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ASTRON OMISCHE NACHRI CHTEN. Band 223. Nr. 5347. .) 19. Hugo von Seeliger. Die astronomische Wissenschaft hat einen uberaus schweren Verlust zu beklagen : Hugo Yon Seeliger ist am z. Dezember 1924 sanft entschlafenl Ein gottbegnadetes Geistesleben, der GroDten einer ist mit ihm dahin gegangen. Was er tins war und was er uns gab, als Mensch, als Gelehrter und als Lehrer, das verpflichtet uns ihm gegenuber zu unausliischlicher Dankbarkeit, - davon vermiigen die folgenden Zeilen nar einen kurzen AbriD zu geben. Geboren am 23. September 1849 in Biala (tisterr. Schlesien) verlebte Seligcr in seinem elterlichen Hanse eine iiberaus gluckliche Jugendzeit. Sein Vater, eine weit iiber das gewtkhnliche ‘MaO hinausragende, bedeutende Personlichkeit, so bezeichnet ihn sein S o h Hugu in dem Vorwort zu dessen Reisetagebuch, widmete seine ge- samte Zeit und Kraft seinen deutschen Stammesgenossen; als Biirgermeister von Biala hat er sich g r o k Verdienste erworben, dem Vorstande der Bialaer evangelischen Kirchengemeinde gehorte er volle 50 Jahre an. Die liebste Erholung fand er in dem Kreise der Seinen, sein ganzer Stolz waren seine 8 Kinder (5 Stihne und 3 Tkhter), denen er, im Besitze eines groneren VermCigens, die beste Erziehung zuteil werden lassen konnte. 3 Sohne nnd I Schwiegersohn waren Universitiitsprofessoren. Mit 18 Jahren bezieht unser Seeliger die Universitat Heidelberg. DaO er neben seinem Studium auch studentischem Frohsinn nicht abhold war, dafur zeugte eine krlftige Narbe auf der Stirn, die er sich als Mitglied der Burschenschaft geholt hat. Nach z Semestern wendet er sich nach Leipzig; hier ist es besonders CarlNPunrann, der ihn fesselt und von dern er stets mit groflter Verehrung erdhlt hat. Nach erfolgter Promotion im Mai 1872 verbleibt Seeliger in Leipzig, urn sich an den Arbeiten der Sternwarte und der europiiischen Gradmessung zu beteiligen. Im Winter 1873 erhiilt er die Observatorstelle in Bonn, die er bis Ostern 1878, unterbrochen durch seine Beteiligung an der Venusexpedition 1874, beibehglt. Nachdem er sich 1877 in Bonn habilitiert, kehrt er 1878 wieder nach Leipzig zuriick, um sich hier ganz der Lehrtltigkeit zu widmen. Im Oktober 1881 wird Sttiger die Leitung der herzogl. Sternwarte in Gotha iibertragen und ein Jahr spater folgt er dem Rufe nach Munchen als Direktor der Sternwarte und als ordentl. Professor. Munchen wurde seine zweite Heimat, der er treri blieb trotz ehrenvoller Berufungen nach Prag (1883), StraDburg (1886), Potsdam (1908) und Wien (1908). Im Friihjahr 1885 verehelichte sieh Seetiger mit der Tochter des Prof. an der Techn. Hochschule Karl Sfuelfzel. Der Ehe entstammen 2 Sohne, der Phpsiker Prof. Dr. R. Seeligcr in Greifswald und der Augenarzt Dr. W. Seeliger in Miinehen. Zahlreiche Ehrungen sind Seeligur zuteil geworden. Er war Mitglied der bayer. Akad. d. Wiss., aus- wartiges Mitglied der Akademien von Wien, Berlin, Washington, Kom, Stockholm, Gattingen, Budapest und Christi- ania, Mitglied der gelehrten Gesellschaften in Harlem und Lund, des Kuratoriums der Phys.-Techn. Reichsanstalt in Berlin und des Vorstandes des Deutschen Museums. Als die Munchener Akademie sich zum ersten Male ihren Prhidenten selbst erwlhlen dude (1918), fie1 diese Wahl auf Seeliger. Am I. Januar 1924 mufite er dieses Amt wegen vorgeriickten Ahers niederlegen. Von den zahlreichen Orden, die seine Brust schmiickten, seien nur erwiihnt das Komturkreuz des Ver- dienstordens der Bayr. Krone, rnit dem der persthliche Adel verbunden ist, der preuRische Orden Pour le merite und das Kommandeurkreuz I. Klasse des schwedischen Nordsternordens. Seeligers Verdienste urn die Astron. Gesellschaft hier eingehend zu wiirdigen, ertibrigt sich; sie sind hin- reichend bekannt. Es sei nur erwlhnt, daD, nachdem er im Jahr 1874 Mitglied geworden war, er das Amt des Schriftfiihrers von 1883-1896 und das des Vorsitzenden von 1896-1 92 I bekleidete. Mit welcher Gewissenhaftig- keit Sceligcr die Geschiifle der Gesellschaft leitete; davon werden die mk ihm gleichzeitigen Mitglieder des Vor- stanctes Zeugnis ablegen konnen ; ich weiD es aus perstinlicher Unterhaltung. Wenden wir uns nunmehr zu Seeligers wissenschaftlicher Tatigkeit I Als gjtihriger Knabe betrachtet er eines Abends den Mond. Was treibst du dart? fragt ihn seine Mutter. Was der Knabe gewollt, der Mannre hat es vollendet! Als Seeligcr seine wksenschafrliche Lauf bahn begann, war auf dem Gebiete der theoretischen Astronomie, soweit man damals hierunter die Auswerhlng des Gravitationsgesetzes bis in seine letzten Konsequenzen verstand, ein gewisser Stillstand eingetreten; uniibcrwindlide Schwierigkeiten stellten sich dem Theoretiker entgegen. Ein Ja Mutter, so antwortet er, ieh werde doch einmal Sternguckerl

Hugo von Seeliger

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ASTRON OMISCHE NACHRI CHTEN. Band 223. Nr. 5347. .) 19.

Hugo von Seeliger. Die astronomische Wissenschaft hat einen uberaus schweren Verlust zu beklagen :

Hugo Yon Seeliger ist am z. Dezember 1924 sanft entschlafenl Ein gottbegnadetes Geistesleben, der GroDten einer ist mit ihm dahin gegangen. Was er tins war und

was er uns gab, als Mensch, als Gelehrter und als Lehrer, das verpflichtet uns ihm gegenuber zu unausliischlicher Dankbarkeit, - davon vermiigen die folgenden Zeilen nar einen kurzen AbriD zu geben.

Geboren am 23. September 1849 in Biala (tisterr. Schlesien) verlebte Seligcr in seinem elterlichen Hanse eine iiberaus gluckliche Jugendzeit. Sein Vater, eine weit iiber das gewtkhnliche ‘MaO hinausragende, bedeutende Personlichkeit, so bezeichnet ihn sein S o h Hugu in dem Vorwort zu dessen Reisetagebuch, widmete seine ge- samte Zeit und Kraft seinen deutschen Stammesgenossen; als Biirgermeister von Biala hat er sich g r o k Verdienste erworben, dem Vorstande der Bialaer evangelischen Kirchengemeinde gehorte er volle 50 Jahre an. Die liebste Erholung fand er in dem Kreise der Seinen, sein ganzer Stolz waren seine 8 Kinder ( 5 Stihne und 3 Tkhter), denen er, im Besitze eines groneren VermCigens, die beste Erziehung zuteil werden lassen konnte. 3 Sohne nnd I Schwiegersohn waren Universitiitsprofessoren.

Mit 18 Jahren bezieht unser Seeliger die Universitat Heidelberg. DaO er neben seinem Studium auch studentischem Frohsinn nicht abhold war, dafur zeugte eine krlftige Narbe auf der Stirn, die er sich als Mitglied der Burschenschaft geholt hat. Nach z Semestern wendet er sich nach Leipzig; hier ist es besonders CarlNPunrann, der ihn fesselt und von dern er stets mit groflter Verehrung erdhlt hat. Nach erfolgter Promotion im Mai 1872 verbleibt Seeliger in Leipzig, urn sich an den Arbeiten der Sternwarte und der europiiischen Gradmessung zu beteiligen. Im Winter 1873 erhiilt er die Observatorstelle in Bonn, die er bis Ostern 1878, unterbrochen durch seine Beteiligung an der Venusexpedition 1874, beibehglt. Nachdem er sich 1877 in Bonn habilitiert, kehrt er 1878 wieder nach Leipzig zuriick, um sich hier ganz der Lehrtltigkeit zu widmen.

Im Oktober 1881 wird Sttiger die Leitung der herzogl. Sternwarte in Gotha iibertragen und ein Jahr spater folgt er dem Rufe nach Munchen als Direktor der Sternwarte und als ordentl. Professor. Munchen wurde seine zweite Heimat, der er treri blieb trotz ehrenvoller Berufungen nach Prag (1883), StraDburg (1886), Potsdam (1908) und Wien (1908).

Im Friihjahr 1885 verehelichte sieh Seetiger mit der Tochter des Prof. an der Techn. Hochschule Karl Sfuelfzel. Der Ehe entstammen 2 Sohne, der Phpsiker Prof. Dr. R. Seeligcr in Greifswald und der Augenarzt Dr. W. Seeliger in Miinehen.

Zahlreiche Ehrungen sind Seeligur zuteil geworden. Er war Mitglied der bayer. Akad. d. Wiss., aus- wartiges Mitglied der Akademien von Wien, Berlin, Washington, Kom, Stockholm, Gattingen, Budapest und Christi- ania, Mitglied der gelehrten Gesellschaften in Harlem und Lund, des Kuratoriums der Phys.-Techn. Reichsanstalt in Berlin und des Vorstandes des Deutschen Museums. Als die Munchener Akademie sich zum ersten Male ihren Prhidenten selbst erwlhlen d u d e (1918), fie1 diese Wahl auf Seeliger. Am I. Januar 1924 mufite er dieses Amt wegen vorgeriickten Ahers niederlegen.

Von den zahlreichen Orden, die seine Brust schmiickten, seien nur erwiihnt das Komturkreuz des Ver- dienstordens der Bayr. Krone, rnit dem der persthliche Adel verbunden ist, der preuRische Orden Pour le merite und das Kommandeurkreuz I. Klasse des schwedischen Nordsternordens.

Seeligers Verdienste urn die Astron. Gesellschaft hier eingehend zu wiirdigen, ertibrigt sich; sie sind hin- reichend bekannt. Es sei nur erwlhnt, daD, nachdem er im Jahr 1874 Mitglied geworden war, er das Amt des Schriftfiihrers von 1883-1896 und das des Vorsitzenden von 1896-1 92 I bekleidete. Mit welcher Gewissenhaftig- keit Sceligcr die Geschiifle der Gesellschaft leitete; davon werden die mk ihm gleichzeitigen Mitglieder des Vor- stanctes Zeugnis ablegen konnen ; ich weiD es aus perstinlicher Unterhaltung.

Wenden wir uns nunmehr zu Seeligers wissenschaftlicher Tatigkeit I Als gjtihriger Knabe betrachtet er eines Abends den Mond. Was treibst du dart? fragt ihn seine Mutter.

Was der Knabe gewollt, der Mannre hat es vollendet! Als Seeligcr seine wksenschafrliche Lauf bahn begann, war auf dem Gebiete der theoretischen Astronomie,

soweit man damals hierunter die Auswerhlng des Gravitationsgesetzes bis in seine letzten Konsequenzen verstand, ein gewisser Stillstand eingetreten; uniibcrwindlide Schwierigkeiten stellten sich dem Theoretiker entgegen. Ein

Ja Mutter, so antwortet er, ieh werde doch einmal Sternguckerl

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guter Freund Seeligm, H. Brrms, lul3erte einmal in miindlicher Unterhaltung, daO die Theoretische Astronomie dem Forscher keine befriedigende Tatigkeit mehr bieten konne ; man niiisse sich nach verwandten Problemen umsehen. Die Astrophysik befand sich in dem Anfangsstadium ihrer Entwicklung. Die Haupttatigkeit der deutschen Sternwarten erstreckte sich auf die Herstellung der Zonenkataloge; dazu kam ihre Inanspruchnahme durch die Venusexpeditionen. Diese Sachlage war naturlich von Einflufl auf die Entwicklung der jungen Astronomen ; diejenige Secligers spiegelt uns ihn wieder,

Seine Dissertation behandelt verschiedene Methoden der Bahnbestimmung der Doppelsterne, denen er eine neue elegante rnit Anwendung auf einen speziellen Fall hinzufiigt. Aus seiner ersten Leipziger Zeit stammen dann noch 3 Arbeiten, namlich: die Bahn des Tempelschen Kometen 1867 11, mit allen sehr muhevollen Storungsrechnungen bis 1873, auf Grund deren der Komet I 87 3 wieder aufgefunden wird; die Untersuchung der Fehlerquellen bei der telegraphischen Langen- bestimmung und eine Diskussion der rukobischen Auf losung eines Systems von Normalgleichungen mit 3 Unbekannten.

- ' Diese Arbeiten haben bereits die allgemeine Aufmerksamkeit auf den jungen Forscher soweit gelenkt, daR er, obzwar nicht Altester der Teilnehmer, so doch zum Leiter der Venusexpedition nach den Aucklandsinseln ernannt wird ( I 874). Er entledigt sich dieses Auftrages mit anerkennenswertem Geschick, denn trotz der groflen Schwierigkeiten und des andauernd ungunstigen Wetters (man lese sein Tagebuch, Auwers Werk I ,p. I 7 I ) konnen die Resultate dieser Expedition denen der anderen mindestens ebenburtig zur Seite gestellt werden.

Nach Bonn zuruckgekehrt, wird Seeliger offenbar durch die Beteiligung an den Zonenbeobachtungen vollauf in h n - spruch genommen; wissenschaftliche Arbeiten sind aus seiner Bonner Zeit nur die uber das Heliometer zu nennen. Es ist wohl ein Gliick fur die Wissenschaft, dafl ein so eminenter Kopf finanziell unabhangig gestellt war, soda& er seine Stellung an der Bonner Sternwarte aufgeben upd, nach Leipzig zuruckgekehrt, sich nunmehr ganz der wissenschaftlichen, an Erfolgen so reichen Tatigkeit widmen konnte. Es ist unmoglich, seine samtlichen Arbeiten hier zu besprechen, das mu& einer anderen Stelle vorbehalten bleiben; ich muO mich damit begnugen, in ganz aphoristischer Weise die wichtigsten herauszugreifen.

Es ist nach dem Obigen naturgemafl, daR sich Seeligers Aufmerksamkeit zunachst dem Drei-Korperproblem zu- wendet. Er untersucht die Bewegung eines Punktes, der von einem abgeplatteten Rotationsellipsoid angezogen wird, ferner die Gleichung, von deren Wurzeln die sakularen Veranderungen der Planetenbahnen abhangen, und er gibt eine Erweiterung der GaaJschen Methode, die Sakularstorungen ZLI berechnen. Bezeugen diese Arbeiten und noch manche andere bereits, daR er dieses schwierige Gebiet vollstandig beherrscht, so geht er in seiner ersten groReren Arbeit noch weiter und be- handelt das Problem in seiner grohten Allgemeinheit, namlich das g-fache Sternsystem, in dem die wegen der kleinen Massen der Planeten, ihrer grot3en Entfernungen und der geringen Bahnneigungen im Planetensystem zulassigen Annaherungen ausscheiden. Er zeigt, dalS bei Anwendung mechanischer Quadratur die Schwierigkeiten keineswegs unuberwindlich sind. Als Gegenstand seiner Untersuchung wahlt er das System 5 Cancri, uber das von ihm selbst 5 Arbeiten vorliegen, deren Ergebnisse er nicht als definitiv ansieht; auf seine Veranlassung haben sich noch zwei seiner besten, leider vor ihm ver- storbenen Schuler damit beschaftigt.

Ein Lieblingsthema von Seeliger war die Wahrscheinlichkeitsrechnung, insbesondere rnit Anwendung auf Statistik und Fehlertheorie; sie war auch seine Lieblingsvorlesung. In seinen Arbeiten uber Vorzeichenverteilung stellt er in streng kritischer Weise die Forderungen auf, denen eine gute Ausgleichung geniigen mu& Wir erfahren weiter durch ihn, dal3 nicht imnier das arithmetische Mittel gleich dem wahrscheinlichsten Wert der Unbekannten ist, sondern dafl unter Umstanden an Stelle der Beobachtungen deren Logarithmen zu setzen sind. Die groOte Arbeit auf diesem Gebiete wird uns spaterhin beschaftigen.

DaO aktuelle Tagesfragen Seeligers Interesse erregen, ist selbstverstandlich; mit gliicklicher Hand fiihrt er mehrere derselben einer Losung entgegen, so insbesondere das Problem des Saturnrings, das des Merkurperihels und das der neuen Sterne. Das Riitsel des ersteren ist durch ihn restlos gelost; er besteht aus einem Konglomerat von kosmischem Staub. Von gleicher Konstitution ist die Zodiakalwolke, die das Zodiakallicht hervorruft und die deshalb zufolge des Gravitations- gesetzes eine Storungswirkung auf die ihr nachsten Planeten ausiiben muO. Dan Seeizgers Erklarung der Perihelbewegung des Merkur qualitativ richtig ist, unterliegt keinem Zweifel; nur weil wir iiber die Masse der Zodiakalwolke nichts aus- zusagen vermogen, sind wir fur die Berechnung der GroDe der Storungen auf Hypothesen angewiesen. Noch am Tage vor seinem Tode beschaftigte er sich init diesem Problem. Seine Theorie und die Relativitatstheorie schalten sich gegenseitig keineswegs aus.

Gleichfalls auf kosmische Staub- oder Nebelwolken fiihrt- Sechgcrs Theorie der Neuen Sterne; sie erklart alle friiheren Feststellungen an diesen merkwurdigen Objekten in befriedigender Weise, gewisse neuere Beobachtungen finden allerdings in ihr noch keinen Platz.

Greifen diese Arbeiten zum Teil schon in das Gebiet der Photometrie hinuber, so finden wir in ihm noch zahl- reiche weitere Untersuchungen Seeligcrs, einige davon fon grundlegender Bedeutung. So setzt er an die Stelle des un- zureichenden Lanrbertschen Beleuchtungsgesetzes ein neues, bei welchem das austretende Licht eine Funktion von Inzidenz- und Emanationswinkel zugleich ist und das damit den tatsachlichen Verhaltnissen, wenn auch nicht vollstandig, so aber doch sehr vie1 besser genugt. Damit m u 5 er auch der Albedo eine neue Definition geben. In den Beleuchtungsverhalt- nissen im Planetensystem gab es eine Reihe von Anomalien, die der Aufkliirung bedurften; Scehgcr gibt sie uns. So stellt er eine neue Beleuchtungsforrnel fur das Rotationsellipsoid und damit fur die Planetenscheiben als Ganzes auf und er untersucht die Lichtverteilung fur die einzelnen Punkte der Scheibe. Aufgekltlrt werden von ihrn die komplizierten Er-

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scheinungen bei den Verfinsterungen der Trabanten, so insbesondere * die VergroDerung des Erdschattens bei den Mond- finsternissen; er behandelt die hbsorption in der Sonnenatmosphare und den Einflufi der Abplattung auf die Helligkeit des Planeten Uranus.

Auf Seeligrrs Arbeiten uber Interpolation und Determinanten, uber Strahlenbrechung und Aberration, uber ver- anderliche Eigenbewegung der Nebelflecke, uber die Abhangigkeit der tieschwindigkeit der Sterne von ihrer Masse und uber den Einflufi des Lichtdrucks auf die Bewegung planetarischer Kbrper und auf gar manche andere, die noch zu nennen waren, sei hier nur kurz hingewiesen, urn darzutun, wie Scchgrr sich auf den verschiedensten Gebieten betatigt hat. Be- merkenswert sind auch seine Referate in der VJS. d. A. G., die stets den sachkundigen und strengen Kritiker erkennen lassen.

Seeligcys bedeutendstes Werk bilden seine Untersuchungen uber die raumliche Verteilung der Fixsterne. Damit begrundet er ein neues Arbeitsgebiet der Astronomie, die Stellarstatistik, und rnit ihr schafft er die Bgrofie Aufgabea, die bei Beginn seiner Tatigkeit fehlte. ZielbewuOt hat er sie in einer Reihe von Arbeiten verfolgt, ungeachtet der Schwierig- keiten, die sich ihm - dessen war er sich wohl bewuDt - entgegenstellen mu0ten. Die Sternanzahlen, deren er zur Dar- stellung der scheinbaren Verteilung der Sterne benotigt, liefern ihm die grofien, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts hergestellten Drrchmusterungen, die er jedoch vorher in sorgfaltigster Weise von allen systematischen Fehlern saubern muO. Mittlere Parallaxen lassen sich nur indirekt, rnit Hilfe der Eigenbewegungen, erlangen. Zwischen diesen beiden Funktionen und den unbekannten Funktionen der radmlichen Dichte, der Verteilungsfunktion der absoluten Leuchtkrafte und der Absorption des Lichtes gelingt es Sreligrr mit Hilfe des reichen mathematischen Rustzeuges, uber das er verfugt, Beziehungen durch zwei Integralgleichungen herzustellen und deren Losung auszufuhren, wobei er stets streng zwischen Tatsache und Hypothese die Grenze zieht, ein Vorzug aller seiner Arbeiten. In erster Annilherung stellt er das schematische Sternsystem auf, in zweiter das durch die Trennung nach galaktischer Breite bedingte typische System; weiter zu gehen verhindert ihn vor der Hand das durftige Beobachtungsmaterial. Es steht zu erwarten, so sagt er. daD eine weitere Ver- vollkonirnnung des letzteren nicht unbedeutende Anderungen des Resultates ergeben kann; aber der Weg, der zu so wichtigen Ergebnissen rnit wachsender Zuverlassigkeit fuhren muO, ist vorgezeichnet. Das ist das groOe Verdienst Srtligcrs. Wir wissen, auf welch fruchtbaren Boden seine Aussaat gefallen ist.

Es ist wohl selbstverstandlich, daO Seeliger sich mit dieser Umgrenzung des Stellarsystems nicht bescheidet, sein Rlick geht weiter. Erstreckt sich der 'Raum ins Unendliche, ist er rnit Materie angefullt? so fragt er. Dann stoDen wir, so lautet seine Antwort, auf gro0e Schwierigkeiten, a u f Erschutterung unserer Grundformeln. Das Nrwfonsche Gravitations- gesetz kann dann nicht als mathematisch genauer Ausdruck fur die herrschenden Anziehungskrafte gelten. Nicht anders verhalt es sich mit dem Energie- und Entropiesatz, deren Ausdehnung auf beliebig groOe Raume eine unerlaubte Ver- allgemeinerung darstellt. In tiefgrundiger Weise behandelt er das Problem der sogenannten absoluten Bewegung und der Inertialbewegung, das er dem Verstandnis wesentlich naher ruckt.

Mit der Relativitatstheorie hat Seeliger sich stets sehr eingehend beschaftigt und sich auf dem Laufenden zu er- halten gesucht; aber er konnte sich nicht rnit ihr befreunden, aus begreiflichen Grunden, denn es kann wohl kaum uber- raschen, wenn ein Mann, der sein langes arbeitsreiches Leben der Erforschung dessen gewidmet hat, was die Anschauung iins darbietet, auf dem Standpunkt verharrt, daO eine anschauungslose Welt fur den Astronomen ein Unding ist. Offentlich ist er jedoch nicht in den Kampf eingetreten.

Neben seiner astronomischen Tatigkeit fand Sreliger immer noch Zeit fur ausgedehnte Studien anderer Wissen- schaften, so besonders der Philosophie und der Geschichte; erstaunlich waren auch seine Kenntnisse in der Medizin. Musikalisch sehr begabt, fand er jedoch die schonste Erholung, wenn er in seinen Mufiestunden zur geliebten Geige greifen konnte, auf der er Meister war und bei deren Spiel er von seiner Gattin auf dem Fliigel begleitet wurde. Seine Lieblingskomponisten waren Schubert und Mozart.

Was dem Gelehrten erst die wahre Grone verleiht, das ist, daO er nicht allein auf seinem Gebiete schopferisch tlrtig ist, sondern daO er auch Geist von seinem Geiste auf andere ubertragt, auf dafl sie in seinem Sinne weiter arbeiten und schaffen. Zum Gelehrten und Lehrer gehoren zwei verschiedene Begabungen ; sie beide vereinigten sich in Seelzger. Klarheit, Grundlichkeit und Vielseitigkeit zeichneten seine Vorlesungen aus. Seine Schule erfreute sich Weltrufs. Einer gleich groOen Anzahl von Schulern durfte sich kein anderer Fachgenosse ruhmen; 36 haben sich die Doktorwurde bei ihm geholt.

Mit inniger Verehrung hingen die Schuler an ihrem Lehrer; sie alle wuOten, daO er ihr Bestes wollte. Und wie freute er sich, wenn alte Schiiler ihn besuchten; fur sie fand er immer Zeit, rnit ihnen zu plaudern und sich von ihrem Lebensschicksal erzlhlen zu lassen. Was Lehrer und Schuler so besonders zusammenfuhrte, das war weniger die Vorlesung, als vielmehr das Kolloquium und noch mehr das Plauderstundchen, das vor Ausbruch des Krieges fast regelmaflig Nach- mittags in dem groOen Arbeitszimmer der Sternwarte stattfand. Hier wurde nicht allein Wissenschaft getrieben, mehr noch wurde geplaudert und gescherzt, ja auch politisiert; jedes offene Wort war gestattet. Mit welcher Freude lauschten wir den auf langjahrige Erfahrungen und reiches Wissen gestutzten Erzahlungen unseres Meisters, und wie mannigfache An- regungen haben wir von hier rnit nach Hause genommen. Hier besonders lernten wir Seeligcr als Menschen kennen und schaitzen. Voll Herzensgiite und Milde, aufrichtig und von unerschutterlicher Gerechtigkeit ! Innerlich zuruckhaltend, hat er es nie geliebt, hervorzutreten und im AuOerlichen zu gllnzen. Ich entsinne mich nicht, ihn jemals im Schmucke seiner Orden gesehen zu haben. Aber wie leuchteten seine Augen, welch wahrhaft innerliche Freude verrieten sie, als er am 28. Mai 1922 seinen festlich geschmuckten Horsaal betrat und hier zu seiner groDen Uberraschung neben seinen jungen

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Unter den tuchtigsten hat leider der Tod bereits eine reiche grausame Ernte gehalten.

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Schiilern alte Schiiler, Freunde und Verehrer vorfand, die sich eingefimden hatten, urn ihm ihre Gliickwunsche zum so-jahrigen Doktor- Jubilaum darzubringen. Und grofier noch war seine Freude bei der Entgegennahme der Festschrift an seinem 7 5 . Geburtstage! Es war eine gliickliche Fiigung des Schicksals, dafi er diesen Tag noch erleben durfte, freilich korperlich leider bereits schwer leidend, aber jugendfrisch rn Geist.

Seeligers ganzes Leben galt seinem Hause, in dern ein inniges, IiebeerfUlltes Familienleben herrscbte. Er ging ungern aus, um so lieber aber empfing er Gaste; ungezahlten ist hier ein herztiches Willkommen geboten worden.

Wenn es wahr ist, dafi die Grofle der Wissenschaft sich iibertragt auf den Charakter ihrer Vertreter, so gilt dieses gewifi fur SeeZz&r. Ein selten harmonischer Lebensgang liegt hinter uns, durch keine merkliche Storung unterbrochen; treu und zuverllssig ist Hugo von SceZiger den Weg seiner Pflichten gegangen. Sein Name wird fiir alle Zeiten fortleben !

E. Grossniann. -~ ~ -~ ~ . Munchen, I 9 2 5 Januar.

Das Problem der dunklen kosmischen Walken. Von Fr. Becker. I . In den letzten Jahren sind von Hagen an verschie-

denen Stellen ') Berichte und theoretische Erwagungen ver- offentlicht worden, die sich auf das von ihm erforschte Pha- nomen der dunklen kosmischen Wolken beziehen. Ferner ist als Publikation X (I 9 2 2) der Vatikanischen Sternwarte die erste Lieferung eines vorberFitenden Kataloges dieser Objekte er- schienen, soweit sie im Anschlufi an die im Gang befindliche Revisionder NGC-Nebel beobachtetwurden. Obwohl durchdiese Veroffentlichungen anderen Sternwarten die notwendigen Unter- lagen gegeben waren, die in Rom erhaltenen Resultate zu prufen und gegebenenfalls sich dariiber zu a d e r n , ist dies bisher nicht in dem Mane geschehen, wie man es angesichts der weitreichenden Bedeutung dieser Ergebnisse erwarten sollte '). Die Zuriickhaltung, die sich darin auszusprechen scheint, mag teils auf eine gewisse Unsicherheit iiber das, um was es sich handelt, teils auf mifigliickte Versuche, die romischen Beobachtungen zu wiederholen, zuriickzufiihren sein, teils mag aber auch die Vermutung mitsprechen, dan irgendwelche Fehlerquellen im Spiele sind, weil die neuen Vorstellungen mit gewissen anderen, anscheinend wohlbe- griindeten Anschauungen zunachst nicht im Einklang stehen. Es bietet sich hier Stoff fur mannigfache Diskussionen, und uin von neuem zur Nachpriifung der hiesigen Beobachtungen und der auf sie gestiitzten Vermutungen anzuregen, mag zu- nachst einmal die ganze Frage im Zusainmenhang mit dem Nebelproblem iiberhaupt besprochen werden.

2 . In Mt. Wilson Contrib. Nr. 241 (1922) gibt Hubblc als Niederschlag der bisherigen Forschungen nachstehende Klassifikation der Nebel:

I. Galaktische Nebel 11. Nichtgalaktische Nebel I . Planetarische I . Spiralnebel 2. Diffuse 2. Langliche

a) Leuchtende a ) Spindelformige b) Dunkle b) Ovale

3 . Kugelformige 4. Unregelmanige.

Was zunachst die planetarischen Nebel angeht, so be sitzen wir trotz der ergebnisreichen Atbeiten der Lick-Stern warte noch keine volle Klarheit iiber ihre kosmische Stellung

- -~ .. .

!war scheint die Auffassung, dafi sie einem Instabilwerden jesonders massenreicher Sterne ihr Dasein verdanken, in letzter !eit an Boden zu gewinnen; sie ist aber im einzeliien noch :u wenig durchgepriift und scheint auch von Schwierigkeiten iicht frei zu sein.

Die hellen diffusen MilchstraDennebel zerfallen physi- :alisch in zwei Gruppen, von denen die eine die Objekte nit Absorptions-, die andere die mit Emissionsspektren um- gatY). Es ist sehr wahrscheinlich, daB alle diese Nebel in sich dunkel sind und daO die Quelle ihres Leuchtens in len benachbarten hellen Sternen zu suchen ist. Fur die Ab- ;orptionsnebel, deren Spektra durchweg mit denen der be- iachbarten oder eingebetteten Sterne iibereinstimmen, geniigt lie Annahme einer einfachen Reflexion des Sternlichtes; bei 3en Nebeln der Emissionsklasse dagegen, die spektralana- ytisch stark von den eingebetteten Fixsternen abweichen, nufi schon an eine Art Fluoreszenzstrahlung gedacht werden. Die Sterne in den Emissionsnebeln gehoren fast ausnabms- 10s der Klasse Bo und noch friiheren Typen an, wahrend in den Absorptionsnebeln BI und spatere Typen auftreten. Ob irgendwelche genetischen Zusammenhange zwischen dern Nebel und den umliegenden oder eingeschlossenen Sternen bestehen, ist eine offene Frage. Es liegt die Vermutung nahe, dafi die dunklen Milchstrafiennebel oder ,dark mar- kings<, soweit es sich hier nicht urn wirkliche Sternleeren handelt, von derselben Konstitution sind wie die hellen, und dafi eben nur das Sternenlicht fehlt, dessen Reflexion oder Reemission sie sichtbar machen konnte. Doch miifite dies noch im einzelnen an den Photogrammen studiert werden.

Die nicht-galaktischen hellen Nebel bilden den Haupt- bestandteil aller grofieren Nebelkataloge. Die Zahl der photographisch zugiinglichen Objekte dieser Art wird auf rund I Million geschatzt. Curtis4) betrachtet sie samtlich als Spiralnebel, aber dies isk eine jedenfalls zu weit gehende Verallgemeinerung. Als sicher spiralformig sind nur etwa 5 0 0 Objekte bekannt5).

Die Stellung der Spiralnebel ist noch durchaus zweifel- haft. Was wir uber ihre Entfernungen, iiber ihre Verteilung und ihre Konstitution wissen, reicht nicht einmal hin, urn

') Die betreffenden Aufsatze sind nach einer Neuredaktion wieder abgedruckt im 3. Heft der .lZisctZZunen der Vatikanischen Sternwarte, das anfangs 1925 versandt werden wird.

') Die bisher bekannt gewordenen, teils kritischen, teils referierenden GegenauDerungen findet man zusammengestellt in der Schrift: 7. ~ Y u s s ~ / i n n n , die MilchstraOe, rnit einem Anhang tiber die NebelstraOe von 7. G. ZZugcn. [Probleme der kosmischen Physik IV , Harnhurg 19241. Als vorliegender Aufsatz nahezu fertiggestellt war, erschien noch die statistisch-rechnerische Vntersuchung von l V z ~ t z , NebelstraOe, Spiralnebel und Sterne (AN 5336).

6) Cwi i , 1. c. s. 12. 'I) Hzdb/e in Mt. W'ilson Contrib. I I, 21 7 ; 397. ') Publ. of the Lick Obs. XI11 (rgr8) part I .