und ihre Verhältnisse philo-sophisch darstellen, würde schon schwer genug seyn, und die philo-sophische Darstellung des Ideals aller menschlichen Gesellschaft, der ästhetischen Kirche, dürfte vieleicht in der ganzen Ausführung 150 noch schwerer seyn. Mache Dich nur muthig daran; am Höchsten übt sich die Kraft am besten, und Du hast in jedem Falle den Gewinn davon, daß es Dir leichter werden wird, alle andre gesellschaftlichen Verhältnisse in dem, was sie sind und seyn können, gründlich einzu-sehn. 155

Ich bin so in das Feld unserer Lieblingsgedanken hineingerathen, daß mir keine Zeit mehr übrig bleibt, um auch noch mehr von Dir und mir zu sprechen.

Ich muß ohnediß noch einige Zeit abwarten, um Dir etwas Be-stimmteres von mir zu schreiben, und wie ich künftig zu leben ge- i60 denke, und wann ich vieleicht zu Euch kommen kann, Ihr Lieben! — O das sind gute Menschen, rief ich, vor Freude weinend, als ich Eure drei Briefe las.

Zum Schlüsse will ich Dir noch eine Stelle aus meinem Trauer-spiele, dem Tod des Empedokles, abschreiben, damit Du ungefähr 165 sehen kannst, weß Geistes und Tones die Arbeit ist, an der ich gegen-wärtig mit langsamer Liebe und Mühe hänge:

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.i79

0 j e n e Z e i t I

I h r L i e b e s w o n n e n , d a d ie See le m i r

170 V o n G ö t t e r n , w i e E n d y m i o n , g e w e k t ,

Die kindlich schlummernde, sich öffnete. Lebendig sie, die Immerjugendlichen, Des Lebens große Genien Erkannte — schöne Sonne I Menschen hatten mich

175 Es nicht gelehrt, mich trieb mein eigen Herz Unsterblichliebend zu Unsterblichen, Zu dir, zu dir, ich konnte Göttlichers Nicht finden, stilles LichtI und so wie du Das Leben nicht an deinem Tage sparst

180 Und sorgenfrei der goldnen Fülle dich Entledigest, so gönnt' auch ich, der Deine, Den Sterblichen die beste Seele gern Und furchtlos offen gab Mein Herz, wie du, der ernsten Erde sich,

185 Der schiksaalvollen, ihr in Jünglingsfreude Das Leben so zu eignen bis zulezt; Ich sagt' ihrs oft in trauter Stimde zu. Band so den theuem Todesbund mit ihr. Da rauscht' es anders,denn zuvor, im Hain,

190 Und zärtlich tönten ihrer Berge Quellen — Air deine Freuden, Erde 1 wahr, wie sie, Und warm und voll, aus Müh'und Liebe reifen, Sie alle gabst du mir. Und wenn ich oft Auf stiller Bergeshöhe saß und staunend

195 Der Menschen wechselnd Irrsaal übersann, Zu tief von deinen Wandlungen ergriffen, Und nah mein eignes Welken ahnete. Dann athmete der Aether, so wie dir. Mir heilend um die liebeswunde Brust,

200 Und, wie Gewölk der Flamme, löseten Im hohen Blau die Sorgen mir sich auf.

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Page 345: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.179.180 B R I E F E 1 79 8 - 1 8 0 0

Lebe nun wohl, lieber Karl. Schreibe mir, so bald es Deine Ge-schaffte und die Umstände Dir gönnen wollen.

Dein Hölderlin. 205

180 . A N D I E M U T T E R

Homburg vor der Höhe d. 18Jun.99.

Liebste Mutter 1

Hätt' ich auch sonst nichts, was mich erheitern und mein Gemüth zum Danke und zum Glauben stimmen könnte, so wäre ein Herz, 5 wie das Ihrige, diese Güte und Liebe genug. Glauben Sie mir, theure, verehrungswürdige Mutter I Sie sind mir heilig in dieser reinen Theil-nahme, und ich müßte ein Mensch ohne Sinn seyn, wann ich diese nicht zu schäzen wüßte. Nein I der fromme Geist, der zwischen Sohn und Mutter waltet, stirbt zwischen Ihnen und mir nicht aus. O das 10

sind gute Menschen I mußt' ich bei mir selber sagen und vor Freude weinen, da ich die drei lieben Briefe las, von Ihnen und von Schwe-ster und Bruder.

Nehmen Sie es nur nicht für Ungedult imd Weichlichkeit, die meinen Jahren und meinem Geschlecht so übel ansteht, — wenn ich 15 klagte, von trostlosen Stunden sprach. Es war weniger mein eigenes Laid, was mich den Trost oft nicht in jeder finden lies, als die Trauer die mich manchmal überfallen mußte in meiner gänzlichen Einseim-keit, wenn ich unsere j ezige Welt mir dachte, und an die Seltnen, Gu-ten in ihr, wie sie leiden, eben darum, weil sie besser und treflicher sind. 20

Und diß muß ich wohl zuweilen fühlen, denn diß treibt mich eben zu meiner reinsten Thätigkeit. Es ist wunderbar, daß der Mensch nichts weiter bringt, wenn er alles gleichgültig ansieht, und doch auch nichts wirkt und fördert, wenn er sich verkümmert, daß er also, um zu leben und thätig zu seyn, beedes in seiner Brust vereinigen muß, die Trauer 25

und die Hofnung, Heiterkeit und Laid. Und diß ist, wie ich glaube, auch der Sinn des Christen. Und so haben es Sie auch gemeint.

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.180

Wie herzlich dank' ich Ihnen auch für die lieben Worte von mei-nem seeligen Vater. Der Gute, Edlel Glauben Sie, ich habe schon

30 manchmal an seine immerheitre Seele gedacht, und daß ich ihm gleichen möchte. Auch Sie, liebste Mutter I haben mir diesen Hang zur Trauer nicht gegeben, von dem ich mich freilich nicht ganz rein sprechen kann. Ich sehe ziemlich klar über mein ganzes Leben, fast bis in die früheste Jugend zurük, und weiß auch wohl, seit welcher

35 Zeit mein Gemüth sich dahin neigte. Sie werdens kaum mir glauben, aber ich erinnere mich noch zu gut. Da mir mein zweiter Vater starb, dessen Liebe mir so unvergeßlich ist, da ich mich mit einem unbe-greiflichen Schmerz als Waise fühlte, und Ihre tägliche Trauer und Thränen sah, da stimmte sich meine Seele zum erstenmal zu diesem

40 Ernste, der mich nie ganz verlies, und freilich mit den Jahren nur wachsen konnte. Ich habe aber auch in der Tiefe meines Wesens eine Heiterkeit, einen Glauben, der noch oft in voller wahrer Freude hervorgeht, nur lassen sich zu dieser so leicht nicht Worte finden, wie zum Laide. Es hat mich herzlich gefreut, daß Sie mich noch er-

•5 munterten, meiner Jugend mich zu freuen. Ich träume mich gerne etwas jünger, als ich bin, bin auch wohl bei allem Ernste und aller Bedachtsamkeit oft noch ein rechter Knabe, zu gutmüthig manch-mal gegen die Menschen, und das hat immer Empfmdhchkeit und Mißtrauen zur Folge. Trösten Sie sich damit, liebste Mutter I daß ich

50 meine Fehler ehrlich und ernst einsehe, und das bringt doch immer zum Vernünftigem.

Ich habe Ihnen eine angenehme Nachricht zu sagen. Ich habe mit Antiquar Steinkopf in Stutgard, den Akkord getroffen, ein Journal herauszugeben, wozu er der Verleger seyn will. Monatlich wird ein

55 Stük geliefert werden, die Aufsäze werden gröstentheils von mir seyn, die übrigen von Schriftstellern, denen zur Seite zu stehen, ich mir zur Ehre rechnen werde. Mein eignes Einkommen mag sich da-bei auf 500 n jährlich belaufen und so wäre vom nächsten Jahr an auf einige Zeit meine Existenz auf eine honette Art gesichert. Da ich

60 mir schon ziemlich vorgearbeitet habe, so dürfen Sie nicht fürchten liebste Mutter! daß mich dieses Geschafft zu sehr belästigen möchte.

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Nr.180 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

S t e i n k o p f h a t in d e m B r i e f e , w o r i n n e r s ich g e n e i g t z u d i e s e m U n t e r -

n e h m e n ä u ß e r t , es s ich a u s g e b e t e n , d a ß i ch i h m zuers t d i e m e r k a n t i -

l i s chen B e d i n g u n g e n n e n n e n m ö c h t e , u n d i h m s a g e n , w i e v i e l i c h

f ü r d i e B e s o r g u n g des Journals u . m e i n e A u f s ä z e v e r l a n g e . I c h w e r d e 65

es a u s d r ü k l i c h m i r a u s b e d i n g e n , d a ß m i r w e n i g s t e n s h u n d e r t G u l d e n

m i t A n f a n g des Jahres u n d so h a l b j ä h r i g bis z u m E n d e ausbezah l t

w e r d e n u n d so g l a u b i c h , d a i c h n o c h a u f e i n i g e Z e i t v e r s e h e n b i n ,

n i c h t so l e i c h t in d e n Fal l z u k o m m e n , I h r e G ü t e m i s b r a u c h e n z u

m ü s s e n . I c h w i l l I h n e n i m n ä c h s t e n B r i e f e n o c h das S i c h e r e u n d B e - 70

s t i m m t e r e ü b e r das J o u r n a l s c h r e i b e n . I c h b i n so f r e i , d i e 100 fl a u f d i e

A r t , w i e S ie es g u t b e f u n d e n h a b e n , a n z u n e h m e n , u n d i c h w e r d e es

i m G e i s t e u n d in d e r T h a t n i e m a l s v e r g e s s e n .

Wie sehr es mein Wunsch ist, theure Mutter Sie und alle die Meinigen einmal wieder zu sehen, werden Sie leicht sich vorstellen, 75 und wenn ich meine Geschäffte und meine kleine Oekonomie nicht zu sehr derangiren müßte, so möchte ich wohl den Herbst auf ein paar Wochen hinauf kommen. Aber ich fürchte fast, es wird mir vorerst an Zeit gebrechen, und Sie werden sich nicht wundem, wenn ich mich eben so strenge, hierinn an meine eignen Geseze und Vor- 80 säze binde, als wie wenn ich unter der Disposition eines andern stünde. Wenn ich diß nicht thäte, so würde mir meine gegenwärtige Unabhängigkeit eher schaden, als nüzen, und es würde mir am Ende lästig werden, mich in irgend eine Ordnung zu fügen. —

Verzeihen Sie, daß ich so mit einmal abbreche, aber es ist schon 85 etwas spät, und ich mag mich bei den kühlen Abenden nicht gern aussezen. Meine Gesundheit ist mir wirklich theurer geworden, weil ich sie so zur ungelegenen Zeit auf eine Weile entbehren mußte und sie nothwendig brauche. Tausend herzliche Empfehlvmgen an die 1. Fr. Grosmamma. Noch diese Woche schreib' ich meiner theuem 90 Schwester. Ich mochte Sie nur nicht länger auf einen Brief warten lassen.

I h r

Friz.

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.i80.18i

95 M ö g e n Sie n u r das Ge ld n o c h unge fähr einen M o n a t h behalten.

I ch wil l so frei seyn, Ihnen darum zu schreiben, so bald ich voraus-

sehe, daß ich es in einiger Zeit nöt ig habe . Jezt gehet das baare Ge ld

wenigstens nicht sicher.

181. AN F R I E D R I C H S T E I N K O P F

H o m b u r g vor der H ö h e ,

d . 18 Jun. 1799.

Legt nun weitläuftiger die Idee des Unternehmens auseinander. Darin sagt er

unter anderm:

5 Die ächte Popularität beruhe weniger in der Alltäglichkeit des Stoffes, als im Leben

und der Faßlichkeit des Vortrags.

Als Hauptzweck giebt er an, die streitenden Elemente des Idealischen, Ursprüng-

lichnatürlichen, rein Lebendigen einer-, und des Wirklichen, Gebildeten, Wissen-

schaftlichen, Künstlichen andrer Seits zu versöhnen. I ch w e i ß w o h l , m a n hat

10 dasselbe neuerdings versucht , u n d woh l Sensation, aber keine gründ-

liche W i r k u n g hervorgebracht , aber nach meiner gründlichsten u n d

genauesten Einsicht hat es an e i n e m Hauptpuncte , neml i ch an ge-

höriger Unpartheil ichkeit , entweder aus Leidenschaft oder aus U n -

kunde gefehlt , m a n hat wieder übertr ieben, hat wieder zu e inem

15 E x t r e m gegri f fen, ist unverständlich dadurch und den andern Über -

triebenen anstößig geworden . Diese lezte Er fahrung hat aber auch

eine re inereÜberzeugung hervorgebracht , u n d ich glaube auf m e i n e m

jezigen Gesichtspuncte nicht allein zu stehen.

Also Vere in igung u n d Versöhnung der Wissenschaft m i t d e m L e -

20 b e n , der Kunst u n d des Geschmaks m i t d e m Gen ie , des Herzens m i t

d e m Verstände, des Wirk l i chen m i t d e m Idealischen, des Gebildeten

( i m weitesten Sinne des W o r t s ) m i t der Natur — diß wird der allge-

meinste Karakter, der Geist des lournals seyn.

Die Poesie soll nicht blas leidenschaftliche, schwärmerische, launische Explosion,

25 nicht erzwungenes, kaltes Kunststück sein, sondern zugleich aus dem Leben und dem

ordnenden Verstände, aus Empfindung und Überzeugung hervorgehen.

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Nr.181.182 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

Aufsätze über Poesie überhaupt, über Sprache, Deklamation, Dichtarten, über Genie,

Empfindung, Phantasie usw., über bestimmte Gedichte und ihrer Verfasser ( indem

sie den Mann, sein Leben, seine eigene Natur und die Natur, die ihn umgab, zu ahnden geben, lassen sie dem Gedichte als Naturproduct 30 seine Ehre widerfahren.).

Er schlägt den Titel Iduna vor, weil soviel er sich erinnre, ein Journal den Namen

schon geführt habe. Überläßt das aber dem Verleger.

Vom Erfolge meiner Bemühungen um eine Anzahl von Mitarbei-tern , die dem Journal zur Empfehlung dienen können, wie Sie es wün- 35 sehen, werd' ich Ihnen Nachricht geben, sobald er mir durchgängig be-kannt ist, und dann zugleich die Ankündigung, die sich darnach richten muß, Ihnen zur Einsicht überschiken. Ich kann Sie indeß versichern, daß ich so vielfältig und so zwekmäßig, als ich weiß und kann, mich adressiren werde, und daß kein guter Wille und keine Verlegenheit 40 mich verdrießen soU, in die es uns sezt, wenn wir uns an Männer von Bedeutung wenden und einer unbefriedigenden Antwort aussezen.

Ich werde indessen alle Zeit und alle Kraft dahin verwenden, be-sonders auch um dem Trauerspiele die gehörige Feile und Gefällig-keit zu geben, der es, um der Eigenheit seines Stoffes willen, weniger 45 als andere, entbehren kann.

Er will in jedes Monatsheft } Bogen liefern ä 1 Carolin. Das macht 36 Carolin,

und da er wenigstens SO Carolin jährlich braucht, so fordert er den Rest als Redak-

tionsgehalt.

Neuffem werde er mit Anfang nächsten Monats die Emilie und einige Gedichte 50

von sich und einem jungen Dichter, dessen Produkte nicht ohne Anlage und Glück

seien, überschicken.

182. AN S U S E T T E G O N T A R D

Täglich muß ich die verschwundene Gottheit wieder rufen. Wenn ich an große Männer denke, in großen Zeiten, wie sie, ein heilig

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.lS2

Feuer, um sich griffen, und alles Todte, Hölzerne, das Stroh der Welt in Flamme verwandelten, die mit ihnen aufflog zum Himmel, und

5 dann an mich, wie ich oft, ein glimmend Lämpchen umhergehe, und betteln möchte um einen Tropfen öl, um eine Weile noch die Nacht hindurch zu scheinen — siehe! da geht ein wunderbarer Schauer mir durch alle Glieder, und leise ruf ich mir das Schrekens-wort zu: lebendig Todter!

10 Weist Du, woran es liegt, die Menschen fürchten sich voreinander, daß der Genius des einen den andern verzehre, und darum gönnen sie sich wohl Speise und Trank, aber nichts, was die Seele nährt, und können es nicht leiden, wenn etwas, was sie sagen \md thun, im andern einmal geistig aufgefaßt, in Flamme verwandelt wird. Die

15 Thörigen I Wie wenn irgend etwas, was die Menschen einainder sagen könnten, mehr wäre, als Brennholz, das erst, wenn es vom geistigen Feuer ergriffen wird, wieder zu Feuer wird, so wie es aus Leben und Feuer hervorgieng. Und gönnen sie die Nahrung nur gegenseitig ein-ander, so leben und leuchten ja beide, und keiner verzehrt den eindem.

20 Erinnerst Du Dich unserer ungestörten Stunden, wo wir und wir nur um einander waren? Das war Triumph! beede so frei und stolz und wach und blühend und glänzend an Seel und Herz und Auge und Angesicht, und beede so in himmlischem Frieden neben einan-der I Ich hab' es detmals schon geahndet und gesagt: man könnte wohl

25 die Welt durchwandern und fände es schwerlich wieder so. Und täg-lich fühl'ich das ernster.

Gestern Nachmittag kam Morbek zu mir aufs Zimmer. »Die Fran-zosen sind schon wieder in Italien geschlagen«, sagt' er. »Wenns nur gut mit uns steht, sagt' ich ihm, so steht es schon gut in der Welt«,

30 und er fiel mir um den Hals und wir küßten uns die tiefbewegte freudige Seele auf die Lippen und unsre weinenden Augen begeg-neten sich. Dann gieng er. Solche Augenblike hab' ich doch noch. Aber kann das eine Welt ersezen ? Und das ists, was meine Treue ewig macht. In dem und jenem sind viele vortreflich. Aber eine Natur, wie

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Nr.182.18} B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

Deine, wo so alles in innigem unzerstörbarem lebendigem Bunde 35 vereint ist, diese ist die Perle der Zeit, und wer sie erkannt hat, und wie ihr himmlisch angeboren eigen Glük dann auch ihr tiefes Un-glük ist, der ist auch ewig glüklich und ewig unglüklich.

183. A N N E U F F E R

Homburg vor der Höhe. d.3 Jul. 99.

Ich habe nicht ganz Wort gehalten, Lieber! und Du erhältst das Versprochene um eine Woche später, als ich dachte. Ich war ge-nötiget, auf einige Tage zu verreisen, wo ich dann auch unsern bra- 5 ven Jung gesprochen habe, der sich jezt besonders wohl befindet. Er will mir seinen Ossian in das Journal geben. Als Text zum Kommen-tar mögen einige Stüke vortreflich dienen.

Ich will Dir bei Gelegenheit, wenn es Dich interessiren sollte, einiges über die Methode und Manier sagen, in der ich die Emilie lo geschrieben habe. Du kannst Dir wohl denken, daß ich bei der Eil-fertigkeit, womit ich dabei zu Werke gehen mußte, die Dichtart, die ich schon ziemlich lange projectirt habe, nicht so ausdrüken konnte, wie ich es wünschte, und wie es nötig wäre, um die Vortheile fühl-bar zu machen, die sie wahrscheinlich hat, besonders bei Stoffen, die 15 nicht eigentlich heroisch sind. Es ist mir gar nicht um den Schein des Neuen dabei zu thun; aber ich fühle und sehe immer mehr, wie wir zwischen den beiden Extremen, der Regellosigkeit — und der blinden Unterwerfung unter alte Formen imd der damit verbun-denen Gezwungenheit und falschen Anwendung schwanken. Glaube 20 deswegen nicht. LieberI daß ich willkührlich mir eine eigene Form vorseze, und ausklügle; ich prüfe mein Gefühl, das mich auf dieses oder jenes führt, imd frage mich wohl, ob eine Form, die ich wähle, dem Ideal und besonders auch, dem Stoffe, den sie behandelt nicht widerspreche. Freilich kann ich dann im Allgemeinen recht haben, 25 aber in der Ausführung um so leichter in Mißtritte gerathen, weil

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.lS}

ich nur mir selber folge, und mich an kein sinnlich Muster halten kann. Aber es ist eben keine andere Wahl; so wie wir irgend einen Stoff behandeln, der nur ein wenig modern ist, so müssen wir, nach

30 meiner Uberzeugung die alten klassischen Formen verlassen, die so innig ihrem Stoffe angepaßt sind, daß sie für keinen andern taugen. Wir sind es nun freilich gewohnt, daß zum B. eine Liebesgeschichte, die nichts weiter ist als diß, in der Form des Trauerspiels vorge-tragen wird, die doch bei den Alten ihrem innern Gange nach und in

35 ihrem heroischen Dialog zu einer eigentlichen Liebesgeschichte gar nicht paßt. Behält man den heroischen Dialog bei so ist es immer, als ob die Liebenden zankten. Verlaßt man ihn, so widerspricht der Ton der eigentlichen Form des Trauerspiels, die dann auch freilich überhaupt nicht strenge beibehalten wird, aber deswegen auch ihren

+0 eigentümlichen poetischen Werth und ihre Bedeutung bei uns ver-loren hat. Man will aber auch nur rührende erschütternde Stellen und Situationen, um die Bedeutung und den Eindruk des Ganzen bekümmern sich die Verfasser und das Publikum selten. Und so ist die strengste aller poetischen Formen, die ganz dahin eingerich-

45 tet ist, um, ohne irgend einen Schmuk fast in lauter großen Tönen, wo jeder ein eignes Ganze ist, harmonisch wechselnd fortzuschreiten, und in dieser stolzen Verläugnung alles Accidentel-len das Ideal eines lebendigen Ganzen, so kurz und zugleich so voll-ständig und gehaltreich wie möglich, deswegen deutlicher aber auch

50 ernster als alle andre bekannte poetische Formen darstellt — die ehr-würdige tragische Form ist zum Mittel herabgewürdiget worden, um gelegenheitlich etwas glänzendes oder zärtliches zu sagen. Was konnte man aber auch mit ihr anfangen, wenn man den Stoff nicht wählte zu dem sie paßte, und mit welchem gepaart sie Sinn und Leben allein

55 behielt. Sie war todt geworden, wie alle andre Formen, wenn sie die lebendige Seele verloren, der sie wie ein organischer Gliederbau dien-ten, aus der sie sich ursprüngUch hervor bildeten, wie z. B. die repu-blikanische Form in unsern Reichstädten todt und sinnlos geworden ist, weil die Menschen nicht so sind, daß sie ihrer bedürften, um

60 wenig zu sagen.

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Nr.183 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

So wie nun die tragischen Stoffe gemacht sind, um in lauter gro-ßen selbstständigen Tönen, harmonisch wechselnd fortzuschrei-ten, \md mit möglichster Erspamiß des Accidentellen ein Ganzes voll kräftiger bedeutender Theile darzustellen, so sind die sentimen-talen Stoffe z. B. die Liebe ganz dazu geeignet, zwar nicht in großen 65 und stolzen, vesten Tönen, und mit entscheidender Verläugnung des Accidentellen aber mit dieser zarten Scheue des Accidentellen, und in tiefen vollen elegischbedeutenden, und durch das Sehnen und Hoffen, das sie ausdrüken, vielsagenden Tönen, harmonisch wechselnd fortzuschreiten, und das Ideal eines lebendigen Ganzen 70 zwar nicht mit dieser angestrengten Kraft der Theile, und diesem hinreißenden Fortgang, mit dieser schnellen Kürze, aber geflügelt, wie Psyche und Amor ist, tmd mit inniger Kürze darzustellen, imd mm fragt sich nur, in welcher Form sich dieses am leichtesten und natürlichsten, und eigentlichsten bewerkstelligen läßt, so daß der 75 schöne Geist der Liebe seine eigne poetische Gestalt und Weise hat.

Verzeihe mir, wenn ich Dir mit diesem unbestimmten Räsonne-ment Langeweile mache. Ich lebe so sehr mit mir allein, daß ich oft jezt gerne in einer müßigen Stunde mit einem unbefangenen Freun-de schriftlich mich über Gegenstände unterhalten möchte, die mir 80 nahe liegen, und das macht mich dann, wie Du siehest, geschwäzi-ger, als vieleicht dem andern angenehm ist. Ich habe Dir freilich so gut als nichts gesagt und mehr mit mir selber gesprochen, als zu Dir.

Es freut mich herzlich, wenn Du Dich immer mehr der Poesie 85 hingiebst. Das Zeitalter hat eine so große Last von Eindrüken auf ims geworfen, daß wir nur, wie ich täglich mehr fühle, durch eine lange bis ins Alter fortgesezte Thätigkeit und ernste immer neue Versuche, vieleicht dasjenige am Ende produciren können, wozu uns die Natur zunächst bestimmt hat, und was vieleicht unter andern Um- 90 ständen früher aber schwerlich so vollkommen gereift wäre. Wenn uns Pflichten, die uns beeden wahrhaft heilig sind, aufrufen, so brin-gen wir dann auch der Nothwendigkeit ein schönes Opfer, wenn wir die Liebe zu den Musen verläugnen, wenigstens auf eine Zeit lang.

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.lS3

9S Es muß Dir einen glüklichen Abend gemacht haben, da Dein Lust-spiel aufgeführt wurde, und Du Dich unter den heitern Zuschauem als die erste bewegende Kraft fühltest. Ist es gedrukt und kann ich es wohl in Frankfurt zu kaufen bekommen?

Ich wünsche Deinem Taschenbuche recht viele glükliche Mitar-100 beiter. Solltest Du mit einer Anzahl von Beyträgen imzufrieden seyn,

und lieber noch die Lüke durch mich ausgefüllt sehn, so wiedme ich Dir gerne noch acht Tage, natürlich nur im Nothfall, sonst wäre diß eine anmaaßliche Aeußerung von mir. Einige Gedichte von mir schike ich Dir noch nach mit Beyträgen von noch einem jungen

105 Dichter. Die von Bölendorf, die ich Dir hier beilege, sind wohl nicht ohne Interesse für Dein Publikum und Du kannst ja noch eine Aus-wahl treffen, wenn es Dir gut dünkt.

Sei so gut und sorge dafür, daß die Intervalle, die in dem Manu-script von der Emilie zwischen den Jamben gelassen sind, richtig ab-

110 gedrukt werden. Stoße Dich nicht an dem Titel; es thäte ja Noth mehr Vorreden

zu schreiben, als Gedichte, und wenn ich durch ein paar Worte ge-wissermaaßen solch eine Vorrede ersezen kann, imd dem Leser be-deuten, daß diß nur ein Moment aus Emiliens Leben ist, und der

115 Dichter überhaupt alle Biographie so viel möglich in einen Haupt-moment konzentriren muß — warum soll ich es nicht?

So flüchtig ich diesen Versuch geschrieben habe, so darf ich Dir doch sagen, daß ich mir bewußt bin weniges ohne dramatischen oder allgemeinpoetischen Grund gesagt zu haben.

120 Gute Nacht, Lieber! Grüße mir HE. Steinkopf! überhaupt meine Freunde imd Bekannten in Stutgard, und thue mir den Gefallen, mir auch einiges von ihnen zu schreiben, und schreibe mir bald wieder I

Hölderlin.

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Nr.184 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

184. A N S C H I L L E R

d.Sten Jul. 99.

Die Grosmuth, womit Sie mir immer begegneten, Verehrungs-würdigster I und die tiefe Ergebenheit gegen Sie, die in mir nur im-mer reifer wird, können mir allein so viel Zuversicht geben, daß ich Sie mit einer unbescheidnen Bitte beschwere, und ich würde sie ge- 5 wiß unterlassen, wenn ich mit Gewißheit voraussähe, daß sie Ihnen einen unangenehmen Augenblik machte. Vieleicht verblindet mich mein Wunsch, und die Einsicht, wie wichtig die Erfüllung derselben für mich wäre; ich habe also allen Grund, sie Ihnen zum voraus ab-zubitten, wenn sie Ihnen wirklich mißfällig seyn sollte. lo

Wäre ich Ihrer Protection so werth, daß ich ihrer nicht bedürfte, so würde ich Sie nicht darum bitten, oder bedürfte ich ihrer so sehr, daß ich ihrer gar nicht werth wäre, so würde ich Sie auch-nicht darum bitten. Aber ich glaube derselben gerade so weit bedürftig imd werth zu seyn, daß die Bitte um dieselbe zu entschuldigen ist. 15

Ich habe im Sinne, die literarischen und poetischen Versuche, die ich unter den Händen habe, nach und nach in einem humanisti-schen Journale herauszugeben und fortzusezen, und ich würde es lieber abwarten, ob mir nicht endlich ein Product gelänge, von des-sen Werth und Glük ich gewisser seyn könnte, wenn mir die Um- 20 stände die ruhige Independenz ließen, die dazu erforderlich wäre. So muß ich Proben geben, die vieleicht mehr etwas versprechen, als leisten, und kann vor dem Publikum die Autorität eines bewährten großen Mannes nicht entbehren, wenn ich nicht verunglüken soll, so viel ich mich und die Zeit kenne. 25

Ich bin deswegen so frei, Sie um einige wenige Beiträge zu bitten, wenn Sie es nicht gegen Ihre Würde finden sollten, diß Zeichen Ihrer Gunst und Güte mir öffentlich zu geben.

Glauben Sie, Verehrungswürdiger I ich ehre Sie zu wahrhaft, als daß mir diese Unbescheidenheit nicht schwer geworden seyn sollte. 30 Und ich kann sie nicht gut machen, wie ich wohl denken möchte.

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Page 356: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.l84

dadurch, daß ich nun da die gefahrliche Bitte herausgesagt ist, freier und unbefangener einmal wieder den Dank ausspreche, den ich Ihnen entgegenbrachte und nicht aussprechen konnte, da ich vor

35 Jahren Sie ziun erstenmal sah, und der durch Ihren unvergeßlichen Umgang, und indessen durch jedes Zeichen Ihrer Gegenwart in der Welt nur gründlicher geworden ist.

Giebt es irgend noch ein erreichbares würdiges Ziel für mich in der Zukunft, so kann ich erst dann Ihnen recht danken, denn nur

•0 der Dank von dem, der Ihrer in einem höheren Grade werth ge-worden ist, kann Sie erfreuen, und dann könnt' ich auch wohl meine imbescheidene Bitte rechtfertigen.

Haben Sie die Güte, auch wenn Sie es für gut finden sollten, mein Vorhaben nicht so eklatant zu begünstigen, mir doch zu antworten,

45 es seie so kurz, wie es wolle, denn wenn Sie schweigen, so muß ich den Tadel meiner Unbescheidenheit über mich nehmen, und dieser möchte strenger ausfallen, als irgend einer, den Sie gegen mich äußern würden.

Sollte es Ihnen gefallen, so würd' ich Ihnen das Manuscript des 50 ersten Hefts zur Probe zuschiken.

Ich bin mit wahrster Verehrung der Ihrige

M. Hölderlin.

Mein Verleger vereinigt seine Bitte mit mir. 55 Ich bin so frei, meine Adresse beizusezen:

bei Glaser Wagner wohnhaft in

Homburg bei Frankfurt.

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Page 357: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.lSS B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

185. A N D I E M U T T E R

H o m b u r g , d . 8 Ju l . 1 7 9 9 .

L i e b s t e M u t t e r !

I h r e g ü t i g e n B r i e f e m a c h e n m i r i m m e r e i n e A r t v o n Fes t , w e n n

i ch sie e m p f a n g e , u n d es ist m i r j e d e s m a l d a b e i , als w e n n i c h n u n z u

H a u ß e w ä r e , b e i I h n e n , u n d I h r e m ü t t e r l i c h e L i e b e v e r g e g e n w ä r t i g e t 5

S ie m i r u n d m e i n e l i e b e H e i m a t h u n d m e i n e t h e u e r n V e r w a n d t e n

so s c h ö n , d a ß m i r d i e E n t f e r n u n g u m v ie les e r l e i c h t e r t w i r d . W e g e n

m e i n e r G e s u n d h e i t k ö n n e n Sie s ich n u n v ö l l i g b e r u h i g e n . I c h b e -

f i n d e m i c h seit g e r a u m e r Z e i t g ä n z l i c h w o h l , u n d e i n f r e u d i g e r

D a n k f ü r d iese g u t e G a a b e , d i e w i r u n s selbst a l l e in n i c h t g e b e n k ö n - l o

n e n , ge l e i t e t m i c h b e i m e i n e m G e s c h a f f t e u n d in m e i n e n R u h e -

s t u n d e n .

D a s G e d i c h t c h e n hät te S ie n i c h t b e u n r u h i g e n so l l en , t h e u e r s t e

M u t t e r 1 Es sol l te n i ch t s w e i t e r h e i ß e n , als w i e sehr i c h w ü n s c h e e i n -

m a l e i n e r u h i g e Z e i t z u h a b e n , u m das z u e r f ü l l e n , w o z u m i c h d ie 15

N a t u r b e s t i m m t z u h a b e n s c h i e n . Ü b e r h a u p t , l i ebste M u t t e r ! m u ß

i c h Sie b i t t e n , n i c h t aUes f ü r s t r e n g e n E m s t z u n e h m e n , w a s Sie v o n

m i r l e s e n . D e r D i c h t e r m u ß , w e n n e r se ine k l e i n e W e l t dars te l l en

w i l l , d i e S c h ö p f u n g n a c h a h m e n , w o n i c h t j edes E i n z e l n e v o l l k o m -

m e n ist , u n d w o G o t t r e e g n e n l ä ß t a u f G u t e u n d Böse u n d G e r e c h t e 20

u n d U n g e r e c h t e ; e r m u ß o f t e twas U n w a h r e s u n d W i d e r s p r e c h e n -

des s a g e n , das s ich a b e r n a t ü r l i c h i m G a n z e n , w o r i n n es als e twas

V e r g ä n g l i c h e s g e s a g t ist , in W a h r h e i t u n d H a r m o n i e a u f l ö s e n

m u ß , u n d so w i e d e r R e e g e n b o g e n n u r s chön ist n a c h d e m G e w i t t e r ,

so tr i tt a u c h i m G e d i c h t e das W a h r e u n d H a r m o n i s c h e aus d e m F a l - 25

sehen u n d aus d e m I r r t u m u n d L e i d e n n u r desto s c h ö n e r u n d e r f r e u -

l i c h e r h e r v o r . — I c h e r k e n n e es m i t h e r z l i c h e m D a n k , ed l e g u t e

M u t t e r I d a ß Sie m i c h so a u f al le A r t a u f m u n t e r n , u n d i c h v e r s p r e c h e

es I h n e n , I h r S e e g e n soll n i c h t o h n e F r u c h t b l e i b e n .

W a s d ie R e i s e b e t r i f t , z u d e r Sie m i c h so g ü t i g e i n l a d e n , so w e r d e n 30

S ie aus d e m B r i e f e a n d ie l i e b e S c h w e s t e r s e h e n , w i e sehr i c h v e r -

344

Page 358: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.185.186

s u c h t b i n , v o n I h r e r g ü t i g e n E r l a u b n i ß G e b r a u c h z u m a c h e n , u n d

in w i e w e i t m i r es m ö g l i c h s e y n w i r d , d iesen W u n s c h m i r z u e r f ü l l e n .

I c h h a b e n o c h n i c h t G e l e g e n h e i t g e h a b t , m i c h g e n a u z u e r k u n -

35 d i g e n , a u f w e l c h e m W e g e Sie m i r das G e l d g a n z s i cher zuste l len k ö n -

n e n , i c h b i t t e S ie also m e i n e n nächs ten B r i e f n o c h a b z u w a r t e n , e h

Sie es a b s e n d e n . E ines W e i t e r e n b i n i ch v o r d e r H a n d n i c h t b e n ö -

t h i g t , a u c h w e n n i c h w i r k l i c h es sonst m ö g l i c h m a c h e n k ö n n t e , z u

I h n e n a u f e i n i g e W o c h e n h i n a u f z u r e i s e n a u f d e n H e r b s t . N e h m e n

40 Sie n o c h m a l m e i n e n e r k e n n t l i c h s t e n Dc ink d a f ü r ! M i c h hat es u n -

e n d l i c h g e f r e u t , d a ß Sie m i r g e s c h r i e b e n h a b e n , Sie k ö n n t e n jez t in

so m a n c h e r R ü k s i c h t o h n e S o r g e u n d in R u h e s e y n !

M e i n e U n p ä ß l i c h k e i t soll Sie n u r ja in k e i n e r F r e u d e s t ö r e n , d i e

I h n e n in I h r e m A l t e r , da Sie so v i e l f ü r u n s g e t h a n , u n d so m a n c h e s

45 i m L e b e n ge l i t t en h a b e n , so sehr z u g ö n n e n ist . I c h b i n j ez t ja g e -

s u n d , l i ebe t h e i l n e h m e n d e M u t t e r I u n d k a n n h o f f e n , es u m so e h e r

z u b l e i b e n , d a i c h so r u h i g u n d o h n e ü b e r m ä ß i g e A n s t r e n g u n g u n d

g e w a l t s a m e U n t e r b r e c h u n g e i n e W e i l e l e b e n d a r f . G e b e n Sie m e i -

n e m K a r l a u c h in m e i n e m N a h m e n d i e H a n d , w e n n e r z u I h n e n

50 k ö m m t I V i e l e E m p f e h l u n g e n a n u n s e r e l i e b e n V e r w a n d t e n ! W i e

g e r n e w ü r d e i ch an d e r F r e u d e t h e i l n e h m e n , d i e I h r e l i e b e n G ä s t e

b e i I h n e n h a b e n w e r d e n , aber d ie n e u e s t e n Z u r ü s t u n g e n z u d e m

J o u r n a l , d i e i ch gar n i c h t a u f s c h i e b e n d a r f , u m b a l d d e r S a c h e g a n z

g e w i ß z u s e y n , lassen m i c h jez t n i c h t w o h l a b k o m m e n .

55 T a u s e n d E m p f e h l u n g e n a n d ie l i ebe F r a u G r o s m a m m a . I c h b i n

w i e i m m e r

I h r

d a n k e r g e b e n e r S o h n

H ö l d e r l i n .

186. A N S C H E L L I N G

M e i n T h e u r e r !

I c h h a b e i n d e ß z u t r e u u n d z u ernst a n D e i n e r S a c h e u n d a n D e i -

n e m R u h m e T h e i l g e n o m m e n , als d a ß i ch es m i r n i c h t g ö n n e n so l l te ,

D i c h e i n m a l w i e d e r a n m e i n D a s e y n z u m a h n e n .

345

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Nr. 18b B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

W e n n i ch indessen g e g e n D i c h g e s c h w i e g e n h a b e , so w a r es g ros - 5

t enthe i l s , w e i l i ch D i r , d e r m i r so v i e l u n d i m m e r m e h r b e d e u t e t e ,

i r g e n d e i n m a l in e i n e r b e d e u t e n d e r e n B e z i e h u n g , o d e r d o c h in e i n e m

G r a d e des W e r t h s , d e r D i c h a u f e i n e s ch ik l i chere A r t a n u n s e r e

F r e u n d s c h a f t m a h n e n k ö n n t e , e n t g e g e n z u k o m m e n h o f t e .

N u n t re ib t m i c h e i n e B i t te f r ü h e r z u D i r u n d D u wirs t m i c h a u c h l o

in d ieser Gesta l t n i c h t v e r k e n n e n . I c h h a b e d i e E i n s a m k e i t , in d e r

i c h h i e r seit v o r i g e m Jahre l e b e , d a h i n v e r w a n d t , u m u n z e r s t r e u t u n d

m i t g e s a m m e l t e n , u n a b h ä n g i g e n K r ä f t e n v i e l e i c h t e twas R e i f e r e s ,

als b i s h e r g e s c h e h e n ist , z u S t a n d e z u b r i n g e n , u n d w e n n i c h s chon

grös tenthe i l s d e r Poes ie g e l e b t h a b e , so l i e ß m i c h d o c h N o t h w e n d i g - 15

k e i t u n d N e i g u n g m i c h n i c h t so w e i t v o n d e r W i s s e n s c h a f t e n t f e r n e n ,

d a ß i ch n i c h t m e i n e Ü b e r z e u g u n g e n z u g r ö ß e r e r B e s t i m m t h e i t u n d

V o l l s t ä n d i g k e i t a u s z u b i l d e n u n d s ie , so v i e l m ö g l i c h , m i t d e r j e z i g e n

u n d v e r g a n g e n e n W e l t in A n w e n d u n g u n d R e a k t i o n z u sezen g e s u c h t

h ä t t e . G r o ß e n t h e i l s s chränkte s ich m e i n N a c h d e n k e n u n d m e i n e S t u - 20

d i e n a u f das , w a s i c h z u n ä c h s t t r i e b , d i e Poes i e e i n , i n s o f e r n sie l e b e n -

d i g e K u n s t ist u n d z u g l e i c h aus G e n i e u n d E r f a h r u n g u n d R e f l e x i o n

h e r v o r g e h t u n d ideahsch u n d sys temat isch u n d i n d i v i d u e l l ist . D i ß

f ü h r t e m i c h z u m N a c h d e n k e n ü b e r B i l d u n g u n d B i l d u n g s t r i e b ü b e r -

h a u p t , ü b e r s e i n e n G r u n d u n d se ine B e s t i m m u n g , i n s o f e r n e r i d e a - 25

l isch u n d i n s o f e r n er t h ä t i g b i l d e n d ist , u n d w i e d e r i n s o f e r n er m i t

B e w u ß t s e y n seines G r u n d e s u n d seines e i g e n e n W e s e n s v o m I d e a l

aus u n d i n s o f e r n e r i n s t i n c t m ä ß i g a b e r d o c h se iner M a t e r i e n a c h als

K u n s t u n d B i l d u n g s t r i e b w i r k t etc., u n d i c h g l a u b t e a m E n d e m e i n e r

U n t e r s u c h u n g e n d e n G e s i c h t s p u n c t d e r s o g e n a n n t e n H u m a n i t ä t 30

( i n s o f e r n a u f i h m m e h r a u f das V e r e i n i g e n d e u n d G e m e i n s c h a f t -

l i c h e in d e n M e n s c h e n n a t u r e n u n d i h r e n R i c h t u n g e n g e s e h e n w i r d

als a u f das U n t e r s c h e i d e n d e , w a s f r e i l i c h e b e n so w e n i g ü b e r s e h e n

w e r d e n d a r f ) , ves ter u n d u m f a s s e n d e r gesezt z u h a b e n , als m i r b is -

h e r b e k a n n t w a r . D i e s e M a t e r i a H e n z u s a m m e n v e r a n l a ß t e n m i c h 35

z u d e m E n t w u r f e ines humeinis t i schen Journa l s , das in s e i n e m g e -

w ö h n U c h e n K a r a k t e r a u s ü b e n d poe t i s ch , d a n n a u c h histor isch u n d

p h i l o s o p h i s c h b e l e h r e n d w ä r e ü b e r P o e s i e , e n d l i c h i m A l l g e m e i n e n

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.lS6

histor isch u n d ph i l o soph i s ch b e l e h r e n d aus d e m G e s i c h t s p u n c t e d e r

•0 H u m a n i t ä t .

V e r z e i h e m i r d iese s c h w e r f ä l l i g e V o r r e d e , m e i n T h e u r e r l a b e r d ie

A c h t u n g g e g e n D i c h l i e ß m i r n i c h t z u , D i r m e i n V o r h a b e n so ex

abrupto z u v e r k ü n d i g e n u n d es s c h i e n , als w ä r ' i c h D i r g e w i s s e r -

m a a ß e n R e c h e n s c h a f t s c h u l d i g v o n m e i n e n B e s c h ä f f t i g u n g e n , b e -

45 sonders d a i c h l e i c h t f ü r c h t e n k o n n t e n a c h m e i n e n b i s h e r i g e n P r o -

d u c t e n , d a ß i c h das Z u t r a u e n , das D u e h e m a l s in m e i n e p h i l o s o p h i -

s c h e n u n d poe t i s chen K r ä f t e z u sezen sch ienst , j ez t , da i c h D i r h ä t t e

d i e P r o b e g e b e n so l l en , n i c h t m e h r in d e m v o r i g e n G r a d e bes i ze .

D i r , d e r m i t d ieser n u r z u se l t enen V o l l s t ä n d i g k e i t u n d G e w a n d t -

50 h e i t d i e N a t u r des M e n s c h e n u n d se iner E l e m e n t e d u r c h s c h a u t u n d

u m f a ß t , w i r d es e i n L e i c h t e s s e y n . D i c h a u f m e i n e n b e s c h r ä n k t e r e n

G e s i c h t s p u n c t zu ste l len u n d d u r c h D e i n e n N a h m e n u n d D e i n e

T h e i l n a h m e e i n G e s c h a f f t z u s a n c t i o n i r e n , das d i e n e n sol l , d i e

M e n s c h e n , o h n e L e i c h t s i n n u n d S y n k r e t i s m u s , e i n a n d e r z u

55 n ä h e r n , i n d e m es z w a r d ie e i n z e l n e n K r ä f t e u n d R i c h t u n g e n u n d

B e z i e h i m g e n i h r e r N a t u r w e n i g e r s t r e n g e b e h a n d e l t u n d u r g i r t ,

a b e r d o c h m i t A c h t u n g g e g e n j e d e d ieser K r ä f t e u n d R i c h t u n g e n u n d

B e z i e h u n g e n f a ß l i c h u n d f ü h l b a r z u m a c h e n s u c h t , w i e sie i n n i g u n d

n o t h w e n d i g v e r b u n d e n s i n d , u n d w i e j e d e e i n z e l n e d e r s e l b e n n u r in

60 i h r e r V o r t r e f l i c h k e i t u n d R e i n h e i t b e t r a c h t e t w e r d e n d a r f , u m e i n -

z u s e h e n , d a ß sie e i n e r a n d e r n , w e n n d ie n u r a u c h r e i n ist , n i chts

w e n i g e r als w i d e r s p r i c h t , s o n d e r n d a ß j e d e s c h o n in s ich d i e f r e i e

F o r d e r u n g z u g e g e n s e i t i g e r W i r k s a m k e i t u n d z u h a r m o n i s c h e m

W e c h s e l e n t h ä l t , u n d d a ß d ie See le i m o r g a n i s c h e n B a u , d i e a l len

65 G l i e d e r n g e m e i n u n d j e d e m e i g e n ist , k e i n e inz iges a l le in s e y n l ä ß t ,

d a ß a u c h d i e S e e l e n i c h t o h n e d ie O r g a n e u n d d i e O r g a n e n i c h t o h n e

d i e See le b e s t e h e n k ö n n e n , u n d d a ß sie b e e d e , w e n n sie a b g e s o n d e r t

u n d h i e r m i t b e e d e aorg i s ch v o r h a n d e n s ind , s ich z u o r g a n i s i r e n stre-

b e n m ü s s e n u n d d e n B i l d u n g s t r i e b in s ich v o r a u s s e z e n . A l s M e t a p h e r

70 d u r f t e i c h w o h l d i ß s a g e n . Es sol lte n i chts w e i t e r h e i ß e n , als d a ß das

sto f f lose G e n i e n i c h t o h n e E r f a h r u n g u n d die seel lose E r f a h r u n g n i c h t

o h n e G e n i e b e s t e h e n k ö n n e n , s o n d e r n d a ß sie d i e N o t h w e n d i g k e i t in

347

Page 361: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.l86 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

sich haben, sich zu bilden und durch Urtheil und Kunst sich zu kon-stituiren, sich zusammen zu ordnen zu einem belebten, harmonisch wechselnden Ganzen, daß endlich die organisirende Kunst und der 75 Bildungstrieb, aus dem sie hervorgeht, auch nicht bestehen können und nicht einmal denkbar sind ohne ihr inneres Element, die natür-liche Anlage, das Genie, und ohne ihr äußeres, die Erfahrung und das historische Lernen.

Ich wollte Dir nur den allgemeinsten Karakter des Journals, das, 80 was man seinen Geist nennt, ungefähr berühren. Ich werde ver-suchen in dem Vortrag und Ton so allgemein faßlich als möglich zu seyn.

Ich hielt es nicht ganz für schiklich, den Plan, den ich mir ent-werfen mußte, oder auch die Materialien, die ich bereit habe, Dir 85 bestimmter zu nennen, so sehr ich von der andern Seite versucht war, Dir, so viel es sich vor der Sache selber thun läßt, zu bezeugen, daß mein Project nicht ungründlich und leichtsinnig, auch vieleicht mehr zum Glüke gemacht ist, als meine bisherigen Producte, und daß ich, so viel ich Deinen Geist und Sinn kenne und ahne, in der Tendenz 90 wenigstens nicht gegen Dich sündigen werde.

Ich will Deine Antwort, der ich mit Hofnung entgegensehen werde, und Deine Gesinnungen über die Sache abwarten um dann ausführlicher, wenn Du mich auffordern solltest, mich über den Geist und die Einrichtung des Journals, so weit ich es vor mir selber 95 entwerfen durfte, und über die möglichen und vorhandenen Mate-rialien desselben gegen Dich zu äußern.

In jedem Falle, Freund meiner Jugend! wirst Du mir verzeihen, daß ich mich mit dem alten Zutrauen an Dich gewandt und den Wunsch geäußert habe. Du möchtest durch Deine Theilnahme und loo Gesellschaft in dieser Sache meinen Muth mir erhalten, der durch meine Lage und andere Umstände indessen vielfältige Stöße erlitten hat, wie ich Dir wohl gestehen darf. Ich werde alles thun, um durch möghchste Reife meiner eigenen Beiträge und durch die gütige Theil-nahme verdienstvoller Schriftsteller, mit der ich mir schmeichle, 105 dem Journal den Werth zu geben, dessen es bedarf, wenn Du es vor

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.i86.187

Deinem Gewissen nnd dem Publikum sollst verantworten können, daß Du wenigstens Deinen Nahmen imd, wenn Du mehr nicht könntest und möchtest, des Jahres einige Beiträge dazu gegeben

110 hättest.— Antiquar Steinkopf in Stutgard, der sich bereitwillig und verstän-

dig gegen mich in der Sache geäußert hat, und der vieleicht eben, weil er ein Anfänger ist, um so beharrlicher und getreuer in seinem Theile sich verhält, verspricht jedem Mitarbeiter sichere Bezahlung,

115 und ich habe es ihm zur Bedingung gemacht, jedem Mitarbeiter wenigstens ein Karolin für den Bogen zu schiken.Wenn ich schon beinahe ganz davon und dafür zu leben gedenke, so glaubt' ich den-noch für meine Person nicht weiter fordern zu dürfen, da ich noch als Schriftsteller so ziemlich ohne Glük bin und meine einge-

120 schränkte Lebensart kein größeres Einkommen erfordert. Ich habe es aber seiner Dankbarkeit und Klugheit überlassen, bei den Mit-arbeitern, in welchem Grade er will, eine Ausnahme zu machen. — Verzeih', daß ich auch davon spreche. Aber da es zur Sache gehört, so mag die Sache die Schuld tragen, daß sie ohne einen solchen Pen-

125 dant nicht bestehen kann. Habe die Güte, mein Theurerl mich wenigstens bald mit irgend

einer Antwort zu erfreuen, und glaube, daß ich wie immer und im-mer mehr Dich geachtet habe und achte.

Dein 130 Hölderlin.

N.S.MeinVerlegervereinigtseineBitteausdrüklichmitdermeinen. Meine Adresse ist: bei Glaser Wagner wohnhaft in Homburg bei

Frankfurt.

187 . A N G O E T H E

Ich weiß nicht, Verehrungswürdigsterl ob Sie sich meines Nah-mens so weit erinnern, daß es Ihnen nicht auffallend ist, einen Brief und überdiß eine Bitte von mir zu lesen.

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Nr.187 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

Ihre Verdienste vind Ihr Ruhm wären für die Sache, in der ich mich an Sie wende, so förderlich, und die Erinnenmg einiger unver- 5 geßlicher Stunden, die mir vor Jahren einmal Ihre gütige Gegen-wart gewährte, giebt mir auch so viel Zuversicht, daß ich nicht ganz ohne Hofnung günstiger Antwort meinen Wunsch Ihnen äußere. Ich habe im Sinne, (in Gesellschaft einiger Schriftsteller) ein huma-nistisches Journal herauszugeben, das vorerst in seinem eigentlich- lo sten Kar akter poetisch wäre, sowohl ausübend, als belehrend, und dieses Leztere würde es seyn, indem es über das gemeinschaftliche Ideal der Künste, über das Eigentümliche der poetischen Compositio-nen und des poetischen Vortrags allgemeinere Abhandlungen ent-hielte, sich dann aber auch auf verschiedene Meisterwerke der Alten 15 und Neuem richtete und zu zeigen suchte, wie jedes dieser Werke ein idealisches, systematisches, karakteristisches Ganze ist, das aus lebendiger Seele des Dichters und der lebendigen Welt um ihn her-vorgieng und durch seine Kunst zu einer eigenen Organisation, zu einer Natur in der Natur sich bildete. 20

Dann würden sich die räsormirenden Aufsätze aber auch ausdehnen über Kunst

und Bildungstrieb, und der Charakter der Zeitschrift im Allgemeinen der der Huma-

nität sein.

Ich wollte Ihnen nur einigermaaßen den Geist und Karakter der Zeitschrift bezeichnen, in der Hofnung, daß diese wenigstens in ihrer 25 Tendenz nicht gegen Sie sündigen werde.

Wie viel mir daran gelegen ist, dabei durch Ihren Beitritt geehrt zu werden, vind wie viel die Sache und das Publikum dadurch ge-wönne, mag Ihnen meine Unbescheidenheit selbst beweisen. Ich würde auch ohne dieses die Bitte sicher nicht wagen, weil mir eine 30 abschlägige Antwort von Ihnen oder gänzliches Stillschweigen, zu viel bedeutet, als daß es mich ruhig lassen könnte. Ich werde alles thun, um durch möglichste Reife meiner eigenen Beiträge und durch die gütige Theilnahme verdienstvoller Schriftsteller, mit der ich mir schmeichle, dem Journale den Werth zu geben, dessen es 55 bedarf,

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B R I E F E 179 8 - 1 8 0 0 Nr.lSS

188. A N D I E S C H W E S T E R

Theure Schwester I

Ich würde mir es nicht verzeihen, daß ich mit dem Danke für Deinen lezten lieben Brief so lange gezögert habe, wenn ich nicht indeß so viele andre Briefe zu schreiben gehabt hätte, die ich unmög-

5 lieh aufschieben konnte, ohne mich in Verlegenheit zu sezen. Es ist auch nicht sowohl die Zeit, die mir gebrach, denn eine Stunde findet sich doch leicht, aber es wird mir nicht leicht, wenn ich mich in einem Tone beschäfftigen mußte, der zwischen uns beiden fremd ist, (so sehr es oft für mich Bedürfniß ist,) zu der Stimmung zurükzu-

10 kehren, in der ich gerne an Dich schreibe, und brüderlichere Worte zu finden, als die sind, worinn man sich schiklicher weise mit denen unterhalten kann die uns weniger vertraut sind.

Es ist für mich unendlich erfreulich, daß die schöne Theilnahme, zwischen uns beeden sich doch immer gleich bleibt, und daß wir im-

15 mer noch die Vorigen füreinander sind und ich glaube auch, daß sich aus unserer Jugend nichts leicht so lebendig daurend erhält, als die Liebe zwischen Geschwistern und Verwandten, und halte mich so gerne daran, als einen theuren Überrest meiner vergangnen Zeit, wenn ich fühle, daß jezt in mir imd um mich so manches anders ist,

20 als ehmals. So sehr mich mein Gemüth auch vorwärts treibt, so kann ich es doch nicht verläugnen, oft mit Dank und oft mit Sehnsucht an die Jugendtage zu denken, wo man noch mehr mit seinem Her-zen, als mit dem Verstände leben darf, und sich und die Welt noch zu schön fühlt, als um seine Befriedigung fast einzig im Geschafft und

2ä im Fleiße suchen zu müssen. Aber ich denke, wenn ich fühle, daß man nicht immer jung seyn

kan, und denk' es oft gerne, daß alles seine Zeit hat, und daß der Sommer im Grunde so schön ist, wie der Frühling, oder vielmehr daß weder der eine, noch der andere ganz schön ist, und daß die

30 Schönheit mehr in allen Lebenszeiten zusammen, so wie sie aufein-anderfolgen, besteht, als in einer einzigen. Und wie mit den Lebens-

351

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Nr.188 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

Zeiten, so ist es auch mit den Tagen. Keiner ist uns genug, keiner ist ganz schön, und jeder hat, wo nicht seine Plage, doch seine UnvoU-kommenheit, aber rechne sie zusammen, so kommt eine Summe von Freude und Leben heraus 1 — 35

Theuerstel ich habe Deinen Brief eben wieder durchlesen, \md schäme mich jezt fast. Dir auf Deüae gütigen Herzensworte indessen so etwas Allgemeines vorräsonirt zu haben.

Kann ich irgend mein jeziges Geschafft so weit in Gang bringen, daß ich auf den Herbst einige Wochen entbehren kann, imd find' ich eine 40 schikUche Auskunft, um wieder in meinen hiesigen Aufenthalt zu-rükzukehren, ohne daß es irgendwo im Vaterland auf eine bedeutende Weise auffällt, so will ich mir es wohl auch gönnen. Gute I in Deiner und Deines lieben Manns Gesellschaft und bei Deinen Kindern, und un-sem andern theuemVerwandten wieder einmal zu ruhn und zu leben. 45

Könnt' ich nur auch so viel Freude bringen, als ich empfangen werde! Aber was heißt das? Wir sind noch die Alten und sehn uns wieder. Das ist genug. Und Du erlaubst mir, in Deiner glüklichen Haushaltung zu leben, als gehört' ich auch dazu. — Wenn und wo werd' ich denn Dich einmal zu mir zu Gaste bitten, Liebe? Für mich 50 hab' ich was meine Wirthschaft betrift, genug. Ein paar hübsche kleine Zimmer, wovon ich mir das eine, wo ich wohne, mit den Kar-ten der 4 Welttheile dekorirt habe, einen eigenen großen Tisch im Speissaal der auch zugleich das Schlafzimmer ist, und eine Kom-mode daselbst, und hier im Kabinet einen Schreibtisch wo die Kasse 55 verwahrt ist, und wieder einen Tisch, wo die Bücher und Papiere hegen, tmd noch ein kleines Tischchen am Fenster, an den Bäumen, wo ich eigentlich zu Hauße bin, und mein Wesen treibe, und Stühle hab' ich auch für ein paar gute Freunde, Kleider die FüUe von Frankfurt her, wohlfeile Kost, die doch gesund ist, einen Garten am 60 Hauße, wo der Hausherr mir die Laube vergönnt, schöne Spazier-gänge in der Nähe, und mit den Ausgaben geht es seine einfache Ordnung, und nächstens bin ich vieleicht mein eigener Herr mit 500 fl jährhchem Einkommen, worüber ich Dir das nächstemal das weitere schreiben will. Das wäre auf eine Weile genug. Und wer 65

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.183

weiß, wie weit ich über kurz oder lange ins Bücherschreiben hinein-gerathe und Glük mache, dann werd' ich mich erst glänzend etabli-ren, und Dich einmal zu Gaste bitten.

Beste! verzeih mir das Gewäsche I Ich bin auch so Einer in meinem 70 Wesen, von dem man schiklicher weise nur halb im Scherze, halb im

Ernste sprechen kann. Ich verspreche Dir übrigens, niemals leichtsin-nig in den Tag hinein zu leben, und jedes bürgerliche Verhältniß, das sich anbieten sollte, wenn es zu mir paßt, und ich zu ihm passe, mit Freuden anzunehmen und mich in ihm festzusezen. Solange hab' ich ja

75 wohl noch Frist, als ich ohnediß ohne eigenen Heerd und ohne ein ei-gentliches Amt, leben müßte, und unserer guten Mutter nicht gainz beschwerlich falle.

Ich kam sehr ungerne daran, da diese gütige Mutter während meiner Universitätsjahre so viel für mich gethan hat, ihr gestehen

80 zu müssen, daß ich für dieses Jahr mit dem, was ich von Frankfurt brachte, nicht ganz ausreichte, wie ich dachte, da ich meine Maladie, und die fast vierteljährige Veränderung meiner Kost, zu der sie mich nöthigte, auch den harten Winter, und einige andere Ausgaben nicht voraussehn konnte. Ich habe mirs aber ausdrüklich und mit wieder-

85 hohltem Ernste ausbedungen, die 100 fl, die sie mir schiken will, und alles übrige, um das ich sie vieleicht im Nothfall noch bitten möchte, ja nicht unbemerkt zu lassen, und mich nur vor der Zeit, so viel es die Um-stände erfordern, auf diese Art auszusteuern. Ich betracht' es übrigens immerhin als Grosmuth von dieser guten Mutter, und meinen theuern

90 Verwcmdten, daß sie mit diesem Zutrauen meine Lage begünstigen, "besonders da unser lieber Karl in mancher Rüksicht, eher jezt einen Anspruch auf die Unterstüzimg der Mutter zu machen hat, als ich.

Ich genieße jezt einer fortdauernden Gesimdheit und kann deß-wegen heiter und thätiger und ruhiger seyn, und Du wirst es mir

95 nicht misdeuten, Beste, wenn ich Dir eben dadurch gestehe, wie sehr mein Gemüth und meine Geisteskräfte von meinem Körper abhien-gen. Aber eben das machte die Maladie in dem Grade mir unange-nehm, daß sie natürlicherweise so sehr mit dem Gemüthe zusam-menhieng, daß der kleinste unangenehme Gedanke, sie mir oft plöz-

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Nr.188 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

lieh erneuerte, und sie hinwiederum den Kopf mir schwächte und 100 unfähig machte. Mein Wille und meine Gedult konnte nur so weit reichen, daß ich nicht mürrisch wurde, und niemand beschwerlich fiel. Verzeih, daß ich Dir nochmal davon gesprochen habe.

Die Luft ist hier am Gebirge um ein ziemliches rauher als in Frankfurt oder bei uns droben. Das ist das einzige, was ich gegen die 105 Gegend und den Ort einzuwenden habe. Verzeih es mir der Himmel! und der Sommer ist nun auch um so angenehmer.

Du siehst, ich werde fast zu zärtlich, indeß ich das zärtliche Schwesterherz unterhalte. Aber das schadet nichts, so lang ich nur auch noch etwas anders, als diß bin. Ich sag' es oft zu einem wilden iio Freunde, den ich um mich habe; wir müssen fest und treu und un-erbittlich in dem se)m, was wir für wahr und gut erkennen, aber einzig und allein von Stahl und Eisen zu seyn, stehet uns nicht an, besonders bedanken sich die Poeten dafür.

Jeder Mensch hat doch seine Freude, und wer kann sie ganz ver- ii5 schmähen ? Die meine ist nun das schöne Wetter, die heitre Sonne und die grüne Erde und ich kann diese Freude mir nicht tadeln, sie heiße wie sie will, ich habe nun einmal keine andre in der Nähe, und hätt' ich noch eine andre, so würd' ich diese niemals doch verlassen, und ver-gessen , denn sie nimmtniemand nichts, und altertnicht, und der Geist 120 findet so viel Bedeutung in ihr; und wenn ich einmal ein Knabe mit grauen Haaren bin, so soll der Frühling und der Morgen und das Abend-licht mich Tag für Tag ein wenig noch verjüngen, bis ich das lezte fühle und mich ins Freie seze und von da aus weggehe — zur ewigen Jugend!

Grüße Deine lieben Kinder. Du hattest so recht,Theuerstel sie 125 wären ächte Tröster für mich, wenn ich ein sauer Gesicht machte, und mich anstellte, als wäre nichts als Noth und Zwist und Frost und Unrecht in der Welt, als lebte das Leben nicht, und als hätt' ich und andre Lebendigen kein Herz und keine Seele.

Leb wohl, theuerste I grüße mir Deinen verehrungswürdigen Gat- 130 ten und sag ihm, wie ich oft im Geiste mit ihm lebe und ihn achte.

Wie immer Dein

Bruder Hölderlin.

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.iS9

189. A N N E U F F E R

Ich schike Dir hier einige Gedichte, lieber Neufferl Ich wünsche, daß sie Dir nicht unangenehm seyn mögen. Da ich die Arbeit, die ich gegenwärtig unter den Händen habe, nicht wohl auf lange unter-brechen kann, so gab ich Dir eben, was ich da liegen hatte, und für das

5 Taschenbuch nicht ganz unbrauchbar schäzte. Wenn einige derselben vieleicht zu wenig populär sind, so taugen sie vieleicht für ernstere Le-ser, und versöhnen diese, die laider I oft eben so aufgelegt sind, unsere gefälligere Producte zu verdammen, als der entgegengesezteGeschmak es sich zum Geschäffte macht, alles wegzuwerfen, was nicht pur amü -

10 sant ist. Überdiß schik' ich ja noch eine Erzählung, so bald ich weiß, daß das Project mit dem Journale nicht fehlschlägt. Du siehest selbst, daß ich im entgegengesezten Falle so ziemlich genöthiget wäre, meine Zeit und meine Producte zu einem andern Plane zu sparen.

Empfiehl mich unserem Freunde Steinkopf. In jedem Falle wird 15 es mich freuen, durch mein Project mit diesem edeln Manne bekann-

ter geworden zu seyn. Dank ihm für seinen lezten freundschaftlichen Brief; ich würd' ihn eben izt auch beantworten; da ich aber den Brief an Matthison den ich einschließen soll, noch nicht geschrieben, so muß ich es auf den nächsten Posttag verschieben.

20 Ich freue mich, die klejne Epopee, die Du unter den Händen hast, bald vieleicht zu Gesicht zu bekommen.

Mit Landauer war ich vergnügt. Grüß ihn und dank ihm für seine Freundschaft in meinem Nahmen noch einmal.

Magst Du in einer müßigen Stunde mir bald wieder etwas schrei-25 ben, das mich erheitern kann, so wird es nicht umsonst sejTi; ein

froher Augenblik ist mir so wohlthätig zum Geschäffte. Grüße mir alle meine Freunde, und bitte sie, manchmal an mich

zu denken. Ich wollte Dich schon einigemal fragen, ob das Gedicht »kennst du die Hand« p.p. das ich im Taschenbuche von diesem Jahr

30 gelesen habe, von Bilfinger ist. Es ist gewiß nicht ohne Geschmak und poetische Anlage.

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Nr.189.190 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

Nun, gute Nacht, Lieber! Empfiehl mich besonders Deinem edlen Freunde, mit dem Du den Tacitus Hesest Die Stunde ist mir unver-geßlich, die ich in seiner Gesellschaft zu Frankfurt zugebracht habe.

Hölderlin. 35

Ich hab' es versucht, in Eines von Emerichs Gedichten etwas mehr Einfachheit und Harmonie zu bringen. Seine Gedichte enthalten, wie Du finden wirst zum Theil trefliche Gedanken. Aber auf der einen Seite wechseln die Töne nicht genug, auf der andern stimmen sie nicht genug zu einem karakteristischen Ganzen zusammen, und 40 das ist ihm wohl zu vergeben, denn es ist mehr oder weniger das Schiksaal nahmhafter Dichter unserer Zeit gewesen. Wenn die Fülle von Kraft und Stoff, die ihm, so viel ich ihn kenne, nicht abzuspre-chen ist, sich einmal organisirt, so kann ein treflicher Dichter aus ihm werden. Bölendorf ist ein reisender Kurländer, der sich einige 45 Zeit hier aufhielt, jezt aber in die Gegend von Jena abgereist ist, um dort mit den großen Schriftstellern nähere Bekantschaft zu machen.

Mit den andern Gedichten von Emerich kannst Du ja die nöthigen Veränderungen noch vornehmen.

190. A N F R I E D R I C H S T E I N K O P F

Homburg vor der Höhe, d. 23 Aug. 99.

Ich zögerte nur deßwegen mit dem versprochenen Briefe so lange, weil ich von Tage zu Tage hoffte, Ihnen eine vollständige Anzahl von Mitarbeitern nennen zu können. Mit Gewißheit kann ich Ihnen 5 nun folgende sagen.

Konz. Jung (Verf. einerÜbersezung des Ossians). Sophie Mereau.

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.t90

10 Heinze (Verf. des Ardinghello). Prof. Neeb (Verf. mehrerer interessanter philosophischer

Schriften). Prof. Schelling. Prof. Schlegel.

15 Von Ebel und Humbold in Paris hoffe ich baldige Antwort. So glaube ich auch, daß Lafontaine nicht fehlen wird. Von Matthison werden Sie schon Antwort haben, da er sich, wie ich höre, in Stut-gard aufhält. An Schillers Theilnahme zweifle ich. Übrigens würde sehr viel auf den Karakter und Gehalt der ersten Hefte ankommen,

20 um vieleicht ihn und Andere noch zur Theilnahme zu bestimmen. Er wünscht deshalb, ganz prononcirt den philosophisch - poetischen Charakter des

Journals zu bekennen.

Haben Sie nun die Güte, mich so schnell, wie nur immer möglich ist, Ihren Entschluß wissen zu lassen, damit ich die Mitarbeiter nicht

25 lange in Ungewißheit lassen muß, und meinem Lebens- und Ge-schäfftsplan seine Richtung geben kann. Die Ankündigung schike ich Ihnen, wenn Sie die Sache, so wie sie steht, vortheilhaft finden sollten,unmittelbar nach Empfang Ihres Briefes.

Da Sie besonders das gütige Zutrauen gegen mich geäußert haben, 30 meine Producte mit der Zeit vieleicht eigens herausgeben zu können,

so werden Sie auch von diesen lieber einen anderen, als blos epheme-ren Werth verlangen.

Möchten Sie vieleicht auch HE. Haug zu einigen Beiträgen auf-fordern? oder soU ich es thun, wenn es Ihnen gut dünkt? Empfehlen

35 Sie mich ihm, auch HE. Matthison, wenn Sie ihn sprechen sollten. Ich lege Ihnen hier ein Manuscript von einem jungen Dichter bei,

der sich, wie Sie finden werden, in Schillers AUmanach ausgezeichnet hat, und auch von Schiller selbst, wie ich weiß, sehr vortheilhaft beurtheilt worden ist. Wollen Sie es vieleicht verlegen?

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Nr.l91 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

191. A N D I E M U T T E R

Homburg, d. 27 Aug. 99.

Liebste Mutter!

Es sind nun schon wieder zehn Tage vorbei, daß ich auf einen Brief von Ihnen warte, und immer umsonst. Diß ist der vierte seit Anfang des Julius, den ich schreibe, ohne daß ich auf einen hätte 5 Nachricht von Ihnen erhalten. Ich suche alle mögliche Ursachen auf, um mir dieses gänzliche lange Stillschweigen der 1. Meinigen zu ent-räthseln; aber ich finde keine, die mir es ganz erklärte, wenn anders nicht Ihre und meine Briefe verloren gegangen sind. Ich habe aber von Stutgard indeß andre Briefe erhalten, auch Sinklair; und ich lo muß deßwegen denken, daß die Posten doch sicher gehn.

Darf ich Sie bitten, liebste Mutter! mir das Geld jezt zu schiken; ich habe nicht darauf gerechnet, daß unsre Korrespondenz würde 2 Monathe unterbrochen bleiben, sonst hätt' ich mich darauf einge-richtet, das Geld länger entbehren zu können; ich habe meinen 15 Hauszins vorausbezahlt, auf dieses Vierteljahr, auch sonst Ausgaben gemacht, die ich hätte noch aufschieben können, und so bin ich wirklich in einiger Verlegenheit, wenn es noch eine Weile anstehn sollte, bis ich das Geld von Ihnen erhalte.

Vor allem aber bitte ich Sie, so gewiß ich Ihrer bisherigen Güte 20 täglich würdiger zu werden suche, mich doch nicht länger in dieser Unruhe über Ihr Befinden zu lassen die mich wirklich nicht mit den Kräften, die mir nötig sind, mein Tagsgeschäfft treiben läßt.

Ich habe schon manchmal nach Verlauf einer Woche von Ihnen Ant-wort auf meinen Brief erhalten ; und wenn Sie diesen Brief erhalten, 25 und ich muß noch länger als anderhalb Wochen umsonst auf Antwort warten, so weiß ich wirklich nicht, wie ich mir aus dieser täglichen Unruhe heraushelfen soll. Ich habe auch dringend an den 1. Karl ge-schrieben, daß er mir doch Nachricht geben möchte von Ihnen, im Fall Sie diesen Brief auch nicht bekämen.Wenn Sie nur wohl sind! 30

Wie immer Ihr getreuer Sohn

Friz. 358

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.l92

192. A N D I E M U T T E R

Homburg, d. 3 Sept. 99.

Tausend Dank, theuerste Mutter! für die Freude, die mir Ihr lie-ber Brief gemacht hat, da ich nun doch wieder Nachricht von den 1. Meinigen habe, und in der Ungewißheit wegen Ihnen, liebste Mut-

5 ter nicht mehr leben muß. Ich glaube, nach allem, was ich von dem Gange der Post verstehe,

und nach den Erkundigungen, die ich diesen Abend bei dem hiesigen Postmeister eingezogen habe, daß wir wegen des Gelds so ziemlich ruhig seyn können. Es ist nemlich sehr möghch, daß der Postwagen

10 seit dem 20sten August noch gar nicht in Frankfurt angekommen ist, und daß er indessen irgendwo unterwegs geblieben ist, vieleicht in Hei-delberg. Nur, denk ich, muß der Postmeister in Stutgard durch die Briefpost Nachricht von dem Postwagen erhalten haben, es wird ihm also nicht unmöglich seyn, Ihnen Nachrichtzu geben, wo das Geld liegt.

15 Sie können wohl die Anfrage machen, vorerst, ohne daß diese An-frage schon wie die Forderung um Rechenschaft aussieht; ich werde mich morgen in Frankfurt erkundigen, durch meinen Hausherrn, der dahin geht, ob der Postwagen seit dem 20sten Aug. schon einmal in Frankfurt angekommen ist, woran ich aber zweifle. In jedem

20 Falle, will ich Ihnen morgen oder übermorgen wieder schreiben, auch aus dem Grunde, daß Sie um so sicherer wenigstens Einen Brief von mir erhalten, und da ich Ihnen vieleicht im nächsten Briefe etwas näheres über die Sache schreiben kann, so bitte ich, noch einige Tage mit dem Briefe an den Postmeister in Stutgard zu warten. Der

25 Postschein gilt ein ganzes Vierteljahr lang, und ich höre, daß er Sie sicher entschädigen müßte, wenn das Geld verloren gienge. Es kann auch gar nicht fehlen, daß er nicht erfährt, wo und durch wen es ver-loren gegangen ist; aber ich bin ziemlich ohne Sorge über diese Mög-lichkeit.

30 Ich danke Ihnen indessen herzUch, liebste Mutter für diese gütige Unterstützung und ich hoffe daß Sie so bald nicht mehr durch mich

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Nr.209.210 B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4

in e i n e so lche b e t r ä c h t l i c h e A u s g a b e gesezt w e r d e n . I c h k a n n m i r

w o h l d e n k e n , w i e w e n i g I h n e n b e i d e n i z i g e n U m s t ä n d e n e n t b e h r -

l i c h ist . Bis izt h a b e i c h m e i n e g e w ö h n l i c h e L e b e n s a r t n o c h n i c h t e i n -

z u s c h r ä n k e n g e b r a u c h t u n d i c h h o f f e m i t d e r a n s e h n l i c h e n S u m m e , 35

d ie Sie m i r z u g e s c h i k t h a b e n , so l a n g e a u s z u r e i c h e n , bis s ich e i n e

A u s s i c h t a u f e i n s icheres A u s k o m m e n f ü r m i c h f i n d e t .

M i t d e r H e r a u s g a b e m e i n e s Journals ist es n o c h i m m e r n i c h t e n t -

s c h i e d e n ; Sch i l l er s chr ieb m i r n e u l i c h , d a ß er m i r z u e i n e r s o l c h e n

B e s c h ä f f t i g u n g , d i e m e i n e n A r b e i t e n gar z u v i e l A b h ä n g i g k e i t g e b e n 40

w ü r d e , n i c h t g a n z r a t h e ; i ch m ö c h t e i h m a b e r e twas b e s t i m m t e s v o n

m e i n e r L a g e s c h r e i b e n , v i e l e i c h t k ö n n e e r m i r e t w a s v o r s c h l a -

g e n , w a s m e h r m e i n e m W u n s c h e g e m ä ß w ä r e . So v i e l ü b e r

m e i n e L a g e , l i e b e , t h e u r e M u t t e r . — Sinkla ir , d e r d iesen A b e n d b e i

m i r w a r , d a n k t I h n e n h e r z l i c h f ü r das g e g e n i h n g e ä u ß e r t e Z u t r a u e n ; *5

i c h k a n n s i cher i m N o t h f a l l a u f i h n r e c h n e n ; — a u c h h a t m e i n b r a v e r

H a u s h e r r , w i e e r h ö r t e , d a ß m i r G e l d a u s g e b l i e b e n se i , s i ch g l e i c h

v o n f r e i e n S t ü k e n e r b o t e n , m i r a u s z u h e l f e n , w e n n i c h se iner b e n ö -

t h i g e t w ä r e . D i e g u t e n L e u t e s o rgen ä u ß e r s t r e d l i c h f ü r m i c h u n d

s ind m i r o h n e E i g e n n u z e r g e b e n . so

W i e sehr b e d a u r e i c h d e n g u t e n H E . S c h w a g e r , u . m e i n e t h e u r e

S c h w e s t e r 1 So m u ß t e d o c h m e i n e S o r g e n i c h t g a n z u n g e g r ü n d e t

s e y n ! I c h h o f f e f ü r d e n e d l e n M a n u . m e i n e S c h w e s t e r u . f ü r u n s a l le .

I h r

F r i z . 55

I c h h o f f e , l i ebste M u t t e r , d a ß Sie in N ü r t i n g e n es so z i e m l i c h r u h i g

b e h a l t e n w e r d e n . N u r d ie L a g e v o n B l a u b e u r e n b e u n r u h i g e t m i c h

e i n w e n i g . A b e r ists d o c h b i sher i m m e r n o c h g u t g e g a n g e n . Be i u n s

in H o m b u r g u . d e r G e g e n d ist es g a n z r u h i g .

360

Page 374: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4 Nr.209

193. A N D I E M U T T E R

H o m b u r g , d . 4 Sept . 9 9 .

L i e b s t e M u t t e r I

E b e n h a b e i ch das G e l d u n d I h r e n schäzbaren B r i e f v o m 1 5 t e n

A u g . e r h a l t e n . D i e s e g ü t i g e H ü l f e , u n d d e r M u t t e r s e e g e n , w o m i t

5 sie b e g l e i t e t ist , w i r d w o h l n i c h t o h n e F r ü c h t e s e j m ; u n d i ch k a n n

I h n e n k e i n e n besseren D a n k s a g e n , als d a ß i ch das E m p f a n g e n e dazu

v e r w e n d e n w e r d e , u m n o c h e i n i g e Z e i t in t ä g l i c h e m F l e i ß e z u l e b e n ,

besonders d e m W e r k e , das i ch u n t e r d e n H ä n d e n h a b e , n o c h alle

V o l l k o m m e n h e i t z u g e b e n , d i e in m e i n e n K r ä f t e n l i e g t ; u n d k a n n

10 i ch a u c h f ü r d i ß m a l n i c h t d ie A u f m e r k s a m k e i t m e i n e s d e u t s c h e n

Vater lands so w e i t v e r d i e n e n , d a ß d ie M e n s c h e n n a c h m e i n e m G e -

b u r t s o r t u n d m e i n e r M u t t e r f r a g e n , so w i l l i ch es , so G o t t w i l l ! in

Z u k u n f t n o c h d a h i n b r i n g e n . D e n n das ist d o c h e i g e n t l i c h d e r e i n -

z i g e , a u c h d e r süßes te G e w i n n f ü r al le V e r l ä u g n u n g u n d alle d i e

15 l i ebe M ü h e , o h n e d i e d e r Schr i f t s te l ler n i chts w e r d e n k a n n , d a ß e r

s ich u n d d e n N a h m e n d e r S e i n i g e n u n t e r sein V o l k u n d u n t e r d ie

N a c h w e l t b r i n g t . U n d das s ind k e i n e W o r t e , t h e u r e M u t t e r !

S o r g e n Sie a u c h n u r f ü r m e i n e G e s u n d h e i t n i c h t ! I c h w e i ß es

w o h l , d e r G e i s t n i m m t d e m K ö r p e r K r ä f t e , aber er g i e b t sie i h m a u c h ,

20 u n d e i n e e i n z i g e S t u n d e , w o m a n m i t Z u f r i e d e n h e i t n a c h d e r A r b e i t

a u s r u h t , ersezt v i e l e i c h t e i n e W o c h e , w o es e i n e m etwas sauer w e r -

d e n m u ß t e . Ü b e r d i ß b i n i ch jezt besonders g e s u n d , u n d d a n k e es d e m

g ü t i g e n H i m m e l , d e r m i r m e i n e J u g e n d k r ä f t e u n t e r m a n c h e m L a i d e

bis h i e h e r so w e i t n o c h e rha l t en h a t .

25 W ä r e n u r m e i n e g u t e S c h w e s t e r a u ß e r S o r g e u n d ihr l i eber M a n n

g e s u n d ! O d e r k ö n n t e i c h n u r d e n k e n , d a ß es n i c h t g e f ä h r l i c h is t !

S c h r e i b e n Sie d o c h I h m u n d I h r v o n m e i n e r h e r z l i c h e n T h e i l n a h m e .

D ü r f t ' i ch h o f f e n , d a ß W o r t e v o n m i r d e n e d l e n M a n n e twas e r h e i -

t e r n k ö n n t e n , so w ü r d ' i c h g e r n e diese T a g e i h m r e c h t v i e l s chre i -

30 b e n . I c h h a b e o h n e d i ß s c h o n m a n c h m a l dieses in G e d a n k e n g e t h a n .

S ie h a b e n w o h l r e c h t , d a ß e in paar b r ü d e r l i c h e W o r t e v o n u n s r e m

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Page 375: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.19} B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

K a r l s chon g e n u g s ind , u m m i r F r e u d e z u m a c h e n . So sehr m i c h j e d e r

Fortschr i t t se iner G e i s t e s b i l d u n g u n d j e d e se iner Ü b e r z e u g u n g e n u n d

K e n n t n i s s e interess i r t , so e h r i ch d o c h das H e r z , u n d m e i n e s B r u d e r s

H e r z z u sehr , als d a ß m i r n i c h t g e n ü g e n k ö n t e , w a s aus d i e s e m 35

k o m m t . E r w i r d s chon a b e r e twas ö f t e r ans B r i e f s c h r e i b e n k o m m e n ,

w e n n er etwas älter g e w o r d e n ist, d ieser k a r g e B r i e f s c h r e i b e r . Sie

w i s sen a u c h w o h l , w i e ichs sonst d a m i t h i e l t . O h n e u n z ä r t l i c h g e g e n

d ie S e i n i g e n zu s e y n , ist m a n d o c h in se inen s c h ö n e n J a h r e n e twas

m e h r sich selbst g e n u g . A b e r w e n n m a n e i n e W e i l e in d e r ka l t en 40

W e l t h i n u n d h e r g e l e b t h a t , d a n n w i r d m a n erst e i n e r so t r e u e n

T h e i l n a h m e , w i e d ie z w i s c h e n E l t e r n u n d K i n d e r n u n d G e s c h w i -

stern ist , r e c h t b e d ü r f t i g . W e n i g s t e n s ist d i ß m e i n e E r f a h r u n g .

Es f r e u t m i c h , d a ß d i e g u t e L e b r e t e i n e n so g u t e n Meinn sich

w ä h l t e , w i e Oster tag ist. Sie w i r d g l ü k l i c h e r m i t i h m s e j o i , als sie es 45

m i t m i r g e w o r d e n w ä r e . W i r t a u g t e n n i c h t r e c h t z u s a m m e n , u n d es

ist das t r a u r i g e be i s o l chen j u g e n d l i c h e n B e k a n t s c h a f t e n , d a ß m a n

sich erst k e n n e n l e r n t , w e n n m a n sich s chon g e g e n s e i t i g a t tach ir t hat .

So sehr i ch d i ß b e i m e i n e m lez ten A u f e n t h a l t in W i r t e m b e r g f ü h l t e ,

so w a r i c h d o c h , w i e Sie se lber w i s s e n , fest g e s o n n e n , n i c h t l e i ch ts in - 50

n i g a b z u b r e c h e n . A b e r sie sah es selbst e i n , sie m u ß t e s ich a u c h w o h l

e r i n n e r n , d a ß sie m i r n o c h in T ü b i n g e n B e w e i s e g e n u g g e g e b e n

h a t t e , d a ß sie sich in m e i n W e s e n n i c h t r e c h t zu f i n d e n w u ß t e , u n d

d a ß w i r b e e d e s chon damals m e h r aus e i n e r g e g e n s e i t i g e n G e f ä l l i g -

ke i t , als aus w a h r e r H a r m o n i e d ie B e k a n t s c h a f t f o r t sez ten . Ü b e r d i ß 55

w o l l t e es s ich n i c h t r e c h t zu m e i n e m L e b e n s p l a n u n d z u d e n U m -

s t ä n d e n , u n t e r d e n e n w i r l e b e n , s c h i k e n , d a ß i ch so f r ü h e B r ä u t i g a m

s e y n sol l te . So w i e i ch j ez t m i c h u n d u n s e r e Z e i t k e n n e , ha l te i ch es

f ü r N o t h w e n d i g k e i t , a u f solches G l ü k , w e r w e i ß , w i e l a n g e V e r z i c h t

zu t h u n , u n d i ch w e i ß aus E r f a h r u n g , d a ß m a n a u c h e i n H a g e s t o l - 60

z e n l e b e n m i t W ü r d e f ü h r e n k a n n . W e n n i ch a u c h P f a r r e r w ü r d e , so

w ü r d e i c h , w e n n es anders n i c h t g a n z g e g e n I h r e W ü n s c h e w ä r e ,

l i eber n o c h u n v e r h e u r a t h e t l e b e n , u n d w e n n Sie s ich z u r H a u s m u t t e r

e n t s c h l i e ß e n k ö n n t e n , o d e r i ch d o c h in I h r e r N ä h e l e b t e , so w ä r e d i ß

m i r g e n u g . — 65

362

Page 376: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.i93.194

I c h h o f f e , l iebste M u t t e r ! d a ß d e r K r i e g Sie u n d d i e l i e b e n U n s -

r i g e n w e n i g s t e n s n i c h t in d e r N ä h e b e u n r u h i g e n w i r d . W i e u n s e r

a r m e s L a n d u n t e r A b g a b e n u . s . w . l e i d e n m u ß , w e i ß i ch f r e i l i ch n u r

z u g u t , u n d ich d e n k e j e d e s m a l a u c h an Sie d a b e i , d e n n w e n n

70 s c h o n I h r E i n k o m m e n so g e r i n g n i c h t ist, so hä l t es d o c h i m m e r

s c h w e r , blos v o n Z i n s e n des Kapitals n e b e n d e n H a u s h a l t u n g s k o s t e n

n o c h so v i e l a n d e r e A u s g a b e n zu b e s t r e i t e n , u n d es ist e in t r a u r i g e r

T r o s t , d a ß jezt d i e h a l b e W e l t a u f diese u n d n o c h a n d e r e A r t l e ide t .

I c h h o f f e d e n F r i e d e n v o n H e r z e n , u n d hal te i h n a u c h aus d e n a l l g e -

75 m e i n s t e n G r ü n d e n f ü r n ö t h i g u n d h e i l s a m u n d v o n u n a b s e h l i c h e r

W i c h t i g k e i t . V i e l e i c h t ist er a u c h so e n t f e r n t n i c h t , als es s che in t .

D o c h ist d i ß e b e n e i n e V e r m u t h u n g v o n m i r . — U n t e r d e n j e z i gen

U m s t a n d e n w i r d es f r e i l i c h n i c h t r a t h s a m s e y n , e i n e R e i s e n a c h

W i r t e m b e r g zu m a c h e n . W i e sehr es m e i n W u n s c h ist , S i e , l iebste

80 M u t t e r u n d d ie l i e b e n U n s r i g e n n a c h so l a n g e r Z e i t e i n m a l w i e d e r

z u s e h e n , k ö n n e n Sie sich w o h l d e n k e n . V i e l e i c h t f i n d e n sich aber

ba ld g ü n s t i g e r e Z e i t e n . N o c h m u ß i ch I h n e n s a g e n , d a ß S ie , so v i e l

i ch m i r d e n k e n k a n n , s ich k e i n e U n r u h e w e g e n des Kons i s t o r iums

m a c h e n d ü r f e n . M a n w e i ß w a h r s c h e i n l i c h , d a ß i ch h i e r pr ivat i s i re ,

85 u n d ist so b i l l i g , m i c h r u h i g zu lassen , w e i l m a n d o c h e r f a h r e n k a n n ,

d a ß i ch m e i n e Z e i t n i c h t v e r s c h w e n d e . — D e r 1. Fr . G r o s m a m m a

taus. herz l . E i n p f .

I h r

Fr iz .

194. A N S C H I L L E R

I c h k a n n I h n e n d e n D a n k n i c h t a u s d r ü k e n , V e r e h r u n g s w ü r d i g -

ster , f ü r d ie G r o s m u t h , w o m i t Sie m i r m e i n e u n s c h i k l i c h e Bi t te b e -

a n t w o r t e t h a b e n , u n d i c h d a r f Sie v e r s i c h e r n , d a ß d ie g ü t i g e n W o r t e ,

w o m i t Sie m i c h e r f r e u t e n , so g u t ree l l e r G e w i n n f ü r m i c h s ind , als

5 i r g e n d e i n e a n d e r e H ü l f e , d i e i ch w ü n s c h e n k o n n t e . D e r S e e g e n

e ines g r o ß e n M a n n e s ist f ü r d i e , d i e i h n e r k e n n e n o d e r a h n d e n , d i e

bes te H ü l f e , w e n i g s t e n s b e d u r f t ' i ch diese v o n I h n e n a m ers ten . I c h

363

Page 377: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.19* B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

habe lange darinn gefehlt, daß ich Ihren Umgang, Ihre gütigeTheil-nahme immer erst verdienen wollte; ich entzog mich deßwegen Ihrer Gegenwart, und behielt mir es vor, mich Ihnen einmal zu 10 nähern, wenn ich gerechteren Anspruch auf die Aufmerksamkeit machen könnte, deren Sie mich würdigten, und habe mich durch diesen falschen Stolz um den wohlthätigen Einfluß Ihrer Belehrung und Aufmunterung gebracht, deren ich weniger als andre entbehren konnte, weil mein Muth und meine Überzeugungen nur zu leicht 15 durch ungünstige Einwirkungen des gewöhnlichen Lebens geirrt und geschwächt werden.

Den schäzbaren Rath, den Sie mir schon vor einiger Zeit gegeben, xmd in Ihrem lezten Briefe wiederhohlt haben, ließ ich mir nicht ganz umsonst gesagt seyn, und suche mich alles Emsts in dem Tone 20 vorzüglich auszubilden, der ohne kapricios zu seyn meiner natür-lichen ungestörten Sinnesart am nächsten zu liegen schien, und ich habe es mir zur Maxime gemacht, erst in irgend einer Art des Dich-tens vest zu werden, und Karakter zu gewinnen, ehe ich nach einer Gewandtheit strebe, die nur dessen Eigentum seyn kann, der einmal 25 einen sichern Standpunct gewonnen hat. Ich glaubte jenen Ton, den ich mir vorzüglich zu eigen zu machen wünschte, am vollstän-digsten und natürlichsten in der tragischen Form exequiren zu kön-nen, und habe mich an ein Trauerspiel, den Tod des Empedokles, gewagt, und eben diesem Versuche habe ich die meiste Zeit meines 30 hiesigen Aufenthalts gewiedmet. — Ich gestehe Ihnen, daß ich nicht ohne Beschämung dieses Geständniß thun kann, und Ihnen am wenigsten. So ist mir seit ich die tragische Schönheit etwas gründ-licher erkenne, \mi nur Eines zu nennen, die Composition der Räu-ber, in ihrem Wesentlichen, und besonders die Scene an der Donau, 35 als Mitte des Gedichts, so groß und tief und ewigwahr erschienen, daß ich schon diese Erkentniß für verdienstlich hielt, und mir längst die Erlaubniß von Ihnen erbitten wollte meine Gedanken einmal schriftlich auszuführen — und damit haben Sie einst angefangen — edler Meister! — Ihren Fiesko habe ich auch studirt und gerade auch 40 wieder den innem Bau, die ganze lebendige Gestalt, nach meiner

364

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B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4 Nr.217. 2iS. 219

Einsicht das Unvergänglichste des Werks, noch mehr als die großen und doch so wahren Karaktere, und glänzenden Situationen und ma-gischen Farbenspiele der Sprache bewundert. Die Übrigen stehen

•5 mir noch bevor und es wird mir wohl nicht leicht werden, den Karlos mit Verstand zu lesen, da er lange Zeit die Zauberwolke war, in die der gute Gott meiner Jugend mich hüllte, daß ich nicht zu frühe das Kleinliche und Barbarische der Welt sah, die mich umgab.

Vergeben Sie, Verehrungswürdiger 1 wenn Sie diese Aeußerungen, so die wenigstens recht buchstäblich wahr sind, nicht ganz schiklich

finden sollten. Aber ich müßte nur ganz gegen Sie schweigen, oder mich sehr allgemein gegen Sie äußern, was ich auch gerne gewöhn-lich gegen Sie beobachte, wenn ich mir zuweilen eine Ausnahme gönnen darf.

S5 Sie erlauben mir Ihnen von meiner Lage, etwas Genaueres zu sagen. Sie ist so, daß ich sie ohne ziemliche Inkonvenienz wohl nicht mehr länger, ab einige Monathe fortsezen kann. Ich hatte durch meine kleinen schriftstellerischen Arbeiten und durch das Hofmei-sterleben so viel Reichtum gewonnen, daß ich hoffen konnte, wenig-

60 stens so lange unabhängig zu leben, bis ich mein Trauerspiel zu eini-ger Reife gebracht hätte. Aber eine Kränklichkeit, die beinahe den ganzen Winter und noch einen Theil des Sommers dauerte, nöthigte mich einestheils meine frugale Lebensart zu ändern, andemtheils benahm sie mir auch von meiner Zeit tmd meinen Kräften mehr,

65 als dem Plane gemäß war.

die doch auch zu sehr in ihrer eigenen Sache leben, um fortdauernd beizutragen, weim sie mir auch gleicher wären, als Sie, Verehrungs-würdigster, imd schiklicher weise eher in meine Gesellschaft für ge-wöhnlich gebeten werden könnten.

365

Page 379: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.222 .22} B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4

195. A N S U S E T T E G O N T A R D

Theuerste I

Nur die Ungewißheit meiner Lage war die Ursache, warum ich bisher nicht schrieb. Das Project mit dem Journale, wovon ich Dir schon, nicht ohne Grund, mit so viel Zuverlässigkeit schrieb, scheint mir scheitern zu wollen. Ich hatte für meiae Wirksamkeit und mein 5 Auskommen und meinen dasigen Aufenthalt in Deiner Nähe mit so viel Hofnung darauf gerechnet; jezt hab' ich noch manche schlimme Erfahrung machen müssen zu den vergebenen Bemühungen und Hofnungen. Ich hatte einen sichern anspruchlosen Plan entworfen; mein Verleger wollte es glänzender haben; ich sollte eine Menge lo berühmter Schriftsteller, die er für meine Freunde hielt, zu Mitar-beitern engagiren, und wenn mir gleich nichts Gutes bei diesem Ver-suche ahndete, so ließ ich Thor mich doch bereden, um nicht eigen-sinnig zu scheinen, und das liebe allgefällige Herz hat mich in einen Verdruß gebracht, den ich Dir laider! schreiben muß, weil wahr- 15 scheinlich meine zukünftige Lage, also gewissermaaßen das Leben, das ich für Dich lebe, davon abhängt. Nicht nur Männer, deren Ver-ehrer mehr als Freund ich mich nennen konnte, auch Freunde, Theure! auch solche, die nicht ohne wahrhaften Undank mir eine Theilnahme versagen konnten — ließen mich bis jezt — ohne Ant- 20 wort, und ich lebe nun volle 8 Wochen in diesem Harren und Hoffen, wovon gewissermaaßen meine Existenz abhängt.Was die Ursache dieser Begegnung seyn mag, mag Gott wissen. Schämen sich denn die Menschen meiner so ganz?

Daß diß nicht wohl der Fall vernünftiger weise seyn kann, zeugt 25 mir doch Dein Urtheil, Edle, und das Urtheil einiger weniger, die mir auch wahrhaft treu in meiner Angelegenheit sich zugesellten, z. B. Jung in Mainz, dessen Brief ich Dir beilege. Die Berühmten nur, deren Theilnahme mir armen Unberühmten zum Schilde die-nen sollte, diese ließen mich stehn, und warum sollten sie nicht? 30 Jeder, der in der Welt sich einen Nahmen macht, scheint ja dem

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.19S.i96

ihrigen einen Abbruch zu thun; sie sind dann schon nicht mehr so einzig und allein die Gözen; kurz, es scheint mir bei ihnen, die ich mir ungefähr als meines gleichen denken darf, ein wenig Hand-

3S werksneid mitunter zu walten. Aber diese Einsicht hilft mich nichts; ich habe fast 2 Monathe unter Zubereitungen zu dem Journale ver-loren , und kann nun, um mich nicht von meinem Verleger länger herumziehen zu lassen, wohl nichts besseres thun, als ihm zu schrei-ben, ob er nicht lieber die Producte, die ich für das Journal bestimmt

40 hatte, geradezu annehmen wolle, was dann freilich in jedem Falle meine Existenz mir nicht hinlänglich sichern würde.

Und so hab' ich denn im Sinne, alle Zeit, die mir noch bleibt, auf mein Trauerspiel zu wenden, was ungefähr noch ein Vierteljahr dauern kann und dann muß ich nach Hauße oder an einen Ort, wo

•5 ich mich durch Privatvorlesungen, was hier nicht thunlich ist, oder andere Nebengeschäffte erhalten kann.

Verzeih, Theuerstel diese gerade Sprache! Es wäre mir nur schwerer geworden, daim Dir das Nöthige zu sagen, wenn ich das, was mein Herz gegen Dich, Liebe, äußert, hätte laut werden lassen,

50 und es ist auch fast nicht möglich, in einem Schiksaal, wie das mei-nige ist, den nöthigen Muth zu behalten, ohne die zarten Töne des innersten Lebens für Augenblike darüber zu verlieren. Eben deß-wegen schrieb ich bisher

196. AN FRANZ W I L H E L M J U N G

Ist in sehr gedrückter Lage: sein Journalverleger sei wegen des Krieges und an-

derer Ursachen willen wieder unschlüssig worden. Ich erwarte nur noch einen

Brief von Schiller, der entscheiden wird, ob es Sachsen zu oder nach Hauße geht. Ich mag nicht sagen, wie ungern ich diese Gegenden

s verlasse etc.

367

Page 381: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.210.2}! B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4

197. A N D I E M U T T E R

H o m b u r g , d . 8 O c t . 9 9 .

L i e b s t e M u t t e r !

I c h hätte I h n e n b ä l d e r g e s c h r i e b e n , w e n n i c h I h n e n n i c h t v o n

m e i n e r g e g e n w ä r t i g e n L a g e g e r n e i n e g e n a u e r e N a c h r i c h t g e g e b e n

hät te . I c h w o l l t e d e ß w e g e n e i n i g e B r i e f e a b w a r t e n , d i e a u f m e i n e 5

k ü n f t i g e E x i s t e n z E i n f l u ß h a b e n . Bis j ez t k a n n i ch I h n e n a b e r n u r so

v i e l G e w i s s e s s a g e n , d a ß i ch e n d ü c h m i t m e i n e m B u c h h ä n d l e r ü b e r

das J o u r n a l i m R e i n e n b i n , d a ß es v o r s ich g e h e n w i r d , u n d d a ß i ch

i h m v e r s p r o c h e n h a b e , m o n a t l i c h e i n i g e B o g e n z u l i e f e r n , d e r e n

j e d e n er m i r m i t e i n e r K a r o l i n b e z a h l t , u n d d a ß er , w e n n er L u s t h a t , l o

m e i n e B e i t r ä g e z u d e m J o u r n a l e n a c h e i n i g e r Z e i t b e s o n d e r s z u

d r u k e n u n d h e r a u s z u g e b e n , dasselbe m i r w i e d e r m i t 11 f l f ü r d e n

B o g e n h o n o r i r t . I n d e s s e n h a b e i ch d ie e i g e n t l i c h e H e r a u s g a b e u n d

g a n z e B e s o r g u n g des Journa l s , a u f Schi l lers A n r a t h e n a b g e l e h n t ,

w e i l m i r d ie K o r r e s p o n d e n z m i t a n d e r n , d i e a m J o u r n a l e a r b e i t e n 15

U.S .W, zu v i e l e Z e i t h i n w e g n e h m e n w ü r d e , als d a ß i c h das , w a s i c h

e i g e n t l i c h s c h r e i b e n m ö c h t e , m i t g e h ö r i g e r R u h e u n d A u f m e r k s a m -

k e i t b e t r e i b e n k ö n n t e . Ü b e r h a u p t h ä t t e m i r das m ü h s a m e G e s c h ä f t

d e r K o r r e s p o n d e n z u n d des S a m m e i n s v o n B e i t r ä g e n , u . a n d e r e s w a s

n o c h m i t d e r g a n z e n B e s o r g u n g des Journals v e r b u n d e n ist , z u w e n i g 20

e i n g e t r a g e n , als es m i c h Z e i t gekos te t h ä t t e . W e i l a b e r d i e E i n n a h m e

d ie i c h j ez t f ü r d ie B e i t r ä g e z u m J o u r n a l e h a b e , d o c h w o h l n i c h t g a n z

h i n r e i c h t z u e i n e r g e s u n d e n L e b e n s a r t , so h a b ' i ch Sch i l l e rn a u f s e i n e

e i g e n e V e r a n l a s s u n g g e s c h r i e b e n , d a ß e r m i r in se iner N ä h e , w e n n

es m ö g l i c h i r g e n d e i n e n k l e i n e n P o s t e n v e r s c h a f f e n m ö c h t e , d e r m i c h 25

n i c h t g a n z bes chä f f t i g t e , u n d n o c h e i n k le ines E i n k o m m e n z u m e i n e n

schr i f t s te l l er i schen E r w e r b n i s s e n m i r z u g ä b e . I c h e r w a r t e a l le T a g e

d ie A n t w o r t . Es w ä r e u m so m e h r n a c h m e i n e m W i m s c h e , w e n n

Sch i l l e r m e i n e B i t te real is i ren k ö n n t e , w e i l m i r sein U m g a n g so y o r -

t h e i l h a f t i n m a n c h e r R ü k s i c h t i s t . W i r d a b e r daraus v o r d e r H a n d 30

n i c h t s , w a s i c h f r e i l i c h n i c h t h o f f e , so h ä t t ' i c h fast i m S i n n e , n a c h

368

Page 382: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4 Nr.229.230

S t u t g a r d z u g e h e n , i i n d d a e i n e r k l e i n e n A n z a h l e r w a c h s e n e r j u n g e r

L e u t e P r i v a t v o r l e s u n g e n zu h a l t e n , w a s , so v i e l i ch a u f d i e N a c h -

f r a g e e r f a h r e n h a b e , n i c h t u n t h u n l i c h w ä r e . B e k o m m ' i ch a b e r v o n

35 Schi l l er e i n e e r w ü n s c h t e A n t w o r t , so b i n i ch so f r e i , l iebste M u t t e r I

e h ' i ch n a c h Sachsen abre i se , n o c h e i n i g e Z e i t be i I h n e n u n d d e n l i e -

b e n U n s r i g e n z u z u b r i n g e n . So l l te d i ß n o c h d iesen W i n t e r g e s c h e h n ,

so k a n n es S ie n i c h t s tören in I h r e m e i g e n e n P l a n e . M e i n v e r e h r u n g s -

w ü r d i g e r H E . S c h w a g e r u n d m e i n e l i ebe S c h w e s t e r w e r d e n m i c h

40 w o h l a u c h a u f e i n paar W o c h e n a u f n e h m e n , u n d d a n n h a b e i c h ja

n o c h m a n c h e F r e u n d e u n d B e k a n n t e , b e i d e n e n i ch m i c h e i n i g e Z e i t

w o h l a u f h a l t e n d a r f u n d m u ß .

S c h i k e n S ie das G e l d n i c h t w e g , v o n d e m Sie s a g t e n . I c h h a b e

i n e i n e R e c h n u n g g e m a c h t , h a b e i n d e ß e i n i g e K l e i n i g k e i t e n e i n g e -

•5 n o m m e n , u n d b e d a r f so b a l d n i chts w i e d e r . I m u n v o r h e r g e s e h e -

n e n N o t h f a l l k a n n i c h o h n e a l le I n k o n v e n i e n z m i r d u r c h S inkla ir

a u s h e l f e n ; d ieser w i l l m i c h o h n e d i ß n i c h t v o n h i e r w e g l a s s e n , u n d

t h u t d e ß w e g e n g e r n e , w e n n es n ö t i g s e y n so l l te , f ü r m i c h e t w a s . I c h

b i t te Sie also w i e d e r h o h l t , n i ch t s w e g z u s c h i k e n . N e h m e n Sie f ü r das

50 E m p f a n g e n e n o c h m a l m e i n e n herz l i chs ten D a n k . F ü r d ie H a n d -

s c h u h e , d i e m i c h so sehr f r e u t e n , u n d a u f d i e i ch e i n e n b e s o n d e r e n

W e r t h l e g e , als e i n Z e i c h e n I h r e r G ü t e , h a b e i ch I h n e n n o c h gar k e i -

n e n D a n k gesagt . Es w a r g e w i ß n i c h t U n a c h t s a m k e i t des H e r z e n s ,

a b e r w o h l des K o p f s .

S5 I c h b i n r e c h t sehr b e g i e r i g a u f n e u e N a c h r i c h t e n v o n I h n e n , b e s o n -

ders a u c h , w i e es m i t d e r G e s u n d h e i t m e i n e s t h e u e m H E . S c h w a g e r s

g e h t . V i e l e i c h t m a g m i r m e i n e g u t e S c h w e s t e r a u c h b a l d w i e d e r

s c h r e i b e n .

D i e P o s t w i U b a l d a b g e h n . I c h m u ß t e d e ß w e g e n e i l e n . E m p f e h l e n

60 S ie m i c h d e r 1. Fr . G r o s m a m m a u n d al le d e n w e r t h e n U n s r i g e n

W i e i m m e r

I h r

e r k e n t l i c h e r S o h n

Fr i z .

369

Page 383: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.l9S B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

198. A N S ü S E T T E G O N T A R D

H i e r u n s e r n H y p e r i o n , L i e b e ! E i n w e n i g F r e u d e w i r d d iese

F r u c h t u n s e r e r s e e l e n v o l l e n T a g e D i r d o c h g e b e n . V e r z e i h m i r s , d a ß

D i o t i m a st irbt . D u e r i n n e r s t D i c h , w i r h a b e n u n s e h m a l s n i c h t g a n z

d a r ü b e r v e r e i n i g e n k ö n n e n . I c h g l a u b t e , es w ä r e , d e r g a n z e n A n l a g e

n a c h , n o t h w e n d i g . L i e b s t e ! al les , was v o n i h r u n d u n s , v o m L e b e n 5

unseres L e b e n s h i e u n d d a gesagt ist , n i m m es w i e e i n e n D a n k , d e r

ö f ters u m so w a h r e r ist , j e u n g e s c h i k t e r er s ich a u s d r ü k t . H ä t t e i c h

m i c h z u D e i n e n F ü ß e n n a c h u n d n a c h z u m K ü n s t l e r b i l d e n k ö n n e n ,

in R u h e u n d F r e i h e i t , ja i ch g l a u b e , i c h w a r ' es s c h n e l l g e w o r d e n ,

w o n a c h in a l l e m L a i d e m e i n H e r z s ich in T r ä u m e n u n d a m h e l l e n l o

T a g e , u n d o f t m i t s c h w e i g e n d e r V e r z w e i f l u n g s e h n t .

Es ist w o h l d e r T h r ä n e n al le w e r t h , d i e w i r seit J a h r e n g e w e i n t ,

d a ß w i r d i e F r e u d e n i c h t h a b e n so l l t en , d i e w i r u n s g e b e n k ö n n e n ,

a b e r es ist h i m m e l s c h r e i e n d , w e n n w i r d e n k e n m ü s s e n , d a ß w i r b e i d e

m i t u n s e r n bes ten K r ä f t e n v i e l e i c h t v e r g e h e n m ü s s e n , w e i l w i r u n s 15

f e h l e n . U n d s i e h ! das m a c h t m i c h e b e n so stille m a n c h m a l , w e i l i c h

m i c h h ü t e n m u ß v o r s o l c h e n G e d a n k e n . D e i n e K r a n k h e i t , D e i n

B r i e f — es t rat m i r w i e d e r , so sehr i ch sonst v e r b l i n d e n m ö c h t e , so

k lar v o r d ie A u g e n , d a ß D u i m m e r , i m m e r l e ides t , — u n d i c h K n a b e

k a n n n u r w e i n e n d r ü b e r ! — W a s ist besser , sage m i r s , d a ß w i r s v e r - 20

s c h w e i g e n , was in u n s e r m H e r z e n ist , o d e r d a ß w i r u n s es s a g e n ! —

I m m e r h a b ' i c h d i e M e m m e gesp ie l t , u m D i c h z u s c h o n e n , — h a b e

i m m e r g e t h a n , als k ö n n t ' i c h m i c h in alles s c h i k e n , als w a r i c h so

r e c h t z u m Spie lba l l d e r M e n s c h e n u n d d e r U m s t ä n d e g e m a c h t u n d

hät te k e i n vestes H e r z in m i r , das t r e u u n d f r e i in s e i n e m R e c h t e f ü r 25

sein Bestes s c h l ü g e , theuers tes L e b e n ! h a b e o f t m e i n e l iebste L i e b e ,

selbst d i e G e d a n k e n a n D i c h m i r m a n c h m a l v e r s a g t u n d v e r l ä u g n e t ,

n u r u m so s a n f t , w i e m ö g l i c h , u m D e i n e t w i l l e n d i ß Schiksaal d u r c h -

z u l e b e n , — D u a u c h . D u hast i m m e r g e r u n g e n . F r i e d l i c h e ! u m

R u h e z u h a b e n , hast m i t H e l d e n k r a f t g e d u l d e t , u n d v e r s c h w i e g e n , 30

was n i c h t z u ä n d e r n ist , hast D e i n e s H e r z e n s e w i g e W a h l in D i r v e r -

370

Page 384: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4 Nr.211. 212. 213

b o r g e n u n d b e g r a b e n , u n d d a r u m d ä m m e r t s o f t v o r u n s , u n d w i r

wissen n i c h t m e h r , w a s w i r s ind u n d h a b e n , k e n n e n u n s k a u m n o c h

se lbs t ; d ieser e w i g e K a m p f u n d W i d e r s p r u c h i m I n n e r n , d e r m u ß

35 D i c h f r e i l i c h l a n g s a m t ö d t e n , u n d w e n n k e i n G o t t i h n d a b e s ä n f t i g e n

k a n n , so h a b ' i ch k e i n e W a h l , als z u v e r k ü m m e r n ü b e r D i r u n d m i r ,

o d e r n i chts m e h r z u a c h t e n als D i c h u n d e i n e n W e g m i t D i r z u

s u c h e n , d e r d e n K a m p f u n s e n d e t .

I c h h a b e s c h o n g e d a c h t , als k ö n n t e n w i r a u c h v o n V e r l ä u g n u n g

40 l e b e n , als m a c h t e v i e l e i c h t a u c h d i ß u n s stark, d a ß w i r e n t s c h i e d e n

d e r H o f n u n g das L e b e w o h l s a g t e n ,

199. A N D I E M U T T E R

H o m b u r g , d . 16 ten N o v . 9 9 .

L i e b s t e M u t t e r !

I c h k o n n t e m i r w o h l d e n k e n , d a ß Sie d i ß m a l m i t d e m S c h r e i b e n

e twas z ö g e r n m ü ß t e n , u n d schikte m i c h u m so l i eber d a r e i n , w e i l i c h

S m i r I h r e l i e b e n G ä s t e u n d I h r e R e i s e d a b e i d a c h t e , d i e I h n e n g e w i ß

z u r F r e u d e u n d G e s u n d h e i t d i e n e n w i r d . W i e g e r n e n ä h m e i c h A n -

the i l in d e m g l ü k l i c h e n K r e i s e , in d e m Sie l e b e n , u n d t r ü g e a u c h v o n

m e i n e r Sei te e twas b e i , z u d e m V e r g n ü g e n , das I h n e n d e r U m g a n g

d e r I h r i g e n g e w ä h r t . I c h g l a u b e aber , d a ß i ch I h r e r e i g e n e n E i n s i c h t

10 g e h o r c h e , w e n n i c h w e n i g s t e n s m e i n e n B e s u c h n o c h so l a n g e a u f -

s c h i e b e , bis es in u n s e r e m L a n d e u n d a u f d e m W e g e w i e d e r e twas

r u h i g e r w i r d . I c h w a r d iese T a g e sehr b e s o r g t , u m d ie g u t e n L ö c h -

g a u e r , w e i l i ch v e r m u t h e t e , d a ß das T r e f f e n z u m T h e i l b e i d e m O r t e

selbst , o d e r d o c h n i c h t w e i t d a v o n v o r g e f a l l e n s e y n m ü ß t e . N u n w e r -

15 d e n d i e U n s r i g e n , w e n i g s t e n s a u f e i n i g e Z e i t , w i e d e r in R u h e s e y n .

B e i u n s h i e r e r f ä h r t m a n d e n K r i e g n u r n o c h d u r c h d i e Z e i t u n g e n ,

u n d es ist d e n H o m b u r g e r n r e c h t zu g ö n n e n , da d i ß n a c h v i e l e n Jah -

r e n d e r erste W i n t e r ist , d e n sie o h n e f r e m d e T i s c h u n d H a u s g e n o s -

s e n , u n d o h n e K r i e g s u n r u h e u n d Kriegs last z u b r i n g e n . I c h w u n d e r e

20 m i c h o f t , w i e diese G e g e n d , d i e fast d e r b e s t ä n d i g e Kr i egss chaup laz ,

371

Page 385: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.199 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

m e h r o d e r w e n i g e r , g e w e s e n ist , d o c h sich so s chne l l e r h o h l t , u n d d a ß

d i e M e n s c h e n grös tenthe i l s i h r H a u s w e s e n u n d i h r e L e b e n s a r t f o r t -

f ü h r e n k ö n n e n , w i e sonst .

U m a u f m e i n e A n g e l e g e n h e i t e n z u k o m m e n , so b e d a u r e i c h , d a ß

i c h I h n e n v o n m e i n e n A u s s i c h t e n n o c h n i ch t s n ä h e r e s sagen k a n n , 25

u n d es ist m i r e i g e n t l i c h u m I h r e t w e g e n u n a n g e n e h m e r , als w e g e n

m i r , d e n n w e n n i c h b e i m e i n e r g e g e n w ä r t i g e n L e b e n s a r t n i c h t d i e

u n v e r m e i d l i c h e I n k o n v e n i e n z e r f ü h r e , d a ß sie f ü r d e n A n f a n g z u

m e i n e m ze i t l i chen A u s k o m m e n n i c h t h i n r e i c h t , so w ä r e i c h a u f

i m m e r d a m i t z u f r i e d e n . I c h b i n m i r t i e f b e w u ß t , d a ß d ie S a c h e , d e r 30

i ch l e b e , e d e l , u n d d a ß sie h e i l s a m f ü r d i e M e n s c h e n ist , so b a l d sie

z u e i n e r r e c h t e n Ä u ß e r u n g u n d A u s b i l d u n g g e b r a c h t ist . U n d in d i e -

ser B e s t i m m i m g u n d d i e s e m Z w e k e l e b ' i c h m i t r u h i g e r T h ä t i g k e i t ,

u n d w e n n i c h o f t e r i n n e r t w e r d e , ( w i e u n v e r m e i d l i c h ist , ) d a ß i c h

v i e l e i c h t b i l l i g e r g e a c h t e t w ü r d e u n t e r d e n M e n s c h e n , w e n n i c h 35

d u r c h e i n h o n e t t e s A m t i m b ü r g e r l i c h e n L e b e n f ü r sie e r k e n b a r

w ä r e , so t r a g e i c h es l e i c h t , w e i l i chs v e r s t e h e , u n d f i n d e m e i n e

S c h a d l o s h a l t u n g in d e r F r e u d e a m W a h r e n u . S c h ö n e n , d e m i c h v o n

J u g e n d a u f i m St i l len m i c h g e w e i h t h a b e , u n d z u d e m i c h aus d e n

E r f a h r u n g e n u n d B e l e h r u n g e n des L e b e n s n u r u m so e n t s c h l o ß n e r 40

z u r ü k g e k e h r t b i n . Sol l te a u c h m e i n I n n e r e s n i e r e c h t z u e i n e r k la ren

tu id a u s f ü h r l i c h e n S p r a c h e k o m m e n , w i e m a n d a n n h i e r i n n v i e l

v o m G l ü k a b h ä n g t , so w e i ß i c h , w a s i c h g e w o l l t h a b e , — i m d d a ß i ch

m e h r g e w o l l t h a b e , als d e r A n s c h e i n m e i n e r g e r i n g e n V e r s u c h e v e r -

m u t h e n l ä ß t , k a n n a u c h h o f f e n , aus m a n c h e m , w a s m i r z u O h r e n 45

k o m m t , d a ß m e i n e S a c h e a u c h in e i n e r u n g e s c h i k t e n A u s f ü h r u n g h i e

u n d d a aus e i n e m a h n d e n d e n G e m ü t h e g e f a ß t u n d g e b i l l i g e t w e r -

d e n , d a ß also in k e i n e m Fal le m e i n D a s e y n o h n e e i n e S p u r a u f E r d e n

b l e i b e n w i r d .

I c h m a c h e I h n e n d iese G e s t ä n d n i s s e d e s w e g e n , l i ebste M u t t e r ! 50

w e i l m i r d a r a n l i e g e n m u ß , u m m e i n e r e i g n e n R u h e w i l l e n , m i c h

i n m e i n e m g e g e n w ä r t i g e n L e b e n I h n e n so a u f r i c h t i g u n d u n p a r -

te i i sch h i n z u s t e l l e n , w i e i c h n u r i m m e r k a n n , u m so m e h r , d a S ie

d u r c h I h r e g ü t i g e U n t e r s t ü z i m g m i r d a r i n n a u s h a l f e n bis h i e h e r .

372

Page 386: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4 Nr .232 .2J3

55 Ich danke Ihnen verbindlichst für das Übersandte. Neuffer wird es wohl noch bis jetzt zurükbehalten haben, wegen der unsicheren Wege. Ich werde es gröstentheils zurüklegen können, um es zum Theil zu meiner künftigen Reise zu gebrauchen.Was mich einiger-maaßen beruhiget über die Unkosten, die ich Ihnen mache, ist, daß

60 ich auch als Vikarius nicht ohne einige Beihilfe leben könnte, und daß ich doph eine gute Zeit in dem von dieser Seite vortheilhafteren Hofmeisterleben ausgehalten habe.

Wie freuet es mich, daß Sie mit xmserem Karl so in jeder Rüksicht zufrieden seyn köimenl und wie weiß ich es zu schäzen, daß er seine

65 Kräfte so mänlich auf die Lage hin anwendet und konzentrirt, in der er sich befindet! Ich ehre von Herzen tmd aus Überzeugung jeden, der sich auf diese Art der Welt nüzlich macht, und es thut mir nur oft laid, wenn ich zuweilen sehe, daß die Menschen gröstentheils auf der anderen Seite nicht eben so biUig sind, und auch einem Andern

70 sein Recht widerfahren lassen, der durch die Art seines Geschäffts und seines Treibens in einigem Grade von jedem besondern Wir-kungskreise entfernt wird, und nur dadurch bestehen kann, daß er mit Muth in seiner Art sich festsezt, und sein Schiksaal einsiehet und trägt, wie andre das ihrige. Und diß ist der Trost und die Regel mei-

75 nes Lebens, daß kein Mensch in der Wirldichkeit alles seyn kann, daß er irgend Etwas seyn muß, und bei den Vorzügen seines Standes und seiner eigentümlichen Lebensart auch das nothwendige Man-gelhafte tragen, das sie mit sich führt.

Tausendmal danke ich es Ihnen, meine Mutter! daß Sie in dieser 80 Rüksicht mich, der ich überall noch nichts Gemachtes bin, so scho-

nend behandeln, und Sie \md die Meinigen alle werden es gewiß gut-heißen, daß ich so wenig gleichgültig seyn kann, in welchem Lichte ich vor Ihren Augen erscheine.

Ich bitte Sie auch recht sehr, daß Sie sich nicht dadurch inkom-85 modiren lassen, wenn ich in meinen Briefen zuweilen ins Räsonniren

verfalle. So viel ich die allgemeinere Stimmung imd Meinung der Menschen, wie sie jezt sind, bemerken kaim, scheint mir auf die gro-ßen gewaltsamen Erschütterungen unserer Zeit eine Denkungsart

373

Page 387: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.l99 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

folgen zu wollen, die eben nicht gemacht ist, die Kräfte der Men-schen zu beleben und zu ermuntern, und die eigentlich damit endet, 90 die lebendige Seele, ohne die doch überall keine Freude und kein rechter Werth in der Welt ist, niederzudrüken und zu lähmen. Die Übertreibungen sind nirgends gut, und so ist es auch nicht gut, wenn die Menschen sich vor allem fürchten, was nicht schon bekannt und ausgemacht ist, und deßwegen jedes Streben nach einem VoUkomne- 95 ren, als schon vorhanden ist, für schlimm und schädlich halten. Eben dieses scheint mir jezt die allgemeinere Stimmung zu seyn, und sie liegt mir deßwegen so auf dem Herzen, weil sie im Kleinen, wie im Großen wirkt, und weil sich kein Mensch lossagen kann von dem schädlichen oder günstigen Einflüsse der andern. 100

Wenn ich aber von einer solchen Empfindung den einen Tag mehr behaftet bin, als den andern, so muß sie sich auch in meinen Äuße-nmgen mehr oder weniger zeigen, wenn ich mit den Vertrauten meines Herzens spreche.

Aber daß ich es Ihnen nicht zu lange mache, so will ich Ihnen nur 105 noch sagen, daß ich hoffe, Ihnen nach Verlauf eines Monaths von dem Besuche, den ich schon so lange hoffe, wie auch von meiner künftigen Existenz etwas Genaueres sagen zu können.

Ich bin wie immer, liebste Mutter! Ihr 110

dankbarer Sohn H.

Eben erfahre ich, daß das französische Directorium abgesezt, der Rath der Alten nach St. Cloux geschikt, und Buonaparte eine Art von Dictator geworden ist. 115

374

Page 388: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.200

200. AN D I E S C H W E S T E R

Homburg, d. 16ten Nov. 99.

Theure Schwester I

Ich dürfte mir kaum die Freude gönnen, die mir Dein lieber Brief

gab. Es ist für mich so nothwendig, mich mit Gelassenheit in mei-

s nem Gleise zu erhalten, und Deine gütige freundliche Einladung

war eben nicht gemacht, mich auf die Umstände, die meine Wünsche

mir einschränken, aufmerksam zu machen. — Du hast wohl recht,

Theure! daß es Zeit wäre, wir sähen einander eiamal wieder, und

wie ähnlich den Deinigen hierinn meines Herzens Gesinnungen

10 sind, wirst Du daraus genug sehn, daß ich Dich so oft von meiner

Hofnung, Dich einmal besuchen zu können, unterhalte.Wenn ich

bisher jedesmal Hindemisse fand, so schikte ich mich auch nur

darum so gedultig darein, weil ich lernen mußte, mich in manches

zu schiken, was ich anders wünschte. So hatt' ich es vorigen Winter

15 vest im Sinne, zu kommen, und nahm eigentlich die Anerbietung

meines Freundes Sinklair nur deswegen an, weil ich von Rastadt aus

die Meinigen zu besuchen dachte. Aber die schlimme Witterung und

der Arzt, mit dem ich schon in Rastadt ein wenig zu thim haben

mußte, nöthigten mich, die Zeit, die ich mir erlaubt hatte, in diesem

20 Orte und meist im Hauße zuzubringen und da ich wieder wohl war,

schien es mir zu spät, und ich glaubte wieder zu meinem Geschaffte

eilen zu müssen. Ich habe oft einen so langsamen Kopf, daß ich

manchmal Tage und Wochen hinbringe, wo andre schneller fertig

sind, und so brauche ich viel Zeit und muß sie fast ängstlich sparen. —

25 Du sagst, ich könnte meine Arbeit ja auch bei Dir treiben. Für den

Anfang gewiß nicht, Gute! Ich bin einer solchen Freude zu wenig

mächtig, als daß ich, wie es nötig wäre, meine Gedanken beisammen

behalten könnte. Ich hatte mir deswegen ausgedacht, wenn mein

Journal nur erst ein wenig im Gange wäre, daß ich einige Wochen

30 mit gutem Gewissen müßig gehen könnte, oder wenn ich ohnediß

genöthiget wäre durch einen Brief von Schillern, meinen gegenwär-

375

Page 389: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.200.201 B R I E F E 1 79 8 - 1 8 0 0

tigen Aufenthal t zu v e r k s s e n , daß ich dann die 1. M e i n i g e n besuchen

wol l te . So lange ich aber keinen best immten Posten vor m i r sehe, so

darf i ch , me iner Ü b e r z e u g u n g nach , die Arbe i t , die m i c h z u m T h e i l

nähren soU, wenigstens nicht eher verlassen, bis sie vollends in G a n g 35

gebracht ist. V o n Schillern habe ich n o c h keinen Brief wieder erhalten.

Das Gede ihen D e i n e r l ieben Kinder f reut m i c h herzl ich. E ine

solche gute Mutter ists aber auch w e r t h . — Ich m u ß D i r das einfäl-

t ige Geständniß m a c h e n , daß es m i c h o f t inkommodi r t , n icht m e h r

der reiche M a n n in Frankfurt zu seyn, u m m e i n e n Nef fen zuwei len 40

eine kleine Freude m a c h e n zu k ö n n e n .

D i e b loßen G r ü ß e sind doch keine rechte Sprache, besonders für den

kleinen Friz, der für jezt besser sehen u n d betasten k a i m , als sprechen.

A b e r w e n n ich k o m m e , b r i n g ' ich was rechtes m i t , das sag ihnen .

M e i n e m Freunde Veie l w ü n s c h ich alles G l ü k zu se inem n e u e n 45

L e b e n .

A m meisten f reut es m i c h , daß D i r die Sorge für D e i n e n 1. M a n n

v o m Herzen g e n o m m e n ist. Empf ieh l m i c h i h m u n d versichere ihn

m e i n e r fortdauernden Hochachtung .

Erhalte m i r D e i n e L i e b e , T h e u r e I 50

D e i n

treuer Bruder

H .

201. AN J O H A N N G O T T F R I E D E B E L

M e i n T h e u r e r l

So sehr ich m i c h I h n e n verbunden f ü h l e f ü r Ihr gütiges Verspre-

c h e n , künf t ig vieleicht an m e i n e n literarischen Versuchen T h e i l zu

n e h m e n , so war die eigentl iche Freude , die m i r I h r Brief gab , doch

eine andere . I ch fühl te m e h r , als i ch sagen m a g , dabei , w ie v ie l Sie 5

m i r v o m ersten AugenbUke w a r e n , w i e v ie l i ch entbehrte , seit ich

Sie n icht m e h r sah.

Je m e h r ich die Menschen verstehen u n d dulden u n d l ieben

lerne , in ihren le idenden Gestalten, u m so t iefer u n d unvergeß l i cher

376

Page 390: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.ZOi

10 s ind m i r d i e v o r t r e f l i c h e n u n t e r i h n e n i m S i n n e ; u n d i ch d a r f es

I h n e n g e s t e h e n , d a ß i c h w e n i g e k e n n e , b e i d e n e n i ch m i t so l cher

G e w i ß h e i t m e i n e m G e m ü t h e f o l g e n k a n n , w i e i c h es t h u e , so o f t i c h

a n S ie d e n k e , u n d v o n I h n e n s p r e c h e , u n d d i ß g e s c h i e h e t n i c h t sel -

t e n . W ä r e n w i r u n s n ä h e r , u m m e i n e t w i l l e n , d e n n Sie b e d ü r f e n m e i -

15 n e r n i c h t o d e r d o c h w e n i g e r , u n d i c h w e i ß n i c h t , o b i c h I h n e n n u r

so v i e l s e y n w ü r d e , als i ch es e h m a l s z u s e y n s c h i e n . M a n c h e E r f a h -

r u n g e n , d i e m i r n a c h m e i n e r S innesart fast u n v e r m e i d l i c h b e g e g -

n e n m u ß t e n , h a b e n m e i n Z u t r a u e n z u a l l e m , w a s m i r sonst v o r z ü g -

l i c h F r e u d e u n d H o f n u n g g a b , z u m i n n e r n B i lde des M e n s c h e n u n d

20 s e i n e m L e b e n u n d W e s e n so z i e m l i c h e r s c h ü t t e r t , u n d d ie i m m e r

w e c h s e l n d e n Verhä l tn i s se d e r g r o ß e n u n d k l e i n e n W e l t , in d e r i ch

m i c h s e h e , s c h r e k e n m i c h jez t n o c h , d a i c h w i e d e r e twas f r e i e r b i n ,

bis z u e i n e m G r a d e , d e n i c h n u r I h n e n g e s t e h e n k a n n , w e i l Sie m i c h

v e r s t e h e n . D i e G e w o h n h e i t ist e i n e so m ä c h t i g e G ö t t i n , d a ß w o h l

25 k e i n e r u n g e s t r a f t i h r a b t r ü n n i g w i r d . D i e Ü b e r e i n s t i m m u n g m i t

a n d e r e n , d i e w i r so l e i c h t g e w i n n e n , w e n n w i r b e i d e m , w a s e i n m a l

d a ist, b l e i b e n , d ieser Z u s a m m e n k l a n g d e r M e i n u n g e n u n d S i t t e n ,

e r s c h e i n t u n s d a n n erst r e c h t i n se iner B e d e u t e n h e i t , w e n n w i r i h n

e n t b e h r e n m ü s s e n , u n d u n s e r H e r z f i n d e t w o h l n i e m a l s e i n e r e c h t e

30 R u h e m e h r , w e n n w i r j e n e a l t en B a n d e ver lassen h a b e n , d e n n es

h ä n g t ja n u r z u w e n i g v o n u n s a b , d i e n e u e n z u k n ü p f e n , b e s o n d e r s

w a s d i e f e i n e r e n u n d h ö h e r e n b e t r i f t . F r e i l i c h h a l t e n d a n n d ie M e n -

s c h e n , d i e s i ch in e i n e n e u e W e l t des S c h i k l i c h e n u n d des G u t e n

e r h o b e n h a b e n , a u c h u m so u n z e r t r e n n l i c h e r z u s a m m e n .

35 W i e g e r n e hät te i c h I h n e n v o l l e R e c h e n s c h a f t g e g e b e n ü b e r m e i n e

T r e n n u n g v o n d e m H a u ß e , das I h n e n u n d m i r so schäzbar w a r u n d

ist. A b e r w i e u n e n d l i c h v ie les hät te i c h I h n e n sageü m ü s s e n 1 L i e b e r

hät te i ch e i n e B i t te a n S ie g e t h a n u n d m ö c h t e sie n o c h t h u n . U n s e r e

e d l e Freundin . , d i e i ch u n t e r m a n c h e r h a r t e n P r o b e n u r i m m e r

40 se lbstständiger i m bes ten L e b e n , n u r i m m e r h ö h e r g e b i l d e t aus b i t -

t e r n M i s v e r h ä l t n i s s e n w i e d e r g e f u n d e n h a b e , s c h e i n t m i r d e n n o c h ,

u m n i c h t e n d l i c h zu v e r t r a u e r n , e ines v e s t e n k la ren W o r t s , das i h r e n

i n n e r n W e r t h u n d i h r e n e i g e n e n L e b e n s g a n g i h r f ü r d i e Z u k u n f t

377

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Nr.201.202 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

v e r s i c h e r t e , in h o h e m G r a d e zu b e d ü r f e n , u n d m i r ist es fast u n m ö g -

l i c h g e m a c h t , m i c h i h r m i t R u h e m i t z u t h e i l e n . Es w ä r e e i n e s c h ö n e *S

H ü l f e , m e i n T h e u r e r ! w e n n Sie d i ß e i n m a l t h ä t e n . E i g n e s N a c h d e n -

k e n o d e r e i n B u c h o d e r w o r a n m a n sich sonst o r i e n t i r e n m a g , ist w o h l

g u t , a b e r das W o r t e ines ä c h t e n F r e u n d e s , d e r d e n M e n s c h e n u n d d i e

L a g e k e n n t , t r i f t w o h l t h ä t i g e r u n d i r re t w e n i g e r .

I h r U r t h e i l ü b e r Paris ist m i r sehr n a h e g e g a n g e n . H ä t t e m i r e i n 50

a n d e r e r , d e r e i n e n w e n i g e r g r o ß e n G e s i c h t s p u n c t , u n d n i c h t I h r

klares vorurthe i l s l oses A u g e h ä t t e , dasse lbe g e s a g t , so h ä t t e es m i c h

w e n i g e r b e u n r u h i g e t . I c h b e g r e i f e w o h l , w i e e i n m ä c h t i g e s S c h i k -

saal , das g r ü n d l i c h e M e n s c h e n so h e r r l i c h b i l d e n k o n n t e , d i e s c h w a -

c h e n n u r m e h r z e r r e i ß t , i ch b e g r e i f e es u m so m e h r , j e m e h r i c h sehe , 55

d a ß a u c h d ie g rös ten i h r e G r ö ß e n i c h t a l le in i h r e r e i g e n e n N a t u r ,

s o n d e r n a u c h d e r g l ü k l i c h e n Ste l le d a n k e n , in d e r sie t h ä t i g u n d

l e b e n d i g m i t d e r Z e i t s ich in B e z i e h u n g sezen k o n n t e n , a b e r i c h b e -

g r e i f e n i c h t , w i e m a n c h e g r o ß e r e i n e F o r m e n i m E i n z e l n e n u n d

G a n z e n so w e n i g h e i l e n u n d h e l f e n , u n d d i ß ists v o r z ü g l i c h , w a s m i c h 60

o f t so stille u n d d e m ü t h i g v o r d e r a l l m ä c h t i g e n alles b e h e r r s c h e n d e n

N o t h m a c h t . I s t d iese e i n m a l e n t s c h i e d e n u n d d u r c h g ä n g i g w i r k -

s a m e r , als d i e W i r k s a m k e i t r e i n e r se lbsts tändiger M e n s c h e n , d a n n

m u ß es t rag isch u n d tödtUch e n d e n , m i t M e h r e r e n o d e r E i n z e l n e n ,

d i e d a r i n n e n l e b e n . G l ü k l i c h s ind w i r d a n n , w e n n u n s n o c h e i n e 65

a n d e r e H o f n u n g b l e i b t 1 W i e f i n d e n Sie d e n n d i e n e u e G e n e r a t i o n ,

in d e r W e l t , d i e S ie u m g i e b t ?

2 0 2 . A N N E U F F E R

H o m b u r g , d . 4 D e c . 9 9 .

M e i n T h e u r e r !

V o r a l l e m b e z e u g e i ch D i r m e i n e n A n t h e i l a n d e m T o d e D e i n e r

g u t e n M u t t e r , d e n i c h erst d u r c h D e i n G e d i c h t e r f a h r e n m u ß t e . D u

w u ß t e s t , w i e sehr i ch d iese se l tne F r a u e h r t e , u n d es w a r d e ß w e g e n 5

fast n i c h t r e c h t , d a ß D u m i r n i chts d a v o n schr iebst . I c h w e i ß a b e r

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B R I E F E 179 8 - 1 8 0 0 Nr.202

selber sehr wohl, wie in manchen Fällen dem Manne das Stillschwei-gen heilsamer ist, als die Mittheilung eines Laids.

Du darfst mir auch wohl glauben, daß ich die ungelegene Ver-io Änderung in Deinem Amte mit Dir fühle, und daß ich es um so mehr

bedaure, da ich Dir so gerne die ungestörte Freude an dem Erfolge Deiner poetischen Beschäfftigungen gegönnt hätte. Es ist fast, als müßte man durchaus kein Glük theurer zahlen, als das schriftstel-lerische, besonders der Dichter. Du fragst mich um Rath, lieber

15 Neuffer! Wie gerne sagte ich Dir etwas Sicheres, und wie gerne sorgte ich selber Dir für eine Auskunft! Aber Du weist es ohne mich, wie sehr ich für meinen Theil Rath und Freundeshülfe bedürfte. Ich gestehe Dir, daß ich nach und nach finde, wie es jezt fast unmög-lich ist, blos von der Schriftstellerei zu leben, wenn man night gar zu

20 dienstbar hierinn seyn, und sein Auskommen auf Kosten der Repu-tation finden will. Und so bin ich unentschlossen, ob ich über kurz oder lange Vikar oder wieder Hofmeister oder Hausinformator wer-den will. Das leztere scheint mir fast das Beste.Wenn sich auch ein weniger bescheidner Posten für mich zeigen sollte, so weiß ich nicht,

25 ob ich davon Gebrauch machen sollte, da ich weder gerne die Schrift-stellerei dem Amte, noch das Amt der Schriftstellerei aufopfern möchte, und darum wählte ich gerne einen Posten, der keinen großen Aufwand von Kräften, und nicht zu viel Zeit erforderte. Weist imd findest Du etwas besseres für Dich, so soll es mich gewiß freuen, und

30 ich weiß nicht, ob Du, bei Deinen Connexionen in Stutgard nicht einen erwünschten Ausweg, zum Beispiel, eine Reise auf Consisto-riums Kosten solltest Dir verschaffen können. Diß leztere wäre dann gewiß in jeder Rüksicht nach Deinem Sinne und Deinem Plan.

Fällt mir irgend etwas bei, das mir vortheilhaft für Dich scheint, 35 oder zeigt sich eine Gelegenheit, die ich günstig für Deine Wünsche

finde, so theile ich es Dir gewiß mit. Über Deine neuesten Gedichte sage ich Dir nur so viel, daß sie

sich durch treue, phrasenlose Darstellung des innern oder äußern Lebens, das ihnen zum Grunde hegt, auszeichnen. Und Du weist

40 selbst, wie viel dadurch gesagt ist. Besonders der Traum scheint

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Nr.202 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

dann auch das idealischpoetische mit Simplicität zu vereinigen. Die Veränderungen im Hymnus an die Ruhe gefielen mir besonders durch die Klarheit, die sie bei ihrer Bedeutenheit haben.Wäre ich nur näher bei Dir, daß wir manchmal ein vernünftig Wort zusam-men sprechen könnten über unsre edle KunstI Denn, im Vertrauen 45 gesagt, ich finde immer mehr, wie vortheilhaft und wie erleichternd die wahre Erkentniß der poetischen Formen für die Äußerung des poetischen Geistes und Lebens ist, und ich muß erstaunen, wie wir so umherirren mögen, wenn ich den sichern, durch und durch be-stimmten imd überdachten Gang der alten Kunstwerke ansehe. Ich 50 wiU Dirs auch nur gestehn, daß ich ein wenig mit Dir gezürnt habe, über die ziemlich leichten Äußerungen, die Du mich diesen Sommer einmal (bei Gelegenheit der Emilie) hören ließest in Betreff der Poesie. Verstehe mich wohl. Lieber! Es war nicht wegen der Emilie, die auch leichtsinnig genug hingeworfen ist, aus Nothwendigkeit 55 und Dienstfertigkeit, es war um der Kunst willen, die Du mir schaltst. Halte mich für einen kalten Theoristen, wenn Du willst. Ich weiß, was ich meine, und bin gänzlich mit Dir einig, wenn Du unsre faden aus einseitigen Begriffen zusammengeflikten ästhetischen Compen-dien ins Feuer haben willst. Gäbe mir nur ein Gott, so viel gute 60 Stimmung und Zeit, daß ich ausrichten könnte, was ich einsehe imd fühle. -

Wie sehr ich die Progresse Deines Taschenbuchs zu schäzen weiß u. wie meine eignen schriftstellerischen Affairen stehn kannst Du aus dem Briefe an imseren Freund Steinkopf hören, wenn Du willst. Ich 65 muß abbrechen; denn es ist schon spät. Laß Dirs bald gut gehn, alter Freimdl und tröste Dich indeß mit den Musen und, wenn Dirs frommt, auch mit der ungeheuchelten Treue

Deines H. 70

Ich bitte Dich mir die 100 fl in Wechsel so bald es nur möglich ist, zu schiken.

380

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.20}

203. AN C H R I S T I A N G O T T F R I E D SCHÜTZ

Nehmen Sie meinen wahrsten Dank, Verehrungswürdigerl für die treuen Bemühungen, womit Sie eine bessere Literatur aufrecht zu halten besorgt sind, und seyen Sie versichert, daß ich Ihrer gütigen Einladung durch die besten Kräfte, die ich habe, folgen werde.

5 Die Geseze, denen ich mich hiemit unterziehe, sind so rein und genau mir aus der Seele geschrieben, daß ich hoffen darf, es werde mir nicht sehr schwer werden, ihnen zu dienen. Ich glaube, den Sinn derselben gefaßt zu haben, und weiß im Allgemeinen nichts mehr hinzuzusezeri.Wollen Sie mir eine Stelle bestimmen, bei der

10 Beurtheilung poetischer Werke, so glaube ich für diese vieleicht zu taugen, da seit einigen Jahren mein Nachdenken und mein Beobach-ten fast ausschließlich dahin gerichtet war.

Das innigere Studium der Griechen hat mir dabei geholfen und mir statt Freundesumgang gedient, in der Einsamkeit meiner Be-

15 trachtungen nicht zu sicher, noch zu ungewiß zu werden. Übrigens sind die Resultate dieses Studiums, die ich gewonnen habe, ziemüch von andern, die ich kenne, verschieden. Man hat, wie Ihnen bekannt ist, die Strenge, womit die hohen Alten die verschiedenen Arten ihrer Dichtvmg unterschieden, häufig ganz und gar mißkannt, oder

20 doch nur an das Äußerliche derselben sich gehalten, überhaupt ihre Kunst, viel mehr für wohlberechnetes Vergnügen gehalten, als für eine heihge Schiklichkeit, womit sie in göttlichen Dingen verfahren mußten. Das Geistigste mußte ihnen zugleich das höchste Karakte-ristische seyn. So auch die Darstellung desselben. Daher die

25 Strenge und Schärfe der Form in ihren Dichtungen, daher die edle Gewaltsamkeit, womit sie diese Strenge beobachteten bei unterge-ordneteren Dichtungsarten, daher die Zartheit, womit sie das Hauptkarakteristische vermieden bei höhern Dichtungsarten, eben weil das Höchstkarakteristische nichts Fremdes, Außerwesentliches,

30 darum keine Spur von Zwang in sich enthält. So stellten sie das Gött-liche menschlich dar, doch immer mit Vermeidung des eigentlichen

381

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Nr.203.20* B R I E F E 179 8 - 1 8 0 0

Menschenmaaßes , natürlicher weise , we i l die Dichtkunst , die in

ihrem ganzen W e s e n , in i h r e m Enthusiasmus, w i e in ihrer Beschei-

denheit u n d Nüchternheit ein heiterer Gottesdienst ist, niemals die

Menschen zu Göttern oder die Götter zu Menschen m a c h e n , n ie - 55

mals unlautere I d o l o l a t r i e b e g e h e n , sondern n u r die Götter u n d die

Menschen gegenseitig näher br ingen durfte . Das Trauerspiel zeigt

dieses per contrarium. D e r Gott u n d Mensch scheint Eins, darauf ein

Schiksaal, das alle D e m u t h u n d allen Stolz des Menschen erregt u n d

a m Ende V e r e h r u n g der Himml ischen einerseits u n d andererseits ein 40

gereinigtes G e m ü t h als Menschene igentum zurükläßt . Nach diesen

ästhetischen Ges innungen , die nach ihren Ä u ß e r u n g e n u n d nach den

W o r t e n w o l l e n , s o l l e n u n d k ö n n e n u n d w o h l zu rechter Zeit ge -

sagt sind, würde ich die poetischen W e r k e zu würd igen suchen m i t

unerschütterl icher Gerechtigkeit in der Sache u n d m i t mögUcher 45

Schonung der Person des Schriftstellers, auch m i t d e m Gedanken ,

204. AN D I E M U T T E R

H o m b u r g , d . 29 Jan.

Liebste M u t t e r !

I ch habe jezt unge fähr 400 fl in viertel jährigen Port ionen v o n

m e i n e m Buchhändler s i c h e r e inzunehmen . Überdies hat er ihm in Stutt-

gart ausgewirkt, daß er dort, ohne zu irgend einer theologischen Funktion genöthigt 5

zu werden, sich aufhalten kann, so bald es ihm zuträglich scheine. . . . W e n n ich

also m e i n Journal einige Jahre fortseze, w ie ich es in j e d e m Falle, u m

me iner Reputation wi l len , versuchen w ü r d e , u n d w e n n ich in Stut-

gard oder hier durch Privatvorlesungen noch einiges verdiene , so kann

ich auf ein E i n k o m m e n rechnen , das beinahe zureichen w i rd . Es lo

scheint m i r zwekmäßig zu seyn, daß ich ohne eigentl iche Noth die

382

Page 396: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4 Nr .22 i .224

j e z ige A r t m e i n e r B e s c h ä f f t i g u n g e n u n d S t u d i e n so w e n i g , w i e m ö g -

l i c h , d u r c h e i n e n e u e L e b e n s - u n d Geschäf f tsart u n t e r b r e c h e , da i ch

j ez t erst g e w i s s e r m a a ß e n e ingesch i r r t b i n , u n d n a c h m a n c h e n Z e r -

15 S t r e u u n g e n u n d U n r u h e n e n d l i c h e i n i g e Ves t igke i t in m e i n e m T h u n

g e w o n n e n h a b e . D i e G r ü n d e also, d i e m i r in d i e s e m A u g e n b l i k e g e -

g e n w ä r t i g s ind , w ä r e n g e g e n e i n e n V e r s u c h , d e n ich o h n e d i ß I h n e n

k a u m z u m u t h e n m ö c h t e . — N e m l i c h , i m Fall er f e h l s c h l ü g e , so w ü r d e

d i ß f ü r m e i n e R u h e , d i e m i r so t h e u e r ist, u n d f ü r d i e G e d u l t , m i t der

20 i ch m i c h u n t e r d e n m e n s c h l i c h e n Verhä l tn i s sen s e h e , e i n e fast z u star-

k e P r o b e s e y n , d e n n , w i e gesag t , i ch f ü h l e , d a ß ich n o c h etwas stärker

w e r d e n m u ß , u m m i c h der le i D e m ü t h i g u n g e n auszusezen , d ie m i r

w e n i g s t e n s a u f e i n i g e Z e i t d i e L u s t u n d d ie r e c h t e K r a f t , u n t e r d e n

M e n s c h e n e twas z u f ö r d e r n , n e h m e n w ü r d e n . U n d i ch d a r f I h n e n

2S w o h l g e s t e h e n , l i ebste M u t t e r ! d a ß e b e n h i e r a u f m e i n L e i b e s - u n d

S e e l e n w o h l , w e n n i ch so sagen d a r f , in h o h e m G r a d e b e r u h t . D e r a n -

d e r e G r u n d w ä r e , d a ß i ch jez t e i n i g e r m a a ß e n g e b o r g e n b i n a u f e i n i g e

Z e i t , u n d d a ß es uns daran l i e g e n m u ß , e i n e L a u f b a h n , d i e in k e i n e m

Fal le sehr u n g ü n s t i g e n d e n k a n n , so l a n g e ves t z u v e r f o l g e n , bis s ich

so i r g e n d e i n gewisser E r f o l g z e i g t , u n d es s che in t m i r n i c h t w o h l m ö g -

l i c h , m e i n e j e z i gen B e s c h ä f f t i g u n g e n , d i e e in so g e s a m m e l t e s u n d

u n g e t h e i l t e s G e m ü t h e r f o r d e r n , j ez t g e r a d e m i t e i n e m A m t e z u v e r -

e i n i g e n , w o i ch m i c h erst w i e d e r g a n z e i n z u g e w ö h n e n u n d e i n z u -

s tud i ren hä t te .

J5 W e n n Sie m i r e r l a u b e n , h i n z u z u s e z e n , d a ß i ch n i c h t s c h l i m m e r

als m a n c h e a n d e r e daran b i n , w e n n i ch e in k ü n f t i g e s A m t m i t e twas

w e n i g e r V e r m ö g e n a n t r e t e , so s che in t es m i r w o h l d e r M ü h e w e r t h

i m N o t h f a l l indessen etwas z u z u s e z e n , so w e i t m e i n E i n k o m m e n

n i c h t z u r e i c h t , besonders da i c h , w e n n i ch g e s u n d b l e i b e , a u c h be i

*0 e i n e m k ü n f t i g e n A m t e m e i n e schr i f ts te l ler i schen A r b e i t e n n i c h t ganz

a u f z u g e b e n g e s o n n e n b i n , d i e m i c h f r e i l i c h n i e r e i c h m a c h e n , a b e r

a u c h w o h l n i c h t so g a n z o h n e D a n k b l e i b e n w e r d e n .

Ü b r i g e n s über lasse i ch d i e S a c h e I h r e r u n d m e i n e s t h e u e r n H E .

S c h w a g e r s E n t s c h e i d u n g , da i c h , so v i e l es d i e k u r z e Z e i t l e i d e n

•s w o l l t e , m e i n e M e i n u n g gesagt h a b e , u m so m e h r , da i c h n i c h t so .

383

Page 397: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

N-r.204 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

w i e S i e , i m S t a n d e b i n , z u u r t h e i l e n , o b es m i r , n a c h d e n g e n a u e m

U m s t ä n d e n , m ö g l i c h s e y n w i r d , o h n e e i n b e t r ä c h t l i c h e s A m t m e i n e

E x i s t e n z z u s i c h e r n . W e n n i c h d ie A u s g a b e n a b r e c h n e , d i e m i r m e i n e

K r ä n k l i c h k e i t i m v o r i g e n Jahr gekos te t h a t , so f i n d e i c h , d a ß i ch m i t

5 0 0 f l so z i e m l i c h a u s r e i c h e , u n d so v i e l k ö n n t e i c h w o h l in S t u t g a r d 50

o d e r h i e r v e r d i e n e n . — Sie w e r d e n es m i r n i c h t v e r d e n k e n , d a ß i c h

d i e S a c h e so e inse i t ig a n s e h e ; w a s h ö h e r e G r ü n d e u n d G e s i c h t s -

p u n c t e b e t r i f t , so g l a u b e i ch m i t g u t e m G e w i s s e n b e h a u p t e n z u d ü r -

f e n , d a ß i c h d e n M e n s c h e n m i t m e i n e m j e z i g e n G e s c h a f f t e w e n i g s t e n s

e b e n so v i e l d i e n e u n d f r o m m e , als i m P r e d i g t a m t e , w e n n a u c h d e r 55

A n s c h e i n d a g e g e n s e y n so l l te . I c h stüze m i c h h i e r i n n n i c h t blos a u f

m e i n e i g e n e s U r t h e i l , s o n d e r n a u f d e n a u s d r ü k l i c h e n u n d e m s t l i c h e n

D a n k v o n a c h t u n g s w ü r d i g e n P e r s o n e n , d e n sie m i r ü b e r e i n i g e m e i -

n e r ö f f e n t h c h e n Ä u ß e m n g e n gesagt h a b e n .

M e i n e A b r e i s e v o n h i e r h ä n g t indessen v o r z ü g h c h v o n d e m n ä c h - 60

s ten B r i e f e a b , d e n m i r m e i n B u c h h ä n d l e r s c h r e i b e n w i r d . D a i c h

h i e r i n n d e r N o t h d i e n e , so w e r d e n Sie m i r es n i c h t v e r d e n k e n , w e n n

i c h sage , d a ß i ch h i e r b l e i b e n o d e r n a c h S t u t g a r d z i e h e n w e r d e , j e

n a c h d e m i ch d o r t o d e r h i e r e i n l e i chteres A u s k o m m e n f i n d e . I n

j e d e m Fal le m u ß i ch n o c h bis Ostern b l e i b e n , w e i l i c h m e i n e A r b e i - 65

t e n j ez t v m m ö g l i c h so w e i t u n t e r b r e c h e n k a n n . I n u n g e f ä h r 14 T a g e n

k a n n i c h S ie w o h l ü b e r dieses m i t G e w i ß h e i t b e n a c h r i c h t i g e n . So l l te

S inkla ir , d e r w a h r s c h e i n l i c h n o c h d iese W o c h e n a c h S c h w a b e n a b -

re ist , u m e i n e n F r e i m d b e i d e r ka i ser l i chen A r m e e z u b e s u c h e n ,

n a c h B l a u b e u r e n k o m m e n , w i e e r es i m S i n n e h a t , so b i t t e i c h Sie 70

v o n m e i n e r w a h r s c h e i n l i c h e n A b r e i s e n i chts g e g e n i h n z u e r w ä h n e n ,

w e n n er n i c h t d a v o n a n f ä n g t ; so l a n g i c h n i c h t gcinz e n t s c h i e d e n b i n ,

m a g i ch i h m n i ch ts d a v o n s a g e n , w e i l e r m i c h n i c h t g e r n e g e h e n

l ä ß t , i m d i ch d i e g a n z e S a c h e g e m e kal t ü b e r d e n k e n u n d b e s c h l i e ß e n

m ö c h t e . Ü b r i g e n s w ü r d e m i c h d e r A b s c h i e d v o n d i e s e m O r t e n i c h t 75

•wenig k o s t e n , u n d n u r d ie A u s s i c h t i n m e i n e g e l i e b t e H e i m a t h u n d

z u d e n M e i n i g e n , d i e i c h in d e r g a n z e n W e l t v e r m i s s e n w ü r d e , z u -

r ü k z u k e h r e n , k ö n n t e m i r i h n e r l e i c h t e m . I c h h a b e h i e r g u t e , z u m

T h e i l v o r t r e f l i c h e M e n s c h e n k e n n e n g e l e m t , \md g e n i e ß e m e h r

384

Page 398: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4 Nr .23 i .2J2

80 A t t e n t i o n u n d T h e i l n a h m e , als e i n F r e m d e r e r w a r t e n k a n n , d e r

n i chts z u g e b e n h a t , als h i e u n d d a e i n e e h r l i c h e M e i n u n g . — U m

m e i n e G e s u n d h e i t d ü r f e n Sie ja n i c h t b a n g e s e y n , t h e u e r s t e M u t t e r I

I c h h a b e s c h o n seit g u t e r Z e i t dieses kos tbare G u t u n g e s t ö r t g e n o s -

s e n , u n d es f r e u t m i c h u m so m e h r , w e i l i c h i m m e r f ü r c h t e t e , d a ß

8S d e r b ö s e k r a m p f h a f t e Z u s t a n d b l e i b e n d w e r d e n m ö c h t e . A m h ies igen

A r z t e h a b e i c h d a d u r c h e i n e gar g u t e B e k a n n t s c h a f t g e w o n n e n , es

ist e i n i m m e r h e i t e r e r t r e u h e r z i g e r M a n n , d e r e i n e n w e n i g s t e n s a u f

A u g e n b l i k e s c h o n d u r c h sein g e s u n d e s m e n s c h e n f r e u n d l i c h e s G e s i c h t

h e i l e n k a n n . E r ist d e r M a n n f ü r al le H y p o c h o n d e r . — D e r vers tor -

90 b e n e G o n t a r d , v o n d e m Sie s c h r e i b e n , ist e i n O n c l e d e r F a m i h e , b e i

d e r i ch w a r . M e i n l i eber H e n r y ist j e z t in e i n e m E r z i e h u n g s i n s t i t u t e

i n H a n a u . I c h s chre ibe blos d e ß w e g e n so se l ten v o n i h m , w e i l i ch n i e

o h n e W e h m u t h a n d iesen v o r t r e f l i c h e n K n a b e n d e n k e n k a n n . Es ist

r e c h t g u t f ü r i h n , d a ß e r aus F r a n k f u r t w e g ist , w o j e d e r T a g se ine

95 w a h r h a f t e d l e N a t u r w o n i c h t v e r d a r b , d o c h ents te l l t e . — D a s G e l d

h a b ' i ch v o n N e u f f e r e r h a l t e n , u n d sage I h n e n n o c h m a l s m e i n e n

herz l i chs ten D a n k d a f ü r . I m Fal l e i n e r A b r e i s e w ü r d e i ch S i e , w e n n

es o h n e I h r e U n b e q u e m l i c h k e i t g e s c h e h e n k ö n n t e , u m e twas w e n i g e s

b i t t e n , n i c h t so w o h l u m d e r R e i s e k o s t e n w i l l e n , d i e n i c h t g r o ß s e y n

100 w e r d e n , als w e i l i c h n o c h e i n e n C o n t o b e i d e m B u c h h ä n d l e r in

F r a n k f u r t a b z u t r a g e n h a b e . M e i n e r t h e u r e n S c h w e s t e r d a n k e n S ie

indessen in m e i n e m N a h m e n f ü r i h r e n l i e b e n B r i e f . I c h w ü r d e i h n

n o c h h e u t e selbst b e a n t w o r t e n , w e n n es m i r n i c h t g e r a d e g i e n g e , w i e

es i h r g e g a n g e n ist , d a ß m i r n e m l i c h m e i n g u t e r F r e u n d , d e r O f e n ,

lOS z u kal t w e r d e n w i l l , i m d i c h m u ß ja g e h o r s a m s e y n , \md m e i n e n

d r e i ß i g j ä h r i g e n L e i b s c h o n e n vmd p f l e g e n . D i e W e s t e soll m i r w o h l -

s t e h n u n d w o h l t h u n .

T a u s e n d E m p f e h l u n g e n i m d G r ü ß e . W i e i m m e r

I h r 110 t r e u e r S o h n

H ö l d e r l i n .

385

Page 399: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.20S B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

205. A N D I E S C H W E S T E R

H o m b u r g , d . 19 M ä r z .

M e i n e T h e u r e I

I c h h ä t t e D i r s chon e h e r g e s c h r i e b e n , w e n n i ch n i c h t l i e b e r e i n e

S t u n d e a b g e w a r t e t h ä t t e , w o i ch m i t e i n i g e r R u h e u n d m i t sti l le-

r e m G e i s t e d e n V e r l u s t D e i n e s m i r u n v e r g e ß l i c h e n G a t t e n d e n k e n 5

k ö n n t e .

I c h h a b e i h n g e k a n n t , u n d w e i ß , w i e v i e l w a h r h a f t E r h a b n e s , u n d

E w i g e s in s e i n e m G e m ü t h e v e r b o r g e n l a g , u n d e b e n d a r u m k a n n i c h

m i r w o h l d e n k e n , w i e er m i t d ieser H e i t e r k e i t s t e r b e n k o n n t e ; e i n e r

s o l c h e n S e e l e , d i e , w i e d i e s e i n i g e , g e w o h n t w a r , das m e n s c h l i c h e l o

L e b e n m i t se inen L e i d e n u n d V e r ä n d e r u n g e n m i t e i n e m h ö h e r e n

A u g e a n z u s e h e n , u n d ü b e r a l l m e h r a u f das B l e i b e n d e a u f d e n G n m d

unseres W e s e n s u n d L e b e n s z u a c h t e n , e i n e m s o l c h e n S i n n e m u ß d e r

T o d m e h r w i e e i n k u r z e r A b s c h i e d s c h e i n e n , als w i e e i n e l a n g e T r e n -

n u n g , u . d i ß m u ß i h m a u c h d i e E n t f e r n u n g v o n D i r , D u G u t e ! u n d 15

v o n aU d e n S e i n i g e n e r l e i c h t e r t h a b e n . M i c h tröstet d e r G e d a n k e ,

d e r ü b e r a l l m e i n bes ter T r o s t ist , d a ß n e m l i c h G o t t ü b e r a l l ist , u n d in

i h m u n d d u r c h i h n w i r al le j ez t u n d i m m e r v e r e i n i g e t s i n d .

A m m e i s t e n t r a u e r t m e i n H e r z d a r ü b e r , d a ß i c h D i c h , B e s t e ! n i c h t

m e h r i m G e l e i t e dieses e d l e n L e b e n s g e f ä h r t e n w e i ß , u n d d a ß D e i n e 20

l i e b e n K i n d e r n u r n o c h e i n e M u t t e r h a b e n , d i e z w a r so g a n z g e s c h a f -

f e n ist , i h n e n d i esen V e r l u s t z u e r s e z e n , u n d alles z u s e y n , w a s i h r e

J u g e n d b e d a r f , d e r a b e r d o c h b e i e i n e m l e i d e n d e n G e m ü t h e d iese

t h e u r e S o r g e s c h w e r s e y n m u ß . L i e b s t e S c h w e s t e r 1 e r h a l t e D i c h n u r !

f ü r u n s a l l e , d e n e n D u so w a h r h a f t w e r t h bist 1 v e r t r a u e D e i n e r g u t e n 25

N a t u r , d e n k e , d a ß D u so v i e l e g l ü k l i c h e G a a b e n hast , d i e g a n z g e -

m a c h t s i n d , u m l e i c h t e r u n d unzers tö r te r u n t e r d e n B e g e g n i s s e n des

L e b e n s a u s z u d a u e m I w i e o f t h a b e i ch D i c h s chon u m D e i n e s c h ö n e

R u h e u n d G e d u l d b e n e i d e t , w e n n m i r es o f t s c h w e r w u r d e a u f m e i -

n e m W e g e , u n d w i e sehr ists i m m e r m e i n B e s t r e b e n , das g a n z zu 1er- JO

n e n , w a s D i r a n g e b o r e n ist ! D i e G e s e l l s c h a f t u n d U n t e r s t ü z u n g u n s -

386

Page 400: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.20S

r e r g u t e n M u t t e r w i r d D i r T r o s t g e n u g g e w ä h r e n . E i n so g e p r ü f t e s

H e r z , w i e das i h r i g e ist, b e r u h i g e t s chon d u r c h se ine N ä h e , u n d es

m u ß D i r e in s tärkender G e d a n k e s e y n . D e i n e n K i n d e r n e b e n so v i e l

55 zu s e y n , als sie uns w a r , in u n s e r e r K i n d h e i t , d a w i r das B e s t e , was

w i r h a b e n , ihr v o r z ü g l i c h d a n k e n . A u c h hast D u sonst g u t e M e n s c h e n

u m D i c h , u n d d e r S e e g e n des H i m m e l s , d e r u n s a l lhe i l end u m g i e b t ,

k a n n D i r , D u r e i n e See leI n i c h t f e h l e n .

K a n n i ch D i r e twas s e y n , so b r a u c h s t D u es n u r z u s a g e n . So ba ld

40 es n u r m e i n e G e s c h a f f t e i r g e n d zulassen , d i e g e r a d e jez t e twas d r i n -

g e n d e r s i n d , so soll m i c h n i chts a b h a l t e n , e i n m a l z u k o m m e n , u n d

i ch d e n k e , L i e b e 1 d a ß i ch z u D i r t a u g e n w e r d e , w e i l i ch m a n c h e s in

d e r W e l t z u e r t r a g e n g e l e r n t h a b e , u n d n a c h m a n c h e r l e i E r f a h r u n -

g e n d ie A n h ä n g l i c h k e i t an D i c h u n d d ie U n s r i g e n n u r g r ü n d l i c h e r

•s u n d e w i g e r g e w o r d e n ist. E i n e n t r e u e n F r e u n d hast D u f ü r D i c h u n d

D e i n e K i n d e r a u f l e b e n s l a n g a n m i r , das darfst D u g l a u b e n . S i e h l

G u t e ! t h e u r e S c h w e s t e r I d i ß ist in m e i n e n A u g e n ein schäzbar G l ü k ,

das n u r zu se l ten ist, d a ß e i n e so lche ächte H a r m o n i e u n d A c h t u n g

u n d F r e u d e u n t e r G e s c h w i s t e r n ist, u n d d a ß w i r e i n e so l che M u t t e r

so h a b e n .

S o r g e n u r f ü r D e i n e G e s u n d h e i t , L i e b e ! u n d l e b e g e r n e . Es ist

d e n e n w o h l z u g ö n n e n , d i e v o n u n s g e h e n zur R u h e u n d z u n e u e r

J u g e n d ; a b e r a u c h dieses L e b e n ist g u t , G o t t ist a u c h h i e r , u n d i ch

g l a u b e , es w i r d a u c h h i e r n o c h i m m e r besser . I c h m ö c h t e D i r n o c h

SS v ie les s a g e n , w a s v o n T r o s t in m i r i s t ; i c h h a b e so o f t e r f a h r e n , w i e

e in Z u r u f , d e r aus d e m H e i l i g t u m e u n s e r e r See le k a m , in t i e f e r B e -

t r ü b n i ß u n s b e g l ü k e n , u n d n e u e s L e b e n , n e u e f r o m m e H o f f n u n g

schaf fen k a n n . E ines d e n k e i c h besonders o f t , d a ß d e r L e b e n d i g e , d e r

in u n s u n d u m uns ist , v o n A n b e g i n n in al le E w i g k e i t e n m ä c h t i g e r ,

60 als a U e r T o d ist, u n d das G e f ü h l dieser U n s t e r b l i c h k e i t e r f r e u e t m i c h

o f t in m e i n e m N a h m e n u n d i m N a h m e n al ler , d i e d a l e b e n , u n d d ie

g e s t o r b e n s i n d , v o r u n s e r e n A u g e n . U n d so ists m e i n gewisser G l a u b e ,

d a ß a m E n d e alles g u t ist , u n d alle T r a u e r n u r d e r W e g z u w a h r e r

h e i l i g e r F r e u d e ist .

65 L a ß m i c h so a b b r e c h e n , T h e u e r s t e ! I c h s chre ibe D i r b a l d w i e d e r !

387

Page 401: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.20S. 206 B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

auch unserer l ieben M u t t e r ! u n d d e m BruderI Bleibt n u r ihr mi r ,

ihr L ieben I erhaltet euch für m i c h und für die Unsrigen 1

D e i n

ewigtreuer Bruder

Hölder l in . 70

206. A N F R I E D R I C H E M E R I C H

D u hast m i c h noch freundl ich g e n u g über me in Stillschweigen zu

recht gewiesen, l ieber Bruder ! u n d ich bitte D i c h für n u n u n d i m -

m e r , daß D u mir es nie misdeutest. So lang ich für m e i n e Freunde ,

u n d alles andre , was m i c h angeht , m i c h nicht leichter interessire, als

jezt der Fall ist, so lange w a r d ' ich w o h l aus d e m natürl ichen Instinkt, 5

n o c h bei m i r selber zu ble iben, i m m e r etwas spröde thun müssen.

D u glaubst n i cht , w ie sehr ich von je her hierin m e i n e Noth hatte.

Jede Bez iehung m i t andern Menschen u n d Gegenständen n i m m t

m i r gleich den Kop f zu sehr e in , u n d ich habe dann m e i n e M ü h e ,

so bald ich i rgend ein besonderes Interesse bei m i r z u m Vorschein lo

u n d zur Sprache k o m m e n lasse, wieder davon w e g u n d auf etwas

Anderes zu k o m m e n . Schreibst D u mir , so tönt es so lange nach , bis

ich m i c h m i t List oder Gewal t zu etwas andrem br inge , u n d schreib

ich Dir , so ists noch s ch l immer ; so b in ich ein schwerfäll iger Schwabe.

D u hast also e inen m u t h i g e n A n f a n g gemacht m i t der Herausgabe 15

D e i n e r Gedichte . Bei D e i n e m vesten Sinne hast D u auch m e h r

R e c h t , als ein anderer, vorerst das poetische Spiel ein w e n i g , w ie das

Glüksspiel zu treiben u n d i m N a h m e n des Genius den W ü r f e l h inzu-

w e r f e n . I ch sage damit gar n icht , als hättest D u D e i n e Besonnenheit

n icht auch benüzt , D e i n e n Künstlersinn, d e m D u so ziemlich Unrecht 20

zu thun scheinst, wei l er D i r so treulich u n d natürhch als ein red-

l icher Waf fenträger i m Tre f fen dient , ich m e i n e , daß D u woh l auch

D e i n e n gründl ichen Geschmak zur H ü l f e g e n o m m e n haben wirst ,

aber ganz sicher bist D u D e i n e r Sache denn doch nicht . W e r ist diß

auch von unsern alten i m d jungen Di chtern? u n d w e m w ü r d e m a n 25

es danken, so w ie die Sachen jezt stehen? W i r kalten Nordländer er -

388

Page 402: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.206.207

h a l t e n uns g e m in Z w e i f e l u n d L e i d e n s c h a f t , d a m i t w i r n i c h t aus

l auter l i eber O r d n u n g u n d S i c h e r h e i t u n s z u m S c h n e k e n l e b e n o r g a -

n i s i r e n .

30 A b e r i m E r n s t e , L i e b e r l D u m u s t , w e n n e i n e g r ö ß e r e L a u f b a h n

D i c h n i c h t h a b e n w i l l , m i t d e r Poes ie r e c h t e n Erns t m a c h e n . D u

scheinst m i r d ie poet i s che D r e i e i n i g k e i t , d e n zarten S i n n u n d d ie

K r a f t u n d d e n G e i s t , h i m m l i s c h e s u n d irrdisches E l e m e n t g e n u g in

D e i n e r N a t u r z u h a b e n , u m dieses e d l e L e b e n , in e i n e r so e d l e n

35 K u n s t , z u f i x i r e n u n d d e r N a c h w e l t w o h l b e h a l t e n z u ü b e r h e f e r n .

U n d d a r u m e h r ' i ch d e n f r e i e n , v o r u r t h e i U o s e n , g r ü n d U c h e r n K u n s t -

vers tand i m m e r m e h r , w e i l i ch i h n f ü r d ie h e i l i g e A e g i d e ha l t e , d i e

d e n G e n i u s v o r d e r V e r g ä n g l i c h k e i t b e w a h r t .

I c h d ü n k e D i r w o h l e in r e c h t e r B ü ß e n d e r . A b e r i ch d a r f zu m e . ner

40 E n t s c h u l d i g u n g s a g e n , d a ß i ch b e i a l ler s c h e i n b a r e n U n b e d a c h t s a m -

k e i t , m i t d e r m e i n e b i sher igen A r b e i t e n g e s c h r i e b e n s i n d , d o c h sehr

b e d ä c h t i g z u W e r k g i e n g , u n d d a ß n i c h t s o w o h l d ie S c h u l d an m i r

l i e g t , als in d e n E inse i t igke i ten unsers n e u e s t e n G e s c h m a k s , w e n n

i ch w i r k l i c h i m Z o r n , u n d h i e m i t e twas r e v o l u t i o n ä r v e r f u h r . A b e r

•5 es w a r w o h l f ü r d e n A n f a n g g u t , u n d w i e g e s a g t . D u k a n n s t besser ,

. als i c h , so e i n e n A n f a n g m a c h e n . M e i n G l ü k w a r , d a ß i ch sah , w o i ch

w a r , u n d d e ß w e g e n m e i n e n Sto f f d a n a c h e i n r i c h t e t e u n d w ä h l t e .

207. A N D I E M U T T E R

H o m b u r g ,

d . 2 3 M a i . 1 8 0 0 .

L i e b s t e M u t t e r !

I c h w a r b e i n a h e s chon zur A b r e i s e g e r ü s t e t , a b i ch I h r e n B r i e f

e r h i e l t . Ü b r i g e n s ha t t en d i e N a c h r i c h t e n , d i e I h n e n e i n i g e U n r u h e

v e r u r s a c h t e n , a u c h m i c h in m e i n e m Entsch lüsse e i n i g e r m a a ß e n

z w e i f e l h a f t g e m a c h t . I c h l i e ß in F r a n k f u r t n a c h f r a g e n , o b d e r Pos t -

w a g e n n o c h g i e n g e , i m d m a n h a t m i r es b e j a h t . N u n g l a u b e i c h , d a ß

in e i n i g e n W o c h e n d ie S a c h e n w e n i g s t e n s f ü r m e i n e R e i s e n i c h t h i n -

389

Page 403: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.207 B R I E F E i 7 9 8 - 1 8 0 0

d e r l i c h e r s e y n w e r d e n , als j e z t , vind w e i l i c h o h n e d i ß w a h r s c h e i n l i c h l o

m e i n L o g i s n i c h t g l e i c h w ü r d e b e z i e h e n k ö n n e n , so w i l l i c h , u m e i n e n

M i t t e l w e g z u t r e f f e n , m e i n e A b r e i s e n o c h so l a n g e a n s t e h e n lassen ,

bis S ie m i c h b e n a c h r i c h t i g e n w e r d e n , d a ß m e i n L o g i s in S t u t g a r d

so w e i t e i n g e r i c h t e t ist, d a ß i ch es b e i m e i n e r A n k u n f t b e z i e h e n k a n n .

D a i c h f ü r m e i n e G e s c h a f f t e e i n i g e Z e i t v e r l i e r e n m u ß t e , so ist es 15

o h n e d i ß n o t h w e n d i g , d a ß i ch in S t u t g a r d so b a l d w i e m ö g l i c h in d i e

T h ä t i g k e i t e i n t r e t e .

Ü b r i g e n s b i t t e i ch S i e , d a ß S ie s ich m i t d e n M e u b l e s so w e n i g , w i e

m ö g l i c h , M ü h e u n d U n k o s t e n m a c h e n . Es ist m i r erst n o c h b e i g e f a l -

l e n , d a ß s ich v i e l e i c h t ü b e r k u r z o d e r l a n g e d o c h n o c h e i n a n g e m e s s e - 20

n e r Pos ten i m A u s l a n d m i r d a r b i e t e n k ö n n t e , u n d so s e h e i ch d a r i n n

u n d in a n d e r n R ü k s i c h t e n e i n e n G r u n d , m i c h n i c h t so e i g e n t l i c h a u f

e i n l anges B l e i b e n e i n z u r i c h t e n . D e r B ü c h e r k a s t e n ist m i r g a n z

r e c h t . K ö n n t e i ch v o n m e i n e r G e s u n d h e i t i m m e r so g e w i ß s e y n , w i e

i c h es j ez t b i n , so w ü r d e i c h a u c h d e n k e n , d a ß i ch m e i n e schr i f t s te l le - 25

r i s chen A r b e i t e n i m m e r so u n u n t e r b r o c h e n w ü r d e f o r t sezen k ö n n e n ,

u m d a v o n zu l e b e n . A b e r i ch f i n d e es d e n n d o c h g u t , n i c h t so e i n z i g

m i c h d a r a u f zu ver lassen , u n d so w i l l i c h m i c h e b e n k u r z u n d g u t z u

d e n N e b e n gescha f f t en e n t s c h l i e ß e n , d i e i c h in S t u t g a r d t r e i b e n k a n n .

F r e i l i c h , w e n n i ch das U r t h e i l v o n M ä n n e r n u n d F r e u n d e n h ö r e , so

ü b e r m i c h u n d m e i n e S a c h e , so m ö c h t ' i c h , b e i a l ler D e m u t h , d i e

m i r m a n c h e s a u c h m i s d e u t e n k ö n n t e , d o c h a u c h m a n c h m a l f r a g e n ,

w a r u m i c h m i c h in d e r b ü r g e r h c h e n W e l t so h e r u m b e h e l f e n m ü s s e ?

Ü b r i g e n s so l a n g i ch k e i n e n a n d e r n W e g v o r m i r s e h e , so ha l te i c h

d e n , d e n i ch g e h e n m u ß , f ü r d e n b e s c h i e d n e n , u n d f i n d e m i c h d a r - 55

e i n , so g u t i ch k a n n .

I c h h a b e diese T a g e e i n e F r e u d e e r l e b t , d i e I h n e n a u c h F r e u d e

m a c h e n w i r d . E i n K a u f m a n aus F r a n k f u r t , d e n i c h n u r E i n m a l b e i

m e i n e m d o r t i g e n A u f e n t h a l t e g e s e h e n h a t t e , hat m i r so u n b e k a n n t e r

w e i s e e i n G e s c h e n k m i t e i n e m B u c h e g e m a c h t , das a u c h m e h r als +0

e i n e b l o ß e A t t e n t i o n b e s a g t , d a sein W e r t h w o h l w e n i g u n t e r 100 fl

b e t r ä g t . I c h w i l l d e n e d e l n M a n n n o c h b e s u c h e n u n d i h m so d a n k e n ,

w i e ers v e r d i e n t .

390

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B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4 Nr .22S . 22b. 227

M ö g e n S ie d i e G ü t e h a b e n , u n d an L a n d a u e r s c h r e i b e n , d a ß er m i r

•J b e i H E . K l i n g in F r a n k f u r t , o d e r be i w e m er sonst m a g , * 6 K a r o l i n e

a n w e i s t . I c h w ü r d e Sie n i c h t b e m ü h n , w e n n i ch n i c h t I h r e s Kredi ts

b e d ü r f t e , u n d da S ie w o h l o h n e d i ß an L a n d a u e r s c h r e i b e n , so f i n d '

ich es f ü r besser , als w e n n i c h es i h m s c h r i e b e . D a s G e l d ist n u r a u f

al le FäUe.

50 I c h w o l l t e , Sie hä t t en e i n m a l R u h e m i t m i r . Es t h u t m i r w e h e r ,

als i c h sagen m a g , d a ß i ch I h n e n i m m e r S o r g e u n d M ü h e m a c h e n

m u ß , besonders da Sie das b i s c h e n E h r e , w o m i t m i r bis izt in d e r W e l t

g e l o h n t w o r d e n ist, s chon w e g e n u n s e r e r E n t f e r n u n g n i c h t g a n z m i t

m i r t h e i l e n , u n d also fast u n b e l o h n t b l e i b e n m ü s s e n .

55 I c h h o f f e , es soll in u n s e r e m L a n d e d o c h d i ß m a l e r t räg l i ch h e r -

g e h e n . T a u s e n d G r ü ß e an d ie l i e b e S c h w e s t e r u n d a n a l le l

I c h b in in E i l e , w e i l d i e Post a b g e h e n w i l l .

E w i g u n d v o n H e r z e n

I h r

60 d a n k b a r e r S o h n

H ö l d e r l i n .

• i ch w i l l i h m selbst a u c h n o c h s c h r e i b e n .

391

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S T U T T G A R T H A U P T W I L N Ü R T I N G E N

B O R D E A U X

1800-1804

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B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 + Nr.208

208. A N D I E M U T T E R

L i e b s t e M u t t e r !

I c h d a n k e I h n e n herz l i ch f ü r I h r e n g ü t i g e n B r i e f , u n d d ie g u t e n

W ü n s c h e , d i e er e n t h ä l t . I c h w e r d e m i c h b e s t r e b e n , v o n m e i n e r Sei te

alles z u t h u n , w a s m i c h e i n e r b a l d i g e n u n d d a u e r n d e n E r f ü l l u n g

5 d e r s e l b e n w ü r d i g m a c h e n k a n n .

Sie k ö n n e n n i c h t g l a u b e n , m i t w e l c h e m G e f ü h l e v o n D a n k u n d

A c h t u n g g e g e n d i e M e i n i g e n i c h m e i n e n W e g h i e h e r g i e n g . D i e

T h e i l n a h m e u n d A u f m u n t e r u n g t r e u e r w o h l m e i n e n d e r G e m ü t h e r

ist m i r a u f d e r Ste l le m e i n e s L e b e n s , w o r a u f i ch jezt b i n , e in g r ö ß e -

10 res G e s c h e n k , als i r g e n d e t w a s , w o r a u f m a n sonst g r o ß e n W e r t h zu

l e g e n U r s a c h e h a t .

M e i n L o g i s u n d d ie A u f n a h m e in m e i n e s F r e u n d e s H a u ß e f a n d

i c h g a n z n a c h m e i n e m W u n s c h e .

Ü b e r h a u p t h a b e n m i c h m e i n e a l ten B e k a n t e n so g u t m ü t h i g e m p -

15 f a n g e n , d a ß i ch w o h l h o f f e n d a r f , h ier e ine Z e i t i m F r i e d e n z u l e b e n ,

u n d u n g e s t ö r t e r , als b i sher , m e i n T a g e w e r k t h u n zu k ö n n e n .

I c h ha l te es f ü r e i n G l ü k , d a ß m i r s chon das a n s t ä n d i g e u n d e r -

w ü n s c h t e A n e r b i e t e n v o n e i n e m j u n g e n M a i m e , d e r in d e r Canz le i

a rbe i t e t , g e m a c h t w o r d e n ist, d a ß i ch i h m S t u n d e n in d e r P h i l o s o p h i e

20 g e b e n m ö c h t e , w o f ü r m i r m o n a t l i c h e in K a r o l i n bezah l t w i r d .

Sonst h a b e i ch e b e n m a n c h e A u s g a b e m a c h e n m ü s s e n , u m m i c h

vo l l ends in m e i n e r k l e i n e n W i r t h s c h a f t e i n z u r i c h t e n . Besonders h a b e

i ch m i c h n i c h t g e r n e entsch lossen , m i r e i n e n Schre ib t i s ch , der z u -

g l e i c h als C o m m o d e d i e n t , zu b e s t e l l e n , w a s d o c h , als e in anständiges

25 M e u b l e , m i r n o t h w e n d i g sch ien u n d v o n L a n d a u e r a n g e r a t h e n

w u r d e , w e i l i c h a u f d e m k l e i n e n T i s c h c h e n n i c h t w o h l m i t m e i n e n

P a p i e r e n in O r d n u n g b l e i b e n , u n d w i e Sie selbst s e h n , o h n e I n k o m -

395

Page 409: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.20i B R I E F E 18 0 0 - 1 8 0 4

m o d i t ä t m e i n e K l e i d e r u n d W ä s c h e p . p . a u c h n i c h t i m m e r in d e m

K o f f r e b e h a l t e n k a n n .

I c h b r a u c h e d e n Schre ib t i s ch n i c h t g l e i c h z u b e z a h l e n , also s ind so

Sie a u c h n i c h t f ü r j ez t g e r a d e d a d u r c h m i t n e u e n A u s g a b e n be läs t ig t .

W e n n es I h n e n a b e r m ö g l i c h w ä r e , n o c h m i t e i n i g e n K a r o l i n e n m i r

in e i n i g e r Z e i t a u s z u h e l f e n , u n d m i c h so v o l l e n d s s i cher z u s te l l en ,

so w e r d e i ch es m i t h e r z l i c h e m D a n k a n n e h m e n u n d w o h l a u f e i n

Jahr l a n g S ie , l iebste M u t t e r ! u n b e l ä s t i g e t lassen k ö n n e n . H a b e n Sie 35

e b e n j ez t n o c h G e d u l t m i t m i r ! A n F l e i ß u n d g u t e m M u t h u n d g e -

h ö r i g e r m ö g l i c h s t e r E i n s c h r ä n k u n g soll es n u n u n d n i m m e r f e h l e n .

Es b e t r ü b t m i c h g e n u g , d a i c h a n d e r n M e n s c h e n u n d b e s o n d e r s

d e n M e i n i g e n n u r F r e u d e m a c h e n m ö c h t e , d a ß i c h f ü r j ez t n u r i m -

m e r m e h r e m p f a n g e n m u ß , a l s g e b e n k a n n . 40

T a u s e n d G r ü ß e a n m e i n e t h e u r e S c h w e s t e r ! I c h h a b e n e u l i c h

u n t e r w e g s e in k le ines G e d i c h t an sie e n t w o r f e n , das i ch i h r nächs tens

s ch iken w i l l , w e n n es i h r e i n e n v e r g n ü g t e n A u g e n b l i k m a c h e n so l l te .

L a n d a u e r s e m p f e h l e n sich I h n e n u n d d e r S c h w e s t e r . I c h h o f f e i m m e r

n o c h , d a ß w i r i n k u r z e m F r i e d e h a b e n , u n d v o n k r i e g e r i s c h e n U n - 45

r u h e n b e f r e i t s e y n w e r d e n .

I c h h a b e n o c h e i n e z i e m l i c h e Q u a n t i t ä t w e i ß e W ä s c h e in m e i n e m

K o f f r e g e f u n d e n , Sie d ü r f e n sich also n i c h t w u n d e m , w e n n Sie u n t e r

d e r s c h w a r z e n W ä s c h e m a n c h e s n i c h t f i n d e n , w a s z u r g a n z e n A n z a h l

g e h ö r t e . D i e B e i n k l e i d e r b i t t e i c h a u s z u b e s s e r n , u n d d i e k u r z e n f ä r - 50

b e n z u lassen. I c h w i l l I h n e n i m n ä c h s t e n B r i e f e s c h r e i b e n , w i e v i e l

i c h H e m b d e n p . p . n o c h h i e r h a b e , d a ß S ie s e h e n k ö n n e n , w i e v i e l

m i r f e h l t .

K ü s s e n Sie d ie l i e b e n K i n d e r in m e i n e m N a h m e n .

E w i g 55

I h r

d a n k b a r e r S o h n

H ö l d e r l i n .

D e r B ü c h e r k a s t e n u . V o r h a n g ist g a n z n a c h W u n s c h e a u s g e f a l l e n .

M e i n e S a c h e n h a b e i ch al le r i c h t i g e r h a l t e n . 6o

396

Page 410: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4 Nr.209

209 . A N D I E M U T T E R

L i e b s t e M u t t e r !

N u r e in paar W o r t e , u m I h n e n h e r z l i c h e n D a n k zu sagen u n d v o r -

z ü g l i c h a u c h S i e z u v e r s i c h e r n , d a ß e i n e A n m a h n u n g v o n I h n e n g e -

w i ß v o n m i r n i c h t , w i e w o h l sonst d e r Fal l s e y n k o n n t e , m i t E m p -

s f i n d l i c h k e i t m e h r a u f g e n o m m e n w e r d e .

S ie s ind j a als M u t t e r , m e i n e n a t ü r l i c h e u n d e w i g e F r e u n d i n u n d

w a s ist e h r w ü r d i g e r u n d d e m H e r z e n w o h l t h ä t i g e r , als w e n n e i n

t r e u e r S i n n , w i e d e r I h r e , d i e S o r g e n u n d n o t h w e n d i g e n B e d e n k -

l i c h k e i t e n des L e b e n s f ü r u n s ü b e r n i m m t .

10 G l a u b e n Sie n u r , w e n n i c h Sie m a n c h m a l s t i l l s c h w e i g e n d a n s a h ,

u n d das A l t e r i n I h r e r m i r ö f ters g e g e n w ä r t i g e n M i e n e b e m e r k t e , d a

d a c h t e i ch i m H e r z e n , so o p f e r t s ich e ines f ü r das a n d r e , u . j a l Sie

h a b e n m i r u n d m i r besonders v i e l e L i e b e , u n d m a n c h e K r a f t g e o p -

f e r t , d i e s ich in Besorgnissen u n d B e m ü h u n g e n u m m i c h v e r z e h r t e .

15 U n d w e n n i ch I h n e n selten so e twas a u s s p r e c h e , so ist es n u r , w e i l i ch

so l che G e d a n k e n l i e b e r in m i r b e w a h r e , u m sie , w o m ö g l i c h , i n e i n e m

L e b e n , das I h r e r w ü r d i g ist , z u o f f e n b a r e n . —

Sie k ö n n e n n u n e i n e W e i l e w i e d e r , w i e i c h h o f f e , w e g e n m e i n e n

Bedürfr i i ssen r u h i g s e y n . I c h h a b e e i n paar K a r o l i n n o c h v o n m e i n e m

20 V e r l e g e r e i n z u n e h m e n , u n d so w i r d es m i r m ö g l i c h , n e b s t d e m g ü t i g

z u g e s a n d t e n , d e n Schre ib t i s ch z u b e z a h l e n u n d z u m H a u s g e b r a u c h e

n o c h e i n i g e Z e i t a u s z u r e i c h e n . I c h h a b e a u c h w i e d e r e i n e n n e u e n

A n t r a g z u L e c t i o n e n v o n H E . R e g i s t r a t o r G u t s c h e r , d e n i c h n o c h

v o n R a s t a d t aus k a n n t e , b e k o m m e n .

25 W a h r s c h e i n l i c h w i l l m i c h H E . R e g i s t r a t o r Fr i s ch v i e r t e l j ähr l i ch

b e z a h l e n , d e n n i ch h a b e n o c h n i ch t s v o n i h m e i n g e n o m m e n , k a n n

aber , w i e i ch w e i ß , in j e d e m Fal le a u f se ine G e n e r o s i t ä t r e c h n e n .

D e r B r i e f v o n u n s r e m Kar l ist e i g e n t l i c h a n Sie g e r i c h t e t u n d i c h

m u ß t a u s e n d m a l u m V e r g e b u n g b i t t e n , d a ß i c h i h n das l e z t e m a l w i e -

so d e r z u s ch iken v e r g a ß . I c h w a r d a m a l s zu sehr b e s c h ä f f t i g e t .

A n al le h e r z l i c h e n G r u ß I

397

Page 411: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.209.210 B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4

So bald es m e i n e Geschaffte er lauben, bin ich so f re i , Sie zu be -

suchen.

Ihr

treuer Sohn 35

Hölderl in .

210. AN D I E M U T T E R

Liebste M u t t e r !

D a ich gegenwärt ig sehr beschäf t ig t bin, u m vor m e i n e m Besuche

in Reut l ingen noch mi t e in igem fertig zu w e r d e n , so müssen Sie

eben d ißmal m i t einigen W o r t e n vorl ieb n e h m e n . M e i n e n herzlich-

sten D a n k für Ihre l ieben Br ie fe ! Gestern erhielt ich auch noch den , 5

we lchen Sie mir zulezt nach H o m b u r g geschrieben.

W e n n ich denke , w ie viel stärker u n d gesünder ich m i c h seit der

Veränderung meines Aufenthalts füh le , u n d wie sich m e i n e jezige

L a g e täglich angemessener für me ine Bes t immung u n d sicherer zu

m e i n e m Auskommen bildet, so fühle ich eine Zufr iedenhe i t u n d lo

R u h e , die ich lang entbehrte , und ich hof fe , es soll so b le iben, u n d

dieser Zustand werde einen vesten u n d f rohen D a n k gegen die

theuern Mein igen u n d gegen me ine Freunde in m i r erhalten. Ich

habe jezt drei Anerbieten zu Lec t i onen , die m i r alle a n g e n e h m sind.

M e i n e Feierstunden br inge ich in guter w o h l m e i n e n d e r Gesel l - 15

Schaft zu , u n d m e i n eigenstes Geschafft gehet , w ie es scheint, m i r

jezt auch leichter u n d reiner von Herzen .

Unser guter treflicher Karl wird n u n auch w o h l nicht lange m e h r

in Ungewißhe i t über seine L a g e ble iben.

Freut sich, daß die Mutter neulich in Nürtingen von keinem militärischen Besuche 20

erschreckt worden. Er hofft, es soll auch vollends so ziemlich leicht für seine Lands-

leute vorbeigehen. M a n spricht Stark von e i n e m baldigen gründlichen

Frieden. — Sonntag Nacht will er bei der Mutter übernachten. Landauer wird mit

ihm kommen.

Ihr 25

dankbarer u n d treuer Sohn

Hölder l in .

398

Page 412: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4 Nr.211. 212. 213

211. AN D E N H E R Z O G V O N W Ü R T T E M B E R G

Stutgard .d . Sept. 1800.

Stipendiarius M. Hölderlin bittet unterthänigst, sich einige Zeit, als Erzieher,

hier aufhalten zu dürfen. Nachdem er mit des Herzogs Erlaubniß seit 1794 als Er-

zieher im Ausland gewesen, wegen fortdauernder Kränklichkeit ins Vaterland zurück-

gekehrt. Er sei so weit hergestellt und wolle sich bei seinem Freund Landauer, als

Erzieher seiner Kiruier, aufhalten.

212. AN E I N E N U N B E K A N N T E N

I ch bedauerte es, verehrungswürdiger Freund I daß ich Sie neul ich

nicht antraff, da ich Ihnen

213. AN D E N B R U D E R

Liebster Karl !

Buchhalter Frisch ist bis izt noch nicht aus der Kanzlei nach H a u ß e

g e k o m m e n ; ich werde ihn aber woh l noch nach Tisch fragen kön-

n e n , u n d dann n o c h D i r eine Antwort schreiben, ehe der Bote ab-

ä geht .

Ich denke , da sich die Gelegenheiten zu e inem anständigen Posten

so D i r zudrängen, daß es D i r nicht fehlen wird.

Bist D u doch auch wieder ganz hergestellt? Sei so gut , und sage

mir i m nächsten Briefe doch auch etwas davon.

10 I ch würde in dieser schönen u n d großen Zeit u n d in der R u h e und

Freiheit , die ich habe , w o h l sagen k ö n n e n , daß ich wahrhaft lebte,

w e n n nicht noch alte Le iden in mir zuwei len .

399

Page 413: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

N r . 1 9 * B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0

2 1 ^ . A N D I E S C H W E S T E R

Liebste Schwester!

, Ich scheine mein gegebenes Wort Dir nicht sehr gewissenhaft zu haken.Wäre es aber möglich gewesen, ich hätte seither sicher alle Wochen wenigstens einmal geschrieben. Ich bin durch das böse ma-lade Jahr, das ich überstanden habe, etwas langsamer in meinem Ge- 5 Schäfte geworden, und muß oft mit einem halbmüßigen Nachsinnen manche gute Stunde zubringen, darf mich dann nicht öfter unter-brechen, als es die Noth erfordert, und diese trat bisher, wegen der Neuheit meiner Lage, öfter ein, als es künftig geschehn wird. Auch fühl ich mich nach und nach auch wieder stärker zu dem was ich lo aus Liebe und Pflicht den Tag durch arbeite und schaffe, kann also künftig leichter und öfter eine Stunde gewinnen, die für Dich ge-hört.

Daß auch Du Dich gesünder fühlst, ist mit eine Ursache, warum ich heiterer, als sonst, bin. 15

Daß Dein Herz in seinem Verluste sich jezt zuweilen stärker füh-len muß, seit Du stärker wieder geworden bist, verstehe ich wohl, Theuerste I

Lebe nur so ruhig, wie möghch, hin, und vergegenwärtige Dei-nem Sinne, alles was Du noch hast, so freundlich und genügsam, 20 wie möglich, und laß Dich die zufälligen leichtvorübergehenden Betrübnisse des Tages nicht irren! Du siehst selbst, wie viel wir beede uns z. B. sind, und doch würde auch bei täglichem Umgang zuweilen eine Stunde kommen, wo wir uns nicht ganz verständen,. So ists mit allem. Die Güter des Lebens scheinen oft ungenießbar, 25 blos darum, weil sie oft eine rauhe Hülse tragen, u. tragen müssen, aber der Kern ist darum denn doch auch gewährt.

Grüße unsre gute Mutter; Karl hat mich neulich noch vor seiner Abreise zu seinem in der That vortheilhaften Posten besucht, und mit wahrhaftem Danke gerühmt, wie gütig sie ihm noch aus der 30 Noth geholfen habe. Wir Söhne sind ihre großen Schuldner.

400

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B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.i93.194

Grüße Deine lieben Kinderl Vorzüglich unsere verehrungswür-dige Grosmutter! und, wenn sie noch bei euch sind, unsere übrigen schäzbaren Verwandten I

35 Du siehest, Liebe! daß ich eben wieder pressirt bin. Ich schike hier meine schwarze Wäsche und bin so frei, um etwas

Kaffee zu bitten. Dein

treuer Bruder 40 H.

215. A N D I E S C H W E S T E R

Meine Theure!

Ich will Dir nur wieder das Nothwendigste schreiben.Wenn es Euch Lieben recht ist, komm ich vieleicht diese Woche, wenigstens auf einige Stiinden, zu Euch, und bespreche mich weitläufiger.

5 Landauer scheint sehr zu wünschen daß ich bleibe, und hat An-stalten gemacht, daß ich vieleicht einige Informationen mehr, also ungefähr 3 Luidor des Monaths erhalte. Ob ich damit so weit reiche, als wir alle wünschen, wäre dann die Frage. Aus der Schweiz hab ich indessen keine Antwort. Der Rath der Meinigen, so viel er, ohne das

10 Herz zu fragen, unpartheiisch seyn kann, wird mir deßwegen will-kommen seyn, weil ich mit völliger Einstimmung thun möchte, was zu thun ist. Der Himmel weiß! daß ich nur frage, was nothwendig sei? und daß ich mich in alles Nothwendige zu schiken bereit bin. Aber wenn wir diß so viel möglich eingesehen haben, wollen wir

15 auch so getrost und freudig im Geiste untereinander seyn, als wir können, in diesem und in allen Fällen.

Nur Glauben und Liebe u. Hoffnung soll nie aus meinem Her-zen weichen, dann gehe ich, wohin es soll, und werde gewiß am Ende sagen: ich habe gelebtI und wenn es kein Stolz und keine

20 Täuschung ist, so darf ich wohl sagen, daß ich in jenen Stüken nach und nach, durch die Prüfungen meines Lebens, vester mid stärker geworden bin.

401

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Nr.21S.216.217 B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 •

D i e Landauer läßt D i c h grüßen . D i e M ü z e n , sagt sie, werden

w o h l nicht ganz so theuer ausfallen.

Herzl ichen G r u ß an alle! 2S

D e i n

treuer Bruder

Friz.

216. AN D I E S C H W E S T E R

M e i n e T h e u r e !

Ich werde verhindert , morgen zu k o m m e n ; hof fe aber u m so siche-

rer, übernächsten Sonntag D i c h u n d die l ieben Unsrigen zu sehen.

D e r schöne Herbst b e k o m m t meiner Gesundheit außerordentl ich

w o h l , u n d ich fühle m i c h frisch in der W e l t , u n d eine neue H o f - 5

n u n g , n o c h eine W e i l e unter den Menschen das Me in ige zu t h u n ,

lebt aUmählig i m m e r stärker in mir auf .

A u c h D u , Beste! bist, w ie ich höre , wieder vester auf Gottes Bo-

den . W i r werden w o h l noch manche schöne T a g e zusammenhaben ,

besonders, w e n n der Friede endUch da seyn w i rd , der , w ie m i r heute 10

ein französischer Offizier sagt, beschlossen seyn soll.

W i r haben hier starke Einquart ierung. Seid ihr doch ruhig bisher

unter diesen Umständen, meine Lieben!

G r ü ß e unsre theuren Müttern u n d D e i n e Kinder !

D e i n 15

H .

217. AN D I E S C H W E S T E R

Theuers te !

Ich danke D i r und unsern guten Müttern noch e inmal von Herzen

für die glüklichen Augenbl ike , die ich unter euch zugebracht . Solche

Ruhetage sind hienieden der L o h n unseres Lebens .

D e i n Brief hat mich sehr b e w e g t ; aber eine wohlthätige R u h e hat 5

m i r dann auch der Gedanke gegeben , daß ich m i t Dir , G u t e u n d den

Mein igen doch so i m Wahrsten u n d Heil igsten verbunden b in . D i ß

erhält m e i n Herz , das a m Ende n u r zu o f t in al lzugroßer Einsamkeit

402

Page 416: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4 Nr.217. 2iS. 219

seine S t imme verliert und vor uns selber verschwindet . U n d was ist

10 alle Weishe i t o h n e diese kindliche f r o m m e St imme in uns?

D e n Besuch bei De iner Freundin wi l l ich m o r g e n m a c h e n . Heute

bin ich etwas zu m ü d e .

Dar f ich D i r rathen, daß D u o f t ins Freie gehst, diesen schönen

Herbst , und unter d e m schönen blauen H i m m e l Frieden u n d G e -

is sundheit höhlest?

Ich w e i ß aus eigener Er fahrung , w ie viel diß hil ft , und an Beglei-

tung wird es D i r nicht fehlen .

D e i n e l ieben Kinder sind ein Gut für mich . W i e viel m e h r werden

sie es für D i c h seyn? Man findet selten solche glükl ichgeborne, u n d

20 gutgezogne Geschöpfe , u . D u weist selbst, welch eine schöne u. edle

Bes t immung es ist, über einen solchen R e i c h t u m zu walten u n d sei-

n e m natürlichen Gede ihen fortzuhel fen.

G r ü ß e sie von mir , w i e unsre verehrungswürdigen M ü t t e r n !

De in

25 treuer Br.

H .

218. AN D I E S C H W E S T E R

Schreibt, daß er mit einer Familie in der Schweiz über eine Hofmeisterstelle in

Verbindung stehe. Es müßten gute und gebildete Menschen sein, von dem Sohn des

Hauses zu schließen, dessen Bekanntschaft er vor einigen Tagen gemacht habe. Die

Lage des Orts kernt er schon ungefähr. Sie ist ganz nach seinem Wunsch. 30 Louis

5 bekommt er Salarium. In einigen Wochen wird die Sache ausgemacht sein.

219. AN D I E S C H W E S T E R

M e i n e T h e u r e !

Es war freilich nicht recht , daß ich den unerwarteten Gast nicht

ansagte, und ich bitte es euch u n d i h m ab. Es k a m aber a m lezten

Samstag, w o ich es hätte thun müssen, so viel zusammen, daß D u

403

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Nr.219 B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 +

d i e Z e r s t r e u u n g , in d e r i c h es , r e d l i c h z u s a g e n , v e r g a ß , z i e m l i c h 5

n a t ü r h c h f i n d e n m ü ß t e s t , w e n n D u m i c h v o n i n n e n u n d a u ß e n . g e -

s e h e n hättest .

I c h w u r d e v o n m e i n e n F r e u n d e n fast u n b a r m h e r z i g b e s t ü r m t ,

u m z u b l e i b e n , v e r s c h i e d e n e interessante A n t r ä g e z u U n t e r r i c h t s -

s t u n d e n w u r d e n m i r an d e m s e l b e n T a g e g e m a c h t , u n d z u g l e i c h sol l te lO

i c h u n t e r a l len d e n G ä n g e n , d i e i c h z u m a c h e n h a t t e , u n d in ä u ß e -

r e m u n d i n n e r e m T u m u l t d e m F r e m d e n , d e n i ch w i r k l i c h l i e b g e -

w a n n , e i n e e n t s c h e i d e n d e A n t w o r t g e b e n u n d hat te d a n n ü b e r

m e i n e k ü n f t i g e L a g e u n d se ine F a m i l i e u n d i h n u n d m i c h i h m so

m a n c h e s z u s a g e n . I c h g e s t e h e D i r , T h e u r e l d a ß i c h m e i n e n E n t - 15

Sch luß , so sehr er m e i n e m H e r z e n w i d e r s p r a c h , d o c h i m m e r m e h r

m i t m e i n e m H e r z e n zu r e i m e n w e i ß . I c h h a b e in m i r e i n so t ie fes

d r i n g e n d e s B e d ü r f n i ß n a c h R u h e u n d Sti l le — m e h r als D u m i r a n -

s e h n k a n n s t , u n d a n s e h n sollst. U n d w e n n i c h d i ß in m e i n e r k ü n f -

t i g e n L a g e f i n d e , so e rha l te i ch m e i n H e r z m e i n e n u n v e r g e ß l i c h e n 20

V e r w a n d t e n u n d F r e u n d e n n u r u m so w ä r m e r u n d t r e u e r . I c h k a n n

d e n G e d a n k e n n i c h t e r t r a g e n , d a ß a u c h i c h , w i e m a n c h e r a n d e r e , in

d e r kr i t i s chen L e b e n s z e i t , w o u m u n s e r I n n e r e s h e r , m e h r n o c h als in

d e r J u g e n d , e i n e b e t ä u b e n d e U n r u h e sich h ä u f t , d a ß i c h , u m a u s z u -

k o m m e n , so kal t u n d a l l z u n ü c h t e r n u n d versch lossen w e r d e n sol l . 25

U n d in d e r T h a t , i ch f ü h l e m i c h o f t , w i e E i s , u n d f ü h l e es n o t h w e n -

d i g , so l a n g e i c h k e i n e sti l lere R u h e s t ä t t e h a b e , w o alles w a s m i c h a n -

g e h t , m i c h w e n i g e r n a h , u n d e b e n d e ß w e g e n w e n i g e r e r s c h ü t t e r n d

b e w e g t . H i e r i n n Hegt f ü r m i c h , u n d w i e i c h g l a u b e , a u c h f ü r d i e

M e i n i g e n , d e r H a u p t g r u n d , d e r m i c h , w o m a n c h e s a n d e r e a u f b e i - so

d e n Se i ten g l e i c h w a r , z u m e i n e m Entsch lüsse b e s t i m m t e . I c h h a b e

D i r f r e i l i c h n u r o b e n h i n g e s p r o c h e n . I c h w i l l m i c h m ü n d l i c h e r -

k l ä r e n , so v i e l D u es wi l l s t . — W i r b l e i b e n u n s , l i e b e t h e u r e S c h w e -

ster ! u n d i h r V e r w a n d t e u n d F r e u n d e m e i n e s H e r z e n s a l l e ! S e h r l i e b

w ä r e es m i r , w e n n i c h u n s e m K a r l n o c h s p r e c h e n k ö n n t e . S c h r e i b ' 35

i h m d r i n g e n d . I c h h a b e i h n l a n g e n i c h t r e c h t g e s p r o c h e n . U n d es

w ä r e m i r sehr g e g e n m e i n H e r z , s chr i f t l i ch A b s c h i e d n e h m e n z u

m ü s s e n v o n i h m . E r soll m i r n o c h d ie F r e u d e m a c h e n , w e n n er k a n n .

404

Page 418: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 7 9 8 - 1 8 0 0 Nr.19S.i96

I c h w i l l d i e F e i e r t a g e be i D i r u n d u n s e r e r t h e u e r n M u t t e r w e n i g -

•0 stens z u m T h e i l z u b r i n g e n , u n d v o n N ü r t i n g e n aus abre i sen , m e i n e

E f f e c t e n aber , w e n i g s t e n s d ie hauptsäch l i chs ten , d i e i ch b r a u c h e , v o n

h ie r aus w e g s c h i k e n , w e n n es d ie l i ebe M u t t e r so g u t f i n d e t . A u s -

g a b e n h a b e i ch h i e r w e n i g m e h r zu m a c h e n . E i n paar St ie fe l g l a u b '

i ch n ö t h i g z u h a b e n , das ist al les . K a n n m i r d ie h e b e M u t t e r e i n i g e

+5 L u i d o r z u m R e i s e g e l d a u f t r e i b e n , so ist m i r es l i eber , als w e n n ich sie

h i e r e n t l e h n e . D i e Re i sekos ten w e r d e n m i r , v e r s p r o c h e n e r w e i s e ,

v e r g ü t e t , u n d w o h l so r e i c h l i c h , d a ß i ch das , was i ch v o n G e l d m i t -

n e h m e , h e i m g e b e n , u n d v o n d e m Ü b r i g e n n o c h e i n e W e i l e v o r k o m -

m e n d e A u s g a b e n bestre i ten k a n n . I c h b l e i b e bis zu d e n F e i e r t a g e n

50 v o r z ü g l i c h w e g e n m e i n e r U n t e r r i c h t s s t u n d e n n o c h h ier . — I c h

s chre ibe n ä c h s t e n B o t e n t a g w i e d e r , u n d n i c h t so e i l f e r t i g , w i e h e u t e .

V e r g i e b es ! Es ist h e u t e L a n d a u e r s G e b u r t s t a g , u n d da b i n i ch d e n

g a n z e n M o r g e n h i e u n d da u n t e r b r o c h e n w o r d e n u n d soll jezt e b e n

z u T i s c h . A n L a n d a u e r n sollst D u d e n M a n n f i n d e n , d e r m e i n e

55 Bruders te l l e in m e i n e r A b w e s e n h e i t ver t r i t t . G l a u b es ! was w i r u n s

s i n d , u n d was al le u n s e r e L i e b e n m i r s ind , ist u n v e r ä n d e r l i c h .

D e i n

H ö l d e r l i n .

220. A N D I E S C H W E S T E R

M e i n e T h e u r e I

Es w i l l m i r selbst n i c h t g e f a l l e n , d a ß i ch jez t s c h o n e i n i g e m a l D i c h

h a b e a u f B r i e f e w a r t e n lassen m ü s s e n . W i e i ch d ie W ä s c h e s ch ik te ,

w a r i ch w i r k l i c h g e h i n d e r t , d u r c h das E i n p a k e n , dabe i zu s c h r e i b e n ,

5 u n d ges tern w a r i c h g e r a d e a u s g e g a n g e n , als u n s r e N ü r t i n g e r

F r e u n d e m i c h b e s u c h e n w o l l t e n , u n d n a c h h e r k o n n t e i c h sie n i r -

g e n d s e r f r a g e n u n d a u f s u c h e n , u m D i r w e n i g s t e n s e in paar W o r t e

sagen z u lassen.

A u f d i e F e i e r t a g e k o m m e ich g e w i ß . N u r w e i ß i c h d ie Z e i t n i c h t

10 g e n a u e r z u b e s t i m m e n , da i ch n o c h m a n c h e s a u s z u f e r t i g e n h a b e ,

e h e i ch abre ise . A u f das d r i n g e n d e Z u r e d e n m e i n e r F r e u n d e h a b e i ch

405

Page 419: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.220.22i.222 B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 +

ihnen versprochen, nachher wenigstens noch e inen T a g auf Besuch

h i eherzukommen .

Das Ge ld , das mir unsre gütige Mutter schikte, k a m mir recht ge -

legen . Ich habe noch einiges e inzunehmen , aber auch noch einige 15

nothwendige Ausgaben zu m a c h e n , u n d w u ß t e nicht , wie wei t ich

m i t d e m Einzunehmenden hinreichen w ü r d e , bin also bei me iner

Abreise auf alle Fälle gesichert, was mir , w ie D u denken kannst, sehr

wohl thut . Übrigens werde ich auch davon keinen Hel ler zuviel aus-

geben . D a n k e Ihr herzlichst in m e i n e m N a h m e n ! 20

W e g e n der R e c h n u n g über Kost u n d Logis wi l l ich mi t Landauern

sprechen, daß , i m Fall der Noth , die Bezahlung bis auf Ostern noch

anstehn kann.

Z u m Glüke geht mir jezt so manches durch den Kop f , daß ich den

Abschied von me inen hiesigen Freunden nicht so sehr fühle . Einige 25

ruhige T a g e , bei E u c h , Ihr Theuersten l werden mir noch z u m See-

gen auf m e i n e dritte Wanderschaf t w e r d e n .

Übrigens siehest D u selbst, L i e b e ! daß m e i n e künf t ige L a g e das

glüklichste ist, was mir , für jezt, begegnen konnte .

I ch kann euch auch w o h l von Jahr zu Jahr besuchen. In Eile. 30

D e i n

Friz.

221. AN D I E M U T T E R

Er hat seinen Plan geändert, kommt nach Nürtingen, reist aber nach Stuttgart

zurück Und von da nach einigen Tagen mit seinen Sachen auf dem Postwagen wei-

ter. — Er legt den Brief von Hauptwil .ein, den er eben heute erhalten.

222. AN D E N B R U D E R

T h e u r e r Karl !

I ch habe D e i n e n Brief erhalten, auf d e m W e g e von Stutgard hie -

her. Landauer schikte m i r ihn nach , u n d so traf er m i c h unter m a n -

406

Page 420: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 + Nr.222

c h e r l e i G e d a n k e n , d i e m i r d ie A b r e i s e aus S t u t g a r d u n d d ie o f f e n e

5 S t r a ß e u n d d ie o f f e n e W e l t e i n g a b . I c h f ü h l t e d e n e w i g e n L e b e n s -

m u t h , d e r u n s , v o l l l i e b e n d e n V e r t r a u e n s , d u r c h al le P e r i o d e n des

D a s e y n s o f t s t i l l m a h n e n d , o f t in se iner v o l l e n f r o h e n K r a f t h i n d u r c h -

f ü h r t , d i e sen G e i s t d e r J u g e n d u n d d e r W e i s h e i t f ü h l t ' i ch e i n m a l

w i e d e r , r e c h t , w i e er e r s c h e i n e n m u ß , w e n n w i r i h n e r k e n n e n so l l en ,

10 u n d D e i n e t r e u e n f r o m m e n A b s c h i e d s w o r t e k o n n t e n diese S t i m m u n g

n u r n o c h r e i n i g e n u n d v e r s c h ö n e r n . W i e v ie les h a b ' i c h D i r a u f d e r

Ste l l e , i n d e m i c h m e i n e s W e g e s g i e n g , i m G e i s t e g e a n t w o r t e t ! Jal

i ch d a r f es s a g e n , i ch w a r v o l l m ä c h t i g e n Tros tes f ü r D i c h i m d m i c h ,

u n d i c h h a b e diese S t i m m e unsers G e n i u s n o c h n i c h t v e r g e s s e n .

15 V o n S t u t g a r d aus w i l l i ch D i r n o c h e i n m a l s c h r e i b e n . I c h w e r d e

m i c h n o c h e i n i g e T a g e d o r t a u f h a l t e n . I n d e ß b e g n ü g e D i c h m i t d i e -

sen f l ü c h t i g e n W o r t e n u n d n i m m z u m A b s c h i e d e d ie stil le, a b e r u n -

aussprech l i che F r e u d e m e i n e s H e r z e n s in D e i n H e r z — u n d l a ß sie

d a u e r n , bis sie n i c h t m e h r so d ie e i n s a m e F r e u d e v o n F r e u n d u n d B r u -

20 d e r ist — D u f rags t m i c h w e l c h e ?

D i e s e , t h e u r e S e e l e l d a ß u n s e r e Z e i t n a h e ist , d a ß u n s d e r F r i e d e ,

d e r j e z t i m W e r d e n ist , g e r a d e das b r i n g e n w i r d , w a s e r u n d n u r er

b r i n g e n k o n n t e ; d e n n e r w i r d v ie les b r i n g e n , was v i e l e h o f f e n , a b e r

er w i r d a u c h b r i n g e n , w a s w e n i g e a h n d e n .

25 N i c h t d a ß i r g e n d e i n e F o r m , i r g e n d e i n e M e i m m g i m d B e h a u p -

t u n g s i e g e n w i r d , d i ß d ü n k t m i r n i c h t d i e w e s e n t l i c h s t e se iner G a a -

b e n . A b e r d a ß d e r E g o i s m u s in a l len s e i n e n G e s t a l t e n sich b e u g e n

w i r d u n t e r d ie h e i l i g e H e r r s c h a f t d e r L i e b e u n d G ü t e , d a ß G e m e i n -

ge ist ü b e r alles in a l l e m g e h e n , u n d d a ß das d e u t s c h e H e r z in s o l c h e m

50 K l i m a , u n t e r d e m S e e g e n d i e s e s n e u e n F r i e d e n s erst r e c h t a u f g e h n ,

u n d g e r ä u s c h l o s , w i e d ie w a c h s e n d e N a t u r , se ine g e h e i m e n w e i t r e i -

c h e n d e n K r ä f t e e n t f a l t e n w i r d , d i ß m e i n ' i c h , d i ß s e h ' u n d g l a u b ' i c h ,

u n d d i ß ists, w a s v o r z ü g l i c h m i t H e i t e r k e i t m i c h in d ie z w e i t e H ä l f t e

m e i n e s L e b e n s h i n a u s s e h n l ä ß t . — Sei d e n n n o c h f r o h ü b e r D e i n e n

35 u n s c h u l d i g e n , a n s p r u c h l o s e n L e b e n s g a n g , D u G u t e r ! D u bist e r h a l -

t e n , g e s p a r t ; d e r S t ü r m g e h e t h i n w e g , sei f r o h , d a ß D u in s i cherer

V e r b o r g e n h e i t i h n f e m g e h ö r t u n d D e i n e See le re in u n d l i e b e n d

407

Page 421: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.222.22} B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4

f u r c h t l o s f ü r d ie bessere Z e i t b e w a h r t has t , u n d g l a u b e m i r , D u w i r s t

d i e h ö h e r e B e s t i m m u n g , d e r D u a n g e h ö r s t , a u f D e i n e m s i chern

W e g e n o c h e r r e i c h e n . V e r g e s s e n k a n n s t D u j e n e n i c h t , so w e n i g , als 40

i c h D i c h v e r g e s s e n k a n n . W i r w o l l e n u n s ö f ters s c h r e i b e n , a u c h b e -

s u c h e n , so o f t es m ö g l i c h ist. I c h b i n ja v o n d e n M e i n i g e n n u r d r e i

T a g e r e i s e n e n t f e r n t . U n d w a r s a u c h w e i t e r , D u w e i s t , w i e w i r v e r b u n -

d e n s ind i m L i e b e n u n d G l a u b e n , D u E d l e r l

E w i g D e i n 45

Fr i z .

223 . A N D I E S E I N I G E N

K e i n W o r t v o n a l l en e u r e n t r e u e n H e r z e n s w o r t e n , i h r G u t e n I

soll v e r l o r e n s e y n , so w i e k e i n e r d e r g ü t i g e n L i e b e s d i e n s t e .

I c h b i n w o h l h i e h e r g e k o m m e n , e twas m ü d e , w i e es i m m e r g e h t ,

w e n n das H e r z v o l l u n d b e w e g t ist , u n d d ie G e d a n k e n m ä c h t i g e r a r -

b e i t e n , u n d d e r M e n s c h d o c h a u c h se inen i rd i s chen G a n g g e h e n so l l . 5

A b e r k ö n n t ' i c h d o c h so d ie T a g e m e i n e s L e b e n s i m m e r w a n d e l n z w i -

s c h e n H i m m e l u n d E r d e , m i t D e m u t h u n d G l a u b e n g e t h e i l t , u n d so

d e n s ü ß e n S c h l a f , u n d d i e R u h e , d i e w i r h o f f e n , v e r d i e n e n I

I c h w i l l n u n n i m m e r d e n U n m u t h in m i r M e i s t e r s e y n lassen . D e r

Ü b e r m u t h soll a b e r a u c h s ich b e u g e n v o r d e m , w a s u m u n s u n d ü b e r 10

u n s ist. G e w i ß , i c h k a n n es n i c h t anders g l a u b e n , w e n n i ch das M e i -

n i g e t h u e , so w e r d ' a u c h i ch a u f d ieser E r d e m e i n e B e s t i m m u n g m e n -

s c h e n m ö g l i c h e r f ü l l e n , u n d n a c h d e n P r ü f u n g s t a g e n m e i n e r J u g e n d

n o c h z u f r i e d e n s e y n .

I c h h o f f e z u E n d e d e r b e v o r s t e h e n d e n R e i s e so g e s u n d z u s e y n , w i e 15

i ch j ez t b i n . D i e U m s t ä n d e n ö t h i g c n m i c h n o c h bis S a m s t a g z u b l e i -

b e n .

M e i n g u t e r L a n d a u e r w i l l m i c h m i t d e n ü b r i g e n F r e u n d e n n o c h

bis T ü b i n g e n a u f e i n e A r t g e l e i t e n , d i e m i r a u f das Ü b r i g e des W e g e s

w o h l t h u n w i r d . E r sagt m i r , d a ß S ie d i e M e u b l e s , so b a l d o d e r spät 20

S ie es g u t f i n d e n , h i e r a b h o h l e n lassen k ö n n e n .

F i n d e t e r e i n e n g u t e n K ä u f e r , so w i l l e r d e n S c h r e i b t i s c h w e g g e b e n .

408

Page 422: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4 Nr.22i.224

I c h w e r d e w o h l n o c h e i n m a l s c h r e i b e n k ö n n e n v o n h i e r aus . Es ist

m i r B e d ü r f i i i ß , e u c h , i h r T h e u e r s t e n , so o f t i c h k a n n , e i n W o r t aus

25 d e m H e r z e n z u s a g e n .

G l a u b e n S ie m i r s , m e i n e v e r e h r u n g s w ü r d i g e M u t t e r ! u n d i h r ,

g u t e , t h e u r e G e s c h w i s t e r I das Ä c h t e , das U n s c h u l d i g e , das g r ü n d l i c h e

H e r z , das i ch in j e d e m v o n e u c h , w i e e i n e S t i m m e des H i m m e l s , v o n

J u g e n d a u f , n o c h e h ' i c h w u ß t e , w a s es w a r , e r f a h r e n h a b e , xmd n u n

30 e r k e n n e u n d als d e n G r u n d alles G u t e n u n d W a h r e n u n d G o t t ä h n -

l i c h e n e h r e , — d i ß , d i ß ists, w a s m i r u n v e r g e ß l i c h b l i e b e v o n e u c h ,

w e n n i ch a u c h alles a n d r e L i e b e , w a s e b e n aus d i esen H e r z e n m i r z u

g u t k a m , j e v e r g e s s e n k ö n n t e !

G r ü s s e n Sie m i r al le F r e i m d e .

35 I h r

H ö l d e r l i n .

2 3 4 . A N A N T O N V O N G O N Z E N B A C H

E r l a u b e n S i e , d a ß i c h , n o c h e h e i ch es m ü n d l i c h k a n n , I h n e n e i n e n

a u f r i c h t i g e n D a n k s a g e , f ü r d e n g ü t i g e n R u f , z u e i n e m Verhä l tn i s se

u n d G e s c h a f f t e , das so g u t u n d schäzbar f ü r m i c h s e y n w i r d . S ie

k o m m e n m i r m i t so v i e l e m e n t g e g e n , was i ch a c h t e n m u ß ; i c h k a n n

5 I h n e n n u r g u t e n W i l l e n vmd A u f m e r k s a m k e i t , a u f das , w a s m e i n e

P f l i c h t in I h r e m H a u ß e s e y n w i r d , u n d O f f e n h e i t u n d T r e u e v e r s p r e -

c h e n ; u n d w e n n Sie s a g e n , d a ß Sie e i n e n W e r t h in das , w a s i c h z u l e i -

sten h a b e , l e g e n ; so w i s sen S ie g e w i ß a u c h , w i e v i e l W e r t h u n d G u t e s

d a r i n n f ü r m i c h l i eg t , d a ß i c h in d e m Kre i se e i n e r F a m i l i e l e b e n w e r d e ,

10 d i e s ich selbst g e n u g s e y n k a n n , u n d d ie s c h w e r s t e u n d s chönste a l ler

T u g e n d e n , d i e das G l ü k z u t r a g e n , t ä g l i c h a u s ü b t . W ä r i c h a u c h n u r

d e r Z u s c h a u e r u n t e r I h n e n , so h ä t t ' i c h a n e i n e m s o l c h e n B i lde des

F r i e d e n s g e n u g . I c h b i t t e , d a ß S ie diese W o r t e n i c h t f ü r e i te l n e h m e n .

D a S i e , g ü t i g e r w e i s e , d i e T ü c h t i g k e i t z u m A m t e des E r z i e h e r s m i r

15 i m A l l g e m e i n e n zut ravm, so g l a u b e i c h das B e s o n d e r e , w a s f ü r m i c h

z u b e o b a c h t e n s e y n w i r d , v o n e i n e r U n t e r r e d u n g m i t I h n e n e r w a r t e n

z u k ö n n e n .

409

Page 423: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.22-t.22S B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 +

D e n Jenner hoffe ich abreisen zu k ö n n e n .

H a b e n Sie die G ü t e , m i c h Ihrer verehrungswürdigen Famil ie zu

empfeh len . I h r e m Herrn Sohne wiederhohle ich den D a n k , u n d 20

w e r d e es i h m woh l o f t noch danken, daß er, durch seine Person u n d

seine B e g e g n u n g , die Ent f e rnung von den Freunden u n d Verwandten

der He imath mir erleichtert u n d mir in diesem Grade es wünschens-

werth gemacht hat , den Aufenthal t in e i n e m Familienkreise zu ver -

dienen , den er so schön repräsentirt. M i t T r e u e u n d W a h r h e i t 25

Ihr

ergebener

M . H ö l d e r l i n .

225. AN D I E S C H W E S T E R

M e i n e T h e u r e !

N u n auch z u m leztenmale von hier aus I

Ich bin völ l ig reisefertig. Alles ist gepakt u n d bestellt. Gestern

habe ich nach Hauptwei l geschrieben, u n d m e i n e ganze Sorge ist nur ,

unter me inen Freunden mir die nöthige Heiterkeit zu erhalten. 5

D e i n e theuren unvergeß l i chen W o r t e sollen mir erst in Hauptwe i l ,

w e n n ich ruhig seyn w e r d e , recht woh l thun .

Ich schreibe von Konstanz aus, w e n n es auch n u r e inige W o r t e

sind, blos, daß wir von einander w i s s e n . W i r verstehn uns ja so gut ,

daß auch das einsylbigste und flüchtigste uns das Rechte sagt, u n d die 10

eigentlichste Sprache unserer T r e u e ersetzt.

D u weist, w ie m a n o f t ruh ig u n d stille seyn kann u n d doch das

Herz voll ist. So ist es mir auch jezt. Ich könnte keine W o r t e f inden

für alles, was ich euch , ihr L iebsten ! täglich u n d stündlich sagen

sollte, u n d so ists besser, w e n n ich m i c h bescheide, u n d noch z u m 15

Ende so troken u n d unbedeutend Abschied n e h m e .

L e b t eben w o h l , ihr G u t e n , u n d bleibet zufr ieden u n d f reudig

i m Geiste , in d e m Geiste , der uns auch unter den schmerzlichsten

Stunden des Abschieds das ganze Glük verwandter Herzen zu fühlen

giebt. 20

410

Page 424: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4 Nr.22S. 22b. 227

D e r heitere H i m m e l m a g uns auch , w e n n es so bleiben sollte, an

einander m a h n e n , und trösten. D e n D a n k für alles, was ihr m i r seid,

i m d an mir thatet, wi l l ich n i m m e r aussprechen; aber treu und le-

bend in me iner Seele bewahren .

25 L e b e w o h l , Freundin und Schwester 1 Küsse D e i n e Kinderl L a ß

sie D e i n e Freude seyn, w ie sie auch die me in ige sind. Unsere theure

Mutter und u n s e m braven Bruder laß auch in m e i n e m N a h m e n ,

we i l ich es nicht so nahe kann , und wei l D e i n Herz reich g e n u g ist,

die L i e b e er fahren, die Ihnen u n d D i r das L e b e n versüßt u n d er-

50 leichtert u n d uns Kraft zu al lem Guten giebt. Ewig

D e i n

Friz.

226. AN D I E S E I N I G E N

Konstanz. Mi t twoch Abends .

Es ist wenig über eine Woche, daß er von ihnen Abschied genommen. — Bis Tübin-

gen wurde er von seinen Freunden geleitet. Von da hat er den Weg meist zu Fuße

gemacht — über Ebingen und das Hochstraß nach Siegmaringen — ein kürzerer f f eg

S als über Schaffhausen. Von da fuhr er, in 12 St., mit einem Gefährt an den See, von

wo er sich überschiffen ließ urxd dann in 2 St. nach Constanz ging. — Morgen wird

er in Hauptwil ankommen (S St. von Constanz).

227. AN D I E M U T T E R

Hauptwei l bei Konstanz,

d . 2 4 Jenner 1801.

T h e u r e Mutter I *

Lassen Sie die guten Nachrichten, die ich Ihnen von meiner hie -

sigen L a g e sagen kann, den ersten D a n k seyn für all ' Ihre gütigen

treuen Sorgen, die Sie besonders während meines Aufenthalts i m

L a n d e für mich gehabt haben.

Ich kann in der That nicht anders sagen, nach der Überzeugung ,

die ich mir seit 10 T a g e n geben konnte , a b daß die zahlreiche Familie ,

411

Page 425: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.221 B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 +

in der ich lebe, aus solchen Menschen besteht, unter denen man mit lo

zufriedener Seele leben muß, so viel unschuldiger Frohsinn ist unter

den jüngeren, und so ein gesunder Verstand, und edle Gutheit unter

den Älteren. Besonders ist mir der Vater vom Hauße ein ehrwürdiger

Mann, der für seinen Stand besonders viel gelernt, und viel erlebt

zu haben scheint, und doch eine Einfalt beibehalten hat, die mich 15

äußerst interessirt, und unter seinen Kindern, (wovon der älteste

Sohn verheurathet und auch im Hauße mit ist,) em stilles anspruch-

loses, aber sehr reelles Ansehn ausübt.

Ich will mich für dißmal nicht weiter in Beschreibungen einlassen;

genug, so wie es jezt steht, bin ich vergnügt und mein Geschafft ist 20

eingerichtet und gehet gut von Statten, und ich hoffe, man soll in

Jahr und Tagen so zufrieden mit mir seyn, wie man es jezt ist, und

Ihr, ihr Theuersten, sollt immer gute Nachricht von mir hören, und

einmal über mich recht ruhig sejrn können. Ich fühle mich auch völ-

lig gesund. Wie soll es mich freuen, nun auch von euch bald etwas zu 2S

hören, und eure Liebe wieder nahe zu fühlen, ihr Guten! Es ist mir

sehr lieb, daß ich voriges Jahr doch einige Zeit in eurer Nähe gelebt

habe; ich war so fremde geworden unter den Menschen und hab' es

unter euch erst wieder, und vieleicht zum erstenmale ganz gefühlt,

wie unter euch mein lebenlang mir eine Zuflucht für mein Herz so

bleibt und eine unvergängliche Freude, die mir niemand nehmen

kann. Das nächstemal wiU ich meiner theueren Schwester und mei-

nem Karl besonders schreiben. Den Brief von Konstanz aus werden

Sie wahrscheinlich nun erhalten haben. Meine Schuld werd ich, we-

nigstens zum Theil abtragen können mit nächstem Briefe. HE. Gon- 35

zenbach hat mir schon aufgetragen, ihm die Reisekosten zu nennen,

und ich werde ihm, so bald es Gelegenheit giebt, die Rechnung vor-

legen.

Ich bin genöthiget, schon hier zu schließen. Ich soll in Gesellschaft

vmd der Brief muß vor Abend fort. +0

Erhalten Sie mir Ihre Liebe, theure Mutter! und lassen Sie die

ruhigen Zeiten, die nun kommen werden, Ihrem Leben recht wohl-

thun. Es stehet Ihnen auch an, die ehrwürdigen Jahre, in welchen

412

Page 426: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4 Nr.227.228

Sie jezt sind, mehr in Feier \ind Ruhe und Heiterkeit, als bisher zuzu-

•5 bringen."Wie vieles haben Sie für uns gethanI Und Sie wissen selbst,

daß es nicht Jedermanns Glük ist, eine solche Mutter und eine solche

Tochter und solche Enkel täglich vor Augen zu haben.

Und die abwesenden Söhne sind Ihnen ergeben genug, um so zu

leben, wie es vor Ihrem geprüftesten Urtheil bestehen kaim.

50 Empfehlen Sie mich meiner verehrungswürdigen Grosmutter I

Ewig

Ihr

treuer Sohn

Hölderlin.

55 Meine Adresse ist: bei HE. Anton Gonzenbach in Hauptweil bei

Konstanz.

Den Brief der Jfr. Schwabin habe ich richtig überliefert. Man erin-

nerte sich ihrer mit Vergnügen.

228. AN D I E S C H W E S T E R

Hauptweil bei St. Gallen

d. 25 Febr. 1801.

Theure Schwester!

Ich schreibe Dir und den lieben Unsrigen an dem Tage, da unter

5 uns hier alles voll ist von der Nachricht des ausgemachten Friedens,

und, da Du mich kennest, brauche ich Dir nicht zu sagen wie mir

dabei zu Muth ist. Ich kormte auch diesen Morgen, da der würdige

Hausvater mich damit begrüßte, wenig dabei sagen. Aber das helle

Himmelblau und die reine Sonne über den nahen Alpen waren mei-

10 nen Augen in diesem Augenblike um so lieber, weil ich sonst nicht

hätte gewußt, wohin ich sie richten sollte in meiner Freude.

Ich glaube, es wird nun recht gut werden in der Welt. Ich mag die

nahe oder die längstvergangene Zeit betrachten, alles dünkt mir selt-

ne Tage, die Tage der schönen Menschlichkeit, die Tage sicherer.

413

Page 427: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.228 B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 +

f u r c h t l o s e r G ü t e , u n d G e s i n n u n g e n h e r b e i z u f ü h r e n , d i e e b e n so h e i - 15

t e r als h e i l i g , u n d e b e n so e r h a b e n als e i n f a c h s i n d .

D i ß u n d d ie g r o ß e N a t u r in d iesen G e g e n d e n e r h e b t u n d b e f r i e -

d i g e t m e i n e S e e l e w u n d e r b a r . D u w ü r d e s t a u c h so b e t r o f f e n , w i e i c h ,

v o r d i e s e n g l ä n z e n d e n , e w i g e n G e b i r g e n s t e h n , u n d w e n n d e r G o t t

d e r M a c h t e i n e n T h r o n h a t a u f d e r E r d e , so ist es ü b e r d i esen h e r r - 20

l i ehen G i p f e l n .

I c h k a n n n u r d a s t e h n , w i e e i n K i n d , u n d s t a u n e n u n d stil le m i c h

f r e u e n , w e n n i ch d r a u ß e n b i n , a u f d e m n ä c h s t e n H ü g e l , u n d w i e

v o m A e t h e r h e r a b d ie H ö h e n al le n ä h e r u n d n ä h e r n i e d e r s t e i g e n bis

in dieses f r e u n d l i c h e T h a l , das ü b e r a l l a n se inen S e i t e n m i t d e n i m - 25

m e r g r ü n e n T a n n e n w ä l d c h e n u m k r ä n z t , u n d in d e r T i e f e m i t S e e n

u n d B ä c h e n d u r c h s t r ö m t ist , u . d a w o h n e i c h , in e i n e m G a r t e n , w o

u n t e r m e i n e m F e n s t e r W e i d e n u n d P a p p e l n an e i n e m k l a r e n W a s s e r

s t e h e n , das m i r gar w o h l g e f ä l l t des N a c h t s m i t s e i n e m R a u s c h e n ,

w e n n alles still ist , u n d i ch v o r d e m h e i t e r e n S t e r n e n h i m m e l d i c h t e 30

u n d s i n n e .

D u s i e h e s t j T h e u r e ! i ch s e h e m e i n e n A u f e n t h a l t w i e e i n M e n s c h

a n , d e r in d e r J u g e n d L a i d s g e n u g e r f a h r e n h a t , u n d jez t z u f r i e d e n

u n d u n g e s t ö r t g e n u g ist , u m h e r z l i c h z u d a n k e n , f ü r das , w a s da ist .

U n d je f r i e d l i c h e r es in m e i n e m I n n e r e n w i r d , u m so h e l l e r u n d l e - 35

b e n d e r g e h e t das A n g e d e n k e n a n e u c h , i h r t h e u e r n E n t f e r n t e n 1 m i r

a u f , u n d j a , i ch d a r f es s a g e n , d e n n i ch f ü h l es z u l e b e n d i g , w e n n m i r

n o c h g l ü k l i c h e r e T a g e v o r b e h a l t e n w ä r e n . D u u n d alle u n s r e L i e b e n

w ü r d e n n u r m i r u n v e r g e ß l i c h e r s e y n . I n d e s s e n ver lasse i ch m i c h

d a r a u f , d a ß i ch m i t g u t e m G e w i s s e n l e b e u n d m e i n e P f l i c h t t h u e ; +0

das Ü b r i g e , w i e G o t t w i l l ! u n d w e n n d i e Z u k u n f t m i r n i c h t s F r e u -

d iges v e r s p r ä c h e , als d a ß i c h v o n Z e i t z u Z e i t D i c h u n d d i e M u t t e r

u n d d e n B r u d e r u n d D e i n e K i n d e r w i e d e r s e h e n u n d a n e u r e m T i s c h e

G a s t s e y n k a n n , so w ä r ' es g e n u g .

D a ß u n s r e g ü t i g e M u t t e r m i c h v o n m e i n e r S c h u l d a u c h d i ß m a l w i e - +5

d e r d i spens i ren w i l l , ist g e g e n das A u s g e m a c h t e . Sie m u ß m i r w e n i g -

stens e r l a u b e n , d a ß i ch a u f i r g e n d e i n e a n d e r e A r t n o c h a u c h i h r w i e -

d e r d a n k e , als m i t d iesen W o r t e n , d i e so l e i c h t v o n H e r z e n g e h n .

414

Page 428: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 + Nr.228.229

B l e i b e n u r g e s u n d u n d sei so g u t , u n d b e r e d e u n s r e l i e b e n M ü t -

50 ter d iesen F r ü h l i n g m e i n c h m a l a u c h zu e i n e m G a n g e ins G r ü n e , bis

es i h n e n z u r G e w o h n h e i t w i r d ; i ch h a b e g r o ß e n G l a u b e n daran u n d

m e i n e , d a ß es langes L e b e n u n d Stärke d e m Ge i s te b r i n g t .

E n t s c h u l d i g e m i c h d o c h b e i u n s e r e m K a r l , d a ß i ch i h m n o c h n i c h t

g e s c h r i e b e n h a b e ; er w e i ß ja a u c h , so g u t , w i e i ch v o n i h m w e i ß , d a ß

S5 w i r u n s i m m e r n a h e s ind u n d i m m e r a n g e h ö r e n . Fre i l i ch m u ß alles

g e f e i e r t w e r d e n , was g u t u n d h e i l i g ist, u n d d a r u m soll a u c h u n s e r

B r i e f w e c h s e l ja n i e z u l a n g e u n t e r b r o c h e n b l e i b e n . Indessen ge l t en

ja d i e B r i e f e an D i c h , a u c h i h m , w i e a l len d e n t h e u e r n U n s r i g e n .

L e b w o h l u n d s chre ibe m i r b a l d w i e d e r I

60 D e i n

H .

229 . A N C H R I S T I A N L A N D A U E R

M e i n T h e u r e r !

I c h w o l l t e D i r erst s c h r e i b e n , w e n n i ch m i c h h i e r g e s a m m e l t u n d

erst e in w e n i g u m g e s e h e n h ä t t e , u n d i ch d a r f w o h l s a g e n , d a ß i ch in

d e r g e g e n w ä r t i g e n L a g e z u b e s t e h e n h o f f e ,

s D e r U m g a n g m i t D i r u n d d e n ü b r i g e n F r e u n d e n hat m i r e i n e n

r e e l l e n G e w i n n g e g e b e n , d e n i ch i m m e r e n t b e h r t e , u n d d e n i ch z u

g e b r a u c h e n s u c h e n w e r d e . I c h h a b e be i e u c h erst e i n e r e c h t e R u h e

g e l e r n t , m i t d e r m a n sich a u f d e n G r u n d d e r See le be i M e n s c h e n v e r -

l ä ß t , n a c h d e m m a n sie an ä c h t e n Z e i c h e n k e n n e n g e l e r n t h a t . So hä l t

10 m a n d a n a u c h ves ter u n d t r e u e r a m L e b e n u n d u n t e r d e n e n , d i e

e i n e n a n g e h n .

D i ß k a n n i ch b e i d e n M e n s c h e n u n t e r d e n e n i ch jezt l e b e , r e c h t

g u t a n w e n d e n . Sie s ind, n a c h m e i n e m käl testen U r t h e i l , g e r a d e das ,

was i ch e r w a r t e n m o c h t e , so l che g r ü n d l i c h e M e n s c h e n , d i e g e r a d e so

15 v i e l A n t h e i l n e h m e n a n F r e m d e m , als es ihr H e r z n i c h t s c h w ä c h t u n d als

d i e T h e i l n a h m e u n d G e s e l l i g k e i t n o c h u n g e z w u n g e n u n d w a h r b l e ib t .

E b e n d a r u m seid i h r ja m i r u n v e r g e ß l i c h , u n d i ch w e r d e , in d e n

bes ten S t u n d e n , d i e i ch h i e r in Gese l l s cha f t l e b e , an e u c h g e m a h n t .

415

Page 429: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.229 B R I E F E 18 0 0 - 1 8 04

I c h m ö c h t e j e d e n g e r n e m i t e i g e n e m G r u ß e g r ü ß e n , u n d j e d e m

s a g e n , w i e w a h r h a f t e i n s chönes E c h o aus u n s e r e m Z u s a m m e n s e y n 20

in S t u t g a r d m i c h b e g l e i t e t , b e s o n d e r s w ä h r e n d d e r R e i s e m e i n M o r -

g e n - u n d A b e n d l i e d g e w e s e n ist.

V o r d e n A l p e n , d i e in d e r E n t f e r n u n g v o n e i n i g e n S t u n d e n h i e -

h e r u m s i n d , s tehe i ch i m m e r n o c h b e t r o f f e n , i ch h a b e w i r k l i c h e i n e n

s o l c h e n E i n d r u k n i e e r f a h r e n , sie s i n d , w i e e i n e w u n d e r b a r e S a g e 25

aus d e r H e l d e n j u g e n d u n s e r e r M u t t e r E r d e , u n d m a h n e n a n das a l te

b i l d e n d e C h a o s , i n d e ß sie n i e d e r s e h n in i h r e r R u h e , u n d ü b e r i h r e m

S c h n e e in h e l l e r e m B l a u d i e S o n n e u n d d i e S t e r n e b e i T a g u n d N a c h t

e r g l ä n z e n .

D a n n k a n n s t D u w o h l a u c h d e n k e n , w i e m i r j e z t , i m F r ü h l i n g s a n - 50

f a n g al le E l e m e n t e w o h l t h u n u n d w i e i c h d i e A u g e n w a i d e , a n d e n

H ü g e l n u n d B ä c h e n u . S e e n h e r u m , d a d i ß seit d re i J a h r e n d e r erste

F r ü h l i n g ist , d e n i ch m i t f r e i e r S e e l e u n d f r i s c h e n S i n n e n g e n i e ß e .

T h e u r e r F r e u n d ! i c h h a b e m i c h l a n g e m i t T ä u s c h u n g e n g e t r a g e n ,

d i e a n d e r e n u n d m i r z u r L a s t , u n d v o r d e m H e r r n des L e b e n s u n d v o r 35

m e i n e m S c h u z g e i s t e i n e S c h a n d e g e w e s e n s ind . I c h m e i n t e i m m e r ,

u m i m F r i e d e n m i t d e r W e l t z u l e b e n , u m d i e M e n s c h e n z u l i e b e n

u n d d i e h e i l i g e N a t u r m i t w a h r e n A u g e n a n z u s e h e n , m ü s s e i ch m i c h

b e u g e n , u n d , u m a n d e r e n e twas z u s e y n , d i e e i g e n e F r e i h e i t v e r l i e -

ren . . I c h f ü h l es e n d l i c h , n u r in g a n z e r K r a f t ist g a n z e L i e b e ; es h a t 40

m i c h ü b e r r a s c h t , in A u g e n b l i k e n , w o i c h v ö l l i g r e i n u n d f r e i m i c h

w i e d e r u m s a h . Je s i cherer d e r M e n s c h i n s ich u n d j e g e s a m m e l t e r in

s e i n e m b e s t e n L e b e n e r ist, u n d j e l e i c h t e r e r s ich aus v m t e r g e o r d -

n e t e n S t i m m u n g e n i n d ie E i g e n t l i c h e w i e d e r z u r ü k s c h w i n g t , \mi so

h e l l e r u n d u m f a s s e n d e r m u ß a u c h se in A u g e s e y n , u n d H e r z h a b e n 45

w i r d er f ü r al les , w a s i h m l e i c h t u n d s c h w e r u n d g r o ß u n d l i e b ist in

d e r W e l t .

I c h hät te n a t ü r l i c h v o m F r i e d e n zuers t a n g e f a n g e n , w e n n n i c h t

d i e ers ten S e i t e n des Br i e f s , i c h g l a u b e , s c h o n v o r 1 4 T a g e n g e s c h r i e -

b e n w ä r e n . W a s m i c h v o r z ü g l i c h b e i d e m s e l b e n f r e u e t , ist , d a ß m i t 50

i h m d i e po l i t i s chen Verhä l tn i s se u n d M i s v e r h ä l t n i s s e ü b e r h a u p t d i e

ü b e r w i c h t i g e R o l l e ausgesp ie l t u n d e i n e n g u t e n A n f a n g g e m a c h t h a -

416

Page 430: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4 Nr.229.230

b e n , z u d e r E i n f a l t w e l c h e i h n e n e i g e n is t ; a m E n d e ist es d o c h w a h r ,

j e w e n i g e r d e r M e n s c h v o m Staat e r f ä h r t u n d w e i ß , d i e F o r m sei , w i e

SS sie w i l l , u m desto f r e i e r ist er .

Es ist ü b e r a l l e i n n o t h w e n d i g Ü b e l , Z w a n g s g e s e z e u n d E x e c u t o r e n

d e r s e l b e n h a b e n zu m ü s s e n . I c h d e n k e , m i t K r i e g u n d R e v o l u t i o n

h ö r t a u c h j e n e r m o r a l i s c h e Boreas , d e r Ge i s t des N e i d e s a u f , u n d e i n e

s c h ö n e r e G e s e l l i g k e i t , als n u r d ie e h e r n b ü r g e r l i c h e m a g r e i f e n 1

60 V e r z e i h , m e i n T h e u r e r I w e n n i ch D i r m i t m e i n e n r e d s e e l i g e n G e -

d a n k e n L a n g e w e i l e m a c h e . I c h dar f ja w o h l D i r g e g e n ü b e r s p r e c h e n ,

als sprach i ch m i t m i r selbst .

Be i d e n D a m e n m u s t D u m i c h in g u t e m A n g e d e n k e n e r h a l t e n ,

w e n n D u g r o s m ü t h i g s e y n wi l ls t . I h r w e r d e t m i c h a u s l a c h e n , aber

65 i c h m u ß d o c h n o c h besonders d a n k e n f ü r d ie g o l d n e n S t u n d e n d e r

M u s i k ! D i e f r e u n d l i c h e n T ö n e r u h e n in m i r , u n d sie w e r d e n m a n -

c h e s m a l e r w a c h e n w e n n es f r i e d l i c h i m I n n e r n u n d u m m i c h still

ist .

G r ü ß also al le F r e u n d e ! I c h g l a u b e , sie wissen u n d f ü h l e n es , o b

70 i c h g e t r e u b i n . M i t e i n e m u m d e n a n d e r n ha l te i ch G e s p r ä c h e ; n e i n I

es v e r l ä ß t m i c h v o n k e i n e m , was m i r t h e u e r w a r , das B i l d . L e b w o h l l

D e i n

H .

230 . A N C H R I S T I A N L A N D A U E R

E b e n , e d l e r t r e u e r F r e u n d ! e rha l te i ch D e i n e n z w e i t e n B r i e f , u n d

f ü h l e in D e i n e m s a n f t e n V e r w e i s e d r e i f a c h , was D u m i r b is t , u n d

b l e i b e n sollst.

I c h b i n h i e r m i t d e n Pos ten n o c h n i c h t b e k a n n t . Ü b e r h a u p t ists

S seit e i n paar W o c h e n e i n w e n i g b u n t in m e i n e m K o p f e .

O l D u w e i s t es . D u s iebest m i r in d ie S e e l e , w e n n i ch D i r sage ,

d a ß es m i c h o f t u m so m ä c h t i g e r w i e d e r ü b e r f ä l l t , j e l ä n g e r ichs m i r

v e r s c h w i e g e n h a b e , d i ß , d a ß i ch e i n H e r z h a b e in m i r , u n d d o c h n i c h t

s e h e w o z u ? m i c h n iemeuid m i t t h e i l e n , h i e r vo l l ends n i e m a m d m i c h

10 ä u ß e r n k a n n .

417

Page 431: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.210.2}! B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4

S a g e m i r , ists S e e g e n o d e r F l u c h , d i ß E i n s a m s e y n , z u d e m i c h

d u r c h m e i n e N a t u r b e s t i m m t u n d j e z w e k m ä ß i g e r i c h in j e n e r R ü k -

s i cht , u m m i c h selbst h e r a u s z u f i n d e n , d i e L a g e z u w ä h l e n g l a u b e ,

n u r i m m e r u n w i d e r s t e h l i c h e r z u r ü k g e d r ä n g t b i n l — K ö n t ' i ch e i n e n

T a g b e i e u c h s e y n I e u c h d ie H ä n d e b i e t e n 1 — Bester I w e n n D u n a c h 15

F r a n k f u r t k o m m s t , so d e n k a n m i c h ! W i l l s t D u ? I c h w e r d e h o f f e n t -

l i c h i m m e r m e i n e r F r e u n d e w e r t h sejrn.

D e i n

H .

2 3 1 . A N D E N B R U D E R

M e i n K a r l !

I c h f ü h l e es , w i r l i e b e n u n s n i c h t m e h r , w i e sonst , seit l a n g e r Z e i t ,

u n d i c h b i n daran s c h u l d i g . I c h w a r d e r e r s t e , d e r d e n k a l t e n T o n

a n s t i m m t e . W e i s t D u es n o c h , z u A n f a n g m e i n e s A u f e n t h a l t s in

H o m b u r g , e r i n n e r s t D u D i c h d e r B r i e f e , d i e D u m i r d a m a l s schr iebst ? S

A b e r e i n U n g l a u b e a n d i e e w i g e L i e b e hat te s ich m e i n e r b e m ä c h -

t i g e t . I c h sol lte a u c h d a h i n e i n g e r a t h e n , in d i esen f u r c h t b a r e n A b e r -

g l a u b e n a n das , w a s e b e n Z e i c h e n d e r See le u n d L i e b e , a b e r so m i ß -

v e r s t a n d e n i h r T o d ist. G l a u b ' es , T h e u e r s t e r ! i ch h a t t e g e r u n g e n

bis z u r t ö d t l i c h e n E r m a t t u n g , u m das h ö h e r e L e b e n i m G l a u b e n lO

u n d i m S c h a u e n ves t z u h a l t e n , j a ! i ch h a t t e u n t e r L e i d e n g e r u n -

g e n , d i e , n a c h a l l e m z u s c h l i e ß e n , ü b e r w ä l t i g e n d e r s i n d , als alles

a n d r e , w a s d e r M e n s c h m i t e h e r n e r K r a f t a u s z u h a l t e n i m Stainde ist.

— I c h sage D i r dieses n i c h t u m s o n s t . — E n d l i c h , d a v o n m e h r als

e i n e r Se i te das H e r z zerr issen w a r u n d d e n n o c h v e s t h i e l t , d a m u ß t ' 15

i c h v e r a n l a ß t w e r d e n , n u n a u c h m i t G e d a n k e n m i c h in j e n e b ö s e n

Z w e i f e l z u v e r w i k e l n , d e r e n F r a g e d o c h so l e i c h t v o r k l a r e m A u g e z u

l ö sen ist , n e m l i c h , w a s m e h r g e l t e , das L e b e n d i g s t e w i g e , o d e r das

Z e i t l i c h e . N u r e i n z u g r o ß e s G e r i n g s c h ä t z e n alles d e s s e n , w a s n o t h -

w e n d i g ist , w a r a u c h i m S t a n d e , m i c h in j e n e n g r ö ß e r e n I r r t u m z u 20

v e r l e i t e n , in w e l c h e m i ch z u sehr , u n d w i r k l i c h m i t e i n e m a b e r g l ä u -

b i s c h e n E r n s t e , alles Ä u ß e r l i c h e , das h e i ß t , a l les , w a s n i c h t i m G e -

418

Page 432: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 + Nr.231

b i e t e des H e r z e n s l i e g t , ansah u n d a u f n a h m . A b e r i c h h a b e so l a n g

f o r t g e m a c h t , bis i ch es r e c h t e r f a h r e n h a t t e ; i ch h a b e es a u c h e r f a h -

85 r e n u n d h a b e m i c h h e r a u s g e r i s s e n , u m es z u s a g e n , d a ß alles h i n ist ,

w e n n d i e E i n i g k e i t , d i e h e i l i g e , d i e a l l g e m e i n e L i e b e , d e r d ie L i e b e

des B r u d e r s so l e i c h t w i r d , h i n ist. Es ist n u r e i n Stre i t in d e r W e l t , was

n e m l i c h m e h r se i , das G a n z e o d e r das E i n z e l n e ? U n d d e r Stre i t w i -

d e r l e g t s ich in j e d e m V e r s u c h e u n d Beisp ie le d u r c h d i e T h a t , i n d e m

30 d e r , w e l c h e r aus d e m G a n z e n w a h r h a f t h a n d e l t , v o n se lber z u m F r i e -

d e n g e w e i h t e r u n d alles E i n z e l n e z u a c h t e n d a r u m a u f g e l e g t e r ist ,

w e i l i h n sein M e n s c h e n s i n n , g e r a d e se in E i g e n s t e s , d o c h i m m e r w e -

n i g e r in r e i n e A l l g e m e i n h e i t , als i n E g o i s m u s o d e r w i e D u ' s n e n n e n

wi l l s t , f a l l en l ä ß t .

55 ^ Deo principium."Wer d i ß v e r s t e h t u n d h ä l t , ja b e i d e m L e b e n des

L e b e n s I d e r ist f r e i u n d k r ä f t i g u n d f r e u d i g , u n d alles U m g e k e h r t e

ist C h i m ä r e u n d z e r g e h e t in so f e r n e in N i c h t s .

U n d so sei d e n n a u c h u n t e r u n s , b e i d ieser B u n d e s e r n e u e r u n g , d i e

g e w i ß n i c h t C e r e m o n i e o d e r L a u n e ist , a Deo principium.

40 W i e w i r sonst z u s a m m e n d a c h t e n , d e n k e i c h n o c h , n u r a n g e w a n d -

t e r ! A l l es u n e n d l i c h e E i n i g k e i t , a b e r in d i e s e m A l l e m e i n v o r z ü g -

l i c h E i n i g e s u n d E i n i g e n d e s , das , a n s i c h , k e i n I c h ist , u n d dieses

sei u n t e r u n s G o t t !

I c h s p r e c h e , w i e e i n e r , d e r b e w e i s e n w i l l , w i e w e n n d e r A n d e r e

45 n i c h t g l a u b t e , u n d das H e r z ist m i r v o m L e b e n al ler H e i l i g U e b e n d e n

i m m e r so v o l l . W a s i k d i ß ? S a g e m i r s 1 D u f ü h l s t in m e i n e S e e l e . Ists

n o c h U n g l a u b e ? U n g l a u b e a n e i n s chönes V e r s t ä n d n i ß , w o m a n a u c h

spr i cht , u n d k lar spr i ch t , w e i l m a n f r e u d i g spr i cht , a b e r , w o m a n d e n

F r e u n d f ü r a u s g e m a c h t a n s i e h t , u n d i h n in j e d e r S y l b e v o n n e u e m

50 f e i e r t , a b e r n i c h t so d r i n g e n d ist. Ja ! es ist U n g l a u b e : a b e r n i c h t a n

das H e r z des A n d e r n , so f e r n es d e m G a n z e n a n g e h ö r t u n d in so f e r n

es m i r g e h ö r t . Als w e n n w i r u n s , w i r b e e d e , u n s n i c h t l i e b e n m ü ß t e n ,

w i e w i r b e e d e e i n H ö h e r e s l i e b e n , das d o c h w o h l z w e i e r B r ü d e r u n d

m e h r als e ines s o l c h e n P a a r e s , das G e s c h w i s t e r g e n u g , das e i n e W e l t

55 v o n M e n s c h e n b e d a r f , u m a u s g e s p r o c h e n zu w e r d e n u n d se ine E h r e

z u h a b e n . T h e u r e See le 1 d ie G u t e n lassen sich n i c h t . Sie k ö n n e n n i c h t .

419

Page 433: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

iVr. iJl B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4

SO l a n g e sie g u t s i n d , u n d das G a n z e , w o r i n n sie b e g r i f f e n s i n d , g u t

ist . Es f e h l t n u r o f t a m M i t t e l , w o d u r c h e i n G l i e d d e m a n d e r n s ich

m i t t h e i l t , es f e h l t s ehr o f t n o c h u n t e r u n s M e n s c h e n a n Z e i c h e n u n d

W o r t e n . U n d s i e h e ! d a ß w i r u n s e r i n n e r n m ü s s e n , d a ß w i r das V e r - 60

s ä u m t e n a c h h o h l e n u n d s p r e c h e n m ü s s e n , l au t s p r e c h e n z u e i n a n d e r ,

w a s w i r u n s s i n d , f ü r w a s w i r es s i n d . Ja ! w e r das W o r t m i ß b r a u c h t ,

w e r W o r t v e r f ä l s c h e t o d e r n i c h t h ä l t , d e r f e h l e t w o h l sehr , a b e r g e w i ß

d e r a u c h , d e r es z u w e n i g b r a u c h t . I c h w i l l a b e r d i ß m a l sonst n i c h t s

a n d e r e s s a g e n , als d a ß w i r , w i e v o n n e u e m , a n f a n g e n w o l l e n . K ü n f - 65

t i g , j e m e h r w i r s p r e c h e n u n d f ü h l e n w e r d e n , w i e kal t das W o r t ist ,

u m so m e h r w e r d e n w i r See le u n d T r e u e h i n e i n z u l e g e n s u c h e n , u m

so m e h r w i r d alles in u n s l e b e n d i g w e r d e n , w a s g u t ist. D i e A u g e n -

b l i k e d a n n , w o es u n s e n d l i c h e i n m a l g e l i n g t , e i n a n d e r e twas R e c h t e s

h e r a u s g e s a g t z u h a b e n , d i e A u g e n b l i k e , w o d e r B r u d e r d e m B r u d e r , 70

d e r M a n n d e m M a n n , d ie m e n s c h l i c h e See le d e r m e n s c h l i c h e n S e e l e

als Z e u g e e ines H e i l i g e n u n d F r e u d i g e n so g e g e n w ä r t i g ist , d i e s ind

d a n n a u c h a l ler H o f f n u n g u n d alles E r f o l g e s w e r t h .

H i e r i n d ieser U n s c h u l d des L e b e n s , h i e r u n t e r d e n s i l b e r n e n A l -

p e n , sol l m i r es a u c h e n d l i c h l e i c h t e r v o n d e r Brus t g e h e n . D i e R e l i - 75

g i o n bes chä f f t i g t m i c h v o r z ü g l i c h . D u , in J u g e n d k r a f t u n d E i n s a m -

k e i t , in j e n e m h e r r l i c h e n G e f ü h l e , w o r a u f s i ch , w i e e i n F e l s e n , alles

H i m m l i s c h e b e g r ü n d e t , in d e m G e f ü h l e , D e i n e P f l i c h t ins W e r k z u

r i c h t e n . D u w i r s t m i r a u c h r e d l i c h b e i s t e h e n . E i n W o r t d e r u n b e -

f a n g e n e n S e e l e ist so v i e l , u n d D u w e i s t , w i e v i e l es g i l t . V o r a l l e m 80

b i t t e i c h D i c h , D i c h b i t te i c h d a r u m , d a ß D u m i r ü b e r a l les , w a s d i e

S a c h e n ä h e r o d e r f e r n e r a n g e h t . D e i n e s H e r z e n s M e i n u n g sagst u n d

m e i n e R e d e n b r ü d e r l i c h a u f n i m m s t , u m m i t e ines B r u d e r s M a c h t

m i r a u c h z u s a g e n : d i ß o d e r das w a r n i c h t f ü r m i c h . V e s t e r G l a u b e ,

u n v e r b r ü c h l i c h e E h r l i c h k e i t u n d so d i e r e i n e f r e i e O f f e n h e i t sei u n t e r 85

\msl

W a s w ä r e das L e b e n , w e n n es so l che B l u m e n n i c h t h ä t t e ! A b e r so

w a h r h a f t u n d v o m H i m m e l h e r a b v e r b u n d e n , s i eht m a n a u c h m i t

A u g e n e ines H ö h e r n u n d h a n d e l t in d e m k l a r e n E l e m e n t e , das d e r

G e i s t e m p f ä n g t i m d schaf fe t , a u c h v i e l l e i c h t e r u n d k r ä f t i g e r , u n d 90

420

Page 434: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4 Nr.23i.2J2

k o m m t erst r e c h t m i t d e r W e l t aus , u n d d ie n o c h u n g e b o r e n s i n d , d i e

f ü h l e n es k ü n f t i g a u c h l

D i e g o l d e n e n H o f f n u n g e n , m e i n K a r l l ver lassen m i c h n i c h t , a u c h

D i c h n i c h t .

95 L e b e w o h l 1 U n d s chre ibe n u r b a l d ! D u f ü h l e s t ja a u c h d i e F r e u d e

z u m v o r a u s ; i ch t r a u e D i r es z u u n d D u a u c h m i r , d a ß w i r u n s n o c h

sehr v i e l s e y n w e r d e n .

D e i n B r u d e r

H .

232. A N S C H I L L E R

N ü r t i n g e n b e i S t u t g a r d .

d . 2 J u n . 1 8 0 1 .

I c h hat te m i r längs t d i e H o f f n u n g g e m a c h t , S ie e i n m a l w i e d e r a n

m i c h e r i n n e r n z u d ü r f e n , V e r e h r t e s t e r l u n d i c h w o l l t e n u r z u v o r

s n o c h e i n i g e P a p i e r e a u s a r b e i t e n , u m I h n e n d iese v o r z u l e g e n . S i e

m u ß t e n m i c h fast a u f g e g e b e n h a b e n , u n d i c h d a c h t e , es sol l te I h n e n

n i c h t u n a n g e n e h m s e y n , z u s e h e n , d a ß m i c h d e r D r u k d e r U m -

stände d o c h n i c h t g a n z ü b e r w u n d e n h a b e , u n d d a ß i c h n o c h e i n i g e r -

m a a ß e n , I h r e r a l ten G r o s m u t h w ü r d i g , l e b t e u n d m i c h f o r t z u b i l d e n

1 0 s u c h t e . N u n m u ß i ch aber d o c h b ä l d e r s c h r e i b e n , als i c h es w o l l t e . M e i n

W u n s c h , e i n m a l in J e n a , in I h r e r N ä h e , z u l e b e n , ist m i r b e i n a h e z u r

N o t h w e n d i g k e i t g e w o r d e n , u n d d a i ch f ü r u n d w i d e r d i e G r ü n d e e r -

w ä g t ha t te , b l i e b m i r n i chts ü b r i g , als m i c h v o n I h n e n , o h n e dessen

B i l l i g u n g i ch n i chts t h u n keuin, z u d ieser W a h l autor is i ren z u lassen .

15 I c h h a b e b i sher g e f u n d e n , d a ß es m i r n i c h t m ö g l i c h ist , b e i g a n z

u n a b h ä n g i g e r B e s c h ä f f t i g u n g e i n e g a n z u n a b h ä n g i g e Ex i s t enz zu g e -

w i n n e n .

I c h h a b e d e ß w e g e n , n u r se l ten u n t e r b r o c h e n , m e i s t als E r z i e h e r

g e l e b t , u n d h a b e , i n d e ß i c h d o c h g r o ß e n t h e i l s m e i n e P f l i c h t t h a t , d i e

20 U n z u f r i e d e n h e i t a n d e r e r , w e n n i ch z u u n g e s c h i k t , o d e r ihr d r ü k e n d

M i t l e i d e n , w e n n ich e i n m a l gesch ik t s c h i e n , in h o h e m G r a d e e r f a h -

r e n . S e h r o f t , V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e r ! d a n k t ' i ch in s o l c h e n L a g e n

421

Page 435: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.232 B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 +

I h n e n i m I n n e r s t e n , d a ß S ie m i r e i n e F r e u d e g e g e b e n h a t t e n in

I h r e m U m g a n g , d i e n o c h k e i n e b ö s e S t u n d e aus lös chen k o n n t e in

m i r . A b e r d o c h w a r m i r a l l m ä l i g d ie G e d u l t z u r L e i d e n s c h a f t g e w o r - 25

d e n , u n d i ch n a h m , in z w e i f e h i d e n F ä l l e n , i m m e r l i e b e r d i « R i c h -

t i m g d a h i n , w o es w a h r s c h e i n l i c h e r w a r , d a ß i c h d ie e i g e n t l i c h e m

Z w e k e m e i n e s L e b e n s e i n e m f r e m d e n D i e n s t e o p f e r n m u ß t e . N u n

f i n d e i ch u n d sehe z i e m l i c h k lar d a r ü b e r , d a ß m a n w o h l e i n e A u s -

k u n f t t r e f f e n k a n n , w e n n es ve rsag t ist , d e r n ä c h s t e n B e s t i m m u n g z u 30

l e b e n , d a ß a b e r e i n e fa l s che R e s i g n a t i o n so g u t e i n s c h l i m m e s E n d e

n e h m e n m u ß , w i e a l l z u g r o ß e U n k l u g h e i t . D i ß fä l l t m i r j ez t m e h r als

sonst a u f , d a i c h , o h n e a n d e r e D a z w i s c h e n k u n f t , g e n ö t h i g e t b i n , in

e i n i g e n W o c h e n als V i k a r zu e i n e m L a n d p r e d i g e r z u g e h n . Es ist

n i c h t , als o b i c h n i c h t a u c h d ieser S p h ä r e i h r e n m ö g l i c h e n W e r t h u n d 35

i h r e F r e u d e g ö n n t e . A b e r i c h s e h e , d a ß d i e B e s c h ä f f t i g u n g u n d g a n z e

M a n i e r , d i e e i n m a l z u r B e d i n g u n g g e w o r d e n ist i n d ieser L a g e , d o c h z u

sehr m i t m e i n e r Ä u ß e r u n g s a r t kontrast i r t , als d a ß i c h ü b e r d i e s e m W i -

d e r s p r u c h e n i c h t a m E n d e al le M i t t h e i l u n g s g a a b e v e r l i e r e n m ü ß t e .

I c h h a b e m i c h seit J a h r e n fast u n u n t e r b r o c h e n m i t d e r g r i e c h i - 40

sehen L i t e r a t u r b e s c h ä f f t i g e t . D a i c h e i n m a l daran g e k o m m e n w a r ,

so w a r es m i r n i c h t m ö g h c h , dieses S t u d i u m a b z u b r e c h e n , bis es m i r

d ie F r e i h e i t , d i e es zu A n f a n g so l e i ch t n i m m t , w i e d e r g e g e b e n h a t t e ,

i m d i c h g l a u b e , i m S t a n d e z u s e y n . J ü n g e r e n , d i e s ich d a f ü r in te res -

s i r en , b e s o n d e r s d a m i t n ü z l i c h z u w e r d e n , d a ß i c h sie v o m D i e n s t e des 45

g r i e c h i s c h e n B u c h s t a b e n s b e f r e i e u n d i h n e n d i e g r o ß e B e s t i m t h e i t d i e -

ser Schr i f t s te l l er als e i n e F o l g e i h r e r G e i s t e s f ü l l e z u v e r s t e h e n g e b e .

A u c h b i n i ch v e r a n l a ß t w o r d e n , b e s o n d e r s ü b e r d i e n o t h w e n d i g e

G l e i c h h e i t n o t h w e n d i g v e r s c h i e d e n e r h ö c h s t e r P r i n z i p i e n u n d r e i n e r

M e t h o d e n m a n c h e s zu d e n k e n , w a s i m gcinzen Z u s a m m e n h a n g e u n d 50

m i t d e n r e c h t e n G r ä n z l i n i e n d a r g e s t e l l t , w o h l a u c h e in iges L i c h t

ü b e r d e n B i ldungskre i s u n d d ie v o n i h m ausgesch los senen G e b i e t e

v e r b r e i t e n k ö n n t e .

I c h b i t te S ie r e c h t s e h r , V e r e h r t e s t e r l d a ß S ie dieses n o t h g e d r u n -

g e n e Se lbs t l ob m i t I h r e r g e w o h n t e n G ü t e l e s e n , u n d d a ß S ie n u r 55

n i c h t d e n k e n , w e n n i c h v o r I h n e n so g e r a d e , u n d so v ie les v o n m i r

422

Page 436: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4 Nr.232.2J3

erzähle, daß ich die Bescheidenheit vor e inem G r ö ß e r e n , als ich b in ,

hätte ver laugnen gelernt.

I ch wol lte Ihnen n u r offen die G r ü n d e n e n n e n , die mich überzeu-

60 g e n , daß es n icht unschiklich wäre , w e n n ich nach Jena g ienge u n d

da versuchte, den größeren The i l me iner Ze i t zu Vorlesungen zu ver -

w e n d e n , die mir , so vie l ich w e i ß , zu halten erlaubt sind.

I ch erwarte nicht gerade eine große M e n g e von Z u h ö r e r n , doch

so v ie le , als bei derlei Vorlesungen gewöhnl ich sind. Ich hoffe auch

65 n iemanden damit gerade in den W e g zu treten.

Sollten Sie es widerrathen, so bin ich ruhiger auf e i n e m andern

W e g e , u n d werde sehen, w ie ich m i c h aufrecht erhalte.

Sie werden es nicht verschmähen , durch Ihre T h e i l n a h m e m e i n e m

Lebensgange ein L i c h t zu le ihen, we i l ich doch sonst n icht , auf e ine

70 eitle Ar t , i h m eine Bedeutung zu geben suche, die er nicht hat.

Sie ertreuen ein ganzes Vo lk , u n d sehen das w o h l selten. So m a g es

Ihnen nicht ganz u n w e r t h scheinen, in e i n e m , der Sie ganz ehrt ,

e i n e neue Lebens f reude , die von I h n e n k a m , aufgehen zu sehen.

Ich w ü r d e v ie l , sehr vieles vergessen in d e m Augenb l ike , w o ich

75 Sie wiedersehen u n d m i t der Ehr furcht g r ü ß e n könnte , m i t der ich

Ihnen z u m erstenmale begegnete . W a h r h a f t der

Ihr ige

Hölder l in . .

233 . AN I M M A N U E L N I E T H A M M E R

Juni 1801 . . . In der gleichen Angelegenheit {wie kurz zuvor an Schiller) wendet

er sich nun an Niethammer, erwähnt dabei auch seinen Brief an Hofrat Schiller und

bittet, es ihm nicht zu verargen, wenn er sich an Niethammers Teilnahme erinnert,

deren er sich in früheren Jahren seines Lebens so oft erfreut hat. Er sei entschlossen,

5 nach Jena zu gehen und zu versuchen, über griechische Literatur Vorlesungen zu hal-

ten. Dies sei die einzige Tätigkeit, die seinen Intentionen entspräche urul von der er

sich für sein Leben eine günstige Wendung erwarte. Zu dieser ernsten Entscheidung

wolle er Niethammers Rat hören, der, möge er ausfallen wie er will, ihm in jedem

Falle teuer sein werde.

423

Page 437: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.234.23S B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 +

234. AN D I E S E I N I G E N

Meine Theuern!

Ich habe dißmal so viel Dank zu sagen, daß ich lieber gar nichts

sagen möchte, als so wenig, wie es wohl jezt nothwendig ist. Glauben

Sie, daß ich solcher Herzen gewiß, von solcher Theilnahme und

Treue in so manchen Fällen überzeugt und immer überzeugter bin, 5

diß ist ein Glük meines Lebens, das auch der Rede werth und mehr

als manches andere ist, das ich entbehren muß, und gerne entbehre.

Wenn sich meine Lage verändern sollte, so bitte ich Sie, es auch aus

dem besten Gesichtspuncte anzusehn. Ich würde eine sorgenlose Exi-

stenz bei einer Beschäfftigung haben, die mir zur Gewohnheit gewor- lo

den ist, und hoffentlich finde ich gute Menschen. Ins abhängige Le-

ben muß ich hinein, es sei, auf welche Art es wolle, und Kinder zu

erziehen, ist jezt ein besonders glükliches Geschäfft, weil es so un-

schuldig ist.

Ihr

Friz.

235. AN D E N B R U D E R

Nürtingen, d. 4 Dec. 1801.

Mein theurer Karll

Ich komme Abschied zu nehmen. Aber laß uns nicht klagen! in

solchen Fällen erhalte ich immer lieber den zufriedenen Geist, der

das Traurige, Gott zu ehren, verschweigt, und auf das Gute siehet. 5

So viel darf ich gestehen, daß ich in meinem Leben nie so vest ge-

wurzelt war ans Vaterland, im Leben nie den Umgang mit den Mei-

nigen so sehr geschäzt, so gerne zu erhalten mir gewünscht habe!

Aber ich fühl' es, mir ists besser, draußen zu seyn, und Du, mein

Theurer! fühlst es selber, daß zum einen, wie zum andern, zurti Blei- lo

ben, wie zum Wandern, Gottes Schuz gehört, wenn wir bestehen sol-

len. Dich erhält in Deiner Art besonders die Geschäfftigkeit. Sonst

424

Page 438: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 18 0 0 - 1 8 0 4 Nr.23J.236

würd' es Dir zu enge werden. Mir ist noth, vorzüglich, mit der rech-

ten Wahl das meinige zu thun. Sonst würd' ich zu zerstreut dahin

13 gerissen.

Laß nur die alte brüderliche Liebe nicht untergehen unter uns.

Das ist ein heiliges Glük, wenn bei Verschiedenheit des Lebensgangs

die Menschen doch durch solche Bande, wie das unsre ist, zusammen-

gehalten werden. Das ist der größere Sinn, der überall anfeuert und

20 rettet. Und Männerseelen besonders bedürfen es nicht, daß eines dem

andern gleiche, wenn die Liebe zwischen ihnen sejrn soll. Ohne diese

Offenheit des Herzens aber ist kein Glük mit ihnen. 0 mein Karll

vergieb mir, dass es rein sei zwischen uns I

Und so leb wohl! es wird Dir gut gehen bei den Unsrigen, da Du

25 im Deinigen so gut bist. Denk' zuweilen auch an mich I

Dein

Hölderlin.

236. AN C A S I M I R ULRICH B Ö H L E N D O R F F

Nürtingen bei Stutgard.

d. 4 Dec.1801.

Mein theurer Böhlendorf!

Deine gütigen Worte, und Deine Gegenwart in ihnen haben mich

5 sehr erfreut.

Dein Fernando hat mir die Brust um ein gutes erleichtert. Der

Fortschritt meiner Freunde ist mir so ein gutes Zeichen.Wir haben

ein Schiksaal. Gehet es mit dem einen vorwärts, so wird auch der an-

dere nicht liegen bleiben.

10 Mein Lieber! Du hast an Präzision und tüchtiger Gelenksamkeit

so sehr gewonnen und nichts an Wärme verloren, im Gegentheil,

wie eine gute Klinge, hat sich die Elastizität Deines Geistes in der

beugenden Schule nur um so kräftiger erwiesen. Diß ists wozu ich Dir

vorzüglich Glük wünsche.Wir lernen nichts schwerer als das Natio-

is nelle frei gebrauchen. Und wie ich glaube, ist gerade die Klarheit der

425

Page 439: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

20

Nr.21b ß R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4

D a r s t e l l u n g u n s u r s p r ü n g l i c h so n a t ü r l i c h w i e d e n G r i e c h e n das

F e u e r v o m H i m m e l . E b e n d e ß w e g e n w e r d e n d iese e h e r in s c h ö n e r

L e i d e n s c h a f t , d i e D u D i r a u c h e r h a l t e n hast , als in j e n e r h o m e r i -

s c h e n G e i s t e s g e g e n w a r t u n d D a r s t e l l u n g s g a a b e z u ü b e r t r e f f e n

s e y n .

Es k l i n g t p a r a d o x . A b e r i c h b e h a u p t ' es n o c h e i n m a l , u n d stel le es

D e i n e r P r ü f u n g u n d D e i n e m G e b r a u c h e f r e i ; das e i g e n t l i c h e n a t i o -

n e l l e w i r d i m For tschr i t t d e r B i l d u n g i m m e r d e r g e r i n g e r e V o r z u g

w e r d e n . D e ß w e g e n s ind d i e G r i e c h e n des h e i l i g e n Pathos w e n i g e r

M e i s t e r , w e i l es i h n e n a n g e b o r e n w a r , h i n g e g e n s ind sie v o r z ü g l i c h 25

in D a r s t e l l u n g s g a a b e , v o n H o m e r a n , w e i l d ieser a u ß e r o r d e n t l i c h e

M e n s c h s e e l e n v o l l g e n u g w a r , u m d i e a b e n d l ä n d i s c h e J u n o n i s c h e

N ü c h t e r n h e i t f ü r sein A p o l l o n s r e i c h z u e r b e u t e n , u n d so w a h r h a f t

das f r e m d e sich a n z u e i g n e n .

B e i u n s ists u m g e k e h r t . D e ß w e g e n ists a u c h so g e f ä h r l i c h s ich 30

d i e K u n s t r e g e l n e i n z i g u n d a l le in v o n g r i e c h i s c h e r V o r t r e f l i c h k e i t z u

a b s t r a h i r e n . I c h h a b e l a n g e d a r a n labor i r t u n d w e i ß n u n d a ß a u ß e r

d e m , w a s b e i d e n G r i e c h e n u n d u n s das h ö c h s t e s e y n m u ß , n e m l i c h

d e m l e b e n d i g e n V e r h ä l t n i ß u n d G e s c h i k , w i r n i c h t w o h l e twas

g l e i c h m i t i h n e n h a b e n d ü r f e n . 35

A b e r das e i g e n e m u ß so g u t g e l e r n t s e y n , w i e das F r e m d e . D e ß -

w e g e n s ind u n s d ie G r i e c h e n u n e n t b e h r l i c h . N u r w e r d e n w i r i h n e n

g e r a d e in u n s e r m E i g e n e n , N a t i o n e l l e n n i c h t n a c h k o m m e n , w e i l , w i e

g e s a g t , d e r f r e i e G e b r a u c h des E i g e n e n das s c h w e r s t e ist .

D a s h a t D e i n g u t e r G e n i u s D i r e i n g e g e b e n , w i e m i r d ü n k t , d a ß 40

D u das D r a m a ep i s cher b e h a n d e l t hast . Es ist , i m G a n z e n , e i n e

ä c h t e m o d e r n e T r a g ö d i e . D e n n das ist das t rag i s che b e i u n s , d a ß w i r

g a n z stil le in i r g e n d e i n e m B e h ä l t e r e i n g e p a k t v o m R e i c h e d e r L e -

b e n d i g e n h i n w e g g e h n , n i c h t d a ß w i r in F l a m m e n v e r z e h r t d i e

F l a m m e b ü ß e n , d i e w i r n i c h t z u b ä n d i g e n v e r m o c h t e n . 45

U n d w a h r l i c h ! das erste b e w e g t so g u t d i e i n n e r s t e S e e l e , w i e das

l ez te . Es ist k e i n so i m p o s a n t e s , a b e r e i n t i e f e res Schiksaal u n d e i n e

e d l e S e e l e ge l e i t e t a u c h e i n e n s o l c h e n S t e r b e n d e n u n t e r F u r c h t u n d

M i t l e i d e n , u n d hä l t d e n G e i s t i m G r i m m e m p o r . D e r h e r r l i c h e J u p i -

426

Page 440: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4 Nr.236

50 te r ist d e n n d o c h d e r l ez te G e d a n k e b e i m U n t e r g a n g e e ines S t e r b -

l i c h e n , e r s terbe n a c h u n s e r e m o d e r n a c h a n t i q u e m Schiksaal , w e n n

d e r D i c h t e r dieses S t e r b e n dargeste l l t h a t , w i e er so l l te , u n d w i e D u

es s i chtbar g e w o l l t , u n d i m G a n z e n u n d besonders in e i n i g e n m e i s t e r -

h a f t e n Z ü g e n ge le is tet hast .

55 » E i n e n g e r W e g f ü h r t in e i n d u n k l e s T h a l ,

» D a h i n h a t i h n V e r r ä t h e r e y g e z w u n g e n ,

u n d sonst . — D u bist a u f g u t e m W e g e , b e h a l t i h n . I c h w i l l a b e r D e i n e n

F e r n a n d o erst r e c h t s tud i ren u n d z u H e r z e n n e h m e n , u n d d a n n v i e -

l e i c h t D i r e t w a s interessanteres d a v o n s a g e n . I n k e i n e m Fal le g e n u g I

60 V o n m i r se lber u n d w i e es m i r g e g a n g e n ist b i sher , w i e w e i t i c h

D e i n u n d m e i n e r F r e u n d e w e r t h g e b l i e b e n u n d g e w o r d e n b i n , a u c h

w a s i ch t r e i b e u n d b r i n g e n w e r d e , so w e n i g es ist , d a v o n w i l l i ch m i t

n ä c h s t e m D i r aus d e r N a c h b a r s c h a f t D e i n e s S p a n i e n s , n ä m l i c h aus

B o r d e a u x s c h r e i b e n , w o h i n i ch als H a u s l e h r e r u n d P r i v a t p r e d i g e r

65 in e i n e m d e u t s c h e v a n g e l i s c h e n H a u ß e n ä c h s t e W o c h e abre i se . I c h

w e r d e d e n K o p f z i e m l i c h b e i s a m m e n h a l t e n m ü s s e n , in F r a n k r e i c h ,

in P a r i s ; a u f d e n A n b l i k des M e e r e s , a u f d i e S o n n e d e r P r o v e n c e f r e u e

i c h m i c h a u c h .

0 F r e u n d ! d i e W e l t l i eg t h e l l e r v o r m i r , als sonst , u n d e m s t e r . Jal

70 es ge fä l l t m i r , w i e es z u g e h t , ge fä l l t m i r , w i e w e n n i m S o m m e r » d e r

alte h e i l i g e V a t e r m i t ge lassener H a n d aus r ö t h l i c h e n W o l k e n s e e g -

n e n d e Bl ize s c h ü t t e l t « . D e n n u n t e r a l l e m , was i ch s c h a u e n k a n n v o n

G o t t , ist dieses Z e i c h e n m i r das a u s e r k o r e n e g e w o r d e n . Sonst k ö n n t '

i ch j a u c h z e n ü b e r e i n e n e u e W a h r h e i t , e i n e bessere A n s i c h t d e ß , das

75 ü b e r u n s u n d u m u n s ist , jezt f ü r c h t ' i c h , d a ß es m i r n i c h t g e h ' a m

E n d e , w i e d e m al ten T a n t a l u s , d e m m e h r v o n G ö t t e r n w a r d , als er

v e r d a u e n k o n n t e .

A b e r i ch t h u e , w a s i ch k a n n , so g u t ichs k a n n , u n d d e n k e , w e n n i ch

s e h e , w i e i ch a u f m e i n e m W e g e a u c h d a h i n m u ß w i e d ie a n d e r n , d a ß

80 es gott los ist u n d r a s e n d , e i n e n W e g zu s u c h e n , d e r v o r a l l e m A n f a l l

s i cher w ä r e , u n d d a ß f ü r d e n T o d k e i n K r a u t g e w a c h s e n ist.

U n d n u n l e b w o h l , m e i n T h e u r e r ! bis a u f w e i t e r e s . I c h b i n jezt

v o l l A b s c h i e d s . I c h h a b e l a n g e n i c h t g e w e i n t . A b e r es h a t m i c h b i t t re

427

Page 441: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.2H.237 B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 •

T h r ä n e n g e k o s t e t , d a i ch m i c h e n t s c h l o ß , m e i n V a t e r l a n d n o c h j ez t

z u ver lassen , v i e l e i c h t a u f i m m e r . D e n n w a s h a b ' i ch l i eberes a u f d e r 85

W e l t ? A b e r sie k ö n n e n m i c h n i c h t b r a u c h e n . D e u t s c h w i l l u n d m u ß

i ch ü b r i g e n s b l e i b e n , u n d w e n n m i c h d i e H e r z e n s - u n d d i e N a h r u n g s -

n o t h n a c h O t a h e i t i t r i e b e .

G r ü ß e u n s e m M o r b e k . W i e l e b t e r ? E r e rhä l t s ich g e w i ß . E r b l e i b t

u n s . V e r z e i h t m i r d e n U n d a n k . I c h hat te e u c h e r k a n n t , i c h sah e u c h , 90

a b e r d o c h d u r c h e i n e g e l b e Br i l l e . I c h h ä t t e e u c h so v ie les z u s a g e n ,

i h r G u t e n ! I h r w o h l m i r a u c h . W o w i r s t D u k ü n f t i g b l e i b e n , m e i n

B ö h l e n d o r f ? D o c h das s ind S o r g e n . W e n n D u a n m i c h schre ibs t , so

adressire d e n B r i e f an K a u f m a n n L a n d a u e r in S t u t g a r d . E r sch ikt

m i r i h n s i cher z u . S c h r e i b e m i r a u c h D e i n e A d r e s s e . 95

D e i n

H .

237. A N D I E M U T T E R

L y o n . d . 9 J e n n . l 8 0 2 .

M e i n e t h e u r e M u t t e r !

S ie w e r d e n sich w u n d e r n , z u d ieser Z e i t v o n L y o n aus e i n e n B r i e f

v o n m i r z u e r h a l t e n . I c h w a r g e n ö t h i g e t , l ä n g e r , als i c h v e r m u t h e t e

in S t r a s b u r g z u b l e i b e n , w e g e n m e i n e s Re isepasses , u n d d i e l a n g e 5

R e i s e v o n S t r a s b u r g bis h i e h e r w u r d e d u r c h Ü b e r s c h w e m m u n g e n u n d

a n d e r e u n a b w e n d b a r e U m s t ä n d e , d i e m i c h a u f h i e l t e n , n o c h l ä n g e r .

Es w a r e i n b e s c h w e r l i c h e r , u n d e r f a h r u n g s r e i c h e r W e g , d e n i c h

bis h i e h e r m a c h t e , a b e r a u c h m a n c h e r e i n e F r e u d e h a b ' i c h g e f u n -

d e n . I c h k a n n es n i c h t v e r s c h w e i g e n , d a ß i c h m a n c h m a l a n e u c h , i h r lO

L i e b e n , u n d a u c h a n d e n g e d a c h t e , v o n d e m m i r M u t h k o m m t , d e r

m i c h e r h i e l t bis a u f d iese S t u n d e , u n d f e r n e r m i c h g e l e i t e n w i r d .

I c h w e i ß e s , e i n s a m e B e s c h ä f f t i g u n g m a c h t , d a ß m a n i n d i e w e i t e

W e l t s ich s c h w i e r i g e r f i n d e t ; i ch d e n k e a b e r , G o t t u n d e i n e h r l i c h

H e r z h i l f t d u r c h , u n d d ie B e s c h e i d e n h e i t v o r a n d e r n M e n s c h e n . 15

I c h b i n n o c h m ü d e , l i e b e M u t t e r ! v o n d e r l a n g e n k a l t e n R e i s e u n d

h i e r ists j ez t so l e b h a f t , d a ß m a n n u r in i n n i g e m A n g e d e n k e n a n so l -

428

Page 442: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 + Nr.237.238

che, die uns kennen und wohl auch gut sind, sich selber wiederfindet.

Morgen reis' ich nach Bordeaux ab, und werde wohl bald dort seyn,

20 da jezt die Wege besser und die Flüsse nicht mehr ausgetreten sind.

Ich muß Ihnen noch sagen, daß mir die Reise über Lyon, als einem

Fremden, von der Obrigkeit in Strasburg angerathen worden ist. Ich

sehe also Paris nicht. Ich bin auch damit zufrieden.

Ich freue mich, mein ordentlich Geschafft bald anzutreten.

25 Ich will Ihnen und den andern Lieben von Bordeaux aus, wenn ich

in Ruhe bin, noch vieles schreiben.

Grüßen sie alle, alle herzlich!

Unser Karl wird jezt in Nürtingen seyn. Denken Sie manchmal

an mich, wenn Sie des Abends vergnügt zusammen sind. Die liebe

Schwester bitt ich, sich der besten Stunden zu erinnern, die wir hat-

ten, und den Kleinen auch zuweilen den Onkel zu nennen.

Tausend Dank für alle Güte und Unterstüzung und Theilnahme!

Leben Sie wohll

Ihr

35 treuer Sohn

Hölderlin.

238. AN D I E M U T T E R

Bordeaux, d. 28 Jenn. 1802.

Endlich, meine theure Mutter, bin ich hier, bin wohl aufgenom-

men, bin gesund und will den Dank ja nicht vergessen,.den ich dem

Herrn des Lebens und des Todes schuldig bin. — Ich kann für jezt nur

5 wenig schreiben; diesen Morgen bin ich angekommen, und meine

Aufmerksamkeit ist noch zu sehr auf meine neue Lage gerichtet, um

mit Ruhe Ihnen einiges Interessante von der überstandenen Reise zu

sagen. Überdiß hab' ich so viel erfahren, daß ich kaum noch reden

kann davon.

10 Diese lezten Tage bin ich schon in Einem schönen Frühlinge ge-

wandert, aber kurz zuvor, auf den gefürchteten überschneiten Höhen

der Auvergne, in Sturm und Wildniß, in eiskalter Nacht und die ge-

429

Page 443: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.23a.239 B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4

l a d e n e Pisto le n e b e n m i r i m r a u h e n B e t t e — da h a b ' i ch a u c h e i n

G e b e t g e b e t e t , das bis j e z t das bes te w a r in m e i n e m L e b e n u n d das

i ch n i e v e r g e s s e n w e r d e . I S

I c h b i n e r h a l t e n — d a n k e n Sie m i t m i r !

I h r L i e b e n I i c h g r ü ß t ' E u c h w i e e i n N e u g e b o r n e r , d a i c h aus d e n

L e b e n s g e f a h r e n heraus w a r — i ch w a r f m i r s g l e i c h v o r , d a ß i c h i m

l ez ten B r i e f e v o n L y o n aus u n s e r e t h e u r e G r o s m u t t e r n i c h t b e s o n -

ders n a n n t e , i ch sprach m i t I h n e n , l i e b e M u t t e r , sähe m e i n e r S c h w e - 20

ster B i l d , u n d s c h r i e b in m e i n e n f r e u d i g e n G e d a n k e n e i n e n B r i e f a n

m e i n e n Kar l in h o h e m T o n e .

I c h b i n n u n d u r c h u n d d u r c h g e h ä r t e t u n d g e w e i h t , w i e I h r es

w o l l t . I c h d e n k e , i c h w i l l so b l e i b e n , in d e r H a u p t s a c h e . N i c h t s f ü r c h -

t e n u n d sich v i e l g e f a l l e n lassen. W i e w i r d m i r d e r s i chere e r q u i k e n d e 25

S c h l a f w o h l t h u n ! Fast w o h n ' i c h z u h e r r l i c h . I c h w ä r e f r o h a n s i c h e -

r e r E i n f a l t . M e i n G e s c h a f f t sol l , w i e i c h h o f f e , g u t g e h n . I c h w i l l m i c h

g a n z d e m w i e d m e n , b e s o n d e r s v o n A n f a n g . L e b e t w o h l l V o n H e r z e n

u n d m i t T r e u e

d e r E u r e 30

H .

N . 8 . D e r B r i e f h a t s ich u m e i n i g e T a g e v e r s p ä t e t . D e r A n f a n g m e i -

n e r B e k a n n t s c h a f t , m e i n e r B e s t i m m u n g ist g e m a c h t . E r k ö n n t e n i c h t

besser s e y n . » S i e w e r d e n g l ü k l i c h se3ni« , sagte b e i m E m p f a n g e m e i n

K o n s u l . I c h g l a u b e , er h a t R e c h t . 35

239 . A N D I E M U T T E R

B o r d e a u x , a m C h a r f r e i t a g . 1 8 0 2 .

M e i n e t h e u r e M u t t e r I

V e r k e n n e n Sie m i c h n i c h t , w e n n i ch ü b e r d e n V e r l u s t u n s e r e r n u n

s e e l i g e n G r o s m u t t e r m e h r d ie n o t h w e n d i g e F a s s u n g , als das L a i d aus -

d r ü k e , das d i e L i e b e in u n s e r n H e r z e n f ü h l t . I c h f i n d e , d a ß m a n o h n e 5

v e s t e n S i n n n i c h t w o h l a u s k o m m t , i ch w i l l d e r R a t h g e b e r n i c h t s e y n

f ü r d i e M e i n i g e n , a b e r i c h m e i n e s Orts m u ß m e i n so l a n g e n u n g e -

430

Page 444: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4 Nr.239

p r ü f t e s G e m ü t h b e w a h r e n u n d h a l t e n , u n d d ie zär t l i chen g u t e n

W o r t e , d i e , w i e Sie w i s s e n , m i r z u l e i c h t v o m M u n d e g e h e n , i ch m u ß

10 sie sparen f ü r j e z t , i c h d a r f n i c h t S ie u n d m i c h n o c h m e h r d a d u r c h

b e w e g e n . D a s n e u e r e i n e L e b e n , das , w i e i ch g l a u b e , d i e G e s t o r b e -

n e n n a c h d e m T o d e l e b e n , u n d das d e r L o h n ist a u c h f ü r d i e , d i e , w i e

u n s e r e t h e u r e G r o s m u t t e r , i h r L e b e n l e b t e n in h e i l i g e r E i n f a l t , d iese

J u g e n d des H i m m e l s , d i e n u n i h r A n t h e i l ist , n a c h d e r so l a n g e i h r e

lä S e e l e s ich s e h n t e , d iese R u h e u n d F r e u d e n a c h d e m L e i d e n , w i r d a u c h

E u e r L o h n s e y n , t h e u r e M u t t e r , t h e u r e S c h w e s t e r ; f ü r m e i n e n B r u -

d e r u n d m i c h ist w o h l a u c h e i n e d l e r T o d , e i n s i cherer F o r t g a n g v o m

L e b e n ins L e b e n a u f b e h a l t e n , so w i e i ch g l a u b e , a l l en d e n U n s r i g e n .

I n d e s s e n ge l e i t e u n s e i n t r e u e r gewisser G e i s t , u n d d e r H o h e i m

20 H i m m e l g e b e , d a ß w i r n i c h t lässig s e y e n , u n d w a s w i r t h u n m i t M a a s

t h u n , u n d das S c h i k l i c h e t r e f f e n in d e m , w a s u n s e r e S a c h e istl

M i r g e h e t es so w o h l , als i ch n u r w ü n s c h e n d a r f ! I c h h o f f e a u c h

das , w a s m e i n e L a g e m i r g i e b t , a l l m ä l i g z u v e r d i e n e n , u n d e i n m a l ,

w e n n i c h in d i e H e i m a t h w i e d e r k o m m e , d e r w a h r h a f t v o r t r e f l i c h e n

25 M e n s c h e n , d e n e n i c h h i e r v e r b u n d e n b i n , n i c h t g a n z u n w ü r d i g z u

s e y n .

D e n k e t , i h r L i e b e n , m e i n e r so v i e l , als i h r d a d u r c h i m E u r i g e n

n i c h t ges tör t se id . M e i n e m B r u d e r w ü n s c h e i c h , d a ß e r f o r t f a h r e m i t

G l ü k , so w i e e r b i s h e r g e d i e h in s e i n e m K r e i s e , s e i n e n G e s c h a f f t e n .

30 D i e g u t e n K i n d e r w e r d e n e u c h v i e l e F r e u d e m a c h e n , u n d ihr seid

g l ü k l i c h , so v o n l e b e n d i g e n B i l d e r n d e r H o f f n u n g , w i e i ch v o n m e i -

n e n Z ö g l i n g e n , u m g e b e n z u s e y n . G r ü ß e t m e i n e F r e u n d e , e n t s c h u l -

d i g e t m i c h , d a ß i c h n i c h t s c h r e i b e , d i e w e i t e E n t f e r n u n g u n d m e i n e

B e s c h ä f f t i g u n g e n r a t h e n m i r , f ü r j ez t m i t B r i e f e n e twas sparsam z u

55 s e y n . W i r b l e i b e n u n s d e n n o c h .

E u e r t r e u e r

H .

431

Page 445: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.240 B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 +

240. AN C A S I M I R U L R I C H B Ö H L E N D O R F F

M e i n T h e u r e r 1

I ch habe D i r lange nicht geschrieben, bin indeß in Frankreich g e

wesen u n d habe die traurige e insame Erde gesehn ; die Hir ten des

südlichen Frankreichs u n d einzelne Schönhei ten , M ä n n e r u n d

Frauen , die in der Angst des patriotischen Zwei fe ls u n d des Hungers S

erwachsen sind.

Das gewalt ige E lement , das Feuer des H i m m e l s u n d die Stille der

Menschen , ihr L e b e n in der Natur, u n d ihre Eingeschränktheit u n d

Zu f r i edenhe i t , hat m i c h beständig ergr i f fen , u n d w i e m a n H e l d e n

nachspricht, kann ich w o h l sagen, daß m i c h Apol lo geschlagen . lO

In den G e g e n d e n , die an die Vendue gränzen, hat m i c h das w i lde

kriegerische interessirt, das rein männl i che , d e m das Lebensl i cht u n -

mittelbar wird in den A u g e n u n d Gl iedern u n d das i m Todesge füh le

sich w i e in einer Virtuosität füh l t , u n d seinen Durs t , zu wissen, er -

fül l t . 15

Das Athletische der südlichen M e n s c h e n , in den R u i n e n des anti-

q u e n Geistes, machte m i c h m i t d e m eigentl ichen W e s e n der Gr ie -

chen bekannter ; ich lernte ihre Natur u n d ihre Weishe i t k e n n e n ,

ihren Körper , die Ar t , w i e sie in i h r e m Kl ima w u c h s e n , u n d die R e -

ge l , w o m i t sie den übermüth igen Genius vor des Elements G e w a l t 20

behüteten .

D i ß best immte ihre Popularität , ihre A r t , f r e m d e Naturen anzu-

n e h m e n u n d sich ihnen mitzuthei len , d a r u m haben sie ihr E igen -

tümlichindividuel les , das lebendig erscheint, so f e m der höchste V e r -

stand i m griechischen Sinne Ref lexionskraft ist, u n d d iß wird \ms 25

begrei f l ich, w e n n wi r den heroischen Körper der Gr ie chen b e g r e i f e n ;

sie ist Zärtüchkeit , w ie unsere Popularität.

D e r Anbl ik der Ant iquen hat m i r e inen Eindruk g e g e b e n , der m i r

n icht allein die Gr iechen verständlicher m a c h t , sondern überhaupt

das Höchste der Kunst , die auch in der höchsten B e w e g u n g u n d Phä- 50

nomenal is i rung der Begri f fe u n d alles EmstUchgemeinten dennoch

432

Page 446: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4 Nr.240

alles Stehend u n d f ü r s ich selbst e r h ä l t , so d a ß d ie S i c h e r h e i t in d i e s e m

S i n n e d ie h ö c h s t e A r t des Z e i c h e n s ist .

Es w a r m i r n ö t h i g , n a c h m a n c h e n E r s c h ü t t e r u n g e n u n d R ü h r u n -

55 g e n d e r See le m i c h ves tzusezen , a u f e i n i g e Z e i t , u n d i ch l e b e indessen

in m e i n e r Vaterstadt .

D i e h e i m a t h l i c h e N a t u r e r g r e i f t m i c h a u c h u m so m ä c h t i g e r , j e

m e h r i c h sie s tudire . D a s G e w i t t e r , n i c h t b los in se iner h ö c h s t e n E r -

s c h e i n u n g , s o n d e r n in e b e n d ieser A n s i c h t , als M a c h t u n d als Ges ta l t ,

•0 in d e n ü b r i g e n F o r m e n des H i m m e l s , das L i c h t in s e i n e m W i r k e n ,

n a t i o n e l l u n d als P r i n z i p i m d Schiksaalsweise b i l d e n d , d a ß u n s e twas

h e i l i g ist , se in D r a n g i m K o m m e n u n d G e h e n , das Karakter is t i sche

d e r W ä l d e r u n d das Z u s a m m e n t r e f f e n in e i n e r G e g e n d v o n v e r s c h i e -

d e n e n K a r a k t e r e n d e r N a t u r , d a ß al le h e i l i g e n O r t e d e r E r d e z u s a m -

•5 m e n s ind u m e i n e n O r t u n d das ph i l o soph i s che L i c h t u m m e i n F e n -

ster ist j e z t m e i n e F r e u d e ; d a ß i ch b e h a l t e n m ö g e , w i e i c h g e k o m -

m e n b i n , bis h i e h e r l

M e i n L i e b e r l i c h d e n k e , d a ß w i r d i e D i c h t e r bis a u f u n s e r e Z e i t

n i c h t c o m m e n t i r e n w e r d e n , s o n d e r n d a ß d i e S a n g a r t ü b e r h a u p t w i r d

40 e i n e n a n d e r n Karakter n e h m e n , u n d d a ß w i r d a r u m n i c h t a u f k o m -

m e n , w e i l w i r , seit d e n G r i e c h e n , w i e d e r a n f a n g e n , va te r länd i s ch

\md n a t ü r l i c h , e i g e n t l i c h o r i g i n e l l z u s i n g e n .

S c h r e i b e d o c h n u r m i r b a l d . I c h b r a u c h e D e i n e r e i n e n T ö n e . D i e

P s y c h e u n t e r F r e u n d e n , das E n t s t e h e n des G e d a n k e n s i m G e s p r ä c h

5S u n d B r i e f ist K ü n s t l e r n n ö t h i g . Sonst h a b e n w i r k e i n e n f ü r u n s se lbs t ;

s o n d e r n e r g e h ö r e t d e m h e i l i g e n B i l d e , das w i r b i l d e n . L e b e r e c h t

w o h l .

D e i n

H .

433

Page 447: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.241 B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4

2 4 1 . A N F R I E D R I C H W I L M A N S

Nürtingen bei Stutgard. d. 28 Sept. 1805.

W o h l g e b o h r a e r

I n s o n d e r s h o c h g e e h r t e s t e r H e r r l

I c h d a n k e I h n e n r e c h t s e h r , d a ß S ie a n d e r Ü b e r s e z u n g d e r S o p h o -

k l e i s c h e n T r a g ö d i e n d e n g ü t i g e n A n t h e i l g e n o m m e n h a b e n . 5

D a i c h n o c h v o n m e i n e m F r e u n d e S c h e l l i n g , d e r sie a n das W e i m a -

r i s che T h e a t e r b e s o r g e n w o l h e , k e i n e N a c h r i c h t h a b e , so g e h i ch l i e -

b e r d e n s i c h e r e n W e g , u n d m a c h e v o n I h r e m g ü t i g e n A n e r b i e t e n

G e b r a u c h .

I c h b i n es z u f r i e d e n , d a ß d e r erste B a n d erst in d e r J u b i l a t e m e s s e 10

e r s c h e i n t , u m so m e h r , da i ch h i n l ä n g l i c h e n Sto f f h a b e , e i n e E i n l e i -

t u n g z u d e n T r a g ö d i e n v o r a u s z u s c h i k e n , d i e i c h w o h l d i e s e n H e r b s t

n o c h a u s f ü h r e n k ö n n e n w e r d e .

I c h h o f f e , d i e g r i e c h i s c h e K u n s t , d i e u n s f r e m d ist , d u r c h N a t i o n a l -

k o n v e n i e n z u n d F e h l e r , m i t d e n e n sie s ich i n u n e r h e r u m b e h o l f e n 15

hat , d a d u r c h l e b e n d i g e r , als g e w ö h n l i c h d e m P u b l i k u m d a r z u s t e l l e n ,

d a ß i c h das O r i e n t a l i s c h e , das sie v e r l ä u g n e t h a t , m e h r h e r a u s h e b e ,

u n d i h r e n K u n s t f e h l e r , w o e r v o r k o m m t , v e r b e s s e r e .

I c h w e r d e I h n e n i m m e r dc inken , d a ß S ie m i t I h r e r g ü t i g e n Z u -

s chr i f t so m i c h g e t r o f f e n h a b e n , w e i l Sie z u r Ä u ß e r u n g m i r e i n e F r e i - 20

h e i t m a c h e n , j e z t , d a i c h m e h r aus d e m S i n n e d e r N a t u r u n d m e h r

des Vaterls indes s c h r e i b e n k8Lnn als sonst .

I c h b i n m i t w a h r h a f t i g e r H o c h a c h t u n g

E u e r W o h l g e b o h r e n

g e h o r s a m s t e r D i e n e r 25

F r i e d r i c h H ö l d e r l i n .

434

Page 448: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

. i/7 J i ^ - .

# / ^ / . /

. y l j " ^ X ' ' i r . X '

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B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 + Nr.2*2

242. AN F R I E D R I C H W I L M A N S

Nürtingen bei Stutgard.

d. 8 Dec. 1803.

Verehrungswürdiger I

Sie verzeihen, daß ich mit dem Manuscripte der Sophokleischen

s Tragödien gezögert habe. Ich wolhe, da ich die Sache freier über-

sehen konnte, in der Übersezung und den Anmerkungen noch einiges

ändern. Die Sprache in der Antigonä schien mir nicht lebendig genug.

Die Anmerkungen drükten meine Überzeugung von griechischer

Kunst auch den Sinn der Stüke nicht hinlänglich aus. Indessen thun

10 sie mir noch nicht genug. Eine Einleitung zu den Tragödien des So-

phokles will ich Ihnen,besonders ausgearbeitet, wenn diß Ihnen ge-

fällig ist, das nächste halbe Jahr oder sonst in schiklicher Zeit zu-

schiken.

Kleine Gedichte in einen Allmanach will ich Ihnen unmittelbar

15 nach Absendung dieses Manuscripts aus meinen Papieren aussuchen.

Ich habe einiges, was Ihnen vieleicht gefallen wird.

An Schelling hab' ich noch nicht geschrieben.Will es aber auch

noch diese Woche thun.

Sollte es Ihnen unbequem seyn, die Ausgabe dieser Tragödien an

20 Göthe oder an das Weimarische Theater zu schiken, so haben Sie die

Güte, mir dieses zu wissen zu thun. Da ich HE. von Göthe persönlich

kenne, so wird es nicht unschiklich von mir seyn.

Einzelne lyrische größere Gedichte 3 oder 4 Bogen, so daß jedes be-

sonders gedruktwird weil der Inhaltunmittelbar das Vaterland angehn

2S soll oder die Zeit, will ich Ihnen auch noch diesen Winter zuschiken.

Ihre gütige Aufmunterung hat mich sehr gefreut. Ich schäze es als

ein wahr und glüklich Geschik, mit Ihnen in Beziehung gekommen

zu seyn.

Ihr

30 Ergebenster

Friedrich Hölderlin.

435

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Nr.243 B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4

243. A N F R I E D R I C H W I L M A N S

N ü r t i n g e n b e i S t u t g a r d .

d . D e c . 1 8 0 3 .

V e r e h r u n g s w ü r d i g e r I

I c h d a n k e I h n e n , d a ß S ie s ich b e m ü h t h a b e n , m i r e i n e P r o b e v o n

d e m D r u k e d e r S o p h o k l e i s c h e n T r a g ö d i e n m i t z u t h e i l e n . I c h g l a u b e , 5

d a ß es b e i s o l c h e n L e t t e r n b e q u e m e r f ü r d i e A u g e n ist , d e n S i n n z u

f i n d e n , d a m a n d u r c h a l l zuschar fe L e t t e r n l e i c h t v e r s u c h t w i r d , b los

a u f d i e T y p e n z u s e h n .

D i e S c h ö n h e i t des D r u k s s c h e i n t , w e n i g s t e n s m i r , n i ch t s d a d u r c h

z u v e r l i e r e n . D i e L i n i e n s t e h e n so in v e s t e r e m G l e i c h g e w i c h t . 10

I c h b i n e b e n a n d e r D u r c h s i c h t e i n i g e r N a c h t g e s ä n g e f ü r I h r e n

A l l m a n a c h . I c h w o l l t e I h n e n a b e r s o g l e i c h a n t w o r t e n , d a m i t k e i n

S e h n e n in u n s e r e B e z i e h u n g k o m m t .

Es ist e i n e F r e u d e , s i ch d e m L e s e r z u o p f e r n , u n d s ich m i t i h m in

d i e e n g e n S c h r a n k e n u n s e r e r n o c h k i n d e r ä h n l i c h e n K u l t u r z u b e - 15

g e b e n .

Ü b r i g e n s s ind L i e b e s l i e d e r i m m e r m ü d e r F l u g , d e n n so w e i t s ind

w i r n o c h i m m e r , t r oz d e r V e r s c h i e d e n h e i t d e r S t o f f e ; e i n a n d e r s ist

das h o h e u n d r e i n e F r o h l o k e n v a t e r l ä n d i s c h e r G e s ä n g e .

D a s P r o p h e t i s c h e d e r M e s s i a d e u n d e i n i g e r O d e n ist A u s n a h m e . 20

I c h b i n sehr b e g i e r i g , w i e S ie d ie P r o b e e i n i g e r g r ö ß e r n l y r i s c h e n

G e d i c h t e a u f n e h m e n w e r d e n . I c h h o f f e , sie I h n e n a u f d e n J a n u a r z u

s c h i k e n ; u n d w e n n Sie d i esen V e r s u c h , w i e i c h , b e u r t h e i l e n , w e r d e n

sie w o h l n o c h bis a u f d i e Jub i la temesse e r s c h e i n e n k ö n n e n .

D i e E i n l e i t u n g z u d e n S o p h o k l e i s c h e n T r a g ö d i e n d e n k e i ch b e s o n - 2S

ders z u s c h r e i b e n , a l lenfal ls f ü r d i e H e r b s t m e s s e ; es s t e h e t d a n n in

I h r e m B e l i e b e n , V e r e h r u n g s w ü r d i g e r ! o b S ie d a v o n w o l l e n G e b r a u c h

m a c h e n o d e r n i c h t .

V o n S c h ö l l i n g h o f f e i ch I h n e n b a l d e i n e A n t w o r t z u s c h i k e n .

F ü r d i e A u s g a b e d e r A n s i c h t e n , w o v o n S i e m i r e i n e A n k ü n d i g u n g 30

güt ig s t z u s c h i k t e n , w e r d ' i ch in S t u t g a r d T h e i l n e h m e r z u f i n d e n s u -

436

Page 452: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 * Nr.243. 244

c h e n . I c h h a b e daselbst m i t e i n i g e n M ä n n e r n B e k a n t s c h a f t , d i e so l -

c h e S c h r i f t e n k a u f f e n m ö g e n u n d a n d e r e n sie e m p f e h l e n .

I c h e m p f e h l e m i c h I h n e n , m e i n T h e u r e r l bis z u f e r n e r e r P r o b e

55 m e i n e r E r g e b e n h e i t .

H ö l d e r l i n .

244 . A N L E O V O N S E C K E N D O R F

N ü r t i n g e n d . l 2 M ä r z 1804 .

M e i n T h e u r e r l

I c h h a b e D i c h n e u l i c h b e s u c h e n w o l l e n ; k o n n t e a b e r D e i n H a u s

n i c h t f i n d e n . I c h b e s o r g e also d e n A u f t r a g , d e r m i r d i esen B e s u c h

5 n o t h w e n d i g m a c h t e , s chr i f t l i ch u n d s ch ike D i r e i n e A n k ü n d i g u n g

v o n p i t toresken A n s i c h t e n des R h e i n s ; es ist D i r m ö g l i c h , T h e i l d a r a n

z u n e h m e n u n d d a f ü r T h e i l n e h m e r z u f i n d e n . D e r Fürs t hat s ich

s c h o n d a f ü r interess ir t . I c h b i n b e g i e r i g , w i e sie aus fa l l en w e r d e n ; o b

sie r e in u n d e i n f a c h aus d e r N a t u r g e h o b e n s i n d , so d a ß a n b e i d e n

1 0 Se i ten n i chts U n z u g e h ö r i g e s u n d Unkarakter is t i sches m i t h i n e i n g e -

n o m m e n ist u n d d i e E r d e sich in g u t e m G l e i c h g e w i c h t g e g e n d e n

H i m m e l v e r h ä l t , so d a ß a u c h das L i c h t , w e l c h e s dieses G l e i c h g e w i c h t

in s e i n e m b e s o n d e r e n V e r h ä l t n i ß b e z e i c h n e t , n i c h t s ch ie f u n d re i -

z e n d t ä u s c h e n d seyn m u ß . Es k o m m t w o h l sehr v i e l a u f d e n W i n k e l

15 i n n e r h a l b des K u n s t w e r k s u n d a u f das Q u a d r a t a u ß e r h a l b dessel -

b e n a n .

D i e A n t i q u e n in Paris h a b e n besonders m i r e i n e i g e n t l i c h e s I n t e -

resse f ü r d ie K u n s t g e g e b e n , so d a ß i ch m e h r d a r i n s tud i ren m ö c h t e .

I c h b i t t e D i c h a u c h . D i c h f ü r e i n e Ü b e r s e z u n g d e r S o p h o k l e i s c h e n

20 T r a g ö d i e n z u in teress i ren , d i e m i r d e r s e l b i g e V e r l e g e r , H e r r W i l l -

m a n s in F r a n k f u r t in V e r l a g g e n o m m e n h a t , u n d d i e a u f Ostern h e r -

a u s k o m m e n w i r d .

D i e F a b e l , p o e t i s c h e A n s i c h t d e r G e s c h i c h t e , u n d A r c h i t e k t o n i k

des H i m m e l s beschä f f t i ge t m i c h g e g e n w ä r t i g v o r z ü g l i c h , b e s o n d e r s

25 das N a t i o n e l l e , s o f e rn es v o n d e m G r i e c h i s c h e n v e r s c h i e d e n ist.

437

Page 453: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.244.24S B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4

D i e verschiedenen Schiksaale der H e r o e n , Rit ter u n d Fürsten, w i e

sie d e m Schiksaal d ienen , oder zwei fe lhafter sich in diesem verhal ten ,

hab ich i m Al lgemeinen gefaßt .

Ich wünschte D i c h wirkl ich e inmal in Stutgard zu sehen u n d G e -

spräch m i t D i r zu haben . I ch schäz es e igent l i ch , daß wir e inen 30

M a n n , der so gelehrt ist u n d so menschl i ch , unter uns haben . H e r r n

von Sinklair habe ich es geschrieben.

I ch glaube D i r n o c h vieles mitthei len zu k ö n n e n . Das Stud ium des

Vaterlandes, seiner Verhältnisse u n d Stände ist unendl i ch u n d ver -

jüngt . 35

D a ß uns die gute Ze i t nicht leer von Geiste w e r d e , u n d wir uns

wieder selber f inden m ö g e n I

I ch denke einfältige u n d stille T a g e , die k o m m e n m ö g e n . Beun -

ruhigen uns die Feinde des Vaterlands, so ist ein M u t h gespart, der

uns vertheidigen wird gegen das andre , das nicht ganz zu uns gehört . 40

I ch empfeh le m i c h D i r unterthänig .

Hölder l in .

245. A N F R I E D R I C H W I L M A N S

Nürt ingen bei Stutgard.

d . 2 Apr . 1804.

Verehrungswürd iger !

Ich habe die Druk feh le r des ö d i p u s durchgegangen .

D e r rohe D r u k hat m i r fast besser gefal len, wahrscheinl ich , we i l 5

die Z ü g e , we l che an den Buchstaben das Veste anzeigen, gegen das

Modi f i c i rende so gut aushalten in dieser Typograph ie , u n d dieses i m

rohen D r u k noch bemerkbarer war , als i m gefe i l ten. D e r Erf inder ist

o f t verschämt gegen sein P u b l i k u m , u n d verl ieret über der Galan-

terie dann das E igentüml i che überhaupt , besonders das Veste , was 10

diese Typographie karakterisirt. Übrigens hat die Typographie in die-

sem Vorzug n u r m e h r d e m Scheine nach ver loren , als der Wirk l i ch -

keit.

438

Page 454: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 0 - 1 8 0 4 Nr.24S.246

Ist sie bekannter , so geben Sie ihr vieleicht das R o h e des ersten

15 D r u k s , u n d lassen es oder geben i h m eine Feile.

I ch sage d i ß , u m I h n e n zu bezeugen , w ie w e i t ich diese Vortref l ich-

keit verstehe. Diese allzustrenge Feile schwächet auch n u r das Veste

d e m ersten Scheine nach , u n d w e n n m a n sich gerad, oder m i t einer

reinen R i c h t u n g zu den Seiten davor sezt, so sieht m a n die vesteren

20 Z ü g e gut .

I ch erwarte n u r die Exemplare , u m sie an Herrn v o n Göthe u n d

Herrn von Schiller zu schiken, u n d an einige andre , die vieleicht eine

T h e i l n a h m e daran haben.

D e r Prinzessin von H o m b u r g m ö c h t ' ich ein besonderes Exemplar

25 schiken. Ich w e i ß nicht , o b Sie dazu besonderes Papier wählen wol len.

Ich glaube durchaus gegen die exzentrische Begeisterung geschrie-

ben zu haben u n d so die griechische Einfalt erreicht ; ich hoffe auch

f e m e r , auf diesem Prinzipium zu b le iben , auch w e n n ich das, was

d e m Dichter verboten ist, kühner exponiren sollte, gegen die exzen-

30 trische Begeisterung.

I ch f reue m i c h , Ihnen nächstens etwas zu schiken, worau f ich jezt

einen eigentl ichen W e r t h seze.

I ch w ü n s c h e , daß die Ideen u n d Berührungspuncte , we l che dieses

Buch in U m l a u f b r ingen , so schnell , w ie mög l i ch sich berühren m ö -

35 gen .

L e b e n Sie indeß w o h l , m e i n T h e u r e r !

Ihr

Freund

Hölder l in .

246. AN P R I N Z E S S I N A U G U S T E V O N H E S S E N - H O M B U R G

Fängt an: Durchlaucht ige Prinzessin. Ich schike Ihnen den ersten

Band der Übersezung der Sophokleischen Tragöd ien . Er spricht darin

von der Größe der Alten, aber auch von dem unbegrei f l ich Gött l icheren u n -

serer hei l igen Rel igion in seiner Originalität, und dem Werth des Verglei-

5 chens der antiken und unserer Zustände.

439

Page 455: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text
Page 456: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

T Ü B I N G E N 1806 -1843

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Page 458: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 18 0 6 - 1 8 43 Nr.247.248

A N D I E M U T T E R

247.

V e r e h r u n g s w ü r d i g e M u t t e r 1

I c h h a b e d i e E h r e , I h n e n zu b e z e u g e n , d a ß i ch ü b e r d e n v o n I h n e n

e m p f a n g e n e n B r i e f r e c h t e r f r e u t s e y n m u ß t e . I h r e v o r t r e f l i c h e n

Ä u ß e r u n g e n s ind m i r sehr w o h l t h ä t i g , u n d d ie D a n k b a r k e i t , d i e i ch

5 I h n e n s c h u l d i g b i n , k o m m t h i n z u z u d e r B e w u n d e r u n g I h r e r v o r -

t r e f f l i c h e n G e s i n n u n g e n . I h r g ü t i g e s G e m ü t h u n d I h r e so n ü z l i c h e n

E r m a h n u n g e n s ind n i e m a l s o h n e Ä u ß e r u n g , d i e m i c h e r f r e u e t , w i e

sie m i r n ü z l i c h ist. D a s K l e i d u n g s s t ü k das Sie h ü i z u g e s e z e t , ist m i r

a u c h sehr g u t . I c h m u ß m i c h b e e i l e n . I c h w ä r e so f r e i , m e h r e r e s h i n -

10 z u z u s e z e n , w i e n e m l i c h so l che A u f f o r d e r u n g e n zu o r d e n t l i c h e r A u f -

f ü h r u n g m e i n e r s e i t s , w i e i ch h o f f e , w i r k s a m s e y n u n d I h n e n a n g e -

n e h m s e y n so l l en . I c h h a b e d i e E h r e , m i c h z u n e n n e n

I h r e n

e r g e b e n s t e n S o h n

15 H ö l d e r l i n .

248.

L i e b s t e M u t t e r !

I c h e r g r e i f e d i e v o n H e r r n Z i m m e r n m i r g ü t i g s t a n g e b o t e n e G e -

l e g e n h e i t , m i c h in G e d a n k e n a n Sie z u w e n d e n , u n d S ie n o c h i m m e r

v o n d e r B e z e u g u n g m e i n e r E r g e b e n h e i t u n d d e r R e d l i c h k e i t m e i n e r

5 A n h ä n g l i c h k e i t z u u n t e r h a l t e n . I h r e s chon so l a n g e m i r e i n l e u c h -

t e n d e u n d k lare G ü t i g k e i t , d i e F o r t d a u e r I h r e r Z ä r t l i c h k e i t u n d

Ihres m i r so w o h l t h ä t i g e n m o r a l i s c h e n Einf lusses s ind m i r v e r -

e h r u n g s w ü r d i g e G e g e n s t ä n d e , d i e m i r v o r A u g e n s c h w e b e n , i ch

m a g m e i n e s c h u l d i g e E h r e r b i e t u n g in m i r zu v e r s t ä r k e n s u c h e n o d e r

443

Page 459: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.2S9. 260 .261 .262 B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 4 3

i c h m a g d e n k e n , w a s a n d e m A n g e d e n k e n se ie , das i ch I h n e n s c h u l - l o

d i g b i n , v o r t r e f l i c h e M u t t e r ! W e n n i c h I h n e n n i c h t k a n n so u n t e r -

h a l t e n d s e y n , w i e Sie m i r , so ist es das V e r n e i n e n d e , das in e b e n d e r -

s e l b e n E r g e b e n h e i t l i e g t , d i e i ch I h n e n zu b e z e u g e n d ie E h r e h a b e .

M e i n e T h e i l n a h m e h a t ein I h n e n n o c h n i c h t a u f g e h ö r t ; so f o r t d a u r e n d

I h r e m ü t t e r l i c h e G ü t i g k e i t , so u n v e r ä n d e r t ist m e i n A n g e d e n k e n a n 15

S i e , v e r e h r u n g s w ü r d i g e M u t t e r ! D i e T a g e , d i e I h n e n o h n e S c h a d e n

a n G e s u n d h e i t , u n d m i t d e r G e w i ß h e i t I h r e s H e r z e n s h i n g e h n , d e r

G o t t h e i t w o h l z u g e f a l l e n , s ind m i r i m m e r h i n t h e u e r , i m d d i e S t u n -

d e n , d i e i c h in I h r e r N ä h e z u g e b r a c h t h a b e , w i e m i r s c h e i n e t u n v e r -

g e ß l i c h . I c h h o f f e , u n d h a b e das fes te Z u t r a u e n , d a ß es I h n e n i m m e r 20

r e c h t w o h l g e h e n u n d a u f d ieser W e l t g e f a l l e n w e r d e . I c h h a b e d i e

E h r e , m i c h I h n e n z u e m p f e h l e n , u n d n e n n e m i c h

I h r e n

g e h o r s a m s t e n S o h n

H ö l d e r l i n . 25

249.

H e r r Z i m m e r n e r l a u b t m i r , e i n e E m p f e h l u n g v o n m i r h i n z u z u -

sezen . I c h e m p f e h l e m i c h in I h r g ü t i g e s A n d e n k e n . K ö n n e n S i e ,

t h e u e r s t e M u t t e r ! m i c h b a l d w i e d e r m i t e i n e m B r i e f e e r f r e u e n , so

w i r d d i ß a n e i n dankbares H e r z g e s c h e h e n .

250.

V e r e h r u n g s w ü r d i g e M u t t e r !

I c h b e a n t w o r t e I h r e n , g ü t i g e n B r i e f m i t v e r g n ü g t e m H e r z e n u n d

aus s c h u l d i g e r T h e i l n a h m e a n I h r e m D a s e y n , I h r e r G e s u n d h e i t u n d

F o r t d a u e r in d i e s e m L e b e n . W e n n Sie m i c h b e l e h r e n , w e n n Sie z u

o r d e n t l i c h e r A u f f ü h r u n g T u g e n d u n d R e l i g i o n m i c h e r m u n t e r n , so 5

ist d i e S a n f t m u t h e i n e r so g ü t i g e n M u t t e r das B e k a n n t e u n d U n b e -

k a n t e in e i n e m m i r so v e r e h r t e n V e r h ä l t n i ß m i r n ü z l i c h w i e e i n B u c h

se jai sol l , u n d m e i n e r S e e l e zu t räg l i ch w i e h ö h e r e L e h r e n . D i e N a -

t ü r l i c h k e i t I h r e r f r o m m e n u n d t u g e n d h a f t e n S e e l e l e i d e t a u ß e r d i e -

444

Page 460: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 4 3 Nr.2S0.2Sl

10 ser l e z t e m w o h l bessere V e r g l e i c h u n g e n ; i ch r e c h n e a u f I h r e chr is t -

l i che V e r z e i h u n g , t h e u e r s t e M u t t e r , u n d a u f m e i n B e s t r e b e n , m i c h

i m m e r m e h r z u v e r v o l l k o m m n e n u n d z u bessern . M e i n e M i t t h e i -

l u n g s g a a b e s c h r ä n k t s ich a u f Ä u ß e r u n g e n m e i n e r A n h ä n g l i c h k e i t an

S ie e i n , bis m e i n e See le an G e s i n n u n g e n so v i e l g e w o n n e n h a t , d a ß

IS sie m i t W o r t e n sich d a v o n m i t t h e i l e n u n d Sie interess iren k a n n . I c h

n e h m e m i r d i e F r e i h e i t , m i c h I h r e m m ü t t e r l i c h e n H e r z e n u n d I h r e r

g e w ö h n l i c h e n V o r t r e f f l i c h k e i t g e h o r s a m s t z u e m p f e h l e n . I c h g l a u b e ,

F l e i ß u n d e i n g e w ö h n l i c h e s For t s chre i t en i m G u t e n f e h l t n i c h t l e i c h t

e i n e n g u t e n Z w e k . I c h e m p f e h l e m i c h , v e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t -

20 t e r ! u n d n e n n e m i c h m i t A u f r i c h t i g k e i t

I h r e n

g e h o r s a m e n S o h n

H ö l d e r l i n .

251.

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t t e r !

I c h schäze m i c h g l ü k l i c h so v i e l e G e l e g e n h e i t z u h a b e n , I h n e n

m e i n e E r g e b e n h e i t z u b e z e u g e n , i n d e m i c h m e i n e G e s i n n u n g e n

d u r c h B r i e f e s c h r e i b e n ä u ß e r e . I c h g l a u b e sagen zu k ö n n e n , g u t e G e -

5 s i n n u n g e n , in W o r t e n g e ä u ß e r t , s ind n i c h t u m s o n s t , w e i l das G e -

m ü t h a u c h v o n i n n e r l i c h e n V o r s c h r i f t e n a b h ä n g t , d i e in d e r N a t u r

des M e n s c h e n l i e g e n , u n d d i e , in so f e r n e sie chr is t l i ch g e l t e n , d u r c h

i h r e B e s t ä n d i g k e i t u n d W o h l t h ä t i g k e i t in teress i ren . D e r M e n s c h

s c h e i n e t a n Z u v e r l ä s s i g k e i t , an e i n R e i n e r e s , das se iner N e i g u n g sich

10 anzupassen s c h e i n t , g e r n e g e w ö h n t . D ieses I n n e r e s c h e i n t a u c h r e i c h

a n K r ä f t e n , w i e es n o c h ü b e r d i ß zu B e s ä n f t i g u n g des m e n s c h l i c h e n

G e m ü t h s , u n d zur B i l d u n g m e n s c h l i c h e r G e m ü t h s k r ä f t e b e i t r a g e n

k a n n . G ö t t l i c h e s , w i e dessen d e r M e n s c h a u c h e m p f ä n g l i c h ist , ist

w u n d e r b a r z u g e g e b e n e i n e r m e h r n a t ü r l i c h e n B e m ü h u n g , d i e d e r

15 M e n s c h sich g i e b t . I c h b i t t e u m V e r g e b u n g , d a ß i ch m i c h I h n e n so

u n r ü k s i c h t l i c h h a b e m i t g e t h e i l t . S i ch m i t s ich selbst z u b e s c h ä f t i g e n

ist e i n e B e s t i m m u n g , w e l c h e , so ernst sie e r s c h e i n e n k a n n , d o c h d e n

G e i s t des M e n s c h e n z u r H ü l f e h a t , u n d d e r A n l a g e n des m e n s c h -

445

Page 461: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.2Si.2S2.2S3 B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 4 3

l i c h e n H e r z e n s w e g e n , z u r M i l d e i m m e n s c h l i c h e n L e b e n u n d a u c h

so f e r n e z u h ö h e r e r E m p f ä n g l i c h k e i t b e i t r a g e n k a n n . I c h m u ß n o c h 20

e i n m a l u m V e r g e b u n g b i t t e n , i n d e m i ch a b b r e c h e . I c h n e n n e m i c h

m i t a u f r i c h t i g s t e r E r g e b e n h e i t

I h r e n

g e h o r s a m e n S o h n

H ö l d e r l i n . 2«

252.

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t t e r I

I c h f a h r e f o r t , Sie u n t e r h a l t e n z u w o l l e n m i t m e i n e n B r i e f e n , u n d

I h r e g ü t i g e Z u s c h r i f t z u b e a n t w o r t e n . I c h k a n n n i c h t a u f h ö r e n , S ie

z u v e r e h r e n , u n d I h r e G ü t e g e g e n m i c h , u n d Z ä r t l i c h k e i t in E r m a h -

n u n g e n z u e r k e n n e n . W i e h a b e n S ie r e c h t , m i c h z u e r m a h n e n , d a ß 5

i c h d i e E h r f u r c h t g e g e n H e r r n Z i m m e r n n i c h t v e r l i e r e n , u n d m i c h

i m m e r m e h r d e r T u g e n d u n d o r d e n t l i c h e r S i t ten b e f l e i ß i g e n sol l .

I h r e g ü t i g e n B r i e f e s ind m i r a u c h e i n B e w e i s I h r e r f o r t d a u e r n d e n

G e s u n d h e i t . I c h e m p f e h l e m i c h I h r e r f e r n e r e n G ü t e , v e r e h r u n g s -

w ü r d i g s t e M u t t e r 1 u n d n e n n e m i c h m i t i n n i g e r V e r e h r u n g 1 0

I h r e n

g e h o r s a m e n S o h n

H ö l d e r l i n .

255 .

M e i n e t h e u e r s t e M u t t e r 1

I c h d a n k e I h n e n herz l i chst f ü r d ie n e u l i c h e n Ä u ß e r u n g e n I h r e r

f o r t d a u r e n d e n G ü t e . I c h b i n d iese T a g e n i c h t g a n z w o h l g e w e s e n ,

b i n a b e r jezt w i e d e r besser . D a s B e f i n d e n v o n I h n e n interess ir t m i c h

u m so m e h r , u n d i ch f r e u e a u c h m i c h u m so m e h r , w e n n i ch d e n k e , 5

d a ß Sie s ich w o h l b e f i n d e n . L e b e n S ie i m m e r g e r n e in N ü r t i n g e n ,

u n d ist d ieser A u f e n t h a l t I h r e r m i r so t h e u r e n G e s u n d h e i t i m m e r

z u t r ä g l i c h ?

D a ß i ch S ie so w e n i g u n t e r h a l t e n k a n n , r ü h r e t d a h e r , w e i l i c h

m i c h so v i e l m i t d e n G e s i n n u n g e n b e s c h ä f f t i g e , d i e i c h I h n e n s c h u l - 1 0

446

Page 462: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 4 5 Nr.2S3. 2S4. 2SS

d i g b i n . W a s S ie sonst m e i n e r s e i t s interess i ret , so f e r n e , ist I h r B e -

f i n d e n , d i e R u h e Ihres v o r t r e f l i c h e n G e m ü t h s , u n d I h r e T h e i l n a h m e

m i t d e m G e m ü t h e a n d i e s e m L e b e n . V o n d i e s e m I h n e n z u r e d e n , w i l l

i c h m i c h b e f l e i ß e n , so sehr , als i ch I h n e n dieses s c h u l d i g b i n . I c h h a b e

15 d i e E h r e , S ie m e i n e r ä u ß e r s t e n H o c h a c h t u n g zu v e r s i c h e r n , u n d

n e n n e m i c h

I h r e n

g e h o r s a m e n S o h n

H ö l d e r l i n .

254 .

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t t e r I

I c h d e n k e , d a ß i ch I h n e n n i c h t zur L a s t fa l le m i t d e r W i e d e r h o h -

l u n g so l cher B r i e f e . I h r e Z ä r t l i c h k e i t u n d v o r t r e f l i c h e G ü t e e r w e k e t

m e i n e E r g e b e n h e i t z u r D a n k b a r k e i t , u n d D a n k b a r k e i t ist e i n e T u -

s g e n d . I c h d e n k e d e r Z e i t , d i e i c h m i t I h n e n z u b r a c h t e , m i t v i e l e r

E r k e n t l i c h k e i t , v e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t t e r I I h r Be isp ie l v o l l T u -

g e n d soll i m m e r in d e r E n t f e r n u n g m i r u n v e r g e ß l i c h b l e i b e n , u n d

m i c h e r m u n t e r n z u r B e f o l g u n g I h r e r V o r s c h r i f t e n , u n d N a c h a h -

m u n g e ines so t u g e n d h a f t e n Beispie ls . I c h seze das B e k e n t n i ß m e i n e r

10 a u f r i c h t i g e n E r g e b e n h e i t h i n z u u n d n e n n e m i c h

I h r e n

g e h o r s a m s t e n S o h n

H ö l d e r l i n .

M e i n e E m p f e h l u n g a n m e i n e t h e u e r s t e S c h w e s t e r .

255.

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e F r a u M u t t e r !

I c h s chre ibe I h n e n s c h o n w i e d e r e i n e n B r i e f . I c h w e i ß n i c h t , o b

S i e m i r d e n zu lez t g e s c h r i e b e n e n b e a n t w o r t e t h a b e n . I c h v e r m u t h e ,

d a ß e r b e a n t w o r t e t ist . N e h m e n Sie m i r , n a c h I h r e r G ü t e , d iese B e -

h a u p t u n g n i c h t ü b e l . I c h m a c h e I h n e n d i e a u f r i c h t i g s t e n W ü n s c h e

447

Page 463: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.2SS. 2S6. 2S7 B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 + 3

f ü r I h r e G e s u n d h e i t . B e h a l t e n S ie m i c h in g ü t i g e m A n g e d e n k e n ,

u n d s e y n S ie v e r s i c h e r t , d a ß i c h m i c h m i t W a h r h e i t n e n n e

I h r e n

g e h o r s a m s t e n S o h n

H ö l d e r l i n l o

256 .

V e r e h r u n g s w ü r d i g e M u t t e r !

Es ist m i r l i e b , w e n n Sie r e c h t g e s u n d s i n d , u n d w e n n es I h n e n in

a l l en S t ü k e n w o h l g e h t . D i e g u t e n N a c h r i c h t e n , d i e S ie m i r v o n

I h n e n g e g e b e n h a b e n , h a b e n m i c h g e f r e u t . I c h h a b e m i r v o r g e n o m -

m e n , an I h r e m W o h l b e f i n d e n i m m e r w a h r e r e n A n t h e i l z u n e h m e n . 5

M ö g e n S ie m e i n e r t h e u e r e n u n d sehr g e s c h ä z t e n S c h w e s t e r m e i n e

E m p f e h l u n g m a c h e n . I c h h a b e i h r n o c h n i c h t f ü r d ie B e s u c h e g e -

d a n k t , d i e Sie m i r h i e r zu m a c h e n d ie G ü t e h a t t e . I c h n e n n e m i c h

I h r e n

g e h o r s a m s t e n S o h n 10

H ö l d e r l i n .

257.

T h e u e r s t e M u t t e r I

I c h k a n n n i c h t anders s a g e n , als d a ß i ch sehr e r k e n t l i c h g e g e n I h r e

a u s n e h m e n d e g ü t i g e A u s d r ü k e u n d so k lare E r w e i s e I h r e r G ü t e in

m e i n e r See le m i c h f i n d e .

I c h m u ß es e b e n zu v e r d i e n e n s u c h e n d u r c h W o h l v e r h a l t e n u n d 5

f o r t d a u e r n d e E h r e r b i e t u n g g e g e n P e r s o n e n , d i e m i r G r u n d s ä z e a n -

g e b e n u n d a n d e r e n G r u n d s ä z e i ch g l a u b e .

M i c h a u s z u d r ü k e n , ist m i r so w e n i g g e g ö n t g e w e s e n i m L e b e n , da

i c h m i c h in d e r J u g e n d g e r n e m i t B ü c h e r n b e s c h ä f f t i g e t u n d n a c h h e r

v o n I h n e n e n t f e r n t e . W a s m i r , b e i d ieser A r t v o n G e s t ä n d n i ß , i m m e r 10

g e b l i e b e n , ist e i n h e r z l i c h e r G l a u b e a n I h r v o r t r e f f l i c h e s H e r z u n d

d e n E r n s t I h r e r m ü t t e r l i c h e n V o r s c h r i f f t e n .

I h r Be i sp ie l , I h r e E r m a h n u n g e n zur V e r e h r u n g e ines h ö h e r n W e -

sens h a b e n m i r a u c h bis h i e h e r g e n ü z t , so d a ß sich das a n s ich V e r -

448

Page 464: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 + 3 Nr.2S7. 2S8. 2S9

15 e h r b a r e so l cher G e m ü t h s g e g e n s t ä n d e a u c h d u r c h I h r V e r w o b e n s e y n

in d i e s e m L e b e n b e k r ä f f t i g e t .

I c h e m p f e h l e m i c h I h n e n in so f e r n e m i t desto g e t r o s t e r e m G e -

m ü t h e u n d n e n n e m i c h

I h r e n

20 g e h o r s a m e n S o h n

F r i e d e r i c h H ö l d e r l i n .

258.

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e I

I c h k a n n I h n e n n i c h t g e n u g d a n k e n f ü r I h r e g ü t i g e Z u s c h r i f t . I c h

f i n d e i m m e r d ie Z e i c h e n I h r e s e d l e n H e r z e n s u n d t r a c h t e , d i e san f -

t e n E r m a h n i m g e n , d i e I h n e n g e f ä l l i g , z u b e f o l g e n ,

s I c h m u ß I h n e n a u c h h e r z l i c h d a n k e n f ü r das , w a s S ie b e i g e l e g t

i m d m i r z u g e s c h i k t h a b e n .

S ie w e r d e n d ie F e i e r t a g e v e r g n ü g t z u g e b r a c h t h a b e n .

I c h h o f f e , d a j ez t d i e Ä u ß e r u n g güt igs t a u f I h r e r Se i t e , so w e i t ,

so ba ld i ch ü b e r d i e E m p f i n d u n g e n , d i e i c h I h n e n s c h u l d i g , h i n a u s

10 b i n , I h n e n a u c h e i n e n r e c h t g r o ß e n B r i e f s c h r e i b e n z u k ö n n e n .

S e y n S ie v o n m e i n e r h e r z l i c h e n T h e i l n a h m e a n I h r e r kos tbaren

G e s u n d h e i t , W o h l s e y n u n d V e r g n ü g t s e y n des G e m ü t h e s u n d F o r t -

d a u e r d e r s e l b e n v e r s i c h e r t .

D a r f i ch Sie b i t t e n , m i c h g e h o r s a m s t a l l e n d e n I h r i g e n zu e m p f e h l e n .

15 I c h h a b e d i e E h r e , m i t vö l l igs ter E r g e b e n h e i t m i c h zu n e n n e n

I h r e n

g e h o r s a m s t e n

H ö l d e r l i n .

259.

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t t e r I

W e n n m e i n e b i s h e r i g e n B r i e f e I h n e n n i c h t g a n z g e f a l l e n k o n n t e n ,

so k a n n e i n e ö f t e r e E r w e i s u n g e i n e r s o l c h e n A u f m e r k s a m k e i t d i e g u t -

w i l l i g e B e m ü h u n g a n z e i g e n . Es ist o f t so , d a ß d i e Ü b u n g a u c h diese

5 Gesta l t a n n e h m e n k a n n . W a s M e n s c h e n n ä h e r b r i n g t , ist Ü b u n g zur

449

Page 465: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.2S9. 260.261.262 B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 4 3

G e w o h n h e i t , A n n ä h e r u n g d e r G e s m n u n g e n u n d B e z i e h u n g e n i m

Z u s a m m e n h a n g e d e r M e n s c h h e i t . Ü b r i g e n s s ind d i e n ä h e r e n G e s i n -

n u n g e n n o c h a n d r e ; E r k e n t l i c h k e i t , R e l i g i o n , u n d G e f ü h l v e r p f l i c h -

t e n d e r B e z i e h u n g e n . I c h e m p f e h l e m i c h e r g e b e n s t in d ie F o r t d a u e r

I h r e r G ü t e , u n d n e n n e m i c h lO

I h r e n

g e h o r s a m s t e n S o h n

H ö l d e r l i n .

2 6 0 .

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t t e r !

I c h d a n k e I h n e n r e c h t sehr f ü r das Ü b e r s c h i k t e . W a s S ie m i r g e -

s c h r i e b e n h a b e n , h a t m i c h r e c h t s e h r g e f r e u t . D i e M e n s c h e n m ü s s e n

s ich i m G u t e n e r h a l t e n d u r c h E r m a h n u n g , w i e es I h n e n o b l i e g t , i m d

d u r c h d i e A r t , s i ch z u e m p f e h l e n , w i e es m i r g e z i e m t . 5

I c h w i e d e r h o h l e das , w a s i c h g e ä u ß e r t h a b e , u n d n e n n e m i c h

I h r e n

g e h o r s a m s t e n S o h n

H ö l d e r l i n .

261. V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t t e r !

I c h s c h i k e m i c h s c h o n w i e d e r a n , I h n e n e i n e n B r i e f z u s c h r e i b e n .

W a s i c h I h n e n g e w ö h n l i c h g e s c h r i e b e n h a b e , ist I h n e n e r i n n e r l i c h ,

u n d i c h h a b e I h n e n fast w i e d e r h o h l t e Ä u ß e r u n g e n g e s c h r i e b e n . I c h

w ü n s c h e , d a ß Sie s ich i m m e r r e c h t w o h l b e f i n d e n m ö g e n . I c h e m p - 5

f e h l e m i c h g e h o r s a m s t u n d n e n n e m i c h

I h r e n

g e h o r s a m e n S o h n

H ö l d e r l i n .

262.

T h e u e r s t e M u t t e r 1

I c h m a c h e m i r e i n e F r e u d e d a r a u s , I h n e n w i e d e r h o h l t e r m a l e n

n o c h e i n e n B r i e f z u s c h r e i b e n . I c h w i e d e r h o h l e d i e G e s i n m m g e n ,

450

Page 466: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 4.5 Nr. 262. 263. 26*

u n d d i e B e z e u g u n g v o n d i e s e n , d i e i ch sonst g e m a c h t h a b e . I c h w ü n -

S sehe I h n e n r e c h t v ie les G u t e f ü r i m m e r . I h r e G e s u n d h e i t , d i e m i r so

schäzbar , w i r d , m e i n e r H o f f n u n g u n d m e i n e n W ü n s c h e n g e m ä ß ,

i m m e r v o l l k o m m e n e r u n d f ü r Sie a n g e m e s s e n e r s e y n . B l e i b e n S ie

m i r g e w o g e n , t h e u e r s t e M u t t e r , u n d g ö n n e n S ie m i r d ie F o r t d a u e r

I h r e r G ü t e u n d I h r e s W o h l w o l l e n s . I c h e m p f e h l e m i c h I h n e n g e -

10 h o r s a m s t , u n d n e n n e m i c h

I h r e n

g e h o r s a m e n S o h n

H ö l d e r l i n .

263 .

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t t e r I

D a ß i c h e i n e G e l e g e n h e i t b e n ü z e n d a r f , a n S ie z u s c h r e i b e n , ist

m i r gar n i c h t u n a n g e n e h m . Es s ind i n m i e r h i n E m p f e h l u n g e n m e i -

nes v o n I h n e n a b h ä n g i g e n W e s e n s u n d V e r s u c h e , rtiein e r g e b e n e s

5 G e m ü t h I h r e r f o r t d a u r e n d e n G ü t e zu ä u ß e r n , w a s i ch f ü r d e n I n h a l t

d i eser g e w i ß n i c h t o h n e E r g e b e n h e i t g e s c h r i e b e n e n B r i e f e I h n e n v e r -

s i chern m ö c h t e . N e h m e n Sie es d o c h n i c h t ü b e l , d a ß i c h s c h o n a b -

b r e c h e . I c h b i n

I h r

10 g e h o r s a m s t e r S o h n

H ö l d e r l i n .

264 .

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t t e r !

I c h h a b e d i e E h r e , I h n e n s c h o n w i e d e r e i n e n B r i e f z u s c h r e i b e n .

D i e m a i m i g f a l t i g e n G ü t i g k e i t e n , d i e Sie m i r i m L e b e n e r w i e s e n h a -

b e n , ve ran lassen m i c h z u m D a n k e , u n d j e d e A r t d e r H ö f l i c h k e i t , d i e

5 i c h I h n e n e r w e i s e n k a n n , k a n n e i n i g e r m a ß e n als e i n B e z e u g n i ß des -

s e l b i g e n d i e n e n . L e b e n S ie w o h l , es w a r m i r e i n e E h r e , I h n e n s c h o n

w i e d e r s c h r e i b e n z u k ö n n e n . I c h n e n n e m i c h

I h r e n

g e h o r s a m s t e n S o h n

10 H ö l d e r l i n .

451

Page 467: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.2S9. 260.261.262 B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 4 3

265 .

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e F r a u M u t t e r 1

I c h m a c h e I h n e n m e i n e n g e h o r s a m s t e n D a n k f ü r d ie B r i e f e , d i e

i c h v o n I h n e n e r h a l t e n h a b e , u n d v e r s i c h e r e S i e , d a ß es m i r e i n e

E h r e ist , I h n e n z u w e i l e n d ie V e r s i c h e r u n g m e i n e r E r g e b e n h e i t z u

m a c h e n . B r i n g e n Sie d i e Z e i t v e r g n ü g t z u , w i e es m e i n W u n s c h ist . 5

I c h e m p f e h l e m i c h I h n e n g e h o r s a m s t i m d n e n n e m i c h

I h r e n

g e h o r s a m e n S o h n

H ö l d e r l i n .

2 6 6 .

M e i n e v e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t t e r !

I c h n e h m e m i r d i e F r e i h e i t , m i t d i e s e m S c h r e i b e n I h n e n d i e A n -

z e i g e m e i n e r f o r t d a u e r n d e n E r k e n t l i c h k e i t z u m a c h e n . S i n d S ie v o n

d e r E r g e b e n h e i t m e i n e r G e s i n n u n g e n ü b e r z e u g t . D i e F o r t d a u e r i n -

n e r e r Ü b e r z e u g u n g , d i e z u r T u g e n d b e i t r ä g t ist kerne g e r i n g e B e o b - 5

a c h t u n g . Ü b r i g e n s b i n i c h in m e i n e n V e r p f l i c h t u n g e n u n d Ü b e r z e u -

g u n g e n n i c h t v e r ä n d e r l i c h . I c h n e n n e m i c h m i t E r g e b e n h e i t

I h r e n

g e h o r s a m e n S o h n

H ö l d e r l i n . l o

267 .

V e r e h r u n g s w ü r d i g e F r a u M u t t e r !

I c h b i t t e S i e , d a ß S ie es n i c h t u n g ü t i g n e h m e n , d a ß i c h I h n e n

i m m e r m i t B r i e f e n b e s c h w e r U c h f a l l e , d i e sehr k u r z s i n d . D i e B e -

z e u g u n g v o n d e m , w i e m a n g e s i n n t se i , u n d w i e m a n A n t h e i l n e h m e

a n a n d e r n d i e m a n v e r e h r t , u n d w i e das L e b e n d e n M e n s c h e n h i n - 5

g e h e , d iese A r t , s i ch m i t z u t h e i l e n h a t e i n e B e s c h a f f e n h e i t , w o m a n

s ich a u f d iese A r t e n t s c h u l d i g e n m u ß . I c h b e e n d i g e d e n B r i e f s c h o n

w i e d e r , u n d n e n n e m i c h

I h r e n

g e h o r s a m s t e n S o h n l o

H ö l d e r l i n .

452

Page 468: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 + 3 Nr.268. 269. 270

268.

M e i n e t h e u e r s t e M u t t e r I

W e i l H E . Z i m m e r n g ü t i g m i r e r l a u b t , a u c h z u s c h r e i b e n , b i n i c h

so f r e i . I c h e m p f e h l e m i c h I h r e r G ü t e . S ie w e r d e n m i c h w o h l n i c h t

ver lassen . I c h h o f f e , S ie b a l d z u s e h e n . I c h b i n v o n H e r z e n

5 I h r

g e h o r s a m e r S o h n

H ö l d e r l i n .

269.

V e r e h r u n g s w ü r d i g e M u t t e r I

I c h n e h m e m i r d i e F r e i h e i t , e i n e n B r i e f a n Sie z u s c h r e i b e n , w i e

es fast e i n e G e w o h n h e i t g e w o r d e n ist. Es soll m i c h r e c h t sehr f r e u e n ,

w e n n Sie g e s u n d s i n d . I c h m a c h e m i r e i n e F r e u d e daraus , v o n d e n

5 G e s i n n u n g e n z u s c h r e i b e n , v o n d e n e n i ch sonst g e s c h r i e b e n h a b e .

I c h e m p f e h l e m i c h I h n e n g e h o r s a m s t u n d n e n n e m i c h

I h r e n

g e h o r s a m e n S o h n

H ö l d e r l i n .

270.

V e r e h r u n g s w ü r d i g e M u t t e r I

I c h s chre ibe I h n e n s c h o n w i e d e r . D a s W i e d e r h o h l e n v o n d e m , w a s

m a n g e s c h r i e b e n h a t , ist n i c h t i m m e r e i n e u n n ö t h i g e B e s c h a f f e n h e i t .

Es ist in d e m , w o v o n d i e R e d e ist , g e g r ü n d e t , d a ß , w e n n m a n sich

5 z u m G u t e n e r m a h n t , u n d sich e twas E r n s t h c h e s sagt , es n i c h t sehr

ü b e l g e n o r o m e n w i r d , w e n n m a n e b e n dasselbe sagt , u n d n i c h t i m -

m e r e twas v o r b r i n g t , das n i c h t g e w ö h n l i c h ist. I c h w i l l es b e i d i e s e m

b e w e n d e n lassen . I c h e m p f e h l e m i c h I h n e n g e h o r s a m s t , u n d n e n n e

m i c h

10 I h r e n

g e h o r s a m e n S o h n

H ö l d e r l i n .

453

Page 469: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.271. 272. 27} B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 4 3

271.

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e F r a u M u t t e r !

I c h m a c h e m i r e i n V e r g n ü g e n daraus , I h r e g ü t i g e E r l a u b n i ß z u

b e n u z e n , u n d das B r i e f s c h r e i b e n a n S ie so f e r n e f o r t z u s e z e n . W e n n

Sie s ich W o h l b e f i n d e n , f r e u e t es m i c h e r s t a u n l i c h . I c h w e r d e a b e r

w i e d e r s c h n e l l a b b r e c h e n m ü s s e n . I c h m u ß es b e i d e m b e w e n d e n las- 5

s e n , I h n e n v o n m e i n e m W o h l b e f i n d e n N a c h r i c h t g e g e b e n z u h a b e n .

I c h e m p f e h l e m i c h I h r e r G ü t e u n d G e w o g e n h e i t u n d n e n n e m i c h

I h r e n

e r g e b e n s t g e h o r s a m s t e n S o h n

H ö l d e r l i n . l o

272.

T h e u e r s t e M u t t e r !

I c h m a c h e I h n e n m e i n e n g e h o r s a m s t e n D a n k f ü r das Ü b e r s c h i k t e .

N e h m e n Sie es n i c h t u n g ü t i g , d a ß i c h I h n e n i m m e r n o c h , w i e S ie

m i c h ü b e r z e u g t h a b e n , a u f d iese A r t läst ig b i n . I s t es i r g e n d z u s a g e n

m ö g l i c h , so m ö c h t e i c h I h n e n b e z e u g e n , w i e i c h w ü n s c h e , I h n e n I h r e 5

v i e l e S o r g e u m m i c h u n d G ü t e v e r g e l t e n z u k ö n n e n . I c h w ü n s c h e

I h n e n ü b e r d i ß g u t e G e s u n d h e i t , t h e u e r s t e M u t t e r , u n d r u h i g e s L e -

b e n u n d n e n n e m i c h

I h r e n

gehorse imsten S o h n l o

H ö l d e r l i n .

273.

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t t e r !

I c h n e h m e m i r d ie F r e i h e i t , I h n e n w i e d e r h o h l t m a l s z u s c h r e i b e n .

W a s i ch I h n e n sonst g e s a g t h a b e , w i e d e r h o h l e i c h m i t d e n G e s i n -

n u n g e n , d i e S ie v o n m i r w i s s e n . I c h w ü n s c h e I h n e n alles G u t e . I c h

b r e c h e s c h o n w i e d e r a b , w i e i c h S ie u m V e r z e i h u n g b i t t e . 5

I c h e m p f e h l e m i c h I h n e n g e h o r s a m s t , u n d n e n n e m i c h

I h r e n

g e h o r s a m e n S o h n

H ö l d e r l i n .

454

Page 470: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 4 3 Nr.214. 215. 216

274. V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e F r a u M u t t e r !

D i e v o r t r e f f l i c h e P r a u Z i m m e r i n e r m a h n t m i c h , d a ß i ch m ö c h t e

es n i c h t v e r n a c h l ä s s i g e n , I h n e n m i t e i n e m S c h r e i b e n a u f m e r k s a m

z u s e y n , u n d so d i e F o r t d a u e r m e i n e r E r g e b e n h e i t I h n e n z u b e z e u g e n .

5 D i e P f l i c h t e n , d i e M e n s c h e n sich s c h u l d i g s ind , z e i g e n sich v o r z ü g -

l i c h a u c h i n e i n e r s o l c h e n E r g e b e n h e i t e ines S o h n e s g e g e n se ine M u t -

ter . D i e V e r h ä l t n i s s e d e r M e n s c h e n z u e i n a n d e r h a b e n so l che R e g e l n ,

u n d d i e B e f o l g u n g d ieser R e g e l n u n d m e h r e r e Ü b u n g in d e n s e l b e n

m a c h t , d a ß d i e R e g e l n so f e r n e w e n i g e r h a r t , u n d m e h r d e m H e r z e n

10 a n g e m e s s e n s c h e i n e n . N e h m e n Sie v o r l i e b m i t d i e s e m Z e i c h e n m e i -

n e r b e s t ä n d i g e n E r g e b e n h e i t . I c h n e n n e m i c h

I h r e n

g e h o r s a m e n S o h n

H ö l d e r l i n .

275.

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t t e r !

I c h s c h r e i b e I h n e n , so g u t i c h i m S t a n d e b i n , I h n e n e twas z u s a g e n ,

das I h n e n n i c h t u n a n g e n e h m ist . I h r W o h l b e f i n d e n u n d d i e B e s c h a f -

f e n h e i t I h r e s G e m ü t h s ist m i r u n v e r ä n d e r l i c h a n g e l e g e n . W e n n Sie

5 m i t d i e s e m z u f r i e d e n s e y n k ö n n e n , so t h u n Sie m i r e i n e n G e f a l l e n ,

i c h b i n I h n e n b e k a n n t , w i e i ch m i t m e i n e n B i t t en b i n u n d I h n e n b e -

s c h w e r l i c h fa l l e . I c h b i n

I h r

g e h o r s a m e r S o h n

10 H ö l d e r l i n .

276.

T h e u e r s t e M u t t e r !

I c h b i n v e r s i c h e r t , d a ß d ie B e m ü h u n g , I h r e Z u f r i e d e n h e i t z u v e r -

d i e n e n , m a c h t , d a ß d i e G ü t i g k e i t , m i t d e r S ie i m m e r g e g e n m i c h g e -

s i n n t g e w e s e n s i n d , n i c h t a u f h ö r t . I c h m u ß s chon s c h l i e ß e n . S e y n

455

Page 471: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.276.277.278.279 B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 4 3

S ie v e r s i c h e r t , d a ß i ch m i t n i c h t e n d i g e n d e r E h r e r b i e t i g k e i t m i c h 5

n e n n e

I h r e n

g e h o r s a m e n S o h n

H ö l d e r l i n .

277.

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t t e r !

I c h w i l l I h n e n d i esen B r i e f n o c h s c h r e i b e n . D i e N a c h r i c h t e n , d i e

i c h v o n I h n e n e r h a l t e , f r e u e n m i c h . I c h k a n n I h n e n s a g e n , es g i e b t

f ü r m i c h k e i n e bessere N a c h r i c h t e n , als d i e , d i e m i r s a g e n , d a ß I h n e n

es g u t g e h t . I c h m u ß a b b r e c h e n . I c h b i n 5

I h r

g e h o r s a m s t e r S o h n

H ö l d e r l i n .

278.

V e r e h r u n g s w ü r d i g e M u t t e r !

I c h s c h r e i b e I h n e n d iesen B r i e f z u m Z e i c h e n m e i n e r g e w ö h n l i c h e n

in s o l c h e n V e r h ä l t n i s s e n s ich b e n e h m e n d e n G e s t i m m t h e i t . Es soll

m i c h sehr f r e u e n , w e n n i c h das m i r i n m i e r s a g e n k a n n , w a s m e i n e

b e z e u g t e u n d I h n e n b e k a n n t e A r t , d e n M e n s c h e n , d i e m i c h a n g e h e n , 5

v e r s t ä n d l i c h z u s e y n , I h n e n sich e r i n n e r l i c h g e m a c h t h a t . I c h b i n

I h r

g e h o r s a m e r S o h n

H ö l d e r l i n .

279.

V e r e h r u n g s w ü r d i g e M u t t e r !

I c h d a n k e I h n e n f ü r d e n e r h a l t n e n B r i e f . W i e S ie m i r g e s c h r i e b e n

h a b e n , k a n n i c h m i c h v e r s i c h e r n , d a ß es m i t I h r e r G e s u n d h e i t g u t

g e h t , u n d d a ß Sie z u f r i e d e n u n d v e r g n ü g t l e b e n . H a b e n Sie m i r sa-

g e n g e w o l l t , w i e i ch m i c h g e g e n S ie v e r h a l t e n so l l , so a n t w o r t ' i c h 5

456

Page 472: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 + 3 Nr.279. 230. 2Si

I h n e n , d a ß i ch t r a c h t e , u n v e r ä n d e r l i c h in g u t e m V e r n e h m e n m i t

I h n e n z u b l e i b e n .

I c h n e n n e m i c h

I h r e n

10 g e h o r s a m s t e n S o h n

H ö l d e r l i n .

2 8 0 .

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t t e r I

I c h m a g es n i c h t v e r s ä u m e n , e i n e n B r i e f a n Sie z u s c h r e i b e n . So

e r f r e u l i c h d i e G e g e n w a r t , so ist d o c h das Z e i c h e n d e r S e e l e , das n i c h t

l e b e n d i g e , e i n e W o h l t h a t f ü r d ie M e n s c h e n . So w e n i g s ich e i n e V o r -

s z ü g l i c h k e i t d e r S e e l e , w i e G ü t e , o d e r h e r z l i c h e M i t t h e i l u n g , o d e r t u -

g e n d h a f t e E r m a h n u n g o f t s c h e i n t v e r g e l t e n z u lassen , so ist a u c h

Ä u ß e r u n g d e r E m p f ä n g l i c h k e i t d o c h e twas in das L e b e n u n d se ine

E r s c h e i n u n g . N i c h t n u r d ie g l e i c h starke M i t t h e i l i m g , a u c h Ä u ß e -

r u n g u n d E m p f i n d u n g ist e i n e Gesta l t des M o r a l i s c h e n , e in T h e i l d e r

10 Ge i s tes - u n d E r s c h e i n u n g s w e i t . W i e L e i b u n d S e e l e ist , so ist a u c h d i e

See le u n d i h r e Ä u ß e r u n g . N e m l i c h d e r M e n s c h soll sich ä u ß e r n , aus

V e r d i e n s t e twas G u t e s t h u n , g u t e H a n d l u n g e n a u s ü b e n , a b e r d e r

M e n s c h sol l n i c h t n u r a u f d i e W i r k l i c h k e i t , e r soll a u c h a u f d i e S e e l e

w i r k e n . D i e m o r a l i s c h e W e l t , d i e d a s A b s t r a c t e m i t s ich f ü h r t , s c h e i n t

15 dieses z u e r k l ä r e n . N e h m e n Sie m i t d iesen Ä u ß e r u n g e n v o r l i e b u n d

b e g l ü k e n Sie f e m e r m i t I h r e r G e w o g e n h e i t , v e r e h r u n g s w ü r d i g s t e

M u t t e r

I h r e n

g e h o r s a m e n S o h n

20 H ö l d e r l i n .

2 8 1 .

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t t e r !

I c h s chre ibe I h n e n s chon w i e d e r . H a b e n Sie d ie G ü t e , d iesen B r i e f ,

w i e m e i n e sonst igen B r i e f e , a u f z u n e h m e n u n d m i c h in g u t e m G e -

457

Page 473: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.281.282 . 28}.284 B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 + 3

d ä c h t n i ß z u b e h a l t e n . I c h e m p f e h l e I h n e n m e i n I n n e r e s aus E r g e b e n -

h e i t u n d n e n n e m i c h 5

I h r e n

g e h o r s a m s t e n S o h n

H ö l d e r l i n .

2 8 2 .

G e e h r t e s t e F r a u M u t t e r !

I c h s chre ibe I h n e n , w i e i c h g l a u b e , d a ß es I h r e V o r s c h r i f t , u n d

m e i n e G e m ä ß h e i t n a c h d ieser ist . H a b e n Sie N e u i g k e i t e n , so k ö n n e n

S ie d i e se lb ige rriir m i t t h e i l e n .

I c h b i n 5

I h r

g e h o r s a m s t e r S o h n

H ö l d e r l i n .

283.

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t t e r !

I c h s c h r e i b e I h n e n d i ß m a l e i n e n B r i e f , so g u t i c h k a n n . I h r e G e -

s u n d h e i t soll m i c h i m m e r sehr a n g e l e g e n t l i c h a n g e h e n . Es soll m i c h

i m m e r f r e u e n w e n n Sie g e s u n d s ind u n d b l e i b e n . D e r Z u s a m m e n -

h a n g m i t I h n e n w i r d m i r i m m e r t h e u e r s e y n . G ö n n e n S ie m i r a u c h s

in Z u k u n f t I h r e G u n s t u n d G ü t e . I c h b r e c h e s c h o n w i e d e r a b . I c h

e m p f e h l e m i c h I h r e r f o r t d a u e r n d e n L i e b e u n d n e n n e m i c h

I h r e n

g e h o r s a m s t e n S o h n

H ö l d e r l i n . l o

284.

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t t e r !

I m m e r m u ß i c h I h n e n v e r s i c h e r n , w i e I h r e G ü t e u n d I h r e i n n e r e

g u t e B e s c h a f f e n h e i t m i c h z u m D a n k a u f f o r d e r t u n d z u r B e m ü h u n g ,

I h n e n in d e r T u g e n d n a c h z u f o l g e n . W e r a n d e r e e r m u n t e r n k a n n z u r

T u g e n d u n d d a r i n n w e i t e r b r i n g e n , ist a u c h g l ü k l i c h , w e i l e r s i e h t , 5

458

Page 474: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 + 3 Nr.279. 230. 2Si

w i e se in Be isp ie l G u t e s b e f ö r d e r t , u n d so lches w i r k t i n a n d e r n G e -

m ü t h e m . D i e G l ü k l i c h k e i t ist f ü r s ich selbst g l ü k l i c h , sie ist es a b e r

a u c h d u r c h B e t r a c h t u n g , sie ist es a u c h d u r c h d i e H o f f n u n g , s ich i m

G u t e n d u r c h a n d e r e u n t e r s t ü z t z u f i n d e n . N e h m e n S ie m i t d iesen

10 w e n i g e n W o r t e n v o r l i e b . I c h b i n

I h r

g e h o r s a m s t e r S o h n

H ö l d e r l i n .

285.

T h e u e r s t e M u t t e r !

I c h h a b e das V e r g n ü g e n g e h a b t , m e h r e r e B r i e f e v o n I h n e n z u e r -

h a l t e n . I h r e G ü t e , e twas v o n I h n e n wissen z u lassen , ü b e r z e u g t m i c h ,

d a ß m a n , so g u t m a n k a n n , d a z u s e y n m u ß , dieses M i t t e l , i m v e r -

5 h ä l t n i ß m ä ß i g e n A n d e n k e n zu b l e i b e n , s c h ä z e n m u ß . I c h h a b e I h r

S c h r e i b e n m i t d ieser G e s i n n u n g b e a n t w o r t e n w o l l e n . I c h m a c h e

I h n e n f ü r das G e s c h i k t e m e i n e g e h o r s a m s t e D a n k s a g u n g . I c h b i n

I h r

g e h o r s a m s t e r S o h n

1 0 H ö l d e r l i n .

2 8 6 .

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e F r a u M u t t e r 1

I c h n e h m e m i r d ie F r e i h e i t , I h n e n z u w i e d e r h o h l t e n m a l e n e i n e n

B r i e f z u s c h r e i b e n . D i e w e n i g e Z e i l e n , m i t d e n e n i c h m e i n e E h r -

f u r c h t z u s a g e n m i c h b e s t r e b e , w e r d e n I h n e n , w i e i c h h o f f e , n i c h t

5 u n a n g e n e h m s e y n , da i c h v o n I h r e r f o r t d a u e r n d e n G ü t e v e r s i c h e r t

b i n . H a b e n S ie d ie G ü t e , m i c h i n f o r t d a u e r n d e m g u t e m A n d e n k e n

z u b e h a l t e n . I c h n e h m e m i r d ie F r e i h e i t , d e n B r i e f z u b e s c h l i e ß e n .

I c h e m p f e h l e m i c h I h n e n , u n d n e n n e m i c h

I h r e n

10 g e h o r s a m e n S o h n

H ö l d e r l i n .

459

Page 475: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.2a7. 288. 289 B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 4 3

287.

V e r e h r u n g s w ü r d i g e M u t t e r 1

I c h h a b e d i e E h r e , I h n e n s c h o n w i e d e r s c h r e i b e n z u w o l l e n . D i e

B r i e f e , d i e S ie m i r g e s c h r i e b e n h a b e n , h a b e n m i c h i m m e r s e h r g e -

f r e u t . I c h dcinke I h n e n f ü r d ie G ü t e , d i e Sie m i r d a r i n n e r w i e s e n . I c h

m u ß s c h o n w i e d e r s c h l i e ß e n . I c h v e r s i c h e r e I h n e n m e i n e H o c h a c h - 5

t u n g u n d n e n n e m i c h

I h r e n

g e h o r s a m s t e n S o h n

H ö l d e r l i n .

2 8 8 .

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e F r a u M u t t e r !

I c h h a b e d i e E h r e , I h n e n e b e n w i e d e r e i n e n B r i e f z u s c h r e i b e n .

I h r W o h l b e f i n d e n ist m i r i m m e r e i n e F r e u d e , u n d d a ß S ie s ich m e i -

n e r in G ü t e e r i n n e r n m ö g e n , ist m i r e i n A n l a ß w a h r e s t e r D a n k s a -

g u n g . I h r e B r i e f e s ind m i r e i n Z e u g n i ß v o n G ü t e u n d r e c h t e r F o r t - 5

d a u e m h e i t i n s o l c h e n G e m ü t h s b e z e u g u n g e n g e w e s e n , w i e i c h d i e

m e i n i g e n I h n e n z u e r k e n n e n g e b e . I c h e m p f e h l e m i c h I h n e n u n d

n e n n e m i c h

I h r e n

g e h o r s a m s t e n S o h n l o

H ö l d e r l i n .

289.

Beste M u t t e r !

I c h bes t rebe m i c h , I h n e n so w e n i g , w i e m ö g l i c h u n a n g e n e h m zu

w e r d e n , u n d s c h r e i b e d e ß w e g e n , so o f f t i c h k a n n . I c h f r e u e m i c h ,

w e n n Sie g e s u n d s i n d , u n d w e n n i c h m i t I h n e n so m i c h e m p f i n d e n

k a n n , d a ß daraus m e i n e S c h u l d i g k e i t g e g e n Sie u n d m e i n e Ü b e r - 5

z e u g t h e i t v o n I h r e m W e r t h e s i chtbar ist . I c h w ü n s c h e , d a ß Sie s ich

i m m e r so u n v e r ä n d e r l i c h e r k e n n e n , w i e S ie g u t s i n d , u n d n e n n e

m i c h

I h r e n

g e h o r s a m e n S o h n l o

H ö l d e r H n .

460

Page 476: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 4 3 Nr. 290. 291. 292

290.

T h e u e r s t e M u t t e r !

I c h b e a n t w o r t e I h n e n d e n B r i e f , d e n Sie n e u l i c h g e s c h r i e b e n h a -

b e n . N e h m e n Sie v o r h e b m i t d e m W e n i g e n , das i c h I h n e n s c h r e i b e n

k a n n . Sie k ö n n e n v e r s i c h e r t s e y n , d a ß i ch n i c h t a u f h ö r e n w e r d e , d e n

5 G e s i n n u n g e n t r e u z u s e y n , d i e i ch zu I h r e r E h r e z u ä u ß e r n v e r s u c h t

h a b e . G l a u b e n S ie , d ie D a n k b a r k e i t g e g e n das, w a s Sie m i r i m L e b e n

G u t e s e r z e u g t h a b e n , ist n i c h t a n d e r s . I c h n e n n e m i c h

I h r e n

g e h o r s a m s t e n S o h n

10 H ö l d e r l i n .

291.

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t t e r !

I c h n e h m e m i r s chon w i e d e r d ie F r e i h e i t , I h n e n m i t e i n e m S c h r e i -

b e n b e s c h w e r l i c h zu f a l l e n . Es f r e u e t m i c h r e c h t sehr , w e n n es I h n e n

i m m e r w o h l g e h t , u n d w e n n Sie sich w o h l b e f i n d e n . D i e N a c h r i c h -

5 t e n , d i e i ch v o n I h n e n e r h a l t e , s ind m i r d e ß w e g e n a n g e n e h m u n d

e r f r e u l i c h . I c h e m p f e h l e m i c h I h n e n g e h o r s a m s t , u n d n e n n e m i c h

m i t w a h r e r H o c h a c h t u n g

I h r e n

g e h o r s a m e n S o h n

10 H ö l d e r l i n .

292.

V e r e h n m g s w ü r d i g s t e M u t t e r !

I c h d a n k e I h n e n r e c h t sehr f ü r I h r e n g ü t i g e n B r i e f .

Es ist m i r e i n e z w e i f a c h e F r e u d e , S ie so n a h e z u s e h e n u n d v o n

I h r e n H ä n d e n e i n Z e i c h e n e r h a l t e n z u h a b e n .

5 S ie w e r d e n s i ch indessen r e c h t w o h l b e f u n d e n h a b e n . D i e S c h w e -

ster b e f i n d e t s ich d o c h w o h l . M e i n e n l i e b e n Fr iz e m p f e h l e i ch a u f das

bes te . D i e H e i n r i k e .

4 6 1

Page 477: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.292. 29}. 294 B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 4 3

I c h h o f f e , r e c h t b a l d r e c h t v i e l e F r e u d e u m Sie z u f i n d e n , e m p -

f e h l e m i c h I h n e n u n d d e r S c h w e s t e r , u n d h a b e d i e E h r e , m i c h z u

n e n n e n l o

I h r e n

g e t r e u e n S o h n

H ö l d e r l i n .

F ü r d i e B e i n k l e i d e r d a n k e i c h g e h o r s a m s t .

293.

T h e u e r s t e M u t t e r 1

I c h b i n v i e l e i c h t so f r e i , I h n e n m e i n e A u f w a r t u n g z u m a c h e n u n d

S ie z u b e s u c h e n . So l l te b e s o n d e r s m e i n A u f e n t h a l t v o n l ä n g e r e r

D a u e r s e y n , so w o l l t e i c h b i t t e n , m i c h n i c h t g e r a d e als G a s t z u n e h -

m e n , s o n d e r n m i t d e m v o r l i e b z u n e h m e n , w a s d ie A r t , u n d W e i s e 5

w ä r e , w o i c h m i c h sonst a u f h i e l t e . I c h n e n n e m i c h m i t w a h r e r A c h -

t u n g

I h r e n

g e h o r s a m s t e n S o h n

H ö l d e r l i n . lO

2 9 4

V e r e h r u n g s w ü r d i g e M u t t e r 1

I c h w i l l I h n e n i m m e r g e r n e s c h r e i b e n , w i e S ie wissen w e r d e n ,

w e n n i c h i n d e n g e w ö h n l i c h e n E m p f i n d i m g e n m e i n e r I h n e n b e -

k a n n t e n G e w o r d e n h e i t m i c h so b e f i n d e , d a ß m e i n e n o t h w e n d i g e B e -

s c h a f f e n h e i t , m i c h v e r s t ä n d l i c h z u m a c h e n so ist , w i e sie s e y n m u ß . 5

S c h r e i b e n S ie m i r i m m e r r e c h t v i e l e s , das i c h I h n e n m i t s c h u l d i g e r

H ö f l i c h k e i t b e a n t w o r t e n m u ß . I c h b i n

I h r

g e h o r s a m e r S o h n

H ö l d e r l i n . l o

462

Page 478: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 4 3 Nr. 290. 291. 292

290 .

V e r e h r u n g s w ü r d i g e M u t t e r !

I c h h a b e I h n e n s c h o n l a n g e n i c h t m e h r g e s c h r i e b e n . Es h a t m i c h

g e f r e u t , d a ß Sie in I h r e m lez ten g ü t i g e n S c h r e i b e n m i r v o n I h r e r

Z u f r i e d e n h e i t , z u l e b e n , d i e Sie e h e r U r s a c h e h ä t t e n zu l o b e n , s chre i -

5 b e n w o l l t e n . I c h m a c h e I h n e n m e i n e D a n k s a g u n g f ü r d i e g ü t i g e

N a c h r i c h t , d i e S ie m i r v o n I h r e m W o h l b e f i n d e n u n d v o n I h r e r R u h e

g e b e n w o l l t e n u n d n e r m e m i c h

I h r e n

g e h o r s a m s t e n S o h n

10 H ö l d e r l i n .

296.

T h e u e r s t e M u t t e r I

I c h m u ß Sie b i t t e n , d a ß Sie das , w a s i c h I h n e n sagen m u ß t e , a u f

s ich h e h m e n , u n d s ich d a r ü b e r b e f r a g e n . I c h h a b e I h n e n e i n i g e s in

d e r v o n I h n e n b e f o h l e n e n Erk lärbarke i t sagen m ü s s e n , das Sie m i r

5 zuste l l en w o l l t e n . I c h m u ß I h n e n s a g e n , d a ß es n i c h t m ö g l i c h ist , d i e

E m p f i n d u n g ü b e r s ich z u n e h m e n , d i e das , w a s Sie v e r s t e h e n , e r f o r -

d e r t . I c h b i n

I h r

g e h o r s a m s t e r S o h n

10 H ö l d e r l i n .

297.

T h e u e r s t e M u t t e r I

W e n n Sie es n i c h t u n g ü t i g n e h m e n , s chre ibe i ch w i e d e r a n S ie

e i n e n B r i e f . I c h b e f l e i ß i g e m i c h , es a n B e z e u g u n g m e i n e r I h n e n g e -

b ü r i g e n E r g e b e n h e i t n i c h t f e h l e n z u lassen. I c h m u ß s c h o n w i e d e r

5 a b b r e c h e n . I c h b i n m i t B e z e u g u n g m e i n e r g e h ö r i g e n E m p f i n d u n g

I h r

g e h o r s a m s t e r S o h n

H ö l d e r l i n .

463

Page 479: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.298. 299. 300 ' B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 4 3

298.

V e r e h r i i n g s w ü r d i g s t e M u t t e r I

M e i n B r i e f s c h r e i b e n w i r d I h n e n n i c h t i m m e r v i e l s e y n k ö n n e n ,

d a i c h das , w a s i ch s a g e , so sehr , w i e m ö g l i c h , m i t w e n i g e n W o r t e n

sagen m u ß , u n d d a i c h jez t k e i n e a n d e r e A r t z u sagen h a b e . I c h

n e h m e m i r d ie F r e i h e i t , S ie z u b i t t e n , d a ß Sie s ich m e i n e r , w i e g e - 5

w ö h n l i c h , m i t I h r e r G ü t i g k e i t a n n e h m e n , u n d d ie g u t e n G e s i n -

n u n g e n , d i e i c h I h n e n s c h u l d i g b i n , n i c h t i n Z w e i f e l z i e h n . I c h

n e n n e m i c h

I h r e n

g e h o r s a m e n S o h n l o

H ö l d e r l i n .

299.

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t t e r !

V e r z e i h e n S i e , w e n n m e i n I h n e n e r g e b e n e s G e m ü t h W o r t e s u c h t ,

u m d a m i t G r ü n d l i c h k e i t u n d E r g e b e n h e i t e r w e i s e n z u w o l l e n . I c h

g l a u b e n i c h t , d a ß m e i n e B e g r i f f e v o n I h n e n sehr i r r e n in R ü k s i c h t

I h r e r T u g e n d h a f f t i g k e i t u n d G ü t e . I c h m ö c h t e a b e r w i s s e n , w i e das 5

b e s c h a f f e n w ä r e , d a ß i c h m i c h b e f l e i ß e n m u ß , j e n e r G ü t e , j e n e r

T u g e n d h a f f t i g k e i t w ü r d i g z u s e y n . D a m i c h d i e V o r s e h u n g h a t so

w e i t k o m m e n lassen, so h o f f e i c h , d a ß i ch m e i n L e b e n v i e l l e i c h t o h n e

G e f a h r e n u n d g ä n z l i c h e Z w e i f e l f o r t seze . I c h b i n

I h r 10

g e h o r s a m s t e r S o h n

H ö l d e r l i n .

300.

V e r e h n m g s w ü r d i g s t e M u t t e r !

Es k o m m t m i r s chon sehr l a n g e v o r , als h ä t t e i ch I h n e n n i c h t m e h r

g e s c h r i e b e n . I c h r e c h n e i n m e i n e r B e r u h i g t h e i t a u f I h r W o h l b e f i n -

d e n , u n d f r e u e m i c h , d a ß S ie m i c h m a n c h m a l m i t so v i e l e r G ü t e m i t

N a c h r i c h t e n v o n I h r e m W o h l b e f i n d e n e r f r e u t h a b e n . M e i n e l i e b e 5

S c h w e s t e r b e f i n d e t s ich d o c h a u c h w o h l ? S ie d a r f v o n e b e n d i esen

464

Page 480: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

r"

r

r ^ , X ? .

V

r UAsM^ /

/

480

Page 481: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text
Page 482: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 4 3 Nr. }00. 301. 302

W ü n s c h e n , d i e i c h I h n e n g e ä u ß e r t , v e r s i c h e r t s e y n . I c h s c h l i e ß e

d e n B r i e f s c h o n w i e d e r , u n d n e n n e m i c h

I h r e n

10 g e h o r s a m s t e n S o h n

H ö l d e r l i n .

301.

L i e b s t e M u t t e r !

I c h m u ß I h n e n w a h r s c h e i n l i c h d iese T a g e als in G n a d e n so f e r n e

des Pabsts gar n o c h e i n e V is i t e m a c h e n . D a ß d iese B e s u c h e n i c h t g e -

t r ü b t w e r d e n , b e r ü h r ' i c h schr i f t l i ch e i n e n g l a u b l i c h e r e n o d e r u n -

5 g l a u b l i c h e r e n G e g e n s t a n d , d i e so f e r n e w i e d e r h o h l t s c h e i n e n d e n R e -

d e n v o m V e r m ö g e n .

H a b e n S ie d o c h d ie G ü t e , dieses z u s a m m e n z u b r i n g e n .

I h r

w a h r h a f t g e h o r s a m e r S o h n

10 H ö l d e r l i n .

302.

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t t e r !

D a s Z e i c h e n I h r e r G e w o g e n h e i t u n d G ü t e hat m i c h z u w a h r e r

D a n k b a r k e i t , w i e i c h h o f f e , v e r a n l a ß t . I h r e W o h l t h ä t i g k e i t w i r d a u c h

in k e i n e m T h e i l e w o h l u n b e l o h n t b l e i b e n , w e n n i ch b e d e n k e , d a ß

5 j e d e T u g e n d g e r n e ins G a n z e s ich r e c h n e t , u n d d ie T u g e n d ü b e r -

h a u p t n i c h t i m m e r d e r H a r m o n i e e n t g e g e n s t e h e t . I c h w e r d e m i c h ,

so l a n g e m i r G o t t das L e b e n g ö n n e t , i m m e r m e h r b e f l e i ß e n , I h r e

G ü t e u n d H ü l f e n i c h t z u sehr z u m e i n e m V o r t h e i l e a u f z u r u f e n , u n d

desto d a n k b a r e r z u w e r d e n d a d u r c h , d a ß i c h I h r e B i l U g u n g zu v e r -

10 d i e n e n s u c h e , u n d m i t E m p f i n d u n g e n I h n e n n i c h t f e h l e .

D a ß S i e , w i e i ch v e r m u t h e n d a r f , v e r g n ü g t e T a g e z u g e b r a c h t h a -

b e n , ist m i r selbst e i n e F r e u d e . I c h e m p f e h l e m i c h I h n e n u n d a l l e n ,

d i e I h n e n a n g e h ö r i g , u n d b i n

I h r

15 g e h o r s a m s t e r S o h n

H ö l d e r l i n .

465

Page 483: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.JO). 304. }0S B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 4 3

303.

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e F r a u M u t t e r !

I c h s chre ibe I h n e n s c h o n w i e d e r e i n e n B r i e f . I c h h a b e I h n e n i m -

m e r v ie les G u t e z u w ü n s c h e n . D i e E m p f i n d u n g e n , m i t d e n e n i ch

dieses w ü n s c h e , so l len d i e s e m g e m ä ß s e y n . D a s G u t e u n d das W o h l -

b e f i n d e n s ind w i c h t i g e G e g e n s t ä n d e , d i e m a n n i c h t g e r n e n t b e h r t , 5

w e n n m a n a u f das s i eht , w a s d e n M e n s c h e n das bes te ist. I c h n e h m e

m i r d ie F r e i h e i t , s c h o n w i e d e r a b z u b r e c h e n . I c h n e n n e m i c h

I h r e n

g e h o r s a m s t e n S o h n

H ö l d e r l i n . 10

304.

V e r e h r u n g s w ü r d i g s t e F r a u M u t t e r !

I c h m a c h e I h n e n m e i n e n g e h o r s a m s t e n D a n k f ü r das Ü b e r s c h ü t t e ,

f a h r e f o r t , m i c h I h n e n m i t z u t h e i l e n , u n d I h n e n m e i n e s H e r z e n s E r -

g e b e n h e i t z u b e z e u g e n . I c h b i t t e , d a ß S ie m i c h n i e g a n z v e r g e s s e n ,

v e r e h r u n g s w ü r d i g s t e M u t t e r , da S ie so g ü t i g g e g e n m i c h sich ä u ß e r n , 5

u n d i m m e r in d e r R e g e l I h r e s v o r t r e f f l i c h e n L e b e n s G ü t e h a b e n

g e g e n m i c h ä u ß e r n w o l l e n . S ie w e r d e n m i r d u r c h d i e A c h t u n g , d i e

i c h I h n e n s c h u l d i g b i n , u n v e r g e ß l i c h w e r d e n . M i t a u f r i c h t i g s t e r E r -

k l ä r u n g m e i n e r E r g e b e n h e i t u n d V e r e h r u n g n e n n e i c h m i c h

I h r e n l o

g e h o r s a m s t e n S o h n

H ö l d e r l i n .

305.

I c h b i n so f r e i , m i c h a u f E r l a u b n i ß des g ü t i g s t e n H e r r n Z i m m e r s

g e h o r s a m s t z u e m p f e h l e n , t m d n e n n e m i c h

I h r e n

g e h o r s a m s t e n S o h n

H ö l d e r l i n . 5

466

Page 484: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 4 3 Nr. 290. 291. 292

290.

I c h h a b e eben fa l l s d i e E h r e , m i c h g e h o r s a m s t z u e m p f e h l e n , u n d

b i n

I h r

g e h o r s a m s t e r S o h n

5 H ö l d e r l i n .

307.

V e r z e i h e n S i e , l iebste M u t t e r ! w e n n i ch m i c h I h n e n n i c h t f ü r S i e

sol lte g a n z v e r s t ä n d l i c h m a c h e n k ö n n e n .

I c h w i e d e r h o h l e I h n e n m i t H ö f l i c h k e i t w a s i c h z u sagen d i e E h r e

h a b e n k o n n t e . I c h b i t t e d e n g u t e n G o t t , d a ß er , w i e i ch als G e l e h r t e r

s s p r e c h e , I h n e n h e l f e in a l l e m u n d m i r .

N e h m e n Sie s ich m e i n e r a n . D i e Z e i t ist b u c h s t a b e n g e n a u u n d al l -

b a r m h e r z i g .

I n d e s s e n

I h r

10 g e h o r s a m s t e r S o h n

F r i e d e r i c h H ö l d e r l i n .

A N D I E S C H W E S T E R

308.

M e i n e v e r e h r u n g s w ü r d i g e S c h w e s t e r I

I c h d a n k e D i r h e r z l i c h , d a ß D u a u c h , w i e u n s r e g ü t i g e M u t t e r , so

v i e l A n t h e i l n e h m e n wo l l t e s t a n m i r , u n d m i c h m i t e i n e m so v o r -

t r e f f l i c h e n S c h r e i b e n e r f r e u e n . D u bist a l le in z u H a u ß e ; D u hast u m

5 so m e h r G e l e g e n h e i t , d e r R u h e D e i n e s G e m ü t h s , d i e e i n V o r z u g v o n

D i r ist, n a c h z u h ä n g e n , u n d d ie Z u r ü k k u n f t u n s r e r l i e b e n v e r e h n m g s -

w ü r d i g e n M u t t e r b r i n g t D i c h z u d e m A n g e d e n k e n v o n a l l e m , w a s

D i r l i e b ist a n ihr . Es soUte m i c h r e c h t f r e u e n , D i c h a u c h e i n m a l in

N ü r t i n g e n w i e d e r z u s e h e n ; es f r e u e t m i c h r e c h t h e r z l i c h , d a ß D u in

10 d e m a n g e n e h m e n A u f e n t h a l t e D i c h b e f i n d e s t , u n d f ü r D e i n e m i r so

t h e u r e G e s u n d h e i t s o r g e n kanst , u n d f ü r d i e H e i t e r k e i t D e i n e s G e -

m ü t h e s . W i l l s t D u d i e g ü t i g e M ü h e , B r i e f e a n m i c h z u adress i ren ,

467

Page 485: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Nr.308. 309. 310 B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 4 3

n o c h k ü n f t i g a u f D i c h n e h m e n , so w i l l i c h m i c h d e r D a n k b a r k e i t so

f e r n e b e f l e i ß i g e n , u n d e r k e n t l i c h s e y n . H e r r n Z i m m e r s u n t e r r i c h -

t e n d e r U m g a n g u n d a u f m u n t e r n d e G ü t e g e g e n m i c h ist m i r e i n g r o - 15

ß e r V o r t h e i l . I c h e m p f e h l e m i c h in D e i n e s c h w e s t e r l i c h e L i e b e u n d

n e n n e m i c h

D e i n e n

g e h o r s a m s t e r g e b e n e n B r u d e r

H ö l d e r l i n . 20

309.

T h e u e r s t e S c h w e s t e r !

I c h g e b e m i r , w e n n i c h s c h o n k e i n S c h r e i b e n v o n D i r e r h a l t e n

h a b e , d i e E h r e , a n D i c h zu s c h r e i b e n . Es ist m i r i m m e r e i n e F r e u d e ,

v o n D e i n e m W o h l b e f i n d e n m i c h e r k u n d i g t , u n d v o n m e i n e r E r g e -

b e n h e i t d i e B e z e u g u n g e n g e m a c h t z u h a b e n . I c h h a b e d i e E h r e , D i r 5

v o n m e i n e r f o r t d a u e r n d e n E h r e r b i e t u n g d i e V e r s i c h e n m g z u m a c h e n

u n d n e n n e m i c h

D e i n e n

e r g e b e n s t e n B r u d e r

H ö l d e r l m . l o

310.

T h e u e r s t e S c h w e s t e r !

I c h b e z e u g e D i r m i t d ieser Z u s c h r i f f t m e i n e E r k e n t h c h k e i t , d a ß

D u D i c h i m m e r m i t B r i e f e n n a c h m i r e r k u n d i g e n wi l l s t , i m d m i r

d i e F o r t d a u e r D e i n e r G ü t e u n d D e i n e s s c h w e s t e r l i c h e n W o h l w o l l e n s

b e h a u p t e n . D e i n W o h l b e f i n d e n ist m i r e i n e V e r a n l a s s u n g m e i n e r 5

T h e i l n a h m e , u n d D e i n e B e h a u p t u n g e n v o n G u t e m b e s t r e b e i ch

m i c h m i t w a h r e m D a n k e a n z u e r k e n n e n . I c h m u ß s c h h e ß e n . I c h

n e n n e m i c h m i t w a h r h a f f t i g e r E r g e b e n h e i t

D e i n e n

g e h o r s a m s t e n B r u d e r l o

H ö l d e r l i n .

468

Page 486: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B R I E F E 1 8 0 6 - 1 8 4 3 Nr. Hl. 312

311.

T h e u e r s t e S c h w e s t e r I

I c h m a c h e D i r m e i n e e r g e b e n s t e D a n k s a g u n g , d a ß D u m i r s c h o n

w i e d e r s c h r e i b e n wo l l t e s t , u n d m i t d e n V e r s i c h e r u n g e n D e i n e r G ü t e

m i c h z u d e r s c h u l d i g e n w a h r e n E h r e r b i e t u n g a u f g e f o r d e r t hast . D i e

s N a c h r i c h t e n , d i e D u m i r v o n D e i n e m W o h l b e f i n d e n g i ebs t , s ind m i r

a n g e n e h m u n d e r f r e u l i c h .

H a b e d ie G ü t e , m i c h f e r n e r m i t D e i n e m W o h l w o l l e n z u b e e h r e n

u n d sei v e r s i c h e r t , d a ß i ch m i c h m i t w a h r e r E h r f u r c h t n e n n e

D e i n e n e r g e b e n s t e n

10 B r u d e r

H ö l d e r l i n .

512. A N D E N B R U D E R

T h e u e r s t e r B r u d e r I

D u wi rs t es g u t a u f n e h m e n , d a ß i ch D i r e i n e n B r i e f s c h r e i b e . I c h

b i n ü b e r z e u g t , d a ß D u es g laubst , d a ß es e i n w a h r e s V e r g n ü g e n f ü r

m i c h ist , w e n n i c h w e i ß , d a ß es D i r g u t g e h t u n d d a ß D u g e s i m d bist .

J W e n n i c h D i r n u r sehr w e n i g s c h r e i b e , so n e h m e d e n B r i e f als e i n

Z e i c h e n d e r A u f m e r k s a m k e i t v o n m i r a n . I c h m e r k e , d a ß i ch sch l ie -

ß e n m u ß . I c h e m p f e h l e m i c h D e i n e m w o h l w o l l e n d e n A n g e d e n k e n

u n d n e n n e m i c h

D e i n e n

10 D i c h s c h ä z e n d e n B r u d e r

H ö l d e r l i n .

469

Page 487: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

N A C H T R A G

34a. A N D I E M U T T E R

Liebste M a m m a l

Über Ihre Reise m u ß t ich s taunen; w e n n sie n u r Ihrer Gesundhei t

n icht schadet. G e f r e u t hat m i c h die Nachricht , daß Sie gutes G e h ö r

bei Scheelhaß hatten. Ich wi l l die Disputationen an ihn addressiren.

H e u t e lass ' ich sie v o m Buchdruker z u m Buchbinder br ingen . Nach 5

Nürt ingen w e r d ' ich unge fär 14 oder 15 schiken müssen. Nächste

W o c h e w e r d ' ich disputiren. Sölten Sie also auch die ganze S u m -

m e zusammenbr ingen , so w o l t ' ich Sie gehorsamst gebeten haben ,

m i r das Karolin f ü r H E . Pro f . Bök zu schiken. U n d w a n n Sie das

Ge ld f ü r die Thesesschmäuse n icht f ü r überflüssig ha l ten , so w a r es 10

auch allenfalls Ze i t dazu. D e n Buchbinder u n d Buchdruker zahlt

m a n gewönl i ch auch gleich. D o c h das überlass' ich I h r e m Bel ieben.

Sein Sie versichert , l iebe M a m m a ! so vie l mirs gegeben ist, wi l l

ich streben, Ihnen die vielen B e m ü h u n g e n u n d Inkommodi tä ten ,

die Sie m e i n e t w e g e n haben , durch Freude zu ersezen. I ch habe noch 15

vieles zu thun i m Sinn. Ich darfs Ihnen als Sohn o n e Schein der U n -

bescheidenheit sagen, daß anhaltendes Studiren besonders der Phi lo -

sophie m i r bald z u m Bedür fn iß geworden ist. W e n n ich hie u n d da

kleine Verdrüßl ichkeiten habe , so g e h ' ich n u r desto i imiger u n d auf -

merksamer zu m e i n e n Büchern . H a b ' i ch ke inen L o h n dafür , w e r d ' 20

ich vieleicht noch m a n c h m a l i m L e b e n verkannt u n d zurükgesezt ,

n u n ! ich wolte ja keinen L o h n . M e i n e Arbe i t be lohnte sich durch

sich selbst. —

470

Page 488: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

N A C H T R A G Nr.Ua

D i e 1. R i k e sol l m i r d o c h a u c h das n ä c h s t e m a l w i e d e r s c h r e i b e n .

25 H i e r d ie S t a m m b l ä t t c h e n f ü r d e n 1. K a r l . Z u m e i n e m S c h a t t e n r i ß

sol l e r m i r e i n e i g e n e s B l ä t t c h e n s c h i k e n . I c h h a b e m i c h s c h o n z e i c h -

n e n lassen. D e r 1. Fr . G r o s m a m m a t a u s e n d G r ü ß e .

I h r

g e h o r s a m s t e r S o h n

30 H ö l d e r l i n .

D i e prakt i s che L o g i k sol l m e i n K a r l T a g u n d N a c h t l e s e n . I c h h a b e

sie s c h o n v o r e i n i g e n Jaren v o n e i n e m a n d e r n m i t g r o ß e m N u z e n

ge l e sen . I c h lass' i h n r e c h t b i t t e n , s ich e i n e M ü h e z u n e m e n , d i e gar

b a l d in V e r g n ü g e n ü b e r g e h e n w e r d e .

471

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Page 490: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

I N H A L T S V E R Z E I C H N I S

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I N H A L T D E S S E C H S T E N B A N D E S

DENK.ENDORP UND MAULBRONN 1784-1788

1. An Nathanael Köstlin. Denkendorf, wohl im November 17 8 S 3

2. An die Mutter. Denkendorf, kurz vor Weihnachten 178f 4

3. An Immanuel Nast. Maulbronn, Anfang Januar 1787 5

4. An Immanuel Nast. Maulbronn, Januar 1787 7

5. An Immanuel Nast. Maulbronn, Januar oder Anfang Februar 1787 8

6. An Immanuel Nast. Maulbronn, 18. Februar 1787 10

7. An Immanuel Nast. Maulbronn, 26. März 1757 11

8. An Immanuel Nast. Maulbronn, wohl Mitte April 1787 12

9. An die Mutter. Maulbronn, wohl nach Mitte April 1787 13

10. An die Mutter. Maulbronn, im Mai oder Juni 1787 14

11. An Immemuel Nast. Maulbronn, im Sommer 1787 15

12. An Immanuel Nast. Maulbrorm, wohl Anfang September 1787 16

13. An Immanuel Nast. Maulbronn, etwa Ende Oktober 1787 17

14. An Immanuel Nast. Maulbronn, wohl im November 1787 19

15. An Immanuel Nast. Maulbronn, im November 1787 20

16. An die Geschwister. Maulbronn, Ende Dezember 1787 25

17. An die MutteT. Maulbronn, kurz vor dem 11. Februar 1788 26

18. An die Mutter. Maulbronn,wohlaml7.oder 18.Februar 1788 27

19. An Immanuel Nast. Maulbronn, um den 17. Februar 1788 28

20. An die Mutter. Maulbronn, um den 11. März 1788 29

21. An Immanuel Nast. Maulbronn, kurz nach dem 18. April 1788 .. . 29

22. An Louise Nast. Maulbronn, kurz nach dem 18. April 1788 31

23. An die Mutter. Maulbronn, vom 6. bis etwa IS. Juni 1788 32

24. An Immanuel Nast. Maulbronn, wohl am 6. September 1788 40

Page 493: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Inhalt des sechsten Bandes

T Ü B I N G E N 1788 -1793

25. A n Louise Nast. Tübingen, wohl kurz vor dem 19. Januar 1789 . . . . 43

26. A n die Mut ter . Tübingen, Ende April oder Anfang Mai 1789 . . . . 44

27. AndieMntteT.Tübingen,kwzvordem2S.Novemberl789.Bruchstück 45

28. A n Neuffer . Nürtingen, im Dezember 1789 46

29. A n die Mutter . Tübingen, im Januar 1790 48

30. An houise'NaiSt. Tübingen, Ende Januar oder Anfang Februar 1790 . 49

31. A n Louise Nast. Tübingen (vielleicht Nürtingen), Ende März oder

im April 1790 50

52. A n die Mutter . Tübingen, wohl Ende April oder Anfang Mai 1790. . 52

33. A n die Mutter . Tübingen, bald nach dem IS. Juni 1790 54

34. A n die Mutter . Tübingen, wohl Mitte August 1790 55

34a. A n die Mutter . (SUhe den Nachtrag)

35. A n Neuffer . Tübingen, 8. November 1790 56

36. A n die Schwester. Tübingen, am oder gleich TUlch dem 16. November

1790 57

37. A n die Schwester. Tübingen, 2h oder 30. November 1790 58

38. A n die Schwester. Tübingen, Anfang (wohl7.) Dezember 1790 . . . 59

39. A n die Schwester. Tübingen, etwa Mitte Dezember 1790 60

40. A n die Mutter . Tübingen, wahrscheinlich 7. Februar 1791 61

41. A n die Mutter . Tübingen, wahrscheinlich 14. Februar 1791 63

42. A n die Schwester. Tübingen, vermutlich gegen Ende März 1791 . . . 64

43. A n die Schwester. Tübingen, wahrscheinlich Ende März 1791 . . . . 65

ka die M-atter. Tübingen, Anfang ApHl 1791 67

45. A n die Mutter . Tübingen, wahrscheinlich Mitte Juni 1791 68

46. A n die Mutter . Tübingen, wahrscheinlich im November 1791 69

47. A n Neuf fer . Tübingen, 28. November 1791 70

48. A n die Schwester. Tübingen, zwischen S. und 10. Dezember 1791 . . 72

49. An die Schwester. Tübingen, Ende Februar oder Anfang März 1792. 73

50. A n Neuffer . Tübingen, nach Mitte April 1792 75

51. A n die Schwester. Tübingen, 19. oder 20. Juni 1792 77

52. An die Schwester.Tübingen,EndeAugustoderAnfangSeptemberl792 78

53. A n die Mutter . Tübingen, um den 10. September 1792 79

54. A n Neuffer . Tübingen, bald nach dem 14. September 1792 80

55. A n die Mutter . Tübingen, in der zweiten Hälfte des November 1792 . 81

Page 494: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Inhalt des sechsten Bandes

56. A n Neuffer . Nürtingen, vermutlich um Ostern (31. März) 179) . . . . 83

57. A n Neuffer . Tübingen, wahrscheinlich im Mai 179) 85

58. An den Bruder. Tübingen, Anfang Juli 179). Auszug und Regest. . 85

59. A n den Bruder. Tübingen, gegen Mitte Juli 179). Regest 85

60. A n Neuffer . Tübingen, zwischen 21. und 2). Juli 179) 85

61. A n den Bruder. Tübingen, in der zweiten Hälfte des Juli 179).

Auszug und Regest 88

62. A n den Bruder. Tübingen, Mitte August 179). Auszug 89

65. A n die Mutter . Tübingen, im August 179) 89

64. A n die Mutter . Tübingen, wohl Ende August oder Anfang September

179) 91

65. A n den Bruder. Tübingen, in der ersten Hälfte des September 179) . 92

66. An die Mutter . Tübingen, wohl Mitte September 179) 94

67. A n Neuffer . Nürtingen, im ersten Drittel des Oktober 179) 95

68. A n Neuffer . Nürtingen, um den 20. Oktober 179) 96

W A L T E R S H A U S E N J E N A N Ü R T I N G E N 1794-1795

69. An die Mutter. Coburg, 26. (oder 27.) Dezember 179) 99

70. An Stäudlin und Neuffer. WaJtershausen, 30. Dezember 1793 100

71. A n die Mutter . Waltershausen, 3. Januar 1794 102

72. A n die Schwester. Waltershausen, 16. Januar 1794 103

73. A n die Mutter . Waltershausen, 23. Januar 1794 105

74. An die Großmutter. Waltershausen, 25. Februar 1794 106

75. A n Neuffer . Waltershausen, wahrscheinlich Anfang April 1794 .. . 108

76. An Schiller. Waltershausen, im April 1794 I II

77. An Neuffer. Waltershausen, gegen Mitte April 1794 113

78. A n die Mutter . Waltershausen, in der ersten Hälfte des April 1794. 114

79. A n die Mutter . Waltershausen, 20. April 1794 117

80. An den Bruder. Waltershausen, 21. Mai 1794 118

81. A n den Schwager Breunl in . Völkershausen, Pfingsten (S.Juni)

. 1794 120

82. A n die Mutter . Waltershausen, 1. Juli 1794 122

83. A n Neuffer. Waltershausen, um den 10.-1 f . Juli 1794 124

84. A n Hegel. Waltershausen, 10. und 14. Juli 1794 126

85. A n die Mutter . Waltershausen, 30. Juli 1794 129

Page 495: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Inhalt des sechsten Bandes

86. An den Bruder. Waltershausen, 21. August 1794 130

87. An Neuffer. Waltershausen, 25. August 1794 133

88. An Neuffer. Waltershausen, 10. Oktober 1794 135

89. An Neüffer. Jena, wohl Mitte November 1794 138

90. An die Mutter. Jena, 17. November 1794 141

91. An die Mutter. Jena, 26. Dezember 1794 143

92. An die Mutter. Jena, 16. Januar 1795 146

93. An Neuffer. Jena, 19. Januar 1795 150

94. An Hegel. Jena, 26. Januar 1795 154

95. An die Mutter. Jena, 22. Februar 1795 156

96. An die Mutter. Jena, 12. März 1795 160

97. An den Bruder. Jena, 13. April 1795 162

98. An die Schwester. Jena, 20. April 1795 165

99. An Neuffer. Jena, 28. April 1795 168

100. An Neuffer. Jena, 8. Mai 1795 170

101. An die Mutter. Jena, 22. Mai 1795 173

102. An Schiller. Nürtingen, 23. Juli 1795 175

103. An Johann Gottfried Ebel. Nürtingen, 2. September 1795 . . 176

104. An Schiller. Nürtingen, 4. September 1795 180

105. An Neuffer. Nürtingen, wohl im Oktober 179S 182

106. An Johann Gottfried Ebel. Nürtingen, 9. November 1795 . . . 183

107. An Hegel. Stuttgart, 25. November 1795 185

108. An Neuffer. Nürtingen, Anfang Dezember 179S 186

109. An Johann Gottfried Ebel. Nürtingen, 7. Dezember 1795 . . 188

110. An Neuffer. Nürtingen, kurz nach dem 7. Dezember 179S 189

111. An Immanuel Niethammer. Löchgau, 22. Dezember 1795 . . 190

FRANKFURT 1796-1798

112. An die Mutter. Frankfurt, 30. Dezember 1795 195

113. An Pfarrer Majer. Frankfurt, 31. Dezember 1795 196

114. An den Bruder. Frankfurt, 11. Januar 1796 198

115. An Neuffer. Frankfurt, 15. Januar 1796 199

116. An den Bruder. Frankfurt, 11. Februar 1796 200

117. An Immanuel Niethammer. Prankfurt, 24. Februar 1796.. . 202

118. An Neuffer. Frankfurt, im März 1796 204

Page 496: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Inhalt des sechsten Bandes

119. An den Bruder. Frankfurt, März 1796. Auszug und Regest 206

120. An Cotta. Frankfurt, 15. Mai 1796 207

121. An den Bruder. Frankfurt, 2. Juni 1796 208

122. An den Bruder. Frankfurt, wahrscheinlich Ende Juni und 10. Juli

1796 211

123. An Neuffer. Frankfurt, wahrscheinlich Ende Juni und 10.Julil796 213

124. An Schiller. Kassel, 24. Juli 1796 214

125. An den Bruder. Kassel, 6. August 1796 215

126. An den Bruder. Frankfurt, 13. Oktober 1796 217

127. An Hegel. Frankfurt, 24. Oktober 1796 219

128. An Hegel. Frankfurt, 20. November 1796 221

129. An Schiller. Frankfurt, 20. November 1796 225

130. An die Mutter. Prankfurt, 20. November 1796 224

131. An den Bruder. Frankfurt, wohl am 21. November 1796 227

132. An Johann Gottfried Ebel. Frankfurt, 10. Januar 1797 228

133. An den Bruder. Frankfurt, 10. Januar 1797 230

134. An die Mutter. Frankfurt, 30. Januar 1797 232

135. An den Bruder. Frankfurt, 4. Februar 1797. Auszug 234

136. An Neuffer. Frankfurt, 16. Februar 1797 235

137. An die Schwester. Frankfurt, 17. Februar 1797 237

138. An die Schwester. Frankfurt, Ende April 1797 258

139. An Schiller. Frankfurt (.Oberrad), 20. Juni 1797 241

140. An Neuffer. Frankfurt {Oberrad), 10. Juli 1797 243

141. An die Mutter. Frankfurt (Oberrad), lO.JuU 1797 244

142. An den Bruder. Frankfurt (Oberrad), im August 1797 246

143. An die Mutter. Oberrad, im August 1797 247

144. An Schiller. Oberrad, wohl zwischen IS. und 20. August 1797 . . . 249

145. An den Bruder. Oberrad, um den 20. September 1797. Auszug . . . 251

146. An die Schwester. Oberrad oder Frankfurt, Ende September 1797 252

147. An den Bruder. Frankfurt, 2. November 1797 255

148. An die Mutter. Frankfurt, November 1797 255

149. An den Bruder. Frankfurt, wohl im Dezember 1797. Nachtrag . . 258

150. An die Mutter. Frankfurt, Anfang Januar 179S 259

151. An den Schwager Breunlin. Frankfurt, 10. Januar 1798 260

152. An den Bruder. Frankfurt, 12. Februar-14. März 1798 262

Page 497: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Inhalt des sechsten Bandes

153. An die Mutter. Frankfurt, 10. Man 1798 265

154. An Neuffer. Prankfurt, im März 1798 267

155. An die Mutter. Frankfurt, 7. April 1798 267

156. An die Schwester. Frankfurt, wohl um den If.ApHl 1798 269

157. An die Mutter. Frankfurt, wohl um den IS. April 1798 270

158. An Neuffer. Frankfurt, wohl Ende Juni 1798 272

159. An Schiller. Frankfurt, 50. Juni 1798 275

160. An die Mutter. Frankfurt, 4. Juli 1798 274

161. An die Schwester. Frankfurt, 4. Juli 1798 275

162. An den Bruder. Frankfurt, 4. Juli 1798 277

165. An Neuffer. Frankfurt, im August 1798 278

164. An die Mutter. Frankfurt, 1. September 1798 279

H O M B U R G 1798-1800

165. An die Mutter. Homburg, 10. Oktober 1798 285

166. An die Mutter. Homburg, 12. November 1798 287

167. An Neuffer. Homburg, 12. November 1798 288

168. An die Mutter. Rastatt, 28. November 1798 291

169. An den Bruder. Rastatt, 28. November 1798 293

170. An die Mutter. Homburg, 11. December 1798 296

171. An Isaak von Sinclair. Homburg, 24. Dezember 1798.

Bruchstück 299

172. An den Bruder. Homburg, }l,.Dezember 1798 (Bruchstück) und

I.Januar 1799 301

173. An die Mutter. Homburg, im Januar 1799 308

174. An die Schwester. Homburg, wohl Ende Februar und um den

2;. März 1799 314

175. An die Mutter. Homburg, wohl im ersten Drittel des März 1799.

Bruchstück 317

176. An Susette Gontard. Homburg, im März oder April 1799.

Bruchstück 318

177. AndieMxitteT. Homburg,wohlumden2S.Märzundi8. Aprill799 318

178. An Neuffer. Homburg, 4. Juni 1799 323

179. An den Bruder. Homburg, 4. Juni 1799 326

180. An die Mutter. Homburg, 18. Juni 1799 332

Page 498: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Inhalt des sechsten Bandes

181. A n Friedrich Steinkopf . Homburg, 18. Juni 1799. Auszug und

Regest 355

182. A n Susette Gontard . Vermutlich Ende Juni 1799 556

183. A n Neuffer . Homburg, 3. Juli 1799 338

ISI'. A n Schiller. Homburg, S.Juli 1799 342

185. A n die Mutter . Homburg, 8. Juli 1799 344

186. A n Schel l ing. Hornburg, im Juli 1799 545

187. A n Goethe . Homburg, im Juli 1799. Bruchstück 549

188. A n die Schwester. Homburg, im Juli 1799 551

189. A n Neuffer . Homburg, in der zweiten Hälfte des Juli 1799 555

190. A n Friedrich Steinkopf. Homburg, 23. August 1799. Auszug . 356

191. An die Mutter. Homburg, 27. August 1799 558

192. A n die Mutter . Homburg, 5. September 1799 559

195. An die Mutter. Homburg, 4. September 1799 361

194. A n Schiller. Homburg, in der ersten Hälfte des September 1799.

Bruchstück 363

195. A n Susette Gontard . Homburg, in der zweiten Hälfte des Septem-

ber 1799. Bruchstück 366

196. A n Franz Wi lhebm Jung. Homburg, wohl Anfang Oktober 1799.

Bruchstück 367

197. An die Mutter. Homburg, 8. Oktober 1799 368

198. A n Susette Gontard . Homburg, Oktober oder Anfang November

1799. Bruchstück 370

199. An die Mutter . Homburg, 16. November 1799 371

200. A n die Schwester. Homburg, 16. November 1799 375

201. A n Johann Gott fr ied Ebel . Homburg, wohl im November 1799.

Bruchstück 376

202. A n Neuffer . Homburg, 4. Dezember 1799 578

203. A n Christian Gott fr ied Schütz. i/omiur^,u;oA/im Winter 1799!

1800. Bruchstück 581

204. An die Mutter. Homburg, 29. Januar 1800 382

205. A n die Schwester. Homburg, 19. März 1800 386

206. A n Friedrich Emer i ch . Homburg, im Frühjahr 1800. Bruchstück 588

207. A n die Mutter . Homburg, 25. Mai 1800 589

Page 499: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Inhalt des sechsten Bandes

S T U T T G A R T H A U P T W I L N Ü R T I N G E N B O R D E A U X

1800 -1804

208. A n die Mutter . Stuttgart, Ende Juni oder Anfang Juli ISOO 395

209. A n die Mutter . Stuttgart, wohl um den 20. Juli 1800 397

210. A n die Mutter . Stuttgart, im Juli 1800 398

211. A n den Herzog von W ü r t t e m b e r g . Stuttgart, September 1800.

Regest 599

212. A n e inen Unbekannten . Stuttgart, im Herbst 1800. Bruchstück . 399

213. An den Bruder. Stuttgart, im Herbst 1800. Bruchstück 399

214. A n die Schwester. Stuttgart,imSeptemberoderAnfangOktoberl800 400

215. A n die Schwester. Stuttgart, vermutlich in der ersten Hälfte des

Oktober 1800 401

216. A n die Schwester. Stuttgart, vermutlich Mitte Oktober 1800. . . . 402

217. A n die Schwester. Stuttgart, vermutlich Ende Oktober 1800 402

218. A n die Schwester. Stuttgart, kurz vor dem 6. Dezember 1800.

Regest 403

219. An die Schwester. Stuttgart, 11. Dezember 1800 403

220. A n die Schwester. Stuttgart, kurz vor Weihnachten 1800 405

221. A n die Mutter . Stuttgart, etwa 21. Dezember 1800. Regest 406

222. A n den Bruder. Nürtingen, wohl um Neujahr 1801 406

223. A n die Seinigen. Stuttgart, wahrscheinlich 6. Januar 1801 408

224. A n Anton von Gonzenbach . Stuttgart, zwischen 7. und 9. Januar

1801 409

225. A n die Schwester. Stuttgart, zwischen 8. und 10. Januar 1801 . . 410

226. An die Seinigen. Konstanz, 14. Januar 1801. Regest 411

227. A n die Mutter . Hauptwil, 24. Januar 1801 411

228. An die Schwester. Hauptwil, 23. Februar 1801 413

229. A n Christian Landauer . Hauptwil, Mitte bis Ende Februar 1801 415

230. A n Christiain Landauer . Hauptwil, wohl in der zweiten Hälfte

des März 1801 417

231. An den Bruder. Hauptwil, wohl in der zweiten Hälfte des März 1801 418

232. A n Schiller. Nürtingen, 2. Juni 1801 421

233. An Immanuel Niethammer. Nürtingen, im Juni 1801. Regest 423

234. An die Seinigen. Stuttgart, vermutlich Ende Oktober oder Anfang

November 1801 424

Page 500: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Inhalt des sechsten Bandes

235. An den Bruder. Nürtingen, 4. Dezember 1801 424

236. A n Casimir Ulrich Böhlendorf f . Nürtingen, 4. Dezember 1801 425

237. An die Mutter. Lyon, 9. Januar 1802 428

238. A n die Mutter . Bordeaux, 28. Januar 1802 429

239. A n die Mutter . Bordeaux, Karfreitag (16. April) 1802 430

240. An Casimir Ulrich Böhlendorff. Nürtingen, wahrscheinlich im

November 1802 432

241. An Friedrich Wilmans. Nürtingen, 28. September 1803 434

242. A n Friedrich W i l m a n s . Nürtingen, 8. Dezember 1803 435

243. A n Friedrich W i l m a n s . Nürtingen, Dezember furn Weihnachten)

1803 436

244. An Leo von Seckendorf. Nürtingen, 12. März 1804 437

245. A n Friedrich W i l m a n s . Nürtingen, 2. April 1804 438

246. A n Prinzessin Auguste von H e s s e n - H o m b u r g . Nürtingen,

im April oder Mail$04. Bruchstück und Regest 439

T Ü B I N G E N 1 8 0 6 - 1 8 4 3

247-307. A n die Mutter . 1806-1828 443

308-311. A n die Schwester 467

312. A n den Bruder. Vermutlich 1822 oder 182i 469

N A C H T R A G

54a. An die Mutter. Tübingen, in der zweiten Hälfte des August 1790 . 470

Die von Hölderlin selbst stammenden Ortsangaben und Daten sind — ohne Bindung

an seine Formulierung und Orthographie - in gerader, die vom Herausgeber hinzu-

gefügten in kursiver Schrift wiedergegeben.

Page 501: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

B E I L A G E N

Brief an die Mutter nach S. 4

Denkendorf, kun vor Weihnachten 1785 (Nr. 2).

Erste Seite (Z.1-12). Mit einem Vermerk Christoph Theodor Schwabs.

Stuttgart. Württemhergische Landesbibliothek.

Brief an Schiller nach S. 176

Nürtingen, 23. Juli 1795 (Nr. 102).

Erste Seite (Z. 1 -22) . Mit Empfangsvermerk Schillers.

Marbach. Schiller - Nationalmuseum.

Brief an Friedrich W i l m a n s nach S. 434

Nürtingen, 8. Dezember 1803 (Nr. 242).

Erste Seite (Z. 1-13).

Marbach. Schiller-Nationalmuseum.

Brief an die Mutter nach S. 464

Aus der Zeit der Krankheit (Nr. 303).

Stuttgart. Württembergische Landesbibliothek.

Page 502: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text
Page 503: HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 6.1 - Briefe Text

Satzgestaltung und Erstdruck dieses Bandes der Großen Stuttgarter Hölderlin-

Ausgabe lagen in den Händen der Buchdruckerei Chr. Scheufeie, Stuttgart. Das

Papier stammt aus der Papierfabrik Scheufeien, Oberlenningen; den Einband

hat die W. Kohlhammer Druckerei GmbH & Co. Stuttgart nach Entwurf der gra-

phischen Abteilung der Staatlichen Akademie der bildenden Künste in Stuttgart

gefertigt. Dieser Band der Großen Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe ist im Jahr

1954 in der Walbaum-Antiqua gedruckt.

Unveränderter reprographischer Nachdruck 1987 der I.Auflage 1954

Alle Rechte vorbehalten

© 1954 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köhl Mainz

Verlagsort: Stuttgart. Printed in Germany

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CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Hölderlin, Friedrich:

Sämtliche Werke / Hölderlin.

[Im Auftr. d. Ministeriums für Wiss. u. Kunst Baden-Württemberg

hrsg. von Friedrich Beissner; Adolf Beck.

Fortgef. vom Verwaltungsausschuss d. Stuttgarter Hölderlin-Ausg.]. -

Stuttgarter Hölderlin-Ausg. - Stuttgart: Kohlhammer

NE: Hölderlin, Friedrich [Sammlung]

Große Stuttgarter Ausgabe.

Bd. 6. Briefe / hrsg. von Adolf Beck.

Hälfte 1. Text. - Unveränd. reprograph. Nachdr. d. 1. Aufl.

Stuttgart, Kohlhammer, 1954. - 1987.

ISBN 3-17-077029-2