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Der Vortänzer bei Hofe. Roman von Freiherr von Schlicht 8. Tausend ===== Leipzig ===== Verlag von B. Elischer Nachfolger. ~ 1 ~

Karlheinz.Everts · I. Die ganzen Leutnants befanden sich in der größten Aufregung, als sie im Kasino zusammensaßen, und die Stimmen schwirrten so laut durcheinander, die Mienen

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Der Vortänzer bei Hofe.

Roman

von

Freiherr von Schlicht

8. Tausend

===== Leipzig =====Verlag von B. Elischer Nachfolger.

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Alle Rechte vorbehalten.

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Frau Käthe Sliwinski

in aufrichtigster Verehrung

zugeeignet.

Der Verfasser.

Weimar, Frühjahr 1913.

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I.

Die ganzen Leutnants befanden sich in der größtenAufregung, als sie im Kasino zusammensaßen, unddie Stimmen schwirrten so laut durcheinander, dieMienen aller waren so erregt, ja, die meisten gestiku-lierten bei dem Sprechen sogar lebhaft mit den Armenin der Luft herum, kurz, man merkte es auf den erstenBlick, daß etwas ganz außerordentliches passiert seinmußte. Und das war denn auch wirklich der Fall.Am Vormittag war ganz plötzlich an die sämtlichenLeutnants des Infanterieregimentes die Einladungerfolgt, bei Seiner Hoheit, dem regierenden Herzog, in dem Residenzschloß, das er in der kleinen, kaumzwanzigtausend Einwohner zählenden Hauptstadt seinesLandes alljährlich mit Beginn des Winters bezog,zum Ball zu erscheinen, und der persönliche AdjutantSeiner Hoheit, der Major von Rechow, hatte einemKameraden des Regiments, als er diesen auf derStraße traf, privatim mitgeteilt, dieses Tanzvergnügensei auf den persönlichen Wunsch der Prinzessin Renaso plötzlich arrangiert worden und die Prinzessin habe

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sich von ihrem Vater die Erlaubnis ausbedungen,heute Abend unter den Offizieren des Regimentesselbst den bestimmen zu dürfen, der während der be-vorstehenden Wintersaison bei Hofe als Vortänzerfungieren solle.

Der Vortänzer bei Hofe ! Wer hätte das nichtwerden wollen ! Man dachte dabei nicht an den Haus-orden IV. Klasse, den Seine Hoheit dem Vortänzer,wenn dieser nach Ablauf seines Jahres sein Amtniederlegte, Höchsteigenhändig zu überreichen pflegte.Man dachte nur an die bevorzugte Stellung, die manbei Hofe und in der Gesellschaft einnahm und dieauch schon anch außen hin dadurch gekennzeichnetwurde, daß man das Recht hatte, die Fangschnüreeines Adjutanten zu tragen, um jederzeit als Vor-tänzer kenntlich zu sein. Und ein ganz klein wenigdachte man dabei wohl auch an die Prinzessin Rena.Gewiß, es war ja ganz zwecklos, sich in die bildhübschePrinzessin zu verlieben und sie anzuschwärmen, denndaß die jemals einen gewöhnlichen preußischen In-fanterieleutnant heiraten würde, war natürlich ganzausgeschlossen. Da hätte man schon zum mindestenals Fürst auf die Welt kommen müssen. Aber trotz-dem oder vielleicht gerade, weil die Prinzessin für dasHeiraten überhaupt nicht in Frage kam, waren allemehr oder weniger in sie verliebt. Und wenn esgegangen wäre und wenn die Etikette, der Rang-und der Standesunterschied es erlaubt haben würden,hätte ihr jeder gern nach Maßgabe seiner geistigen

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und persönlichen Fähigkeiten auf Teufel komm herausden Hof gemacht.

Heute Abend sollte der Vortänzer bestimmt werdenund die Prinzessin selbst wollte ihn ernennen. Daswar noch nie der Fall gewesen. Ob bestimmte Gründedafür vorlagen, diesesmal eine Ausnahme zu machen,oder ob das lediglich eine neue lustige und übermütigeIdee der Prinzessin war, wußte natürlich niemand,aber das glaubten alle zu wissen, die Prinzessin würdeheute mit jedem der Offiziere tanzen und ihre Wahlwürde auf den fallen, der sich als der beste Tänzererwies.

Es galt heut zu zeigen, was man konnte. Ihnenallen war zumute, als sollten sie ein Examen bestehenund während man sich auf der Kriegsschule, lediglich,um ein Gefühl der Beunruhigung los zu werden,gegenseitig gefragt hatte: „Glaubst du, daß ich durch-kommen werde?”, so fragten sich jetzt alle gegenseitig:„Glaubst du, daß ich mich heute Abend nicht blamiereund daß die Prinzessin sich für mich entscheidet?”Man fragte, obgleich man ganz genau wußte, daßman keine Antwort erhalten würde, denn das brachtekeiner über das Herz, zu sagen: „Ja, die Prinzessinwird dich wählen.” Dazu hegte man doch für sichselbst viel zu große Hoffnungen, dafür war man denndoch ein zu großer Egoist.

Vom ältesten Oberleutnant herunter bis zumjüngsten Leutnant waren alle nervös und aufgeregt,bis dann plötzlich in die lebhafte Debatte hinein der

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Ruf erklang: „Kinder, nun hört schon damit auf,immer dasselbe zu erörtern, dabei muß man ja see-krank werden und einen Zweck hat dieses Hin- undHergerede ja doch nicht. Wer der Vortänzer wird,erfährt es noch früh genug und wer es nicht wird,erfährt es erst recht noch beizeiten.”

Unwillkürlich wandten sich die Blicke Aller demSprecher zu, einem etwas mehr als mittelgroßen,schlanken, geschmeidigen Offizier, mit einem zwarkeinesfalls auffallend hübschen, aber einem klugen,intelligenten Gesicht, mit großen, schwarzen Augenund einem hübschen, dichten, schwarzen Schnurrbart,der noch nicht nach der neuesten englischen Mode ver-unziert war. Er war durchaus keine Schönheit, abersein Gesicht hatte etwas sehr Sympathisches und An-ziehendes, vielleicht durch den heiteren Blick der Augenund durch das leise Lächeln, das den hübschen Mundmit den weißen Zähnen umspielte, gleichsam, alsamüsiere er sich im stillen darüber, wie die anderensich den Kopf über eine Sache zerbrachen, die nachseiner Überzeugung, auch wenn er die absichtlich nichtäußerte, bei der Prinzessin schon längst entschiedenwar. Die wußte sicher schon seit geraumer Zeit, aufwen ihre Wahl fallen würde und hatte es sich nurdeshalb ausbedungen, die Entscheidung treffen zudürfen.

Einen Augenblick herrschte Stille, bis dann mehrereKameraden gleichzeitig dem Sprecher zuriefen: „Duhast gut reden, Hans Joachim.”

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Leutnant von Köttendorf, von seinen Freundennie anders als Hans Joachim genannt, lachte fröh-lich, wenn auch ein klein wenig gezwungen auf: „Ihrmeint, weil meine Tanzkünste nicht allerersten Rangessind und weil ich deshalb als Vortänzer gar nicht inFrage komme? Denn so taktlos werdet Ihr wohldoch nicht sein, mir mit Euren Zurufen andeuten zuwollen, daß Ihr mich schon heute nicht mehr als zuEuch gehörig betrachtet? Drei Tage sind eine langeZeit. Ich habe heute abermals an die ganze Ver-wandtschaft telegraphiert und da die nun wissen, wasfür mich auf dem Spiele steht, wird einer von ihnenschon noch menschliches Mitleid spüren. Noch gehöreich zu Euch und ob es wirklich dazu kommt, daß derOberst seine Drohung wahr macht und mich wegendieser lumpigen zehntausend Mark Schulden nachGott weiß welcher elenden Strafgarnison versetzt,bleibt doch immerhin noch abzuwarten. Viel Zweckhätte diese Versetzung nach meiner Ansicht nicht,denn wenn der Oberst glaubt, daß ich in der neuenGarnison ein Tugendengel werde und dort, wennauch nur aus Langeweile, anfange, mir eine Samm-lung bezahlter, statt unbezahlter Rechnungen anzu-legen, so irrt er sich sehr. Und deshalb sage ichnoch einmal, noch gehöre ich zum Regiment und ichdenke, ich werde auch hier bleiben.”

Vielleicht, daß vorhin, als man Hans Joachim zu-rief, er habe gut reden ― ― ― ― vielleicht, daß dereine oder der andere der Kameraden im stillen doch

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daran gedacht haben mochte, daß seine Tage hier ge-zählt seien. Aber sie hatten sich wirklich bei diesemGedanken nichts Böses gedacht. Du großer Gott, mandenkt doch nicht immer gleich an etwas, wenn manmal denkt. Aber wenn Hans Joachim, der begreif-licherweise etwas nervös sein mochte, die Äußerungfür taktlos gehalten hatte, so mußte man ihn natürlichdavon überzeugen, daß die Worte anders gemeintgewesen waren und so rief man ihm denn jetzt vonallen Seiten zu: „Aber Hans Joachim, wie kannst dunur so etwas glauben? Wir und taktlos? Du weißtdoch, wie wir an dir hängen und wie leid es uns tunwürde, wenn wir dich wirklich verlieren sollten.”

Hans Joachim wußte, daß das keine leeren Wortewaren. Er hatte Beweise dafür, daß er sich im Kreiseder Kameraden großer Beliebtheit erfreute, sogar beiseinen Vorgesetzten war er nicht nur als guter Soldat,sondern auch als äußerst liebenswürdiger Mensch sehrgut angeschrieben, und als der Oberst ihn kürzlich aufdem Regimentsbüro wegen seiner Schulden ange-brüllt hatte, daß das Tintenfaß auf dem Tisch zitterte,da hatte Hans Joachim es ihm angemerkt: „derMann tobt nur deshalb so fürchterlich, um nicht zuverraten, daß es ihm leid tut, wenn ich gehen müßte.”

Hans Joachim konnte mit gutem Gewissen vonsich sagen, daß er in den siebenundzwanzig Jahrenseines Lebens wissentlich noch nie etwas getan hatte,um sich bei irgend einem Menschen beliebt zu machen.Er hatte nie um Freundschaft gebeten, er hatte nie

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um Vertrauen geworben, aber trotzdem hatten ihnalle gern. Er wußt selbst nicht, was die Leute anihm fanden und es machte ihn zuweilen geradezuverlegen, wenn man ihm immer wieder versicherte,er sei ein netter Kerl. Und es war keine falscheBescheidenheit, sondern seine ehrlichste Überzeugung,wenn er dann aufrichtig erstaunt fragte: „Aber warumdenn nur?”

Nur mit einem Kameraden hatte er bisher nichtrecht warm werden können. Der hieß Fritz von Schar-fenberg, war ein auffallend großer, aber auch zugleichein auffallend hübscher Offizier, trotzdem seine Naseetwas reichlich lang geraten war.

Für Hans Joachim war der andere in vieler Hin-sicht zu sehr ein leuchtendes Beispiel: Der hatte immerGeld, nie Schulden, der betrank sich niemals bis zurBewußtlosigkeit, sondern er wußte selbst nach demlängsten Liebesmahl noch sehr genau, wo er wohnte.Er hatte nie einen Kater und war trotz alledem dochkein Philister. Aber Hans Joachim wurde mit demlange Fritz, wie er von den Kameraden im Gegen-satz zu dem großen Fritz genannt wurde, nicht rechtwarm und er hatte so die Empfindung, als wenn dasauf Gegenseitigkeit beruhe und als wenn Scharfen-berg nicht allzu traurig sein würde, wenn er, HansJoachim, wirklich die Garnison verließ und mit seinerZahnbürste und dem Wenigen, was er sonst noch be-saß, nach dem äußersten Osten oder nach dem fernstenWesten übersiedelte. Auch Scharfenberg hatte ihm

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vorhin zugerufen, er habe gut reden, aber aus seinemMunde hatte das anders geklungen, als aus demMunde der übrigen Kameraden. Ihm allein hatteauch seine lange Antwort gegolten und der Vorwurf:„So taktlos werdet Ihr wohl doch nicht sein?” UndFritz von Scharfenberg war es nun auch, der sicham lebhaftesten dagegen wehrte, seine Äußerunganders als ganz harmlos gemeint zu haben.

„Na, ist schon gut, Herrschaften,” wehrte HansJoachim schließlich ab, „lassen wir die Sache, ich mußohnehin nach Hause, um einmal nachzusehen, ob schonAntworten auf meine Telegramme eingegangen sind.Wie ist es, geht einer von Euch mit, oder bleibt Ihrnoch länger sitzen, um Euch den Kopf bei der De-batte zu erhitzen?”

„Wenn ich mir vielleicht erlauben dürfte, denHerrn Leutnant zu begleiten,” erklang da plötzlich eineStimme und als Hans Joachim sich umwandte, hattesich von seinem Platz der Fahnenjunker erhoben. Erwar erst vor wenigen Wochen in das Regiment ein-getreten, nachdem er vorher auf einem Gymnasiumdas Abitur gemacht hatte. Ohne die Erziehung imKadettenkorps fehlte es ihm noch sehr an den mili-tärischen Manieren, er benahm sich oft noch allzu-sehr als Zivilist, aber alle hatten ihn gern und er be-rechtigte für später zu den besten Hoffnungen, schon,weil er aus einem sehr reichen Hause stammte. Wiewürde man den später, wenn er erst ein wirklicherKamerad war, mit Erfolg anpumpen können.

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„Sie, Kindchen?” fragte Hans Joachim etwasverwundert, denn es war nicht üblich, daß ein soviel Jüngerer dem Älteren seine Begleitung anbot.Dann aber setzte er hinzu: „Na, dann kommen Sienur mit, ich werde unterwegs auf Sie aufpassen, daßSie keine Dummheiten machen und nicht aus Versehendie Mütze abnehmen, wenn Sie irgend jemandengrüßen müssen.”

Wenig später verließen Hans Joachim und derFahnenjunker die Kaserne und schritten durch die umdiese Stunde besonders leeren Straßen der kleinenResidenz. Es war kurz vor 1 Uhr. In den meistenFamilien rüstete man sich wohl zum Mittagessen unddie Straßen, die sich überhaupt erst gegen Abendetwas zu beleben pflegten, waren wie ausgestorben.Die Droschkenkutscher, die an einer Ecke warteten,hielten ebenso wie ihre alten Gäule den Mittags-schlummer, denn sie wußten ganz genau, jetzt kommtkeiner, um uns zu stören.

Die kleine Residenz war eigentlich verdammt ödeund langweilig. Trotz alledem hatte Hans Joachimsie lieb gewonnen und er konnte sich gar nicht vor-stellen, daß er sie jemals verlassen solle. Und dochstand ihm das bevor, wenn nicht noch irgendwie einWunder geschah.

In Gedanken versunken schritt er dahin, die An-wesenheit des Fähnrichs störte ihn nicht. Der durftenur sprechen, wenn er gefragt wurde, und Hans Joa-chim war wirklich nicht in der Stimmung, an seinen

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Begleiter die üblichen Fähnrichsfragen zu stellen:„Wie alt sind Sie denn eigentlich? Wann hoffen Sieauf Kriegsschule zu kommen? Welche wäre Ihnenlieber, die in Potsdam oder die in Hannover? Mitwieviel Jahren glauben Sie Leutnant zu sein?” Undwas man sonst noch Geistreiches fragt, um sein Inter-esse an dem Schicksal des Jüngeren zu beweisen.

Hans Joachim hatte es ganz vergessen, daß derFähnrich neben ihm herging, so merkte er auch nicht,wie der ihn zuweilen aus seinen großen, hellblauenKinderaugen von der Seite voller Teilnahme und bei-nahe voller Trauer ansah und er bemerkte es auchnicht, wie der Fähnrich alle Augenblicke den Mundaufmachte, als wolle er etwas sagen und wie er denMund dann regelmäßig wieder zuklappte, weil ihmimmer noch zur rechten Zeit wieder einfiel, daß esfür ihn vollständig unmilitärisch wäre, etwas zu sagen,ohne um seine Ansicht gefragt zu sein.

Hans Joachim dachte wirklich nicht an seinen Be-gleiter. Seine Gedanken waren bei seinen Schulden,hauptsächlich aber bei seinen Verwandten, die nachseiner Überzeugung moralisch verpflichtet waren, dieseSchulden zu bezahlen, denn selbst ist man für so etwasdoch nicht da, es müte denn sein, daß man selbst dienötigen Mittel besäße. Aber er hatte die zehn-tausend Mark nicht, die er brauchte und wenn erdie hätte ― ― ― es wäre doch geradezu ein Jammer,das viele schöne Geld fortzugeben, um davon Schuldenzu bezahlen. Ausgeben würde er das Geld natürlich

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sofort, aber doch nicht für alte Freuden, die er schonlängst genossen hatte. Neue Freuden würde er sichdafür kaufen und trotz seiner Sorgen malte er sichin Gedanken aus, wie herrlich er daraufloslebenkönne, wenn er wirklich zehntausend Mark besäße.

Plötzlich weckte ihn näherkommendes Pferdege-trampel aus seinem Grübeln. Er erhob den Blickund bemerkte die Prinzessin Rena, die in ihrem Selbst-kutschierer angefahren kam. Mit ihren kleinen Händenhatte sie die beiden ungarischen Jucker fest in der Ge-walt, sodaß der hinter ihr sitzende Leibkutscher es garnicht nötig gehabt hätte, über die Schulter der Prin-zessin hinweg so ängstlich auf die Pferde zu sehen.Die Prinzessin sah wieder einmal bildhübsch aus. Dasdunkle Jackenkleid mit dem einfachen runden Filzhutstand ihr ausgezeichnet. Und eine Figur hatte dasMädel! Gegen die Prinzessin konnte selbst die Hof-dame, Fräulein Ursula von Rengwitz, die neben derPrinzessin saß und wegen ihrer Schönheit allgemeinbekannt war, nicht aufkommen.

Hans Joachim hatte vor der Prinzessin Front ge-macht und salutierend die Hand an die Mütze gelegt.Er sah es der Prinzessin auch jetzt wieder an, wiepeinlich es ihr war, wenn einer der Offiziere sich vorihr auf dem Fahrdamm aufpflanzen mußte, anstattlediglich die Hand an die Kopfb edeckung zu legen.Er wußte auch, daß die Prinzessin ihren Vater schonoft gebeten hatte, für ihre Person eine Änderungdes militärischen Grußes herbeizuführen, daß Seine

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Hoheit das aber aus mancherlei Gründen für unmög-lich erklärt hatte.

So färbten sich auch jetzt die Wangen der jungenPrinzessin in leichter Verlegenheit, als sie den Grußdes Offiziers durch ein Salutieren der Peitsche er-widerte, während sie im zugleich wie einem altenBekannten freundlich zunickte. Ja, es kam HansJoachim sogar so vor, als hätte er in ihren Augen undum den kleinen, feingeschnittenen Mund ein leisesLächeln bemerkt. Aber das mochte wohl nicht ihm,sondern dem kleinen Fähnrich gegolten haben, der sichneben ihm aufgebaut, und wie Hans Joachimes erst jetzt sah, als sei er schon Offizier,die rechte Hand an die Mütze gelegt hatte, anstattbeide Hände vorschriftsmäßig an die Hosennaht zulegen.

„Aber Kindchen, Fähnrich, was machen Sie dennnur für Dummheiten?” schalt Hans Joachim, als ernun mit diesem seinen Weg wieder fortsetzte, „wannwerden Sie denn endlich aufhören, ein halber Zivilistzu sein? Wenn Sie sich nicht ganz ändern, bringensie es nicht einmal bis zum kommandierenden General.”

„Das werde ich wohl auch ohnehin nicht, HerrLeutnant,” lautete die Antwort, und wohl in derFreude seines Herzens, endlich einmal etwas sagenzu dürfen und eingedenk der Ermahnung, auf Be-fragen stets laut und deutlich zu antworten, brüllteder Fähnrich jetzt so laut, daß es durch die leere Straßeschallte und daß ein paar vor den Haustüren herum-

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lungernde Köter neugierig den Kopf hoben, als wolltensie ergründen, was denn plötzlich los sei.

„Um Gotteswille, Fähnrich, schonen Sie meinTrommelfell,” bat Hans Joachim, „und vor allenDingen sagen Sie es keinem anderen Menschen, daßSie nicht daran glauben, jemals kommandierenderGeneral zu werden. Im Gegenteil, Sie müssenimmer betonen, wenn es nach Ihnen ginge, wolltenSie wenigstens Kaiser werden. Das imponiert denVorgesetzten und das läßt Sie vielleicht bis zumStabsoffizier avancieren, bevor man Sie zur Wurstverarbeitet. Aber wenn Sie nicht einmal Komman-dierender General werden wollen, dann bringen Siees höchstens bis zum Hauptmann II. Klasse. SchreibenSie sich diese meine Worte hinter die Ohren und nunadieu, hier trennen sich ja unsere Wege und auchbesten Dank für Ihre freundliche Begleitung.” DieseWorte sollten den kleinen Fähnrich dafür entschädigen,daß Hans Joachim sich auf dem ganzen Wege garnicht um ihn gekümmert hatte. Jetzt reichte er ihmzum Abschied freundlich die Hand. Aber anstatt, daßder Fähnrich die gleich wieder losgelassen hätte, hielter die beinahe krampfhaft fest und zugleich sah er denLeutnant mit seinen großen Kinderaugen so flehent-lich an, daß der sofort merken mußte, der Fähnrichhabe noch etwas auf dem Herzen. Und so fragteHans Joachim denn voller Teilnahme und voll ehr-lichsten Interesses: „Was bedrückt Sie denn, Kindchen?”

Der Fähnrich sah sich schnell um, ob auch kein un-

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berufener Lauscher in der Nähe sei, dann nahm er einestramme, militärische Haltung ein und sagte mit solauter Stimme, als statte er auf dem Kasernenhofeine dienstliche Meldung ab: „Ich bitte ganz gehor-samst um die Erlaubnis, den Herrn Leutnant einen Augen-blick unter vier Augen sprechen zu dürfen.”

„Auf offener Straße und noch dazu mit demOrgan?” fragte Hans Joachim halb belustigt, halbärgerlich, aber als er dann in die bittenden Augenseines Begleiters sah, setzte er hinzu: „Na, Fähnrich,wenn Sie Ihr Herz ausschütten wollen, will ichIhnen gern zuhören und nach bestem Können raten,aber nicht hier auf der Straße. Kommen Sie mitmir in meine Wohnung, dort können Sie mir alleserzählen.” Und da es sich nach seiner Meinung umeine Herzensaffäre handelte, setzte er nach einerkleinen Pause hinzu: „Für jetzt nur eine Frage, aberbeantworten Sie die bitte so leise wie nur möglich,wie heißt sie denn?”

Den Fähnrich beschäftigten ganz andere Dinge undum den Leutnant gleich darüber aufzuklären, daß ersich überhaupt mit keinerlei Liebesaffären befasse, gaber zur Antwort: „Vorläufig hat sie überhaupt nochkeinen Namen.”

Ganz überrascht blickt Hans Joachim auf, dannrief er: „Nanu, Fähnrich! Daß Ihre Herzallerliebstenoch sehr jung ist, kann ich mir bei Ihrem eigenenAlter natürlich denken, aber für so jung hätte ich die

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junge Dame denn doch nicht gehalten. Ist die dennimmer noch nicht getauft?”

„Das junge Mädchen ist überhaupt noch nicht ge-boren und ob es jemals geboren werden wird ― ―”

„Es wird geboren, Fähnrich, verlassen Sie sichdarauf,” beruhigte Hans Joachim den zukünftigenGeneral-Feldmarschall. „Glauben Sie mir, Fähnrich,kein Leutnant entgeht seinem Mädel, das ihm ganzgewaltig den Kopf verdreht und ihn zu mehr oderweniger großen Dummheiten verleitet. Auch Ihnenwird das Mädel dereinst erscheinen und wenn es soweit ist, dann denken Sie an mich, oder schreiben Siemir eine Ansichtskarte, wenn ich vielleicht nicht mehrhier sein sollte.”

Bei dem Gedanken an die süßen, kleinen Mädchenwar das Gespenst der drohenden Strafversetzung plötz-lich wieder vor ihm aufgetaucht. Das beschäftigte ihnso ausschließlich, daß er wieder verstummte, bis erdann mit dem Fähnrich zusammen seine Wohnungbetrat. Die bestand aus drei sehr hübschen und be-haglich eingerichteten Zimmern. Allerdings hatteer die möbliert gemietet, aber er hatte es doch ver-standen, diesen Räumen eine gewisse persönliche Notezu geben.

Der Bursche war herbeigeeilt, um seinem Leutnantbehilflich zu sein, vor allen Dingen aber, um ihndarauf aufmerksam zu machen, daß verschiedene Tele-gramme angekommen wären.

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Mit einem kurzen Wort der Entschuldigung gegenseinen Gast öffnete Hans Joachim eine Depesche nachder anderen und nachdem er die gelesen hatte, machteer ein so ingrimmiges Gesicht und schlug derartig mitder Faust auf den Tisch, daß der Bursche so leise undso schnell wie er nur konnte vorsichtshalber aus demZimmer verschwand.

Hans Joachim ging in seinem großen geräumigenWohnzimmer erregt auf und ab und unterdessen standder Fähnrich in strammer Haltung da: Hacken zu-sammen, Brust heraus, die Hände an der Hosennaht,Kopf in die Höhe, Augen geradeaus gerichtet. Aberheimlich und verstohlen verfolgten diese Augen jedeBewegung der Ungeduld und des Ingrimms, dieHans Joachim machte, bis dieser sich jetzt an denkleinen Fähnrich wandte: „Sie dürfen es mir schonnicht übel nehmen, Fähnrich, daß ich Sie vorüber-gehend einmal wieder vergessen habe, mir geht aller-lei durch den Kopf. Aber trotzdem, sprechen Siesich nur aus. Wer da selber wie ich im Wurstkesseldrin sitzt, kann es am besten nachfühlen, wie einemanderen in ähnlicher Situation zumute ist. Also herausmit der Sprache, wo drückt der Schuh?”

Aber vorläufig brachte der Fähnrich kein Wortüber die Lippen. Vorhin im Kasino und auch unter-wegs da hatte er es sich so einfach gedacht, er brauchenur den Mund aufzumachen und zu sprechen, aberjetzt brachte er den Mund nicht auseinander.

Hans Joachim sah, wie es in dem kleinen Fähnrich

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würgte und würgte und so sprach er ihm denn Mutzu: „Na, Fähnrich, nun beichten Sie schon mal, allzuschlimm wird es wohl nicht sein. Sie sehen wirklichnicht danach aus, als hätten Sie ein Kapitalver-brechen begangen, das mit dem Tode oder mit Zucht-haus nicht unter fünfzigtausend Jahren bestraft wird.Also, was gibt es denn?”

Und dann kam es endlich heraus, stockend undzögernd, aber nach und nach erfuhr Hans Joachimdoch, was der Fähnrich auf dem Herzen hatte. Derwar vorhin Zeuge des Gespräches im Kasino gewesen:„Ganz gewiß nicht, Herr Leutnant, ich habe nichtgehorcht, aber die Herren sprachen so laut, daß ichalles hören mußte. Ich habe auch daran gedacht,hinauszugehen, um nicht neugierig zu erscheinen,aber mein Beefsteak war so schön und ich hatte solchrasenden Hunger und vielleicht ist es auch ganz gut,daß ich nicht hinausging, denn da kam mir der Ge-danke, aber der Herr Leutnant dürfen mir nicht bösesein ― ― ― ― ― aber ich habe doch nun einmaleinen sehr reichen Vater. Der hat mir erlaubt, alsFähnrich zwanzigtausend Mark Schulden zu machenund später als Leutnant hunderttausend, ohne daßer schelten und fragen will, wofür ich das Geld ge-brauche. Nur spielen darf ich nicht. Und der HerrLeutnant brauchen doch nur zehntausend Mark, umhier im Regiment bleiben zu können und der HerrLeutnant sind immer so nett und so freundlich mitmir gewesen und da ― ― ― ― ― ―”

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Und da bekam der kleine Fähnrich plötzlich der-artig einen hereingewürgt, daß ihm Hören und Sehenverging. Gewiß, was Hans Joachim jetzt sagte, kamihm nicht von Herzen, der mußte sogar mit Gewaltan sich halten, um nicht eine gewisse Rührung zuverraten, die bei den Worten des Fähnrichs über ihngekommen war. Trotzdem aber mußte er dem Fähn-rich, wenn auch nur dem äußeren Anschein nach, sau-grob werden, um dem ein für allemal seine Plänegründlich auszureden, denn der hätte ihn vorläufigdoch nicht verstanden, wenn er ihm logisch auseinander-gesetzt hätte, daß er die Hilfe unter keinen Umständenannehmen dürfe, ja, daß er sogar vor das Kriegs-und Ehrengericht geladen würde, wenn jemals jemand etwas davon erführe, wem er das Geld verdankte.

Dem kleinen Fähnrich standen die hellen Tränenin den Augen, als Hans Joachim sein Donnerwetterdann mit den Worten schloß: „Und nun, Fähnrich,wollen wir nicht mehr davon reden. Die Hilfe, dieSie mir anboten, macht Ihrem guten Kinderherzenalle Ehre, aber Sie werden später selbst einsehen, daßich das Anerbieten unter keinen Umständen annehmenkonnte. Und darum, Fähnrich, werden Sie bald ein-mal ein wirklicher Soldat. Augenblicklich sind Sieweder Fisch noch Vogel. Für einen Soldaten habenSie zu zivilistische Anschauungen und für einen Zivi-listen sind Sie zu militärisch gekleidet. Na, Fähn-rich, nun kommen Sie gut nach Hause und vergessenSie, was Sie mir sagten und was ich Ihnen zurAntwort gab.”

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Gleich darauf ging der kleine Fähnrich ganz ge-knickt von dannen, um sich draußen auf dem Korri-dor erst einmal ganz gehörig zu schneuzen. Er schämtesich seiner Tränen nicht, er weinte nicht, weil er einenRüffel bekommen hatte, sondern weil seine, in derbesten Absicht angebotene Hilfe in so schroffer Weiseabgelehnt worden war. Und er kam von neuem zuder Erkenntnis, es sei kein Wort so wahr wie das:„Undank ist der Welt Lohn.” Er schämte sich seinerTränen nicht, aber trotzdem ― fort mit den Dingern.Was sollten die Zivilisten auf der Straße von ihmdenken, wenn sie ihm vielleicht anmerkten, daß ergeweint hatte.

Nun schämte er sich doch plötzlich, bis er dann miteinem energischen Ruck den Waffenrock stramm zogund sich selbst zurief: „Kurt, ermanne dich, sei keinWeib!”

Und so stolz und keck schritt er wenige Minutenspäter durch die Straßen der Stadt, daß die Wenigen,die ihm unterwegs begegneten, im stillen dachten:„Na, der kleine Krieger kann es noch einmal weitbringen. Wenn der sich schon als Fähnrich so seinerWürde bewußt ist, wie wird er da erst als Leutnantsein?”

Unterdessen saß Hans Joachim in seinem Wohn-zimmer auf einem Tisch, schlenkerte mit den Beinenin der Luft herum und las nochmals die eingegangenenDepeschen. Aber im Gegensatz zu vorhin ärgerte ersich gar nicht mehr über die Absagen, die seine Ver-

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wandten ihm telegraphisch geschickt hatten, im Gegen-teil, er amüsierte sich jetzt darüber und im Geistesah er die ganze Verwandtschaft vor sich, wie die sichabgemüht hatten, ihm eine wenigstens halbwegsglaubwürdige Antwort zu senden. Denn daß siehelfen konnten, wenn sie wollten, das wußten sieselbst sehr genau. Aber sie wollten eben nicht undHans Joachim kannte den Grund auch zu genau.Die Verwandten konnten es ihm immer noch nichtvergessen, daß er sich damals vor drei Jahren ge-weigert hatte, die ihm von den Tanten und den Onkelnausgesuchte Braut zu nehmen, die zwar keineswegshübsch und anziehend war, wohl aber ein großes Ver-mögen besaß. Diese Braut war die Rettung, die ihmseine Sippschaft anbot, als er das von seinen ver-storbenen Eltern ererbte Vermögen bis auf den letztenHeller verjubelt hatte, als er nichts mehr besaß, alseine kümmerliche Zulage von sechzig Mark monatlich,die sein Schwager ihm zahlte. Sein Schwager, derals Einziger weiter zu ihm hielt, obgleich gerade erals Landarzt sich sein Geld sauer genug verdienenmußte. Sein Schwager war überhaupt ein Pracht-kerl, der würde den letzten Rest seines kleinen Kapitalsohne Besinnen hergegeben haben, um ihn jetzt zuretten, und gerade deshalb war er der Einzige, an dener nicht telegraphiert hatte. Ehe er von dem die Hilfenahm, ― lieber eine Strafversetzung ! Seine Gläu-biger mußten dann warten, bis er eines Tages durcheine reiche Heirat, oder durch einen Lotteriegewinn

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doch einmal in die Lage kam, seine Schulden mitZins und Zinseszins zu bezahlen.

Und wie es kam, wußte er selbst nicht, aber mittenin seine trübselige Stimmung hinein leuchtete ihmplötzlich ein heller Hoffnungsstern. Ja, noch mehr,es überkam ihn mit einemmale sogar die Gewißheit:„Es ist ganz unnötig, daß du in Gedanken einen Nagelin die Wand schlägst, an diesem Nagel eine Schlingebefestigst und dich darin aufhängst. Das ist ganz zweck-los, denn noch lebst du und du wirst weiter leben alsdas, was du jetzt bist, als der Königlich PreußischeLeutnant in dem Leibregiment, das zu eigen istSeiner Hoheit, dem regierenden Herzog dieses kleinen,aber schönen Ländchens.”

Er mußte ja auch hier bleiben, er konnte sichdas Regiment und die ganze Stadt ohne seine eigenePersönlichkeit gar nicht vorstellen, nicht etwa ausEitelkeit, jede derartige Regung lag ihm fern. Aberseit zehn Jahren gehörte er dem Regiment an undwar mit seinem ganzen Denken und Empfinden mitseinem Regiment und der ganzen kleinen Residenzverwachsen. Er kannte hier jedes Gesicht. Alle Leutegrüßten ihn, und die Kaufleute und die Lieferantenfreuten sich, so oft er ein Geschäft betrat, denn erhatte es sich zum Grundsatz gemacht, hier in der kleinenResidenz nicht die geringste Kleinigkeit auf Borg zunehmen. So etwas sprach sich hier zu schnell herumund die kleinen Geschäftsleute waren finanziell nichtso gestellt, daß sie irgendwelche Verluste erleiden

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konnten. Von diesen würde es keiner glauben, wennes bekannt würde, daß er Schulden halber hatte gehenmüssen. Auch jetzt glaubten sie nicht daran, wennmanchmal davon gesprochen wurde, er sei verschuldet,und das war leider ein offenes Geheimnis. Wie esbekannt geworden war, mochten die Götter wissen,aber in einer kleinen Residenz weiß ja ein jeder vondem anderen alles. Er merkte es wohl, die Mütterund die Väter hatten ihn von der Liste der in Fragekommenden Freier gestrichen, obgleich er selbst garnicht an das Heiraten dachte und sich trotzdem beiden jungen Damen besonders großer Beliebtheit er-freute. Nur Christiane, des gestrengen Herrn Oberstholdes Töchterlein, eine große schlanke Blondine vonachtzehn Jahren, hatte ihr Benehmen ihm gegenüberin der letzten Zeit etwas geändert, aber das warwohl weniger ihre Schuld, als die des Herrn Oberst,der ihr erklärt haben mochte, für einen solchen Schwie-gersohn bedanke er sich.

Als wenn er, Hans Joachim, jemals ernstlich da-ran gedacht hätte, Christiane zu heiraten. Er hattenichts und der Oberst von Weitzendorf wartete selbstmit Ungeduld darauf, daß endlich eine alte Tantestarb. Dann allerdings würde er ein großes Ver-mögen erben, aber die Tante war erst sechzig Jahrealt, und gerade die Leute, die sterben sollen, sterbenja nie, oder erst dann, wenn sie hundert Jahre altsind und darüber.

Aber ob es trotzdem wohl Fräulein Christiane ganz

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gleichgültig gewesen wäre, wenn er die Stadt ver-lassen hätte? Und auch all den anderen jungen Mäd-chen? Und was wohl die Prinzessin Rena gesagthätte? Die hatte ihn immer mit ganz besondererAuszeichnung behandelt und sich über seine Schnurrenund über seine Späße köstlich amüsiert. Die hätte ihnvielleicht wirklich entbehrt, denn die war keine kühleNatur, wie es die Fürstlichkeiten dieser Welt so oftzu sein pflegen, schon weil sie durch ihre Stellungmit zu vielen in Berührung kommen.

Aber die Prinzessin Rena würde ihn vielleichtwirklich entbehrt haben. Der Gedanke stimmte ihnganz froh und glücklich. Nicht, weil die Prinzessineine Prinzessin war, als ob ihm deswegen an ihremUrteil etwas gelegen hätte. Er hatte nie etwas an-deres in ihr gesehen, als das schönste und begehrens-werteste Geschöpf, das es auf diesem Erdball gab, undvielleicht waren sie gerade deshalb so gute Freundegeworden, weil er niemals in Ehrfurcht vor ihr erstarb,weil sie ihm deutlich angemerkt haben mußte, daß ersie nicht als Prinzessin, sondern lediglich als jungesMädchen hoch verehrte.

Und nun glaubte er auch plötzlich zu wissen, warumer sich gar nicht hatte vorstellen können, daß er jemalsdie Residenz verlassen sollte. Seine Phantasie reichtenicht aus, um sich klar zu machen, daß er die Prin-zessin Rena heute Abend vielleicht zum letztenmalsehen würde. Nicht etwa, als ob er sie liebte. Der-artige sinnlose Kindereien, sich in eine Prinzessin zu

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verlieben, überließ er den jüngeren Kameraden. Aberer freute sich, wenn er sie sah, er war glücklich, wenner sich mit ihr unterhalten konnte, wenn er bei denHoffesten, bei den Diners und den Bällen der Hof-gesellschaft oder wann sonst mit ihr zusammentraf.Gewiß, auch die Prinzessin konnte zuweilen, wie dasihr Rang erforderte, sehr kühl und herablassend sein,aber gegen ihn selbst war sie stets von der größtenLiebenswürdigkeit und vor allen Dingen von dergrößten Natürlichkeit gewesen.

Ja, ihm würde die Prinzessin wirklich sehr gefehlthaben. Na, die Gefahr war ja nun beseitigt, er bliebim Regiment, wenn er auch vorläufig noch keineAhnung hatte, wie das geschehen solle. Da mußtesich schon ein Wunder ereignen, aber weil er daranglauben wol lte, glaubte er fester daran, als jemalsan das Wort der Heiligen Schrift. Auch in der Hin-sicht verstand er sich gut mit der Prinzessin, die ihmeinmal unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegen-heit anvertraut hatte, sie langweile sich des Sonntagstödlich in der Kirche und wenn sie nicht müßte, würdesie ganz gewiß nicht hineingehn, oder hächstens allevier bis sechs Wochen.

Immer und immer wieder die Prinzessin! Diewollte ihm heute gar nicht aus dem Sinn. War daswirklich nur ein Zufall? Bis ihn dann plötzlich einGedanke durchzuckte, so kühn und so absonderlich, daßer ihn sofort wieder verwarf, um ihn gleich daraufumso ernsthafter in Erwägung zu ziehen. Es gab

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nur eins für ihn, nur eine Rettung, aber wie sollteihm die gelingen? Ob er sich hinter die Hofdame,Fräulein Ursula von Rengwitz, steckte, damit die ihmhülfe? Die empfand schon längst so etwas wie eineunglückliche Liebe für ihn und wenn er die eine halbeStunde lang anhimmelte und schön mit ihr tat, ge-währte die ihm alles, was er von ihr verlangte, undwenn die dann die Prinzessin bat ― ― ― ― ― ―

Aber er wollte keine Komödie spielen, der Ursulagegenüber am wenigsten. Dazu war sie zu hübschund dazu war sein Gewissen ihr gegenüber nichtrein genug. Gewiß, er hatte es darauf angelegt, daß siesich ein klein wenig in ihn verlieben sollte, aber nurvorübergehend, gewissermaßen zum Zeitvertreib. Aberdaß sie ernstlich Feuer fangen sollte, das hatte erweder gewollt, noch beabsichtigt. Und doch machtees ihn immer von neuem froh und glücklich, wenner sich bei dem Anblick des hübschen jungen Mädchenssagen konnte: „Der bist du nicht gleichgültig, die denktsicher sehr viel an dich.”

Aber er hat nichts und sie hat auch nichts, washatte die Liebe da für einen Zweck?

Aber trotzdem, ob er sich vielleicht nur deshalbein Leben ohne die Prinzessin nicht denken konnte,weil man die niemals ohne Fräulein Ursula sah?

Er verjagte die Gedanken. Nur jetzt nicht übersolche Dinge nachgrübeln, jetzt handelte es sich umviel Wichtigeres.

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Und endlich glaubte er die Rettung gefunden zuhaben. Er wollte die Prinzessin bitten: „ErnennenSie mich, wenn auch natürlich nur im Scherz, fürdie nächsten vier Wochen zum Vortänzer. MeineExistenz, mein Bleiben in der Garnison steht auf demSpiel. Nach vier Wochen setzen Sie mich dann wiederab und ernennen einen anderen. Diese vier Wochenals Vortänzer genügen, um mir meine Zukunft füralle Fälle zu sichern.”

Und wenn auch nur aus Übermut würde die Prin-zessin seinen Wunsch erfüllen und er glaubte, dieseBitte auch ruhig aussprechen zu können, da er natür-lich gar nicht den Ehrgeiz und die Absicht hatte, wirk-lich dauernd Vortänzer zu bleiben. Vielleicht konnteer schon nach vierzehn Tagen sein Amt in die Händeder Prinzessin zurücklegen, wenn er bis dahin seineVerwandten breit genug geschlagen hatte. Denn dasunterlag für ihn keinem Zweifel: wenn die ihmauch heute nicht halfen, den späteren Vortänzer würdensie schon nicht im Stiche lassen, denn dann war ausdem Sündenbock, der nicht wert war, den Namenvon Köttendorf zu tragen, plötzlich der Stolz derFamilie geworden.

In der Theorie war er mit seinem Plan sehr zu-frieden, jetzt handelte es sich nur darum, wie sichder in der Praxis ausführen ließ, und so konnte er esnicht verhindern, daß sein Herz ein klein wenigunruhig pochte, als er am Abend den Weg zu demResidenzschloß einschlug. Zu ein halb neun Uhr war

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befohlen und obgleich es sich nur um eine keine Tanz-gesellschaft handelte, fuhr dennoch Wagen um Wagenvor dem Schloß vor, als Hans Joachim dasselbe er-reichte und die hohe, breite Treppe zu den im erstenStockwerk gelegenen Gesellschaftsräumen hinaufschritt,nachdem er unten im Parterre einem der vielenLakaien seinen Mantel übergeben hatte. Helm undDegen wurden erst abgelegt, wenn der Tanz begannund wenn die Höchsten Herrschaften ihre Gäste be-grüßt hatten.

Als Hans Joachim den „Blauen Saal” betrat,der für das kleine Tanzfest bestimmt war und aufdessen Balustrade die Regimentsmusik, wenn auchnoch so leise, aber doch hörbar ihre Geigen und In-strumente stimmte, erregte sein Erscheinen eine ge-wisse Sensation und er erriet auf den ersten Blick,daß alle wußten, wie es um ihn stand, ja , daß mansich eigentlich wunderte, ihn noch hier zu sehen. Ermerkte das auch an dem Händedruck, mit dem derdiensttuende Kammerherr, gewissermaßen als vor-läufiger Vertreter Seiner Hoheit, ihm die Hand reichte.Aber Hans Joachim tat, als bemerke er von alledemnichts. Er war so unbefangen wie nur möglich undein lustiges und übermütiges Lächeln lag auf seinenLippen, als er nun auf die bereits versammeltenHerrschaften zutrat, um diese zu begrüßen. Auch hiererwiderte man seine Verbeugung, wenn auch an-scheinend sehr höflich, so doch etwas kühler und reser-vierter als sonst, und Hans Joachim dachte, wie schon

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so manchesmal im stillen: „Es ist doch etwas eigen-tümliches um eine sogenannte Hofgesellschaft. Allesind Egoisten, ein jeder denkt nur daran, sich dieHöchste Gnade zu erhalten und wenn sich irgend eineretwas zuschulden kommen läßt, dann halten sie nichtfest zu ihm und versuchen ihn nicht etwa zu retten,sondern sie lassen ihn sofort erbarmungslos fallen,nur damit die Höchsten Herrschaften nicht etwa aufden Gedanken kommen können, man hätte sich mitdem Sünder irgendwie identifiziert.”

Als Hans Joachim erschien, hatte sein Dazwischen-treten für einen Augenblick die allgemeine Unter-haltung unterbrochen, jetzt wurde sie wieder auf-genommen und auch nun drehte sich natürlich dasGespräch lediglich um die für alle Beteiligten an-scheinend so äußerst wichtige Frage, wer denn wohlzum Vortänzer bei Hofe ernannt werden würde?

Die Namen sämtlicher Kameraden wurden ge-nannt, nur der seine nicht. Das ärgerte Hans Joachim,bis es dann anfing, ihn zu belustigen und bis sich ihmplötzlich der Gedanke aufdrängte: „Du spielst heuteAbend ja doch va banque. Entweder gelingt dir deinPlan, dann bist du gerettet, oder er geht fehl, dannbist du verloren, aber dann hast du wenigstens dieFreude, den hier versammelten Herrschaften noch ein-mal einen ganz gehörigen Schrecken eingejagt zu haben,und so sagte er denn plötzlich mit ganz lauter Stimme:„Meine Herren und Damen, alle Ihre Vermutungen

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sind falsch, der zukünftige Vortänzer bei Hofe heißt:Hans Joachim von Köttendorf !”

Wäre ein Blitz zur Erde niedergefahren, die Herr-schaften hätten nicht verdutzter dastehen können, alssie es jetzt taten. Alle starrten ihn an, in erster Linienatürlich die Kameraden, von denen ein jeder sichselbst das Amt des Vortänzers leidenschaftlich wünschte,dann aber auch die Damen. Die jungen Mädchennicht weniger als die Mütter. Es herrschte ringsherumTotenstille, alle schienen die Sprache verloren zu haben,bis dann endlich einer der Kameraden, wenn auchetwas stockend und zögernd fragte: „Sag' mal,HansJoachim, es ist gewiß keiner unter uns, der dir dieseStellung nicht von Herzen gönnen würde, aberwoher weißt du denn das schon, daß die Wahlder Prinzessin auf dich fallen wird, oder schon auf dichgefallen ist?”

„So, nun ist es genug mit dem Schreckschuß,”dachte Hans Joachim, dann sagte er lachend: „Woherich das weiß ? Von niemandem. Es ist lediglichmeine Vermutung, wie Sie, meine Herrschaften,vermuten, daß ein anderer zum Vortänzer ernanntwird. Daß Sie meine Worte so ernsthaft nehmen,ja, daß Sie die sogar glauben würden, konnte ichnatürlich nicht ahnen.”

Wieder lachte Hans Joachim hellauf, aber vonden anderen lachte keiner. Den Kameraden war derSchreck doch zu sehr in die Glieder gefahren und vorallen Dingen glaubte man ihm jetzt nicht, daß es sich

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bei seinen Worten nur um einen Scherz gehandelthaben sollte. Und wenn es wirklich ein Scherz ge-wesen war, dann fand man den höchst unpassend.Niemand sagte ihm das, aber er las es in allen Augen,am deutlichsten in denen von Fräulein Christiane vonWeitzendorf, der Tochter seines Obersten.

Der Oberst war heute nicht befohlen, nur die tanz-lustige Jugend mit den Anstandsmüttern, sonst hätteHans Joachim wohl auch kaum den Mut gefunden,die Herrschaften so zu foppen.

Ein wahres Glück, daß neue Gäste hinzutraten,so ging man denn über den Zwischenfall, wenigstensanscheinend, wieder zur Tagesordnung über, oderrichtiger gesagt zu der Tagesfrage.

Um Hans Joachim kümmerte sich niemand, nurdie schönen blauen Augen von Fräulein Christianeruhten immer noch halb vorwurfsvoll, halb voll auf-richtigster Teilnahme auf ihm, sodaß er sich entschloß,die junge Dame in ein Gespräch zu ziehen, schon,um diesen Blicken, die anfingen, ihn verwirrt undverlegen zu machen, ein Ende zu bereiten, als derdiensttuende Kammerherr plötzlich mit seinem Stabauf das Parkett stieß, zum Zeichen, daß die HöchstenHerrschaften sich näherten.

Die großen Flügeltüren hatten sich geöffnet undaus dem Gelben Saal, der an den Blauen anstießund durch den man in die Privatgemächer der HöchstenHerrschaften gelangte, erschien der Hof. Da es sichum ein ganz unzeremonielles abendliches Zusammen-

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sein handelte, hatte Seine Hoheit, der regierende Her-zog, ein großer schlanker eleganter Fünfziger, nurden ganz kleinen Vortritt befohlen.

Dieser Vortritt war Hoheits Spezialität und dieSpötter, die natürlich nicht der Hofgesellschaft an-gehörten, behaupteten, Seine Hoheit ginge nicht ein-mal in die Badestube oder sonst in ein verschwiegenes Kabinett, ohne daß nicht wenigstens einer der Kammer-herren voranginge, schon, um ihm die Türen aufzu-machen, denn daß ein Fürst dieser Welt sich selbst ein-mal eine Tür aufmacht, kommt bekanntlich nicht vor.Dazu sind die Lakaien da und am Hofe Seiner Hoheitwimmelte es außerdem noch von Kammerherren.Zu tun hatten die ja alle nichts, das wußte SeineHoheit natürlich sehr genau, aber trotzdem ernannteer bei jeder Gelegenheit neue Kammerherren. Dasmachte ihm persönlich Spaß und diejenigen, die sichdie Kammerherrenuniform mit dem Schlüssel hintenauf den Rockschößen anfertigen lassen durften, freutensich erst recht.

Der ganz kleine Vortritt bestand aus vier Kammer-herren und diese schritten den höchsten Herrschaftenmit einer Würde voraus, als gäbe es auf der ganzenWelt keine Arbeit und keine Tätigkeit, die auch nurannähernd so schwer und verantwortungsvoll sei, wiein diesem Augenblick die ihrige.

Unmittelbar hinter de Kammerherren ging SeineHoheit, der für den heutigen Abend die Uniform mitdem bequemen Frack vertauscht und beinahe auf jeden

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Ordensschmuck verzichtet hatte. An seinem linken Armführte er die Prinzessin Rena. Die war schlank wieeine Tanne, von etwas mehr als mittelgroßer Figur.Das ausgeschnittene rosarote Kleid, das sie trug unddas ihr ausgezeichnet stand, ließ entzückende Schulternund einen feinen schlanken Hals sehen, der einen ganzallerliebsten Kopf trug. An dem war alles hübsch,die kleine feine Nase, der kleine feingeschnittene Mund,die entzückenden Ohren mit den rosaroten Ohrmuscheln― ― aber das hübscheste waren doch die großen hell-braunen Rehaugen, mit den weichen Wimpern, derenFarbe noch eine Nüance dunkler war, als das dichte,kastanienbraune Haar. Das Gesicht der Prinzessinhatte einen unendlich lieblichen und anmutigen Aus-druck und der Teint ihrer Wangen glich der Farbeeines frischen Pfirsichs.

War Prinzessin Rena die verkörperte Anmut undLieblichkeit, so war Ursula von Rengwitz, die als Hof-dame neben der Oberhofmeisterin hinter der Prin-zessin ging, mehr eine Schönheit zu nennen. Diewar groß und schlank, von vollendetem Wuchs, miteinem geradezu klassisch schönen Gesicht und vor-nehmen und edlen Zügen. Auch Fräulein Ursulahatte wundervolle Augen, die in einem ganz dunklenBlau leuchteten und von ganz tiefschwarzen Wim-pern beschattet waren. Fräulein Ursula war einewirkliche Schönheit und man hatte sich schon oft da-rüber gewundert, daß die Prinzessin Rena sich eineHofdame ausgesucht hatte, die unter Umständen sie

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selbst in den Schatten zu drängen vermochte. Abersie selbst hatte darauf einmal lächelnd erwidert, siekönne auf die Dauer keine häßlichen Menschen in ihrerNähe ertragen und übermütig hatte sie hinzugesetzt:„In der Hinsicht habe ich an der Oberhofmeisterinmehr als genug !”

Und die Frau Oberhofmeisterin war wirklich keineSchönheit, in ihrer Jugend hatte auch sie sicher ihreReize gehabt, aber die waren im Laufe der Zeit ver-gangen. Nur ihre hohe, vornehme Figur wirkte noch.Aber das Gesicht mit den unruhigen grauen Augen,die nicht einen Augenblick still standen, die tiefenFurchen und Falten in den Wangen, der etwas ver-kniffene Zug um den Mund, der ganz besonders scharfhervortrat, wenn sie lachte, das alles wirkte zuweilengeradezu abstoßend. Die Oberhofmeisterin erfreutesich weder in der Gesellschaft, noch bei Hofe besondererBeliebtheit und Prinzessin Rena hatte sie, eine GräfinStreckfuß, einmal Gräfin Linkfuß genannt, weil siestets schlechter Laune war und anscheinend immermit dem linken Fuß zuerst aus dem Bett zu steigenpflegte. Diesen Beinamen hatte sie beibehalten undder war so populär geworden, daß man darüber ihrenwirklichen Namen beinahe vergaß.

Die Frau Oberhofmeisterin war noch bei Leb-zeiten der verstorbenen Herzogin an den Hof ge-kommen, und wie alle wußten, sollte diese, als sie ihrEnde herannahen fühlte, der Gräfin das ehrenwört-liche Versprechen abgenommen haben, nach ihrem

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Tode die Prinzessin Rena niemals zu verlassen, we-nigstens solange bei ihr zu bleiben, bis diese einmalverheiratet sei. Wie dem aber auch war, auf jedenFall hatte Ihre Exzellenz ihre Stellung bei Hofe bei-behalten und sie saß fest im Sattel. Im Schloß zit-terten alle vor ihr, vom jüngsten Lakai hinauf biszum Oberhofmeister. Nur einer tat, was er wollte,Seine Hoheit, der regierende Herzog, der sich durchkeine Vorstellung der Frau Oberhofmeisterin bewegenließ, seine kleinen, galanten Liebesaffären aufzugeben.

Unter der Führung des kleinen Vortritts hattendie Höchsten Herrschaften die Reihen der Gäste abge-schritten und die tiefen, devoten Verbeugungen durchein gnädiges und freundliches Neigen des Kopfes er-widert. Jetzt löste Prinzessin Rena ihre Hand ausdem Arm des Vaters und wie dieser sofort von seinenKammerherren umgeben wurde, so traten jetzt dieOberhofmeisterin und die Hofdamen hinter die Prin-zessin, als diese nun zunächst auf die einzelnen Damenzutrat, um einige derselben in das Gespräch zu ziehen,während Seine Hoheit sich den Herren zuwandte.

Wieder knickten die Gäste in sich zusammen. Mansah es der Prinzessin Rena an, daß sie sich am liebsten,wenigstens von den verheirateten Damen, den Hof-knicks verbeten hätte, schon, damit die Oberhofmeisterinvor Entsetzen endlich einmal wirklich einen Herzschlagbekäme und das Zeitliche segnete. Wäre es nach ihrselber gegangen, dann hätte sie diese tiefen Verbeu-gungen nicht geduldet, aber Seine Hoheit, der Herzog,

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verstand in der Hinsicht keinen Spaß. Die Etikettemußte unter allen Umständen streng aufrecht erhaltenwerden.

Die Prinzessin zog die meisten der Damen in ein,wenn auch nur kurzes Gespräch, dann wandte sie sichden Herren zu, während Seine Hoheit nun zu denDamen trat.

Außer dem Adjutanten Seiner Hoheit und einigenHerren der Regierung waren eigentlich nur die Offi-ziere des in der Residenz garnisonierenden Infanterie-regimentes geladen. Auch an diese richtete die Prin-zessin einige freundliche Worte, aber während sie zuallen sprach, glitten ihre Augen herum, als suchtensie nur einen und als sie den gefunden hatte, grüßtesie ihn mit ihren Augen nochmals, ihn ganz allein,und wieder war es Hans Joachim, als hätten ihreAugen ihn angelacht, wie heute Morgen auf derStraße.

Was hatte das zu bedeuten? Stand etwa wiederder Fähnrich neben ihm und machte eine falsche Ehren-bezeugung? Unwillkürlich sah er zur Seite, abernatürlich war der Fähnrich nicht da, der wurde erstzu Hofe geladen, wenn er Leutnant geworden war.

Was hatte der lächelnde Ausdruck in den Augender Prinzessin zu bedeuten?

Da erklang plötzlich die Stimme der Prinzessin:„Herr Leutnant von Köttendorf, wenn ich Sie einenAugenblick zu mir bitten dürfte, ich möchte Sie etwasfragen, denn Sie allein sind imstande, eine Wette zu

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entscheiden, die ich heute mittag mit Seiner Hoheiteinging.” Und sich zu den anderen Herren wendend,setzte sie lächelnd hinzu: „Meine Herren, ich will Ihneninzwischen erlauben, meiner lieben Freundin, Ursulavon Rengwitz, den Hof zu machen, und Sie, meineliebe Exzellenz,” bat sie die Frau Oberhofmeisterin,„passen wohl auf, daß man Fräulein Ursula nichtallzusehr den Kopf verdreht.”

Ihre Exzellenz machte ein ganz entsetztes Gesichtund es lag ihr auf der Zunge, der Prinzessin zuzu-rufen: „Hoheit, es ist durchaus ungehörig, einen ein-zelnen Herrn in das Gespräch zu ziehen und mit diesemeine Unterhaltung zu führen, die ich, die Frau Ober-hofmeisterin, nicht mit anhören soll.”

Das und noch manches andere hätte sie gern ge-sagt, aber hier vor den Gästen ging das doch nichtund zum Überfluß warf ihr die Prinzessin jetzt einenBlick zu. Jenen Blick, den sie selbst der Prinzessineinstudiert hatte, damit diese sich lästige und auf-dringliche Menschen vom Leibe halten konnte. Eshatte lange gedauert, bis die Prinzessin diesen Blick,der ihrem Charakter widersprach, endlich gelernthatte und nun, da sie ihn konnte, brauchte sie ihneigentlich nur gegen ihre Lehrerin, die Frau Ober-hofmeisterin.

Ihre Exzellenz war wütend, aber sie mußte trotz-dem weiter lächeln, denn bei Hofe seine wahre Mei-nung verraten zu dürfen, ist lediglich das Vorrecht derHöchsten Herrschaften.

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Unterdessen hatte sich Hans Joachim der Prin-zessin genähert und war dieser gefolgt, als sie nunein paar Schritte zur Seite getreten war, dann sagtesie mit leiser Stimme: „Was ich eben von der Wetteerwähnte, die nur Sie entscheiden könnten, warnatürlich nur ein Vorwand, es handelt sich umetwas anderes, ich habe eine Bitte an Sie.”

„Hoheit eine Bitte an mich?!”Die Frage klang so verwundert und er betonte die

Worte „an m ich ” so stark, daß die Prinzessin ihnsofort verstand und ihn lächelnd fragte: „Das habenSie wohl nicht erwartet, denn deutlich höre ich ausIhrer Frage hervor, daß Sie eigentlich eine Bitte anmich richten wollten und nun sind Sie erstaunt, daßich statt dessen Sie bitte? Nicht wahr, so ist es doch?”Und ohne seine Antwort abzuwarten, fuhr sie ohnejeden Übergang fort: „Wollen Sie mir die Bitte er-füllen, für den nächsten Winter das Amt des Vor-tänzers zu übernehmen? Im Gegensatz zu Ihnenmeine ich das sehr ernsthaft. Sie sollen für den ganzenWinter Vortänzer bleiben, nicht etwa nur für dreioder vier Wochen, wie Sie sich das so ausdachten,denn nicht wahr, das war doch Ihre Ansicht, als Siemich bitten wollten, Sie zum Vortänzer zu ernennen?”

Hans Joachim stand mit einem ganz verdutztenGesicht da und sein Gesicht wurde umso verdutzter, jelänger die Prinzessin ihn lächelnd betrachtete. Esdauerte lange, bis er sich von seinem grenzenlosenErstaunen erholt hatte, dann aber sagte er: „Hoheit

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sind die größte Gedankenleserin, die mir jemals inmeinem Leben begegnete und wenn Hoheit nicht alsPrinzessin auf die Welt gekommen wären ― ― ―”

„Dann müßte ich nach Ihrer Meinung an dernächsten Straßenecke einen Laden als Wahrsagerinund Kartenlegerin aufmachen?” fiel sie ihm lachendins Wort, um dann fortzufahren: „Aber beruhigenSie sich nur, es handelt sich um keine übernatürlichenDinge, sondern es geht sogar sehr einfach zu, daß ichum Ihre geheimsten Gedanken weiß. Es wurdegestern bei dem Frühstück von Ihnen gesprochen.Seine Hoheit liebt es, sich von seinem Adjutanten be-richten zu lassen, was es in der Stadt neues gibt.Da erfuhr ich ― ―”

Die Prinzessin zögerte einen Augenblick, es warihr anscheinend sehr peinlich, dem vor ihr stehendenOffizier erzählen zu müssen, daß sie über seine Schuldenund über seine bevorstehende Strafversetzung unter-richtet sei und so sagte sie denn plötzlich: „Ach ja richtig,so war es. Der Adjutant erzählte, Sie hätten dieAbsicht, sich in eine andere Garnison versetzen zu lassen,weil es Ihnen hier aus mancherlei Gründen nichtmehr gefiele. Offen gestanden, ich ärgerte mich, alsich das hörte, denn früher haben Sie mir doch immererklärt, wie lieb Sie dieses kleine Nest hätten, das sotraulich und so lauschig sei, wie ein Nest, das sich zweiVerliebte irgendwo in der Einsamkeit erbauen.” ― ―„Aber was rede ich da nur alles,” unterbrach sie sich,„die Hauptsache ist, Sie bleiben jetzt wieder hier und

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es freut mich, daß das auch Ihren eignen Wünschenentspricht. Wir sahen uns ja heute Mittag in derStadt. Ich mußte unwillkürlich lachen, als ich Siemit einem so verzweifelten Gesicht Front machen sah.Sicher dachten Sie schon in dem Augenblick darübernach: Wie fange ich es nur an, wenigstens vorüber-gehend bei Hofe Vortänzer zu werden, damit ichmeinem Oberst beweisen kann, daß ich mir die Sacheinzwischen wieder anders überlegte und daß ichdoch lieber hier bleiben will. Habe ich da nichtRecht?”

„Wenigstens zum größten Teil, Hoheit,” antworteteHans Joachim schnell, der schon deshalb für die Prin-zessin aufrichtige Dankbarkeit empfand, weil sie in einerso zarten, diskreten Weise das für ihn mehr als pein-liche Thema berührt hatte, denn daß sie über den wahrenSachverhalt auf das genaueste unterrichtet war, konnteer ja nicht einen Augenblick bezweifeln und so sagteer denn jetzt: „Eure Hoheit verpflichten mich zu demallergrößten Dank und ich weiß wirklich nicht, wodurchich es verdient habe, von Eurer Hoheit mit solcherGnade und Auszeichnung behandelt zu werden?”

Ein leises und übermütiges Lächeln umspielteihren schönen Mund, dann meinte sie: „Danken Siemir nicht zu früh, Herr von Köttendorf, und glaubenSie vor allen Dingen nicht, daß nur der Edelmutallein mich gerade Sie zum Vortänzer erwählen ließ.Dahinter steckt auch ein guter Teil Egoismus, daswerden Sie im Laufe des Winters schon noch er-

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fahren und im Zusammenhang damit harrt Ihrereine Aufgabe, die nach meiner Ansicht nur Sie durch-führen können.”

War es Zufall oder Absicht, daß die Prinzessin indiesem Moment den Blick zur Seite wandte? IhreAugen suchten anscheinend ihre Freundin, Ursula vonRengwitz, wenigstens bemerkte Hans Joachim jetzt,wie die Prinzessin der Freundin zunickte, als gäbesie ihr dadurch ein Zeichen, daß ihr Plan gelungensei und daß Hans Joachim bliebe.

Dem fuhr unwillkürlich ein mordsmäßiger Schreckenin die Glieder. Sollte er deshalb Vortänzer werden,um dadurch Gelegenheit zu finden, öfter als bishermit Ursula zusammenzutreffen? Gab die immerdie Hoffnung noch nicht auf, daß er sich ernsthaft insie verlieben möge und hatte die sich hinter die Prin-zessin gesteckt, um es durchzusetzen, daß er in der Gar-nison bliebe? Das durfte nicht sein, um d e n Preisdurfte er sich sein neues Amt nicht erkaufen, er warnicht der Mann, eine Zuneigung zu erheucheln,die er in Wirklichkeit nicht empfand. Er war eine zuoffene und ehrliche Natur, um es nicht gleich vonAnfang offen einzugestehen: „Ich kann die Erwar-tungen, die man an mich knüpft, nicht erfüllen.”

Aber wie sollte er das der Prinzessin erklären,ohne sie zu erzürnen? Da kam sie ihm selbst zu Hilfe,lachend und übermütig: „Machen Sie doch nicht einso entsetztes Gesicht, Herr von Köttendorf, Sie brauchendas Zeichen des Einvernehmens, das ich eben mit

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Fräulein Ursula tauschte, nicht falsch zu deuten. Diehat sich schon längst darein gefunden, daß Sie einSchmetterling sind, der von einer Mädchenblume zuranderen flattert, der an jedem Herzenskelch nur so-lange nippt, wie es ihm gerade Spaß macht und derdann wieder von dannen fliegt. Ich gab Ursula nurein Zeichen, daß Sie meine Bitte erfüllt haben undhier bleiben. Die Aufgabe, die Ihrer harrt, hat mitUrsula nicht das geringste zu tun, wohl aber mit mirund Ihrer Exzellenz, der Frau Oberhofmeisterin.”Und so leise, daß er sich Mühe geben mußte, sie zuverstehen, fuhr sie flüsternd fort: „Sie müssen dieOberhofmeisterin vom Hofe weggraueln, ich habemeine Gründe dafür, die ich Ihnen ein anderes Malausführlicher erkläre. Es hängt damit zusammen, daßsie mich verheiraten will, trotzdem sie dadurch ihreStellung verliert. Ich brauche einen treuen Freundam Hofe, auf dessen absolute Verschwiegenheit undauf dessen Hilfe ich mich jederzeit verlassen kann undnicht wahr, Herr von Köttendorf, dieser Freundwerden Sie mir sein?”

„Das schwöre ich Eurer Hoheit bei allem, wasmit heilig und unheilig ist,” gab er ebenso leise zurAntwort und die Prinzessin dankte ihm mit einemBlick, der seine Sinne vollständig gefangen nahm, derihn noch mehr verwirrte, als der ihm gewordene Auf-trag, die allmächtige Oberhofmeisterin hinauszu-graueln, und als die Nachricht, daß man die Absichthabe, die Prinzessin zu verheiraten.

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II.

Die Hofgesellschaft befand sich immer noch in derallergrößte Erregung, obgleich seit dem Ball im Re-sidenzschloß nun schon acht Tage verstrichen waren.Was Hans Joachim ihnen damals, wie er behauptete,nur im Scherz und im Übermut zugerufen hatte:„Meine Herren und Damen, Sie irren sich, der neueVortänzer bei Hofe heißt Hans Joachim von Kötten-dorf,” war Tatsache geworden. Bei dem Souper,das den Tanz für eine kurze Stunde unterbrach, hatteSeine Hoheit sich erhoben und den Leutnant Hansvon Köttendorf im Namen und im Auftrage seinerTochter zum Vortänzer ernannt, ja, er hatte sogarein dreifaches Hoch auf diesen ausgebracht.

Hans Joachim war also wirklich Vortänzer ge-worden! Kein Mensch glaubte mehr daran, daß erdas nicht im voraus gewußt hatte, daß seine Wortenur ein Scherz gewesen waren.

Aber wie hatte er das wissen können und wie kamdie Prinzessin dazu, gerade ihn zu erwählen? Da-hinter steckte ein Geheimnis, das ein Jeder und eine

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Jede gar zu gern gewußt hätten. Soviel stand für allefest, irgend etwas stimmte da nicht, das bewies jaauch schon die lange Unterhaltung, die die beiden andem Ballabend führten. Beinahe zwanzig Minutenhatten sie miteinander getuschelt und wenn SeineHoheit nicht endlich ungeduldig geworden wäre undverlangt hätte, daß der Tanz beginne, damit er sichzu seiner Whistpartie begeben könne, dann ständendie beiden womöglich heute noch im Gespräch zu-sammen.

Auf d e n Ausgang des Abends war niemand vor-bereitet gewesen, aber mit der Tatsache selbst, daß dieWahl auf Hans Joachim gefallen war, fand man sichtrotzdem schnell ab. Die Hofgesellschaft ist ja nun ein-mal daran gewöhnt, keinen eigenen Willen und keineeigene Meinung zu haben. Was der Hof tut, das istwohlgetan und man denkt und urteilt so, wie dieHöchsten Herrschaften urteilen.

Und wenn man sich das Wieso und Warum auch nichtzu erklären vermochte, es gab trotzdem niemanden,der Hans Joachim die ihm widerfahrene Auszeichnungmißgönnte, schon deshalb nicht, weil Seine Hoheitoder die Prinzessin davon erfahren konnten und weilder Mißgünstige dann in der Gefahr schwebte, inUngnade zu fallen. Ja, noch mehr, man gönnte ihmsein neues Amt wirklich und man kam zu der Erkennt-nis, daß man zu Beginn des Ballabends im Schlosseeigentlich recht wenig freundlich gegen ihn gewesenwar, ohne daß dazu eine besondere Veranlassung vor-

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gelegen hätte. Was ging es sie an, ob er Schuldenhatte oder nicht? Die waren ja nun auf Heller undPfennig bezahlt, denn soviel wußten alle, daß HansJoachim seinem Oberst ehrenwörtlich erklärt hatte,wissentlich keinem Menschen auf der Welt auch nurnoch einen Heller zu schulden. Und man wußte auch,daß der Herr Oberst seinem Leutnant beinahe zärtlichauf die Schulter geklopft und ihm gesagt hatte: „Sieglauben ja gar nicht, wie ich mich freue, daß ich esnun nicht mehr nötig habe, Sie zur Strafversetzungeinzugeben.”

Ja, Hans Joachims Schulden waren bezahlt, aberes hätte des Redens kein Ende gegeben, wenn mangewußt hätte, wer die Schulden bezahlt hatte. Dashatte niemand anderes getan, als Seine Hoheit, derregierende Herzog. Der sandte am Mittag nach demBallabend seinen persönlichen Adjutanten in die Woh-nung von Hans Joachim und der hielt ihm im HöchstenAuftrage eine längere Rede: Seine Hoheit sei vonder mißlichen Finanzlage des neuernannten Vor-tänzers unterrichtet. Er wünsche nicht, daß der HerrOberst in die unangenehme Lage käme, von der Straf-versetzung absehen zu müssen und zwar lediglich mitRücksicht auf den Hof und ebenso wenig wünsche SeineHoheit, daß der eben neuernannte Vortänzer schonnach wenigen Tagen sein Amt wieder niederlegenmüsse. Auch wünsche Seine Hoheit nicht, daß HansJoachim nun etwa bei seinen reichen Verwandtenbetteln ginge, schon damit diese nicht etwa sagten:

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Wenn Seine Hoheit es erlaubt, daß du Vortänzerwirst, dann muß der auch dafür sorgen, daß du finan-ziell in der Lage bist, deine Stellung zu behalten.

Aus diesen und aus mancherlei anderen Gründenhabe Seine Hoheit, wie er ganz besonders betonenlasse, aus Allereigenster Entschließung, ohne vorher mitirgend jemandem, am allerwenigsten mit der Prin-zessin Rena darüber gesprochen zu haben, sich ent-schlossen, die Schulden zu bezahlen, und im außer-dem einen weiteren Betrag von fünftausend Markaus seiner Privatschatulle zur Verfügung gestellt, da-mit er, Hans Joachim, imstande sei, während derDauer seines Amntes auch nach außen hin repräsen-tieren zu können. Sein Hoheit stelle bei diesemGnadenbeweis nur die Bedingung, daß Hans Joa-chim sich ehrenwörtlich verpflichten müsse, nie wiederSchulden zu machen und gegen keinen Menschenetwas davon zu verraten, daß Seine Hoheit ihm ge-holfen habe. Schließlich erwarte Seine Hoheit, daßHans Joachim ihm weder mündlich noch schriftlichdanke und überhaupt so täte, als wenn Seine Hoheitdie Schulden gar nicht bezahlt habe.

Und nachdem der persönliche Adjutant seine langeund etwas umständliche Rede gehalten, hatte er indie Brusttasche gegriffen, ein Kuvert herausgeholt unddiesem fünfzehn neue Tausendmarkscheine entnommen,um sie Hans Joachim einzuhändigen.

Der saß da und starrte das Geld an, ohne zu wissen,ob er wache oder träume. Daß ihm von dieser Seite

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Rettung kommen würde, daran hatte er nie gedachtund wenn er die Verwandten bisher noch nicht tele-graphisch abermals um Hilfe gebeten hatte, so lagdas lediglich daran, daß er in den letzten Tagen dienst-lich allzusehr beschäftigt gewesen war und weil er nochkeine Zeit gefunden hatte, sich abermals an die Ver-wandten zu wenden.

Er starrte und starrte fortwährend das Geld an undimmer wieder drängte sich ihm die Frage auf: Weißdie Prinzessin Rena wirklich nichts davon?

Fragend sah er den Adjutanten an, die Worteselbst wollten ihm nicht über die Lippen, es war ihmpeinlich, die Vermutung aussprechen zu müssen, daßvielleicht doch die Prinzessin ― ― ― ―

Aber der Adjutant verstand seine stumme Fragefalsch und so meinte er denn: „Sie tragen Bedenken,das Geld anzunehmen? Lieber Freund, Seine Hoheitkann sich das leisten, vergessen Sie nicht, daß er nochimmer einer unserer reichsten Fürsten ist, obgleich derErbherzog in Berlin sich ja alle erdenkbare Mühe gibt,das Vermögen klein zu machen. Diese paar tausendMark sind für ihn nicht einmal eine Bagatelle undglauben Sie mir, Sie sind nicht der Erste, dem SeineHoheit in aller Diskretion hilft. Ich könnte Ihnenganz andere Namen nennen, als den Ihrigen, wennich nicht zum Schweigen verpflichtet wäre. NehmenSie das Geld nur ruhig, denn ich kann Seiner Hoheitdoch unmöglich melden, Sie wären zu stolz oder zubescheiden, um einen Beweis seiner Huld anzunehmen.”

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Das leuchtete Hans Joachim denn schließlich ein,so nahm er das Geld an, steckte die fünftausend MarkRepräsentationsgelder in eine alte Brieftasche und trugdie anderen zehntausend Mark sofort zur Post, umbei seinen auswärtigen Gläubigern und Lieferantenalles bis auf den letzten Heller zu bezahlen.

Und als er dann eines Tages die überzähligen fünf-tausend Mark Repräsentationsgelder, damit sie ihmnicht vielleicht gestohlen würden, auf der Bank depo-nierte und sich dort ein Konto eröffnen ließ, kam ersich vor wie ein indischer Nabob.

So viel Geld hatte er in seinem ganzen Leben nochnicht besessen, aber dann kam er doch wieder zu derErkenntnis, daß das Geld nicht dazu da sei, um auf-bewahrt, sondern um ausgegeben zu werden. Sohatte er denn heute Nachmittag zu einer gewaltigenSektbowle in das Kasino geladen. Es war ein alterBrauch, daß ein neuernannter Vortänzer etwas zumbesten gab und Hans Joachim fügte sich dem gern.

So versammelte sich denn am späten Nachmittagzu der üblichen Essensstunde das ganze Offizierskorpsim Kasino und selbst der Herr Oberst war erschienen,obgleich der eigentlich gar keine Ursache hatte, froheFeste zu feiern. Wenigstens sagte er das selbst, denner hatte die betrübliche Nachricht erhalten, daß seineTante von einem sehr bedauerlichen Unglücksfall be-troffen war. Bei dem Passieren einer sehr lebhaftenStraße war sie von einem Automobil erfaßt und zuBoden geschleudert worden. Die alte Dame hatte so

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schwere Verletzungen erlitten, daß es sehr, sehr schlechtum sie stand, aber noch konnte man ja glücklicherweisehoffen. (Daß die alte Tante seine sehr reiche Erbtantewar und daß er schon lange ihren Tod erhoffte, ver-schwieg der Herr Oberst.)

Der Herr Oberst schien wirklich bekümmert, aberer war trotzdem gekommen, um in höchsteigener Personden Toast auf Hans Joachim auszubringen und umnochmals seiner Freude darüber Ausdruck zu geben,daß der dem Regiment sogar unter so ehrenden Um-ständen erhalten blieb. Und als nach Beendigungdes offiziellen Mahles die Cigarren herumgereichtwurden, ohne daß man deshalb aufgehört hätte, weiterder Bowle zuzusprechen, da zog der Herr Oberstseinen Leutnant sogar in ein langes, privates Ge-spräch und aus diesem erfuhr Hans Joachim, daß nichtnur der Herr Oberst selbst, sondern auch dessen Damenaufrichtig erfreut darüber wären, daß er nun in derGarnison blieb. Namentlich Fräulein Christiane seimehr als glücklich, die habe überhaupt immer zu ihmgehalten, und in humoristischer Weise schilderte derHerr Oberst, wie seine Tochter ihm die heftigsten Vor-würfe gemacht hätte, weil er so streng und so unerbitt-lich gegen Hans Joachim vorgegangen wäre.

Hans Joachim hörte diesem Geständnis mit etwassehr gemischten Gefühlen zu. Er hatte so die Emp-findung, als ob ihm Fräulein Christiane etwas allzudeutlich angeboten würde, denn was der Oberst ihmda sagte, hieß doch mit anderen Worten: „Meine

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Christiane ist in dich verliebt und wenn du willst,kannst du sie jeden Tag heiraten, vorausgesetzt natür-lich, daß unsere Hoffnungen sich erfüllen und das diealte Tante sich von ihrem Automobilunfall nicht wiedererholt.”

So war er denn froh, als der Oberst endlich Sehn-sucht nach einem Skat verspürte und sich nebenan denSpieltisch zurechtmachen ließ. Nachdem er ein paarStabsoffiziere zur Teilnahme aufgefordert hatte.

Hans Joachim fand nun Zeit, sich wieder um seineanderen Gäste zu kümmern, als ihn plötzlich sein Haupt-mann mit Beschlag belegte. Der war keine allzugroße Leuchte vor dem Herrn, aber ein durchaus vor-nehmer und anständiger Charakter und er lebte jetzt,wie er Hans Joachim mit etwas weinerlicher Stimmegestand, in der beständigen Furcht, Hans Joachimmöchte durch seine Vortänzerei mit der Zeit so inAnspruch genommen werden, daß er für den Front-dienst kaum noch abkömmlich sei: „Und dann habeich nur noch den Lützow auf der Kompagnie. Gottsoll den schützen, er ist ein lieber Kerl, aber von Diensthat er keine Ahnung. Na, nur ein Glück, daß Siewenigstens noch morgen Vormittag die Bataillons-übungen mitmachen, denn wenn ich da mit demLützow allein in die Schlacht ziehen sollte, würde ichsicher abgeschlachtet werden. Na, trinken wir maldarauf, daß Ihr neuer Dienst Sie nur des Abendsnicht aber auch am Tage in Anspruch nimmt.”

Das geschah denn auch, aber kaum hatte Hans

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Joachim sein Glas wieder hingestellt, als eine Or-donnanz ihm einen Brief überbrachte, der die Auf-schrift trug: „Sofort anzugeben!” Verwundert be-trachtete Hans Joachim die Damenhandschrift. Werkonnte ihm etwas so Wichtiges mitzuteilen haben, daßman ihm den Brief hierher schickte?

Neugierig öffnete er das Kuvert, nachdem er sichdeswegen bei seinem Hauptmann entschuldigt hatte,dann las er:

„Sehr geehrter Herr Leutnant!Ihre Hoheit, die Prinzessin Rena, läßt Sie bitten,

Ihre Hoheit morgen Vormittag auf dem Spazier-ritt zu begleiten, da Ihre Hoheit verschiedenes mitIhnen zu besprechen wünschen. Wir reiten präziseneuen Uhr vom Marstall ab. Der Oberstallmeisterist angewiesen, ein Pferd für Sie bereit zu halten.

Im Auftrage Ihrer HoheitUrsula von Rengwitz.

Hofdame.”„Wenn der Brief etwas Gutes für mich enthält,

will ich mich totschlagen lassen,” erklang da die Stimmeseines Hauptmannes. „Ich sehe es ja an der Kroneauf dem Kuvert, der Brief kommt vom Hofe. SollenSie dort plötzlich erscheinen? Das wäre ein Jammer,denn die Bowle ist glänzend, die ist würdig, die ganzeNacht hindurch getrunken zu werden.”

„Dem steht auch nichts im Wege,” gab Hans Joa-chim zur Antwort, „nur, daß es mir nun leider dochnicht möglich sein wird, morgen an der Übung teil-

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zunehmen. Ihre Hoheit befiehlt, daß ich sie morgenfrüh auf dem Spazierritt begleite, richtiger gesagt,sie läßt mich darum bitten, aber eine solche Bitte ent-spricht ja einem Befehl.”

Der Hauptmann saß eine ganze Weile wie einHaufen Unglück da, dann meinte er endlich: „So istes recht, das habe ich mir schon längst gewünscht. DerSatan soll die Vortänzerei holen. Als wenn es nichtauch ohne dem ginge ! Meinetwegen brauchte esüberhaupt keine Hofbälle zu geben.” Und dann setzteer endlich knurrend und brummend hinzu: „Natürlichgeht der Dienst bei Hofe vor, da muß ich morgensehen, w i e ich ohne Sie in den Wurstkessl komme.D a ß ich hineinkomme, ist totensicher. Wenn Siemir aber einen Gefallen tun wollen, dann sorgen Siewenigstens dafür, daß der gute Lützow sich nicht be-trinkt, denn wenn der morgen auch noch einen Katerhat, dann ist es ganz aus mit seinen Kenntnissen.”

„Ich will mich sofort nach ihm umsehen und ihnzur Tugend und Mäßigkeit ermahnen,” versprach HansJoahim, aber als er dann auf Lützow zutrat, sah eres auf den ersten Blick, er kam zu spät. Der guteLützow, ein noch junger Leutnant von zweiundzwanzigJahren, zeigte deutliche Spuren größter Trunkenheitund als Hans Joachim ihn jetzt bat, nur noch Selter-wasser zu trinken, damit er morgen seinem Hauptmannkeine Unannehmlichkeiten bereite, lachte der andereübermütig auf: „Der Hauptmann soll mich morgenfrüh gern haben. Wie soll ich dazu kommen, seinet-

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wegen nur noch Selterwasser zu trinken, um mir einekohlensaure Vergiftung zuzuziehen? Ich trinke weiter,bis noch etwas da ist, und ich hoffe bei allen Göttern,daß noch recht lange was da ist.”

Hans Joachim sah ein, hier war nichts mehr zuwollen, trotzdem aber hätte er es noch weiter versucht,den Kameraden zur Vernunft zu bringen, wenn seineAugen nicht plötzlich mit immer größer werdendemErstaunen bemerkt hätten, daß ein anderer noch vielbetrunkener war als Lützow, noch dazu einer, vondem er es niemals erwartet hätte. Das war Scharfen-berg, der sonst stets Nüchterne und Solide.

Unwillkürlich trat Hans Joachim auf ihn zu undfragte ihn mit den Worten des Dichters: „Auch du,mein Sohn Brutus?”

„Sogar feste,” gab der zur Antwort, während erHans Joachim mit ganz verglasten Augen ansah undsich mit beiden Händen auf eine Stuhllehne stützte,um wenigstens nach außen hin seine Haltung zu be-wahren. „Sogar feste,” wiederholte er noch einmalund dann setzte er hinzu: „Wenn mich meine Augennicht täuschen, dann bist du Hans Joachim und damuß ich dir im Vertrauen auf deine Verschwiegenheitmitteilen: Du bist ein Schweinehund, aber ein Schweine-hund, mit dem ich endlich Brüderschaft trinken muß.Aber ein Schweinehund bleibst du doch, denn du bistganz allein daran schuld, daß ich sternhagel besoffen bin.”

Hans Joachim dachte natürlich nicht daran, dieWorte des Kameraden irgendwie übelzunehmen,

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im Gegenteil, er lachte hell auf, dann aber meinteer: „Sie sind ein Gemütsmensch, Scharfenberg, ichkann doch nichts dafür, daß Sie sich die Nase betimpelthaben.”

Aber der andere widersprach: „Mein morgigerKater komme auf dein Haupt.” Und dann bat erplötzlich: „Hans Joachim, sieh dich mal um, ob unsauch niemand zuhört, denn ich muß dir ein Geständnismachen, bevor ich noch besoffener werde und vorallen Dingen, ehe ich wieder nüchtern bin. Also wieist es, hört uns niemand zu?”

Über diesen Punkt konnte Hans Joachim den Kame-raden vollständig beruhigen. Die andern saßen oderstanden in Gruppen beisammen, jeder hatte genugmit sich und seiner eigenen Bezechtheit zu tun undzum Überfluß machte die in einem Nebenzimmerplazierte Regimentsmusik einen solchen Radau, daßman kaum sein eigenes Wort verstand. Scharfenbergkonnte also ruhig beichten.

Und der beichtete, wenn auch mit Pausen, mitvielen Wiederholungen und mit großer Umständlich-keit: „Höre mich an, Hans Joachim ― ich will es dirnur eingestehen ― ich bin der beste Bruder auch nicht.Du hättet mich nur in meiner alten Garnison sehensollen, ich kann dir sagen ― ich war ein Draufgänger,wie kein zweiter und ich kam mit der festen Absichthierher, genau so weiter zu leben, wie früher. Bisdann ein Wunder geschah, bis ich das Weib kennenlernte, das einen Tugendbold aus mir machte, weil

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ich mir sagte, nur dadurch kannst du sie gewinnen.Ich habe Euch Allen Komödie vorgespielt ― ich habegegen meine Überzeugung und gegen meine Naturgelebt, ich wurde ein Mäßigkeitsapostel, damit keinMensch etwas Schlechtes von mir erzähle, damit ihr,der Herzenskönigin, nie etwas Böses über mich zuOhren käme. Im stillen habe ich um sie geworben,aber nun ist es aus ― denn seitdem du der Vortänzerbist, seitdem weiß ich, daß sie dich mir vorzieht, dahat es geschnappt. Was hat es da für einen Zweck,noch wieter tugendhaft zu bleiben? Und deshalbsage ich dir noch einmal: Du bist ein Schweinehund ―obgleich du ja eigentlich nichts dafür kannst, daß dumich um mein Lebensglück gebracht hast und daß ichheute Abend zum Säufer geworden bin. Denn ganzunter uns gesagt, Hans Joachim, ich habe heute ganzgottslästerlich gesoffen, immer eine Punschterrine nachder anderen. Wer kann da nüchtern bleiben? ―Aber das sage ich dir ― wenn mir die Vortänzereiin diesem Jahr auch entgangen ist, heiraten tue ichsie doch noch ― denn daß ich nie aufhören werde, siezu lieben ― ― ― ― ―”

„Das täte ich an deiner Stelle auch nicht,” meinteHans Joachim, über dieses krause und verworrene Ge-ständnis belustigt, bis er dann fragte: „Darf man auchwissen, wen du bis an dein Lebensende weiter liebenwirst und wer denn überhaupt dieses Götterweib ist?”

Der andere sah Hans Joachim abermals ganz ver-glast an: „Sag mal, Hans Joachim, ist in deinem

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Schädel auch nicht mehr alles ganz richtig? Bist duauch schon plein de vin? Es gibt auf der ganzen Weltdoch überhaupt nur ein Götterweib und das ist diePrinzessin Rena.”

„Verrückt bist du.”Das war alles, was Hans Joachim vor Erstaunen

zu sagen vermochte.„Vorläufig nur total betrunken,” verteidigte Schar-

fenberg sich, „aber auch wenn ich jemals wieder nüchternwerden sollte, werde ich dir erklären, ich liebe diePrinzessin und wenn ich Vortänzer geworden unddadurch in ihre Nähe gelangt wäre, hätte ich sie auchgeheiratet.”

Wieder lachte Hans Joachim hell auf, aber dasnahm der andere übel: „Lach nicht so dumm,” fuhr erden Kameraden an, „warum sollte ich die Prinzessinnicht heiraten? Weil ich kein Prinz bin? Oder weilsie eine Prinzessin ist? Quatsch ! Selbst regierendeFürsten haben schon Bürgerliche geheiratet und Prin-zessinnen schon ganz gewöhnliche Sterbliche. Wie sagtdoch der Dichter so wahr und so schön: Die Liebe, dieLiebe ist eine Himmelsmacht. Die überwindet alleHindernisse und wenn die Prinzessin mich näherkennen gelernt hätte, würde sie sich in mich verliebthaben, wie ich sie seit der ersten Minute liebe, in derich sie sah !”

Ganz wehmütig blickte Scharfenberg vor sich hin,aber trotzdem konnte Hans Joachim der Versuchungnicht widerstehen, den Kameraden etwas zu necken

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und so meinte er denn: „Es ist wahrhaftig ein Jammer,daß die Prinzessin dieses Geständnis deiner Liebeheute nicht aus deinem Munde hört. Wenn die dichjetzt so sehen könnte, mit verglasten Augen und dunkel-rot gefärbten Wangen, trunken, wie du bist, glaubemir, die würde auf der Stelle ihr Herz an dich ver-lieren.”

Der andere mußte in seiner verzweifelten Stim-mung gar nicht ordentlich hingehört haben, er hatteanscheinend nur die letzten Worte verstanden, denner rief jetzt: „Nicht wahr, sie würde mich wieder-lieben? Und sie muß mich auch wiederlieben, dennich habe das Leben als Junggeselle satt. Ich willheiraten und entweder heirate ich die Prinzessin,oder ― ― ― ―”

„Keine,” wollte er sagen, aber noch bevor er dazukam, den Satz zu vollenden, fiel Hans Joachim ihmschnell ins Wort und rief: „Oder Fräulein Christianevon Weitzendorf!”

Der andere machte ein ganz verdutztes Gesicht:„Wie soll ich denn dazu kommen? Die ist mir dochvollständig gleichgültig.”

„Gerade deshalb,” stimmte Hans Joachim ihm bei.„Die Leute, die sich aus Liebe heiraten, erleben meistensdie allergrößte Enttäuschung, aber je gleichgültigersie sich von Anfang an sind, desto glücklicher wer-den beide hinterher. Und außerdem wird FräuleinChristiane nächstens eine glänzende Partie.”

Scharfenberg versank in tiefes Nachdenken und

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Hans Joachim sandte inzwischen ein Gebet zumHimmel. „Hoffentlich beißt er an,” dachte er imstillen. Ihm persönlich war es natürlich ganz gleich-gültig, wen der Kamerad heiratete, ihm lag nur da-ran, daß Fräulein Christiane sich bald verlobte, damitdie endlich aufhörte, sich für ihn zu interessieren.

Scharfenberg dachte immer noch nahc. Völligregungslos, ganz in sich zusammengesunken saß er da,bis er dann plötzlich mit einem lauten Knall vomStuhl auf die Erde fiel und dort liegen blieb.

„Um Gotteswillen, der hat einen Herzschlag be-kommen,” dachte Hans Joachim, aber der Assistenzarzt,der sich unter den Gästen befand, beruhigte ihn sehrschnell: „Wenn er sich ordentlich ausgeschlafen hat,ist er wieder kreuzfidel, er ist lediglich betrunken.”

Das waren an diesem Abend die meisten, nurHans Joachim behielt einen völlig freien Kopf, abernicht aus Tugendhaftigkeit, sondern lediglich, weil erder Prinzessin morgen nicht mit einem Riesenkatergegenübertreten wollte.

Es war sehr spät geworden, als endlich die Letztenaus dem Kasino aufbrachen, aber nicht, um jetzt schonnach Hause zu gehen, sondern um erst ein Café auf-zusuchen. Nur Hans Joachim suchte sofort seine Woh-nung auf.

Als er am nächsten Morgen zum Schloß ging,führte ihn sein Weg bei der Wohnung Scharfenbergsvorbei. Er warf einen Blick auf seine Uhr. Er hattenoch reichlich Zeit, da konnte er der Versuchung nicht

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widerstehen, sich zu erkundigen, wie ihm der gestrigeAbend bekommen sei. Er stieg die Treppen in dieHöhe und klingelte an der Etagentür. DerBursche öffnete, aber mit einem Gesicht, das nichtsGutes verriet.

„Um Gotteswillen, ist der Herr Leutnant tot?”rief Hans Joachim ganz erschrocken.

Aber auch diesesmal wurde er darüber beruhigt:„Nein, Herr Leutnant, leben tut er noch. Heute Nachtum zwei haben sie ihn nach Hause gebracht, jetzt istes bald neun, um sechs Uhr hat der Herr Leutnantaufstehen sollen, drei Stunden wecke ich ihn nunschon, aber immer, wenn ich ihn eben wach habe,wirft er mir was an den Kopf und schläft gleich wiederein, und aussehen tut es bei dem Herrn Leutnant ― ―”Der Bursche hatte die Tür zum Schlafzimmer ge-öffnet und Hans Joachim betrachtete das dort herr-schende Chaos. Was es nur immer gab, lag auf derErde herum: Die Uniform, das Hemd, das Unter-zeug, der Säbel und die Mütze, das Waschgeschirr,das er bei dem Zubettgehen heruntergerissen habenmochte, in tausend Scherben, daneben die Wasser-flasche und das Wasserglas. Unmittelbar neben derTür das Nachtgeschirr und der Stiefelknecht, die erbeide als Wurfgeschosse gebraucht hatte. Ja, sogarder Nachttisch war umgeworfen und es war ein wahresWunder, daß nicht auch Scharfenberg auf der Erde lag.

Und als erriete der Bursche seine Gedanken, sagteder plötzlich: „Viermal ist der Herr Leutnant heute

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Nacht aus dem Bett gefallen und hat immer geschrieen,die Titanic ginge unter. Und wenn ich ihn dannwieder ins Bett gebracht hatte, hat er geflucht, erwolle nicht wieder auf das Schiff, er sei froh, daß ernicht mehr an Bord wäre. Und dann muß er Karussellgefahren sein, er hat sich im Bett immer rundumgedreht, bis er dann wieder draußen lag. Na, michsolls nur wundern, wenn der Herr Leutnant wiederlebendig wird. Aber wenn ich drei Tage Arrest be-komme, weil ich den Herrn Leutnant nicht geweckthabe, verdient habe ich die Strafe nicht, ich weckeihn in einem fort.”

Und wie ein Wilder stürzte er plötzlich auf seinenLeutnant zu, packte den mit seinen kräftigen, musku-lösen Armen und rüttelte und schüttelte ihn wie ver-rückt, bis er dann mit einemmale einen derartigenFußtritt vor den Leib erhielt, daß er krachend gegendie Wand flog und von da auf die Erde.

„So geht das nun schon seit drei Stunden, HerrLeutnant,” stöhnte der Bursche, während er wiederaufstand, „ich glaube, mein Leib ist schon ganz blau.Nur ein wahres Glück, daß der Herr Leutnant keineStiefel anhat, sonst hätte ich schon längst 'nen Bruchbekommen. Mit den nackten Füßen geht es ja noch,aber weh tut es schließlich auch.”

„Dann lassen Sie den Herrn Leutnant doch ruhigschlafen,” meinte Hans Joachim. „Zum Dienst kanner ja doch nicht gehen. Sie brauchen keine Angst zuhaben, ich werde Ihrem Herrn Hauptmann schon er-

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zählen, daß Sie nichts unversucht ließen, um IhrenHerrn wach zu bekommen. Ich verbürge mich dafür,daß Sie keine Strafe erhalten.”

Der Bursche machte ein ganz glückstrahlendes Ge-sicht: „Ich danke auch schön, Herr Leutnant, dannkann mein Leutnant meinetwegen bis morgen frühweiterschlafen, dann will ich mit der Weckerei nuraufhören, viel Zweck hat sie ja doch nicht, denn wennich noch lange so weiterwecke, bricht sich der HerrLeutnant womöglich an mir noch die Füße.”

Gleich darauf machte Hans Joachim sich wiederauf den Weg und wenn er auch länger bei dem Kame-raden gewesen war, als er ursprünglich gewollt hatte,so kam er trotzdem noch zur rechten Zeit bei demMarstall an.

Von den Höchsten Herrschaften war noch niemandzu sehen, wohl aber standen schon die Reitpferde ge-sattelt da und der Oberstallmeister, ein früherer Ritt-meister von den Husaren, musterte gerade nochmalsprüfend das Saumzeug der Reitpferde, als HansJoachim auf ihn zutrat, um ihn zu begrüßen.

„Ich habe für Sie diesen Falben da bestimmt,”Meinte der Oberstallmeister, auf ein sehr schönes Tierdeutend, „ich kenne Ihre Reitkünste zwar nicht, aberdafür, daß Sie von diesem Gaul nicht herunterfallen,möchte ich mich verpflichten. Der Falbe ist zahm,wie ein abgerichteter Kanarienvogel.”

„Ich wäre auch auf einem richtigen Pferd sitzengeblieben,” gab Hans Joachim zur Antwort, der vor

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der Prinzessin und überhaupt vor dem Hofe gerneetwas mit seinen Reitkünsten brilliert hätte, dannaber fragte er:„Nun sagen Sie mir nur, Herr Ober-stallmeister, wer reitet denn eigentlich heute morgenalles?”

„Nur die Höchsten Herrschaften.”

Unwillkürlich machte Hans Joachim ein etwasdummes Gesicht. Die Höchsten Herrschaften warenzwei Personen, und nicht weniger als zwölf Reit-pferde wurden von den Reitknechten bereit gehalten.

„Da hat es unsereiner doch einfacher, wenn manmal spazieren reiten will,” dachte Hans Joachim, „daläßt man sich seinen Gaul satteln, klemmt sich auf dasTier rauf, klemmt sich später wieder runter und jagtden Gaul in den Stall zurück. Vorausgesetzt natürlich,daß man einen hat, einen Stall und einen Gaul.”

Und wie es kam, wußte er selbst nicht, aber zumerstenmal in seinem Leben kam so etwas wie Neidüber ihn. Er sah auf die zwölf schönen Pferde,alles edle, vornehme Tiere, entweder englischesHalbblut oder Trakehner. Er sah auch die Reit-knechte in ihren zwar einfachen, aber gerade des-halb vornehmen Livreen. Er blickte in die Remisen,deren Türen offen standen, sodaß er die dort auf-gestellten Wagen aller Art sehen konnte, und er wurdeden Gedanken nicht los: Gut haben es die Fürstendieser Welt doch und es wäre gar nicht so dumm,wenn man als Fürst auf die Welt gekommen wäre,

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oder wenn man wenigstens der Schwiegersohn einessolchen Fürsten würde.

An diesem unsinnigen Gedanken war natürlichnur der Scharfenberg schuld. Unwillkürlich mußteHans Joachim vor sich hin lachen, als er an dessengestriges Liebesgeständnis zurückdachte und als er ihnnun plötzlich wieder im Geiste in seinem Bett liegensah, mehr tot als lebendig, ein würdiger Freier füreine Prinzessin !

Der leise Ruf: „Achtung!”, den der Oberstall-meister den Reitknechten zurief, ließ ihn aufblicken undebenso wie die anderen eine stramme Haltung ein-nehmen. Die Höchsten Herrschaften hatten das Schloßverlassen und schritten nun über den Schloßplatz hin-weg auf den am linken äußeren Ende des Platzes ge-legenen Marstall zu. Voran Seine Hoheit in der Uni-form seines Kavallerieregimentes, neben dem Fürstensein Flügeladjutant, hinter ihm die Prinzessin Renamit der Hofdame und dem Adjutanten vom Dienst.Der Vortritt fehlte, den gab es erst wieder, als dieHöchsten Herrschaften zu Pferde gestiegen waren.Voran ritten zwei Reitknechte, dann kam der Ober-stallmeister mit dem Leibknecht Seiner Hoheit, hinterdiesem Seine Hoheit mit seinem Adjutanten, danndie Prinzessin Rena mit dem Adjutanten vom Dienst,hinter diesen Hans Joachim mit der Hofdame, FräuleinUrsula, und zum Schluß kamen dann nochmals zweiReitknechte.

In dieser Ordnung war man fortgeritten und es

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schien, daß die auch beibehalten werden sollte, sodaßHans Joachim, der sich bisher mit Fräulein Ursulaüber lauter gleichgültige Dinge unterhalten hatte, dieseplötzlich fragte: „Aber ich dachte, gnädiges Fräulein,Ihre Hoheit hätte mich zu dem Spazierritt befohlen,weil sie allerlei mit mir besprechen wollte?”

Die Frage klang etwas mißmutig. Er war aufeine freundlichere Begrüßung seitens der Prinzessingefaßt gewesen. Nicht einmal die Hand hatte sie ihmgegeben, ja, nicht einmal ein, wenn auch noch so flüch-tiges Wort an ihn gerichtet, sondern hatte ihm lediglichzugenickt. Gewiß, für eine Prinzessin war das schonviel, aber er hatte trotzdem doch mehr erwartet undsich besonders darauf gefreut, neben der Prinzessinzu reiten. Aber nicht ihn, sondern den Adjutantenvom Dienst hatte sie an ihre Seite befohlen.

„Und wenn die Prinzessin mich nun für heute zuihrer Stellvertreterin ernannt hätte?” fragte FräuleinUrsula, „wenn ich nun beauftragt wäre, Ihnen mit-zuteilen, was die Prinzessin Ihnen sagen wollte?”Und dann setzte sei lächelnd hinzu: „Wenn Sie erst amHofe heimischer geworden sind, werden Sie sehen, daßdie Höchsten Herrschaften das wenigste selbst tun. Wieich gestern Abend für die Prinzessin an Sie schreibenmußte, so muß ich heute mit Ihnen im Namender Prinzessin sprechen.”

„Sehr schön,” meinte Hans Joachim, „aber ge-statten Sie mir eine Frage: Wie ist denn das nunbei Hofe, wenn die Prinzessin sich einmal verlieben,

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verloben und verheiraten sollte? Verliebt sich da diePrinzessin selbst, oder müssen Sie, gnädiges Fräulein,das auch für sie besorgen?”

„Führen Sie nicht so spöttische Reden,” schalt Fräu-lei Ursula von Rengwitz, „wenn man die hörte ― ―es wäre überhaupt besser, wir sprächen mit Rücksichtauf die hinter uns folgenden Reitknechte französisch.”

„Kann es nicht auch englisch sein?”bat Hans Joa-chim. „Da kann ich mit leidlich guten Kenntnissen auf-warten, aber mein Französisch ist gleich Null KommaNull. Da kann ich eigentlich nur noch die Worte:Que je vous aime, das muß ich gestehen.”

Aber kaum hatte er das gesagt, da bekam er einenmordsmäßigen Schrecken. Hoffentlich nahm FräuleinUrsula diese Worte nicht ernsthaft. Was hatte ernötig, der gegenüber, wenn auch nur im Scherz, dasWort Liebe in den Mund zu nehmen, und so meinteer denn jetzt: „Pardon, gnädiges Fräulein, wenn icheben sagte, que je vous aime, daß ich Sie liebe, sowollte ich natürlich sagen ― ― ― ― ― ―”

„Daß Sie mich nicht lieben,” fiel sie ihm belustigtins Wort, „ein anderes Geständnis dürfte ich auchgar nicht von Ihnen anhören, denn Sie dürfen nichtvergessen, ich bin heute die Vertreterin der Prin-zessin; was Sie mir sagen, sagen Sie der.”

„Dann tun Sie mir die einzigste Liebe, gnädigesFräulein, und berichten Sie Ihrer Hoheit nicht wieder,was ich zuletzt sagte, denn wenn die erfährt, daß ichsie nicht liebe, was übrigens keineswegs den Tatsachen

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entspricht, dann würde sie mir ebenso böse sein, alswenn sie hörte, d a ß ich sie liebe, was übrigens eben-falls keineswegs den Tatsachen entspricht.”

Fräulein Ursula lachte fröhlich auf, dann meintesie: „Da bin ich ja über Ihre Herzensgefühle derPrinzessin gegenüber sehr genau unterrichtet undwenn die mich vielleicht einmal fragen sollte, wieSie über sie denken, kann ich darauf die genauesteAuskunft geben. Vorläufig aber begehrt die Prin-zessin etwas anderes von Ihnen zu wissen: HabenSie schon darüber nachgedacht, wie Sie die Frau Ober-hofmeisterin stürzen können?”

Nun war es für ihn doch ein Glück, daß er aufeinem zahmen vierbeinigen Kanareinvogel saß undnicht auf einem mehr oder weniger temperament-vollen Vollblüter, denn die Frage kam ihm so über-raschend, daß er vor Entsetzen beinahe aus dem Sattelgerutscht wäre. Ganz fassungslos starrte er die Hof-dame an, die sich im stillen köstlich darüber amüsierte,dann meinte er endlich: „Gnädiges Fräulein, IhreHoheit scheinen mich für einen Magier zu halten, dermit geheimnisvollen Kräften ausgestattet ist. Ichkann doch nicht hexen, und ich habe bisher als Vor-tänzer schon so rasend viel zu tun gehabt, daß ichnoch gar nicht zum Nachdenken gekommen bin. Ja-wohl, gnädiges Fräulein, Sie brauchen gar nicht zulachen, ich habe wirklich sehr viel zu tun gehabt. Zu-nächst habe ich meine Schulden bezahlt.”

„War denn das so schwer?” neckte sie ihn.

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Für einen Augenblick wurde er verwirrt. War dieFrage wirklich ganz harmlos, oder wußte sie, von wemer das Geld hatte? Aber diese Gedanken verwarf erschnell wieder und gab zur Antwort: „Schulden zubezahlen ist immer schwer, gnädiges Fräulein, selbstwenn es einem noch so leicht gemacht wird. Alleinder Trennungsschmerz! Menschen sieht man manch-mal wieder, sogar meistens, das Geld n i e . Aber ichhabe nicht nur Rechnungen bezahlt, sondern mir so-gar ein Bankkonto angelegt. Wenn das mit der Tugendso weitergeht, bin ich in neunundneunzig Jahren eineglänzende Partei. Sie kennen doch auch das hübscheLustspiel „Goldfische”? Zu denen gehöre ich dannauch.”

„Dann beneide ich schon heute die Braut, die Sieheimführen werden.”

Er biß sich auf die Zunge. Nun sprach sie sogarschon vom Heiraten und gerade dieses Thema wollteer doch in ihrer Gegenwart vermeiden. So rief erdenn schnell: „Gnädiges Fräulein, ich bitte Sie! Inneunundneunzig Jahren bin ich doch schon ― ― erlauben Sie mal ― neunzig und zwanzig sind hundert-undzehn und sieben sind sieben ― ― nein, das kannman nicht im Kopfe ausrechnen, ich bin außerdemauch zu diskret, um mein Alter zu verraten. Ichweiß nur soviel, in neunundneunzig Jahren bin ichbald zweitausend, da mache ich einer ägyptischen MumieKonkurrenz und lasse mich mit Pergamentpapier be-kleben, damit ich nicht auseinanderfalle. Und um

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solchen Mumiengreis beneiden Sie meine zukünftigeBraut? Geschmacksache ! Ich nicht !” Und dem Ge-spräch rasch eine Wendung gebend, fuhr er fort:„Ich bin auch in anderer Weise nicht untätig ge-wesen. Ich habe mich bereits mit dem Balletmeisterdes Hoftheaters in Verbindung gesetzt, der wird mirdie hübschesten, ich meine natürlich die gewandtestenBalletmädchen aussuchen und mit denen werde ichunter seiner Oberaufsicht solange Tanzstunde nehmen,bis ich mein Amt als Vortänzer auch ausfüllen kann.Natürlich lasse ich mich von dem auch in alle anderenPflichten meines neuen Amtes einweihen.”

„Ja, das ist alles sehr gut und sehr schön,” stimmtesie ihm bei, „aber die Haupsache ist und bleibt doch,Ihre Exzellenz zu stürzen.”

Er stöhnte schwer auf: „Muß das denn gleich sein,hat's nicht noch Zeit? Bedenken Sie gnädiges Fräu-lein, selbst Rom ist nicht an einem Tage aufgebautworden, und es ist leichter, eine Stadt zu bauen undzu befestigen, als eine Oberhofmeisterin zu stürzen.Noch dazu die Gräfin Linkfuß. Die sitzt so fest, ichglaube, der kann man ruhig von ihrem Stuhl die Stuhl-beine absägen, die bleibt trotzdem ruhig sitzen, als wärenichts geschehen.” Und dann fragte er plötzlich: „Wennich nur wüßte, warum, die Exzellenz so schnell ver-schwinden soll?”

„Warum fragen Sie?” erkundigte sich Fräulein Ur-sula, um dann fortzufahren: „Sie wissen es ja,wenigstens hat die Prinzessin Ihnen gegenüber doch

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selbst Andeutungen gemacht und ich bin berechtigt,Ihnen nähere Auskunft zu geben. Der Hof erwartetin der nächsten Zeit den Besuch des Erbherzogs Ludwig.Aber er kommt nicht allein, er bringt einen intimstenFreund mit, den Fürsten von Letzingen, Sie kennenihn ja auch.”

„Natürlich kenne ich den,” rief Hans Joachim, „erwar ja schon zu wiederholten Malen bei uns im Kasino,wenn er mit dem Erbherzog hier zu Gaste war. Einbildhübscher, sehr liebenswürdiger Mensch, der außer-dem noch den Vorzug hat, unermeßlich reich zu sein.”

Wie vorhin er selbst, so stöhnte jetzt die Hof-dame unwillkürlich schwer auf, daß Hans Joachim sichbeeilte, sie zu beruhigen: „Na, weinen Sie nicht, gnä-diges Fräulein, ich glaube, der Fürst erwartet wegenseines Reichtums gar kein Mitleid, ich glaube sogar,er ist sehr froh darüber, daß er als armer Teufel nichtallabendlich gezwungen ist, das Nachtasyl für Obdach-lose aufzusuchen.”

„Gewiß,” stimmte sie ihm bei, „aber es wäre trotz-dem besser, wenn er nicht solche enorme Reichtümerbesäße. Im Vertrauen auf Ihre strengste Verschwie-genheit will ich es Ihnen verraten, der Erbherzogschuldet seinem Freund, dem Fürsten, sehr hohe Sum-men, die der Erbherzog brauchte, um seine Spiel-schulden zu bezahlen, denn mit solchen Sachen darfer seinem hohen Vater nicht mehr kommen, nachdemer dem regierenden Herzog zwar nicht sein Ehrenwort,

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aber doch das feste Versprechen gegeben hat, niemalswieder eine Karte anzurühren.”

„Warum läßt Seine Hoheit sich aber auch so etwasversprechen?” meinte Hans Joachim. „Es ist die alteGeschichte, die modernen Väter sind heutzutage oftviel leichtsinniger als die Söhne.”

„Bleiben Sie doch ernsthaft,” bat Fräulein Ursulaetwas ärgerlich, „die Sache ist wirklich nicht zum Lachen.Der Erbherzog kann natürlich, solange sein hoher Vaternoch lebt, nicht daran denken, dem Fürsten das Geldzurückzuzahlen. Der Fürst erwartet das auch gar nichtund aus Dankbarkeit hat der Erbherzog dem Fürstenversprochen, alles zu tun, was in seinen Kräften steht,damit die Prinzessin Rena den Fürsten heiratet. Ver-stehen Sie nun?”

„Dunkel,” gab Hans Joachim zur Antwort. „Aller-dings fange ich langsam an, zu begreifen. Die Prin-zessin soll den Fürsten heiraten und will anscheinendnicht, obgleich ich absolut nicht weiß, warum sie nichtwill. Ob der Fürst ihr ebenbürtig ist, kann ichallerdings nicht beurteilen, denn so genau weiß ichim Gothaer Hofkalender nicht Bescheid.”

„Der Fürst ist wenigstens beinahe ebenbürtig,” gabdie Hofdame zur Antwort, „das wäre an und für sichkein Hinderungsgrund, im allgemeinen hat die Prin-zessin an dem Fürsten auch nichts auszusetzen, aberSie werden begreifen, daß sie unter diesen Umständennicht daran denkt, ihm das Jawort zu geben. Sie istzu stolz, sich einem Mann zu vermählen, nur damit

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ihr Bruder, der Erbherzog, seine Schulden los wird.Es handelt sich doch um ein abgekartetes Spiel. DerFürst sagt: Ich streiche die Summe, die du mir schuldest,und der Erbherzog sagt: Ich gebe dir dafür meineSchwester. Daß die Prinzessin über diesen Vorschlagihres Bruders empört ist, können Sie sich doch wohldenken?”

„Das allerdings,” stimmte Hans Joachim aus vollsterÜberzeugung bei, „nur eins möchte ich noch wissen,was hat die Frau Oberhofmeisterin damit zu tun?”

„Die ist von dem Erbherzog für seine Pläne ge-wonnen worden,” erwiderte Fräulein Ursula, „we-nigstens vermuten wir das. Der Erbherzog muß ihrfür den Fall, daß sie seine Absicht unterstützt, einegroße Belohnung in Aussicht gestellt haben, denn dieGräfin ist nicht reich und hätte nach der Verheiratungder Prinzessin weiter nichts, als die nur sehr beschei-dene Pension. Wie dem aber auch immer sein mag,die Oberhofmeisterin, die früher nie etwas davonwissen wollte, ist jetzt Feuer und Flamme dafür, daßdie Prinzessin bald verheiratet wird und darum unddeshalb: Je eher die Gräfin verschwindet, desto besser.”

„Das leuchtet mir nun nachgerade auch ein,”meinte Hans Joachim, „denn wenn die Gräfin SeinerHoheit damit fortwährend in den Ohren liegt, diePrinzessin müsse heiraten, und wenn sie es versteht,sich so hinzustellen, als rate sie lediglich aus Edelmut,dann wird es ihr mit der Zeit gelingen, die Zustim-mung Seiner Hoheit zu erhalten. Aber davon ganz

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abgesehen, die Prinzessin tut mir aufrichtig leid undwenn ich ihr irgendwie helfen kann ― ― ―”

Wie schon so oft am heutigen Morgen währenddes Spazierrittes, der die Kavalkade durch den schonmehr als herbstlichen Wald, der sich in der Nähe derResidenz ausdehnte, führte, ließ er seine Blicke aufder Prinzessin ruhen. Ihr Gesicht konnte er nichtsehen. Sie hatte sich auch noch nicht ein einzigesmalumgewandt, wohl, weil sie wußte, worüber ihreFreundin, die Hofdame, sich mit ihm unterhielt. IhrGesicht konnte er nicht sehen, dafür umso deutlicherihre zierliche graziöse Figur, die von dem hellgrauenReitkleid eng umspannt wurde. Unter dem rundenenglischen Reithut quoll das dichte, dunkle Haar her-vor, dessen Duft für ihn immer etwas Berauschendeshatte, sodaß er sich jetzt wirklich einredete, diesen Duftzu spüren. Er sah, wie sich ihre schlanke Gestalt leichtim Sattel hob und senkte, er hörte ihr fröhliches hellesLachen und er empfand wirkliches aufrichtiges Mit-leid mit ihr.

So meinte er denn nach einer ganzen Weile: „Siehaben Recht, gnädiges Fräulein, so oder so muß derPrinzessin geholfen werden. Ich werde meine Gehirnzermartern, um so bald wie irgend möglich heraus-zubekommen, wie man die Gräfin bewegen kann, ihrAmt niederzulegen. Aber auf Menschen ist kein Ver-laß, gnädiges Fräulein, wenigstens nicht auf e i n e n .Zwei Köpfe hecken mehr aus als einer, und darummüssen Sie, gnädiges Fräulein, mir bei diesem Denken

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helfen. Wir gründen eine Gesellschaft mit beschränkterHaftung, jeder zahlt an Kapitalvermögen seinen Ver-stand ein, oder noch besser, wir lösen die Gesellschaftgleich wieder auf, noch bevor sie ohnehin pleite ge-macht hat. Jeder von uns beiden arbeitet für sich.Ich versuche die Oberhofmeisterin zu stürzen und Sie,gnädiges Fräulein, versuchen, dem Fürsten die Ideeauszutreiben, sich ernstlich um die Prinzessin zu be-werben.”

Fräulein Ursula blickte Hans Joachim mit allenAnzeichen des Erstaunens an: „Wie sollte ich das wohlanfangen?”

„Sehr einfach,” lautete die Antwort. „Allerdings,vor zwei Minuten hätte ich das selbst noch nicht gewußt,aber mit einemmale durchzuckte mich ein rettender Ge-danke. Was ich nun sage, gnädiges Fräulein, meineich sehr ernsthaft: Wie wäre es, wenn Sie es da-rauf anlegten, daß der Fürst sich nicht in die Prin-zessin, sondern daß er sich in Sie verliebt, gnädigesFräulein? Daß Ihnen das gelingt, bezweifle ichnicht eine Sekunde, denn wenn eine junge Dameden Vorzug hat, so schön zu sein ― ―”

Es war ein Blick der ehrlichsten und aufrichtigstenBewunderung, mit der er sie jetzt musterte. In demschwarzen Reitkleid kam ihre Figur zur vollsten Geltung,ihre Erscheinung zu Pferde hatte beinahe etwas könig-liches, sie war wirklich eine vollendete Schönheit.

Fräulein Ursula schwieg eine ganze Weile, als be-sinne sie sich, was sie auf den Vorschlag ihres Begleiters

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erwidern solle, dann sagte sie endlich: „Ich will an-nehmen, daß Sie Ihre Worte nicht allzu ernsthaftmeinten, denn Sie glauben doch wohl selbst nicht,daß ich den Ehrgeiz habe, die Geliebte des Fürstenzu werden.”

„Ganz gewiß nicht,” stimmte er ihr rasch bei, „undich hätte überhaupt nicht so gesprochen, wenn ichhätte ahnen können, daß Sie meinen Worten einensolchen Sinn unterlegen würden. Nein, daß Ihr Ehr-geiz dahin gehen sollte, die Geliebte des Fürsten zuwerden, habe ich natürlich nicht eine Sekunde gedacht,aber warum sollten Sie nicht den Ehrgeiz haben,seine Frau zu werden? Wer so schön ist wie Sie ― ―”

Fräulein Ursula machte eine abwehrende Hand-bewegung, als wolle sie damit andeuten, daß sie diesesKompliment nun schon oft genug aus seinem Mundegehört habe und er merkte es wohl, daß ein leises,spöttisches Lächeln ihren Mund umspielte. Deutete erdas richtig, sollte das etwa heißen: „Du sprichst mirsoviel von meiner Schönheit, und doch hat die nichteinmal genügt, dich, einen einfachen Leutnant, dauerndgefangen zu nehmen. Wie sollte ich es da wohl er-reichen, einen Fürsten zu gewinnen?”

Ihm wurde etwas unheimlich zumute, das langeSchweigen fing an, ihn zu bedrücken, bis FräuleinUrsula dann endlich meinte: „Was Sie da eben sagten,ist natürlich ein Unsinn und verdiente, als Witz belachtzu werden, nur, daß der Witz nicht gut ist. Wer dakommt, um eine Prinzessin zu heiraten, begnügt sich

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nicht mit der Hofdame, vorausgesetzt natürlich, daßdie Hofdame sich überhaupt dazu entschließen könnte,ihrer Herrin dieses Opfer zu bringen, und weiter vor-ausgesetzt, daß der Fürst jemals seine Blicke gnädiglichauf der Hofdame ruhen lassen sollte.”

„Das wird ganz auf die Hofdame ankommen, dennwenn die es richtig versteht, ihre schönen Augen zugebrauchen ― ―”

„Und auf Männerfang auszugehen,” unterbrach sieihn halb ärgerlich, halb belustigt, „nein, Herr Leutnant,dazu gibt sich die Hofdame nicht her, dazu ist sie denndoch zu stolz ― ― ― die ist zwar froh und glücklich,wenn sie geliebt wird, aber sie legt es nicht darauf an,geliebt zu werden.”

Das ging auf ihn, das merkte Hans Joachim sehrgenau, aber das durfte er natürlich nicht zugeben, daßer sich irgendwie getroffen fühle, im Gegenteil, ermußte den völlig Unbefangenen und Harmlosen spielen,so sagte er denn jetzt: „Da haben Sie ganz recht, gnä-diges Fräulein, aber Sie haben meine Worte viel zuernst und zu tragisch genommen.” Und dann fuhr erschnell fort: „Was Sie mir aber auch immer antworteten,mir scheint, daß Sie meinen Vorschlag im stillen dochnicht so ganz in das Bereich der Unmöglichkeit ver-weisen.” Und ohne ihre Entgegnung abzuwarten,setzte er hinzu: „Warum sollte der Fürst Sie, gnädigesFräulein, nicht heiraten und warum sollte er Sienicht heiraten wollen? Der Fürst kommt niemalsin die Lage, einen Thron zu besteigen. Er braucht

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nicht zu befürchten, daß seine etwaigen Kinder vonder Herrschaft ausgeschlossen werden, na und wennschon. Ich erinnere Sie an den österreichischen Thron-folger und an manchen anderen Fürsten, der unterseinem Stande geheiratet hat. Das kommt heutzu-tage doch fortwährend vor.”

Ihm fiel plötzlich alles wieder ein, was Scharfen-berg ihm gestern erzählt hatte, als der davon sprach,die Prinzessin heiraten zu wollen. Was der an Gründenangeführt hatte, führte er jetzt seinerseits an. Je längerer auf die Hofdame einredete, umsomehr erwärmte ersich für seine Pläne, ohne eigentlich selbst zu wissen,warum. Bis ihm dann plötzlich der Gedanke kam:Wenn es dir gelingt, Scharfenberg an Christiane zuverheiraten und wenn Fräulein von Rengwitz sich inden Fürsten verliebt, dann brauchst du diesen beidenjungen Damen gegenüber kein schlechtes Gewissen mehrzu haben, dann erwarten die es nicht mehr von dir,daß du selbst um sie wirbst und dann ― ― ― ―

Ja, was dann? Was hatte er dadurch erreicht?Dann war es auch noch nicht anders als jetzt, denn erselbst hatte weder an Christiane, noch an Fräulein Ur-sula jemals ernstlich gedacht. Verliebten sich die beidenjungen Mädchen, oder noch besser, verlobten sie sich,dann konnte er sich für seine Person schließlich in einebisher unparteiische Dritte verlieben. Aber dazu warja später immer noch Zeit und die Götter mochtenwissen, wer die Dritte sein würde.

In diesem Augenblick wandte sich die Prinzessin

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Rena, als die Pferde eben in Schritt gefallen waren,zum erstenmal am heutigen Vormittag nach der Hof-dame und nach ihm um, um beiden freundlich zuzu-nicken und Hans Joachim wäre in dieser Sekunde umein Haar beinahe zum zweitenmal aus dem Sattel ge-fallen, obgleich sein Pferd wirklich ein gezähmter vier-beiniger Kanarienvogel war. Die Prinzessin hatte sichnach ihm umgesehen, gerade jetzt, als er sich fragte:Wer wird die unparteiische Dritte sein?

War der Gruß, den die Prinzessin ihm zunickte,eine Antwort auf seine Frage?

Er fühlte, wie sein Herz unruhig schlug, vor seinenAugen begann es zu flimmern und so wild stürmtenplötzlich die Gedanken auf ihn ein, daß er ein ganz ver-dutztes Gesicht machte und daß Fräulein Ursula ihnjetzt fragte: „Aber was ist Ihnen denn nur, HerrLeutnant?”

Der nahm sich die Mütze vom Kopf und strich sichein paarmal über die Stirn, dann sagte er: „Ich weißes selbst nicht, gnädiges Fräulein, ich habe gestern imKasino den Kameraden eine Bowle gestiftet und diemuß auch mir nicht gut bekommen sein. Allerdingshabe ich mir den ganzen Vormittag eingeredet, ichwäre total nüchtern, aber eben habe ich eingesehen,das war nur eine Selbsttäuschung. Ganz unter unsgesagt, gnädiges Fräulein, ich bin noch total betrunken.”

Da lachte Fräulein Ursula von Rengwitz hell auf,denn sie wußte, was ihren Begleiter so verdutzt gemacht

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hatte: Der Gruß der Prinzessin, nachdem er ihr ebenzugeredet hatte, einen anderen zu heiraten.

Fräulein Ursula von Rengwitz lachte hell auf, aberHans Joachim wurde nicht daraus klug, weshalb sieeigentlich lache und ob ihr das Lachen von Herzen kam.So recht klang es nicht danach.

Und da begriff er erst recht nicht, warum sie denneigentlich lache. ― ―

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III.

Wenn Hans Joachims Hauptmann befürchtet hatte,Hans Joachim würde auch in Zukunft, wenn auch nichttäglich, zu den Spazierritten des Hofes als Begleiterbefohlen werden, so irrte er sich. Der erste Spazierrittmit den Höchsten Herrschaften war auch der letzte ge-blieben und wenn sich der Herr Hauptmann darüberfreute, so war Hans Joachim wenigstens nicht sehrbetrübt. Er hatte sich den Vormittag ganz andersgedacht, er war gar nicht dazu gekommen, mit derPrinzessin auch nur ein einziges Wort zu sprechen,denn selbst nach Beendigung des Rittes, als manvom Pferde stieg, hatte sie ihm zwar wieder sehrfreundlich und wie es ihm schien, mit lachenden, über-mütigen Augen zugenickt, aber sie hatte ihn auch danicht angesprochen und ihm nicht einmal die Handgereicht.

Und dazu kam, daß er noch immer nicht begriff,warum Fräulein Ursula so lachte, als er ihr erklärte,noch betrunken zu sein. Daß er es in Wirklichkeit nichtwar, mußte sie ihm doch angemerkt haben und daß

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sie erraten haben sollte, worauf sich seine Äußerungbezog, war doch ganz ausgeschlossen. Da stimmte nachseiner Meinung irgend etwas nicht. So war er auchfroh gewesen, als der Ritt zu Ende war. Der hatteihm nicht nur eine Enttäuschung nach der anderengebracht, sondern ihn sogar aufs neue vor die schwereAufgabe gestellt, baldmöglichst die Oberhofmeisterin zustürzen. Als die Prinzessin ihm damals davon sprach,hatte er es nicht allzu ernsthaft genommen, wenigstensgeglaubt, die Sache habe noch viel Zeit. Aber nunwußte er ja, daß man die Lösung dieses schwierigenProblems so bald wie möglich von ihm er-wartete.

Aber wie das anfangen? Darüber dachte er fort-während nach, auch jetzt, als er auf dem Kasernenhofstand und Dienst abhielt.

Diesem Dienst lag eine besondere Veranlassungzugrunde.

Die Kompagnie hatte zufällig unter ihren Mann-schaften neun Musketiere des Namens Müller, die denNamen Müller eins bis Müller neuen führten. Dieseneun Müllers waren dem Herrn Hauptmann ohne-hin ein Greuel und ein Dorn im Auge, weil derHauptmann sich oft mit seiner „Müllerkompagnie”necken lassen mußte. Und zu diesem allgemeinen Ärgerwar noch ein besonderer hinzugekommen. Einer dieserMüller war vorgestern auf der Straße dem HerrnOberst begegnet und hatte vor diesem eine so schlechteEhrenbezeugung gemacht, daß der Vorgesetzte ihn zu

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sich heranrief, um ihn nach seinem Namen zu fragen.Natürlich nicht, um den Mann später öffentlich vorversammeltem Regiment zu beloben, sondern um demHerrn Hauptmann den Schweinehund zu machen undum ihn zu fragen, wie es möglich sei, daß er auf seinerKompagnie einen Mann hätte, der nicht einmal ordent-lich Front machen könne?

Der Mann hatte auf Befragen, wie er heiße, ge-antwortet: „Musketier Müller.” Und da der HerrOberst nicht daran dachte, daß der Mann, wie sich ausder Säbeltroddel ergab, gerade der siebenten und da-mit zugleich der Müllerkompagnie angehörte, so hattesich der Herr Oberst mit der Antwort zufrieden ge-geben und dem Herrn Hauptmann lediglich den Mus-ketier Müller zur Bestrafung gemeldet. Als aber derHerr Hauptmann unmittelbar darauf seine neunMüllerburschen um sich versammelte, um sich bei ihnendanach zu ekundigen, wer von ihnen der Himmel-hund sei, der dem Herrn Oberst in so unangenehmerWeise aufgefallen wäre und als der Herr Hauptmannim voraus dem Sünder alle irdischen und göttlichenStrafen für sein Vergehen androhte, da wollte eskeiner gewesen sein. Und je mehr der Hauptmanndonnerte und fluchte, desto weniger meldete sich derSchuldige. Das mußte dem Herrn Oberst mitgeteiltwerden und so erschien der denn selbst auf dem Kasernen-hof, um den Sünder festzustellen. Es war zwar aufder Straße schon ziemlich dunkel gewesen, aber derHerr Oberst würde trotzdem den Musketier auf den

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ersten Blick wiedererkennen, denn das Auge einesVorgesetzten sieht scharf.

Und der Herr Oberst sah sogar zu scharf, denn alser den Richtigen hatte, da war es der Unrichtige. Derals Täter Bezeichnete vermochte sein Alibi nachzuweisen,er war auf Wache gewesen, konnte also unmöglich aufder Straße gegangen sein.

Angenehm ist es keinem, auf einem Irrtum ertapptzu werden, am allerwenigsten einem hohen Vorge-setzten.

So fluchte der Herr Oberst denn sämtliche schwarzenWolken vom Himmel herunter, sodaß es plötzlich hellerSonnenschein wurde und dann befahl er dem HerrnHauptmann, alle neun Müller mit Ausnahme desMüller sechs, der auf Wache gewesen war, zur Strafezwei Stunden lang nachexerzieren zu lassen, feld-marschmäßig, mit dem vollen Sandsack im Tornister.Die Unschuldigen mußten eben mit dem Schuldigenbüßen, wenn sich der Täter nicht vorher freiwilligmeldete, oder wenn es den Kameraden nicht noch vor-her gelang, es herauszubringen, w e l c h e r Müllerd e r Müller sei.

Die Folge war, daß bei dem Nachexerzieren alleacht Müller mit total verprügelten Gesichtern erschienen.Jeder dieser acht hatte den anderen und die anderenbeschuldigt , der Gesuchte zu sein. Der Unschuldigehatte das nicht auf sich sitzen lassen und der Schuldigeerst recht nicht. So hatten sich die acht Müllers in dieHaare gekriegt und sich gegenseitig mit geballten Fäusten

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bearbeitet, bis das Blut aus Mund und Nase lief undbis die Gesichter in allen Regenbogenfarben leuchteten.

Der strengste und strammste Unteroffizier derKompagnie sollte das Nachexerzieren leiten und HansJoachim war beauftragt, die Oberaufsicht zu führen,damit der Unteroffizier sich nicht etwa hinreißen ließe,die Kerls zu stramm anzufassen oder sich gar an ihnenzu vergreifen.

Das Strafexerzieren begann. Für die Leute wares kein Vergnügen und für Hans Joachim auch nicht.Denn wenn der sich auch nur wenig um den Dienstkümmerte, sondern sich in Gedanken hauptsächlich da-mit beschäftigte, wie er die Oberhofmeisterin fortbringenkönne, hin und wieder warf er doch einen Blick aufdie Mannschaften und was er dort sah, veranlaßteihn endlich, in den Dienst einzugreifen. Das hinderteihn natürlich daran, ungestört zu denken, sodaß er imvoraus wußte, er würde auch heute zu keinem Resul-tat kommen.

Er hatte sein Denken unterbrechen müssen, umeinem Mann den Marsch zu korrigieren und wolltesein Gehirn nun gerade von neuem anstrengen, alser unter den Leuten, die mit sieben Schritt Abstandim langsamen Schritt bei dem Unteroffizier vorbei-marschierten, einen Mann bemerkte, der eine mehr alsmiserable Haltung hatte.

Es war von vorn gerechnet der vierte Musketierund so rief er denn jetzt diesem zu: „Musketier Müller

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vier, tragen Sie das Gewehr besser und drücken Sieauf den Kolben.”

Aber der Musketier Müller dachte nicht daran,diesem Befehl nachzukommen.

„Haben Sie taubes Kaninchen mich nicht ver-standen?” rief Hans Joachim noch einmal, „Sie sollenmehr auf den Kolben drücken, Müller vier.”

Aber der Mann drückte immer noch nicht.Hans Joachim fing an, ungeduldig zu werden:

„Musketier Müller vier, ich gebe Ihnen den guten Rat,machen Sie mich nicht wütend, sonst lasse ich Sie so-fort wegen Ungehorsams in Arrest abführen, Sie sollenauf den Kolben drücken.”

Aber der Mann drückte immer noch nicht, stattdessen fiel plötzlich am Ende der Kolonne einem Manndas Gewehr von der Schulter und schlug laut auf denErdboden auf.

Wer als Soldat sein Gewehr fallen läßt, kann nichtnur verschiedenes, sondern sogar alles erleben und soeilte denn der Unteroffizier sofort auf den Sünder losund fragte ihn mit ganz erregter Stimme: „Wie kommenSie dazu, das Gewehr fallen zu lassen? Ist Ihnennicht in der Instruktionsstunde gesagt worden, das Ge-wehr sei gewissermaßen die Braut des Soldaten?Und ebenso wenig wie Sie Ihre wirkliche Braut inden Dreck schmeißen, sondern vorsichtig mit ihr um-gehen, damit sie Ihnen nicht untreu wir und Sieweiter mit Speck und Butter versorgt, ebenso wenig

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dürfen Sie das Gewehr fallen lassen. Wie sind Siedenn dazu gekommen?”

Der Musketier machte ein ganz erschrockenes Ge-sicht, dann verteidigte er sich: „Ich bin unschuldigdaran, Herr Unteroffizier, der Herr Leutnant hat mirimmer zugerufen, ich solle auf den Kolben drücken,immer noch mehr, und da habe ich immer weiter ge-drückt, bis das Gewehr plötzlich vornüber kippte. Undda ich die rechte Hand bei dem langsamen Schritt nichtvon der rechten Hosennaht fortnehmen darf, ist dasGewehr hingefallen, denn mit der linken Hand alleinkonnte ich es nicht mehr halten.”

„Aber Sie sind doch nicht Müller vier,” herrschteHans Joachim, der inzwischen herangetreten war, denMann an, „Sie sind doch Müller ― ― Müller ―”

Mit raschem Blick zählte er die vor diesem Müllermarschierenden anderen Müller, um dann zu rufen:„Sie sind doch nicht Müller vier, sondern Müller sechs.”

Aber der Mann widersprach: „Ich bin Müller vier,Herr Leutnant, mein Vordermann ist Müller fünf,mein Hintermann Müller sieben und als Erster mar-schiert Müller drei, als dritter Müller eins und als zweiter Müller vier.”

Und die Konfusion wurde noch größer, als derUnteroffizier die Leute nicht ruhig an sich vorüber mar-schieren ließ, sondern bald den einen, bald den anderenim Galopp zurückschickte, teils, weil die wirklich ge-bummelt hatten, teils aber auch, weil die Leute bei

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diesem Strafexerzieren den lieben Herrgott im Himmelschon auf Erden kennen lernen sollten.

Dem Unteroffizier war die Aufgabe zugefallen, denlieben Herrgott aus dem Himmel auf Erden darzu-stellen und wenn der wirkliche Herrgott dereinst so un-erbittlich gegen die Fehler der Menschen ist, wie esder Unteroffizier gegen die Fehler der acht Müller war,dann haben die Verstorbenen nichts zu lachen, wennsie dereinst ihrem Richter gegenübertreten.

Der Unteroffizier zog seine Sünder auf Draht,wie es beim Militär heißt, und die Kerls schwitzten,daß ihnen sämtliche Sünden vergingen. Den Kerlswurde es heiß und Hans Joachim wurde es bei dieserMüllerei abwechselnd heiß und kalt, denn je länger erden Versuch machte, die Leute auseinanderzuhalten,desto dämlicher wurde er im Kopfe. Persönlich kannteer von den neuen Müllers der Kompagnie nur einen,den Müller sechs, der in seinem Zuge stand, und geradeder war, als nicht in Frage kommend, jetzt nicht da.Und die anderen Müllers sahen sich heute auch äußerlichso ähnlich, wie es ihre Namen taten: Alle hatten dickeAugen, geschwollene Lippen, breitgeschlagene Nasen,verprügelte Backenknochen.

„Eine hübsche Familie,” dachte Hans Joachim, „dieKerls sehen aus, wie die Hunnen. Na, der Herr Haupt-mann wird morgen eine riesige Freude haben, wenner die Gesellschaft sieht.”

Na, aber seinetwegen konnte der Herr Hauptmannmorgen auch ruhig eine Freude haben, dafür war er

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ja Hauptmann, er selbst war nur Leutnant und mußtesich trotzdem mit den acht Müllers abquälen, bis dannendlich die zwei Stunden herum waren und HansJoachim seine Leute forttreten lassen konnte. Dannrief er sich den Unteroffizier für einen Augenblick heran,um dem seine Anerkennung auszusprechen, daß er sichzu keinem unüberlegten Wort habe hinreißen lassen.

Aber der Unteroffizier lehnte bescheiden jedes Lobab: „Der Herr Leutnant sind sehr gütig, aber wennman von dem Herrn Hauptmann beauftragt ist, denlieben Herrgott auf Erden zu verkörpern und wennman gewissermaßen als überirdisches Wesen den Dienstabhält, na, Herr Leutnant, dann weiß man doch, wasman als Herrgott seiner sozialen und gesellschaftlichenStellung schuldig ist.”

Und nachdem er seine strammste Kehrtwendunggemacht hatte, ging der Unteroffizier von dannen, umsich in der Kantine von dem Dienst auszuruhen undum sich dort bei einem Schnaps und bei einem GlaseBier aus dem lieben Herrgott wieder in ein mensch-liches Wesen zu verwandeln.

Hans Joachim blieb noch eine ganze Weile auf demKasernenhof stehen, er war sich noch nicht ganz schlüssig,wohin er seine Schritte lenken sollte, als plötzlich Schar-fenberg auftauchte. Der war, was er selbst nicht fürmöglich gehalten hatte, tatsächlich wieder nüchtern ge-worden.

„Schön, daß ich dich treffe, Hans Joachim,” redete erden Kameraden an, „ich habe hier einen Lumpenappell

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abzuhalten, der nicht ewig und drei Tage dauern wird.Ich mach die Sache kurz und schmerzlos, ich kannnichts dafür, aber ich glaube, ich könnte den Gestankdieser Kommißbüchsen auch dann nicht ertragen, wennich ohne Nase geboren wäre und ich habe eine Nase.”

„Und was für eine,” wollte Hans Joachim unwill-kürlich sagen, denn Scharfenberg, der sonst sehr gutaussah, war mit einem Riechorgan ausgestattet, dasihn nach den boshaften Bemerkungen der Kameradenjederzeit befähigte, König von Bulgarien zu werden.Aber Hans Joachim schluckte seine Bemerkung hin-unter und der andere schien auch gar keine Antworterwartet zu haben, denn er fuhr gleich fort: „Wie ge-sagt, ich habe eine Nase und die ist empfindlicher alsdas keuscheste junge Mädchen, dem man mit einemunsittlichen Antrag zu Leibe rückt. Dabei fällt mir dieHauptsache wieder ein, ich wollte dich fragen, ob duLust hast, heute Abend mit mir in das Residenztheaterzu gehen? Natürlich Zivil, strengstes Inkognito. Datritt ein neues Mädel auf, ich habe eben im Schau-fenster ein Bild von ihr gesehen, als Vittorio in Re-naissance. Hans Joachim, ich sage dir, wenn die Trikot-beine echt sind und nicht künstlich mit Watte ausgestopft,dann hat die junge Dame ein Paar so tadellose Beine,daß man sie unbedingt näher kennen lernen muß ― ―― ― ― ― ich meine natürlich die junge Dame, nichtdie Beine!”

Hans Joachim mußte unwillkürlich lachen, dannmeinte er: „Ich glaube, in diesem Falle sind die Beine

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ganz besonders schwer von der jungen Dame zu trennen.Aber das ist ja deine Sache. Was gibt man denn imResidenztheater?”

„Ein Volksstück mit Rührung und Taschentüchern:Der Müller und sein Kind.”

Hans Joachim hob abwehrend die Hände: „Nein,lieber Freund, da mußt du schon allein gehen, ichhabe mich eben gerade genug mit meinen Müllers ab-gegeben und nun am Abend noch 'nen Müller, derzum Überfluß auch noch ein Kind hat, das geht übermeine Kräfte, da gehe ich lieber in das Hoftheater, ichhabe dort heute sowieso einen Platz und den möchteich nicht gern verfallen lassen.”

„Na, denn nicht,” meinte Scharfenberg, „dann willich versuchen, einen anderen einzufangen, obgleich dumir, offen gestanden, der liebste Begleiter wärst. Nichtnur, weil ich im Gegensatz zu früher jetzt wirklicheFreundschaft für dich empfinde und den ernsthaftenWunsch habe, wieder gutzumachen, was ich bisherversäumte, sondern auch, weil du mir bei dem Mädelkeine Konkurrenz machen würdest.”

„Glaubst du, weil ich äußerlich nicht schön genug bin,oder glaubst du, daß ich plötzlich unter die Philister ge-gangen bin? Da irrst du dich sehr und für schöne Mäd-chenbeine werden mein Herz und meine Sinne emp-findlich und empfänglich bleiben, solange ich lebe.”

„Von nun an bis in Ewigkeit, Amen!” setzte Schar-fenberg hinzu, dann aber sagte er: „Und trotz alledem,Hans Joachim, würdest du mir meine Kreise nicht

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stören. Ob das gerade in den Sternen steht, vermagich nicht anzugeben, aber gleichviel, dein Schicksal unddein Lebensweg sind besiegelt. Du wirst tugendhafterwerden als du es bisher niemals warst. Kurz und gut,dein Geschick ist entschieden.”

Das klang so geheimnisvoll und so orakelhaft, daßHans Joachim im Augenblick wirklich nicht wußte, waser sagen sollte, dann aber lachte er hell auf: „LieberFreund, seit wann bist du denn unter die alten Weibergegangen? Kauf dir einen großen Sonnenschirm,spann den auf, setze dich drunter, verkaufe auf demMarktplatz Obst und wenn du einer ganz besondersDummen ganz besonders viel angeschmiert hast, dannprophezeie ihr zur Belohnung aus der Hand.”

Aber Scharfenberg ließ sich nicht beirren: „Was ichweiß, das weiß ich, ich könnte dir sogar die Wahrheitmeiner Worte beweisen.”

„Dann tu es doch,” rief Hans Joachim.„Ich werd' mich hüten,” gab der andere zur Ant-

wort. „Beweise sind nur etwas wert, solange mansie nicht verraten und nicht aus der Hand gegeben hat,schon deshalb, weil sie dann nicht widerlegt und nichtvernichtet werden können.”

Hans Joachim hatte dem neugewonnenen Freundvoller Aufmerksamkeit zugehört, jetzt bat er: „Du,Scharfenberg, sag mir das noch einmal, aber bitteganz langsam.”

„Aber warum denn nur?” fragte der andere ganz er-staunt. „So welterschütternd ist die Wahrheit doch nicht,

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die in meinen Worten liegt und sie ist doch auch nichtneu, schon deshalb nicht, weil heutzutage ebensowenigneue Werte geprägt werden können, wie neue Worte.Es ist alles schon einmal dagewesen, wenn auch viel-leicht in anderer Form. Aber was hast du denn nur?”fragte er, sich plötzlich unterbrechend und Hans Joa-chim halb erstaunt, halb erschrocken ansehend.

Der stand da, wie in der höchsten Ekstase, seineAugen leuchteten, ein beinahe verklärter Ausdruck sprachaus seinen Augen, ein ganz eigentümliches Lächeln um-spielte seinen Mund.

„Aber was hast du denn nur?” fragte Scharfenbergnoch einmal.

Hans Joachim machte eine beinahe segnende Hand-bewegung, dann bat er mit leiser Stimme: „Störemich nicht, ich fühle es ganz deutlich, daß ich in diesemAugenblick Mutter werde, Mutter eines geistigen Kin-des, und du, Scharfenberg, bist der Vater.”

„Wenn es da nur keine Mißgeburt gibt,” meinteScharfenberg, „denn bisher ist mir das Vaterwerdenglücklicherweise noch nie gelungen.”

„Dafür diesmal umso glänzender,” frohlockte HansJoachim, „und du kannst dich dieses Kindes ruhig freuen,denn das kostet nicht einmal Alimente. Aber nun,Scharfenberg, laß mich allein, die geistige Entbindunghat mich doch angegriffen und das Kindchen will ge-hegt und gepflegt werden, damit es nicht gleich wiederstirbt. Vor allen Dingen muß es zu trinken haben.”

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„Kannst du mich auf d i e Flasche Sekt nicht ein-laden?” fragte Scharfenberg.

Aber Hans Joachim wehrte ab: „Heute nicht, wohlaber morgen. Heute muß ich allein sein, habe Dankfür deine Geburtshilfe.”

Und ohne sich weiter um den Kameraden zu küm-mern, der ihm ganz verdutzt nachschaute, ging HansJoachim in das Kasino, ließ sich eine Flasche Sektgeben und saß mit dieser und mit einer guten Cigarreganz allein in einer stillen Ecke und brütete und brütete.Und je länger er brütete, desto mehr verklärte sich seinGesicht, immer deutlicher glaubte er zu wissen, wie erdie Frau Oberhofmeisterin stürzen oder der wenigstensihre Stellung hier so unbehaglich machen könne, daßsie von selber ging. Gewiß, allzu diplomatisch war derWeg gerade nicht, den er gehen wollte, ja, sogar nichteinmal sehr taktvoll, aber darauf kam es wenigstensfür ihn gar nicht an, die Hauptsache war, daß dieGräfin Linkfuß so oder so von der Bildfläche verschwandund daß er das Vertrauen, das sie Prinzessin in ihnsetzte, rechtfertigte.

„Ihr Wohl, Prinzessin Rena!”Er war so in Gedanken gewesen, daß er nun bei

dem lauten Klang seiner Stimme erschrocken zusammen-fuhr. Nur ein Glück, daß ihn keiner gehört hatte.

Er leerte sein Glas auf einen Zug, dann kamenihm wieder Scharfenbergs Worte in den Sinn, seinWeg sei ihm vorgeschrieben, sein Schicksal sei besiegelt.

Warum, wieso und weshalb?

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Tausend Fragen drängten sich ihm auf, aber aufkeine fand er die Antwort, aber das war ja auch schließ-lich einerlei, denn nicht um ihn handelte es sich, sondernum die Prinzessin und die Oberhofmeisterin. Derwollte er gleich heute Abend etwas sehr energisch aufden Leib rücken, wenn der Hof, was sehr wahrscheinlichwar, das Theater besuchte, da es sich um eine, demVernehmen nach sehr glänzende Neueinstudierung von‚Orpheus und Eurydice‛ handelte.

Hans Joachim behielt mit seiner Vermutung Recht.Als er abends kurz vor halb acht Uhr das Theater betrat,herrschte dort jenes undefinierbare, geheimnisvolle undehrerbietige Flüstern und Rauschen, das stets dem Er-scheinen der Höchsten Herrschaften voranging, und mitdem Glockenschlag acht Uhr betrat die Prinzessin, ge-folgt von der Oberhofmeisterin und ihrer Hofdame,die linke kleine Hofloge. Die große Hofloge, in derMitte des ersten Ranges, war von den zahlreichenKammerherren in ihren bunten Uniformen, von denAdjutanten und einigen anderen hohen Hofchargenbesetzt.

Die Prinzessin sah in einer duftigen, hellrosa Toi-lette wieder einmal bezaubernd aus und ein halblautesWort der Bewunderung ging von Mund zu Mund, alsdie Prinzessin mit einer leichten, freundlichen Ver-beugung dem Publikum dankte, das sich bei ihrem Er-scheinen von den Plätzen erhoben hatte. Dann ließsie sich auf einen Sessel nieder und gleich darauf beganndie Ouvertüre.

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Die Presse, die auf diese Vorstellung hingewiesenhatte, behielt mit ihrer Voraussetzung Recht. DieAufführung war für ein kleines Hoftheater ausgezeich-net und fand allseitigen Beifall, nur einer war absolutnicht befriedigt und machte in der ersten Pause seinemUnwillen Luft. Das war der kleine Leutnant vonBennwitz, von den Kameraden „Der Weise” genannt,weil er angeblich alles wußte und vor allen Dingenalles viel besser wußte. So meinte er denn jetzt: „AufEhrenwort, die Leute hier im Theater haben ja garkeine Ahnung und vor allen Dingen ist dies gar nichtder richtige Orpheus. Gott weiß, wo der Intendantdiesen alten Schmöker wieder einmal ausgebuddelt hat.Den wahren Orpheus sah ich im vorigen Jahr aufUrlaub in München, im dortigen Künstlertheater.Pallenberg spielte die Hauptrolle und dann die sechsenglischen Tänzerinnen, die Reinhardt nach Deutsch-land importiert hat. Herrschaften, das war doch noch'ne Vorstellung und dann das Halloh, als Jupiter mitseinem ganzen Hofstaat vom Olymp auf der Rutsch-bahn in die Unterwelt hinuntersauste. Da konnte mandoch wenigstens lachen, aber hier muß man sich jaeinen Zahnstocher mit dem einen Ende auf den Backen-knochen aufstützen und das andere Ende durch dasobere Augenlid bohren, damit einem die Augen vorStumpfsinn nicht zufallen.”

Wie schon so oft, wurde er auch diesesmal wiederausgelacht: „Aber Weiser, rede doch nicht solchen Kohl,”rief man ihm zu, „du hast in München doch gar nicht

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Orpheus und Eurydice gesehen, sondern Orpheus inder Unterwelt. Nun halt schon den Mund und siehdir lieber die hübschen Mädchen an.”

Den Offizieren war im Parkett ein für allemaldie erste Reihe reserviert und da sich nun alle erhobenhatten, konnten sie das ganze Theater übersehen. Nurwar es der Wunsch Seiner Hoheit, daß in der Zwischen-pause kein Blick in die Hofloge gerichtet würde. DerNeugierde des Publikums konnte man das ja nicht ver-bieten, wohl aber den Offizieren und dieses Verbotgalt auch dann, wenn Seine Hoheit, wie heute Abend,nicht selbst im Theater anwesend war.

So taten die Offiziere denn auch, als sei die Prin-zessin gar nicht anwesend. Nur einer warf doch zuweilenganz verstohlen einen heimlichen Blick in die Hofloge,das war Hans Joachim. Die Prinzessin sah zu aller-liebst aus, dann aber reizte es ihn auch, immer wiedernach der Oberhofmeisterin hinzusehen und sich imstillen zu sagen: „Wenn die eine Ahnung hätte, wasder unter Umständen heute noch bevorsteht!”

„Was meinst du, Hans Joachim, ob der Hof heuteAbend in der großen Pause wohl empfangen wird?”erklang da plötzlich die Stimme eines Kameraden.

Es war Brauch und Sitte, daß die Offiziere sich nachdem zweiten Akt in der großen Pause in das Foyerdes ersten Ranges begaben, um dort von dem dienst-tuenden Kammerherrn zu erfahren, ob der Hof emp-finge oder nicht. War das erstere der Fall, dann öff-neten sich die Türen zu dem Gesellschaftsraum, der

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sich neben der kleinen Hofloge befand und die HöchstenHerrschaften hielten dann Cercle ab. Die Herren unddie Damen der Hofgesellschaft defilierten in unge-zwungener Reihenfolge bei den Höchsten Herrschaftenvorbei und wer ganz besonderes Glück hatte, wurdedurch einige huldvolle Worte ausgezeichnet. Daran,daß der Hof etwa heute nicht empfangen könne, hatteHans Joachim noch gar nicht gedacht, so bekam er beider Frage des Kameraden einen gewaltigen Schrecken,bis er dann, schon um sich selbst zu beruhigen, zurAntwort gab: „Natürlich wird heute empfangen, war-um auch nicht.”

„Ja, warum auch nicht,” meinte der andere.Und es war, wie Hans Joachim vermutet hatte.

Als die Offiziere sich in der großen Pause nach obenbegaben, standen die Türen zu dem Empfangssalonbereits offen und die verheirateten Herrschaften derHofgesellschaft, die im ersten Rang ihren Platz hatten,waren schon um die Prinzessin versammelt.

Als Hans Joachim sich der Prinzessin mit tieferVerbeugung näherte, reichte sie ihm die Hand zumKuß, während sie zugleich einige freundliche Worte anihn richtete und wieder war es ihm, als bemerke erin ihren Augen ein lustiges Lachen, das aber sofortwieder verschwand, als sie ihn äußerst gnädig entließ,um sich den anderen Herren zuzuwenden.

„So, nun kommt die Oberhofmeisterin an dieReihe,” dachte Hans Joachim, „nun wollen wir mitder einmal ein Wort reden, aber hoffentlich behält

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Scharfenberg nicht Recht, daß unser gemeinsames Kindeine Mißgeburt ist.”

Völlig zeremoniell trat er auf die Gräfin Linkfußzu und bat um die Erlaubnis, sich nach dem BefindenIhrer Exzellenz erkundigen zu dürfen, aber die mußteihn bereits mit einiger Ungeduld erwartet haben, dennsie entschuldigte sich mit einigen schnellen Worten beiden anderen Damen, die sie umstanden und die vorder Allgewaltigen in tiefer Demut erstarben, danntrat sie mit Hans Joachim ein paar Schritte zur Seiteund verriet durch einen Blick, den sie den übrigenHerrschaften zuwarf, daß sie jetzt nicht gestört zu werdenwünsche. Dann meinte sie: „Wirklich ein glücklicher Zu-fall, Herr Leutnant, daß auch Sie im Theater sind, da kann ich gleich die Bitte an Sie richten, mich doch ein-mal an einem der nächsten Tage nachmittags zum Teezu besuchen. Wenn Sie sich vorher telephonisch an-sagen, werde ich dafür sorgen, daß wir allein bleibenund ungestört über alles sprechen können, denn Ihnen,Herr Leutnant, der Sie nun ja gewissermaßen mit zumHofe gehören, kann ich es ja schon heute, natürlich unterdem Siegel der strengsten Verschwiegenheit mitteilen:Wir erwarten demnächst den Besuch Seiner Hoheit,des Erbherzogs und den einer anderen Fürstlichkeit.

Hans Joachim war zu wenig Hofmann, um bei derMitteilung dieser ihm ja schon längst bekannten Neuig-keit ein so erstauntes und verwundertes Gesicht zumachen, wie es ein gewiegter Hofmann sofort fertiggebracht hätte. Der wäre sicher von einer Ekstase in

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die andere gefallen, um fortwährend aufs neue zurufen: „Aber Exzellenz, diese Überraschung ― ― wieglücklich wird der Hof sein ― ― welche hohe Aus-zeichnung steht der Hofgesellschaft bevor ― ― wiesoll ich Ew. Exzellenz nur dafür danken, daß Ew. Ex-zellenz gerade mir dieses Geheimnis schon heute an-vertrauen!”

Aber Hans Joachim, der gar kein Hofmann war,sagte von alledem gar nichts, sondern machte nur eineleichte Verbeugung: „Meiner Diskretion können Ew.Exzellenz natürlich versichert sein.”

Die Frau Oberhofmeisterin war etwas enttäuscht,daß ihre Worte keinen tieferen Eindruck auf Hans Jo-achim gemacht hatten, aber das verriet sie natürlich nicht,sondern fuhr lediglich fort: „Sie können sich denken,Herr Leutnant, daß der bevorstehende Besuch eine Reihevon Festlichkeiten zur Folge haben wird. Das Hof-marschallamt und ich sind beauftragt, das Programmzu entwerfen und Seiner Hoheit, dem regierendenHerzog, zur Höchsten Genehmigung zu unterbreiten.Selbstverständlich darf auch ein Ball nicht fehlen undüber den möchte ich gern das Nähere ausführlich mitIhnen besprechen, umsomehr, als ich da in gewisserHinsicht auf Ihre vollste Unterstützung hoffe.”

Es war wohl kein Zufall, daß Exzellenz bei diesenWorten einen Blick zu der Prinzessin hinüber warf undso sagte sich denn Hans Joachim sofort im stillen:„Aha, nun kommen wir zur Sache.”

Natürlich dachte Hans Joachim gar nicht daran,

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der Gräfin Linkfuß die erhoffte Unterstützung zuteilwerden zu lassen, aber trotzdem sagte er, um die Ex-zellenz weiter gesprächig zu machen: „Ew. Exzellenzkönnen vollständig auf mich zählen.”

„Das freut mich außerordentlich,” lautete die Ant-wort, „denn Ihnen, mein lieber Herr Leutnant, braucheich es wohl nicht erst zu sagen, daß Sie bei Ihrer Hoheitder Prinzessin Rena, persona gratissima sind. DiePrinzessin hält große Stücke auf Sie, das beweist jaschon Ihre Ernennung zum Vortänzer, trotzdem Sie,mein lieber Herr Leutnant ― ― ― nicht wahr, Sienehmen es mir nicht übel, wenn ich das ganz offensag? Aber ich meine, Ihre Hoheit hat Sie zum Vor-tänzer erwählt, trotzdem Sie doch nicht gerade der besteTänzer im Regiment sind.”

„Gewiß nicht,” stimmte Hans Joachim ihr bei, „ichweiß die mir widerfahrene Auszeichnung auch imhöchsten Grade zu schätzen, aber wenn Ew. Exzellenzeben sagten, ich hätte die große Ehre, bei der Prinzessinpersona gratissima zu sein ― ― ― ― ―”

Er selbst wußte das ja besser, er allein kannte denwahren Grund, weshalb die Wahl auf ihn gefallen war,und gerade deshalb widersprach es seinem Empfinden,daß man ihm nachsagte, sich besonderer Huld zu er-freuen, während das in Wirklichkeit doch keineswegsder Fall war. Sicher sagte die Exzellenz das auch nur,um ihm zu schmeicheln und um ihn sich gefügig zumachen.

Aber Ihre Exzellenz ließ sich nicht beirren: „Was

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ich weiß, mein lieber Herr Leutnant, das weiß ich.Ihre Hoheit, die Prinzessin, hat erst kürzlich einmalwieder gesprächsweise geäußert, sie lege auf Ihr Urteilund auf Ihre Meinung großen Wert. In welchemZusammenhang das geschah, vermag ich im Augenblicknicht anzugeben, aber gleichviel, Ihre Hoheit hat dieseÄußerung fallen lassen. Und da ich weiß, wie die Prin-zessin über sie denkt, rechne ich mit Bestimmtheit dar-auf, daß Sie mir zur Seite stehen, wenn es sich beidem bevorstehenden Fest vielleicht darum handeln sollte,das Lebensglück der Prinzessin zu begründen. Nochdeutlicher kann ich mich hier nicht ausdrücken, aber ichdenke, Sie werden mich auch so verstehen.”

„Gewiß, Exzellenz,” beeilte sich Hans Joachim zuerwidern und diesesmal gab er sich wenigstens dieMühe, ein ganz erstauntes Gesicht zu machen, umnicht zu verraten, daß er auch über das eben Gesagteschon längst orientiert war, dann meinte er: „Ex-zellenz können auch da selbstverständlich auf mich zählen,aber natürlich nur dann, wenn ich mit dem Dienst,den ich Ew. Exzellenz erweise, in erster Linie auchder Prinzessin dienlich bin.”

Ihre Exzellenz war im stillen über diese Worteempört. Was fiel dem jungen Leutnant ein, nicht nurein Amt, sondern sogar eine eigene Meinung zu haben?Ihre Exzellenz war empört, aber trotzdem sagte sie soliebenswürdig wie nur möglich: „Glauben Sie wirk-lich, mein lieber Herr Leutnant, ich würde Sie umeinen Dienst bitten, wenn der Dienst, den Sie mir

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erweisen sollen, nicht auch der Prinzessin zugute käme,wenn die Prinzessin selbst das vielleicht auch nichtsofort, sondern erst später in der Ehe einsehen wird.Noch ist die Prinzessin zu jung, zu unerfahren, um sowichtige Dinge ganz selbständig beurteilen und ent-scheiden zu können. Da ist es zunächst m e i n e Pflicht,auf die Prinzessin einzuwirken. Ich darf wohl vonmir sagen, daß ich da ganz selbstlos handle, denn fürmich persönlich wäre es viel besser, die Prinzessin bliebenoch auf lange Jahre hinaus ledig. Mit der Verheira-tung der Prinzessin verliere ich meine Stellung beiHofe, denn sicher ist es auch Ihnen bekannt, daß dieverstorbene Fürstin mir das Versprechen abnahm, derPrinzessin zur Seite zu stehen, bis sie sich dereinst ver-mähle.”

So, nun war der große Augenblick da, jetzt hattedie Unterhaltung die von Hans Joachim erhoffte undersehnte Wendung genommen, nun konnte er zumAngriff vorgehen. Er war gewiß kein Feigling, abertrotzdem war ihm jetzt ungefähr zumute, wie demGeneral von Bredow im Kriege 70/71, als er den Be-fehl erhielt, mit seiner Kavalleriebrigade die Reihender Franzosen zu durchbrechen. Wie der General,bevor er seinen Todesritt unternahm, sein Haupt ent-blößte und ein kurzes Gebet zum Himmel sandte, sonahm auch Hans Joachim jetzt in Gedanken „Helmab zum Gebet”, dann aber stürzte er genau so tapfer und heldenmütig wie der berühmte Reitergeneral aufden Feind los und sagte mit seiner liebenswürdigsten

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Verbeugung: „Gewiß, Exzellenz, dieses Gerücht istauch mir zu Ohren gekommen.”

Die Frau Oberhofmeisterin konnte sich selbst dasZeugnis ausstellen, in ihrer schwierigen Stellung nochniemals die Ruhe und die Kaltblütigkeit verloren zuhaben, sie fühlte sich jederzeit jeder Situation ge-wachsen, aber trotzdem, in diesem Augenblick mußte sieihre ganze Energie zusammennehmen, um nicht ausder Rolle zu fallen. So klang denn auch nur ein ganzleises Erstaunen aus ihren Worten hervor, als sie jetztsagte: „Sie sprachen von einem Gerücht, Herr Leut-nant, wie soll ich denn das verstehen? Wollen Siedamit andeuten, daß es hier in der Residenz je-manden gibt, der nicht an die Wahrheit der mir ge-wordenen und übertragenen Mission glaubt?”

„Allerdings, Exzellenz,” Stimmte Hans Joachim derFrau Oberhofmeisterin zu deren größtem Entsetzenbei, „es gibt tatsächlich Mennschen, die so schlecht und soniederträchtig sind, nicht daran zu glauben, daß die ver-storbene Fürstin Ew. Exzellenz wirklich die Prinzessinso an das Herz gelegt habe.”

Ihre Exzellenz war vor Wut einem Schlaganfallnahe, trotzdem zwang sie sich zu einem Lachen: „Dasist köstlich. Nicht wahr, mein lieber Herr Leutnant,es geht doch nichts über die Naivität des Volkes undich sage es ja immer, die muß der großen Menge er-halten bleiben, wie die Religion.”

„Oder auch nicht,” dachte Hans Joachim, um dannder Oberhofmeisterin mit einer höflichen Verbeugung

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zuzuflüstern: „Ich bin vollständig der Ansicht Ew. Ex-zellenz,” dann aber sagte er sich im stillen: „So, nunwird es sich entscheiden. Hat die Exzellenz ein gutesGewissen, dann läßt sie das Thema fallen und gehtgar nicht weiter auf das ein, was das Volk redet, oderbesser gesagt, was ich aus eigenster Erfindung herausdas Volk in diesem Augenblick habe reden lassen. Hatsie aber kein gutes Gewissen ― ― ― ―”

Und allzugut mußte es doch nicht sein, denn nacheiner kurzen Pause meinte die Exzellenz: „Wer so hochsteht wie ich, braucht sich um das Gerede der unterenKlassen gar nicht zu kümmern, unsereins ist Gott seiDank über Verdächtigungen und Verleumdungen er-haben. Aber gleichviel, es interessiert mich, oder bessergesagt, es belustigt mich, Näheres zu erfahren. Undda möchte ich Sie fragen, Herr Leutnant, wissen Sieauch, worauf sich diese Ansicht des Volkes stützt?”

„In erster Linie natürlich darauf, Exzellenz, daßSie keine Beweise dafür haben erbringen können, daßdie verstorbene Fürstin Ew. Exzellenz tatsächlich diePrinzessin an das Herz gelegt habe.”

Wieder zwang sich Exzellenz zum lachen: „Alswenn es dafür noch eines Beweises bedurft hätte, ichhabe mich damals bereit erklärt, in Gegenwart SeinerHoheit einen Eid auf die Bibel zu schwören, daß ichdie reine Wahrheit sprach. Seine Hoheit hat mirdiesen Eid nicht abgenommen, Seine Hoheit glaubtemir auch so.”

Ihre Exzellenz erwartete es nicht anders, als daß

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Hans Joachim ihr beistimmte und ein „selbstverständ-lich, Ew. Exzellenz,” oder etwas Ähnliches zur Antwortgäbe, statt dessen hüllte er sich in ein eisiges Schweigenund dieses wurde Ihrer Exzellenz umso unheimlicher,als gerade in diesem Augenblick ein frohes, hellesLachen der Prinzessin erfolgte.

„Wenn er nur etwas sagen möchte,” dachte IhreExzellenz, aber Hans Joachim schwieg immer noch und,kam es ihr nur so vor, oder sah er sie wirklich mit ganzeigentümlichen Augen an, als ob er sie fragen wolle:„Glaubst du wirklich selbst an das, was du mir da er-zählst?”

Das Schweigen wurde immer unerträglicher. Ge-wiß, es konnte Ihrer Exzellenz gleichgültig sein, wasdie anderen dachten und redeten, sie wußte es auchselbst, das klügste war, gar nicht weiter zu fragen,die Sache auf sich beruhen zu lassen, aber wie ein Ver-brecher von seinem schlechten Gewissen getrieben immerwieder an die Stätte seines Verbrechens zurückkehrt,so kam sie immer wieder auf das zurück, was HansJoachim ihr mitgeteilt hatte. Und so fragte sie dennjetzt: „Weiß die große Menge denn nicht, daß ich be-reit war, den Eid abzulegen, daß Seine Hoheit miraber diesen Eid nicht abnahm?”

„Allerdings,” stimmte Hans Joachim ihr bei,„aber ― ― ―”

Eben war der Exzellenz ein großer Stein vom Herzengefallen, nun legte sich hr ein zweiter, womöglich nochgrößerer auf die Brust und trotzdem fragte sie ganz

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heiter und ungezwungen: „Also ein Aber gibt es dochnoch?”

„Sogar ein sehr ernstes,” pflichtete Hans Joachimihr bei, „und ich bitte Ew. Exzellenz mir nicht zu zürnenund mir nicht nachzutragen, wenn ich Ew. Exzellenzmitteile, was das Volk redet: das behauptet ― ― ―wirklich, Ew. Exzellenz, es wird mir schwer, es zu sagen,aber wenn Ew. Exzellenz es denn wissen wollen, ―das Volk behauptet, es solle ein schriftlicher Beweisdafür vorhanden sein, daß die verstorbene Herzogin alsNachfolgerin Ew. Exzellenz eine andere Dame be-stimmt hatte.”

„So, wenn sie nun nicht umfällt, dann fällt sienie,” dachte Hans Joachim und ihm selbst war etwa sozumute, wie einem Scharfrichter, der soeben einenMenschen in das bessere Jenseits befördert hat unddem unmittelbar nach der Hinrichtung zugerufenwird: „Mann, Sie haben ja einen Unschuldigen geköpft.”

War Exzellenz schuldig? Oder hatte er ihr bitterUnrecht getan, als er ihr alles, was er sich selbst aus-gedacht und erfunden hatte, als die Ansicht und alsdas Urteil des Volkes mitteilte? Hatte er wirklich denrichtigen Weg eingeschlagen, um über kurz oder langden Sturz der Exzellenz herbeizuführen?

Er fühlte sein Herz vor innerer Erregung lautschlagen, trotzdem aber sah er Exzellenz völlig ruhigund unbefangen an, ja, er zwang sich sogar zu einemAusdruck ehrlichster Anteilnahme, als sei auch er dar-

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über empört, daß man es wage, sie in dieser Weisezu verdächtigen.

Aber die Exzellenz ließ sich durch diesen Blick nichttäuschen, im Gegenteil, er offenbarte ihr die Wahr-heit, und mit einemmale wußte sie: Der dir da gegen-über steht, ist dein Feind, entweder aus innerster Über-zeugung oder auf Veranlassung der Prinzessin. Erwill und soll dich stürzen, du sollst in das Verderbenrennen, damit die Prinzessin durch mich nicht dazugetrieben wird, den Fürsten zu heiraten.

Tausend Gedanken schossen ihr blitzschnell durch denKopf, aber ebenso schnell hatte sie sich wieder in derGewalt. Wenn Hans Joachim es nicht eben miteigenen Augen gesehen hätte, dann müßte er es sicheingebildet haben, daß sie für eine Sekunde totenblaßgewesen war. Nun aber war sie wieder Herrin ihrerselbst und mit einem unendlich spöttischen und gering-schätzigen Lächeln auf den Lippen fragte sie: „Wenndas Volk” ― ― ― und sie betonte das Wort „Volk”unendlich niederträchtig und mit einem nicht mißzu-verstehenden Seitenblick auf Hans Joachim ― ―„wenn das Volk wirklich glaubt, daß solche Beweiseexistieren, oder wenn solche Beweise gegen mich vor-handen sind, warum zeigt man sie mir nicht, oder nochrichtiger, warum zeigt man sie nicht Seiner Hoheit,dem regierenden Herzog?”

Nicht umsonst hatte Hans Joachim sich die Weis-heit, die heute Nachmittag dem Munde seines Kame-raden entronnen war, nochmals wiederholen lassen.

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Er hatte sich die scharf eingeprägt und so antworteteer denn jetzt: „Es gibr viele Leute, die da behaupten,Beweise seien nur etwas wert, solange man sie nichtverraten und nicht aus den Händen gegeben hat, schon,damit dieselben nicht widerlegt und nicht vernichtetwerden können.”

Das war zuviel und zum erstenmal, seitdem sie ihre Stellung bekleidete, wünschte sie sich heute, keineOberhofmeisterin zu sein, um ihrem Herzen ganz ge-hörig Luft machen zu können. Das war zuviel. Trauteman ihr zu, sie würde etwaige Beweise, die gegen siesprächen, beiseite bringen, oder wenigstens den Versuchmachen, sie zu vernichten? Ihre Exzellenz wußte ganzgenau, daß sie einer solchen Handlung fähig war undgerade deshalb empörte sie sich darüber, daß man ihreine solche Schlechtigkeit zutraute. Ihre Exzellenz warwirklich zu erregt, um in Ruhe darüber nachdenken zukönnen, ob Hans Joachims Worte wirklich mehr alseine leere Drohung waren. Vielleicht behauptete mannur, Beweise zu haben, während dies in Wirklichkeitgar nicht der Fall war, aber gleichviel, die Frau Ober-hofmeisterin begrüßte es als ein Geschenk des Himmels,als in diesem Augenblick der diensttuende Kammer-herr sich der Prinzessin näherte, um im Namen desIntendanten an Ihre Hoheit die Frage zu richten,ob das Spiel weitergehen dürfe. Der Umbau auf derBühne sei beendet, wenn Ihre Hoheit also gnädigstgestatten wollten ― ― ― ―”

„Aber selbstverständlich, mein lieber Herr Kammer-

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herr,” rief Prinzessin Rena fröhlich und übermütig,um dann hinzuzusetzen: „Wie heißt es doch in demProlog zu „Bajazzo”? ‚Das Spiel kann beginnen.‛”Sie trällerte die Melodie halblaut vor sich hin, wäh-rend sie gleichzeitig die noch in dem Empfangssalonversammelten Herrschaften mit einem sehr freundlichenNeigen des Kopfes und mit einer verabschiedendenHandbewegung entließ. Die Prinzessin befand sich inder denkbar besten Laune, sie hatte während derlangen Pause ausgezeichnet unterhalten, aber sie hattesich vor allen Dingen mit eigenen Augen fortwährenddavon überzeugt, daß ihre Oberhofmeisterin sich unter-dessen keineswegs sehr gut unterhalten habe. WasHans Joachim Ihrer Exzellenz erzählte, wußte sienatürlich nicht, aber sie glaubte wenigstens soviel zuwissen, daß der heute Abend zum Sturmangriff gegendie feste Position der Frau Oberhofmeisterin vorge-gangen war. Vielleicht hatte der angefangen, seineMinen zu legen, um diese später zur Explosion zubringen. Über gleichgültige Dinge, über die wetter-aussichten und über die teuren Lebensmittel hattendie beiden jedenfalls nicht zusammen geplaudert, dasmerkte die Prinzessin Ihrer Exzellenz, als die nun aufihren Platz zurückkehrte, während gleichzeitig sich HansJoachim der Prinzessin näherte, um sich von ihr durcheine tiefe Verbeugung zu verabschieden, sofort an.

Auch jetzt reichte sie Hans Joachim die Hand zumKuß, dann meinte sie: „Ich bin Ihnen sehr dankbar,Herr Leutnant, daß Sie unsere liebe Frau Ober-

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hofmeisterin so ausgezeichnet unterhalten haben. IhreExzellenz hat während der ganzen Pause keine Zeitgefunden, mir auch nur ein einzigesmal einen tadelndenBlick zuzuwerfen und doch hatte ich selbst die Emp-findung, für eine Prinzessin heute zuweilen etwas allzufröhlich und ausgelassen zu sein.”

Ihre Exzellenz empfand die Ironie und den gegenihre ewige Bevormundung geführten Hieb natürlichsofort, trotzdem aber meinte sie mit ihrem liebens-würdigsten Lächeln: „Warum sollen Ew. Hoheit sichnicht auch einmal ganz frei und ungezwungen bewegenkönnen? Es war mir wirklich nicht möglich, Ew. Hoheitzur Seite zu stehen, ich hatte mit dem Herrn Leutnantwegen der bevorstehenden Hoffeste wichtige Dinge zubesprechen.”

„Die es sogar erforderlich machen, daß ich an einemder nächsten Tage bei Ihrer Exzellenz den Tee trinkenwerde, um die Verhandlungen fortzuführen,” setzteHans Joachim hinzu, und sich dann an die Frau Ober-hofmeisterin wendend, fragte er: „Ew. Exzellenz haltendie liebenswürdige Einladung doch noch aufrecht?”

Ihre Exzellenz glaubte nicht recht gehört zu haben.Eine solche Unverfrorenheit war denn selbst ihr nochnicht vorgekommen. Nicht nur, daß Hans Joachim vonAnfang an erklärte, ihr nur dann helfen zu wollen,wenn das gleichzeitig den Wünschen der Prinzessinentspräche, ― ― er hatte es sogar gewagt, ihr gegen-über unverblümt seine Zweifel darüber zu äußern,

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daß sie ihre jetzige Stellung zu Recht bekleide und dawollte er auch noch zu ihr kommen, um den Tee beiihr zu trinken? Gift hätte sie ihm reichen mögen, abertrotzdem sagte sie mit bestrickender Liebenswürdigkeit:„Ich werde mich jederzeit sehr freuen, Herr Leutnant,Sie bei mir zu sehen.” ― ― ―

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IV.

Es war drei Tage später, als Hans Joachim nach-mittags vom Dienst zurückkehrend in seiner Wohnungseinen neugewonnenen Freund Scharfenberg vorfand,der ihn anscheinend schon lang erwartet hatte, wenig-stens ging das aus dem dichten Tabaksqualm hervor,der in dem Zimmer herrschte und der da bewies, daßder andere während des Wartens mehr als eine Cigarregeraucht haben mußte.

Hans Joachim befand sich auch heute nicht in derbesten Stimmung. Er litt seit dem Theaterabend aneinem Gefühl des Unbehagens,gegen das kein Kognakgewachsen war. Er wurde die Empfindung nicht los,der Frau Oberhofmeisterin zu energisch auf den Leibgerückt zu sein und sich so oder so ganz verdammtin die Brennesseln gesetzt zu haben. Er lebte fortwäh-rend in der Erwartung, daß man von ihm verlangenwürde, er solle die Äußerungen, die er gegen Ihre Ex-zellenz machte, beweisen, und was dann? ― ― Sollteer dann einfach erklären: „Rela ta re fe ro , ich wieder-hole nur das, was man sich in der Stadt erzählt” und

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sollte er sich dem aussetzen, daß man ihm dann bewies,von solchen Gerüchten sei gar nicht die Rede, die habeer sich lediglich aus den Fingern gesogen? Dannwurde e r gestürzt, dann war es mit seiner Stellungals Vortänzer bei Hofe vorbei. Na, das wäre ja nochschließlich nicht das Schlimmste gewesen, aber dannkonnte er der Prinzessin nicht mehr helfend zur Seitestehen. Und anstatt der zu nützen, hatte er ihr durchsein Vorgehen nur geschadet, denn wenn Ihre Ex-zellenz Seiner Hoheit von der gegen sie erhobenen An-klage Mitteilung machte und gegen sich eine Unter-suchung beantragte, die natürlich resultatlos verlief,dann saß sie fester als je im Sattel und schon als Ent-schädigung für die durch das verleumderische Gerüchterlittene Unbill mußte Seine Hoheit ihr der Öffent-lichkeit gegenüber einen deutlichen und sichtbaren Be-weis seiner Gnade, seiner Huld und seines HöchstenVertrauens geben.

Und Hans Joachim hatte die Überzeugung, daßer sich in demselben Augenblick, in dem das geschah,auf der nächsten ersten Viehausstellung als der größteOchse aller Jahrhunderte ausstellen und prämierenlassen müsse.

Er hatte sich schauderhaft in die Brennesseln ge-setzt. So oder so mußte irgend ein Kladderadatscherfolgen und daß der nicht kam, trug nicht dazu bei,ihn zu beruhigen. Im Gegenteil, das machte ihnerst recht nervös. Er verstand die Oberhofmeisterinnicht. Hatte die alles, was er ihr sagte, ruhig hin-

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genommen, ohne sich beschwerdeführend an SeineHoheit zu wenden? Hatte der ihr seinen Schutz ver-sagt? Das war unmöglich, denn dann hätte IhreExzellenz schon um ihre Entlassung bitten müssen.Oder hatte sie sich noch garnicht bei Seiner Hoheitzur Audienz melden lassen? Und wenn sie das nochnicht tat, warum nicht?

Hans Joachim war von dem vielen nutzlosen Grübeln und Denken ganz wirr im Kopf, so hatteer heute nach Beendigung des Dienstes einen längerenSpaziergang durch die schon winterlich werdendeLandschaft gemacht und sich draußen auf freiem Feldeden Wind um die Stirn wehen lassen. Er hatte sicheinmal ganz gehörig ausgelaufen, das hatte ihn,wenn auch nur vorübergehend ruhiger gestimmt, ja,ihm beinahe seine alte Fröhlichkeit und Sorglosigkeitwiedergegeben.

So begrüßte er denn den Kameraden voller Herz-lichkeit. Er freute sich sogar aufrichtig über dessenKommen, denn im Gespräch mit ihm würde er seinedummen Gedanken noch mehr los werden. Bis erdann plötzlich auf seinem Schreibtisch einen Briefliegen sah mit dem aufgedruckten Vermerk: DieOberhofmeisterin Ihrer Hoheit, der Prinzessin Rena.

Kladderadatsch, da fiel ihm das Herz beinahe wiederin die Hosen! Nun war das Unglück da. Sicher dieoffizielle Nachricht, daß Seine Hoheit auf Vortragder Frau Oberhofmeisterin gnädigst geruht hätten,einen anderen Vortänzer zu ernennen. Das oder

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etwas Ähnliches. Aber als er das Schreiben nun öff-nete, enthielt es die Mitteilung, daß Ihre Exzellenzsich sehr freuen würde, wenn Herr Leutnant von Kötten-dorf morgen Nachmittag um fünf Uhr den Tee bei ihrtrinken wolle, nachdem Ihre Exzellenz den Herrn Leut-nant bisher leider vergeblich erwartet habe.

Und das Wort „leider” war sogar zweimal unter-strichen

„Man kann heutzutage anscheinend nicht nur mitWorten, sondern sogar mit Strichen lügen,” dachteHans Joachim, „aber gleichviel, du wirst zum Teeerwartet. Das beweist, daß du noch nicht zur Hinrich-tung eingegeben worden bist und vielleicht auch vor-läufig noch nicht eingegeben wirst.” Immerhin, irgendetwas stimmte bei dieser Einladung nicht. Aber wennman ihn eine Falle stellen sollte, er würde schon aufseiner Hut sein, und die Zeiten, in denen man seineGäste, die man los sein wollte, durch eine Falltür fürimmer im Kellergewölbe verschwinden ließ, die Zeitenwaren ja glücklicherweise für immer vorüber.

Hans Joachim bat den Kameraden um Entschul-digung, daß er in dessen Gegenwart den Brief gelesenhabe, aber der winkte ab: „Nichts zu entschuldigen,Hofdienst geht vor. Übrigens gratuliere ich die nach-träglich zu deinem neuen Erfolg. Die ganze Residenzspricht davon, die Gräfin Linkfuß soll dich neulichAbend im Theater ja geradezu auffallend ausgezeich-net haben, die ältesten Hofchargen beneiden dich.”

„Bitte, bitte, keine Ursache,” wehrte diesmal Hans

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Joachim bescheiden ab, der an sich halten mußte, umnicht hell aufzulachen. Und als Scharfenberg bei seinenWorten ein etwas zweifelndes Gesicht machte, setzteer hinzu: „Es lohnt sich wirklich nicht, darüber zusprechen, sage du mir lieber, wie hast du dich an demAbend in dem Residenztheater unterhalten und ist dirdie geplante Eroberung gelungen? Du hast dich seit-dem noch gar nicht wieder sehen lassen, auch nicht zuden Mahlzeiten im Kasino, hat deine kleine Freundindich derartig mit Beschlag belegt?”

Scharfenberg schwieg eine ganze Weile, währender sehr tiefsinnig den Wolken seiner Zigarre nachsah,dann meinte er endlich: „Es gibt Weiber, die sindweiß Gott z u dumm.”

„Was man von unseren Rekruten auch zuweilenbehaupten kann,” stimmte Hans Joachim ihm bei,„aber in gewissen Fällen ist bei den Mädels die Dumm-heit 'ne gute Gabe Gottes.”

„Ganz gewiß,” meinte Scharfenberg, „aber trotz-dem, die Ilona ist z u dumm. Sie heißt nämlich Ilona,wenigstens auf dem Theaterzettel, in Wirklichkeit wirdsie wohl auf den Namen Katinka getauft sein. Nawenn schon ! Ich gebe es mit ihr auf und nun frageich dich ganz ernsthaft, Hans Joachim, kannst du dirso was von Dummheit denken ― ― ― ― ― ― ―sie will nicht!”

Wieder mußte Hans Joachim an sich halten, umnicht hell aufzulachen, dann meinte er mit gutgespieltemErstaunen: „Das ist wohl nicht möglich?”

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„Doch,” meinte Scharfenberg, „es ist sogar Tat-sache. Drei Tage habe ich mit Menschen- und mitEngelszungen auf die Jungfrau eingeredet, das heißt,was man so Jungfrau nennt. Auch Ilona-Katinkahat bereits ihre Liebesaffären hinter sich, das hatteich sofort heraus, denn wenn man ein Mädel fragt:‚Wirst du mich jemals lieben können?‛ dann sagt sienicht ja und nicht nein, sondern sie zählt zuerst dieNamen aller Verehrer auf, von denen sie bereits geliebtworden ist, gewissermaßen, um dem neuen Freierdamit anzudeuten, was sie unter Brüdern wert ist.Und immer wieder bewundere ich bei dieser Gelegen-heit das Gedächtnis der kleinen Mädchen. Ich habsder Ilona auch erklärt, wenns mal mit dem Theater-spielen nichts mehr ist, dann kann sie ruhig als Gedächt-niskünstlerin auftreten.”

Diesesmal lachte Hans Joachim wirklich, dann fragteer: „Und trotzdem will sie nicht? Auf einen mehroder weniger kommt es doch da auch nicht an.”

„Nicht mal auf ein Dutzend, ich bitte dich, bei d e rVergangenheit, aber das Mädel ist ja verrückt. Diehat sich richtiggehend in einen Schauspieler verliebt,den will sie heiraten und da hat sie mir erklärt, siewolle keusch und rein in die Ehe treten. Hans Joachim,ich bitte dich, keusch und rein, es hätte bloß noch ge-fehlt, daß sie gesagt hätte: sie wolle als Jungfrau vorden Altar treten! Na, dann habe ich es denn endlichaufgegeben, das Mädel zu gewinnen, aber leicht ist

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es mir nicht geworden, denn die Trikotbeine sind echt,soviel habe ich denn doch wenigstens feststellen können!”

„Na, das ist doch immerhin etwas,” versuchte HansJoachim den Kameraden zu trösten, „im übrigen würdeich mir die Sache nicht zu sehr zu Herzen nehmen, esgibt noch genug andere hübsche junge Mädchen aufder Welt, auch hier in der Residenz.”

„Sogar sehr hübsche,” pflichtete Scharfenberg ihmbei. „Ich bin vorhin sogar einer begegnet. Ich habesie zunächst allerdings nur von hinten gesehen, aberschon das genügte, um mich in heißer Liebe für sieentflammen zu lassen. Denn eine Figur hatte dasMädel, angezogen war sie und einen Gang hatte sie,daß sie jedem sofort gefallen mußte. Wie gesagt,ich sah das junge Mädchen zuerst nur von hinten,dann aber wurde natürlich der Wunsch in mir wach,auch ihre Vorderseite zu sehen und als ich das danntat, rührte mich beinahe der Schlag.” ― ― ―

„War sie denn so häßlich?” fragte Hans Joachim.„Den Teufel auch,” meinte Scharfenberg, „im

Gegenteil, sie war sogar sehr hübsch, aber das nichtallein, ich kannte sie sogar. Ich habe sie von hintennur nicht gleich erkannt, weil sie ein ganz neues Kostümund einen ganz neuen Hut trug. Hier kennt manja nicht nur alle Menschen, sondern sogar alle Kleider,die diese weiblichen Menschen haben und wenn danun eine in einem ganz neuen Kostüm erscheint ― ―”und dann fragte er plötzlich: „Sag mal, Hans Joachim,hast du inzwischen etwas davon gehört, daß die Tante

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unseres Kommandeurs mit dem Automobil, das sieumwarf, in das Jenseits abgehupt ist?”

„Wie kommst du denn nur darauf?” fragte HansJoachim ganz verwundert.

„Weil Fräulein Christiane so tadellos angezogenging.”

„Also der bist du begegnet?”„Na, wem denn sonst?” fragte Scharfenberg und

diese Worte schienen Hans Joachim zu beweisen, daßder Freund wirklich in heißer Liebe entflammt war.Für den schien gar kein anderes weibliches Wesenmehr zu existieren. Und das war sehr gut, vorausge-setzt, daß es so blieb. Ihm fiel jetzt wieder ein, daß erim Kasino dem Kameraden zugeredet hatte, sich umFräulein Christiane zu bewerben, damit die endlichaufhöre, sich für ihn zu interessieren. Ob der anderesich dessen noch erinnerte, ob der in seiner Trunkenheitüberhaupt etwas von dem verstanden hatte, was derihm sagte? Hatte der sich heute nur zufällig in Fräu-lein Christiane verguckt, oder war das vielleicht dochunter der nachträglichen Einwirkung seiner guten Rat-schläge geschehen? Das hätte er gar zu gerne gewußt,aber noch bevor er danach fragen konnte, sagte Schar-fenberg plötzlich: „Was ich dich fragen wollte, HansJoachim, und das ist eigentlich der Grund meinesKommens ― ― du wirst dich erinnern, daß ich beideiner Sektbowle im Kasino nicht ganz nüchtern war.”

„Nicht ganz nüchtern ist gut,” meinte Hans Jo-achim belustigt.

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„Na, meinetwegen auch total besoffen, das ist jaschließlich ganz dasselbe, das andere hört sich nurbesser und gesitteter an. Aber gleichviel, ob so oderso, trotz meiner Trunkenheit muß ich wenigstens vorüber-gehend einmal einen lichten Moment gehabt habenund da ist mir immer so, als hättest du mir in diesemklaren Augenblick empfohlen, mich um Fräulein Chri-stiane zu bewerben, nachdem ich dir vorher erzählte,ich hätte jede Hoffnung, dereinst die Prinzessin zu ge-winnen, tatsächlich aufgegeben. Sag mal, stimmt das,oder stimmt das nicht?”

„Es stimmt.”Der andere machte ein ganz glückseliges Gesicht:

„Siehst du, da bin ich also gar nicht so betrunken ge-wesen, wie ich es mir hinterher einredete, undje länger ich darüber nachdenke, desto mehr komme ichzu der Erkenntnis, daß ich überhaupt nicht trunken war.”

„Lebe in dieser Erkenntnis nur ruhig weiter,”meinte Hans Joachim lachend, „eine objektive Wahr-heit gibt es bekanntlich gar nicht, wahr ist stets nur das,was wir für wahr halten.”

„Stimmt, aber um von der Philosophie wieder aufdie Liebe zu kommen, da muß ich dir gestehen, daß ichfest entschlossen bin, deinen Rat zu befolgen. Viel-leicht ist die Ilona-Katinka mit schuld daran, daß ichdas Junggesellenleben wieder einmal gründlich satthabe, oder auch nicht. Na, kurz und gut, als ich vorhinFräulein Christiane, ohne sie zuerst zu erkennen, vormir auf der Straße gehen sah, da gelobte ich mir:

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ist es nichts Anständiges, dann wird sie meine Ge-liebte, ist sie aber heiratsfähig, dann wird sie meineFrau.”

Hans Joachim atmete erleichtert auf: „Gott segnedich für diesen Entschluß und gebe dir die Kraft, deinGelöbnis zu halten. Solltest du aber doch einmalwieder schwankend werden, dann komme nur zu mir.Im gemeinsamen Gebet und bei einer gemeinsamenFlasche Sekt werde ich dich dann schon wieder aufden richtigen Weg zurückführen und wenn ich dirsonst irgendwie behilflich sein kann ― ― ― ―”

„Das mußt du sogar,” fiel ihm Scharfenberg schnellin das Wort, „auch deshalb habe ich dich aufgesucht,denn vorläufig ist die Liebe zwischen mir und Fräu-lein Christiane noch sehr einseitig. Ich selbst habe michzwar schon vorhin auf der Straße im stillen mit ihrverlobt, aber sie selbst weiß noch gar nichts davon.”

„Sie wird es schon noch erfahren,” meinte HansJoachim, „erlaube mir aber, wenigstens dir schon heutezu deiner Verlobung meinen herzlichsten Glückwunschauszusprechen. Möchtest du so glücklich werden, wiedu es verdienst, und möchtest du später in deiner Ehejeden Tag sagen: Wie gut, daß Hans Joachim michdarauf gebracht hat, um meine Christiane zu freien.”

„Gott solls geben,” stimmte ihm Scharfenberg ganzernsthaft bei, dann aber meinte er: „Es wird noch einschönes Stück Arbeit kosten, mir die Liebe meiner Brautzu gewinnen, das habe ich gemerkt, als ich mich vor-hin mit ihr unterhielt.”

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„Menschenskind, du hast sie doch nicht etwa ange-sprochen?” fragte Hans Joachim halb verwundert, halberschrocken. „Bedenke, hier in der kleinen Residenz ―sämtliche Gemüter werden sich darüber aufregen unddu bist schuld daran, wenn die hiesigen Damen in dennächsten vierzehn Tagen von einem Kaffeeklatsch zumanderen rennen, um diese Skandalaffäre zu besprechen.Du hast deine zukünftige Frau Gemahlin in den Augender hiesigen Hofgesellschaft auf das schwerste kompro-mittiert und jetzt mußt du sie heiraten, ganz einerleiob du willst oder nicht.”

Scharfenberg machte ein ganz verklärtes Gesicht:„Ich will schon, i c h schon, aber deine Befürchtungensind grundlos. Natürlich habe ich Fräulein Christianenicht angesprochen, wenigstens nicht so ohne weiteres.Glücklicherweise trug Fräulein Christiane zwei Paketein der Hand ― ― ― ―”

„Die sie fallen ließ.”„Aber nur durch meine Schuld. Du mußt nämlich

wissen, das ist mein Trick. Ich hatte mal einen Bur-schen, der war Taschenspieler. In Wirklichkeit aberwar der Kerl wohl gelernter Taschendieb und die einzigeSchule, die er in seiner Jugend mit Erfolg besucht hat,muß nach meiner gewissenhaften Überzeugung dieDiebesschule gewesen sein. Ich kann dir sagen, derzauberte aus meiner Tasche alles in seine Tasche hin-ein, was er nur haben wollte, selbst wenn er unmittel-bar vor mir stand und wenn ich ihm noch so scharf aufdie Finger guckte. Na und da hat er es mich gelehrt,

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wie man jede Dame dahin bringen kann, daß sie etwasfallen läßt, ohne daß sie es selbst merkt. Es ist diesungefähr derselbe Trick, den die Taschendiebe an-wenden, wenn sie den Damen ein Paket aus derHand nehmen, ohne daß die Dame eine Ahnung davonhat. Mit der Zeit habe ich es darin zu einer großenFertigkeit gebracht und ich bin meinem Burschen wirk-lich zu großem Dank verpflichtet, denn ihm verdankeich manche Eroberung.”

„Das glaube ich dir gern,” stimmte Hans Joachimihm interessiert bei, dann fragte er: „Würdest du nichtbereit sein, mir deinen Trick beizubringen?”

Aber der andere schüttelte den Kopf: „Lieber Freund,das ist Geschäftsgeheimnis, wenigstens vorläufig noch.Später, wenn ich nicht nur einseitig, sondern sogardoppelseitig verlobt bin, dann steht er dir gerne zurVerfügung, vorausgesetzt, daß du dann selbst noch fürden Verwendung hast, was ich aber nicht glaube,denn ich sagte dir schon neulich: dein Schicksal ist be-siegelt.”

„Nun hör' schon endlich mit der ewigen Siegeleiauf,” bat Hans Joachim, „und sage mir lieber, in welcherWeise ich dir bei Fräulein Christiane behilflich seinsoll.”

„In w e l c h e r ? In jeder,” meinte der andere,um dann nach einer kleinen Pause fortzufahren:„Sieh mal, Hans Joachim, meine Braut ist gewißein sehr hübsches und liebenswürdiges Geschöpf, dennsonst hätte ich mich doch nicht schon heute mit ihr ver-

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lobt, aber sie hat bei ihren vielen Tugenden auch einengroßen Fehler. Entweder spricht sie gar nicht, odersie spricht nur von dir und das muß sie sich doch ent-schieden abgewöhnen, denn sonst kann es mir ja späterin der Ehe passieren, daß sie eines Tages zu mir sagt:„Komm, gib mir einen Kuß, Hans Joachim.” Woich doch selber mit Vornamen Fritz heiße.”

„Das wäre allerdings peinlich,” rief Hans Joachim,„aber ganz so schlimm wird es wohl nicht werden undvor allen Dingen bildest du es dir wohl auch ein, daßFräulein Christiane nur von mir spricht. Verliebtesind in der Hinsicht ja doppelt empfindlich, um nichtzu sagen eifersüchtig.”

Aber Scharfenberg widersprach: „Ich bilde mirgar nichts ein. Nach allem hat sich Fräulein Christianebei mir erkundigt, wie es dir ginge, ob deine neueTätigkeit als Vortänzer dir viel Arbeit brächte ― ―sie äußerte ihre Freude darüber, daß du dich bei Hofesolcher Beliebtheit erfreutest, dann aber beklagte siees, daß du die alten Freunde ganz zu vergessen schienest,du wärest seit einer Ewigkeit nicht in ihrem Eltern-haus gewesen, während du dich früher dort sehr oftangesagt hättest. Na, über den letzten Punkt habeich sie nach Kräften zu trösten versucht und ihr ver-sprochen, daß du das bisher Versäumte so bald wiemöglich nachholen würdest und zwar schon morgenAbend. Also, ob du willst oder nicht, Hans Joachim,für morgen Abend sagst du dich bei dem Kommandeurnebst der dazu gehörigen Kommandeuse zum Abend-

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essen an, einmal meiner heimlichen Braut wegen,die sich sehr auf dein Kommen freut, dann aber auchmeinetwegen, denn je eher du anfängst, bei FräuleinChristiane für mich als Brautwerber aufzutreten, destodankbarer bin ich dir.”

„Na schön, meinetwegen,” erwiderte Hans Joachimnach kurzem Besinnen, „obgleich es mir morgen nichtbesonders paßt. Zunächst muß ich zum Tee bei derFrau Oberhofmeisterin. Das wäre ja allerdings keinHinderungsgrund, im Gegenteil, da hätte ich gleicheinen Vorwand, mich bei der Exzellenz sobald alsmöglich zu drücken. ― ― Aber hol mich der Teufel,”rief er plötzlich, „mir ist doch so, als wenn ich morgenAbend sonst noch etwas vorhätte, irgend eine Verab-redung. Was war das doch nur? Ach so, ja richtig,nun weiß ich, na die Sache kann ich ja aber auch schließ-lich auf eine spätere Stunde verschieben.”

„Ganz meine Ansicht,” pflichtete Scharfenberg ihmbei, um dann plötzlich und unvermittelt zu fragen:„Ist sie hübsch?”

„Sogar sehr,” gab Hans Joachim zur Antwort,„ich bewundere übrigens deinen Scharfblick, daß dusofort erraten hast, um was es sich handelt.”

„Kunststück,” meinte der andere, „wenn einer Schar-fenberg heißt, soll er keinen Scharfblick haben. Imübrigen bin ich gern erbötig, bei dem Rendezvousdeine Stelle zu vertreten, falls du doch nicht persönlicherscheinen kannst.”

„Du bist wirklich sehr liebenswürdig,” neckte Hans

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Joachim den Kameraden, „und daß deine Freundschaftsogar so weit geht, für mich ein hübsches Mädchenküssen zu wollen, ist geradezu rührend, aber ich möchtedich nicht in Versuchung bringen. Vergiß bitte nicht,du bist jetzt verlobt.”

„Aber deswegen brauche ich meiner zukünftigenFrau doch noch nicht treu zu sein,” verteidigte Schar-fenberg sich, „mit der Treue ist das überhaupt so 'neGeschichte. Ich las kürzlich mal irgendwo einen Witz,der aber eine große Wahrheit enthielt. Da sagte einejunge Frau zu ihrem Liebhaber: ‚Gewiß, ich habemeinen Mann sehr lieb, aber wenn ich ihm nicht zu-weilen untreu bin, dann kann ich ihm nicht treu sein.‛So ähnlich denke ich auch.”

„Na, warte es nur ab, du wirst es schon noch lernen,über diesen Punkt anders zu denken, wenn du erstverheiratet oder wirklich verlobt bist.”

Scharfenberg faltete die Hände zum Gebet: „Gottgebs, daß der Freudentag bald da ist. Ich habe dasJunggesellenleben weiß Gott satt und das sage ichdir, sobald ich verlobt bin, heirate ich auch, vorausgesetzt,daß die Tante bis dahin tot ist.”

„Die wird schon nicht ewig leben.”Aber Scharfenberg schien über diesen Punkt noch

nicht so leicht zu beruhigen zu sein, denn er fragte:„Aber was machen wir nur, wenn die alte Tantewieder auf die Beine kommt? Ich bin ja zwar auchnicht ganz unbemittelt, für die Kaution langt es sogardoppelt, aber trotzdem, je mehr man hat, desto besser

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ist es. ” Und noch einmal fragte er: „Was dann, wenndie Tante das Automobil überlebt, dann kann sie nochlange auf Erden herumwandern, denn gebrannte Kin-der scheuen das Feuer und wer einmal überfahrenwurde, geht in Zukunft jedem Automobil in einemgroßen Bogen aus dem Wege.”

„Und rennt gerade deshalb gegen das erste besteAutomobil an,” widersprach Hans Joachim. „Vor-sicht ist die Mutter der Weisheit, aber allzu großeVorsicht ist der Vater der Dummheit. Wer einer Ge-fahr allzu ängstlich aus dem Wege gehen will, kommtsicher dabei um und so möchte ich mit dir wetten:das Automobil, das die Tante nicht nur halb, sondernganz zur Strecke bringt, steht in Berlin schon zur Ab-fahrt bereit.”

„Ach, wäre es doch schon abgefahren,” rief Schar-fenberg mit einem tiefen Seufzer, um dann hinzu-zusetzen: „Gewiß, an und für sich habe ich gegen dieDame, die ich gar nicht kenne, nichts einzuwenden.Im Gegenteil, sie ist mir sogar durch ihren Reichtumungemein sympathisch.” Und dann bat er: „Du mußtmich nicht falsch verstehen, Hans Joachim, ich bin keines-wegs roh und gefühllos, aber was soll die alte Damenoch lange in der beständigen Furcht vor einem zweitenAutomobilunfall leben? Da hat sie doch keine froheMinute mehr und je eher das zweite Automobil sieerwischt, desto besser für die alte Dame, dann hat siedas Sterben hinter sich. Habe ich da nicht Recht?”

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„Vollständig,” stimmte ihm Hans Joachim an-scheinend sehr ernsthaft bei.

„Na, das freut mich,” rief Scharfenberg, „dannbrauche ich mir nicht den Vorwurf zu machen, viel-leicht doch etwas zu sündhafte Wünsche zu hegen.Nun aber, lieber Freund, wird es Zeit für mich,aufzubrechen. Ich habe mich zu einem Dauerskatverabredet und fürchte, daß ich ohnehin schon zu spätkomme.”

Bald darauf war Scharfenberg gegangen undHans Joachim wieder allein. Auch jetzt war ihm derGedanke, sich für morgen bei seinem Kommandeuransagen zu sollen, nicht allzu sympathisch, obgleich erwußte, daß man ihn sehr liebenswürdig aufnehmenwürde, vielleicht sogar zu liebenswürdig. Man würdesich seines Wiederkommens freuen wie der Rückkehrdes verlorenen Sohnes. Und Fräulein Christiane warunter Umständen sogar imstande, aus seinem Wieder-erscheinen Schlüsse zu ziehen, die keineswegs be-rechtigt wären. Es war nun einmal sein Unglück,daß er allen hübschen jungen Damen den Hof machenmußte. Er konnte es gar nicht anders und seine bestenVorsätze gingen zum Teufel, wenn er in ein Paarschöne Augen blickte. Aber es war erst recht sein Un-glück, daß die jungen Damen seine Worte immer gleichernsthaft nahmen und daß sie ihm von Anfang anein Interesse entgegenbrachten, das er gar nicht er-wartete und nach seiner gewissenhaften Überzeugungauch gar nicht verdiente.

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Nein, sehr verlockend war der morgige Abend fürihn nicht, aber er hatte es dem Kameraden versprochen,so mußte er auch hingehen.

So schrieb er denn schnell ein paar Worte, umseinen Burschen mit dem Billet fortzuschicken, undwenig später brachte der die Antwort, daß die Herr-schaften sich sehr freuen würden, wenn der Herr Leut-nant sich morgen Abend endlich wieder einmal sehenließen.

In dem Billet waren die Worte „endlich einmalwieder” sogar unterstrichen, von zarter Damenhand,denn die gestrenge Hand des Herrn Oberst pflegteenergischere Striche zu machen. Wer hatte den Strichgezogen? Die Tochter oder die Mutter, die ihn faststets wie ihren eigenen Sohn behandelt hatte, früherals er noch häufig im Hause des Kommandeurs ein-und ausging, bis er es dann für besser hielt, seine Be-suche immer mehr und mehr einzustellen, bis er dannschließlich nur noch kam, wenn er offiziell zu einemKommißpecco eingeladen wurde.

Bis er dann endlich aufhörte, sich in seinen Ge-danken mit Fräulein Christiane zu beschäftigen. Erstkam der Tee der Frau Oberhofmeisterin, der warwichtiger.

Voller Spannung sah Hans Joachim dem ent-gegen und als es dann am nächsten Tag soweit war,hieß Ihre Exzellenz ihn mit der denkbar größtenLiebenswürdigkeit willkommen.

„Wenn diese Freundlichkeit echt ist”, dachte Hans

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Joachim im stillen, „dann will ich mich auf der Stelleköpfen lassen, obgleich ich dieses Leben schon deshalbdem jenseitigen vorziehe, weil ich nicht weiß, ob imJenseits das Courmachen und das Küssen erlaubt ist.Vielleicht gibt es dort sogar eine Trennung der Ge-schlechter und das wäre nichts für mich.”

Und in Wirklichkeit war die Liebenswürdigkeit IhrerExzellenz so unecht wie nur möglich. Die war nochfalscher, als die Diamantkette, die sie um den Halstrug und die stets den Neid und die Bewunderung derbesitzlosen Klasse erregte, weil natürlich jeder in demGlauben lebte, eine Dame in der Stellung und vondem Rang Ihrer Exzellenz trage nur echten Schmuck.Ihre Exzellenz hatte manche schlaflose Nacht hintersich, bis sie sich dann endlich zu der Erkenntnis durch-grungen hatte: Du mußt dem Leutnant gegenüberso tun, als hätten dich seine Worte ganz kalt gelassen,als glaubtest du nicht eine Silbe von dem, was er direrzählte, als wäre das Ganze weiter nichts, als einböswilliges Gerede mißgünstiger Menschen.

Daß die verstorbene Fürstin nicht daran gedachthatte, ihr die Prinzessin in der Todesstunde an dasHerz zu legen, das wußte sie selbst am allerbesten.Ebenso gut aber glaubte sie zu wissen, daß die ver-storbene Fürstin keine schriftliche Aufzeichnung hinter-lassen habe, die den Wunsch ausdrücke, eine andereOberhofmeisterin möge die Erziehung der Prinzessinübernehmen. Existierte ein solcher Beweis tatsächlich,dann hätten ihre Feinde den schon längst zu finden

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gewußt und sich nicht damit begnügt, ihr mit diesemBeweis zu drohen. Dann hätten sie den schon längstvorgezeigt, wenn Hans Joachim auch kürzlich erklärte,Beweise, die man aus der Hand gäbe, verlören anWert, weil sie dann entweder widerlegt oder vernichtetwerden könnten.

Natürlich war es ihr erster Gedanke gewesen, sichbei Seiner Hoheit bitter über Hans Joachim zu be-schweren und den Herzog vor die Alternative zustellen: „Entweder er oder ich.” Dann aber hatte siesich doch wieder eines anderen besonnen. Sie mußtedoch immerhin mit der Möglichkeit rechnen, daß mansie fallen ließ, ganz besonders, wenn Prinzessin Renadie Partei des jungen Offiziers ergriff. Und daswürde die sicher tun. Gott allein mochte wissen, wasdie Prinzessin an dem so Besonderes fand, aber HansJoachim war bei der tatsächlich persona gra t i s s ima .Exzellenz bemerkte es bei jeder Gelegenheit und siewußte, es wäre ihre heiligste Pflicht gewesen, diePrinzessin in strengster Weise darauf hinzuweisen, daßsie einen Leutnant nicht in solcher Weise protegierendürfe, aber die Verlobung mit dem Fürsten stand jabevor, da wollte sie die Prinzessin nicht durch eineneue Strafrede erzürnen und sie vielleicht nochaufsässiger machen.

Die Prinzessin mußte den Fürsten heiraten, daswar für Ihre Exzellenz beschlossene Tatsache, dennder Erbherzog hatte der Frau Oberhofmeisterin gegen-über mit glänzenden Versprechungen nicht gespart,

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wenn sie ihm behilflich sein werde, sein Projekt zuunterstützen. Und sie hielt diese glänzenden Verspre-chungen schwarz auf weiß in Händen. Natürlichwürde auch sie diese Beweise niemals aus den Händengeben und vielleicht hatte Hans Joachim doch Rechtmit dem, was er in dieser Hinsicht behauptete.

Ob wirklich Beweise gegen sie vorhanden waren?Ihre Exzellenz zitterte bei dem bloßen Gedanken,eines Tages gewissermaßen als Betrügerin und Lüg-nerin dazustehen, aber dann hatte sie sich doch schnellwieder beruhigt. Drohte ihr tatsächlich eine Gefahr,so konnte sie der nur dadurch entgehen, daß sie ihrtapfer und mutig entgegenging, und vor allen Dingendurfte sie das Vorhandensein dieser Gefahr doch nichteinfach ableugnen, sondern sie mußte zugeben, daßdiese, wenn man so etwas behauptete, wohl auch tat-sächlich vorhanden sein müsse.

In diesem Sinne unterhielt sie sich denn auch mitHans Joachim, als sie zusammen denn Tee tranken:„Ich habe noch so viel über das nachgedacht, meinlieber Herr Leutnant, was Sie mir neulich Abenderzählten. Sie können sich denken, daß ich im erstenAugenblick erschrocken war. Wenn ein Mann beleidigtwird, wenn man in seine Worte Zweifel setzt, dannhat er doch immerhin die Möglichkeit, dem Verleumdermit der Waffe in der Hand gegenüberzutreten undGenugtuung zu fordern. Was aber soll eine Dametun, die keinen Mann und keinen Beschützer hat?Und das Grausamste ist, eine Dame zu verdächtigen,

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ohne öffentlich gegen sie Anklage zu führen. Wennman Beweise gegen mich zu haben glaubt, warumwendet man sich da nicht an Seine Hoheit, den re-gierenden Herzog? Aber wie dem auch immer ist,ich habe ein vollständig gutes Gewissen, das läßt michweiter auf meinem schweren, verantwortungsvollenPosten ausharren.”

„Aber Angst hast du im stillen doch,” dachte HansJoachim, „und wenn du glaubst, daß du durch diesesGewinsel und Gejammere mein Herz rührst, dannirrst du dich sehr, ich halte treu zu der Prinzessin.”

Von der sprach Ihre Exzellenz sonderbarerweisegar nicht. Auch das schwebende Heiratsprojekt wurdevon ihr mit keiner Silbe erwähnt, selbst dann nicht,als man auf den bevorstehenden Hofball zu sprechenkam, der bei dem Besuch der hohen Gäste stattfindensollte. Ihre Exzellenz legte es nur darauf an, HansJoachim durch ihre Liebenswürdigkeit zu bezaubernund er tat ihr den Gefallen, sich anscheinend bezaubernzu lassen.

So schieden sie denn als gute Freunde, als HansJoachim dann endlich aufbrach, um sich nach der Woh-nung des Kommandeurs zu begeben. Als er dieerreichte, sah er zu seinem Erstaunen, daß er nicht dereinzige Gast war. Auf dem Korridor hingen vieleMäntel und Säbel und Mützen und aus den Gesell-schaftszimmern, deren Türen geöffnet waren, dranglebhaftes Sprechen und das Lachen fröhlicher Mädchen-stimmen.

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„Was ist denn heute bei Euch los?” fragte HansJoachim den Burschen, der ihm die Tür öffnete. „Hatjemand im Hause Geburtstag? Sagen Sie mir aberbitte die Wahrheit, damit ich mir dann schnell noch einpaar Blumen besorge, ich kann unmöglich als einzigermit leeren Händen erscheinen.”

Aber der Bursche widersprach: „Es ist heute hierniemand im Hause geboren worden, soviel ich weiß,soll nur etwas getanzt werden.”

„Umso besser,” dachte Hans Joachim, „dann braucheich keine intime Familienunterhaltung zu führen undvor allen Dingen keine Vorwürfe anzuhören, daß ichmich solange nicht sehen ließ.”

Gleich darauf betrat er den Empfangssalon undwurde nicht nur von dem Kommandeur, sondern auchvon der Frau Oberst, einer immer noch hübscheneleganten Fünfzigerin, mit der größten Herzlichkeitbegrüßt: „Na, da sind Sie ja endlich einmal wieder,Hans Joachim, nicht wahr, Sie erlauben mir doch,daß ich Sie auch heute noch so nenne? Endlich habenSie einmal wieder den Weg zu uns gefunden, und nichtwahr, Sie werden in Zukunft nun auch wieder öfterkommen?”

„Aber gewiß, gnädige Frau, mit tausend Freuden,”gab er zur Antwort, um dann schnell fortzufahren:„Es war wirklich nicht böse Absicht oder böser Wille,wenn ich mich in der letzten Zeit nicht sehen ließ. Ichhatte privatim so viel Ärger und Verdruß.”

„Ja, ja, ich weiß,” stimmte die Hausfrau ihm bei,

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„aber nun ist ja alles glücklich geregelt. Ihre Stellungim Regiment und in der Gesellschaft ist fester als je,wir alle im Hause haben uns herzlich über die Wen-dung gefreut, die Ihr Leben nahm ― wir alle.”

Und es war wohl kein Zufall, daß in diesem Augen-blick die Augen der Mutter zu der Tochter hinüber-schweiften, die von einer Schar junger Leutnants um-geben war.

„Sie alle hier im Hause sind wirklich von einerrührenden Güte gegen mich,” wehrte Hans Joachimbescheiden ab, dann bat er um die Erlaubnis, auchFräulein Christiane begrüßen zu dürfen.

Aber wenn er geglaubt hätte, daß die ihn mit be-sonderer Herzlichkeit empfangen würde, dann irrte ersich sehr, aber er war darüber nicht allzu traurig. ImGegenteil, je kühler sie gegen ihn war, umso besser.Trotzdem aber konnte er sich ihr zurückhaltendes Wesennicht erklären, bis sie ihn dann plötzlich fragte: „WissenSie, daß uns die Prinzessin heute Abend die Ehreihres Besuches erweist und wissen Sie wohl, daß diePrinzessin Ihretwegen kommt?”

Hans Joachim glaubte nicht recht gehört zu haben:„Meinetwegen?”

„Allerdings,” lautete die Antwort, „aber das Näherewird Ihnen die Prinzessin wohl am besten selbst er-zählen.”

Aus dem Klang ihrer Stimme hörte er heraus,was Christiane bewog, ihn so kühl zu behandeln: sie

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war eifersüchtig, eifersüchtig auf die Prinzessin, als obdie sich irgendwie für ihn interessiere oder er sich für sie.

Das war denn doch wirklich zum Lachen, aber erblieb trotzdem ernst und betrachtete Fräulein Chri-stiane nun voller Verwunderung. Wie war es möglich,daß ein sonst so vernünftiges Mädchen auf einenso verrückten Gedanken kommen konnte? Aber seinBlick der Verwunderung hatte noch einen anderenGrund. Ihm kam es so vor, als hätte Christiane nochnie so hübsch und so verführerisch ausgesehen, wieheute Abend. Hatte sie sich seinetwegen so geschmückt,seinetwegen so viel Wert auf ihre Toilette gelegt?Wollte sie den Kampf mit ihrer vermeintlichen Rivalin,der Prinzessin, aufnehmen und versuchen, diese durchihre Erscheinung möglichst in den Schatten zu drängen?Auf jeden Fall sah sie in dem duftigen hellblauen Kleid,das so ausgezeichnet zu dem hellblonden Haar paßte,pompös aus. Mit einem raschen Blick umspann erihre schöne Figur und er begriff plötzlich sehr wohl,daß Scharfenberg sich gestern ernstlich in sie verliebthatte, als er diese Gestalt vor sich auf der Straßegehen sah.

Heimlich sah er sich nach dem Kameraden um,aber der war nicht geladen, obgleich diese Gesellschaftganz schnell improvisiert zu sein schien, denn amMittag war im Kasino noch nicht davon gesprochenworden. Ganz plötzlich mußten die Einladungen er-lassen sein. Daß Christiane da nicht an Scharfenberggedacht hatte, war für diesen kein gutes Zeichen.

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„Armer Bräutigam,” dachte er im stillen. Derarme Kerl tat ihm plötzlich aufrichtig leid und er nahmsich vor, nachher so ernsthaft wie nur irgend möglichdessen Partei zu ergreifen. Dazu bot sich bei Tischnatürlich die beste Gelegenheit und so bat er denn:„Werde ich als alter Freund des Hauses dieEhre haben, Sie, gnädiges Fräulein, zu Tisch führenzu dürfen?”

Nun warf sie ihm doch wieder einen warmen,freundlichen Blick zu. Sicher mußte sie erwartethaben, daß die Prinzessin ihn für sich als Tischherrnerbat, und daß er nun vorher sie engagierte, machtesie wieder froh und glücklich. Gewiß, wenn die Prin-zessin nachher seine Gesellschaft wünschte, mußte sienatürlich zurücktreten, aber gleichviel, für den Augen-blick war sie ihm dankbar und so willigte sie gerne ein.

„Na also,” meinte er übermütig, „dann ist derFriede und damit die Freundschaft wohl wiederzwischen uns geschlossen?”

Aber kaum hatte er das gesagt, als er es auchschon wieder bereute. Das war ja sein Unglück,daß er es nicht mit ansehen konnte, wenn ein hübschesjunges Mädchen seinetwegen verstimmt war. Dannhatte er nicht eher Ruhe, bis sie wieder froh und lustigwar und an die Wahrheit und an die Aufrichtigkeitseiner Worte glaubte. Und er merkte es, auch FräuleinChristiane glaubte, er sei wirklich glücklich, sie wiederversöhnt zu haben, und am liebsten hätte er sich nochjetzt nachträglich die Zuge abgebissen.

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Nur ein wahres Glück, daß sich in diesem Augen-blick der Gesellschaft eine gewisse Aufregung bemäch-tigte. Der Diener trat in das Zimmer, um zu melden,daß der Wagen der Prinzessin vorgefahren sei, undChristiane verabschiedete sich in freundlicher Weise,um dem hohen Gast entgegen zu eilen.

Bald darauf trat die Prinzessin, gefolgt vonihrer Hofdame, ein, strahlend und übermütig und voneiner Herzlichkeit und Natürlichkeit, die jeden bezaubernmußte: „Sie glauben es ja gar nicht, gnädige Frau,wie furchtbar ich mich freue, den heutigen Abend inIhrem Hause verleben zu dürfen,” erwiderte sie dieBegrüßung der Hausfrau, „hoffentlich sind Sie nichtzu böse, daß ich mich bei Ihnen zu Gast ansagte, und ichnehme an, daß Sie meinetwegen wirklich keine Umständemachten, denn sonst würden Sie mir den ganzen Abendverderben. Guten Tag, mein lieber Herr Oberst,”begrüßte sie gleich darauf den Hausherrn, um dannlachend fortzufahren: „Na, Sie werden schön böse aufmich sein, daß Sie nun heute keine Ruhe in Ihrenvier Wänden haben und sich nicht wie sonst ernsten,wissenschaftlichen Arbeiten widmen können. Übrigensläßt Seine Hoheit, der Herzog, Sie beide herzlichstgrüßen und auch seinerseits danken, daß ich heute beiIhnen sein darf.”

Auch für alle anderen Gäste hatte sie ein freund-liches Wort, als sie jetzt von Fräulein Ursula begleitetauf die Reihe der Geladenen zutrat.

Hans Joachim hatte sich so aufgestellt, daß die

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Prinzessin ihm als Letzten die Hand zum Kuß gebenmußte, er war auch absichtlich etwas beiseite getretenund so konnte ihm die Prinzessin jetzt unbemerkt zu-flüstern: „Wissen Sie wohl, daß ich einzig und alleinIhretwegen hier bin?”

„Wenn ich die Wahrheit gestehen soll, dann ja,Hoheit.”

Die Prinzessin machte für einen Augenblick wirklichein erschrockenes Gesicht, aber gleich darauf lachte siefröhlich auf: „Und dabei habe ich mir fest eingebildet,ich hätte die Sache so schlau angefangen, daß FräuleinChristiane gar nicht auf den Gedanken kommen könne,mein Erscheinen hier im Hause hinge irgendwie damitzusammen, daß Sie sich für heute hier angesagt hatten.Ich traf Christiane heute auf der Straße, wir kamenins Gespräch, sprachen auch über Sie und ich erfuhr,daß Sie heute Abend hier wären. Ich spielte dieErschrockene und sagte: ‚Ach, das tut mir aber leid,denn ich hatte die Absicht, mich heute Abend beiIhnen zu Gast anzusagen.’ Ich erklärte auf das be-stimmteste, dann lieber ein anderes Mal kommen zuwollen und ließ Fräulein Christiane wenigstens einehalbe Minute auf mich einreden, bis ich dann dochversprach, ebenfalls heute zu erscheinen. Und damitChristiane wirklich nicht glaube, ich sei Ihretwegengekommen, bat ich, ob wir heute nicht etwas tanzenkönnten. Wirklich, Herr von Köttendorf, ich habs soschlau angefangen und Sie glauben trotzdem, daßChristiane etwas gemerkt hat?”

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Hans Joachim brachte es nicht über sein Herz,die auch heute in einem weißen duftigen Kleide ent-zückend und verführerisch aussehende Prinzessin zubetrüben und so sagte er denn schnell: „Vielleichthabe ich es mir nur eingebildet, daß Fräulein Christianeden wahren Zusammenhang vermutet.”

„Sicher, Herr von Köttendorf, ist das bei Ihnennur Einbildung,” stimmte die Prinzessin ihm schnellbei, dann aber rief sie: „Und nun die Hauptsache,Herr Leutnant. Ich brenne ja vor Ungeduld. Ichhabe tatsächlich die letzten Nächte vor Aufregung kaumschlafen können. Ursula und ich haben uns das Ge-hirn zermartert, wo und wie ich Sie sprechen könnte,wir sind sogar dicht daran gewesen, Sie in IhrerWohnung zu überfallen, natürlich ganz heimlich, tiefverschleiert, bis mir dann der rettende Gedanke kam,mich hier anzusagen, als ich hörte, daß Sie hier seien.Ich betrachte ja auch Fräulein Christiane gewisser-maßen als meine Freundin und Ihre Exzellenz, dieFrau Oberhofmeisterin, hat Gott sei Dank gegenmeinen Verkehr in diesem Hause nichts einzuwenden,ja, sie hält es nicht einmal für nötig, mich hier-her zu begleiten. Aber nun die Hauptsache, endlichdie Hauptsache: Was haben Sie mit der Gräfin Link-fuß angestellt? Die hat ja eine stinkende Wut aufSie ― ― ― pardon,” meinte sie halb lachend, halbverlegen, „als Prinzessin darf ich wohl eigentlich dasWort „stinkend” nicht gebrauchen?”

„Mir gegenüber schon, Hoheit,” beruhigte er sie,

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„aber im übrigen irren Sie sich mit Ihrer Vermutung.Die Gräfin Exzellenz denkt nicht daran, mich zuhassen, sie liebt mich sogar anscheinend, ich war heuteNachmittag bei ihr zum Tee.”

„Und Sie leben noch?” fragte die Prinzessinschnell, „Sie sind nicht mit Zyankali vergiftet worden?Das verstehe ich nicht. Dann muß die Exzellenz sichwieder eines anderen besonnen haben, denn als Sieneulich Abend im Theater meine Loge verließen, dahätten Sie nur die Exzellenz sehen sollen. Sie warso erregt, daß es selbst ihr nicht möglich war, sich zubeherrschen, was haben Sie ihr denn nur erzählt?”

„Nichts von Bedeutung,” meinte Hans Joachimgelassen, „ich erlaubte mir nur zu bezweifeln, daß dieverstorbene Frau Herzogin wirklich den Wunsch ge-äußert habe, Ihre Exzellenz möge die Stellung alsOberhofmeisterin beibehalten, und ich deutete ferneran, daß Beweise dafür vorhanden sein sollten, daßdie verstorbene Frau Herzogin nach ihrem Tode eineandere Oberhofmeisterin für Ew. Hoheit gewünschthabe.”

Die Prinzessin sah ihn mit ihren großen schönenAugen halb erschrocken, halb verwundert an, dannmeinte sie endlich: „Das haben Sie ihr gesagt?Einen solchen Mut haben Sie besessen? Da bewundereich Sie wirklich und wenn ich Orden zu vergebenhätte, würde ich Ihnen den Orden I. Klasse für be-wiesene Tapferkeit zum Halse heraushängen.” DiePrinzessin lachte ein klein wenig über den Scherz,

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den sie da soeben nach ihrer Ansicht gemacht hatte,dann meinte sie: „Nun verstehe ich natürlich alles,”um dann plötzlich zu fragen: „Was aber dann, wenndiese Beweise, die gegen die Exzellenz vorhanden seinsollen, nun eines Tages verlangt werden?”

Hans Joachim zuckte die Achseln: „Dann, Ew.Hoheit, ist mein Latein zu Ende und mit meinemLatein ist es ohnehin nie sehr weit hergewesen.”

Die Prinzessin, die sich im Laufe des Gesprächeswie zufällig immer mehr und mehr von den anderenGästen entfernt hatte, sodaß sie nun mit Hans Joachimdie Schwelle überschritten hatte, die in ein Neben-zimmer führte, stand einen Augenblick ganz nachdenk-lich da, dann meinte sie: „Ihr Latein darf noch nichtzu Ende sein, Herr von Köttendorf, im Gegenteil,jetzt muß es erst anfangen. Haben Sie den Stein mirzuliebe schon mal ins Rollen gebracht, dann muß erauch weiter rollen. Fort muß die Exzellenz, denn ichhabe Grund zu der Annahme, daß sie auch später,wenn ich einmal verheiratet werde, bei mir bleibensoll. Der Erbherzog scheint ihr ähnliches versprochenzu haben, wenigstens ließ die Exzellenz neulich eineunüberlegte Äußerung fallen, die diesen Verdacht inmir wach werden ließ. Aber dieser Verdacht darf sichnicht bestätigen. Solange ich unmündig bin, muß ichmir ja die Oberhofmeisterin gefallen lassen, die manmir gibt, aber später wähle ich mir die selbst.” Unddann bat sie plötzlich: „Können Sie nicht noch im

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Latein ein paar Nachhilfestunden nehmen, HerrLeutnant?”

Aber Hans Joachim schüttelte den Kopf: „Ichfürchte, Hoheit, das Latein, das wir brauchen, wirdhier auf der Schule nicht gelehrt. Eher wäre es schonmöglich, daß in der Mathematikstunde die Aufgabegelöst wird: Woher bekommt man die Beweise, dieman nicht hat, die man aber dringend braucht?”

Da flog plötzlich ein glückseliges Lachen über dasGesicht der Prinzessin und vor Vergnügen wie einKind in die Hände klatschend rief sie ganz laut: „Ichhabs, ich habs!”

Unwillkürlich wandten sich Aller Blicke der Prin-zessin zu, die nun etwas verlegen wurde, dann meintesie leise: „Jetzt dürfen wir uns nicht länger mehrunterhalten, Herr von Köttendorf, führen Sie michbitte unauffällig zu den Übrigen zurück. Ich sageIhnen nachher, was mir eingefallen ist, nachher beiTisch, oder bei dem Tanz. Das beste ist, ich ernenneSie für heute Abend zu meinem Kammerherrn, dermir die Tänzer, die ich wünsche, zuführt. WollenSie das bitte Ihren Kameraden mitteilen, damit diemich nicht von selbst engagieren. Wir haben dannZeit genug, weiter miteinander zu plaudern.”

kaum hatte sich die Prinzessin wieder den übrigenGästen genähert und diese von neuem in das Ge-spräch gezogen, als der Hausherr auf die Prinzessinzutrat, um sie zu Tisch zu führen: „Wenn es Ew.

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Hoheit recht ist, daß wir einen kleinen Imbiß ein-nehmen ― ― ― ―”

Die Prinzessin hatte ausdrücklich darum gebeten,keine Umstände zu machen, aber trotzdem war es einzwar nur kleines, aber sehr gutes Souper, das serviertwurde.

Hans Joachim saß mit Fräulein Christiane ziemlichweit von der Prinzessin entfernt und von dem Augen-blick an, da er sich an der hübsch geschmückten Tafelniederließ, dachte er nur daran, wie er das Gesprächauf Scharfenberg bringen könne, ohne daß FräuleinChristiane sofort die Absicht merke und dementsprechendverschnupft würde.. Er konnte doch unmöglich zu ihrsagen: „Wissen Sie wohl, gnädiges Fräulein, daßSie gestern eine kolossale Eroberung mit bevorstehen-dem Heiratsantrag gemacht haben?”

Da kam ihm Fräulein Christiane selbst zu Hilfe.Die hatte keinen Blick von ihm gewandt, während sichdie Prinzessin mit ihm vorhin so lange unterhielt. Sieschalt sich selbst töricht, auf die irgendwie eifersüchtigzu sein, die kam doch für Hans Joachim ebenso wenigin Frage, wie er für sie, aber gleichviel. Je mehr diePrinzessin ihn mit Beschlag belegte, desto wenigerZeit fand er, sich um andere zu kümmern, und sie,Fräulein Christiane, wollte, daß Hans Joachim nunauch in Zukunft wieder häufig zu ihnen kam.

Und um das zu erreichen, gab es nach ihrer An-sicht nur e i n Mittel.

So sprach Christiane ihm denn plötzlich nur von

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Scharfenberg. Sie erzählte ihm von der gestrigenBegegnung, sie lobte sein Äußeres, seine tadellosenManieren, seine Kunst, sich leicht und angenehm zuunterhalten und seinen trockenen Humor, der ge-legentlich zum Ausbruch kam.

Zuerst hörte Hans Joachim mit einigem Erstaunenzu. Daß Scharfenbergs Aktien so gut standen, hatteer denn doch nicht erwartet, aber plötzlich fing er anzu begreifen. Dadurch, daß Fräulein Christiane denanderen so pries, wollte sie ihn selbst eifersüchtig machen,und diese seine Eifersucht sollte ihn dann veranlassen,endlich ernsthaft als Bewerber aufzutreten.

Das also war es!„Na wenn schon!” dachte Hans Joachim. „Wenn

du glaubst, daß das irgendwelchen Eindruck auf michmacht! ― ―”

Bis er sich dann sagte: „Warum sollst du ihr nichtden Gefallen tun, etwas eifersüchtig zu werden? Ihrmacht es Spaß und dir tut es nicht weh. Man tutja so vieles, um eine Braut zu gewinnen, warum sollman da erst recht nicht alles tun, um eine Braut wiederlos zu werden, die zwar noch keine ist, aber gerneeine werden möchte.”

Und so fing er denn an, die Rolle des Eifersüchtigenzu spielen. Natürlich in äußerst diskreter Weise, so-daß Fräulein Christiane gar nicht auf den Gedankenkommen konnte, seine Eifersucht sei nicht echt. Allzudeutlich durfte er sein Empfinden am ersten Tagenicht gleich hervortreten lassen, sondern erst nach und

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nach. Um dieses anzustacheln, würde Fräulein Christi-ane in Zukunft Scharfenberg bei jeder nur denkbarenGelegenheit auszeichnen und bei dieser Gelegenheitwürde sie sich dann entweder wirklich in Scharfenbergverlieben, oder sie würde derartig mit ihm in dasGerede kommen, daß sie ihn schließlich heiraten mußte,schon, weil sie sich zu sehr mit ihm kompromittierthatte. Und war sie erst Scharfenbergs Frau, dannwürde sie mit dem schon glücklich werden, denn HansJoachim hatte es längst eingesehen, daß er dem Kame-raden früher Unrecht tat, und daß der wirklich ein sehrnetter Mensch war.

Erst jetzt mußte es Fräulein Christiane auffallen, wie sonderbar es sei, daß gerade Scharfenberg nichtgeladen war, obgleich sie angeblich solch große Stückeauf ihn hielt, und so meinte sie denn plötzlich: „Es tutmir zu leid, daß Herr von Scharfenberg heute Abendnicht kommen konnte, aber mein Vater erzählte mir,er sei heute Ronde-Offizier, da hätte es gar keinenZweck gehabt, ihn einzuladen und ihm das Herz schwer zu machen.”

„Kannst du aber flunkern,” dachte Hans Joachim,„du hast deinen Vater gar nicht gefragt und der hatdir erst recht nicht solchen Unsinn geantwortet, dennder Ronde-Offizier muß sich jeden Mittag persönlichauf dem Regimentsbüro melden und da weiß derHerr Oberst ganz genau, daß Scharfenberg heutenicht den Dienst hat.”

Aber er tat natürlich, als ob er ihr glaube und er

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war von so bestrickender Liebenswürdigkeit, daßFräulein Christiane sich immer wieder sagte: „Dasalte Mittel, jemanden eifersüchtig zu machen, hilftdoch immer wieder. So nett wie er heute ist, war ereigentlich noch nie, er legt es schon jetzt darauf an,den Kameraden bei mir auszustechen, aber so leichtwill ich es ihm doch nicht machen.”

Nach einer kleinen Stunde war das Souper be-endet und gleich darauf stürmten die aus dem Kasinobeorderten Hilfsordonnanzen in das große Speise-zimmer, um dieses für den Tanz auszuräumen, undkaum eine Viertelstunde später eröffnete der Haus-herr mit der Prinzessin den Tanz.

Dann aber trat Hans Joachim sofort auf die Prin-zessin zu, um bei ihr den Dienst als stellvertretenderKammerherr zu übernehmen und um sie zu fragen,wen sie als nächsten Tänzer befehle.

„Natürlich den Vortänzer,” gab sie zur Antwort,„ich habe mir erzählen lassen, daß Sie es mit IhremAmt sehr ernst nehmen und die Tanzstunde sehrfleißig und gewissenhaft besuchen, da muß ich michdoch davon überzeugen, ob Sie schon Fortschrittegemacht haben.”

Und sie hielt mit ihrem Lob und ihrer Anerkennungnicht zurück, als er sie dann wieder zu ihrem Platzführte: „Ich mache Ihnen mein Kompliment, Herrvon Köttendorf, Sie haben unendlich viel hinzugelernt,Sie nehmen es heute schon mit jedem Ihrer Kame-raden auf. Sie müssen mit viel Lust und Liebe bei

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der Sache sein,” und ihn neckend ansehend, sagte sie:„Wer ist an Ihrem Eifer schuld, der Balletmeister,der gestrenge Lehrer, oder die Balletmädchen, mitdenen Sie sich eintanzen? Ich habe gehört, es wärendie hübschesten Mädchen für Sie ausgesucht worden.”

„Sogar die allerhübschesten,” stimmte er ihr über-mütig bei.

Da sah ihn die Prinzessin Rena halb ernsthaft,halb scherzend an und mit dem Zeigefinger drohend,rief sie ihm den bekannten Vers aus der Raubritter-zeit zu: „Jochem, Jochem, höde di, fangen wi di,dann hangen wi di !”

War es wirklich nur ein Zufall, daß die Prinzessinihm gerade heute die Worte zurief, oder hatte sie eineAhnung davon, daß die schönste Tänzerin des Balletsendlich seine Einladung, ihn einmal zu besuchen, an-genommen hatte und daß die wohl schon jetzt in seinerWohnung auf ihn wartete. War auch das hierbekannt geworden?

Auf jeden Fall bekam Hans Joachim einen mords-mäßigen Schrecken, er fühlte sich auf einer Schuldertappt, aber gerade deshalb suchte er sich nach Mög-lichkeit rein zu waschen: „Ew. Hoheit tun mir bitterUnrecht. Gewiß, ich bin in meinem Leben niemalsein Tugendbold gewesen und werde vor meinemTode auch schwerlich einer werden, aber trotzdem, indiesem besonderen Fall werden Ew. Hoheit nicht indie Lage kommen, mich zu fangen und zu hangen.”

„Umso besser für Sie,” lachte sie munter, um

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dann plötzlich und unvermittelt zu fragen: „FindenSie nicht auch, daß meine liebe Ursula heute einfachbildschön aussieht?” Und mit bewundernden Augenfolgte sie der Erscheinung ihrer Hofdame, die ebenjetzt an ihnen vorübertanzte.

Nun fuhr der Schrecken Hans Joachim abermalsin die Glieder. War auch diese Frage eine unbeab-sichtigte, oder dachte die Prinzessin doch daran, ihnfür die Freundin einzufangen, obgleich sie ihm amersten Abend erklärt hatte, seine Wahl zum Vortänzersei nicht Ursulas wegen erfolgt. Auf jeden Fall wollteer auch jetzt die Prinzessin nicht darüber im Zweifellassen, daß er nicht ernstlich an Fräulein Ursula dächteund so sagte er denn: „Gewiß ist Fräulein vonRengwitz blendend schön und namentlich heute Abendsieht sie süperb aus, aber trotzdem ― ― ― ― ―”

Mitten im Satz hielt er inne, aber die Prinzessinverstand ihn auch so und sagte fast unhörbar vor sichhin: „Arme Ursula”.

Aber Hans Joachim hatte sie doch verstanden undbeeilte sich, sich zu verteidigen: „Ew. Hoheit solltenlieber sagen: Armer Hans Joachim.”

Fröhlich auflachend blickte sie zu ihm empor:„Aber warum denn nur? Ich kann es nicht einsehen,daß Sie irgendwie zu bedauern sind.”

„Doch, Hoheit,” widersprach er. Es lag ihm aufder Zunge zu sagen: „Ich kann doch nicht alle jungenDamen heiraten, die von mir geheiratet sein wollen,”aber das hätte ja mehr als arrogant geklungen und so

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meinte er denn: „ich kann doch nicht alle jungenDamen heiraten, die ich gern heiraten möchte. Undwenn ich angesichts dieser Tatsache kein Mitleid ver-diene, dann verdiene ich es nie.”

„Da haben Sie Recht,” stimmte sie ihm bei undanscheinend ganz ernsthaft, aber doch mit einer Stimme,die den Schalk und den Übermut verriet, sagte sie,wie er es sich gewünscht hatte: „Armer Hans Joachim.”

Es war das erstemal, daß ihn die Prinzessin beimVornamen nannte, sie tat es ja auch nur, weil er ihrvorhin die Worte vorgesprochen hatte, aber trotzdemberauschte ihn dieses „Hans Joachim” aus ihrem Munde.Es klang so weich, so zärtlich, denn gerade, weil sieihn nur necken wollte, hatte sie die Worte besonderswarm ausgesprochen.

Und nun sagte sie noch einmal: „Armer HansJoachim, ich sehe es ein, Sie sind wirklich zu bedauern,warum sind Sie nicht als Sultan auf die Welt ge-kommen?”

„Vielleicht ist es besser so,” meinte er, „denn wennich der Sultan wäre ― ― ― ―”

„Nehmen wir einmal an, Sie wären es nicht nur,sondern bilden Sie sich ein, Sie sinds,” neckte sie ihn,„was dann?” ― ―

„Was dann?” er wußte es selbst nicht. Aber dieNähe der Prinzessin fing immer mehr an, ihn zu be-rauschen und zu bezaubern, er sah in ihr nicht mehrdie Prinzessin, sondern nur ein bezaubernd lieblichesGeschöpf, mit lachenden Augen und einem lachenden

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Mund und so sagte er denn jetzt: „Was ich als Sultantäte? Meinen ganzen Harem schickte ich zum Teufel,alle zweitausend Weiber, oder wieviel es sonst nachdem Gesetz sein müssen, um Allahs Wort zu erfüllen,und dann nähme ich mir nur eine Einzige zur Frauund ich würde nicht aufhören, diese zu lieben.”

Mit heißen, flammenden Augen sah er sie an undsie erriet, wer diese Eine sei. Für einen Augenblickwurde sie verwirrt, dann aber erwachte in ihr diePrinzessin und mit kühl verweisender, eine unüber-brückliche Schranke aufrichtender Stimme sagte sie:„Bitte, vergessen Sie nicht, Herr von Köttendorf, zuwem Sie sprechen.”

„Aber vergessen Ew. Hoheit bitte auch nicht, werzu Ihnen spricht,” verteidigte er sich. „Nicht der Leut-nant von Köttendorf, sondern Seine Majestät, derSultan von ― ― na, auf das Land kommt es ja schließ-lich nicht an. Ew. Hoheit haben mich vorhin selbstzum Sultan ernannt und solange mich Ew. Hoheitnicht wieder entthront haben ― ― ―”

Nun mußte sie doch unwillkürlich wieder überseinen Freimut lachen, dann meinte sie: „Na, meinet-wegen können Sie noch einen Augenblick auf IhremThron sitzen bleiben.” Und voller Absicht und Be-rechnung fragte sie jetzt: „Aber was dann, wenn dieEine, die Sie als Sultan heiraten wollen, den AntragIhrer Majestät dankend ablehnt?”

„Dann werde ich den Korb nicht so ohne weitereshinnehmen, sondern ich werde des Wortes gedenken.

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Und folgst du nicht willig, dann brauch' ich Gewalt.Ich werde mich auf meinen Halbmond setzen, meinefeurigsten arabischen Rosse vorspannen, in sausenderFahrt am Himmelsgewölbe dahineilen und die Ge-liebte entführen.”

„Und Sie glauben wirklich, daß das das richtigeMittel wäre, um sich die Liebe dieser Einzigen zugewinnen? Rohe Gewalt?”

„In meinem Lande schreckt man vor keinemGewaltmittel zurück,” verteidigte er sich. „Wir sinddoch halbe Asiaten, von der Kultur- und Sitten-geschichte noch wenig unterrichtet, und im übrigenmeine ich, selbst das Weib, das von einem Mann mitGewalt und gegen ihren Willen entführt ist, wirdund muß den Mann doch lieb gewinnen, wenn siemit der Zeit einsieht, w i e lieb der Mann sie hat.”

Wieder flammte es in seinen Augen auf und siekonnte es nicht verhindern, daß seine Blicke sie einklein wenig unruhig machten. So wie er hatte nochnie einer zu ihr gesprochen, so hatte noch nie einer sieangesehen. Angst und Furcht wurden in ihr wach,zugleich aber auch ein ihr bisher unbekanntes süßesGefühl des Wohlbehagens. Es mußte schön sein, wunder-bar schön sein, so geliebt zu werden. Dann aber drängtesich ihr blitzschnell die Frage auf: War es nicht mehrals leichtsinnig, Hans Joachim zum Vortänzer er-nannt zu haben? Sie ganz allein wußte ja, warumsie es tat. Das hatte sie nicht einmal ihrer FreundinUrsula anvertraut, obgleich sie sonst vor der kein Ge-

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heimnis hatte. Auch der hatte sie nur erzählt, siebrauche angesichts des schwebenden Heiratsprojekteseinen absolut treuen und zuverlässigen Freund amHofe. Die Hauptsache hatte sie ihr nicht gesagt, daßauch sie, bevor sie einmal heirate, ihren kleinen Flirtgehabt haben wolle. Sie wollte, bevor sie als Prin-zessin offiziell verheiratet würde, ohne viel danachgefragt zu werden, ob sie ihren späteren Mann auchliebe ― vorher wollte auch sie einmal kennen gelernthaben, was Liebe sei. Sie war doch nicht nur Prin-zessin, sondern ein junges, lebenslustiges, tempera-mentvolles Mädchen. Auch sie wollte einmal, natür-lich nicht zu ernsthaft, geflirtet haben, wie esall die anderen jungen Damen taten, die nicht dasUnglück hatten, als Prinzessin auf die Welt gekommenzu sein und unter der strengen Aufsicht einer Ober-hofmeisterin zu stehen. Und zu diesem Spiel, dasnatürlich nur ein Spiel bleiben sollte, hatte sie sichHans Joachim auserkoren, weil ihr der von allenjungen Herren der Residenz der sympathischste warund weil sie, ohne es selbst zu wissen warum, das Spielgerade mit ihm für am ungefährlichsten hielt.

Und es würde auch ungefährlich bleiben, ein Wortvon ihr genügte, um alle Illusionen wieder zu zer-stören, sie war ja die Prinzessin.

„Habe ich da nicht Recht, Hoheit?” erklang daabermals Hans Joachims Stimme, als sie immernoch schwieg.

Sie mußte sich erst wieder darauf besinnen, wo

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sie war. Traumverloren hatte sie dagestanden unddas Singen und Klingen der Geigen, nach derenTönen die Paare sich im Tanze drehten, hatte nochdazu beigetragen, sie immer weiter in ein Traum-land zu führen. Jetzt zwang sie sich mit aller Gewaltin die Wirklichkeit zurück, aber sie mußte sich erstwieder auf seine letzten Worte besinnen, bevor sieihm antworten konnte: „Ob Sie Recht haben? Daskann ich nicht beurteilen. Die Sitten und GebräucheIhres Landes, Herr Sultan, sind mir zu fremd undich weiß auch nicht, wie Ihre orientalischen Frauenüber so etwas denken. Wir abendländischen Frauensind jedenfalls wesentlich anders geartet und wirlassen uns zu keiner Liebe zwingen, nicht einmal durchdie Liebe des Mannes, sondern wir folgen lediglichdem Zuge unsres Herzens. Und nun, Herr Sultan,wollen wir das Thema fallen lassen. Steigen Sie wiederherunter von Ihrem Thron,” und absichtlich gewalt-sam jede Erinnerung an das eben beendete Gesprächzerstörend, bat sie, ganz wieder die Hoheit: „WollenSie so liebenswürdig sein, Herr von Köttendorf,und Herrn Leutnant von Kammler zum Tanz zu mirbefehlen?”

Hans Joachim beeilte sich, den Wunsch der Prin-zessin zu erfüllen und als sie dann wieder auf ihrenPlatz zurückkehrte und als er dann wieder nebenihrem Sessel stand, hatte sie anscheinend das Ge-spräch von vorhin vollständig vergessen. Fröhlichund unbefangen wie immer unterhielt sie sich mit

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ihm, um ihm dann endlich halblaut zuzuflüstern:„Ich habe es mir überlegt, Herr von Köttendorf,es ist doch besser, wenn wir hier nicht mehr über unsereHauptangelegenheit sprechen. Ich sagte Ihnen zwarvor dem Souper, ich glaubte zu wissen, wie Ihr Lateinweiter gehen könne, aber hier sind zu viele Lauscher.Über orientalische Märchen kann man sich ja schließlichin jedem Ballsaal unterhalten, aber sobald ein Namegenannt wird, spitzen alle die Ohren. Ich will nach-denken, wo und wie ich Sie einmal unter vier Augensprechen oder wie ich Ihnen sonst mitteilen kann,wie ich mir die Fortsetzung Ihrer Intrige denke.Auf jeden Fall ist die Sache so schön eingefädelt, daßsie nun noch weiter gehen muß.”

„So sind Hoheit also wirklich mit mir zufrieden?”„Sogar sehr,” lobte sie ihn.Das erfüllte Hans Joachim mit aufrichtiger Freude,

aber noch ein anderes stimmte ihn froh und glücklich:aus jedem Wort, das die Prinzessin sprach, hörte erganz deutlich heraus, daß sie nicht daran dachte, ihmwegen der versteckten und doch so deutlichen Liebes-erklärung, die er ihr gemacht hatte, irgendwie zuzürnen. Als er vorhin fortging, um für die Prinzessinden Tänzer zu holen, hatte er sich die größten Vor-würfe gemacht, so zu ihr gesprochen zu haben. Ja,er begriff es selbst nicht, wie er sich zu solchen Andeu-tungen hatte hinreißen lassen können. Aber wie einRausch war es über ihn gekommen, wie ein Rausch,dem man willenlos unterliegt.

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Nun war auch er wieder zur Vernunft gekommen undganz wieder der lustige und amüsante Gesellschafter,der er sonst war. Er merkte es deutlich, wie belustigtund amüsiert die Prinzessin ihm zuhörte. Er hörteihr frohes, heiteres Lachen, er sah die freundlichenBlicke, die sie ihm zuweilen zuwarf, und hin und wiedernickte sie ihm vertraulich zu, bis sie dann plötzlichfragte: „Ist es aber eigentlich nicht sehr grausam vonmir, heute Abend von Ihnen nur Kammerherren-dienste zu verlangen? Ich bringe Sie doch dadurchum das Vergnügen des Tanzens.”

Aber er widersprach: „Wenn ich die Wahl habezwischen dem Tanzen und der Auszeichnung, mitEw. Hoheit plaudern zu dürfen, dann fällt mir dieWahl wirklich nicht schwer.”

Mehr als seine Worte mochte wohl der Klangseiner Stimme sie davon überzeugt haben, daß erihretwegen wirklich gern auf den Tanz verzichte. Aber-mals warf sie ihm einen freundlichen Blick zu, dannaber sagte sie: „Lediglich den Zuschauer spielensollen Sie aber meinetwegen doch nicht, ich möchtejetzt einmal wieder mit Ihnen tanzen, einen Walzer.Lassen Sie die Musik bitte den Mondschein auf derAlster von Fetras spielen. Die Musik wird ihn schonkönnen, denn sie weiß, daß es mein Lieblingswalzerist, nach dem wollen wir dann tanzen.”

Leise und verlocken erklange gleich darauf dieGeigen und verlockend und verführerisch wie eineNixe ruhte die Prinzessin Rena in Hans Joachims

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Armen, als dieser mit ihr den Walzer begann. Eswar Sitte und Brauch, die Prinzessin, wenn diesetanzte, dreimal allein mit ihrem Partner durch denSaal tanzen zu lassen, bis die anderen Paare eben-falls antraten. Aber jetzt dachten die anderen Gästenicht daran, dem Beispiel der Prinzessin zu folgen.Voller Erstaunen und voller Verwunderung blicktenalle auf Hans Joachim: Wo hatte der es plötzlich ge-lernt, s o zu tanzen? Auch vorhin war es ihnen jaschon aufgefallen, wie große Fortschritte er gemachthatte, aber jetzt trauten sie trotzdem ihren Augennicht.

Und auch die Prinzessin hielt mit ihrem Lob nichtzurück. Mehr als einmal flüsterte sie ihm ganz leiseund verstohlen zu: „Gott, ist das schön, so möchte ichimmer tanzen.”

Und war es Wirklichkeit, oder bildete er es sichnur ein, daß sie ihm ganz leise seine Hand gedrückthatte?

Aber auch ohnedem war sein Blut in heißer Wall-ung. So eng hatte sich die Prinzessin noch nie beimTanzen an ihn geschmiegt, so schön, so sinnlich auf-reizend und entflammend war sie ihm noch nie er-schienen. Er sah, wie sich ihr entzückender Busenhob und senkte, er fühlte ihren Atem, er roch denverführerischen Duft, der von ihr ausging, und jetztwünschte er sich wirklich, ein Sultan zu sein, um diePrinzessin in seinen Harem entführen zu können und

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voller Leidenschaft von ihr Besitz zu nehmen, währendso wie jetzt die Geigen dazu erklangen.

Aber welche Stürme auch immer in seinem Innerentobten, nach außen hin verriet er nichts davon. Erwußte, daß Aller Augen auf ihn gerichtet waren ― ―da durfte er schon um der Prinzessin willen nichtzeigen, wie es in ihm aussah. Keine Miene zucktein seinem Gesicht. Seine Augen blickten ruhig undgleichgültig und nach außen hin war er in seinerHaltung und in seinen Bewegungen der korrektesteVortänzer, den man sich nur denken konnte.

„Lassen Sie uns aufhören ― ― ― so schön esauch ist, ich kann nicht mehr ― ― ― die Anderensollen tanzen, aber jetzt gleich.”

Hans Joachim gab den übrigen Gästen das Zeichen,mit dem Tanz zu beginnen und während diese derAufforderung nachkamen, führte Hans Joachim diePrinzessin zu ihrem Platz zurück. Aber kaum hattedie sich tiefatmend in ihrem Sessel niedergelassen,als der Diener auf sie zutrat, um ihr zu melden, daßder Wagen vorgefahren sei.

Halb erstaunt und halb unwillig blickte die Prin-zessin auf: „Ist es denn schon so spät?” Und zu HansJoachim gewandt, meinte sie leise: „Sicher schicktdie Exzellenz den Wagen wieder zu früh. Natürlichtut es ihr leid, mir dieses Vergnügen gegönnt zuhaben ― ― ― na, allzu lange werde ich hoffentlichnicht mehr unter ihren Launen zu leiden haben.”

Aber ein Blick auf die Uhr bewies ihr dann doch,

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daß sie der Oberhofmeisterin Unrecht tat. Der Wagenwar genau auf die Minute, die sie mit der Exzellenzverabredet hatte, vorgefahren.

„Dann muß ich gehen,” meinte sie, sich erhebend,„nicht, weil die Exzellenz mich sicher erwartet, sondernweil Seine Hoheit es nicht liebt, wenn ich die Pferdestehen lasse, noch dazu bei einem solchen Wetter.”

„Hoheit sollten trotzdem lieber noch einen Augen-blick warten,” meinte Hans Joachim, „Ew. Hoheitsind sehr erhitzt und könnten sich sehr leicht erkälten.”

„Das werden Ihre Hoheit nicht tun,” gab sie halbbelustigt, aber auch etwas ärgerlich über die nach ihrerMeinung etwas zu förmlich klingende Anrede zurAntwort, „Hoheit haben einen sehr warmen Abend-mantel und außerdem noch eine Kapuze, die Hoheitüber den Kopf zieht, da wird Ihrer Hoheit schon nichtspassieren. Und nun, Herr Vortänzer und stellver-tretender Herr Kammerherr, sagen Sie bitte FräuleinUrsula, daß wir gehen müßten.” Und nach einerkleinen Pause setzte sie mehr für sich als für die anderenbestimmt hinzu: „Schade, es war so hübsch.”

Der Aufbruch der Prinzessin ließ natürlich vorüber-gehend den Tanz unterbrechen, dann aber nahm dersogleich seinen Fortgang und Hans Joachim mußtenun das bisher Versäumte nachholen. Er war esallen Damen schuldig, wenigstens einmal mit jedergetanzt zu haben. Zunächst engagierte er wieder dieTochter des Hauses und wenn auch etwas gegen seineÜberzeugung, entschuldigte er sich bei ihr, daß er

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sich bisher so wenig um sie gekümmert habe: „Abernicht wahr, gnädiges Fräulein, das sehen Sie selbstein, der Dienst bei der Prinzessin geht vor.”

„Selbstverständlich,” pflichtete sie ihm bei, umdann ganz unvermittelt zu sagen: „Denken Sie sichnur, Herr Leutnant, Papa hat mir vorhin plötzlicherklärt, er hat sich geirrt, Herr Leutnant von Scharfen-berg ist heute garnicht Offizier vom Ortsdienst. Papahat heute mittag die Meldung im Büro nicht selbstin Empfang genommen, dadurch ist der Irrtumentstanden. Das ist mir natürlich sehr peinlich undich habe Papa vorhin auch ganz gehörig ausgescholten.Was soll der Herr Leutnant nur denken, daß geradeer nicht eingeladen ist? Papa hat mir versprochen,den Herrn Leutnant morgen über das Versehenaufzuklären, aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wennauch Sie ihm sagen wollten, wie leid es mir tut, daßer heute Abend nicht bei uns war und daß er mirsehr gefehlt hat. Nicht wahr, Sie werden ihm dassagen? Sie sind ja beide jetzt sehr gute Freunde ge-worden.”

Wieder gelang es Hans Joachim, eine gewisseEifersucht zur Schau zu tragen, und mit Worten undGebärden spielte er, um Fräulein Christiane eineFreude zu machen, weiter den Eifersüchtigen, bisdann endlich das Fest sein Ende erreichte. Für dieanderen viel zu früh, für Hans Joachim viel zu spät,denn seitdem die Prinzessin gegangen war, hattedie Tanzerei für ihn jeglichen Reiz verloren.

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So war er froh, als er endlich nach Haue gehenkonnte. Erst als er sich seiner Wohnung näherte, fielihm wieder ein, daß er zu Hause erwartet würde.Richtig, das hatte er ja ganz vergessen. Das hübscheBalletmädel, das lange genug die Unnahbare gespielthatte, wartete auf ihn. Aber der Gedanke lockte undreizte ihn absolut nicht. Im Gegenteil, er ertapptesich dabei, daß er im stillen hoffte, dem Mädel mögedas Warten zu lange gedauert haben und es sei wiederfortgegangen.

Das war aber nicht der Fall, denn als er seineWohnung betrat, eilte ihm sein Bursche entgegen,um ihm geheimnisvoll zuzuflüstern: „Herr Leutnant,das Fräulein wartet schon seit wenigstens drei Stunden.Zuerst war sie sehr böse und wollte gleich wieder weg-gehen, weil der Herr Leutnant nicht zu Hause waren.Na, ich habe sie beruhigt und damit ihr das Wartennicht zu lange würde und vor allen Dingen, damitsie wach bliebe, habe ich ihr eine Flasche Sekt gegebenund bei dem Wachbleiben ist sie dann ganz fest einge-schlafen.”

Leise öffnete Hans Joachim dien Tür zum Wohn-zimmer und trat ein. Sein Bursche, der draußen ge-blieben war, hatte Recht. Die Tänzerin schlief wirklich.Sie lag auf der großen, breiten Chaiselongue undhatte es sich bequem gemacht, den Rock ausgezogen,wohl, um diesen nicht zu sehr zu verliegen, und dieBluse mit dem hohen, weißen Stehkragen geöffnet.Hans Joachim zog die dünne, seidene Decke fort,

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mit der sie sich zugedeckt hatte, ohne daß die Schläferinwach wurde, und betrachtete sie nun, wie sie da vorihm lag. Es war wirklich ein sehr hübsches Mädchen,herrlich gewachsen, mit einem hübschen, frischenGesicht.

Einen Augenblick stand er unschlüssig da: Sollteer die Tänzerin wecken? Allzuviel Lust hatte er nicht,aber seine Sinne waren durch die Prinzessin ent-flammt, sollte er seine Glut in den Armen der Tänzerinkühlen?

Bis er sich dann sagte: Warum nicht? Wäre esnicht eine grenzenlose Dummheit, das hübsche Mädelruhig weiter schlafen zu lassen, anstatt die zu liebkosen?

Da beugte er sich über sie, um das schlummerndeDornröschen durch einen Kuß zu wecken.

„Jochem, Jochem, höde di, fangen wi di, dannhangen wi di !”

Ganz erschrocken richtete er sich wieder auf, nochbevor seine Lippen den Mund des Mädchens berührthatten. Dann wandte er sich blitzschnell um: Dask o n n t e keine Einbildung sein, ganz laut m u ß t ejemand hinter ihm diese Worte gesprochen haben.Aber es war kein Dritter da.

Da plötzlich dachte er wieder an die Prinzessin:Wenn die wüßte ― ― ― ― ―

Gott sei Dank, sie wußte es ja nicht und sie würdees ja auch nie erfahren, aber trotzdem ― ― ― ― jetztdieses Mädel in die Arme nehmen, in dieselben Arme,mit denen er vorhin die Prinzessin umfangen hielt?

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Er war gewiß kein Tugendbold und jede senti-mentale Anwandlung lag ihm vollständig fern, abertrotzdem, das brachte er denn doch nicht fertig. Erhatte so die Empfindung, als ob er dann der Prin-zessin nie wieder frei und offen würde in die Augensehen können.

Bis er sich dann doch wieder sagte: „Was gehtdich die Prinzessin an? Ja, wärest du ihr ebenbürtig,könntest du hoffen, sie jemals zu gewinnen, sie der-einst deine Frau zu nennen, dann ja, ― ― ― ― ―aber so, ― ― ― ― es ist ja überhaupt ein Unsinn,an die Prinzessin zu denken.”

Aber er dachte doch fortwährend an sie, als ergleich darauf die Tänzerin geweckt hatte und als ihreLiebkosungen von neuem seine Leidenschaften ent-flammten. ― ― ― ― ―

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V.

Leutnant Scharfenberg hatte Liebeskummer undzwar aus einem Grund, der, wie er sich selober ein-gestand, jeden anderen anstatt unglücklich sogar sehrfroh gestimmt haben würde: Er machte bei seinerAngebeteten zu schnelle Fortschritte. Fräulein Christi-ane behandelte ihn plötzlich mit einer Auszeichnung,die er sich nicht zu erklären vermochte. Erst gesternwieder bei dem Diner, das der Oberstallmeister derHofgesellschaft gegeben hatte. Der Hof selbst warnicht zugegen gewesen, die Prinzessin litt immer nochan einer Erkältung, die sie sich vor acht Tagen aufder Heimfahrt vom Ball bei dem Herrn Oberst zu-gezogen hatte, und so war auch Fräulein Ursula nichterschienen, die sonst als Stellvertreterin gesandtwurde, wenn die Prinzessin entweder keine Zeit oderkeine Lust hatte, einer Einladung Folge zu leisten.Auch Seine Hoheit war nicht gekommen. Den hieltenangeblich Regierungsgeschäfte fern. Na, man wußteja, worin die bestanden. Und wohl, um es nicht mit

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anhören zu müssen, wie man, wenn auch nur heim-lich und verstohlen über die neue Liaison SeinerHoheit mit der erst kürzlich engagierten SchauspielerinFräulein Verden tuschelte, war auch die Oberhof-meisterin zu Hause geblieben, allerdings, wie sieschrieb, lediglich, um gemeinsam mit der Hofdame dererkrankten Prinzessin Gesellschaft leisten zu können.

So war man ganz unter sich gewesen und da dieAnwesenheit des Hofes doch immerhin einen gewissenZwang auferlegt und dieser Zwang gestern fehlte,war der Abend in beinahe übermütiger Stimmungverlaufen und namentlich Fräulein Christiane war solustig gewesen, wie kaum zuvor. Das konnte nachScharfenbergs gewissenhafter Überzeugung seinenGrund nur darin haben, daß es mit der Erbtantein Berlin gesundheitlich sehr schlecht stand. Mehr alseinmal lag es ihm auf der Zunge, Fräulein Christianedanach zu fragen, aber die hätte ihm doch nicht dieWahrheit gestanden, und wenn sie ihm erzählt hätte,daß die Tante bald wieder ganz genesen sei ― daswollte er nicht hören, die Trauerbotschaft kam immernoch früh genug.

Er hatte Fräulein Christiane zu Tisch geführt unddie war von der größten Liebenswürdigkeit gegenihn gewesen, gleichsam, als wolle sie ihn dadurchdafür entschädigen, daß er nicht auf dem Tanzfest imHause ihrer Elter gewesen war. Ja, Fräulein Chri-stiane schien es darauf abgesehen zu haben, ihn voll-ständig zu bezaubern und so sehr er sich natürlich auch

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darüber freute, so kam ihm die Sache trotzdem nichtganz geheuer vor. Dieses „Zuviel” machte ihn stutzigund erst recht der Umstand, daß sie garnicht von HansJoachim sprach ― sie erwähnte den mit keiner Silbe,ja, sie vermied es anscheinend sogar absichtlich, währenddes Diners auch nur einmal zu Hans Joachim hin-überzusehen, obgleich der ihr mit seiner Tischdameschräg gegenüber saß.

Er hatte sich an Fräulein Christianes Seite nichtbesonders wohl gefühlt und wenn er es auch keines-wegs bedauerte, sich bereits einseitig mit seiner Nach-barin verlobt zu haben, so wäre es ihm doch liebergewesen, er hätte seine Braut erst näher kennen gelernt,bevor er sich für seine Person fest an sie band. Scharfen-berg gestand es sich selbst jederzeit offen ein, die Weis-heit nicht mit Löffeln gefressen zu haben, aber dasmerkte er mit seinem Verstande doch, daß Christianenoch garnicht daran dachte, sich in Wirklichkeit ernsthaftfür ihn zu interessieren.

Das hatte ihn ganz traurig gestimmt, ihn aberdann veranlaßt, auf der Stelle damit zu beginnen,in stiller, ruhiger, vornehmer Art um ihre Gunstzu werben. Christiane hatte das sofort bemerkt undihn zuerst ganz verwundert, dann prüfend und forschendangesehen und war dann, wenn auch nur zögerndund widerstrebend, auf seinen Ton eingegangen,bis sie ihn dann doch plötzlich wieder mit einer der-artig übertriebenen Liebenswürdigkeit behandelte,

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daß seine Hoffnungen abermals in das Schwankengerieten.

Scharfenberg hatte Liebeskummer. Er lag inseinem behaglich und hübsch eingerichteten Wohnzim-mer auf der Chaiselongue, freute sich darüber, daßder Herbstwind um das Haus heulte und daß er nichtnötig habe, bei dem Wetter auszugehen. Gewiß,zu Tisch mußte er ja in das Kasino hinüber, aber bisdahin war noch lange Zeit und die Zwischenzeit ver-trieb er sich damit, daß er nachdachte und zwischen-durch in Heinrich Heines Buch der Lieder las. DieGedichte paßten in seiner unglücklich verliebten Stim-mung am besten für ihn.

Aber plötzlich wurde er gewaltsam gestört. DerBursche trat ein, um zu melden, daß eine Ordonnanzdraußen sei. Der Herr Hauptmann lasse den HerrnLeutnant bitten, sofort in das Lazarett zu gehen,um mit dem Musketier Willawowsky ein Verletzungs-protokoll auf zunehmen und bei der Gelegenheit,wenn irgend möglich, festzustellen, ob der Mannsich seine Kniescheibe wirklich nur bei einem Sturzverletzt habe, oder ob der Mann bei einer Schlägereivon dem Kameraden einen wohlgezielten Fußtrittgegen das Knie erhalten habe.

„Ich trete dir selber gegen die Kniescheibe,” herrschteScharfenberg seinen Burschen an. „Bleibe mir nurmit solchen Geschichten vom Leibe, sonst kannst duwas erleben. Und ob Willawowsky, dieser edle Pole

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aus der Walachei, sich so oder so seine Kniescheibeverletzte, ist mir so gleichgültig wie nur möglich.”

„Aber dem Herrn Hauptmann nicht,” erlaubtesich der Bursche zu bemerken.

„Der Teufel soll den Herrn Hauptmann holen,”brauste Scharfenberg auf, „Der Herr Hauptmannkann mir sonst was ― ― ― wenn er Lust hat, jedenTag von fünf bis sieben ― ― ― das heißt, ich meinenatürlich,” verbesserte er sich rasch, damit sein Burschenicht etwa auf den Gedanken käme, er, der Herr Leut-nant, habe soeben auf seinen Hauptmann gescholten,„wenn ich eben sagte, Friedrich, der Herr Hauptmannkann mir sonst was ― ― so wollte ich damit natürlichnur sagen, der Herr Hauptmann kann mir sonst wasbefehlen. Jeder andere Befehl sei mir lieber als der,nun in das Lazarett gehen zu müssen. Aber was hilftdas alles? Die Befehle sind dazu da, um ausgeführtzu werden und der Soldat gehorcht ohne zu murrenund ohne zu fluchen. Nimm dir ein Beispiel an mirund fluche nie. Verstanden?”

„Zu Befehl, Herr Leutnant!”„Na, dann ist es ja gut, ich will mich gleich anziehen,

lege mir alles zurecht.”Bald darauf machte sich Scharfenberg ingrimmig

vor sich hin fluchend auf den Weg. Jetzt konnte unddurfte er fluchen, denn jetzt hörte ihn niemand undüberhaupt, wenn das Fluchen nicht wäre, dann sollteder Satan den ganzen Kommiß holen, denn das Fluchenallein machte das Leben zuweilen erträglich. Nur

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langsam kam er vorwärts. Der Wind heulte undpfiff ihm entgegen, es war das richtige November-wetter. Der Winter mit Schnee und Eis wollte seinenEinzug halten, aber noch verteidigte der Herbst seineStellung und nun kämpften die beiden da oben mit-einander in der Luft herum.

Scharfenberg hatte eine gute halbe Stunde zugehen, durch den weiten Weg wurde seine Stimmungnicht besser und auch dadurch nicht, daß er gerade mitdem Musketier Willawowsky ein Protokoll aufnehmensollte. Der führte in der Kompagnie den Beinamen„Der Verbrecher”, allerdings ohne, daß er mit demStrafgesetzbuch in Konflikt gekommen wäre. Abersein Hauptmann hatte ihm einmal erklärt: „Willa-wowsky, ich will Ihnen mal was sagen. Ich hattefrüher einen Gaul, der war ein ebensolcher Verbrecherwie Sie. Hatte das Biest seinen guten Tag, dannließ er sich kein anderes Pferd an die Gurte kommen.Hatte er aber mal keinen guten Tag, dann bockte erhinten und vorn und dann war nichts mit ihm anzu-fangen. Genau so ein Verbrecher sind Sie. WennSie wollen, reden Sie deutsch wie jeder andere,wenn Sie aber nicht wollen, dann verstehen Sieangeblich keine Silbe, weil Sie Pole sind.”

Als Scharfenberg endlich das Lazarett betrat,lag der Musketier Willawowsky kreuzfidel und puppen-lustig in seinem Bett, denn wenn das Knie auch ver-dammt weh tat, er brauchte jetzt wenigstens keinenDienst zu tun und hatte selbst nach seiner Entlassung

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aus dem Lazarett später immer noch die Möglichkeit,um Schonung bitten zu dürfen.

Da sah er seinen Kompagnieoffizier an sein Bettherantreten und ihm ahnte nichts Gutes. Jetzt sollteer bekennen, wann und wie er sich das Knie verletzthabe. Aber bevor er das gestand, konnte sein Leutnantsich fusselig fragen. Was hatte er für seine eigenePerson davon, wenn der Hauptmann den MusketierHansen einsperrte, weil er ihn, den Musketier Willa-wowsky, mit dem eisenbeschlagenen Stiefelabsatz der-artig gegen die Kniescheibe getreten hatte, daß ersofort umfiel. Er gedachte des Wortes: „Die Racheist mein.” Und er würde sich schon rächen, aber nichtmit seinen Stiefelabsätzen, sondern mit seinen Fäusten.Die waren, auch ohne beschlagen zu sein, hart wieEisen. Wo die hinschlugen, da verbog sich jedes Nasen-bein, da blieb kein Auge trocken, da fing selbst dernoch so festsitzende Zahn an zu wackeln, daß man ihnbequem herausnehmen konnte, als wäre er ein falschesGebiß.

Voller Stolz betrachtete er seine Hände, die würdenspäter deutlich genug sprechen, aber daß er jetzt etwassagte und den Kameraden verriet? Nein, das gabes denn doch nicht.

„Ich will Ihnen den guten Rat geben, Willa-wowsky,” erklang da Scharfenbergs Stimme, „spielenSie heute nicht den Polen. Das macht auf mich garkeinen Eindruck und es hat auch gar keinen Zweck,denn die Wahrheit erfahre ich doch.”

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„Oder auch nicht,” dachte der Pole, dann abersagte er: „Zu Befehl, Herr Leutnant.”

„Na, es ist nur gut, daß Sie das selbst einsehen,”meinte Scharfenberg, während die Ordonnanz, dieihn begleitet hatte, auf einem Tisch die Schreib-mappe ausbreitete und Tinte und Feder zurecht-stellte. Dann begann Scharfenberg damit, die Per-sonalien aufzunehmen: Alter, Geburtsort, Religionund was sonst noch erforderlich war.

Dann fragte er: „Wie sind Sie denn nun zu derVerletzung gekommen, sind Sie wirklich hingefallen?”

„Zu Befehl, Herr Leutnant.”„Ist das auch wirklich die Wahrheit? Sind Sie

nicht von einem Kameraden mit dem Fuß getretenworden?”

„Zu Befehl, Herr Leutnant.”„Was heißt das, Zu Befehl? Wollen Sie damit

sagen, daß Sie vorhin die Wahrheit sprachen, oderwollen Sie damit zugeben, daß Sie getreten sind?”

„Zu Befehl, Herr Leutnant.”Scharfenberg drohte dem Musketier mit der Hand:

„Willawowsky, ich gebe Ihnen den guten Rat, stellenSie sich nicht dumm und vor allen Dingen reizenSie mich nicht. Sie kennen mich, ich bin der gut-mütigste Mensch auf der Welt, aber trotzdem, wennSie mich wütend machen, dann geht es Ihnen dreckig.”

„Zu Befehl, Herr Leutnant.”„Na also, dann erzählen Sie nur mal den Her-

gang, aber wahrheitsgemäß.”

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„Zu Befehl, Herr Leutnant.”„Na, denn los.”„Zu Befehl, Herr Leutnant.”Aber anstatt nun etwas zu sagen, hüllte sich der

Musketier in tiefes Schweigen.„Wollen Sie nun endlich den Schnabel aufmachen,”

herrschte Scharfenberg ihn an.„Zu Befehl, Herr Leutnant.”Aber der Musketier sagte trotzdem nichts.„Nun werde ich Ihnen mal was sagen,” rief Schar-

fenberg, „wenn Sie glauben, daß Sie mich hier zumNarren haben können, dann irren Sie sich. Wenn Sienicht sofort Bericht ablegen, dann melde ich Sie zurBestrafung und zwar wegen Beharrens im Unge-horsam. Die Sache kann Ihnen dann teuer zu stehenkommen, Sie werden vor das Standgericht, wennnicht sogar vor das Kriegsgericht gestellt, das wissenSie doch?”

Aber so leicht ließ sich der Musketier nicht ein-schüchtern: „Weiß ich nicht, Herr Leutnant, bin ichPole.”

„Der Teufel sind Sie,” brauste Scharfenberg auf,„glauben Sie, daß ich bei diesem Sauwetter hierherausgekommen bin, um unverrichteter Sache wiederheimgehen zu müssen? Da sind Sie verdammt schiefgewickelt. Sie ein Pole? Wenn Sie wollen, sprechenSie genau so gut deutsch wie ich, aber Sie wollennur nicht.”

Der Musketier hütete sich, dies Mal der Wahrheit

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gemäß, „Zu Befehl” zu antworten, denn damit hätteer ja seine Bockbeinigkeit selbst zugegeben. DemLeutnant das Märchen zu erzählen, daß er hinge-fallen sei, hatte gar keinen Zweck, denn es waren zuviele Zeugen vorhanden, die es mit angesehen hatten,wie er getreten wurde. Und wenn es dann heraus-kam, daß er den Leutnant jetzt auf Befragen in dienst-licher Angelegenheit belogen hatte, wurde er erstrecht bestraft. Da war es schon besser, er sagte gar-nichts, da log er wenigstens nicht.

Aber er sollte etwas sagen und Scharfenbergzermarterte sich sein Gehirn, wie er den Mann zumSprechen bringen könne. Mit Ermahnungen warda nichts zu erreichen, mit einer Drohung nur dann,wenn die angedrohte Strafe auch sofort verhängtwerden konnte, aber wie eine solche Strafe finden?

Da hatte er plötzlich einen Gedanken, daß er ansich halten mußte, um nicht aufzulachen. Gleich dar-auf erhob er sich und ging in das Nebenzimmer, woder Sanitätsunteroffizier vom Dienst tätig war, umdann an diesen die Frage zu richten: „Haben SieRizinusöl?”

„Und ob, Herr Leutnant,” gab der zur Antwort,„sogar eine ganz große Flasche voll.”

„Zeigen Sie mal her.”Das geschah denn auch und erklärend setzte der

Unteroffizier hinzu: „Es sind genau vier Liter.”„Das genügt!” meinte Scharfenberg belustigt,

dann nahm er die Flasche an sich: „Ich gebe sie Ihnen

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nachher gleich wieder, nun holen Sie mir mal vierstarke und kräftige Lazarettgehilfen.”

Wenig später waren die zur Stelle und wurdenvon Scharfenberg instruiert. Dann trat er mit derFlasche im Arm wieder an das Bett des Muske-tiers und kaum stand er neben dem Kranken, alssich die Lazarettgehilfen auf diesen warfen: zweihielten seine Arme, zwei rissen ihm gewaltsam denMund auf und vor der so entstandenen Öffnung hieltScharfenberg die Flasche Rizinusöl, nachdem er denPfropfen abgenommen hatte.

„So, Freundchen,” begann er zu dem Musketierzu sprechen, „jetzt will ich Ihnen mal was sagen,wenn Sie jetzt nicht die Wahrheit gestehen, danngieße ich diese ganze Flasche Rizinusöl in Sie hinein,bis auch nicht mehr ein Tropfen darin ist. Was dannaus Ihnen wird, ob Sie rückwärts Ihre Seele aus-hauchen oder nicht, ist mir vollständig gleichgültig.Also wie ist es, werden Sie nun reden oder nicht?”

Der Pole krümmte sich vor Entsetzen und ver-suchte sich zu befreien, aber in seiner liegenden Stellunghalfen ihm selbst seine Riesenkräfte nichts und mitseiner empfindlichen Nase roch er den Duft des Rizi-nusöls.

Ihn schauderte, er krümmte sich vor Entsetzen,alles, nur kein Rizinus. Er kannte das Zeug vonfrüher her, er hatte es schon einmal im Lazarett ein-nehmen müssen und mehr als genug davon.

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„Ich will alles sagen,” kam es endlich in gurgelndenLauten aus seiner Kehle hervor.

„Na, dann kann ich die Flasche ja wieder zumachen,”meinte Scharfenberg, aber als er die nun von demweitgeöffneten Mund des Musketiers fortzog, machteer absichtlich eine ungeschickte Bewegung, sodaß demMusketier ein paar Tropfen auf die Zunge flossen.Nur ein paar Tropfen, aber die genügten, um denMann nochmals zu der Äußerung zu veranlassen:„Ich will alles gestehen, alles.”

„Na, dann laßt ihn los,” ermahnte Scharfenbergdie Lazarettgehilfen und die nahmen gleichzeitig ihreHände fort, um dann mit einem großen Satz zurSeite zu springen. Und das war gut, denn wennsie die Rippenstöße bekommen hätten, mit denen derPole jetzt um sich stieß, wären sie nicht nur gegen dieMauer geflogen, sondern durch die Wand hindurchin den Dreck.

„Also nun erzählen Sie,” ermahnte Scharfenbergnochmals den Mann. „Und Ihr,” wandte er sich andie Lazarettgehilfen, „Ihr bleibt hier und laßt auchdie Flasche hier stehen, denn sobald Willawowskylügt, oder wieder den Polen herausbeißt, dann gießeich ihm tatsächlich die ganze Flasche in den Leib.”

Das war natürlich nur eine leere Drohung, dennwenn er die ausgeführt hätte, wäre der Mann un-fehlbar gestorben.

Aber die Drohung half, vielleicht taten auch diewenigen Tropfen Rizinusöl, die der Musketier zu

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schlucken bekommen hatte, ihre Schuldigkeit. Aufjeden Fall hatte der Mann eine Viertelstunde späterein vollständiges Geständnis über die Schlägereiabgelegt, bei der er den Fußtritt erhielt, und als ertrotzdem einen kurzen Augenblick zögerte, den Namenseines Gegners zu nennen, da brauchte Scharfen-berg nur drohend die Rizinusölflasche zu erheben,um alles zu erfahren, was er wissen wollte.

Ebenso schlecht wie seine Laune auf dem Hinweggewesen war, ebenso gut war die, als er sich balddarauf wieder auf den Rückweg machte. Er amü-sierte sich im stillen immer noch über seinen Ein-fall, durch den er den Mann zum Sprechen gebrachthatte.

Als er sich endlich wieder seiner Wohnung näherte,begegnete ihm Hans Joachim, de mit langen Schrittenangesetzt kam, nun aber ganz erstaunt stehen blieb:„Du hier, Scharfenberg, ausgerechnet du, du bistnicht im Kasino, oder kommst du schon von dort?Dafür siehst du mir aber eigentlich zu nüchtern aus.Vor allen Dingen aber nimm zunächst meinen herz-lichsten Glückwunsch, ich muß offen gestehen, ich habemich deinetwegen aufrichtig gefreut.”

„Bitte, bitte, keine Ursache,” wehrte Scharfen-berg ab, dann bat er: „Gratuliere mir lieber nicht soherzlich, sondern sage mir lieber, warum du mirdenn eigentlich gratulierst?”

Hans Joachim machte große Augen: „Das weißt

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du nicht? So höre denn und bleibe deiner SinneMeister: Nun ist sie tot!”

Aber Scharfenberg war in Gedanken immernoch bei seinem Trick mit der Rizinusflasche. Aufden war er so stolz, als hätte er zum mindesten anein und demselben Tage gleichzeitig den Nordpolund den Südpol entdeckt und so fragte er denn ganzverwundert: „Welche ‚sie‛?”

Hans Joachim rang die Hände: „Aber Scharfen-berg, dein Gehirn muß mal wieder gründlich ge-schmiert und gereinigt werden. Gieß' Sekt hinein,ich nehme dich jetzt gleich mit in das Kasino. Ichhabe mir, wie du weißt, auf Wunsch des Oberhof-marschallamtes ein Telephon anschaffen müssen,um jederzeit erreichbar zu sein. Da haben mich nuneben die jungen Leute aus dem Kasino angeklingelt,ich solle sofort hinkommen. Es herrscht dort einRiesenbetrieb, sie singen für die verstorbene Regiments-tante das Requiem, obgleich sie nicht katholisch sind,die Sache soll wunderschön sein, komm nur.”

Und seinen Weg fortsetzend, ergriff er Scharfen-berg am Arm und zog den mit sich fort, um dannplötzlich zu sagen: „Jetzt wirst du es wohl begriffenhaben, wer tot ist? Die Automobiltante, die Tantedes Herrn Oberst. Gott, wird der Mann froh sein undnun erst die Frau und die Christiane! In der ganzenStadt weiß man es schon. Vor ein paar Stundenhat ihnen der Notar den Tod der alten Tante tele-graphisch mitgeteilt und sie gebeten, zur Testaments-

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eröffnung nach Berlin zu kommen, da sie die alleinigenErben des sehr großen Vermögens sind.”

Scharfenberg faltete unwillkürlich im Gehen dieHände dann sagte er: „Möchte die Erde der teurenEntschlafenen leicht sein, ich will Christiane auch soglücklich machen, wie ich nur immer kann.”

„Kunststück, bei d e r Mitgift,” lachte Hans Joachimhell auf, „da macht jeder glücklich, aber ich gebe dirden guten Rat, halte dich fest heran, denn du kannstdir doch denken, daß nun alle auf die Millionen Jagdmachen werden. Na, glücklicherweise hast du ja einengroßen Vorsprung, Fräulein Christiane denkt sehrgünstig über dich, ich habe dir ja erzählt, wie sie deinLob sang. Nun halte den Vorsprung nur fest, siehdich nicht nach den anderen um, die hinter dir jagen,sondern reite frisch darauf los, bis du am Ziel bist.”

„Ich w e r d e reiten,” erklärte Scharfenbergund er sagte es so laut, daß ein paar Straßenjungens,die gerade vorüberliefen, ihm zuriefen: „Dann fallenSie man bloß nicht runter!”

„Unverschämte Lausbuben,” drohte Scharfenbergden Davonlaufenden. Nicht der Zuruf hatte ihn ge-ärgert, wohl aber hatte der den Argwohn in ihm wachwerden lassen, daß er vielleicht doch nicht an das Zielkäme.

Als die beiden Kameraden das Kasino betraten,herrschte dort ein geradezu ohrenbetäubender Lärm.Alle Leutnants, soweit sie keinen Dienst hatten,waren dort versammelt und kneipten und sangen.

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„Kinder, bei dem Radau müssen ja die Totenerwachen,” meinte Hans Joachim.

Aber die anderen widersprachen: „Was tot ist,ist tot!” Und dann hieß es plötzlich: „Hans Joachimund Scharfenberg haben das Requiem noch nichtgehört, das müssen wir ihnen vorsingen. Also paßtauf, der Text ist von Goethe, die Musik von RichardStrauß, Achtung, Silentium, das Requiem steigt!”

Einer der Kameraden hatte sich an das Klaviergesetzt und spielte zwar keinen Wagnerschen Trauer-marsch, wohl aber die wohlbekannte Melodie deramerikanischen Washington-Post und nach diesersangen alle:

„Nun ist sie tot, nun ist sie tot, nun ist sie tot!Nun ist sie tot, ja tot!Nun ist sie tot, nun ist sie tot, nun ist sie tot, nun ist sie tot.Na, Gott sei Dank, nun ist sie tot!”

Mehr als zehnmal hintereinander wurde dieser Vers gesungen, bis dann einer Hans Joachim fragte:„Nicht wahr, das mußt du doch zugeben, diese Trauer-feier ist erhaben? Mich wenigstens ergreift dieserwundervolle Text immer aufs neue, ob ich will odernicht, ich muß weinen, kommt, Herrschaften, und weintmit mir!”

Und wie auf Kommando zogen alle ihre Taschen-tücher hervor und weinten und schluchzten und indas Weinen hinein erklang ganz leise wie aus weiter

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Ferne die Melodie des Requiem: „Nun ist sie tot,nun ist sie tot, nun ist sie tot!”

Und den Tränen folgte dann ein schallendes Ge-lächter. Die Kameraden waren in einer mehr alsübermütigen Stimmung und nach ihrer Ansichthatten sie dazu auch allen Grund. Der Herr Obersterfreute sich als zwar strenger, aber durchaus ge-rechter Vorgesetzter einer seltenen Beliebtheit, manwußte, daß er mit Glücksgütern nicht gesegnet warund daß es ihm zuweilen verdammt schwer fiel,nach außen hin zu repräsentieren. Sie gönnten esihm alle von Herzen, daß er nun die finanziellen Sorgenlos wurde, und auch für die Kommandeuse freuteman sich und natürlich erst recht für Fräulein Christiane.Selbstverständlich mußte die nun bald geheiratetwerden, nur wußte man noch nicht, von wem. Na,das war ja unter Kameraden ganz egal, denn überdie Hauptsache war man sich schon einig geworden:Wer die Braut und damit die Mitgift heimführte,übernahm selbstverständlich die Verpflichtung, vonseinem Überfluß abzugeben. Er mußte nicht nurjederzeit bei Tage und bei Nacht bereit sein, sich umjede Summe auf Nimmerwiedersehen anpumpenzu lassen, sondern er mußte an dem Tag seiner Hochzeitauch dem Offizierkorps als solchem ein namhaftesGeschenk machen. Entweder in Form eines uner-schöpflichen Pumpfonds oder in Gestalt einer Unter-stützungskasse.

Alle jubelten dem zu, als dieser Plan nun wieder

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eingehend besprochen wurde, nur Scharfenberg be-teiligte sich nicht an der Debatte. Die Art und Weise,in der man schon jetzt über das Geld disponierte, dasChristiane mit in die Ehe bringen sollte, war ihmdurchaus unsympathisch. Es war doch schließlich seinGeld, das da schon verteilt wurde, bevor er es hatte.

Aber das nicht allein verstimmte ihn. Die Kame-raden hatten für nichts anderes Interesse als für dieTante, und als er nun, um das Gespräch endlich aufetwas anderes zu bringen, sein Verhör im Lazarettund die Geschichte mit der Rizinusflasche zum Bestengeben wollte, hörte ihm niemand zu, nur einer, derwenigstens das Wort „Rizinus” verstanden hatte,meinte: „Mein Gott, Scharfenberg, wenn du Ver-stopfung hast, dann schluck' doch so viel Rizinusöl,wie du willst, nur verdirb uns damit den Geschmackam Sekt nicht.”

Am liebsten wäre Scharfenberg wieder nach Hausegegangen, aber das hätte auffallen können. So blieber denn sitzen, ohne sich an der immer noch lebhafterwerdenden Debatte zu beteiligen. Seine Gedankenwaren bei seiner Braut und immer wieder fragte ersich: Was Christiane wohl dazu sagen würde, wennsie wüßte, wie man hier den Tod der Tante feiertund wie man, wenn natürlich auch nur im Scherzund Übermut, auf ihre reiche Mitgift spekuliert?

Bis er sich dann selbst wieder eingestehen mußte,daß er das doch erst recht tat. Er viel mehr als dieanderen. Die Kameraden erklärten: „Wer die Braut

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heimführt, ist uns egal, wenn es nur einer von unsist.” Er aber gönnte sie keinem anderen als sich selbst.Zu seiner Entschuldigung führte er vor sich an, daß aberauch er nur allein sie wirklich liebe. Bis er sichdoch fragte: „Würdest du sie aber auch dann wirklichlieben, würdest du trotzdem daran denken, sie zuheiraten, wenn sie keine reiche Erbschaft gemacht hätte?”

So ganz ruhig schlug sein Gewissen doch nichtund während die anderen um ihn herum lachten undscherzten, waren seine Gedanken bei Christiane, nichtbei ihrer Mitgift, sondern nur bei ihr und er kamimmer mehr zu der Erkenntnis, daß es doch fürChristiane sehr beschämend und demütigend sei, daßsie nur ihres Geldes wegen geheiratet werden solle.

Und um sich und sein Gewissen zu erleichtern,schwur er sich plötzlich, daß er Christiane auch danngeheiratet hätte, wenn sie arm geblieben wäre.

Und da er absichtlich nicht daran dachte, daß siejetzt reich war, fiel ihm der Schwur absolut nicht schwer.

Er sah Christiane ganz deutlich vor sich, so hold,so schön, so rein, wie sich das für eine Braut auchgehörte, aber er sah sie zugleich in Tränen auf-gelöst. Sicher würde sie über den Tod der Tantesehr traurig sein und er, ihr zukünftiger Mann, konntenicht einmal bei ihr sein, um sie zu trösten.

Aber in Wirklichkeit dachte Christiane garnicht daran,in Tränen zu schwimmen. Nicht nur sie selbst, sondernauch die Eltern hatten jahrelang viel zu viel unterden Launen und Schrullen der alten Tante leiden

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müssen, als daß sie ihren Tod nicht wie eine Erlösunghätten betrachten müssen. Gewiß, die bevorstehendeErbschaft war ja auch sehr schön, aber die Haupt-sache blieb nun doch, daß man den Quälgeist loswar, der seine Freude daran gefunden hatte, diearmen Verwandten unter dem steten Hinweis aufdie spätere Erbschaft nach allen Regeln der Kunstzu schikanieren.

Nun war sie tot und der Herr Oberst und seineDamen atmeten auf wie von einer schweren Last be-freit. Alle drei waren viel zu vornehme und anständigeNaturen, um eine Trauer zu heucheln, die sie garnichtempfanden und so widersprach es auch der Anschauungder Damen, jetzt Trauerkleider anlegen zu müssen.Namentlich Christiane wehrte sich dagegen, allerdingsin der Hauptsache aus Gründen der Eitelkeit, dennschwarz stand ihr absolut nicht, sodaß sie jetzt die Elternfragte: „Sagt mal, müssen wir denn überhaupttrauern?”

Die Eltern glaubten nicht recht gehört zu habenund riefen fast gleichzeitig: „Aber Christiane, wiekannst du nur so etwas fragen?”

Doch die ließ sich nicht beirren: „Es ist mein voll-ständiger Ernst und überhaupt, warum hat die Tantedenn gerade jetzt sterben müssen? Das fällt mir jetzterst ein, ich habe in der ersten Aufregung garnichtdaran gedacht, aber ihr Tod verdirbt uns nun dochden ganzen Winter. Da kann ich keinen Ball undkeine Gesellschaft und nichts mitmachen, am aller-

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wenigsten die Feste bei Hofe und auf die hatte ichmich doch so sehr gefreut.” Und plötzlich heftig werdend,fuhr sie fort: „Ich habe keine Lust, lediglich mit Rück-sicht auf die Tante den ganzen Winter wie eine Nonnezu leben, ich bin jung, ich bin hübsch, ich bin lustig,ich will mich amüsieren.”

„Christiane,” schalt der Vater, „das geht dochnicht.”

Aber auch die Frau Oberst, die nur zu gut wußte,warum Christiane gerade jetzt nicht für einen ganzenWinter aus der Gesellschaft verschwinden wollte,bat ihren Mann: „Gott, Otto, wenn Christiane nuneinmal nicht trauern will, dann laß sie doch.”

„Und die Welt, das Gerede?” brauste der Oberstauf. „Was wird der Hof, was wird man in der Stadtdazu sagen? Man wird uns für mehr als herzloshalten, aber das nicht allein, man wird uns gesell-schaftlich boykottieren, ja, noch mehr, wir setzen unsdem aus, daß Seine Hoheit mir direkt den Befehlübersendet, Trauer anzulegen und der Gesellschaftfern zu bleiben.”

Christiane war dem Weinen nahe und ganz traurig fragte sie: „Hätte die Tante nicht sterben können,ohne deswegen gleich tot zu bleiben?” Und dannrief sie plötzlich: „Herrschaften, Vater, Mutter,ich hab' 'ne Idee ― ― ― ich weiß, wie wir auf einesehr anständige Art und Weise um die ganze Trauer herum kommen.”

„Und das wäre?” meinte der Oberst gespannt.

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Ihm lag ja auch nichts daran, den ganzen Winterzurückgezogen zu leben und auf die schönen Herren-diners zu verzichten, an denen er sich sonst erfreuthatte. „Das wäre?” fragte er noch einmal. „Schießmal los mit deiner Idee.”

„Die ist sehr einfach,” meinte Christiane, „alle,mit denen wir hier verkehren, wissen doch, daß dieTante eine ganz überspannte und verschrobene Personwar. Warum soll da die Tante nicht auch ein ganzverschrobenes Testament gemacht und in diesem dieBestimmung getroffen haben, sie wünsche nicht, daßwir ihretwegen länger als bis zum Tage der Bei-setzung Trauerkleider anlegten. Ja, sie kann sogartestiert haben, daß wir der Erbschaft verlustig gehen,wenn wir diesen ihren letzten Willen nicht in allenEinzelheiten auf das genaueste befolgen.” Und sichstolz umsehend, fragte sie übermütig: „Na, verehrteAnwesende, was sagt Ihr nun?”

Die Frau Oberst blickte fragend zu ihrem Mannhinüber: „Wenn das ginge,” meinte sie zögernd.

„Natürlich geht’s,” verteidigte Christiane ihrenPlan, „was wissen die Leute hier davon, was in demTestament steht und wenn das trotzdem hier irgend-wie bekannt werden sollte, dann hat die Tante dieeben von mir angeführten Anordnungen nicht indem Testament, sondern in einem Privatbrief ge-troffen. Bei Gott ist kein Ding unmöglich und beieiner alten Tante erst recht nicht.”

Noch lange wurde über diesen Punkt debattiert,

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bis es Christiane dann gelang, ihre Eltern für ihreIdee zu gewinnen, allerdings mit der Abänderung,daß man nicht nur bis zur Beisetzung, sondern nochacht Tage länger offiziell trauern wolle.

Aber als der Oberst dann mit seinen Damen nachwenigen Tagen von dem Begräbnis aus Berlinzurückkam, da war es die gewissenhafte Überzeugungaller, daß die Tante überhaupt kein Trauerkleid ver-diene, denn ein Testament hatte die gemacht, einfachunehört. Gewiß, der Oberst erbte eine volle Million,aber er hatte nur das freie Verfügungsrecht überdie Zinsen, nicht über das Kapital selbst. Dieses fielnach seinem Tode und nach dem Tode seiner Frauan Christiane, aber nur dann, wenn diese noch un-verheiratet war. Sollte sie vorher heiraten odernach dem Tode ihrer Eltern noch eine Ehe eingehen,dann fiel das Geld an eine wohltätige Stiftung,ebenso dann, wenn der Oberst bei einer etwaigenVerheiratung Christianens von seinen Zinsen seinerTochter auch nur einen Pfennig Zuschuß gab.

Auch Christiane selbst war in dem Testamentbedacht und zwar mit den Zinsen einer weiteren halbenMillion, aber auch diese Zinsen gehörten ihr nur,solange sie unverheiratet blieb, und sobald sie heiratete,fielen die Zinsen und das Kapital ebenfalls an einewohltätige Stiftung.

Und dann hatte in dem Testament, das ihnen derNotar zum Lesen gegeben hatte, noch ein anderer,allerdings unvollendeter und wieder durchgestrichener

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Satz gestanden, der da lautete: „Sollte meine überalles von mir geliebte Nichte Christiane sich trotzder für diesen Fall angedrohten Enterbung verlieben,verloben oder gar verheiraten und sollte damit der ――”

Damit hatte der Satz abgebrochen, er war dickdurchstrichen, aber trotzdem leserlich gewesen und mitzierlicher Handschrift hatte dahinter gestanden: „Fürdiesen Fall habe ich besondere Bestimmungen ge-troffen.”

Es blieb jedem überlassen, sich auszudenken, wieder Satz hätte weitergehen sollen und worin die ander-weitig getroffenen Bestimmungen bestanden.

Und die Unruhe aller war noch dadurch erhöhtworden, daß der Notar erklärte, den Inhalt der anderentestamentarischen Bestimmungen dürfe er erst dannbekanntgeben, wenn Christiane sich wirklich jemalsverloben sollte.

Auch ohne, daß der Notar es sagte wußten alle,was die Tante für diesen Fall bestimmt hatte. Solltesich Christiane jemals gegen den Willen der Verstorbe-nen verheiraten, dann verlor nicht nur sie das Erbe,sondern dann mußten auch die Eltern das Erbe wieder-herausgeben, weil sie die Tochter nicht gezwungenhatten, den letzten Wunsch der Verstorbenen zu er-füllen.

Und so zog Christiane, als man wieder zu Hausewar, das Trauerkleid sofort aus und warf esin die Ecke: „Um die Frau soll ich trauern, umdiese Frau, die mir mein ganzes Leben zerstört hat?

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Was habe ich nun davon, daß ich auf die Welt ge-kommen bin? Als alte Jungfer soll ich sterben, dennnun kann ich doch garnicht heiraten, ach, es ist zuentsetzlich.”

Und wie schon so oft in den letzten Tagen weinteChristiane die blutigsten Tränen. Was half es, daßdie Eltern ihr in Berlin die hübschesten Kleider, dieschönsten Schuhe und Strümpfe, die modernstenHüte gekauft hatten? Was sollte sie mit all den Sachen?Für wen sollte sie sich schmücken? Was hatte es füreinen Zweck, daß sie durch ihre äußere Erscheinungdie Freier anlockte? Sobald es bekannt wurde, daßsie bei ihrer Verheiratung nicht nur ihr ganzes eigenesErbe verlor, sondern sogar nicht einmal von dem Vatereinen Zuschuß annehmen durfte, mußte ja jederFreier wieder zurücktreten, denn wovon sollte manda später leben?

Sobald die Freier den Inhalt des Testamenteserfuhren, war ihnen jede Möglichkeit genommen, ihreBewerbung weiter aufrecht zu erhalten und dannmußte Christiane sogar die Demütigung erleben,daß die Freier linksum Kehrt machten und wiedervon dannen zogen. Aber das sollte, das durfte nichtsein, dann es lieber garnicht erst dahin kommen lassen, daß sich einer ernstlich um sie bewerbe.

So stand es bei Christiane fest, daß wenigstensdie Offiziere des Regimentes von dem Inhalt desTestamentes Kenntnis erhalten sollten, dann wußtendie gleich, woran sie waren und brauchten sich nicht

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erst die Mühe zu geben, ihr Herz und ihre Mitgiftzu gewinnen.

Zuerst hatten die Eltern dem widersprochen.Was ging das Testament die Öffentlichkeit an, aberChristiane bestand auf ihrem Willen und erwidertetrotzig: „Wenn Ihr es nicht erzählt, dann erzähleich es jedem Leutnant, mit dem ich zusammentreffe.”

Schließlich gelang es ihr doch, die Eltern davonzu überzeugen, daß es offener und ehrlicher sei, allengleich reinen Wein einzuschenken, und so wurde dennHans Joachim um seinen Besuch gebeten. Dem würdeman erzählen, wie alles stand, und er konnte dann imKasino, wenn das Gespräch auf Christiane kam, denKameraden mitteilen: „Herrschaften, Ihr irrt Euch,wenn Christiane heiratet, ist sie wieder das armeMädel, das sie früher war.”

Als Hans Joachim unmittelbar nach der Rückkehrdes Herrn Oberst die Einladung zu einem ganz ein-fachen Abendessen erhielt und bei seinem Erscheinenbemerkte, daß er der einzige Gast sei, überfiel ihn derGedanke: „Nun geht es dir an den Kragen, jetzt werdenMutter und Tochter es mit aller Gewalt darauf an-legen, dich einzufangen.”

Bis er dann im Laufe des Gespräches sehr baldden Inhalt des Testamentes erfuhr.

Zuerst war er vollständig entsetzt und wollte gar-nicht glauben, was man ihm da erzählte. Er glaubtees auch dann noch nicht, als er das Original des

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Testamentes, das der Notar dem Herrn Oberst über-reicht hatte, in Händen hielt.

„Aber das ist doch garnicht möglich,” meinte erendlich, „wie kann denn eine Tante, die ihre Nichtelieb hat, so grausam sein ― und die Tante muß Sie,gnädiges Fräulein, doch sehr lieb gehabt haben, dennsonst hätte sie Ihnen persönlich doch nicht eine solchehohe Summe ausgesetzt, ich verstehe das ganz einfachnicht.”

Und voll ehrlichster Anteilnahme blickte er aufChristiane, die sich Gewalt antun mußte, um nichtwieder in Tränen auszubrechen, aber sie beherrschtesich dennoch, denn sie wußte, daß selbst das hübschesteMädchen häßlich wird, wenn es weint. Und sie durftenicht häßlich erscheinen, wenn sie Hans Joachim dochnoch gewinnen wollte, denn mehr als je war ihrÄußeres jetzt ihr einziges Gut.

Hans Joachim wußte das Vertrauen, das mandadurch in ihn setzte, daß man ihm von dem Wortlautdes Testamentes Kenntnis gab, sehr wohl zu schätzenund selbstverständlich stand es von vornherein beiihm fest, die Einzelheiten der testamentarischen Be-stimmung niemals zu verraten, sondern lediglich ge-sprächsweise ganz im allgemeinen zu äußern, er wisseauf das genaueste, daß Fräulein Christiane mit allenSchikanen der Neuzeit enterbt werde, sobald sie auchnur daran dächte, sich zu verloben.

Das wußte er ja sogar sehr genau, aber trotzdemwollte er nicht daran glauben. Immer wieder las

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er das Testament durch, um immer länger und längerbei dem durchgestrichenen Satz zu verweilen: „Solltemeine von mir über alles geliebte Nichte Christianesich trotz der für diesen Fall angedrohten Enterbungverlieben, verloben oder gar verheiraten und solltedamit der ― ―”

Weiter ging es nicht und die für diesen Fall ge-troffenen weiteren Bestimmungen ruhten in denHänden des Notars.

Und es war Hans Joachims gewissenhafte Über-zeugung, irgend etwas stimmte da nicht und miteinem Mal ― ― ―

Hans Joachim mußte mit aller Gewalt an sichhalten, um nicht laut Hurrah zu rufen und um nichteinen Freudentanz aufzuführen. Gewiß, ihn per-sönlich ließ die Entdeckung, die er glaubte, soebengemacht zu haben, vollständig kalt, aber für FräuleinChristiane freute sie ihn doch. Du großer Gott, einehalbe Million haben oder nicht, war ein verdammterUnterschied und ob ein Mädel heiratet oder nicht,ist ihr auch nicht gleichgültig, selbst dann nicht, wennder Mann, den sie bekommt, in Wirklichkeit garnichtder ist, den sie eigentlich gern gehabt hätte. UndChristiane würde sicher schon einen Mann finden undtrotzdem ihr Geld behalten. Aber das durfte er jetztnoch nicht verraten, schon deshalb nicht, weil er we-nigtens vorläufig noch mit der Möglichkeit rechnenmußte, daß er sich irrte, daß der Gedanke, der da

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blitzschnell in ihm wach wurde, sich doch als falsch undtrügerisch erwies.

Christiane würde schon heiraten, aber nicht ihn.Das mußte er ihr selbst so schnell wie möglich aus-reden und dazu bot sich ihm Gelegenheit, als derOberst sich nach dem Abendessen für eine kleine halbeStunde in sein Arbeitszimmer zurückzog und als dieHausfrau von dem Diener abgerufen wurde.

Da begann er sofort von Scharfenberg zu sprechenund er tat es in einer Weise, daß Christiane es merkenmußte, er selbst sei auf den nicht eine Spur eifersüchtig,er habe neulich diese Gefühle entweder geheuchelt oderer gönne sie dem Kameraden jetzt wirklich, da sich janun herausgestellt habe, daß Christiane arm blieb.Er selbst war ganz mittellos, aber Scharfenberg war,wenn auch nicht gerade reich, so doch wohlhabend,er war der einzige im Regiment, der die erforderlicheKaution aus eigenen Mitteln zu deponieren vermochte.

Aber was kam es in diesem Augenblick für Christianedarauf an, ob Scharfenberg vermögend war odernicht? Sie hörte aus Hans Joachims Worten nurheraus, daß er weniger denn je daran dachte, ernstlichum sie zu werben und sie konnte ihn nicht einmalbitten: „Wenn Sie schon selbst nichts für mich emp-finden, dann hören Sie wenigstens auf, mir vonScharfenberg zu sprechen. Der ist mir so gleichgültigwie nur möglich.” Nicht einmal das durfte sie, denndazu hatte sie Hans Joachim gegenüber ScharfenbergsLob viel zu laut gesungen und diesen auf den letzten

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Gesellschaften mit viel zu großer Auszeichnung be-handelt.

Abermals mußte sie an sich halten, um nicht inTränen auszubrechen, aber dafür flossen die Tränenum so reichlicher, als Hans Joachim dann endlich gingund als sie gleich darauf ihr Schlafzimmer aufsuchte,um ganz allein mit sich und ihren Gedanken zu sein.Und immer wieder kam sie zu der Erkenntnis: „Andem ganzen Unglück ist nur die Tante schuld. Hättedie anders testiert, dann würde in Hans Joachim dochnoch die Liebe zu ihr wach geworden sein und wennes auch nur des Geldes wegen gewesen wäre. Keinemanderen, der es lediglich auf ihre Mitgift absah, würdesie die Hand gereicht haben ― ― ― ― sie wollte umihrer selbst willen geliebt und begehrt sein, aber beiHans Joachim war es etwas anderes, den liebte sieund er mußte ja auch eine reiche Partie machen. Undsie hatte es sich so oft in ihren Träumen so schön aus-gedacht, ihm ein hübsches und behagliches Heim zubereiten und ihm für alle Zeiten alle Geldsorgenfernzuhalten.

Nun war es für immer mit diesem Traum vorbeiund weinend und schluchzend warf Christiane sich inihrem Bett hin und her, während sie mit blassenzuckenden Lippen die Tote immer wieder fragte:„Tante, warum hast du mir das angetan?”

Aber sie bekam keine Antwort auf ihre Fragen,wohl aber glaubte Hans Joachim die zu wissen, als

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er zu derselben Stunde, in der Christiane mit derToten haderte, in seinem Zimmer auf und ab ging.

Immer wieder sagte er sich: „Ja, so muß es sein,es ist überhaupt gar nicht möglich, daß es anders ist,ich lege meine Hände dafür ins Feuer.”

Und auch er gedachte der Toten und unwillkürlichsagte er halblaut vor sich hin: „Verehrte Frau Tante,nimm es der Christiane nicht allzu übel, daß die dichaugenblicklich wahrscheinlich verwünscht und verflucht.Die Stunde wird schon noch kommen, in der sie ein-sieht, wie gut du es mit ihr gemeint hast.”

Bald darauf zog auch er sich sein langes weißesNachthemd über den Kopf, kroch in sein Bett undschlief so ruhig und so glücklich ein, als hätte er heuteein gutes Werk getan. ― ―

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VI.

Drei Tage lang bildete der Tod der verstorbenenTante das ausschließliche Gespräch in den Kreisender Hofgesellschaft, auch die Tatsache, daß die Ver-storbene angeordnet habe, die Verwandten dürftenihretwegen nicht trauern, wurde lebhaft erörtert.Aber das Testament interessierte natürlich am meistenund wurde hauptsächlich in dem Kasino lebhaft be-sprochen.

Die Nachricht, daß Christiane nicht heiraten dürfe,wenn sie ihr Vermögen nicht verlieren wolle, hatte wieeine Bombe eingeschlagen. Alle leifen mit ganz langenGesichtern herum und mit Schrecken dachte ein jederdaran, daß er nun selbst bezahlen müsse, was er da-mals bei dem Requiem auf das Wohlergehen derVerstorbenen getrunken hatte. Bis spät in die Nachthinein hatte die Sitzung gedauert, immer neue FlaschenSekt waren herangeschleppt worden, man hatte ge-kneipt wie nie zuvor, und das schon deshalb, weiles nichts kostete. Einer von ihnen würde über kurzoder lang Christiane ja doch totensicher heimführen und

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wer das tat, der sollte alles bezahlen, was getrunkenworden war. Darüber hatte man sich geeinigt undso war der ganze Kitt vorläufig auf den Namen „Un-bekannt” gebucht worden. Ein Mitglied der Tisch-kommission hatte sich dafür verbürgt, daß die Schuldbis zur Verlobung gestundet würde. Aber nun hattesich die Sachlage wesentlich anders gestaltet und dieda neulich am fröhlichsten und am ausgelassenstengewesen waren, die ließen nun am meisten den Kopfhängen, denn die hatten am meisten getrunken undmußten nun auch das meiste bezahlen.

Aber sie dachten nicht nur an sich, sondern auchvoll ehrlichster Anteilnahme an Fräulein Christiane.Jetzt, wo sie ihnen unerreichbar war, erschien sieihnen allen schöner und begehrenswerter denn je.So 'n hübsches Mädel und die durfte nicht heiraten!Das war einfach 'ne bodenlose Gemeinheit von derverstorbenen Tante und wenn sie noch lebt ― ― ―

Man erging sich in den wahnsinnigsten Plänen,was man mit der Tante alles anstellen wollte, wenndie noch lebe. Die bei lebendigem Leibe zu rösten,war noch das wenigste, was man ihr antun wollte,und die Tante konnte wirklich von Glück sagen, daß siebereits das Zeitliche gesegnet hatte, sonst wäre sievon den Leutnants erbarmungslos gelyncht worden.

Die Gemüter konnten sich garnicht wieder be-ruhigen, denn gerade Christiane wäre eine Fraugewesen, wie sie im Buche stand. Das Wieso undWarum erklärte keiner, man fragte auch nicht danach,

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und jeder hatte so die Empfindung, als sei ihm imletzten Augenblick die Braut, auf die er mit Sicherheitgerechnet hatte, durch die Lappen gegangen.

Bis dann doch eine andere Neuigkeit das Interessevon Fräulein Christiane ablenkte.

Die in der Residenz erscheinende Tageszeitungbrachte die Nachricht, daß in der nächsten Zeit SeineHoheit, der Erbherzog, mit seinem intimen Freunde,dem Fürsten von Letzingen, zum Besuche am HofSeiner Hoheit, des regierenden Herzogs, erwartetwerde. Es solle, wie verlautete, eine Reihe von Hof-festlichkeiten stattfinden und in einem längeren Nach-satz war dann zu lesen, man gehe wohl mit der An-nahme nicht fehl, daß der bevorstehende Besuch desFürsten darauf abziele, die Prinzessin Rena zu ge-winnen.

In der kleinen Residenz nahm die Bevölkerungan allem, was den Hof betraf, den regsten Anteil, be-sonders, wenn es sich um die Prinzessin Rena handelte,die sich bei allen der größten Beliebtheit erfreute.So wurde diese Zeitungsnotiz überall verschlungenund erregte allerorts die Gemüter. Aber keinen er-regte sie so, wie Seine Hoheit, den regierenden Herzog.Der hatte, wie jeder andere Bewohner seiner Resi-denz, die Angewohnheit, die Tageszeitung gleichnach dem Erscheinen vom ersten bis zum letzten Wortdurchzulesen. Ihn interessierte alles, was in der Stadtvorging und ein klein wenig trieb ihn auch jeden Tagdie Neugierde, in dem Blättchen nachzusehen, ob

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dieses nicht irgend etwas über ihn brächte: irgendeine leutselige Äußerung gegen einen seiner Unter-tanen, ein scherzhaftes Wort, die Erwähnung einerwohltätigen Stiftung oder etwas ähnliches. Er liebtees, sich in der Zeitung gedruckt zu sehen, schon, damitseine getreuen Untertanen immer wieder aufs neuean ihn erinnert würden. Für gewöhnlich las er alles,was den Hof betraf, mit dem größten Interesse, aberals er heute Abend diese Notiz in dem Blatte fand,geriet er in die allergrößte Erregung und die Zornes-ader schwoll auf seiner Stirn. Wie kam das Blattdazu, so etwas zu schreiben und woher wußte dieZeitung, daß er in der letzten Zeit verschiedentlichmit der Oberhofmeisterin den Plan, Prinzessin Renazu verheiraten, besprochen hatte, richtiger gesagt,daß die ihm damit zu wiederholten Malen in denOhren lag. Nicht einmal gegen seine Adjutantenhatte er etwas davon erwähnt. Es mußte also einebodenlosen Indiskretion vorliegen und die konnteniemand anderes begangen haben als die Frau Ober-hofmeisterin.

Oder sollte er Ihrer Exzellenz vielleicht doch Un-recht tun und sollte etwa sein Kammerdiener? ―Seine Hoheit wußte ja, wie man den auszuhorchenversuchte, um allerlei Neuigkeiten vom Hofe zu er-fahren, aber sein Kammerdiener war bisher stetsvon der größten Verschwiegenheit gewesen. Gleich-viel, er mußte ihn sprechen, so klingelte er denn undgleich darauf trat der Kammerdiener ein, der in seiner

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äußeren Erscheinung mit dem bartlosen, glattrasiertenGesicht, in seinem schwarzen Gehrockanzug und derweißen Binde den Eindruck eines würdevollen Ge-heimrats machte.

Seine Hoheit ließ ihm nicht einmal Zeit, sich wiesonst tief zu verneigen, sondern reichte ihm sofortdie Zeitung: „Hier, lesen Sie das und dann sagenSie mir: Sind Sie an diesem Geschmiere schuld?Aber die Wahrheit will ich wissen, die volle Wahr-heit, denn wenn ich hinterher erfahre, daß Sie michjetzt belügen, dann wehe Ihnen.”

Seine Hoheit befand sich in der allergrößten Er-regung, aber das machte auf den Kammerdiener nichtden leisesten Eindruck. Er kannte seinen Herrn vielzu genau, um sich durch dessen Zornesausbrücheeinschüchtern zu lassen, und vor allen Dingen hatteer ein vollständig gutes Gewissen.

„Lesen Sie diese Notiz,” befahl seine Hoheit nocheinmal.

Der Kammerdiener machte eine tiefe Verneigung:„Ich habe die Notiz bereits gelesen, Ew. Hoheit, ichwar gerade mit der Zeitungslektüre beschäftigt, alsEw. Hoheit nach mir klingelten.”

„Nun, und was haben Sie zu erwidern?”„Daß ich empört bin, wie Ew. Hoheit ― ― ich

bin genau so empört, wie Ew. Hoheit es selbst sind.”„Ist das alles? Können Sie mit gutem Gewissen

beschwören, daß Sie an dieser Notiz unschuldig sind?”Ohne sich einen Augenblick zu besinnen, erhob

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der Kammerdiener die Finger seiner rechten Handzum Schwur und sagte mit lauter, feierlicher Stimme:„Ich schwöre bei Gott, demm Allwissenden und All-mächtigen einen leiblichen Eid, daß ich ― ― ― ―”

„Das genügt mir vollständig,” unterbrach ihnSeine Hoheit, „und ich will Ihnen nicht verhehlen,daß ich mich aufrichtig freue, Sie fälschlicherweisein Verdacht gehabt zu haben. Ich konnte es mirauch garnicht denken, daß gerade Sie, der Sie mirseit vielen Jahren so treu dienen, vor dem ich keinGeheimnis habe, daß Sie, der alles weiß, was michbetrifft ― ― ― apropos, Sie haben Fräulein Verdenmein Billet überbracht?”

„Der Befehl Ew. Hoheit ist ausgeführt worden.Das gnädige Fräulein wird heute Abend zur befohlenenStunde vor Ew. Hoheit erscheinen, läßt aber in allerErgebenheit darum bitten, daß vielleicht der Posten,der vor dem Südausgang des Schlosses steht, ein-gezogen wird, oder daß er wenigstens den Befehlerhält, nicht mehr in einem so weiten Umkreis aufund ab zu patrouillieren. Es wird dem gnädigenFräulein immer schwerer, das Schloß unbemerkt zubetreten und zu verlassen.”

„Schön, gut, daß man mich darauf aufmerksammacht. Gehen Sie gleich nachher zu dem Wach-habenden hinüber, Sie wissen ja allein, wie weitder Posten patrouillieren kann, ohne bis an die kleineGeheimtür zu gelangen. Sagen Sie, die lautenSchritte des Postens auf dem Pflaster störten mich

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bei der Arbeit, oder sagen Sie etwas Ähnliches.”Dann aber kam Seine Hoheit gleich wieder auf dieZeitungsnotiz zu sprechen: „Wer kann denn aber nurschuld daran sein, daß diese Andeutungen in die Pressegelangten? Wenn Sie einen Verdacht haben, dannsprechen Sie ihn nur ruhig aus.”

„Ich habe mir darüber auch schon den Kopf zer-brochen,” meinte der Kammerdiener, „und wenn esnicht Ihre Exzellenz, die Frau Oberhofmeisteringewesen ist, dann weiß ich es wirklich nicht.”

Der Kammerdiener konnte sich schon erlauben,ein offenes Wort zu reden, besonders, wenn diesesgegen die Exzellenz gerichtet war. In der ungnädigenStimmung gegen die Frau Oberhofmeisterin warenSeine Hoheit und der Kammerdiener sich einig. Diesteckte ihre Nase in viel zu viel Dinge, die sie garnichtsangingen, und es war beiden bekannt, daß nament-lich die soeben erst begonnene kleine LiebesaffaireSeiner Hoheit mit der hübschen Schauspielerin abso-lut nicht den Beifall Ihrer Exzellenz fand. Nicht nur,daß sie es überhaupt für im höchsten Grade unpassenderklärte, daß ein Mann in dem Alter und in derStellung Seiner Hoheit sich noch mit derartigen Aben-teuern abgab, sie hatte an Fräulein Verden nochderen Stolz und deren Ehrgeiz auszusetzen. Die warnach der Ansicht Ihrer Exzellenz nicht damit zufrieden,nur vorübergehend die Geliebte des Herzogs zu sein,die legte es darauf ab, den Herzog möglichst für immerin ihre Gewalt zu bekommen, und mit Rücksicht auf

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die Prinzessin Rena hatte sie kürzlich den Mut gehabt,mit Seiner Hoheit offen darüber zu sprechen undihm ihre schweren Bedenken gegen die Fortsetzungdieser Liaison zu äußern.

An dem Tage wäre Ihre Exzellenz beinahe zumFenster hinausgeflogen. Seine Hoheit war derartigheftig geworden, daß er die Gräfin Linkfuß am liebstenmit starken Armen ergriffen und durch die geschlossenenFensterscheiben hindurch in die frische Luft beförderthätte, selbst auf die Gefahr hin, daß Ihre Exzellenznicht in der frischen Luft hängen blieb, sondern mehroder weniger laut krachend zur Erde niederfiel.

Das war Seiner Hoheit denn doch über die Hut-schnur gegangen, sich von der Oberhofmeisterin seinerTochter sogar über die Wahl seiner Freundinnen Vor-schriften machen zu lassen.

Und an dem Tage war er zum erstenmal zu derErkenntnis gekommen, daß es vielleicht wirklich ganzgut wäre, wenn die Prinzessin bald heiratete. Dannhatte auch er endlich Ruhe vor der Oberhofmeisterin,dann hörte diese ewige Bevormundung auf, dannbrauchte er sich nicht mehr, fortwährend sagen zulassen: „Denken Ew. Hoheit an die Prinzessin Rena,an dieses reine, unverdorbene Kind.”

Es war wirklich schon das beste, die Prinzessinheiratete bald. Gewiß, er liebte sein Kind über allesund das hatte ihn erst kürzlich wieder flehentlich ge-beten, es nicht gegen seinen Willen mit dem Fürstenvon Letzingen zu vermählen. Sie sei doch noch so

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jung, sie wolle das Leben und die Freiheit noch ge-nießen. Vor allen Dingen aber liebe sie den Fürstennicht, wenigstens vorläufig nicht, „und nicht wahr,Papi, das wirst du doch nicht wollen, daß deine Renaeinen Mann heiratet, den sie n icht lieber hat als allesandere auf der Welt, natürlich nicht lieber als dich,Papi, aber doch wenigstens ebenso lieb.”

Und zärtlich hatte sie ihren Kopf an seine Wangegeschmiegt und ihn mit ihren kleinen, weichen, zartenHänden geliebkost, daß ihm ganz warm um das Herzwurde und daß er zu ihr sagte: „Sei ruhig, kleineRena, und mache dir keine Sorgen, ich werde dichnie zwingen, einen Mann zu heiraten, den du nichtwillst,” um dann aber gleich darauf doch zu fragen:„Was hast du den eigentlich an dem Fürsten auszu-setzen? Warum glaubst du nicht, daß du ihn wirstlieben können?”

Die Prinzessin war die Antwort darauf schuldig ge-blieben und Seine Hoheit hatte sich darüber nicht weitergewundert. Aus dem reichen Schatz seiner Erfahrungenwußte er ja selbst am besten, daß es sehr schwer, wennnicht fast unmöglich ist, es zu definieren, warumman einen Menschen liebt, oder warum man ihnnicht liebt.

Seine Hoheit war nicht weiter in die Prinzessingedrungen und hatte das Gespräch baldmöglichst beendet,um nicht allzu weich zu werden und um sich nicht zudem Versprechen hinreißen zu lassen: „Wenn dunicht willst, brauchst du überhaupt niemals zu heiraten.”

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Was die Prinzessin wohl sagen würde, wenn sieden Artikel in der Zeitung las? Nun waren seineGedanken doch wieder bei der Zeitungsnotiz ange-kommen und so fragte er denn jetzt: „Hat Ihre Hoheit,die Prinzessin, das Blatt schon zu lesen bekommen?”

Der Kammerdiener beeilte sich, Seine Hoheit zuberuhigen: „Ew. Hoheit wissen doch, daß Frau vonAlten, die Kammerfrau Ihrer Hoheit, der Prinzessin,den Befehl hat, die Zeitung erst jeden Abend sehr genaudaraufhin durchzusehen, ob irgend etwas darin steht,was für Ihre Hoheit nicht geeignet wäre. Ihre Hoheitwird heute das Blatt ganz gewiß nicht in die Handbekommen, für alle Fälle kann ich das ja der Kammer-frau noch einmal einschärfen.”

„Ja, tun Sie das,” stimmte Seine Hoheit ihmbei, „gehen Sie jetzt gleich zu ihr und dann überbringenSie der Frau Oberhofmeisterin meinen Befehl, so-fort vor mir zu erscheinen, ganz einerlei, in welcherToilette sie sich befindet. Geben Sie ihr den gutenRat, mich nicht warten zu lassen. Was Sie mir vorhinsagten, bestärkt mich in dem Verdacht, daß nur IhreExzellenz die Mitteilung in die Zeitung lancierthaben kann.”

Aber als die Frau Oberhofmeisterin dann SeinerHoheit gegenüberstand, mußte er fast zu seinemBedauern einsehen, daß Ihre Exzellenz unschuldigwar. So entrüstet, so empört hatte er sie noch niegesehen, nicht einmal dann, wenn sie ihm Vorhal-tungen machte: „Ich bin außer mir, Ew. Hoheit,

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Gott mag wissen, wer diese Indiskretionen begangenhat, wenn überhaupt von einer solchen die Rede seinkann. Ich vermute, daß die Redaktion sich diese Mit-teilung glatt erfand oder daß sie die zusammenkom-binierte, denn schließlich ist die Prinzessin ja doch indem heiratsfähigen Alter und man weiß, daß derFürst mit Seiner Hoheit, dem Erbherzog, sehr be-freundet ist.”

Es klang etwas aus den Worten Ihrer Exzellenzheraus, das Seine Hoheit zu der Überzeugung brachte,Ihre Exzellenz sprach die Wahrheit und so sagte erdenn: „Ich glaube Ew. Exzellenz, daß Sie nicht ander Affäre beteiligt sind. Ich werde morgen vor-mittag meinen Adjutanten vom Dienst auf die Re-daktion schicken, damit der dort ein kräftiges Wortmit den Leuten redet. Ist es so, wie Sie vermuten,Exzellenz, dann muß die Zeitung morgen Abend alles widerrufen und öffentlich eingestehen, sich alleserfunden zu haben. Und damit wäre unser Gesprächwohl eigentlich beendet, nur noch eins. Es ist mirschon oft aufgefallen, daß Sie immer nur von demFürsten sprachen, wenn Sie mir vorstellten, es wäreZeit, daß die Prinzessin an das Heiraten dächte.Warum ist Ihnen gerade so viel daran gelegen, daßdie Prinzessin sich für den Fürsten entscheidet? StecktSeine Hoheit, der Erbherzog, vielleicht irgendwiedahinter? Hat der sich für seinen Freund, den Fürsten,bei Ihnen verwandt? Ich persönlich habe gegenden nicht das geringste einzuwenden, er soll mir als

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Schwiegersohn jederzeit willkommen sein, aber nurunter der Bedingung, daß die Prinzessin seine Zu-neigung erwidert, und ich bitte Sie dringend, in derHinsicht keinen Druck auf die Prinzessin ausüben zuwollen.”

Als Antwort hatte Exzellenz nur eine tiefe Ver-beugung und Seine Hoheit schien auch gar keine andereAntwort zu erwarten, sondern es für selbstver-ständlich zu halten, daß man seinen Wunsch respektiere.

Gleich darauf hatte Ihre Exzellenz das ZimmerSeiner Hoheit verlassen, um draußen auf dem Korri-dor tief Atem zu holen: Gott sei Dank, für den Augen-blick war sie der Gefahr entronnen, Seiner HoheitRechenschaft ablegen zu müssen, warum ihre Wahlgerade auf den Fürsten gefallen sei. Sie hatte dasSeiner Hoheit gegenüber schon oft genug begründet,hatte die Vorzüge des Fürsten in den hellsten Farbengeschildert, aber das mußte ihm doch nicht genügthaben.

Wie dem aber auch immer war, auf jeden Fallwar durch die Indiskretion der Presse das Heirats-projekt akut geworden. Nach der Ansicht der Exzellenzgab es jetzt kein Zurück mehr, sondern nur noch einVorwärts. Sie mußte ihren Plänen zum Siegeverhelfen, ganz einerlei, ob mit oder ohne HansJoachims Hilfe. Nicht etwa, als ob sie geglaubt hätte,nicht auch ohne ihn ihr Ziel zu erreichen, aber sie hätteden doch lieber als befreundeten Bundesgenossenan ihrer Seite gehabt, als daß sie nach wie vor in

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ihm einen versteckten Gegner sehen mußte. Gewiß,seitdem Hans Joachim damals bei ihr den Tee ge-trunken hatte, war er niemals wieder auch nur miteiner Silbe auf das im Theater besprochene heikleThema zurückgekommen, aber trotzdem oder viel-leicht gerade deshalb hielt sie eine Erneuerung desGespräches nicht für aufgehoben, sondern lediglichfür aufgeschoben.

Ein leises Unbehagen überschlich Ihre Exzellenz,so oft sie an Hans Joachim dachte, und sicher hätteihr sogar vor ihm gegraut, wenn sie geahnt hätte,wie Hans Joachim sich ihretwegen das Gehirn zer-marterte, als er die Zeitung zur Hand genommenund die Notiz gelesen hatte. Sollte die Oberhof-meisterin dahinter stecken? Er wußte es nicht, abergleichviel,je eher diese verschwand, desto besser. Da-rin stimmte er der Prinzessin vollständig bei, aberwie sollte er die Exzellenz stürzen? Den Anfangglaubte er ja gemacht zu haben, aber nun war dieSache auf einem toten Punkt angelangt, wie solltees weiter gehen? Das Nachdenken allein half nichts,er mußte endlich zu einem Resultat kommen, aber wie?

Er wußte es selbst nicht, wie lange er schon so inGedanken versunken dasaß. Er war nicht einmalausgegangen, sondern hatte sich von seinem Burschenzum Abendessen auftragen lassen, was der im Hausehatte. Viel war es nicht gewesen, aber es hatte ihmgenügt. Er war wirklich nicht in der Stimmung,am Stammtisch oder im Kasino zu erscheinen, um

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dort das Gerede über die bevorstehende Verlobungder Prinzessin mit anzuhören. Er wußte ja auchohnehin, was die Kameraden dadurch verloren. Dannwürden die Hoffeste vollständig aufhören, dann gabes keine Hofbälle und erst recht keine neuen Vortänzermehr, denn wenn Seine Hoheit erst allein war, dannwürde der die Hoffeste auf ein Minimum beschränken.Vielleicht, daß der dann alljährlich einen offiziellenEmpfang gab, aber das war auch alles.

Für das gesellschaftliche Leben würde die Ver-lobung der Prinzessin einen schweren, geradezu un-ersetzlichen Verlust bedeuten und schon deshalb mußtesie so weit wie nur irgend möglich hinausgeschoben wer-den. Und für ihn persönlich kam noch etwas andereshinzu, er konnte sich das Leben in der Residenz ohnedie Prinzessin garnicht vorstellen und wenn er darandachte, daß nun vielleicht doch bald der Fürst dieHand der Prinzessin erhielte, wenn er sich ausmalte,daß der dann ein Recht darauf hatte, die Prinzessinzu küssen, ja, noch mehr, daß sie ihm dereinst ange-hören würde mit Leib und mit Seele ― ― ― ― ―

Eine wilde Eifersucht packte ihn bei dem bloßenGedanken und doch, was ging ihn die Prinzessin an?Er hatte Scharfenberg ausgelacht, als der ihm in derTrunkenheit gestand, die Prinzessin zu lieben, under selbst war jetzt nicht einmal betrunken, sondernso nüchtern, wie ein Mensch nur immer sein konnte.Und trotz alledem, nein, er liebte sie nicht, schon, weiler sie nicht lieben durfte, weil es ein Wahnsinn war,

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sich in sie zu verlieben. Aber an dem Ballabend indem Hause des Kommandeurs, als er, wenn auchnur im Scherz, als Sultan zu ihr sprach, als er hinter-her mit ihr tanzte ― ― so wild und so stürmisch hattedas Blut noch nie in seinen Adern gerast und er hattedoch weiß Gott schon manches hübsche, junge Mädchenin seinen Armen gehalten.

Wieder sprang er empor und ging mit großen,erregten Schritten auf und ab, als plötzlich seinBursche bei ihm eintrat, um ihm zu melden: „HerrLeutnant, es ist eine Dame draußen, die den HerrnLeutnant unbedingt sprechen will.”

„Eine Dame?” Hans Joachim war wirklich nichtin der Laune, gerade jetzt irgendwelchen Besuch zuempfangen. Gott mochte wissen, wer da war, erkonnte sich im Augenblick nicht darauf besinnen, fürheute irgend eine Verabredung getroffen zu haben.„Wer ist es denn?” fragte Hans Joachim den Burschen,als er sich allein den Besuch nicht zu erklären ver-mochte, „und vor allen Dingen, ist sie hübsch?”

Aber der Bursche schüttelte den Kopf: „Mir ge-fällt sie nicht, Herr Leutnant, es haben schon vielhübschere bei uns Schokolade gegessen und getrunkenund jung ist sie auch nicht mehr. Allerdings, das Ge-sicht kann man nicht erkennen, um den Kopf hat sieimmer ein Umschlagetuch nach dem anderen ge-wickelt und wie die sich in der Verpackung überhaupthierher gefunden hat, verstehe ich nicht. Die ist sovermummt, daß man überhaupt nichts von ihr sieht,

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bloß die Kleider und die Figur. Aber trotzdem, HerrLeutnant, schön ist sie nicht und auch nicht mehrjung, mindestens so in die vierzig, wenn nicht an diefünfzig. Ich habe für so etwas einen Blick, Herr Leut-nant, ich habe doch auch eine Mutter und eine Groß-mutter.”

Hans Joachim stand nachdenklich da, er hörtekaum hin auf alles, was sein Bursche da redete, jetztfragte er nur: „Haben Sie denn gesagt, daß ich zuHause wäre?”

„Das konnte ich nicht gut leugnen, Herr Leutnant,denn was die Dame ist, die hat das Licht draußendurch die Vorhänge schimmern sehen, mit d e r Aus-rede war es also nichts, aber ich habe eine anderegebraucht, eine viel feinere, ich habe gesagt: Ichmüßte erst mal nachsehen, ob der Herr Leutnantauch zu sprechen wären, soviel ich wüßte, hätten derHerr Leutnant heute bereits Damenbesuch.”

„Sie sind wohl ganz verrückt?” herrschte HansJoachim den Burschen an. „Was soll die Dame denken,wenn Sie ihr so etwas erzählen. Die Dame kanndoch auch eine wirkliche Dame sein.”

Aber der Bursche machte ein so ungläubiges Ge-sicht und sah seinen Herrn so verschmitzt lächelnd an,daß Hans Joachim Mühe hatte, ernst zu bleiben,aber trotzdem sagte er: „Sie haben sich meine Wortelediglich anzuhören, ohne das, was Sie sich dabeidenken, irgendwie zu verraten,” und gleich daraufbefahl er: „Ich lasse die Dame bitten, näherzutreten.”

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Wenig später trat die in das Zimmer und derBursche hatte Recht: die war so verhüllt und ver-schleiert, daß man von ihrem Gesicht nicht das ge-ringste erkennen konnte. Ganz verdutzt betrachteteHans Joachim seinen Gast und fragte sich immerwieder: Wer konnte denn nur so geheimnisvoll zuihm kommen? Doch nicht etwa die Prinzessin oderdie Hofdame? Natürlich, schon ein solcher Gedankewar Wahnsinn, aber die da vor ihm stand, wollteetwas anders, als Süßigkeiten bei ihm essen undein paar Zigaretten rauchen, wie es die kleinen Mäd-chen, die ihn besuchten, mit Vorliebe taten.

Mit einer einladenden Handbewegung wies HansJoachim auf einen Stuhl: „Was Sie auch immerzu mir führt, meine Gnädigste, ich heiße Sie herzlichwillkommen. Bitte, nehmen Sie doch Platz undlegen Sie zunächst wenigstens einmal drei von ihrenzahllosen Schleiern ab. Es ist hier ohnehin etwassehr reichlich warm im Zimmer, Sie würden, wennSie so verhüllt blieben, sehr bald wie in einem Dampf-bad schwitzen und könnten sich hinterher auf der Straßeauf den Tod erkälten.” Und er trat auf sie zu, umihr beim Ablegen behilflich zu sein.

Aber ganz erschrocken erhob sie abwehrend dieHände: „Sie Haben Recht, es ist hier sehr warm,aber trotzdem, erst muß ich die Gewißheit haben,daß uns niemand belauscht und beobachtet.”

„Wie meinen Sie das?” fragte Hans Joachim,um gleich darauf hinzuzusetzen: „Ach so, nun verstehe

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ich, Sie glauben, daß der Bursche vielleicht da draußenauf dem Korridor steht und durch das Schlüssellochguckt? Ich glaube es zwar nicht, aber trotzdem, zuihrer Beruhigung ― ― ―”

Als dächte er garnicht daran, ihren Wunsch zuerfüllen, ging er mit ruhigen, gemessenen Schrittenim Zimmer auf und ab, nur daß er sich dabei immermehr und mehr der Stubentür näherte. Immerganz allmählich und in ganz unauffälliger Weise,um dann plötzlich nicht vor der Tür selbst Halt zumachen, sondern etwas seitwärts. Und dann drückteer ganz leise, völlig unhörbar die Klinke nieder undstieß gleich darauf die Tür mit solcher Gewalt auf,daß alles kaput gehen mußte, was da etwa hinterder Tür stand.

Und es mußte da etwas gestanden haben, dennHans Joachim hörte nicht nur einen halb unter-drückten Fluch, sondern er hörte auch, wie jemandkrachend gegen die Wand flog und von da gegen einenKleiderschrank. Der mußte diesem Anprall nichtgewachsen gewesen sein, denn er kam ins Wankenund zwei große, schwere Koffer, die auf dem Schranklagen, kamen ins Fallen und gleich darauf ertönteein zweiter Fluch. Der Bursche mußte in des Worteswahrster Bedeutung ganz gehörig was auf den Kopfbekommen haben.

Als Hans Joachim gleich darauf aus dem Zimmertrat, saß der Bursche auf dem Boden und rieb sichmit beiden Händen die Schädeldecke.

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„Was ist denn hier eigentlich los?” fragte HansJoachim anscheinend ganz verwundert.

„Ich weiß es auch nicht, Herr Leutnant,” log derBursche darauf los, „hier muß irgendwo ein Erdrutschgewesen sein, ein Erdbeben, oder so etwas Ähnliches.Ich stand ganz ahnungslos auf dem Korridor, esmuß irgendwo ein Fenster offen stehen, denn plötz-lich kriegte mich ein Windstoß beim Kragen undschmiß mich gegen die Wand und von da gegen denSchrank.”

„Das ist ja sonderbar,” meinte Hans Joachim,um dann anscheinend ganz harmlos zu fragen: „Viel-leicht ist der Windstoß dadurch entstanden, daß ichetwas zu plötzlich meine Tür aufmachte?”

Aber der Bursche widersprach: „Nein, Herr Leut-nant, das war es nicht, denn sonst hätte ich doch auchetwas davon merken müssen, daß der Herr Leutnantdie Tür aufmachte, aber davon habe ich ja garnichtsgemerkt.”

„Na, dann ist es ja gut,” meinte Hans Joachim,„dann brauche ich mir ja keine Vorwürfe zu machen,wenn Sie morgen mit einer großen Beule auf demKopfe herumrennen. Nun aber erheben Sie sich,schwacher Geist, richten Sie die Trümmer Karthagoswieder auf, um dann in Ihrer Stube zu verschwinden,aber das sage ich Ihnen, wenn heute Abend nochmalsein Erdbeben kommen sollte, dann mache ich Sieganz allein dafür verantwortlich.”

„So meine Gnädige,” begrüßte Hans Joachim

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seinen unbekannten Gast, als er wieder in das Zimmertrat, „nun ist die Luft rein. Beim Militär ist das nuneinmal nicht anders, da sind solche Luftreinigungs-prozeduren immer mit Blitz und Donner verbunden,hoffentlich haben Sie sich nicht allzusehr erschrocken.Nun aber, schöne Maske, bitte ich um die Demas-kierung.”

Diesesmal duldete sie es, daß er ihr behilflich war,die Schleier abzulegen, aber als er dann in das Ge-sicht seines Besuches sah, erkannte er in ihr Frauvon Alten, die Kammerfrau der Prinzessin Rena.Unwillkürlich trat er vor Erstaunen einen Schrittzurück, dann aber fragte er: „Wie kommt mir dieserGlanz in meine Hütte? Daß der Leutnant zu Hofegeht, ist natürlich, daß aber der Hof einen armenLeutnant in seiner Klause aufsucht, ist neu.”

Frau von Alten, eine gänzlich verarmte Adligevon etwa fünfzig Jahren, die mehr als froh gewesenwar, als sie endlich bei der Prinzessin die Stelle derKammerfrau erhielt, empfand es als eine Auszeich-nung, daß Hans Joachim auch sie zum Hofe rechnete,bei dem sie doch nur eine sehr untergeordnete Stellungbekleidete. Die meisten zählten sie überhaupt gar-nicht mit, sahen in ihr weiter nichts als eine bessereDienerin, und hielten es kaum für nötig, sie zu be-grüßen.

So fühlte sie sich denn jetzt durch Hans JoachimsWorte sehr geehrt und geschmeichelt, zumal die nicht imleisesten ironisch geklungen hatten.

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Hans Joachim sah es, wie sie sich darüber freute,einmal wieder für eine Dame gehalten zu werdenund er hätte ihr gern noch eine weitere halbe Stundegegönnt, damit sie sich im stillen weiter freuen könne,aber dazu war er denn doch zu neugierig, zu erfahren,was die Kammerfrau zu ihm führe und so sagteer denn jetzt: „Ich gehe wohl in der Annahme nichtfehl, gnädige Frau, daß Sie im Auftrage der Prin-zessin zu mir kommen, daß diese irgend eine Botschaftfür mich hat, die sie sonst keinem anderen anvertrauenwollte. Habe ich da Recht?”

Frau von Alten saß in seligster Verzückung da.Er, der Vortänzer bei Hofe, hatte sie, eine einfacheKammerfrau, „gnädige Frau” genannt, genau so,als ob sie noch wie früher bei Lebzeiten ihres Mannesdie Herrin auf eigenem Grund und Boden wäre,ebenso, als ob sie selbst mit zu der Hofgesellschaftgehöre. Wie lange war es her, daß sie so genanntworden war? Wer ganz besonders höflich gegen siewar, nannte sie höchstens „Frau von Alten”.

Mit beinahe verklärten Augen sah sie Hans Joachiman. Der war weiß Gott ein zu lieber, prächtigerMensch und wenn sie nachher erst wieder im Schloßwar, dann wollte sie der Prinzessin erzählen, wienett und gut er gegen sie gewesen war, schon, damitdie Prinzessin auch ihrerseits womöglich noch freund-licher gegen ihn war, ihre liebe, kleine Prinzessin,die sie wie ihre eigene Tochter liebte und die mannun mit aller Gewalt gegen ihren Willen verheiraten

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wollte. Aber um das zu verhindern, war sie ja hierund so sagte sie denn: „Ja, Sie haben Recht, HerrLeutnant, Ihre Hoheit, die Prinzessin, schickt mich,oder richtiger gesagt, ich habe mich freiwillig erboten,zu Ihnen zu gehen. Ich konnte es nicht mehr mitansehen, wie traurig und verzagt die Prinzessindreinblickte, und ich konnte es nicht länger mit anhören,wie sie immer wieder sagte: ‚Wenn ich doch wenigstensHans Joachim heute Abend noch sprechen, ode rihmwenigstens gleich einen Brief schicken könnte.‛ Undich wußte ja sofort, wer mit diesem „Hans Joachim”gemeint war, denn wenn die Prinzessin bei demAnkleiden oder Ausziehehn von Ihnen spricht, HerrLeutnant, dann nennt die Prinzessin Sie stets nur„Hans Joachim”, weil sie den Namen so hübsch findet.”

Eigentlich hätte das Frau von Alten nicht verratendürfen, das wußte sie selbst, aber er war so freundlichzu ihr, warum sollte sie ihm da nicht auch eine Freudebereiten? Und sie merkte es ihm ja nur zu deutlichan, w i e er sich freute. Er sagte zwar nichts, abersie las es in seinen glänzenden Augen und in seinenMienen.

„Nicht wahr, Herr Leutnant,” bat sie plötzlich, „wasich Ihnen da eben sagte, bleibt aber natürlich unteruns. Ich würde sonst sofort bei Ihrer Hoheit in Un-gnade fallen, wenn sie wüßte, daß ich aus derSchule geplaudert hätte.”

Hans Joachim erhob die Finger zum Schwur:„Seien Sie ganz unbesorgt, liebe gnädige Frau, so

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wahr ich an einen Gott glaube, so wahr kommt keineSilbe über meine Lippen. Nun aber bitte, erzählenSie weiter.”

Und dann erfuhr Hans Joachim alles: „Sie habenheute ja auch die Zeitung gelesen, Herr Leutnant.Ich hätte sie der Prinzessin niemals gegeben undzum Überfluß kam auch noch der KammerdienerSeiner Hoheit, um mir den strengen Befehl SeinerHoheit zu überbringen, der Prinzessin unter keinenUmständen die Zeitung heute in die Hand zu geben.Ich habe mein möglichstes versucht, um sie ihr vor-zuenthalten, ich habe gelogen, daß ich dem liebenHerrgott gegenüber ein ganz schlechtes Gewissenhabe, aber was half das alles? Die Prinzessin sahmich so bittend und flehend an, sie schmeichelte unddrohte, dann fing sie an zu weinen und erklärte:Wenn sie nicht erführe, was in der Zeitung stände undwarum sie es nicht lesen solle, dann müsse sie an-nehmen, daß etwas ganz Häßliches und Schlechtesüber sie oder ihren Vater da gedruckt stände, und siequälte mich solange, bis ich dann doch endlich schwachwurde. Dem Befehl Seiner Hoheit habe ich natürlichgehorcht, ich habe der Prinzessin die Zeitung nichtgegeben, sondern habe ihr nur erzählt, was darin steht.”

„Und wie hat die Prinzessin es aufgenommen?”fragte Hans Joachim voller Neugierde.

„Ihre Hoheit war außer sich und als ich mich dannauf ihren Wunsch hinter den Kammerdiener SeinerHoheit gesteckt und von diesem erfahren hatte, daß

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die Frau Oberhofmeisterin heute Abend bei SeinerHoheit war und daß die beiden über den Zeitungs-artikel konferiert hätten, da war es mit der Selbst-beherrschung der Prinzessin vorüber, sie weinte diebittersten Tränen, denn ob mit Recht oder Unrechtvermutet sie, daß in diesem Gespräch ihr Schicksalentschieden wurde. Zu allem Unglück ist heute auch nochFräulein Ursula von Rengwitz beurlaubt, da sie sichnicht wohl fühlte. So war ich mit der Prinzessinallein, um sie zu trösten und um sie nach Möglichkeitzu beruhigen und wie ich Ihnen schon vorhin erklärte,ich habe mich erboten zu Ihnen zu gehen, die Prin-zessin hat Ihnen sehr lang und sehr ausführlich ge-schrieben, hier ist der Brief.”

Und mit schnellen Augen las Hans Joachim gleichdarauf:

„Sehr geehrter Herr Leutnant!Ich schreibe Ihnen in fliegender Hast. Meine

liebe Frau von Alten, auf deren treue Ergebenheitich mich jederzeit verlassen kann, wird Ihnen erzählthaben, was mich veranlaßt, Ihnen zu schreiben. Undda meine ich: Es ist die höchste Zeit, zu h a n d e l n ,wir dürfen nicht mehr überlegen, was geschehen soll,sondern es muß etwas geschehen. Ich habe mir langehin und her überlegt, was Sie mir an dem Tanz-abend im Hause des Herrn Oberst erzählten. Sieweren sich erinnern, daß ich Ihnen zurief: Ich wüßte,wie die Intrigue, die Sie, wenigstens nach meinerMeinung, so gut einfädelten, weiter ginge. Ich hätte

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Ihnen auch schon längst geschrieben, aber ich muß janoch mehr als vorsichtig sein. Unsereins kann ja nichteinmal wie jeder gewöhnliche Sterbliche einen Briefin den Kasten werfen: auf der Post kennt man unsereHandschriften und wie leicht hätte ein Brief in falscheHände kommen können? Heute sende ich Ihnen nundiese Zeilen, um Ihnen zu sagen, daß ich zwar nieLateinisch lernte, daß ich aber vielleicht trotzdem etwasLateinisch kann. Sie sagten mir, wenn die GräfinLinkfuß von Ihnen die Beweise dafür verlange, daßsie ihre Stellung bei Hofe nicht mehr zu recht bekleide,dann wären Sie mit Ihrem Latein am Ende. Dahermuß ich jetzt mit meinen Kenntnissen einspringenund da sage ich: Wenn die Beweise nicht da sind,müssen die ganz einfach herbeigeschafft werden.Fürchten Sie nichts, ich will keine Fälschungen oderetwas Ähnliches begehen. Es geht auch viel einfacher.Ich lege diesen Zeilen einen mit Bleifeder geschriebenenBrief meiner verstorbenen Mutter bei, den die Herzoginzu Beginn ihrer Krankheit von ihrem Krankenlageraus an mich richtete. Obgleich der Inhalt dieses Briefesvollständig harmlos ist, bitte ich Sie dennoch, denselbennicht zu lesen, und ich weiß, daß Sie ihn auch nichtlesen werden. Sonst wären Sie nicht der, für den ichSie halte.”

Warum ― ― ― das wußte er selbst nicht, aberals er diese Worte las, erfüllte ihn ein großes Glücks-gefühl. Ihm wurde so froh und so leicht und dochvermochte er es sich nicht zu erklären. Geschah es,

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weil die Prinzessin ihm ein Lob spendete? Wasmachte er sich daraus, daß die Prinzessin Rena einePrinzessin war? Auch jetzt war sie für ihn nichtsweiter, als das entzückendste Geschöpf, das er kannte;das allerdings war ja auch schon sehr viel und wennsie ihm vertraute, so sollte sie sich darin nicht getäuschthaben.

Dann las er weiter:„Sie werden diesen Brief meiner verstorbenen

Mutter in einem versiegelten Couvert stets bei sichtragen, um ihn sofort zur Hand zu haben, wenn Sieihn gebrauchen. Ich werde dafür sorgen, daß dieseStunde bald kommt und wenn es soweit ist, dannziehen Sie das versiegelte Couvert hervor, öffnen es,nehmen den Brief heraus, halten den der Exzellenzunter die Nase und sagen: ‚Hier ist der Beweis, vondem ich Ihnen sprach, erkennen Sie die Handschriftder verstorbenen Herzogin?‛ Natürlich werden Sieihr den Brief nicht aushändigen, sondern ihr erklären,Sie würden sofort eine Audienz bei Seiner Hoheitnachsuchen, um diesem Meldung zu erstatten. Natürlichmuß ich dieser Scene beiwohnen. Ich bin gewiß nichtschadenfroh, ich kann keinem Menschen ein Leid antun,aber trotzdem, das will ich mit ansehen, wie die stolzeGräfin, wenn auch nur bildlich, vor Ihnen auf denKnien liegt und Sie bei allen Göttern anfleht, sienicht zu verderben. Denn das unterliegt für michkeinem Zweifel, daß Ihre Exzellenz auf diesen, wieich selbst zugebe, sehr plumpen Überfall hin sich für

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besiegt erklärt. Ich habe mir auch schon ihre Nach-folgerin ausgesucht. Es ist eine Verwandte meinerlieben Freundin Ursula. Am allerschönsten wäre esnatürlich, ich brauchte überhaupt keine Oberhofmeisterinmehr, ach, und doch werde ich die um mich behaltenmüssen, bis ich dereinst sterbe. Aber ich bin doch nochso jung, wer mag da schon an das Sterben denken?Dann lieber doch von einer Oberhofmeisterin bewacht,behütet, geleitet, getadelt, ermahnt, bevormundet ― ―ach, Sie wissen ja garnicht, um was sich siolche Ober-hofmeisterin nicht alles kümmert, in alles steckt sie dieNase, nicht einmal anziehen darf ich mich, wie es mirgefällt, nicht ich, sondern sie entscheidet, ob mir einKleid oder ein Hut steht ode nicht. Ach, Herr Leutnant,freuen Sie sich, daß Sie nicht als Prinzessin auf dieWelt gekommen sind und schicken Sie mir durch meineliebe Frau von Alten ein paar Worte, daß ich michauf Sie verlassen kann.

Ich reiche Ihnen die Hand zum Kuß als IhreIhnen wohlgeneigte

Prinzessin Rena.”

Und den Wunsch der Prinzessin erfüllend schrieber ihr sofort eine Antwort:

„Ew. Hoheit!Als Soldat bin ich an das Gehorchen gewöhnt

und dieser Gehorsam soll ein freudiger sein. Dasaber ist ja häufig nicht der Fall und wenn die Vor-gesetzten wüßten, wie die Untergebenen im stillen

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fluchen, dann würden die Vorgesetzten sehr bald gar-nicht mehr den Mut haben, Gehorsam zu verlangen.

Ew. Hoheit aber gehorche ich mit tausend Freudenund ich bedaure nur, daß es mir so leicht wird, denBefehl Ew. Hoheit auszuführen, denn so kommeich kaum in die Lage, Ew. Hoheit wirklich einen Beweismeiner aufrichtigen Ergebenheit liefern zu können.Den Brief der verstorbenen Frau Herzogin werdeich von heute ab immer bei mir tragen und ich werdeihn der Schuldigen vor die Augen halten, sobald dasArmesünderglöcklein geschlagen hat. Auch ich zweiflenicht an dem Erfolg und hoffe auch meinerseits be-stimmt, daß die Exzellenz in die ihr von uns gegrabeneFalle purzeln wird.

Ew. Hoheit Stoßseufzer über die fortwährendeBeaufsichtigung durch eine Oberhofmeisterin fühleich vollständig nach. Wenn ich für meine Personetwas tun könnte, um Ew. Hoheit nicht nur für denAugenblick, sondern für immer von dem lästigenZwang einer Oberhofmeisterin zu befreien, ich tätees mit tausend Freuden. Aber soweit reichen vorläufigmeine Kenntnisse noch nicht und ich weiß auch nicht,wo ich die für diesen Zweck erforderlichen Kenntnisseerlernen könnte.

Und im übrigen, Hoheit weinen Sie nicht. Esist ganz gewiß sehr oft nicht leicht, eine Prinzessinzu sein, aber das Schicksal eines Königlich PreußischenInfanterieleutnants ist auch sehr oft nicht beneidens-wert, besonders, wenn man, wie der alleruntertänigst

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Unterzeichnete morgen früh, noch dazu bei diesemWetter, um fünf Uhr aufstehen muß, um zu einerFelddienstübung in das Gelände zu marschieren.Weinen Sie nicht, Hoheit, und wenn doch, dann wartenSie bitte damit bis zum nächsten Ball, damit ich Ew.Hoheit dann wenigstens die Tränen trocknen kann.

Die mir von Ew. Hoheit gnädigst zum Kuß gereichteHand führe ich ehrerbietigst an meine Lippen.

Ew. Hoheit untertänigster und gehorsamsterHans Joachim von Köttendorf.”

Hans Joachim las diese Zeilen noch einmal durch,dann reichte er sie Frau von Alten, die sich, währender den Brief der Prinzessin las und beantwortete,aufmerksam in dem Zimmer umgesehen hatte, gleich-sam, als wolle sie sich alle Einzelheiten einprägen,um etwaige Fragen der Prinzessin, wie Hans Joachimwohne, beantworten zu können.

Die Kammerfrau nahm den Brief, den HansJoachim ihr überreichte, entgegen, dann aber fragtesie: „Und der Brief der Prinzessin?”

Hans Joachim machte ein ganz erschrockenesGesicht: „Ja, soll ich denn den wieder herausgeben?Darf ich den nicht behalten?”

Frau von Alten zögerte einen Augenblick. Wiehatte die Prinzessin doch zu ihr gesagt? „BringenSie mir meinen Brief auf alle Fälle wieder mit zu-rück, verstehen Sie mich wohl, meine liebe Frau vonAlten, auf alle Fälle, denn er darf unter keinen Um-ständen in den Händen des Herrn Leutnants bleiben.

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Nur wenn Sie sehen sollten, daß Hans Joachim ausirgend einem Grunde etwas an dem Brief gelegensein sollte, dann, aber auch nur dann darf er ihnmeinetwegen behalten.”

Wenn die Prinzessin es mit eigenen Augen hättesehen können, wie unendlich viel ihm an dem Briefgelegen sein mußte!

Immer noch stand er ganz erschrocken da, mitbeinahe flehenden Augen sah er die Kammerfrau anund noch einmal fragte er: „Kann ich den Brief wirk-lich nicht behalten, m u ß ich ihn zurückgeben?”

„Eigentlich ja,” lautete die Antwort, „ich habeden strengsten Befehl von Ihrer Hoheit, aber gleichviel,ich will ihn dem Herrn Leutnant lassen und werdees der Prinzessin gegenüber schon verantworten,mich mit meiner Vergeßlichkeit entschuldigen, odermich sonst irgendwie herausreden. Die Prinzessin istja so gut, die wird schon nicht schelten und im aller-schlimmsten Falle kann ich den Brief morgen ja wiederabholen, oder übermorgen, ich kann ja sagen, Siehätten mich gebeten, das Schreiben noch ein paarTage behalten zu dürfen, um es sich in aller Ruhenoch einmal durchlesen zu können.”

Anstatt so viele Worte zu machen, wäre es ja ein-facher gewesen, zu wiederholen, was die Prinzessinihr für den Fall erklärt hatte, daß ihm an dem Briefetwas gelegen sein sollte, aber sie hielt es für besser,das nicht zu verraten. Ihr war es ohnehin schonzuweilen so vorgekommen, als wenn die Prinzessin

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etwas zuviel von Hans Joachim spräche. Und daßauch er für die Prinzessin schwärmte, wie das für sieallerdings auch ganz selbstverständlich war, das hatteder Blick seiner Augen ihr ja verraten, als sie ihmerzählte, die Prinzessin spräche von ihm nur als von„Hans Joachim.” Aber diese seine Schwärmereidadurch weiter zu entflammen, daß sie ihm alleswiedersagte, das hielt sie denn doch nicht für geraten.Was konnte denn dabei herauskommen, wenn er sichwirklich ernstlich in die Prinzessin verliebte? Dochnichts anders, als daß er sich eine Kugel in den Kopfschoß und an einem solchen Unglück wollte sie keineSchuld haben.

Als sei das Unglück schon geschehen, oder als stündees wenigstens unmittelbar bevor, sah sie ihn plötzlichganz traurig an, aber Gottlob, vorläufig schien dersich noch mit keinen Selbstmordgedanken zu tragen,im Gegenteil, er machte ein freudestrahlendes Ge-sicht und ehe die Kammerfrau wußte, wie ihr geschah,hatte er sie mit beiden Armen unfaßt, drehte sie einpaarmal im Kreise herum und gab ihr dann einenschallenden Kuß.

„Aber Herr Leutnant,” schalt sie, halb verlegen,halb erfreut. Es war lange her, daß sie von einemMann einen Kuß bekommen hatte und daß ein sohübscher junger Leutnant sie noch einmal küssen würde,das hatte sie denn doch nicht gedacht.

Aber Hans Joachim ließ kein „Aber” gelten. „Wenn

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ich küssen muß, gnädige Frau, dann muß ich auchküssen und heute ist mir verdammt küsserig zumute.”

„Und da muß ich alte Frau herhalten,” warf Frauvon Alten ein, „wenn es noch wenigstens ein hübschesjunges Mädchen gewesen wäre.”

„Die hätte heute ganz bestimmt keinen Kuß vonmir bekommen. Wenn der Hof mich küsserig macht,muß der Kuß auch bei Hofe verbleiben,” widersprachHans Joachim, um dann ganz erschrocken auszurufen:„Aber um Gottes willen, gnädige Frau, sagen Siedas nur nicht der Prinzessin, ich hätte Ihre Hoheit jafür alle Zeiten erzürnt, wenn sie das wüßte.”

Aber Frau von Alten beruhigte ihn: „Seien Sieunbesorgt, Herr Leutnant. Ich werde schon nichts ver-raten. Nun aber wird es für mich die höchste Zeit,daß ich gehe, die Prinzessin wird mich ohnehin vollerUngeduld erwarten.”

Da erklang draußen auf dem Korridor ein Glocken-zeichen. Es mußte jemand an der Entreetür geklingelthaben, denn gleich darauf hörte man auch den Burschenüber den Flur gehen, um nachzusehen, wer dasei.

Unwillkürlich tauschten Hans Joachim und Frauvon Alten einen erschrockenen Blick. Beide dachtendasselbe: „Nun kommt doch noch ein Mädel zum Be-such,” und im stillen setzte jeder hinzu: „Nur dasnicht.” Und Hans Joachim betete: „Vater im Himmel,ist es möglich, so lasse heute Abend alle kleinen Mädchenan meiner Haustür vorübergehen.” Er war gewißkein Tugendbold, aber was dann, wenn die Prin-

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zessin die Kammerfrau aushorchte und von diesererfuhr, daß er Damenbesuch erhielt? Das wäre ihmdann doch bei der nächsten Begegnung mit der Prin-zessin mehr als peinlich gewesen.

Und auch Frau von Alten bat im stillen: „Vaterim Himmel, laß es kein Mädchen sein. Mir persön-lich ist es ja gleichgültig, aber wenn die Prinzessinmich nach allem fragt und wenn ich ihr auch das er-zählen muß, ― ― ― nein, das darf nicht sein, auchum des Leutnants willen nicht, um den ist es vielzu schade, daß er sich überhaupt mit solchen Mädchenabgibt.”

Voller Spannung sahen sie sich gegenseitig anund beide atmeten ganz erleichtert auf, als dannplötzlich draußen eine laute Männerstimme erklang.Es war Scharfenberg, der jetzt zu dem Burschen sagte:„Wenn der Herr Leutnant Damenbesuch hat, werdeich selbstverständlich warten, denn selbst das zär-lichste Rendez-vous erreicht ja einmal ein Ende.Ich werde hier nebenan solange hineingehen.”

„Um Gottes willen, nur das nicht,” bat Frau vonAlten mit leiser Stimme, „er könnte durch das Schlüssel-loch sehen oder durch die Türspalte, nein, nein, nichtnach nebenan,” und sie setzte sich schnell den Hut aufund band sich einen Schleier nach dem anderen vordas Gesicht.

„Haben Sie keine Angst, meine Gnädigste,”beruhigte Hans Joachim die Kammerfrau, danntrat er schnell auf den Korridor, begrüßte den Kame-

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raden mit einigen Worten, um ihn blitzschnell amKragen zu erfassen und ihn dann, noch bevor Scharfen-berg wußte, wie ihm geschah, mit einem energischenRuck in eine kleine, dunkle Kammer zu schieben. Nurein wahres Glück, daß die Tür, Gott allein mochtewissen, aus welchen Gründen, nicht nur von innenzu verschließen, sondern auch von außen zu verriegelnwar. Rasch schob Hans Joachim den Riegel vor, dannwandte er sich an seinen Burschen, der ein stummer,aber sehr interessierter Zuschauer dieser kurzen Szenegewesen war: „Das sage ich Ihnen, Knabe, wennSie den Riegel zurückschieben und den Herrn Leut-nant herauslassen, dann holt Sie noch heute Abendder Teufel und steckt Sie für immer in die Kompagniezurück, dann lasse ich Sie als Burschen ablösen undbesorge Ihnen außerdem noch ein paar Tage Arrest.Lassen Sie den Herrn Leutnant da drinnen nur toben,ich werde ihn schon bald wieder befreien.”

Und Scharfenberg tobte wirklich! Mit Händenund Füßen schlug er gegen die Tür, während er zu-gleich mit erregter Stimme rief: „Was fällt dir denneigentlich ein, Hans Joachim? Ist das hier ein men-schenwürdiges Gefängnis? Hier ist ja nicht einmaleine Pritsche, auf der man sich ausstrecken kann. Auf-machen, sage ich dir, aufmachen.”

Aber er ließ den anderen rufen, was er wollte,er kümmerte sich absolut nicht darum, sondern tratin das Wohnzimmer zurück, wo ihn Frau von Altenzitternd vor Erregung erwartete: „Das ist ja ein

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fürchterlicher Lärm, Herr Leutnant, wo haben SieIhren Besuch denn nur eingesperrt?”

„In der Speisekammer, gnädige Frau,” gab HansJoachim zur Antwort, ohne sich auch nur einenAugenblick zu besinnen. „Der Raum ist nur etwasklein und dunkel, wie das bei einer Junggesellen-wohnung eigentlich selbstverständlich ist, aber meinGast wird nicht ersticken, der kann es dort ruhig aus-halten.”

„Ich gehe ja auch schon, ich gehe ja auch schon,” riefFrau von Alten. Ebenso ruhig, wie sie vorhin gewesenwar, als sie sich mit Hans Joachim allein in der Woh-nung befand, ebenso nervös wurde sie nun, als siewußte, daß noch ein anderer anwesend war.

So drängte sie denn plötzlich zum Aufbruch, umdann zum Abschied nochmals die Bitte auszusprechen:„Nicht wahr, Herr Leutnant, es ist ja eigentlich ganzselbstverständlich, ich frage ja auch nur zur Beruhigungder Prinzessin ― ― ― nicht wahr, es wird niemalsein Mensch etwas davon erfahren, daß ich im Auf-trage der Prinzessin bei Ihnen war?”

„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, ich werdeschweigen.”

Gleich darauf war sie gegangen, nachdem HansJoachim sich davon überzeugt hatte, daß draußenauf der Treppe die Luft rein war und daß Frau vonAlten nicht zu befürchten brauchte, mit jemandemzusammenzutreffen.

Hans Joachim aber trat abermals in sein Wohn-

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zimmer. Er dachte nicht daran, den Kameraden jetztgleich zu befreien. Bevor er sich mit dem über gleich-gültige Dinge unterhielt, mußte er zunächst nocheinmal in aller Ruhe den Brief der Prinzessin lesenund er las ihn nicht nur einmal, sondern er las ihnimmer wieder, bis dann Scharfenberg plötzlich inseinem Gefängnis einen derartigen Radau machte,daß Hans Joachim es doch für besser hielt, sich nachihm umzusehen, nachdem er schnell seinen Brief indem Schreibtisch verschlossen hatte.

Dann trat er auf den Korridor hinaus, schob denRiegel zurück, öffnete die Tür, ließ den Kameradenheraustreten und reichte ihm zum Willkommen dieHand, aber Scharfenberg winkte ab: „Na, laß nur,ich habe von deiner Begrüßung von vorhin noch mehrals genug. Du hast mich mit einem derartigen Griffan meiner rückwärtigen Kehle zu fassen gekriegt,daß mir noch jetzt der Halswirbel weh tut. Du hastja einen äußerst freundlichen Händedruck am Leibeund außerdem hast du mehr Glück als Verstand,denn daß ich mir nicht sämtliche Kniekehlen kaputschlug, als ich da vorhin im Dunkeln herumtappte,ist mehr als ein Wunder. Na, ich will hoffen, daßdu mich jetzt für den mir bereiteten Empfang doppeltund dreifach entschädigst,” und dann fragte er plötz-lich: „Hast du Sekt im Hause?”

„Immer,” gab Hans Joachim zur Antwort, „nichtetwa, weil ich ein Protz wäre, aber es könnendoch Fälle eintreten, in denen man Sekt braucht.”

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„Hat der Fall, der dich eben verließ, auch Sektgetrunken?” erkundigte sich Scharfenberg, um gleichdarauf zu fragen: „Die Dame, die da eben bei dirwar, muß ja ein Ausbund von Schönheit und Tugendgewesen sein, daß du sie so ängstlich vor neugierigenBlicken beschütztest?”

„Sprich nicht davon,” bat Hans Joachim, „ichwerde dir lieber den Sekt kommen lassen und dannerzähle mir, was dich noch zu dieser Abendstundezu mir führt.”

Und als der Sekt in den Kehlen perlte, standScharfenberg Rede und Antwort: „Um gleich mitder Tür in das Haus zu fallen ― ― ich bin zu dirgekommen, weil ich dich heute bisher überall ver-gebens gesucht habe, denn du mußt mir eine Fragebeantworten, die mich seit mehreren Tagen quältund auf die ich allein keine Antwort finde. Und dieseFrage lautet: Bin ich ein Lump oder ein anständigerKerl?”

Hans Joachim hatte keine Ahnung, worauf sichdiese Frage bezog, aber gerade deshalb sagte er:„Wenn du denn die Wahrheit wissen willst, Scharfen-berg ― ―”

„Nur die Wahrheit,” bat dieser.„Na schön,” meinte Hans Joachim gelassen,

„dann bist du ein Lump.”Wie ein Blitz sprang Scharfenberg in die Höhe

und starrte den Kameraden an: „Wie kommst dudazu, so etwas von mir zu behaupten?”

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„Aus einem sehr einfachen Grunde,” erwiderteHans Joachim gleichgültig, während er den Kame-raden wieder auf den Stuhl zurückzog. Dann bat er:„Höre mich einen Augenblick an. Hätte ich dir er-klärt, du wärest ein anständiger Mensch, dann hättestdu mir das ohne weiteres geglaubt und auch ich hättedas glauben müssen, ohne dafür irgendwelche Beweisezu haben. Deshalb nannte ich dich einen Lumpen.Es wird nun deine Aufgabe sei, mir zu beweisen,daß ich dir Unrecht tat und wenn du den Beweisdafür erbracht hast, dann hast du damit zugleich be-wiesen, daß du ein anständiger Mensch bist. Habeich da Recht?”

„Das schon,” meinte Scharfenberg, als er es sichin seinem großen Lehnstuhl wieder bequem gemachthatte und behaglich seine Zigarre rauchte, „das schon,”wiederholte er noch einmal, „die Sache ist nur etwaskompliziert, denn ein direkter Beweis ist immer ein-facher als ein indirekter, aber gleichviel, ich werdebeweisen.”

„Und ich werde dir aufmerksam zuhören,” warfHans Joachim ein, „aber vielleicht können wir unsdie ganze Beweisführung ersparen. Das aber hängtganz davon ab, zu welchem Zweck und in welcherVeranlassung du mir die Frage über deinen Charaktervorgelegt hast. Um wen oder was handelt es sichdenn eigentlich?”

„Natürlich um Fräulein Christiane,” lautete dieAntwort.

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Hans Joachim erriet sofort den Zusammenhang.„Aha,” dachte er bei sich, „die tote Tante,” laut abersage er nur: „Aha.”

„Sage lieber Alpha-Alpha, wie die kleinenGriechenkinder es tun, wenn sie ein menschlichesBedürfnis haben, vorausgesetzt, daß Wippchen Rechthat. Sage ruhig Alpha-Alpha, denn die Sache mitder toten Tante ist doch sehr be ― ― ― na, sagenwir mal belämmert. Wie kann die Frau es vor Gottund schließlich auch vor mir verantworten, ein solchesTestament gemacht zu haben?”

Hans Joachim war davon überzeugt, daß es ihmein leichtes sei, den Freund über diesen Punkt zuberuhigen. Er glaubte nach wie vor nicht daran,daß Christiane tatsächlich enterbt würde, falls sieheiraten sollte, aber noch fehlte es ihm an Beweisen.Er durfte dem Freund keine Hoffnungen machen,die sich vielleicht doch nicht erfüllen würden und someinte er denn jetzt: „Ich weiß alles, was du mir sagenwillst, beantworte mir statt dessen lieber lediglich eineFrage: Hast du dich damals auf der Straße mitFräulein Christiane, wenn auch vorläufig nur ein-seitig verlobt, weil die Tante sehr krank war, oderweil dir das junge Mädchen, das da vor dir ging,so gut gefiel, daß du dir sagtest: Wenn die Jungfraudort vor mir wirklich eine Jungfrau ist und einemHause entstammt, in das man hineinheiraten kann,dann heirate ich sie. Warum hast du dich also mitihr verlobt?”

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„Weil sie mir so außerordentlich gefiel, weil ihrGang, ihre Haltung, ihre Kleidung, kurz ihre ganzeäußere Erscheinung mich gefangen nahmen.”

„Na schön,” meinte Hans Joachim, „dann sindwir uns alo einig, dann bist du ein Lump ― ― ―”

„Erlaube mal,” fiel Scharfenberg ihm schnellin das Wort.

„Aber laß mich doch nur ruhig ausreden,” ver-teidigte sich Hans Joachim, „ich wollte sagen, dannbist du ein Lump, wenn du heute anders denkst, alsdamals.”

„Ach so meinst du das,” rief Scharfenberg. Dassollte ganz erleichtert klingen, aber es klang trotzdemetwas gedrückt, bis er dann endlich fortfuhr: „Natür-lich hast du recht, als Ehrenmann bin ich verpflichtet,weiter so zu denken, wie ich bisher dachte, und ich weißsehr wohl, daß es erbärmlich von mir wäre, meineVerlobung aufzulösen, noch bevor Christiane etwasdavon weiß, daß sie überhaupt mit mir verlobt war.Aber trotzdem, ich denke dabei ganz gewiß nicht nuran mich.”

Hans Joachim erriet, was nun kommen würdeund so erhob er denn drohend den Finger: „Scharfen-berg, alter Freund, flunkere nicht. Du willst, daß ichdir das Zeugnis ausstelle, ein Ehrenmann zu sein,da darfst du mir jetzt nicht erzählen wollen, daß dumit Rücksicht auf Fräulein Christiane deine Ver-lobung rückgängig machen willst, damit die durchihre Verheiratung nicht alles Geld verliert.” Und

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ehe der andere noch Zeit gefunden hatte, sich vonseinem Erstaunen darüber zu erholen, daß HansJoachim ihm seine Gedanken hinter der Stirn ablesenkonnte und bevor er noch etwas hätte erwidern können,fuhr Hans Joachim fort: „Du brauchst mir das, wasich dir jetzt sage, nicht zu glauben, sondern ich sagees sogar gegen meine ausdrückliche Überzeugung.Es ist sehr ehrenhaft von dir, wenn du bei deinenEntscheidungen nicht nur an dich, sondern auch anFräulein Christiane denkst, aber das sage ich dir trotz-dem: W e n n du so denkst, w i e du denkst ― ― ―na, du weißt schon,” und dann plötzlich dem Kame-raden das Sektglas fortnehmend, das dieser geradean den Mund führen wollte, bat er ganz plötzlich undunvermittelt: „Komm, Scharfenberg, wir wollenbeten.”

Scharfenberg machte ein Gesicht, als sei HansJoachim plötzlich verrückt oder wenigstens ein Mit-glied der Heilsarmee geworden; unwillkürlich rückteer mit seinem Stuhl etwas weiter fort, dann fragteer: „Was wollen wir?”

„Beten,” wiederholte Hans Joachim anscheinendganz ernsthaft und zur näheren Erklärung setzte er hin-zu: „Als du mir zuerst von deiner Verlobung erzähl-test, flehte ich zu den Göttern, sie möchten dir die Kraftverleihen, deinem Vorsatz treu zu bleiben. Aber dasnicht allein, ich bat dich, du möchtest zu mir kommen,wenn du trotzdem wieder einmal schwankend werdensolltest. Bei einer gemeinsamen Flasche Sekt und im

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gemeinsamen Gebet würde ich dann versuchen, dichauf den rechten Weg zurückzuführen. Die gemeinsameFlasche Sekt scheint nicht zu helfen, nun also kommtdas Gebet.”

Aber Scharfenberg widersprach: „Laß lieber nocheine Flasche Sekt kommen, das ist viel vernünftiger,aber lediglich, weil das Zeug so gut schmeckt, nichtweil du nötig hättest, mich auf den Pfad der Tugendzurückzuführen. Ich will dir eins offen gestehen.Damals im Kasino, als die Totenfeier war, als dieKameraden Christianens Mitgift unter sich verteilten,wie die Jäger das Fell des Bären, den sie noch garnicht erlegt haben ― ― ― das hat mich angeekelt,trotzdem es ja nur ein Scherz war. Ich habe mirimmer wieder gesagt: Die Christiane ist doch weiß Gottein zu hübsches Mädel, als daß sie nur ihres Geldeswegen geheiratet werden sollte und ich habe mir damalsgeschworen, ich würde die Christiane auch dann hei-raten, wenn sie keine reiche Tante hätte. Und wennich trotzdem ― ― ― ― ― ―”

„Halt den Mund,” rief Hans Joachim dem Freundezu, „halt ihn ganz schnell und ganz fest, wenn du denguten Eindruck dessen, was du eben sagtest, nicht wiederverderben willst. Rede überhaupt den ganzen Abendkeinen Ton mehr. Trinken kannst du so viel wie du willst,du kannst den Sekt gkäser- und flaschenweise in dichhineingießen, aber reden darfst du höchstens nur ineinzelnen Buchstaben und du darfst auch nichts er-widern, wenn ich dir jetzt deine Frage, die du bei

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deinem Kommen an mich richtetest, dahin beant-worte, daß ich dir sage: Du bist ein sehr anständigerMensch. Darauf wollen wir einmal trinken, darauf,daß du es bist und daß du es auch bleibst.”

Und damit der Kamerad es auch blieb, sang HansJoachim im weiteren Verlauf des Abends ChristianensLoblied in allen Tonarten.

Nicht, wie am ersten Abend, nur damit Scharfen-berg sich in sie verlieben sollte, sondern damit er insie verliebt blieb, damit Christiane endlich aufhöre,ihn selbst zu lieben.

Zu derselben Zeit, da die beiden Freunde beider Sektflasche saßen, ließ sich Prinzessin Rena vonihrer Kammerfrau über den Besuch in Hans JoachimsWohnung Bericht erstatten. So ausführlichen Be-richt, daß Frau von Alten allerlei hinzudichten mußte,weil die Prinzessin immer noch mehr wissen wollte.

Für alles zeigte sie Interesse, wo er wohne, wiedie Wohnung eingerichtet sei, wieviel Zimmer erhabe, ob die groß oder klein wären, womit er sichgerade beschäftigt habe, als Frau von Alten zu ihmkam, ob er wohl einen anderen Besuch erwartet habe,ob er nett und freundlich mit ihr gewesen sei, waser nur gesagt habe, als er sie erkannte, ― ― tausendund abertausend Fragen mußte die Kammerfraubeantworten, aber zwischendurch fragte die Prin-zessin immer wieder aufs neue anscheinend ganz er-staunt: „Und Sie glauben also wirklich, meine liebeFrau von Alten, daß Hans Joachim sich etwas über

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meinen Brief gefreut hat, auch darüber, daß er ihnbehalten durfte? Das ist mir eigentlich ganz unver-ständlich, denn es handelt sich fast um ein ganz un-persönliches Schreiben, denn nicht von ihm ist in demBrief die Rede, sondern nur von mir. Und trotzdemhat er sich gefreut?”

Und immer wieder wollte die Prinzessin wissen,wie sich seine Freude geäußert habe. „Denn nichtwahr, meine liebe Frau von Alten, das ist doch dasschönste und das höchste Vorrecht unserer Stellung,anderen, die unter uns stehen, eine Freude machenzu können?”

Prinzessin Rena tat, als glaube sie selbst daran,daß sie lediglich als Prinzessin den Leutnant beglückthatte, aber der leise Schalk sprach aus ihren Augen,wenn sie den auch nach Kräften zurückhielt. Sie be-mühte sich fernerhin, anscheinend ganz harmlos undgleichgültig zu fragen, denn selbst Frau von Altenbrauchte doch nichts davon zu wissen, welches Inter-esse sie an Hans Joachim nah, wie glücklich sie dar-über war, ihm durch ihren Brief eine Freude bereitetzu haben, wie froh es sie stimmte, daß ihm soviel andem Schreiben lag, daß er darum gebeten hatte, esunter allen Umständen behalten zu dürfen. Ihr kleinesHerz klopfte laut und unruhig.. War es Liebe, wassie für Hans Joachim empfand? Und wenn ja, dannwar die doppelt süß, weil sie heimlich und verbotenwar! Wenn die Oberhofmeisterin oder gar SeineHoheit, oder auch nur ihr Bruder, der Erbherzog, oder

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auch nur Fräulein Ursula ― ― ― ― nein, neinkein Mensch durfte jemals etwas davon erfahren undHans Joachim erst recht nicht, der am allerwenigsten.Wie der sie neulich angeblickt hatte, als er als Sultanzu ihr sprach. Aber hübsch hatte er da ausgesehen,seine Augen hatten geblitzt und geleuchtet, seine Figurund seine Glieder hatten sich gereckt und gespannt.Sie begriff nicht recht, weshalb und warum ― ―sie wußte nichts davon, daß die sinnliche Leidenschaftnur den rohen und ungebildeten Menschen zum Tiermacht, daß sie aber den edlen und vornehmen Menschenveredelt und verschönt.

Liebte sie Hans Joachim? Sie wußte es nicht,sie wollte es auch gar nicht wissen, denn gerade so,wie es war, war es schön.

Und so fragte sie denn plötzlich noch einmal:“ Hater sich wirklich so gefreut?”

Mochte die Prinzessin sich nach außen hin auchnoch so sehr verstellen, Frau von Alten erriet doch,wie es in ihr aussah. Auch sie selbst war doch einmaljung gewesen, auch sie hatte geflirtet, geliebt undgeküßt. Ob einer hoch oder niedrig steht, die Herzensind dieselben, die Herzen, die Gefühle und die Emp-findungen.

Und sie sah es ja, wie die Augen der Prinzessinleuchteten, wie ihre Wangen sich färbten, wie eineleise Erregung sie erschauern ließ. Die kleine Prin-zessin tat ihr leid, die war so hübsch und so jung, immerfreundlich und nett, neimals stolz, niemals gnädig

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und herablassend, immer gleichmäßig in ihrem Wesen― ― ― warum sollte sie ihr da nicht sagen, wieHans Joachim sich gefreut hatte? Die Prinzessin gabja doch nicht eher Ruhe, bis sie alles wußte, ― ― ―allerdings, daß Hans Joachim sie küßte, nein, dasdurfte sie doch nicht eingestehen, da genierte sie sichdenn doch zu sehr.

Und so sagte sie jetzt: „Wenn Ew. Hoheitdenn wissen wollen, ja, der Herr Leutnant war vorFreude ganz außer sich, er machte ein so glücklichesGesicht, wie ich es noch nie zuvor an einem Menschensah. Er wußte gar nicht, was er alles anstellen sollte.Er hat mich umfaßt und mich im Kreise herumgedrehtund wenn es nicht gerade draußen zur richtigen Zeitgeklingelt hätte, und wenn nicht ein Kamerad zumBesuch gekommen wäre, ich glaube wahrhaftig, derHerr Leutnant hätte mir in seiner glückseligen Stim-mung einen Kuß gegeben.”

Einen Kuß! Für eine Sekunde schloß die Prinzessindie Augen, sie schauerte leise zusammen, ein süßes,wohliges Gefühl drang durch ihre Glieder, dann abersah sie ihre Kammerfrau lachend und übermütig an,um gleich darauf zu fragen: „Und hätten Sie sichdenn von ihm küssen lassen?”

„Mir wäre wohl nichts anderes übrig geblieben,”gab Frau von Alten zur Antwort, „der Herr Leutnanthielt mich so fest in seinen Armen, daß selbst ein Stär-kerer als ich ihm nicht hätte entschlüpfen können.Nicht nur die Verzweiflung verleiht Riesenkräfte,

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sondern auch das Glück. Und ich glaube, selbst einMann hätte sich in dem Augenblick nicht von ihm be-freit. Nur gut, daß gerade Besuch kam, sonst hätteder Herr Leutnant mich alte Frau wirklich geküßt,nur, weil er sonst niemand zum Küssen da hatte.”

Prinzessin Rena lachte fröhlich auf, ein helles,glückliches Lachen, dann aber schien ihre Neugierdeüber den Besuch ihrer Kammerfrau bei Hans Joachimbefriedigt zu sein, wenigstens fragte sie nicht weiterund sie kam auf den Besuch auch gar nicht mehr zurück,als sie sich wenig später von Frau von Alten aus-kleiden ließ, um sich schlafen zu legen.

Aber sie lag noch lang wach, als sie endlich inihrem großen Schlafgemach allein war. Mit offnenAugen lag sie da und träumte. Und ganz plötzlichwußte sie es: Hans Joachim hatte ihre liebe Frau vonAlten wirklich geküßt, das hatte die nur nicht einge-stehen wollen, denn wenn Hans Joachim sie so festin seinen Armen hielt, dann hatte er die auch nichtlosgelassen, nur weil es draußen klingelte.

Wieder lachte sie fröhlich vor sich hin: Hans Joachimhatte Frau von Alten geküßt, aber nicht der, sondernihr hatte sein Kuß gegolten, ihr ganz allein.

Abermals schauderte sie in seligem Empfindenzusammen. Ihre Sinne fingen an, sich zu regen ― ―sie sah Hans Joachim ganz deutlich vor sich, sein Gesichtbeugte sich zu ihr hernieder, sie fühlte die Nähe seinesMundes, sie sah seine schönen Zähne, sie glaubte aufihren zarten Lippen das leise Kitzeln seiner Schnurr-

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barthaare zu fühlen und unwillkürlich schloß sie aber-mals die Augen. Und nun streckten und dehnten sichauch ihre jungen, schlanken Glieder. ―

Dann aber schoß ihr das Blut plötzlich siedend heiß indie Schläfen: nein, nein, das nicht ― ― nein, so wolltesie nicht an ihn denken, sie schämte sich vor ihm, sieschämte sich vor sich selbst, denn wenn sie später anden Flirt mit ihm zurückdenken wollte, da mußte siedas gern und freudig tun dürfen, ohne dabei nochnachträglich erröten zu müssen.

Nein, nein, nicht weiter denken, sie wollte schlafen.Aber der Schlaf kam trotzdem nicht, vielleicht lag dasdaran, daß es in dem Gemach nicht dunkel genug war.Die Prinzessin Rena liebte es nicht, wenn gewaltsamjeder Lichtschein ferngehalten wurde, so durften dieJalousien und die Vorhänge das Zimmer niemalsganz verdunkeln. Heute war nun auch noch Mond-schein und der Mond, der im zweiten Viertel stand,ließ sein Licht in das Gemach hinein leuchten.

Bis sie endlich doch einschlief. Aber dannwar ihr plötzlich, als sähe sie am Himmel eine Vision:Der Mond stand nicht mehr still am Himmelszelt,sondern er jagte in wilder Fahrt dahin. Zwei feurigearabische Rosse waren vorgespannt und auf dem Halb-monde selbst saß Hans Joachim in der reichen Trachteines orientalischen Sultans. Mit der linken Handlenkte er die Rosse, in der rechten schwang er diePeitsche. Mochten die Hengste auch noch so wild dahin-stürmen, ihm ging es nicht schnell genug. Mit Zu-

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rufe und Peitschenhieben feuerte er die Pferde zuimmer wilderem Laufe an und sie, sie ganz alleinwußte, wohin die wilde Fahrt ging ― ― ― ― ―sie wollte er sich holen, um fortan sie ganz allein zulieben. Sie schauderte in sich zusammen, Angst undEntsetzen packten sie, aber zugleich auch die Furcht,er könne es merken, daß er gar nicht erst nötig habe,viel Gewalt anzuwenden, um sie zu zwingen, ihnzu lieben.

Und dann sah sie ganz deutlich das Entsetzen, dasam nächsten Morgen bei Hofe herrschte, als es hieß,die Prinzessin sei verschwunden. Die Oberhof-meisterin fiel von einer Ohnmacht in die andere, SeineHoheit, der Herzog, ordnete die strengste Untersuchungan, die Wachen und Posten wurden verdoppelt, alswenn sie nicht schon entführt wäre. Polizisten undDetektive waren beauftragt, die Verlorene wiederzu-finden, die Zeitungen brachten lange Berichte, derTelegraph spielte nach allen Himmelsrichtungen ― ―und unterdessen saß sie in dem märchenhaft schönenPalais ihres Sultans. Der hatte sein Versprechenwahr gemacht und alle zweitausend Frauen seinesHarems fortgeschickt und nur eine Frau herrschte dortnoch, das sei sie. Sie saß auf einem Throne, der ganzaus Edelsteinen gearbeitet war und über ihrem Hauptewölbte sich der Baldachin. In einer Nische verborgensaß die Musik und spielte ihren Lieblingswalzer. Leisebewegten sich ihre Füße, die in zeirlichen goldenenPantoffeln steckten und zu ihren Füßen saß der Sultan,

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Hans Joachim, und schwur ihr immer wieder aufsneue: „Ich liebe nur dich, dich ganz allein und duwirst mich dereinst auch lieben, ja, du mußt es sogar,denn keine Frau widersteht dem Liebeswerben einesMannes, wenn sie sieht, wie lieb der Mann die Frau hat.”

Und er küßte ihre Füße, den Saum ihres Gewandes,und sie strich ihm liebkosend mit der Hand über dasdichte, weiche Haar, bis sie dann bat: „Komm, wirwollen tanzen.”

Und sie tanzten, sie beide ganz allein in dem großen,herrlichen Saale, dessen Wände mit Edelsteinen aus-gelegt waren, dessen Decke sich wie ein Gewölbe er-hob, an dem tausend und abertausend Sterne blitztenund funkelten. Und je länger die Geigen erklangen,desto leiser und verführerischer wurden sie, bis siedann plötzlich verstummten, bis gleichzeitig wie miteinem Schlage alle Lichter erloschen, daß rings herumdie tiefste Dunkelheit sie umgab.

Da überfiel sie die Angst. Zu plötzlich war derÜbergang aus dem hellsten Licht in diese tiefste Finster-nis erfolgt. Die Angst schnürte ihr beinahe die Kehlezu, aber trotzdem entrang sich ihr ein gellender lauterAufschrei, von dem sie erwachte.

„Um Gottes willen, Hoheit, was ist geschehen?”Mit dem Licht in der Hand, nur mit einem langen,

weißen Nachthemd bekleidet, stand die Kammerfrau,die neben dem Zimmer der Prinzessin schlief, vor demBett der Prinzessin und noch einmal fragte sie: „UmGottes willen, Hoheit, was ist geschehen?”

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Aber die Prinzessin gab lange keine Antwort, siemußte sich erst wieder darauf besinnen, wo sie war,dann meinte sie endlich: „Sie brauchen sich nicht zubeunruhigen, meine liebe Frau von Alten, ich habenur geträumt. Ich hatte einen Traum, der so schön,so märchenhaft schön anfing, der mich dann aber dochzum Schluß in Angst versetzte.”

„Gott sei Dank, wenn es weiter nichts ist,” meintedie Kammerfrau beruhigt. „Mir ist der Schreckenin alle Glieder gefahren, als ich Ew. Hoheit so schreienhörte. Gott sei Dank, daß ich Ew. Hoheit noch lebendund gesund vorfinde. Aber die Träume können jaauch schlimm genug sein. Sicher haben Ew. Hoheitheute Abend bei dem Souper etwas zu viel vonirgend einer schweren Speise gegessen, denn daswissen Ew. Hoheit doch, die Träume kommen ausdem Magen?”

„Ja, ja, ich weiß,” stimmte die Prinzessin ihr bei,aber trotzdem war ihr in diesem Augenblick, als wennes auch Träume gäbe, die aus der Phantasie, odersogar ein ganz klein wenig aus dem Herzen kämen ― ―

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VII.

Die in der Residenz erscheinende Tageszeitunghatte vor dem Hof Kotau gemacht und de- und weh-mütig in fetter Schrift an auffallender Stelle erklärt,sie bedaure es auf das lebhafteste, der VermutungAusdruck gegeben zu haben, der bevorstehende BesuchSeiner Durchlaucht des Fürsten hinge irgendwie miteiner beabsichtigten Verlobung Ihrer Hoheit, derPrinzessin Rena, zusammen. Außerdem hatte dasBlatt versichert, es habe diese von ihm gebrachte Notiznicht von dritter Seite zugesandt erhalten, am aller-wenigsten aus Hofkreisen oder vorn einem Beamtendes Hofes. Das Blatt gab zu, diese Neuigkeit glatterfunden zu haben und bat alle, die sich durch dieseNotiz getroffen oder verletzt gefühlt haben sollten,um Verzeihung.

In Wahrheit aber war die Notiz gar nicht vonder Zeitung erfunden worden, sondern sie hatte dieaus Berlin zugesandt erhalten und zwar von demKammerdiener Seiner Hoheit, des Erbherzogs, dervon dem Blatt dafür bezahlt wurde, daß er die Zeitung

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über das Leben und Treiben Seiner Hoheit auf demLaufenden erhielt. Natürlich wurde das meiste geheimgehalten und lediglich dem Geheimarchiv einverleibt, aber diesesmal hatte der Kammerdiener ausdrücklichhinzugeschrieben, seine Mitteilung könne ruhig ver-öffentlicht werden, er glaube zu wissen, daß das denWünschen des Erbherzogs entspräche, nur dürfe natür-lich unter keinen Umständen jemals die Quelle ver-raten werden.

Und so hatte sich denn die hochlöbliche Redaktionauch zehnmal lieber von dem im Auftrage SeinerHoheit erschienenen Flügeladjutanten in allen Ton-arten den Schweinehund blasen lassen, als daß sieverriet, wem sie ihre Weisheit verdankte, denn mitdem Erbherzog wollte und durfte es das Blatt unterkeinen Umständen verderben, schon, weil man es aufder Redaktion nicht für ganz unmöglich hielt, daß esgar nicht mehr so lange dauern würde, bis der Erb-herzog an die Regierung käme. Gewiß, SeineHoheit, der regierende Herzog, erfreute sich der denkbarbesten Gesundheit, aber seine neueste Geliebte, dieäußerst talentlose, aber sündhaft schöne Schauspielerinwar mehr als ehrgeizig. Und der Herzen war Wachsin ihren Händen. Was dann, wenn sie die Machtausnutzte, die sie besaß, wenn sie es darauf anlegte,dem Herzog, wenn auch natürlich nur zur linkenHand angetraut zu werden? Das würde in der kleinenResidenz eine gewaltige Sensation erregen, und obSeine Hoheit dann noch die Regierung beibehielt

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oder zu Gunsten seines Sohnes abdankte, blieb abzu-warten. Auf jeden Fall wußte man auf der Redaktionmanches, was selbst der Hofgesellschaft unbekannt warund man hütete sich natürlich ängstlich, das, was manwußte, vorzeitig zu verraten.

So hatte die Zeitung denn nicht aus Überzeugung,sondern lediglich aus Klugheit Kotau gemacht unddamit ihren Zweck erreicht. Der Hof war versöhntund hatte sich vollständig wieder beruhigt und lebtevor allen Dingen in dem Glauben, mit dem Dementisei das Gerücht für immer aus der Welt geschafftund kein Mensch denke mehr daran.

Aber die Frau Oberhofmeisterin beschäftigte sichtrotzdem mit dem Heiratsprojekt mehr als je zuvorund das hatte seinen guten Grund. Seine Hoheit,der Erbherzog, bombardierte Ihre Exzellenz geradezumit Briefen und in jedem schrieb er dasselbe: „Meineliebe Exzellenz, ich rechne mit absoluter Sicherheitdarauf, daß meine Schwester, die Prinzessin Rena,sich meinen Wünschen geneigt zeigt, wenn ich dem-nächst mit Seiner Durchlaucht, dem Fürsten, zumBesuch komme. Sie wissen, warum ich es sehnlichstwünsche, daß diese Partie zustande kommt. Es istfür mich eine absolute Notwendigkeit, daß die Prin-zessin den Fürsten heiratet und diese Notwendigkeitwird für mich immer drückender und zwingender vonTag zu Tag.“

„Warum spielen Ew. Hoheit denn aber auch jeden

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Tag aufs neue?” hatte sie ihn in einem Antwort-schreiben gefragt.

Aber so zart und diskret sie auch nach ihrer An-sicht geschrieben hatte, es mußte doch nicht zart unddiskret genug gewesen sein, denn Seine Hoheit, derErbherzog, hatte sich in einem Ton, den selbst sienicht einmal gegen die ihr Unterstellten anzuschlagenpflegte, jede derartige Einmischung in seine Privat-angelegenheiten energisch verbeten. Dann aber, nach-dem er seinem Herzen Luft gemacht hatte, streichelteer sie in dem weiteren Verlauf des Schreibens wiedermit Sammetpfoten, gab ihr gute Worte und legtevertrauensvoll sein Schicksal in ihre Hände.

Das schmeichelte ihr denn doch wieder, machte sieerneut seinen Wünschen gefügig und geschmeidig, zumalja für sie selbst ein glänzender finanzieller Lohn dafürabfallen sollte. Aber wenn sie dann in Gegenwartder Prinzessin das Gespräch auf den Fürsten brachte,fand sie immer weniger Gegenliebe. Das konntenicht allein seinen Grund darin haben, daß die Prin-zessin anscheinend darüber unterrichtet war, weshalbder Erbherzog sie mit seinem besten Freunde ver-mählen wollte. Es mußte da noch etwas anderesmitsprechen und das hieß nach ihrer ÜberzeugungHans Joachim von Köttendorf. Allerdings, inwiefernder an dem Widerstand der Prinzessin gegen die Heiratbeteiligt war, das vermochte Ihre Exzellenz nicht zuergründen, sie vermochte dafür nicht die leiseste Er-klärung zu finden. Gewiß, Hans Joachim war bei

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der Prinzessin persona gratissima, aber mehr dochnicht und mehr konnte er doch auch nie werden, denndaß die Prinzessin für den jungen Offizier wirklicheine ernstere Zuneigung gefaßt haben sollte, das wardoch ganz ausgeschlossen.

Aber trotzdem, je eher der Erbherzog mit seinemFreunde erschien, desto besser war es. Aber anstattsobald wie nur irgend möglich zu erscheinen, schobder Erbherzog seinen Besuch immer wieder aufs neuehinaus. Woran lag das? Hatte er vielleicht dochAngst, seinem hohen Vater unter die Augen zu treten,wollte er sich durch das Spiel wenigstens erst teilweisewieder rangieren, ehe er hier eintraf?

Aber wie dem auch immer sein mochte, er mußtekommen, aber er kam nicht und das ließ allmählichmehr noch als das offizielle Dementi in der Zeitungalle Gerüchte über eine bevorstehende Verlobung amHofe verstummen.

Ihre Exzellenz rang die Hände: „Wenn der Erb-herzog doch erst käme.”

Und die Soldaten und die Herren Soldaten rangenerst recht die Hände: „Wenn der Erbherzog doch nurerst da wäre.”

Aber kommen würde er ja, heute, oder morgen,oder in einer Woche. Das „Wann” wußte niemand,aber man mußte jederzeit auf den Empfang vorbe-reitet sein, denn das hatte der Herr Oberst erst kürzlicheinmal wieder seinen Offizieren erklärt, daß auf dem

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Festprogramm auch eine Besichtigung des Regimentesverzeichnet sei.

So wurde denn auf dem Kasernenhof nach allenRegeln der Kunst gebimst und gebumsen und trotzdemgelang es niemals, die Zufriedenheit des Herrn Oberstzu finden: So gut der Parademarsch auch klappte,es mußte immer noch besser sein.

Selbst der Herr Oberst, der sich sonst durch nichtsaus seiner Ruhe bringen ließ, war durch den bevor-stehenden Besuch, der so lange auf sich warten ließ,nervös geworden. Und das begriffen die Untergebenennicht recht, denn sie kannten den Kommandeur alseinen Mann, der stets allen Situationen gewachsen war.

Und in Wahrheit hatte die Nervosität des HerrnOberst auch einen ganz anderen Grund. Das Testa-ment der verstorbenen Tante ließ ihn nicht zur Ruhekommen, er wurde seines Glückes, nun plötzlich Millio-när geworden zu sein, nicht froh, denn er mußte dochtäglich mit der Möglichkeit rechnen, daß dieses Glücksehr bald wieder ein Ende nehmen würde.

Was dann, wenn Christiane sich verheiratete,wenn sie trotz der ihr für diesen Fall angedrohten Ent-erbung einen Mann fand? Es schien immer mehrund mehr, als wenn sie den finden sollte und derHerr Oberst wußte nicht, ob er den Courmacher seinerTochter, den Leutnant von Scharfenberg, wegen dervornehmen Gesinnung, die er dadurch bewies, daß erunablässig um Christiane warb, loben, oder ob er

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ihm deswegen kaltblütig lächelnd das Genick um-drehen sollte.

In der Brust des Herrn Oberst stritten sich zweiSeelen. Er wünschte seiner Tochter von ganzemHerzen einen Mann, der sie wirklich um ihrer selbstwillen nahm, aber auf der anderen Seite hatte ersich schon zu sehr daran gewöhnt, mehr Geld als sonstzur Verfügung zu haben. Er glaubte es sicher zuwissen, daß auch er alles wieder verlor, wenn Christianeheiratete und der Gedanke, dann wieder nur auf seinGehalt angewiesen zu sein, hatte für ihn nichts ver-lockendes.

Mehr als einmal hatte er es schon bereut, seinenDamen nachgegeben und die offiziellen Trauerge-wänder bereits nach acht Tagen abgelegt zu haben.Hätte er doch nur fest darauf bestanden, das Trauer-jahr streng innezuhalten, dann würde seine Christianenicht so oft mit Scharfenberg zusammengetroffen sein,dann würde der keine Gelegenheit gefunden haben,sich ihr so zu nähern, denn anstatt einsam und zurück-gezogen zu leben, wie es sich doch auch eigentlichnach dem Tode der Tante gehört hätte, kam manjetzt gar nicht aus den Vergnügungen heraus. Undimmer war Scharfenberg um seine Tochter herum,wich nicht von ihrer Seite, als wenn es für ihn über-haupt kein anderes jungen Mädchen auf der Weltmehr gäbe.

Der Herr Oberst, der seiner Gewohnheit gemäß,wenn ihn etwas beschäftigte, starke Dampfwolken von

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sich stoßend, die Hände auf den Rücken gelegt, in seinemZimmer auf und ab ging, blieb plötzlich stehen. Einrettender Gedanke hatte ihn durchzuckt. Es gab einsehr einfaches Mittel, um Scharfenberg, wenigstensvorläufig, von seiner Christiane zu trennen. Er würde ihnnach Berlin abkommandieren lassen. Er sollte ohnehineinen Leutnant seines Regimentes namhaft machen,der sich für die Militärturnanstalt eignete. Daß Schar-fenberg sich für dieses Kommando allerdings besonderseignete, konnte der Herr Oberst selbst sich gegenübernicht guten Gewissens behaupten, aber gleichviel,dann ging der wenigstens erst mal auf sechs Monatefort und in Berlin würde er schon wieder auf andereGedanken kommen. Da gab es so viele hübsche Mädchen,daß er darüber seine Christiane schon vergessen würde,obgleich er wirklich sehr ernsthaft Feuer gefangen zuhaben schien.

Der Versuch konnte auf alle Fälle gemacht werden.Auch für Christiane war es gut, wenn Scharfenbergvorübergehend verschwand, dann hatte sie Zeit, umsich in aller Ruhe darüber klar zu werden, ob sie denwirklich so liebe, daß sie bereit war, seinetwegen aufdas Erbteil zu verzichten, dann hörte wenigstens vor-übergehend die Courschneiderei auf, und den HerrnOberst überfiel beinahe der Ingrimm, als er darandachte, daß Scharfenberg heute Abend seiner Christianewieder den Hof machen würde. Die Einladungennahmen weiß Gott kein Ende und heute hatte derKammerherr von Großbach nebst Gemahlin zu einem

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seiner Diners mit anschließendem Ball geladen. DerHerr Oberst hätte ebenso wie seine Damen vieldarum gegeben, wenn er hätte zu Hause bleibenkönnen. Gewiß, die Diners bei dem Kammerherrnwaren tadellos, es gab so viele Gänge wie nur irgendmöglich, die wertvollsten Delikatessen und die teuerstenWeine wurden aufgetragen, denn die Wirte liebtenes nur zu sehr, bei jeder Gelegenheit mit ihrem großenReichtum zu protzen und man wunderte sich eigentlichimmer wieder aufs neue darüber, daß man nicht aufseinem Teller ein Paket mit Tausendmarkscheinen alskleines Präsent vorfand.

Der Kammerherr und seine Frau lebten zur Freudeder Leutnants in kinderloser Ehe. Da kam man we-nigstens gar nicht erst in Versuchung, die nicht vor-handene Tochter vielleicht doch ihres Geldes wegenzu heiraten und d i e Schwiegereltern mit in den Kaufnehmen zu müssen, denn der Kammerherr von Groß-bach erfreute sich ebenso wie seine Gemahlin, die viel-leicht noch adelsstolzer war als ihr Mann, nicht nurin der Hofgesellschaft, sondern in der ganzen Stadt dergrößten Unbeliebtheit. Ihr Hochmut kannte keineGrenzen und sie hatten eine mehr als taktlose Art, esnamentlich den Ärmeren gegenüber fühlen zu lassen,daß sie über viele Millionen verfügten.

Es waren ekelhafte Leute und Seine Hoheit hattesehr lange gezögert, ehe er dem Mann den Kammer-herrentitel verlieh. Er hatte es erst getan, nachdem derihm zum zweitenmale für eine wohltätige Stiftung eine

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sehr bedeutende Summe übergab und nachdem der esbei der Gelegenheit deutlich zu verstehen gegeben hatte,er würde wieder nach Berlin übersiedeln, wenn er auchjetzt nicht Kammerherr würde. Da hatte denn SeineHoheit in den sauren Apfel gebissen, weil er nichtwollte, daß die kleine Residenz ihren besten Steuer-zahler verlieren sollte.

So war er es denn geworden und wenn er durchdie Straßen der Stadt ging, drehte und blähte er sichauf, als wenn es im ganzen deutschen Vaterlandekeinen Zweiten gäbe, der ihm gliche.

Der Kammerherr und seine Gemahlin pflegten imLaufe des Winters die Mitglieder der Hofgesellschaftzu wiederholten Malen in ihrer großen, mit protzen-haftem Geschmack eingerichteten Villa zu empfangen,aber wer immer mit einer Einladung beehrt wurde,dachte gleich als erstes darüber nach, unter welchemVorwand er absagen könne.

Auch der Herr Oberst und seine Damen hatten sichdiesesmal wieder den Kopf zerbrochen, ob sie nichtaus irgend einem Grunde zu Hause bleiben könnten.Selbst Christiane, die leidenschaftlich gern tanzte, ver-spürte nicht die leiseste Neigung, das Fest heute mit-zumachen. Das allerdings noch aus einem anderenGrunde, den sie ihren Eltern nicht eingestand, densie sich aber auch jetzt wieder nannte, als sie nun inihrem Schlafzimmer mit Hilfe der neuengagiertenZofe vor dem großen Spiegel Toilette machte.

Christiane hatte keine Lust, sich auch heute Abend

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wieder von Scharfenberg zu Tisch führen und sichabermals von ihm den Hof machen zu lassen. Derwar jetzt ihr ewiger Tischherr. Hatte er darum ge-beten, ihn stets neben sie zu setzen, hatte er sie denKameraden ein für allemal stillschweigend als Tisch-dame abgenommen, da sie für die anderen doch nichtmehr in Frage kam ― ― ― hatten auch andere bereitsbemerkt, wie er unermüdlich um ihre Huld warb undglaubte man, das dadurch unterstützen zu sollen, daßman sie beide stets nebeneinander setzte? Mehr alseinmal war sie in Versuchung gewesen, wenn sie eine Einladung erhielt, darum zu bitten: Laßt mich ein-mal wieder von einem anderen Herrn geführt werden,aber Scharfenberg konnte das erfahren und sie brachtees doch nicht über das Herz, ihn zu betrüben, dennseine stille Art, ihr zu huldigen, hatte etwas Rührendes,das sie doch für ihn einnahm. Und sie hätte kein jungesMädchen sein müssen, wenn diese unermüdlichen Be-mühungen, ihre Liebe zu gewinnen, nicht doch einengewissen Widerhall in ihr gefunden hätten. Umso-mehr, als sie sich schon längst hatte eingestehen müssen,daß Scharfenberg das Loblied, das sie auf ihn sang,um Hans Joachim eifersüchtig zu machen, sehr wohlverdient hatte und es sich täglich weiter verdiente.

Unter anderen Umständen würde sie gar nicht solange gezögert haben, seine Zuneigung zu erwidern,aber so wie die Sachen lagen, prüfte sie sich immerwieder aufs neue, ob das, was sie für Scharfenbergan Freundschaft und Zuneigung empfand, sich jemals

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in eine Liebe verwandeln könne, die so stark wäre,daß sie gern und freudig auf Geld und Reichtum ver-zichtete.

Hoffentlich würde sie wenigstens heute Abend ein-mal vor ihm Ruhe haben, hoffentlich widmete er sichheute endlich wieder einmal den anderen jungenDamen, aber als sie dann zur festgesetzten Stundemit ihren Eltern die Villa der Gastgeber erreicht hatteund bald darauf den Gesellschaftsraum betrat, in demschon zahlreiche Gäste versammelt waren, da freutesie sich doch, als sie gleich von Anfang an ScharfenbergsBlicke auf sich gerichtet fühlte, als sie in seinen Augendie Freude über ihr Kommen aufblitzen sah, und siedrückte ihm dann doch voller Herzlichkeit die Hand, als ernun nicht stürmisch und ungeduldig, sondern wie stetsnach außen hin ruhig und völlig gelassen auf sie zutrat,um sie zu begrüßen. Aber daß er innerlich doch erregtsein mußte, das hörte sie aus dem Klang seiner Stimmeheraus, als er ihr freudestrahlend mitteilt, er habeheute abermals die Ehre, sie zu Tisch führen zu dürfen,und als er ganz glücklich hinzusetzte: „Sie wissen,gnädiges Fräulein, ich bin absolut kein materiellerMensch, aber trotzdem freue ich mich, daß es heuteein Schlemmerdiner gibt, da werde ich das Glückhaben, lange neben Ihnen sitzen zu dürfen.”

Und seine guten Augen ruhten mit so viel Liebeauf ihr, daß sie nun doch wieder mit ihrem Geschickversöhnt war, ja, daß sie ihm sogar erwiderte: „Auchich freue mich, mich mit Ihnen unterhalten zu können.”

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„Wirklich? Da mögen die Götter es geben, daßwir gleich zu Tisch gehen und daß wir vor morgenfrüh nicht aufstehen.”

Aber Scharfenbergs Wunsch ging wenigstens vor-läufig noch nicht in Erfüllung, es galt noch lange zuwarten, denn die Hauptperson des Festes, PrinzessinRena, nebst ihrer Oberhofmeisterin und ihrer Hofdameließen auf sich warten, während sie sonst pünktlich aufdie Minute zu erscheinen pflegten.

Bis die Prinzessin dann doch endlich mit ihrenbeiden Begleiterinnen erschien, aber nicht so heiterund so liebenswürdig wie sonst. Auch heute sah siebezaubernd aus, aber ihr Gesicht zeigte einen kalten,fremden Zug, der namentlich Hans Joachim, der sichauch unter den Geladenen befand, sofort auffiel undder ihn geradezu mit Schrecken erfüllte. Was warvorgefallen? Lag das veränderte Wesen der Prin-zessin wirklich nur daran, daß sie sich ärgerte, zu spätzu kommen, weil auf der Fahrt hierher, wie die Prin-zessin jetzt zu ihrer Entschuldigung den Wirten er-klärte, die Pferde durch die Schuld des Kutschers ge-stürzt waren und daß erst ein neuer Wagen aus demMarstall hatte geholt werden müssen, weil bei demSturz der Pferde die Wagendeichsel brach? Dasgab sie auch als Grund dafür an, daß sie etwas ver-stört aussähe, denn das eine der gestürzten Pferdehabe wild um sich geschlagen und sie dadurch erschreckt.

Aber wenn die Gesellschaft als solche es auch nichtbezweifelte, daß wirklich nichts anderes vorläge, Hans

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Joachim ließ sich dennoch nicht täuschen. Nur einwahres Glück, daß er heute Fräulein Ursula zu Tischführte, da würde er schon bald die Wahrheit erfahren,denn nicht nur die Prinzessin, sondern auch die Ober-hofmeisterin und die Hofdame schienen ihm heute inihrem Wesen und ihrem Auftreten etwas anders zusein als sonst, wenn sie sich auch natürlich nach außenhin bemühten, nichts von dem zu verraten, was sieim stillen beschäftigte.

Da bemerkte er, wie die Prinzessin ihn mit ihrenAugen suchte, wie sie ihn diskret zu sich heran winkte undso trat Hans Joachim denn in einer Art und Weise,die allen anderen ganz zufällig erscheinen mußte, aufsie zu, sodaß er plötzlich neben der Prinzessin stand.Sie reichte ihm die Hand zum Kuß, um sich gleich daraufim Kreise umzusehen, um damit anzudeuten, daß sieHans Joachim etwas zu sagen habe, was nicht für dieAllgemeinheit bestimmt sei, dann fragte sie ohne jeg-lichen Übergang ganz plötzlich und unvermittelt: „Siehaben doch auch heute den Brief der verstorbenenFrau Herzogin bei sich?” und als er das durch einestumme Verbeugung bejahte, setzte sie hinzu: „BereitenSie sich darauf vor, daß Sie den Brief noch heuteIhrer Exzellenz in meiner Gegenwart zeigen undeventuell vorlesen können, ich habe die Empfindung,als wenn es heute zu einem Eklat kommt.”

Die Prinzessin mochte in Hans Joachims Gesichtden Ausdruck des höchsten Entsetzens gelesen haben,sie mochte auch wohl befürchten, daß er seinen Gedanken

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zu laut und zu unvorsichtig Ausdruck geben möge,denn sie ließ ihm keine Zeit, etwas zu erwidern, sondernflüsterte ihm nur schnell zu: „Bitte kein Wort.” Unddann so fröhlich auflachend, daß alle Herumstehendenes hören mußten, meinte sie übermütig: „Ich findeIhre Idee für den Hofball einfach köstlich. SeineHoheit wird entzückt sein, wenn ich ihm morgen davonerzähle. Ich bin Ihnen aufrichtig dankbar, daß Siesich so viel Mühe gaben und es mit Ihrem Amt alsVortänzer so gewissenhaft nehmen. Zur Belohnungsollen Sie heute Abend auch den ersten Walzer mitmir tanzen dürfen,” und sich an den Hausherrn wendend,der ungeduldig ein paar Schritte entfernt stand, da esdie höchste Zeit war, zu Tisch zu gehen, wenn das Dinernicht verderben solle, bat sie: „Nicht wahr, Herr Kammer-herr, Sie sind so freundlich, auf den Ihnen zustehendenTischwalzer mit mir zu verzichten und den mit meinerHofdame zu tanzen?”

Das war so ziemlich die ärgste Kränkung, die diePrinzessin dem stolzen und aufgeblasenen Kammer-herrn zufügen konnte, aber sie tat es in so liebens-würdiger Weise, mit einem so bezaubernden Lächelnauf den Lippen, als hätte sie dem Kammerherrn soebeneinen Beweis ihrer höchsten Gunst und Gnade ge-geben. Der Kammerherr fühlte sich denn auch wirklichin seiner Eitelkeit auf das tödlichste verletzt, aber dasdurfte er nicht zeigen, sondern auch er mußte so tun,als wenn die Prinzessin ihn soeben vor allen anderenGästen ausgezeichnet hätte und so sagte er denn:

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„Ich schätze mich überglücklich, Ew. Hoheit gefälligund dienlich sein zu können. Wenn Ew. Hoheit jetztaber gnädigst geruhen wollten, meinen Arm anzu-nehmen, damit ich Ew. Hoheit in den Speisesaalführen darf ― ―”

Die Prinzessin legte ihre Hand auf den Arm desKammerherrn und in einem langen Zuge gingen diePaare in den großen Eßsaal, in dem die lange Tafelin keineswegs geschmackvoller Weise überreich mitaltem schweren Silber und mit einem Zuviel anBlumen geschmückt war. Und vor jedem Gedeck standenschon jetzt zahllose Gläser, anstatt daß die verschiedenenWeine später in Gläsern herumgereicht worden wären,sodaß einem jeden freigestanden hätte, sich davon zunehmen oder nicht.

Wie es alle erwartet hatten, war das Diner in An-wesenheit der Prinzessin heute besonders protzenhaft.Mit Austern fing es natürlich an, aber nicht, daß einjeder wie sonst üblich auf seinem Platz einen Tellermit zehn oder zwölf Austern vorgefunden hätte, aufgroßen, schweren, silbernen Tabletts wurden die aufEis liegenden Austern immer und immer wieder herum-gereicht, als solle man sich an den Austern allein sattessen. Und zu den Austern wurde in geschliffenenenglischen Kristallschalen Kaviar in unendlicher Mengeherumgereicht, während der Hausherr in seiner lauten,etwas näselnden Art seine Gäste im allgemeinen unddie Prinzessin im besonderen immer wieder auf-forderte, möglichst viel von dem Kaviar zu nehmen:

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„Ew. Hoheit kann ich den auf das allerwärmste emp-fehlen, ich habe ihn mir direkt aus Astrachan kommenlassen. Es ist das beste und teuerste, was es gibt, esist genau derselbe Kaviar, der für den russischen Hofreseviert ist und so schön ja auch eine Auster an undfür sich schmeckt, noch besser mundet sie, wenn sie ganzin Kaviar eingehüllt ist, besonders, wenn man dazueinen Schluck von diesem Château Yquem trinkt.Den habe ich einmal vor Jahren im Bremer Rats-keller aufgespürt, dessen Weine bekanntlich in der ganzenWelt berühmt sind. Wenn also Ew. Hoheit die Gütehaben wollten ― ― ―”

In dieser Tonart sprach der Hausherr weiter, bisschließlich die allgemeine Unterhaltung immer lauterund lauter wurde, daß man es glücklicherweise nichtmehr verstand, was der Kammerherr alles redete, umdie folgenden Gänge anzupreisen.

Und da nahm Hans Joachim sich endlich den Mut,Fräulein Ursula zu fragen, was die Prinzessin dennheute nur habe. Er war bis jetzt ein ziemlich einsilbigerGesellschafter gewesen, ihm lag der Schrecken noch inallen Gliedern, daß er vielleicht heute schon den Brief,den er bei sich trug, der Frau Oberhofmeisterin nichtnur zeigen, sondern den ihr vielleicht sogar vorlesensolle. Er ahnte nicht, was in Wirklichkeit in dem Briefstand, aber das war ja auch schließlich ganz gleich-gültig. Was er vorlas, mußte er sich erfinden, dasmußte der Augenblick ihm eingeben, wenn es erst soweit war, wenn es wirklich so weit kommen sollte.

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Da mußte er das Richtige finden, zu diesem Zweckaber vorher über die ganze Situation unterrichtetsein, und über die vermochte nur Fräulein Ursula ihnaufzuklären.

Und das tat sie denn auch, allerdings nicht, ohneihn von Anfang an zu beschwören, einen Auftrittzwischen der Prinzessin und der Frau Oberhofmeisterinzu verhindern, noch dazu hier, vor anderen Gästen:„Das darf nie und nimmer geschehen, Herr Leutnant,ich weiß, daß die Prinzessin da auf Ihre Hilfe rechnet,aber ich weiß nicht, in welcher Art, denn Ihre Hoheit,die sonst gar keine Geheimnisse vor mir hat, hat michnicht darüber aufgeklärt. Aber wie dem auch immerist, Sie dürfen der Prinzessin diese Hilfe nicht leisten,wenigstens heute und hier nicht. Es ist zu einer äußerstheftigen Szene zwischen der Oberhofmeisterin und derPrinzessin gekommen. Die Frau Oberhofmeisterinhat die Einladung zu dem heutigen Abend für IhreHoheit angenommen, ohne erst deren Einverständniseinzuholen. Die Prinzessin wurde durch die Mit-teilung, daß sie heute hier das Fest besuchen solle,völlig überrascht. Auch ich selbst erfuhr erst im letztenAugenblick davon, sonst hätte ich die Prinzessin natürlichbenachrichtigt. Ihre Hoheit war über diese Eigen-mächtigkeit der Exzellenz mehr als empört und weigertesich auf das energischste, der Einladung Folge zu leisten,einmal, um ihren eigenen Willen durchzusetzen, dannaber auch, weil ihr die sogenannten liebenswürdigenGastgeber des heutigen Abends im höchsten Grade

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unsympathisch sind. Aber die Exzellenz blieb unerbitt-lich. Sie wissen, Herr Leutnant, daß die Frau Ober-hofmeisterin die Ehrenvorsitzende zahlloser Wohltätig-keitsvereine ist. Sie ist auch die Präsidentin der hie-sigen städtischen Frauenanstalt, die sich, wie schon sooft, auch jetzt wieder in finanziellen Nöten befindet.Der Verein braucht für einen Umbau unbedingt fünf-undzwanzigtausend Mark. Dieses Geld soll der Kammer-herr geben und er wird es auch geben, sobald die Ex-zellenz ihn darum bittet und ihm gleichzeitig einenOrden in Aussicht stellt. Aber er würde es nie geben,wenn die Prinzessin heute Abend nicht erschienen wäre.Er wird es ohnehin schon als eine Kränkung empfinden,daß Seine Hoheit, der Herzog, für seine eigene Personabgesagt hat. Es ist der Exzellenz gelungen, ihrenWillen bei dem Herzog durchzusetzen und dem Befehldes Vaters mußte die Prinzessin sich fügen. Aberdie Prinzessin sträubte sich trotzdem bis zum letztenAugenblick. Das ist auch der wahre Grund unseresspäten Erscheinens. In Wirklichkeit sind die Pferdevor unserem Wagen natürlich nicht gestürzt, ebensowenig ist eine Wagendeichsel gebrochen, die Prinzessinweigerte sich nur, in den Wagen einzusteigen, bis siees dann endlich doch tun mußte. So, nun wissen Siealles und wenn ich der Prinzessin ihre Erregung auchvollständig nachfühle, so muß sie sich trotzdem heuteAbend beherrschen.”

Nach und nach, mit langen Pausen, während desEssens und Trinkens, während sie fortwährend

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von den servierenden Dienern gestört wurden, hatteFräulein Ursula dieses alles stückweise erzählt undHans Joachim war ihr ein aufmerksamer Zuhörergewesen.

Nun war er über alles unterrichtet, ja, noch mehr,er sah es ein, daß die Prinzessin alle Ursache hatte,mehr als ungnädig zu sein, aber trotzdem durfte es zukeinem Eklat kommen. Wie aber sollte er das ver-hindern und wie sollte er auf der anderen Seite derPrinzessin beistehen, wenn sie ihn gegen die FrauOberhofmeisterin zu Hilfe rief? Das beschäftigte ihnderartig, daß er darüber ganz vergaß, sich mit FräuleinUrsula weiter zu unterhalten.

Und noch ein anderer Leutnant war an der Fest-tafel still und schweigsam, so sehr gerade er sich daraufgefreut hatte, sich mit seiner Dame lange unterhaltenzu können. Das war Scharfenberg, den der HerrOberst kurz vor Beginn des Diners in das Gesprächgezogen, um ihm schon jetzt ganz privatim mitzuteilen,daß er, der Herr Oberst, beabsichtige, ihm zum äußerenZeichen der Anerkennung für seine gute Führung inund außer dem Dienst, ein mehrmonatliches Kom-mando zu verschaffen.

Unter anderen Umständen hätte Scharfenbergsicher laut aufgejubelt, aber jetzt fort von hier? Fürein paar Monate jetzt fort nach Berlin? Keine Strafehätte für ihn schlimmer sein können als diese Aus-zeichnung. Der Schrecken war ihm derartig in dieGlieder gefahren, daß selbst Christiane ihn nicht zu

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trösten vermochte, als er ihr sein Leid gestand. ImGegenteil, je länger die auf ihn einsprach, umso schmerz-licher empfand er es schon jetzt, sich so lange von ihrtrennen zu sollen, und immer von neuem schwur ersich im stillen, das Kommando nicht anzunehmen, ob-gleich er genau wußte, daß er es annehmen mußte.

Christiane versuchte ihn zu trösten. Im erstenAugenblick war auch sie erschrocken gewesen, denn sieglaubte zu wissen, warum der Vater ihn fortschicke.Das nahm sie vorübergehend gegen ihren Vater ein,machte sie beinahe böse und zornig. Bedurfte es denneines solchen Gewaltmittels, traute man es ihr alleinnicht zu, einen Freier abzuweisen, der ihr nicht genehmwar? Bis ihr dann doch ganz klar wurde, w a r u mScharfenberg fort sollte. Der Vater wünschte dieVerlobung nicht, damit sie ihr Geld nicht wiederverlöre, damit nicht vielleicht auch die Eltern alleswiederhergeben mußten. War es nicht einzig undallein ihre Sache, ob sie ihre halbe Million behaltenwolle oder nicht und stand ihren Eltern, oder wenig-stens dem Vater der Reichtum höher als das Glückseines einzigen Kindes? Sie verboste sich in ihrenGedanken immer mehr und der Trost, den sie Scharfen-berg spendete, kam ihr wirklich vom Herzen. Ertat ihr aufrichtig leid, wie er so unglücklich nebenihr saß und es erfüllte sie mit Stolz und Freude,daß er nur den einen Wunsch hatte, hier in der Resi-denz, hier in ihrer Nähe zu bleiben, daß es ihngarnicht lockte, nach Berlin zu gehen, nach Berlin,

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das sonst für jeden jungen Offizier der Inbegriffaller Seligkeit ist, weil man sich nirgends so gutamüsieren kann, wie dort.

Und sie gestand sich ein, daß er ihr doch sehr fehlenwürde, wenn er wirklich monatelang fortgehensollte. Nur deshalb, weil sie sich an seine Huldigungen,an sein sich stets gleichbleibendes Werben gewöhnthatte, oder weil sie für ihn doch eine warme Zuneigungempfand? Liebte sie ihn? Sie gedachte des altenWortes: „Wer sich da fragt, ob er verliebt ist, derist es schon.” Vielleicht, daß auch sie es schon war,daß es ihr erst in dieser Stunde, in der die Trennungdrohte, klar wurde. Aber was sie selbst noch nichtgenau wußte, durfte sie ihm am allerwenigstenjetzt schon verraten und so meinte sie nur nochmalsein wenig neckend: „Lockt es Sie denn wirklich gar-nicht, nach Berlin zu gehen und den schönen Mädchendort den Hof zu machen?”

Da sah er sie mit einem festen Blick an, der freiwar von jeder heißen Leidenschaft, der aber geradedeshalb seine treue feste Liebe verriet und danngab er ihr zur Antwort: „Es gibt für mich nur eineinziges junges Mädchen auf der Welt, für michist kein anderes auch nur annähernd so schön undbegehrenswert und an diese eine denke ich bei Tagund bei Nacht. Sie weiß es, daß ich sie liebe, ichhabe es ihr noch nie gesagt, aber sie muß es trotzdemschon bemerkt haben. Ich liebe nur diese eine undhabe nur den einen Wunsch, daß sie mich wiederliebt,”

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und sich dann noch näher zu ihr wendend fuhr ermit ganz leiser Stimme fort: „Reichtum allein machtnicht glücklich und wäre es anders, oder dächte ichauch nur anders, dann würde ich nicht um diese Einewerben, würde ihr nicht zumuten, mich zu erhören.”

Verwirrt und verlegen saß sie neben ihm unddoch durchströmte sie ein süßes Gefühl des Glückes,das Gefühl des Glücks, sich um ihrer selbst willenso geliebt zu wissen. Und die Liebe, die i h n so ganzerfüllte, ergriff auch plötzlich sie und zart und leisespannen sich die Fäden vom Herzen zum Herzen weiter.Und als er jetzt leise und verstohlen nach ihrer linkenHand haschte, die sie ein klein wenig absichtlich herun-terhängen ließ, da duldete sie seinen Händedruckund hielt für einen Augenblick seine Hand in derihrigen.

Und wenn sie es noch nicht gewußt hatte, wielieb er sie hatte, so sah sie es jetzt an dem Glück, dasseine Züge verklärte, an dem Aufleuchten seinerAugen, und um ihm endlich die Gewißheit zu geben,daß auch sie ihn liebe, sagte sie plötzlich: „Seien Sienicht mehr traurig, Herr Leutnant, Sie werdennicht nach Berlin gehen, ich werde nicht eher ruhen,als bis ich es bei dem Vater durchsetze, daß Siehier bleiben. Sind Sie nun zufrieden?”

Schelmisch lächelnd sah sie zu ihm auf. Da faßteer abermals nach ihrer Hand, die sie ihm für eineSekunde überließ und sie wunderte sich selbst darüber,

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daß sie garnicht mehr an das Geld dachte, das sienun verlor.

Solange das Diner auch noch dauerte, für siebeide war es nun doch plötzlich viel zu kurz und alssie sich dann endlich von ihren Plätzen erhoben,flüsterte er ihr glückselig zu: „Sehen Sie wohl, gnä-diges Fräulein, nun hatte ich mich doch nicht umsonstdarauf gefreut, solange bei Tisch neben Ihnen sitzenzu dürfen.”

„Und ich mich auch nicht,” gab sie ebenso zurück,dann aber machte sie sich von ihm frei und eilte aufihren Vater zu, um dem lustig zuzurufen: „Wenndu wüßtest, Vater, was du dadurch für ein Unglückangerichtet hast, daß du Scharfenberg nach Berlinabkommandieren wolltest ― ―. Das hattest dudir sehr schön ausgedacht, du wirst es sehr bald er-fahren, daß wir beide doch noch schlauer sind, als du.”

Den Oberst rührte beinahe der Schlag: „UmGottes willen, Christiane, mach' keine Pferde scheu,du hast doch nicht etwa ― ―”

Aber mitten im Satz hielt er an. So glückstrahlendhatte er sein Kind noch nicht gesehen. Da wußte er,was die Glocke geschlagen hatte und er dachte zu-rück an die Zeit, da er selbst jung war, da er umseine Frau warb und auch nicht daran dachte, daßsie beide arm wären, sondern nur daran, daß siesich liebten. Und die Liebe hatte angehalten bisauf den heutigen Tag und sie waren glücklich ge-blieben, trotz der Sorgen, die auch sie kennen lernten.

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Die Sorgen aber ketten die Menschen fester anein-ander als der Überfluß und der Luxus. Mochtesein Kind, mochte auch er selbst sein Erbe verlieren,wenn Christiane nur glücklich wurde.

Für ein paar Minuten hatte er seinen Gedankennachhängend dagestanden, dann sah er sich nachseiner Frau um, um der die große Neuigkeit mit-zuteilen. Ihretwegen tat es ihm nun doch wiederleid, daß es mit dem Reichtum schon wieder vorbeisein solle, aber die Mutter würde ihrem Kinde dasGlück ja noch mehr gönnen, als er es selber tat.Aber bei dem Gedränge, das nun in den Neben-räumen herrschte, als dort der Kaffee serviert wurde,sah er sich vergebens nach seiner Frau um. Viel-leicht war es auch besser, wenn er erst zu Hause inaller Ruhe mit ihr darüber sprach.

Kaum eine Viertelstunde später lockten dieGeigen zum Tanz und die Paare fanden sich wieder zu-sammen, wie sie bei Tisch nebeneinander gesessenhatten. Nur Hans Joachim holte nicht FräuleinUrsula, sondern näherte sich, wie ihm befohlen war,der Prinzessin. Die schien ihn schon voller Ungedulderwartet zu haben, denn kaum hatte er sich vor ihrverneigt, als sie sich auch schon von ihrem Platz er-hob, um sich von ihm fortführen zu lassen.

Wie immer, wenn die Prinzessin tanzte, bliebenauch jetzt die Paare vorläufig stehen, so hörte esniemand, als die Prinzessin ihm nun erregt zu-flüsterte: „Hat Ursula Ihnen alles erzählt? Ist es

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nicht einfach empörend? Des Geldes wegen willman mich verheiraten, des Geldes wegen muß ichdas Haus dieser Menschen betreten. Der Kammer-herr war, solange wir bei Tisch saßen, von einer soprotzenden Gesprächigkeit, daß ich am liebsten auf-gestanden wäre. Auch der verdient eine Zurecht-weisung. Damit, daß ich nicht mit ihm tanze, istes nicht genug. Ich kann den Menschen nicht aus-stehen, heute, wo ich gegen meinen Willen bei ihmzu Gaste sein muß, noch weniger denn je. Und dazudieses lächelnde impertinente Gesicht der Frau Ober-hofmeisterin, das mir immer von neuem zu sagenscheint: ‚Siehst du wohl, ich habe meinen Willendoch durchgesetzt, es ist ganz zwecklos, sich gegenmeine Macht aufzulehnen.‛ Ach, ich ertrage es wirk-lich nicht länger.”

„Aber Hoheit, so beruhigen Sie sich doch nur,”bat Hans Joachim, „ich begreife es ja vollständig,daß Sie sich auf das tiefste verletzt fühlen, aber be-herrschen Hoheit sich wenigstens heute Abend noch.Was sollen die übrigen Gäste sagen, wenn Sie sichzu einer unüberlegten Äußerung hinreißen lassen?”

„Das ist mir ganz egal,” gab die Prinzessin miteiner ihm an ihr ganz ungewohnten Heftigkeit zurAntwort, „alles hat seine Grenzen. Bitte dringenSie nicht weiter in mich, ich bin zu nervös, zu über-reizt.”

Hans Joachim mußte es einsehen, wenigstensfür den Augenblick war die Prinzessin keinem Zu-

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spruch zugänglich, vielleicht war es wirklich bessernicht weiter auf sie einzusprechen, vielleicht, daß siesich dann am schnellsten wieder beruhigte. So führteer sie denn nach Beendigung des Tanzes wieder zuihrem Sessel zurück, in der festen Absicht, sich in ihrerNähe aufzuhalten, um, wenn irgend möglich, we-nigstens die Oberhofmeisterin oder den Hausherrnvon der Prinzessin fernzuhalten. Aber kaum hatteer sich hinter der Prinzessin aufgestellt, als der Kam-merherr auf ihn zugeeilt kam und auch dann nichtwieder linksum Kehrt machte, als Hans Joachim ihmmit der Hand ein Zeichen gab, er möchte wenigstensjetzt nicht näher kommen.

So trat er denn auf Hans Joachim zu undfragte ihn in seiner lauten arrogant und unverschämtklingenden Art und Weise: „Nicht wahr, Herr Leut-nant, Sie übernehmen doch auch heute Abend bei mirdas Amt des Vortänzers? Wozu sind Sie denn da,wenn Sie Ihre Künste nicht unter jedem hellbrennen-den Kronleuchter leuchten lassen wollen? Nichtwahr, ich kann doch selbstverständlich auf sie rechnen?”

Wäre der Wunsch in liebenswürdiger Weisegeäußert worden, dann hätte Hans Joachim sichnatürlich nicht eine Sekunde besonnen, ihn zu er-füllen. Aber daß der Kammerherr ihm direkt insGesicht sagte, er sei nur dazu da, um unter jedembrennenden Kronleuchter seines Amtes zu walten,das ging denn doch gegen sein Empfinden. Aber

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wie sollte er die Bitte ablehnen, ohne dadurch denGastgeber zu verletzen?

Und der fragte jetzt noch einmal: „Nicht wahr,ich kann doch s e l b s t v e r s t ä n d l i c h auf Siezählen?”

„Doch nicht,” erklang da plötzlich die Stimme derPrinzessin. Die hatte jedes Wort, das der Kammer-herr so laut sprach, gehört und auch sie mußte sichdurch seine Art verletzt fühlen. So hatte sie sichdenn jetzt erhoben und trat auf den Kammerherrn zu:„Sie können leider nicht auf Herrn von Köttendorfzählen, Herr Kammerherr, denn soviel ich weiß, istder Herr Leutnant lediglich zum Vortänzer beiHofe ernannt und es ist mit seiner Stellung un-vereinbar, daß er unter jedem brennenden Kron-leuchter seines Amtes waltet. Er würde dann ebenaufhören zu sein, was er ist ― lediglich der Vor-tänzer bei H o f e .”

Und sie betonte die letzten Worte so scharf, daßdem Kammerherrn das Blut in das Gesicht schoßund daß er sich in tausend Entschuldigungen erging,bis die Prinzessin ihm dann endlich mit einer etwasungeduldigen Handbewegung andeutete, daß esnun genug sei und daß er sich zurückziehen möge.

Rückwärts schreitend, sich immer von neuemverbeugend, entfernte sich der Kammerherr, biser in den Reihen seiner Gäste verschwunden war.Dann erst wandte sich die Prinzessin lächelnd anHans Joachim: „Gott sei Dank, Herr Leutnant,

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nun ist mir wieder wohl. Ich m u ß t e den Kammer-herrn einmal ganz gehörig demütigen. An und fürsich war sein Wunsch ja nicht so unerhört, es warnur die Art, in der er zu Ihnen sprach und daß eres garnicht für nötig hielt, mich zuvor um Erlaubniszu bitten, daß Sie heute hier den Vortänzer machen,auch das empörte mich. Ach, nun ist mir wiederwohl, ich glaube, ich wäre erstickt, wenn ich meinemHerzen nicht irgendwie hätte Luft machen können.”

Gott sei Dank, daß dieser Vorfall genügt hatte,um die Prinzessin wieder zu beruhigen. Die Sachehätte nach Hans Joachims Ansicht noch viel schlimmerwerden können. Der Kammerherr hatte ein dickesFell, der konnte schon einen Puff vertragen. Nurein wahres Glück, daß die Prinzessin mit dem undnicht mit der Frau Oberhofmeisterin zusammen-gestoßen war.

Die Prinzessin hatte ihre gute Laune wieder-gefunden, da brauchte er nicht mehr zu befürchten,daß es noch irgendwie zu einem Eklat kommen würde.So plauderte er denn lustig und fröhlich mit derPrinzessin über tausend Nichtigkeiten, bis plötzlich,wie aus der Erde gewachsen, die Frau Oberhof-meisterin vor ihnen beiden stand. Deren Mundumspielte auch jetzt das stereotype liebenswürdigeLächeln, aber das war falscher als je, das verrietder böse Blick der Augen, die nervöse Art, in derIhre Exzellenz fortwährend den Fächer auf- und zuklappte, das verriet aber erst recht der heisere

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Klang ihrer Stimme, als sie nun sagte: „Ew. Hoheitmuß ich leider gestehen, daß ich über das BenehmenEw. Hoheit einfach außer mir bin. Ew. Hoheitbedaure ich, das in Gegenwart des Herrn Leutnantsagen zu müssen, aber der Herr Leutnant war jaauch zugegen, als Ew. Hoheit unseren charmantenund liebenswürdigen Kammerherrn mit einer Un-gnade behandelten, die mich kein Wort der Erklärungund Entschuldigung finden läßt.”

Die Wangen der Prinzessin färbten sich dunkelrot:„So hat der charmante und liebenswürdige Kammer-herr, wie Ew. Exzellenz unseren Gastgeber zu nennengeruhen, es für gut befunden, mich bei Ew. Exzellenzzu verklatschen?”

Die Frau Oberhofmeisterin richtete sich stolzauf: „Einer solchen Taktlosigkeit wäre der Kammer-herr garnicht fähig. Der hat lediglich seinen Gästenerzählt, in welcher mehr als ungnädigen Art Ew.Hoheit ihm seine Bitte abschlugen. Auf Umwegenerfuhr auch ich davon und ich muß darauf bestehen,daß Ew. Hoheit dem Kammerherrn gegenüber einWort der Entschuldigung finden.”

Die Prinzessin war von ihrem Sitz aufgesprungenund stand der Frau Oberhofmeisterin in der größtenErregung gegenüber, um ihr jetzt kalt und schneidendnur das eine Wort „niemals” zuzurufen.

Aber Ihre Exzellenz ließ sich nicht beirren: „Ew.Hoheit werden sich schon noch meinem Wunsche

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fügen müssen, Ew. Hoheit wissen, daß mein Willedem Willen Ew. Hoheit vorgeht.”

„Sie wollten sagen, Exzellenz, daß Ihr Willebisher dem meinigen vorgegangen i s t ,” fiel diePrinzessin ihr rasch in das Wort, um dann erregtfortzufahren: „Bis heute habe ich mich von Ew.Exzellenz tyrannisieren lassen, aber daß ich michhier nun wie ein unartiges Kind von Ew. Exzellenzabkanzeln lassen soll, das erschöpft denn doch selbstmeine Geduld, denn auch die hat ihre Grenzen.Ich lasse mir von Ew. Exzellenz garnichts mehrsagen, denn Sie, Exzellenz, haben überhaupt gar-nicht das Recht, mir so gegenüberzutreten.”

Fassungslos sah die Oberhofmeisterin auf: „Wiesoll ich mir die Worte Ew. Hoheit erklären? Ichhätte nicht das Recht? Ich habe sogar die Pflicht,Ew. Hoheit gegenüber so zu handeln, wie ich es tue.Mit Wort und Handschlag habe ich es der verstorbenenFrau Herzogin gelobt ― ― ― ― ―”

„So, nun ist es aber wirklich genug,” rief diePrinzessin der Frau Oberhofmeisterin zu, und kaumwissend, was sie tat, es in der Erregung nicht nurvollständig vergessend, daß es sich lediglich um einenVersuch handele, Ihre Exzellenz in eine Falle zulocken, sondern in dem Augenblick sogar fest davonüberzeugt, daß sie wirklich vollgültige Beweise gegendie Frau Oberhofmeisterin in Händen habe, winktesie Hans Joachim zu sich heran, der sich bei denersten Worten der Frau Oberhofmeisterin diskret

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zurückgezogen hatte, um der Prinzessin wenigstensdie Demütigung zu ersparen, in seiner Gegenwartgescholten zu werden.

Und kaum war Hans Joachim nähergetreten,als sie ihm zurief: „Den Brief, Herr Leutnant, denBrief, aber bitte schnell.”

Hans Joachim drohte das Herz vor Schreckenstehen zu bleiben. So war der gefürchtete Augen-blick also doch gekommen, wie würde der enden?Er konnte es nicht verhindern, daß seine Hände zitterten,als er nun den Waffenrock öffnete, um den Brief ausder Brusttasche hervorzuholen. Aber er war nicht alleinnervös, die Frau Oberhofmeisterin war es erst recht,das hörte er an ihrer Stimme, als sie jetzt fragte: „Wasist das für ein Brief, von dem Ew. Hoheit sprechen?”

„Das werden Ew. Exzellenz sofort erfahren,wollen Ew. Exzellenz sich nur noch einen Augenblickgedulden,” erwiderte die Prinzessin mit dem liebens-würdigsten Lächeln und sich an Hans Joachim wen-dend, bat sie: „Ich bitte Sie, das Siegel zu öffnenund dann Ihrer Exzellenz das Schreiben der ver-storbenen Frau Herzogin vorzulesen, das diese vonihrem Krankenlager aus an mich richtete.”

Die Frau Oberhofmeisterin faßte unwillkürlichmit der Rechten in die Luft, als suche sie dort dieLehne eines Stuhles, auf die sie sich stützen könne,und sie fühlte, wie ihre Knie zitterten. Sollte sieder Prinzessin gegenüber heute doch zu weit ge-gangen sein und sollte dieser Hans Joachim wirklich

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Beweise gegen sie in Händen haben? Sie fühltesich einer Ohnmacht nahe. Waren seine Worte imTheater doch mehr als eine leere Drohung gewesen?Aber um Gottes willen nur nichts von dem verraten,was im Inneren auf sie einstürmte. Nur jetzt dieHaltung bewahren.

„Erkennen Ew. Exzellenz die Handschrift derverstorbenen Frau Herzogin?” erklang da HansJoachims Stimme, während er ihr aus einigerEntfernung den Brief zeigte, sodaß sie zwar nicht dieeinzelnen Worte entziffern, aber doch die Schrift-züge als solche erkennen konnte.

„Allerdings,” bemühte sich Ihre Exzellenz sogleichgültig wie nur irgend möglich zu sagen, „wennsich meine Augen nicht täuschen, dann ist es dieSchrift der verstorbenen Frau Herzogin.”

„Dann werden Ew. Exzellenz auch jetzt ver-nehmen, was die Frau Herzogin mir schrieb,” setztedie Prinzessin erklärend hinzu und dann bat sie: „Ichbitte Sie, Herr von Köttendorf, den Brief vorzu-lesen.”

Und Hans Joachim, dem der kalte Schweiß aufder Stirn stand, der aber auch jetzt daran dachte,daß es sich zwar um einen völlig harmlosen Briefhandelte, dessen Inhalt er aber trotzdem nicht kennenlernen dürfe und der das Blatt deshalb so in Händenhielt, daß die Buchstaben auf dem Kopfe standen,und der nicht die leiseste Ahnung davon hatte, wieeine Fürstin an ihr Kind zu schreiben pflegt, las

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nun mit halblauter Stimme, was ihm der Augen-blick eingab:

„Meine geliebte Tochter, mein über allesgeliebtes Kind!

Wenn die Ärzte mir auch das Gegenteil versichernund mir auch immer wieder davon sprechen, daß ichbald wieder gesund sein werde ― ― ich glaube nichtdaran, ich weiß, daß meine Tage gezählt sind. Viel-leicht, daß es sich im besten Falle noch um ein paarWochen handelt. Ich schreibe dir diese Zeilenvon meinem Krankenlager aus, in einem Augen-blick des Alleinseins. Unter dem Vorwand, etwasschlafen zu wollen, habe ich die Frau Oberhofmeisterinfortgeschickt und ich tat es, um Dir sagen zu können:Glaube es nicht, wenn die Gräfin nach meinemTode behaupten sollte, ich hätte sie mit Wort undHandschlag verpflichtet, bei Dir zu bleiben, bis Du, meineinzig geliebtes Kind, später einmal heiratest. Glaubeihr nicht. Wahr ist nur, daß die Gräfin diesen Wunschhat und daß sie es mir täglich, wenn auch in dis-kreter Weise, nahe legt, ihr das Versprechen abzu-nehmen. Die Gräfin hat gewiß auch ihre vielenguten Seiten, aber sie ist nicht offen und nicht wahr,sie ist herrschsüchtig und tyrannisch, immer nur aufihren eigenen Vorteil bedacht und ich bin fest davonüberzeugt, sie wird sogar vor einem Meineid nichtzurückschrecken, um sich die Stellung bei Hofe ― ― ―”

Ein leiser Aufschrei aus dem Munde Ihrer Ex-zellenz ließ Hans Joachim mitten im Lesen inne-

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halten und schnell auf die Frau Oberhofmeisterinzuspringen: „Um Gottes willen, Exzellenz, was istIhnen?”

Aber die Exzellenz antwortete nicht. Eine Ohn-macht hatte ihre Sinne umnebelt und sie wäre un-fehlbar hingefallen, wenn Hans Joachim sie nichtmit starken Armen erfaßt und nach einer in derNähe stehenden Chaiselongue gebracht hätte.

So abseits von den anderen Gästen hatte sichdiese Szene abgespielt, daß niemand sie bemerkte,daß die Gäste erst aufmerksam wurden, als die Prin-zessin ihre Hofdame herbeirufen ließ und als aufderen Veranlassung gleich darauf ein Diener eineKaraffe frischen Wassers und ein Tuch brachte.Da erfuhr man erst, was vorgefallen war. Die Musikverstummte und angeblich voller Teilnahme, inWirklichkeit aber nur aus Neugierde drängte allesnach dem Nebenzimmer, um näheres zu erfahren.Aber in der Tür stand Hans Joachim und ließ nie-manden eintreten, während die Prinzessin und dieHofdame sich um die Ohnmächtige bemühten, bisdie dann unter der Einwirkung der kalten Um-schläge sehr rasch wieder zu sich kam.

„Wo bin ich, wo bin ich?”Ihre Exzellenz mußte sich erst wieder auf alles

besinnen und als ihr das endlich gelungen war,wäre sie beinahe wieder in eine Ohnmacht gefallen.Dort vor ihr stand die Prinzessin, die sich gegen ihreMacht aufgelehnt hatte, und dicht neben der dieser

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Hans Joachim, der ihr den Brief der Frau Her-zogin ― ― ― ― ― ― ―

Es war schmachvoll, es war empörend, so gegensie vorzugehen. Wodurch hatte sie es verdient, daßman sie stürzte? Nun hatte sie ihre Rolle ausge-spielt und wenn Seine Hoheit alles erfuhr ― ― ― ―

Sie konnte nicht klar denken, sie fühlte sich körper-lich zu schwach und ihre Schläfen hämmerten undpochten, als solle ihr der Kopf auseinandergehen.So sagte sie denn jetzt mit schwacher Stimme zuFräulein Ursula, die sich über sie gebeugt hatte:„Lassen Sie bitte sofort in das Schloß telephonieren,es soll ein Wagen kommen, ich muß nach Hausefahren. Vielleicht haben Sie die Freundlichkeit,mich zu begleiten, Sie können ja wieder hierher zu-rückfahren, wenn die Prinzessin noch bleiben will.”

Fräulein Ursula schickte sich an, den Wunsch derFrau Oberhofmeisterin zu erfüllen, aber kaum hattesie den Saal betreten, um sich nach einem Dienerumzusehen, als sie nicht nur von den Gastgebern,sondern auch von den Gästen umringt wurde. Siesollte erzählen, wie es Ihrer Exzellenz ging, wiedie Ohnmacht nur so plötzlich habe kommen können,und Fräulein Ursula erfand eine Ausrede: sie schil-derte, wie Ihre Exzellenz sich schon den ganzen Tagnicht wohl gefühlt habe und sich mit dem Gedankengetragen habe, eigentlich abzusagen, wie ihr Pflicht-gefühl sie aber dann doch getrieben habe, die Prin-zessin zu begleiten. Sie sprach auch davon, daß die

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Fahrt hierher, der Sturz der Pferde Ihre Exzellenzdoch mehr erschreckt haben mochte, als diese habeeingestehen wollen.

Je weniger Fräulein Ursula selber an das glaubte,was sie da sagte, umso ausführlicher wurde sie,denn die anderen brauchten ja nicht zu wissen, wassie vermutete: daß es zwischen der Prinzessin undder Frau Oberhofmeisterin trotz Hans JoachimsAnwesenheit zu einer erregten Aussprache gekommenwar.

Das also war das Ganze. Man hatte eine kleinesensationelle Neuigkeit erwartet und nun war manenttäuscht. Na, auf alle Fälle konnte ja jetzt wiederweitergetanzt werden, vorausgesetzt natürlich, daßdie Prinzessin es nicht für rücksichtsvoller haltenwürde, damit zu warten, bis die Frau Oberhof-meisterin nach Hause gefahren war.

Da trat auch schon die Prinzessin, gefolgt vonHans Joachim in den Saal, strahlend in ihrer An-mut, mit einem verklärten Lächeln auf den Lippen,so froh und so heiter, wie sie den ganzen Abendnoch nicht ausgesehen hatte, und als sei sie den Gästeneine Erklärung für die Veränderung in ihrem Wesenschuldig, sagte sie zu der Dame des Hauses, die ihrentgegeneilte, und dabei sprach sie so laut, daß alleHerumstehenden es hören mußten: „Sie glaubenja garnicht, gnädige Frau, wie froh ich bin, daß sichmeine liebe Frau Oberhofmeisterin so schnell erholthat und daß die Ohnmacht so schnell vorüberge-

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gangen ist. Den ganzen Tag fühlte sich die Gräfinnicht recht wohl, trotzdem erbat ich aus mancherlei Grün-den ihre Begleitung. Ich habe sie bei Tisch fortwährendbeobachtet, ich merkte es ihr an, wie schlecht es ihrging und bereute es bitter, sie nicht zu Hause gelassenzu haben. Na, glücklicherweise war das Ganze weiternichts als eine vorübergehende Schwäche. WennExzellenz jetzt nach Hause fährt und sich niederlegt,ist sie vielleicht morgen schon wieder frisch und munter.Meine Hofdame wird Ihre Exzellenz auf meineBitten hin nach Hause begleiten und dann hierherwieder zurückkehren, vorausgesetzt natürlich, gnädigeFrau, daß Sie mich auch ohne meine Frau Ober-hofmeisterin noch weiterhin in ihren außerordent-lich gastfreien und schönen Räumen dulden.”

Die Prinzessin wollte wieder gutmachen, wassie vorhin dem Kammerherrn gesagt hatte, sie befandsich in einer so glückseligen, übermütigen und ver-söhnlichen Stimmung, daß sie im Augenblick keinemMenschen feind sein konnte. So war sie denn gegendie Frau „Kammerherrin” von einer geradezu be-zaubernden Liebenswürdigkeit, sodaß diese vor lauterWonne über die ihr zuteil werdende Huld immerwieder von neuem in einem tiefen Hofknicks erstarb.

Ja, auch dem Kammerherrn gönnte sie einfreundliches Wort, befahl ihn sogar zum Walzer,als sie jetzt die Erlaubnis gab, den Tanz wiederaufzunehmen.

Den ersten Walzer tanzte die Prinzessin mit

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dem Hausherrn, der ob dieser Auszeichnung, wiedie Prinzessin ihm anmerkte, nur zu schnell alleswieder vergaß, was sie ihm vorhin gesagt hatte,um ihm sein selbstbewußtes Wesen einmal deutlichvor Augen zu führen. Dann aber befahl sie HansJoachim an ihre Seite, sie fieberte vor Ungeduld,sich mit dem aussprechen zu können, denn seitdemdie Exzellenz in Ohnmacht gefallen war, hatten sienoch nicht ein Wort miteinander gewechselt unddoch war der Prinzessin, als hätte sie ihm unendlichviel zu sagen. Hier in dem Ballsaal aber hieß esvorsichtig sein.

Aber was ihr Mund verschwieg, sagten ihm ihreBlicke, als er jetzt auf sie zutrat.

Und auch ihr Händedruck war beredt, als sie ihmnun die Hand zum Kuß reichte, um ihm mit lauterStimme nochmals dafür zu danken, daß er sich derExzellenz so angenommen, sie gleich zu der Chaise-longue getragen und sie dort sorgsam nieder-gebettet habe.

Dann aber trat sie mit ihm zum Tanz an. Wiedertanzten sie als einzigstes Paar und Hans Joachimrichtete es so ein, daß er mit der Prinzessin in derMitte des Saales blieb, sodaß die an den Wändenherumstehenden anderen Gäste es unmöglich hörenkonnten, als sie nun zu ihm sagte: „Hans Joachim― ― ― seien Sie nicht böse, wenn ich Sie heuteso nenne, aber das kalte, fremde „Herr Leutnant”will mir im Augenblick nicht über die Lippen. Wir

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sind doch Bundesgenossen. Ach, Hans Joachim,Sie ahnen ja nicht, wie froh und glücklich ich bin,daß Ihre Exzellenz so schön in die Falle gegangen ist.” Und dann fröhlich auflachend setzte sie hinzu:„Aber eine Angst habe ich ausgestanden, Hans Jo-achim, mir ist beinahe das Herz stehen geblieben.”

„Glauben Ew. Hoheit vielleicht, daß es miranders gegangen ist, als ich anfing, den Brief vorzu-lesen?” fragte er übermütig. „Einzig und allein derAugenblick gab mir die Worte ein, aber währendich las, dachte ich fortwährend: ‚Wenn die Exzellenznun nicht bald in Ohnmacht fällt, dann weißich nicht, wie der Brief weitergehen soll.’ Na, derZweck ist ja erreicht, schneller sogar, als ich dachte,nun sind wir die Exzellenz hoffentlich für immer los.”

„Sogar ganz bestimmt,” rief die Prinzessin ihmhalblaut zu, „ich habe mir schon alles überlegt. Ichwerde morgen die Gräfin aufsuchen und ihr ver-sprechen, den Brief meinem Vater, dem Herzog,nicht zu zeigen, allerdings werde ich daran die Be-dingung knüpfen, daß sie aus Gesundheitsrücksichtensofort um ihre Entlassung bittet. Ich will auch Gnadefür Recht ergehen lassen und bei dem Herzog dahinwirken, daß er Ihre Exzellenz mit vollem Gehaltpensioniert, obgleich sie das weiß Gott nicht um mich ver-dient hat. Gott sei Dank, die Gräfin bin ich los unddas verdanke ich einzig und allein Ihnen. Bis anmein Lebensende werde ich Ihnen das nicht ver-gessen, aber das nicht allein, ich möchte Ihnen so

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gern einen Beweis meiner Dankbarkeit geben.Haben Sie nicht einen ganz, ganz großen Wunsch,den nur ich Ihnen erfüllen, den nur einzig und alleinich Ihnen gewähren kann? Denken Sie doch ein-mal nach.”

Und sie verlangte Antwort auf ihre Frage, alsHans Joachim sie bald darauf wieder zu ihrem Sesselzurückgeführt hatte und als er dann an ihrer Seitestehen blieb.

„Nun, haben Sie es sich inzwischen überlegt?”fragte sie und noch einmal bat sie: „Ich möchteIhnen so gern eine große Freude bereiten, aberwie kann ich das?”

Mit ihren schönen Augen sah sie zu ihm auf unddieser Blick verwirrte ihn noch mehr, als es der Tanz,ihr Händedruck, die von ihr gebrauchte Anrede „HansJoachim” und alles, was sie zu ihm gesagt hatte, getanhatten. Wieder flammte eine heiße, wilde Zu-neigung in ihm zu ihr auf, wieder sah er in ihr dasschönste und begehrenswerteste Geschöpf, das erkannte, und plötzlich gestand er es sich ein, was erbisher immer vor sich selbst geleugnet hatte: daßer die Prinzessin liebe.

Und so jäh kam diese Erkenntnis über ihn, daßer fühlte, wie er vor Erregung und vor Schreckenblaß wurde.

„Um Gottes willen, was ist Ihnen?”So viel Angst, so viel herzliche Teilnahme klang

aus den Worten der Prinzessin, mit so ängstlichen

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Augen sah sie ihn an, daß Hans Joachim mit Gewaltan sich halten mußte, um seine Empfindungen nichtzu verraten.

Und noch einmal fragte die Prinzessin: „Wasist Ihnen? Ich will es wissen.”

Aber er schüttelte den Kopf: „Selbst aufdie Gefahr hin, Ew. Hoheit für immer zu erzürnen,ich kann, ich darf es nicht sagen.”

Da glaubte sie zu wissen, was er ihr verschwieg― ― ― sie fühlte es an dem lauten Schlag ihresHerzens, an der Unruhe, die sie erfaßte, an demsüßen Gefühl des Glücks, das sie durchströmte: HansJoachim liebte sie.

Das hatte sie nicht gewollt, das hatte sie nichtbeabsichtigt, als sie ihn zum Vortänzer ernennenließ. Ein Flirt, nur ein Spiel hatte es bleiben sollen,aber sie empfand trotzdem keine Reue darüber, daßes anders gekommen war. Ja, sie empfand nichteinmal Mitleid mit dem armen Hans Joachim,sie fragte sich auch nicht, was nun werden solle,sie hatte jetzt nur einen Gedanken, sie wollte dieGewißheit haben, daß er sie auch wirklich liebe.

Und so fragte sie denn jetzt mit leiser Stimme:„Hing das, was Sie eben so erregte, irgendwie da-mit zusammen, daß Sie sich etwas von mir wünschensollen, und sind Sie zu der Erkenntnis gekommen,daß Sie einen Wunsch haben, der so groß ist, daßselbst ich den nicht erfüllen kann?”

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Mit festen großen Augen sah er sie an: „Undwenn dem nun so wäre, Hoheit ― ― ― ― ―”

Nur ein Glück, daß sie eine Prinzessin war unddaß sie es gelernt hatte, sich stets zu beherrschen,nie ihre geheimsten Gedanken zu verraten, sonsthätte sie ihm vielleicht doch gezeigt, wie sein Blick sieverwirrte, wie der die mannigfaltigsten Gefühle inihr auslöste.

Dann aber sagte sie anscheinend ganz harmlosund unbefangen: „So groß wird der Wunsch schonnicht gewesen sein, sicher überschätzen Sie ihn.”

Aber er schüttelte abermals den Kopf, bis er dannsagte: „Der Wunsch allein ist eine Vermessenheit, ihnauszusprechen wäre ein Verbrechen,” bis er dannganz plötzlich und unvermittelt fragte: „WerdenEw. Hoheit morgen in das Theater gehen?”

Sie glaubte nicht recht gehört zu haben und sofragte sie ihn denn: „Wie kommen Sie denn nurdarauf?”

„Weil ich glücklich sein würde, wenn Ew. Hoheitmorgen dort wären,” gab er zur Antwort. „Ichsah es vorhin an den Anschlagsäulen, man gibt den„König für einen Tag”. Kennen Sie die Oper?Es handelt sich da um einen armen Fischerknecht,der den Wunsch hat, einmal König zu sein. Derwirkliche König des Landes findet eines Tages denarmen Fischerknecht schlafend am Meeresstrand.Aber bevor der einschlief, hatte er mit seinen Fingernin den Sand geschrieben: „Ach, daß ich doch ein König

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wär'.” Vielleicht, daß Ew. Hoheit bei den Wortenmorgen gnädigst ein klein wenig an mich denken, demes eben so geht, wie dem armen Fischerjungen, anmich, der ich auch nur den einen Wunsch habe: „Ach,daß ich doch ein König wär'.”

Da hatte sie die Gewißheit, daß er sie liebe,daß er es sich nur deshalb wünschte, ein König zusein, um sie neben sich auf seinen Thron setzen zukönnen, um die Möglichkeit und das Recht zu haben,ihr seine Liebe zu gestehen.

Er aber war nur ein armer Leutnant, der es nichtwagen durfte, seine Augen zu ihr zu erheben undder sie dennoch mit ganzer Seele liebte.

Wie traumverloren blickte er vor sich hin, erwandte keinen Blick von ihr ab, aber seine Gedankenmochten in weiter Ferne sein, denn noch einmalsagte er mit ganz leiser Stimme vor sich hin: „Ach,daß ich doch ein König wär'.”

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VIII.

Es war gekommen, wie Hans Joachim richtigvermutete. Als Christiane dem Notar ihrer ver-storbenen Tante die Mitteilung gesandt hatte, siehabe sich mit dem Herrn Leutnant von Scharfenbergverlobt und sie verzichte gern und freudig auf dasihr zugefallene Erbe, da hatte sie die Nachricht er-halten, daß ihr weiterhin verbliebe, was ihr zuge-fallen war, und daß sie nach dem späteren Tode ihrerEltern auch das diesen von der verstorbenen Tanteausgesetzte Legat erhalten würde. Gleichzeitig warihr auch der Nachtrag zu dem Testament übersandtworden. Der hatte nur aus dem einen Satz bestanden,den die Verstorbene in ihrem Testament zwar be-gonnen, dann aber hinterher wieder gestrichen hatteund der da lautete: „Sollte meine liebe Nichte Christi-ane sich trotz der ihr angedrohten Enterbung ver-lieben, verloben oder gar verheiraten und solltedamit der Beweis erbracht werden, daß der zu-künftige Mann meiner lieben Nichte diese lediglichum ihrer selbst willen liebt, so soll meine Nichte be-

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halten, was ich ihr ausgesetzt habe, und sie soll späterauch die Erbin des ihren Eltern vermachten Ver-mögens sein.”

Im Hause des Kommandeurs herrschte eitelJubel und Sonnenschein, nur einer freute sich nichtso recht über die unerwartete Wendung, die dieAngelegenheit genommen hatte. Das war Scharfen-berg. Der liebte seine Christiane über alles und nun,da sie reich blieb, quälte er sich mit dem Gedanken,Christiane könne vermuten, er habe nie ernstlich andie ihr angedrohte Enterbung gedacht und habe siein erster Linie doch ihres Geldes wegen genommen.Aber Christiane dachte nicht daran, ihm so etwaszuzutrauen, wohl aber taten das die Kameraden,wenn sie ihn allerdings in der Mehrzahl auch nurim Scherz damit ärgerten und neckten.

Als es im Kasino bekannt geworden war, daßChristiane nun doch das reiche Mädel blieb, da warman zuerst ganz sprachlos gewesen, dann aber hatteman den glücklichen Bräutigam beim Kragen ge-kriegt, ihn über den Tisch gelegt und ihn im Scherzund im Übermut derartig verprügelt, daß Scharfen-berg nachher kaum sitzen konnte. Und man hatteihn erst wieder freigelassen, als er mit feierlichemEid schwur, die glücklicherweise immer noch nichtbezahlten Getränke, die bei dem Requiem für dieTante draufgegangen waren, aus seiner Tasche zubegleichen. Das sollte er wenigstens davon haben,daß er sich trotz der angedrohten Enterbung nicht

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hatte davon abhalten lassen, um Christianens Handzu werben, und die meisten begriffen plötzlich selbstnicht mehr, wie sie so ernsthaft an das Testamenthatten glauben können.

Dann aber beruhigten sie sich doch bald wieder.Das Geld blieb ja in der Familie, denn ein Offizier-korps soll ja weiter nichts als eine große Familiesein, und wenn Scharfenberg sich später als einschlechtes Familienmitglied erweisen sollte, dannkonnte er sein Wunder erleben, dann würdeer wieder über den Tisch gelegt werden und dannkam er nicht so billig davon wie jetzt.

Aber das mußte man Scharfenberg lassen, erschien die besten Absichten zu haben. Nicht nur, daßer aus seinen eigenen Mitteln die Getränke für dieTotenfeier beglich, er hatte zu heute auch die Kame-raden zu einer Verlobungsbowle eingeladen undbei dieser wurden die beiden großen Neuigkeiteneifrigst besprochen: Die Tatsache, daß Seine Hoheit,der Erbherzog, mit dem Fürsten nun in wenigenTagen zu Gaste bei Hofe erscheinen würden und daßIhre Exzellenz, die Frau Oberhofmeisterin, sich zuihrem allergrößten Bedauern gezwungen sah, ausGesundheitsrücksichten ihre Stellung aufzugeben.Die wollte nur noch bei den Hoffesten, die in dennächsten Tagen stattfanden, ihres Amtes walten,dann würde sie die Koffer packen, um sich zunächstfür längere Zeit in ein Sanatorium zu begeben,denn bei der Untersuchung hatte sich herausgestellt,

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daß der Ohnmachtsanfall auf eine nervöse Störungder Herztätigkeit zurückzuführen sei. Ihre Exzellenzhatte sich einen auswärtigen Arzt kommen und sichvon diesem untersuchen lassen.

In Wirklichkeit aber hatte Ihre Exzellenz garkeinen Arzt gebraucht, denn niemand anderes hatteihr geraten, in ein Sanatorium zu gehen, um tat-sächlich den Anschein einer schwereren Erkrankungzu erwecken, als die Prinzessin Rena, die die FrauOberhofmeisterin gleich am nächsten Morgen anihrem Krankenlager aufsuchte. Und bei der Gelegen-heit hatte die Prinzessin die Frau Oberhofmeisterinderartig in das Gebet genommen, daß diese immerkleiner und kleiner und immer de- und wehmütigerwurde, so daß Ihre Exzellenz garnicht dazu kam,auch nur danach zu fragen, wie der geheimnisvolleBrief in Joachims Hände gelangt sei und warumder Brief nicht eher gegen sie ausgespielt wordenwäre. Auf den Gedanken, daß das Schreiben derverstorbenen Herzogin nicht echt sein könne, kamIhre Exzellenz garnicht ― ― sie hatte ja die Schrift-züge mit eigenen Augen erkannt und daß man ihraus dem Brief etwas vorlas, was garnicht darinstand ― ― ― ― ― die Prinzessin merkte es imLaufe der Unterhaltung, jeder derartige Gedankelag der Frau Oberhofmeisterin fern, ihr schlechtesGewissen ließ garnicht die Vermutung an eineTäuschung aufkommen.

Prinzessin Rena mußte sich, als sie an dem Bett

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Ihrer Exzellenz saß, mit aller Gewalt beherrschen,um sich nicht zu verraten, um ihre Freude und ihreHeiterkeit über den wohlgelungenen Streich nichtzu zeigen. Umso herzlicher lachte sie dann aber,als sie sich wieder in ihren Gemächern befand, undsie war überhaupt derartig übermütig und ausge-lassen, daß selbst die Hofdame sich das Wesen derPrinzessin nicht zu erklären vermochte. Gewiß,sie fühlte es ihr vollständig nach, daß die froh war,die ihr so unsympathische Oberhofmeisterin los zuwerden, wenn es ihr selbst auch nicht ganz klar war,warum die so plötzlich ging. Aber deswegen so herum-zutollen, so übermütig zu sein, dazu lag doch eigent-lich gar keine Veranlassung vor.

Und die Prinzessin verstand sich in diesen Tagenzuweilen selbst nicht. Was lag ihr nun noch daran,ob die Frau Oberhofmeisterin ging oder nicht, siebeschäftigte sich mit ganz anderen Dingen, die immerwieder auf ein und dasselbe hinausliefen: auf HansJoachim.

„Ach, daß ich doch ein König wär'!”Sie war schon Hans Joachims wegen im Theater

gewesen und als dann der arme Schiffersknecht mitseiner schönen, weichen Stimme die Worte sang:„Ach, daß ich doch ein König wär',” da hatten ihreAugen in dem dunklen Hause Hans Joachim ge-sucht, der vorn in der ersten Parkettreihe saß.Natürlich hatte sie ihn ebenso wenig gesehen, wie ersie, aber ihr war doch gewesen, als hätten sich ihre

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Augen gefunden, als hätten sie beide einen langen,langen Blick miteinander getauscht. Und gerade,als sich dann ihre Augen wieder voneinander trennten,da war es noch einmal aus dem Munde des armenFischers erklungen: „Ach, daß ich doch ein Königwär'!”

Hans Joachim liebte sie und sie liebte ihn wieder.Das stimmte sie so froh und so heiter, daß sie den

ganzen Tag fröhlich vor sich hin trällerte. Nun konnteder Fürst ruhig kommen, der kam jetzt für sie nochweniger in Frage als je. Für sie gab es nur nocheinen Mann auf der Welt: „Hans Joachim”, undwenn sie deswegen auch aufhören sollte, eine Prin-zessin zu sein und wenn ihr Vater, der Herzog, ihrauch noch so sehr zürnte ― ― sie würde nie auf-hören, ihn zu lieben.

Die Prinzessin dachte nur an Hans Joachim under dachte nur an sie.

Aber während die Prinzessin sich ihres Glückeserfreute, ließ Hans Joachim den Kopf hängen.Er wußte, es gab für ihn nur eins, er m u ß t ediese Liebe überwinden und doch gestand er es sichselbst, daß er das nicht konnt.

Nur eins vermochte ihn zu retten, eins ihm dieMöglichkeit zu geben, wieder ruhig zu werden, ermußte fort aus der Residenz. Er durfte die Prin-zessin fortan nicht mehr wie jetzt fast täglich sehen.Er mußte einen Vorwand erfinden, unter dem erseine Versetzung in ein anderes Regiment erbat.

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Je eher er das tat, desto besser. Nur den bevor-stehenden Besuch bei Hofe wollte er noch abwarten.Ebenso wie die Frau Oberhofmeisterin, wollte aucher bei der Gelegenheit zum letztenmal seines Amteswalten und dann gleichfalls den Hof verlassen.

Nur noch ein paar Tage, dann hatte er allesüberstanden. Aber man schien es darauf abgesehenzu haben, ihm diese paar Tage noch recht schwer zumachen, denn als endlich der Tag für den bevor-stehenden Besuch festgesetzt war, wurde er auf di-rekten Befehl Seiner Hoheit, des Herzogs, demFürsten als Begleiter und gewissermaßen als per-sönlicher Adjutant kommandiert.

Er glaubte zu wissen, daß er auch diese Auszeich-nung wieder der Prinzessin verdankte. Aber warumtat sie es? Warum gab sie ihm immer aufs neuedeutliche Beweise dafür, daß er bei ihr wirklich per-sona gratissima war? Und noch eins quälte undbeunruhigte ihn: Die Prinzessin mußte doch wissen,daß er sie liebte, allzu deutlich hatte er ihr das ver-raten. Sie kannte die warme Zuneigung, die erfür sie empfand, und anstatt ihm deswegen zu zürnen,oder ihn aus ihrer Nähe zu verbannen, suchte sieimmer aufs neue eine Gelegenheit, mit ihm zu-sammenzutreffen. Was sollte das heißen? Triebsie ein Spiel mit ihm? Das konnte und wollte ernicht glauben, die Prinzessin war nicht herzlos undkokett, aber trotzdem ― ― denn daß die Prinzessinihn wiederlieben sollte ― ― ― ―

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Glühend heiß schoß ihm das Blut in die Schläfen,wenn er nur daran dachte, daß auch sie ihn liebe.Aber was dann, wenn sie es wirklich tat? Dannwar es auch für sie das beste, daß er ging, und erschwor sich wieder aufs neue, seinen Entschluß aus-zuführen, sobald der Erbherzog und der Fürst erstwieder abgereist wären.

Wenn die hohen Gäste nur erst da wären! DerTag des Kommens war festgesetzt, aber in der letztenStunde schien doch wieder ein Aufschub erfolgenzu sollen. Der Erbherzog sandte seinem Vater einTelegramm, er sei auf einer Treppe ausgeglittenund habe sich am rechten Fuß eine sehr schmerzhafteSehnenzerrung zugezogen, die ihn wenigstens fürein bis zwei Wochen, wenn auch nicht an das Bett,so doch an das Zimmer fessele. Er bäte aber trotz-dem, den Besuch des Fürsten empfangen zu wollen,der sich sehr darauf freue, dem Hof nach so langerZeit endlich wieder einmal seine Aufwartung machenzu dürfen. Sollte Seine Hoheit aber anders disponie-ren, so würde sich der Fürst dem natürlich fügen.

Hans Joachim erfuhr durch einen AdjutantenSeiner Hoheit von diesem eingelaufenen Telegramm,aber er hörte auch zugleich, Seine Hoheit habe ant-worten lassen, daß er dem Besuch des Fürsten gernentgegensähe und daß er darum bitten ließe, diegetroffenen Reisedispositionen nicht mehr zu ändern.

So traf denn Seine Durchlaucht an dem fest-gesetzten Tage in der Residenz ein. Seine Hoheit

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hatte sich mit seinen Adjutanten zum Empfangauf den Bahnhof begeben, und dort meldete HansJoachim sich bei dem hohen Gast zur persönlichenDienstleistung kommandiert.

Der Fürst, ein großer, schlanker, auffallend hübscherund eleganter Mensch, Ende der Zwanzig, dem dieUnlanenuniform, die er angelegt hatte, ausgezeichnetstand, blickte bei dieser Meldung etwas überraschtauf. Das schien er nicht erwartet zu haben, daßman ihm ein, wenn auch noch so kleines Gefolgestellte, dann aber reichte er Hans Joachim, den erschon von früher her kannte, freundlich die Hand.

Wenig später erfolgte die Fahrt zum Schloß.Unmittelbar nach der Ankunft im Residenzschloßwurde Seine Durchlaucht von der Prinzessin Renain Gegenwart der Frau Oberhofmeisterin und ihrerHofdame empfangen und im Anschluß daran fandeine Frühstückstafel statt, an der außer den hohenHerrschaften auch noch einige Hofchargen, die Ad-jutanten und Hans Joachim teilnahmen.

Der Fürst hatte der Prinzessin Rena den Armgereicht und saß jetzt bei der Tafel neben ihr, währendzu seiner Linken der Herzog saß, neben dem wiederdie Frau Oberhofmeisterin ihren Platz hatte.

Hans Joachim selbst führte keine Dame, wohlaber saß er rechts neben Fräulein Ursula, die vondem Flügeladjutanten Seiner Hoheit geführt wurde.Er konnte von seinem Platz die Höchsten Herrschaftenauf das genaueste beobachten und da kam es ihm

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plötzlich so vor, als wenn Seine Durchlaucht, dersich in der angeregtesten Unterhaltung mit der Prin-zessin und dem Herzog befand, zuweilen heimlichund verstohlen zu Fräulein Ursula hinübersah,als frappiere ihn deren Schönheit, als habe er garnichterwartet, hier am Hofe einer derartigen Beautézu begegnen.

So leise und verstohlen die Blicke auch waren,Hans Joachim hatte sie doch bemerkt und auch derPrinzessin mußten sie aufgefallen sein, denn jetztsah sie zu Hans Joachim hinüber und winkte ihmmit ihren Augen zu, als wolle sie ihn fragen: „Hastdu es auch gesehen?”

Und während ihre Augen noch auf ihm ruhten,erhob sie ihr Glas und trank ihm heimlich zu.

„Ob wohl auch Fräulein Ursula es bemerkt hat,wie Ihre Erscheinung Seiner Durchlaucht gefällt?”dachte Hans Joachim. Mehr als einmal war er inVersuchung, sie darauf aufmerksam zu machen,aber er hielt es doch für besser, zu schweigen, bis erdann doch endlich zu ihr sagte: „Gnädiges Fräulein,erinnern Sie sich noch an den guten Rat, den ich Ihnendamals auf unserem ersten und leider auch letztengemeinsamen Spazierritt gab? Da sagte ich Ihnen,wir müßten beide tun, was wir könnten, damit derFürst nicht um Ihre Hoheit wirbt. Ich riet Ihnendamals, der Prinzessin zuliebe den Fürsten durchIhre Schönheit gefangen zu nehmen. Haben Sie sich

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das inzwischen überlegt und werden Sie, natürlichn u r der Prinzessin zuliebe, meine Worte be-folgen?”

Fräulein Ursula war ein klein wenig verlegengeworden. „Vielleicht, daß sie es doch gemerkt hat,wie sie dem Fürsten gefällt,” dachte Hans Joachimim stillen und so nahm er es denn nicht allzu ernsthaft,als sie jetzt erwiderte: „Fangen Sie schon wiedermit dem Unsinn an, Herr von Köttendorf? Ichkann keine Liebe heucheln, die ich nicht empfinde.Selbst wenn der Fürst mir gefallen sollte und ichgestehe offen ein, daß er nach meiner Überzeugungjeder Dame gefallen muß, trotzdem, ich sagte esIhnen schon einmal, wer da kommt, um die Handeiner Prinzessin zu erringen, der begnügt sich nichtmit der Hofdame.”

„Vielleicht doch,” wollte Hans Joachim erwidern,aber er schwieg auch diesesmal. Er konstatiertelediglich, daß die Antwort der Hofdame auch jetztviel weniger abweisend gewesen war, als er es er-wartet hatte. Fräulein Ursula sah den Fürstenheute ja auch nicht zum erstenmal. Schon bei seinemletzten Besuch am Hofe war sie ihm vorgestellt worden,vielleicht, daß sie damals schon an dem FürstenInteresse gewonnen hatte. Vielleicht, daß sie sichim stillen oft gewünscht hatte, eine Prinzessin zusein, wie er es sich wünschte, König zu werden, umder Prinzessin seine Liebe gestehen zu dürfen.

Und dann dachte er abermals an seine Liebe,

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bis endlich die Frühstückstafel aufgehobenwurde.

Behaglich seine Cigarre rauchend hielt SeineHoheit dann gemeinsam mit seinem Gast Cercleab und Hans Joachim fand nun endlich Gelegenheit,sich, wenn auch unauffällig, der Prinzessin zunähern. Er hatte sie meiden und sich fern von ihrhalten wollen, aber nun stand er ihr doch wiedergegenüber. Er tadelte sich selbst wegen seiner Schwächeund wegen seiner Inkonsequenz, aber er erfanddoch sofort wieder eine Entschuldigung. Nur noch einpaar Tage, dann sah er die Prinzessin überhauptnicht mehr, warum sollte er sich in dieser kurzenFrist, die er sich gesteckt hatte, nicht noch ihrer Gegen-wart erfreuen?

Und die Prinzessin begrüßte ihn mit so vielHerzlichkeit, daß ihm abermals ganz warm um dasHerz wurde und dann sagte sie zu ihm: „Ich habe indiesen Tagen so viel an Sie gedacht, nicht nur neulichAbend im Theater. Da allerdings tat ich es nurdeshalb, weil Sie mich darum gebeten hatten.”

„Wirklich nur deshalb, Hoheit?”Er wußte selbst nicht, woher er den Mut nahm,

die Frage an sie zu richten, aber er fragte dennoch.Mochte daraus folgen, was wolle, er mußte es ausihrem eigenen Munde hören, daß sie kein Spiel mitihm trieb, daß auch sie etwas für ihn empfand, wennes auch nur Mitleid darüber war, daß er kein Königsei.

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„Wirklich nur deshalb, Hoheit?” fragte er nocheinmal und so fest und forschend sah er ihr in dieAugen, daß sie nun doch etwas verlegen wurde. Abertrotzdem, was sie empfand, das verriet sie doch nicht,höchstens daß der Übermut, der aus ihren Augensprach, ihre Worte Lügen strafte, als sie nun zurAntwort gab: „Wirklich nur deshalb, Herr vonKöttendorf; ich wüßte wirklich nicht, warumsonst?”

Da machte er plötzlich ein so trauriges und ver-zagtes Gesicht, daß sie ihm am liebsten, um ihnwieder froh und heiter zu stimmen, zugerufen hätte:„Hans Joachim, du lieber, dummer Mensch, glaubstdu denn wirklich, was ich dir da sage, um dich einklein wenig zu necken und um es immer deutlicherund deutlicher zu sehen, w i e lieb du mich hast?”

Aber so durfte sie hier vor den anderen nichtzu ihm sprechen und so sagte sie denn jetzt, schnelldas Thema wechselnd: „Sie erinnern sich, Herrvon Köttendorf, daß ich Ihnen an dem Abend, alsSie Vortänzer wurden, erklärte, ich brauche einentreuen Freund am Hofe? Jetzt müssen Sie be-weisen, daß Sie mir dieser Freund geworden sind.Es ist auf meine Bitten hin geschehen, daß Sie zumEhrendienst bei Seiner Durchlaucht befohlen wurden.Ihre Aufgabe muß es nun sein, den Fürsten, wenndieser zu Ihnen über mich sprechen sollte, in meinemNamen darum zu bitten, nicht um meine Hand zuwerden, damit es ihm und auch mir erspart bliebe,

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ihm einen Korb geben zu müssen. Wollen Sie ihmdas sagen?”

„Ew. Hoheit können sich vollständig auf michverlassen,” gab Hans Joachim freudig erregt zurAntwort. „Nur noch eine Frage: Wenn SeineDurchlaucht zu wissen wünscht, warum Ew. Hoheitseine Zuneigung nicht erwidern, wenn er einenGrund wissen will, warum Ew. Hoheit ihn aus-schlagen, was soll ich da antworten?”

Eine ganze Weile stand die Prinzessin unschlüssigda. Sollte sie Hans Joachim die Wahrheit gestehen,durfte sie das, noch bevor sie mit ihrem Vater überihn gesprochen hatte? Bis sie dann doch endlich mitganz leiser Stimme sagte: „Erklären Sie SeinerDurchlaucht ― ― ― ich liebte einen anderen.”

Und ehe Hans Joachim, der wie in einem wahrenGlückstaumel dastand, der nicht wußte, ob er wacheoder träume ― ― ehe sich Hans Joachim nur wiederhatte fassen können, war die Prinzessin auf die Ober-hofmeisterin zugetreten und hatte sich an deren Seiteniedergelassen, gleichsam, als sei sie sicher, daß HansJoachim ihr dorthin am allerwenigsten folgen würde.Denn wenn sie als Prinzessinauch die Gabe besaß,mit der Oberhofmeisterin ruhig und unbefangenzu plaudern, als sei zwischen ihnen beiden nicht dasGeringste vorgefallen, Hans Joachim traute sich nichtin die Nähe der früheren Allmächtigen und wenner es auch nicht eine Sekunde bereute, sie gestürzt

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zu haben, so war es ihm doch peinlich und machteihn verlegen, mit ihr zusammenzutreffen.

Und doch wäre Hans Joachim ihr jetzt auch biszu der Frau Oberhofmeisterin gefolgt, wenn er ihr nurhätte folgen können. Aber er stand wie angewurzeltda. Immer wieder klangen die Worte der Prinzessinan sein Ohr: „Sagen Sie Seiner Durchlaucht, ichliebte einen anderen.”

Er mußte sich Gewalt antun, um sich zu be-herrschen, um nicht allen zu verraten, wie es in ihmaussah, denn er glaubte es zu wissen, wer dieserandere sei.

So war er denn froh, als die Höchsten Herr-schaften sich jetzt anschickten, sich in ihre Gemächerzurückzuziehen. Hans Joachim sehnte sich danach,mit sich und seinen wild auf ihn einstürmenden Ge-danken allein zu sein, aber vorläufig kam er nochnicht dazu, denn als er jetzt auf Seine Durchlauchtzutrat, um sich bei diesem danach zu erkundigen,ob der noch weitere Befehle für ihn habe, gab ihmder mit der größten Liebenswürdigkeit zur Antwort:„Von irgendwelchen Befehlen, Herr von Köttendorf,kann natürlich garnicht die Rede sein, aber ich wäreIhnen dankbar, wenn Sie mir noch in meinen Ge-mächern etwas Gesellschaft leisten wollten.”

Und als sie dort angekommen waren, nachdemsie eine lange Flucht von Zimmern durchschrittenhatten, deren Türen sich auf eine beinahe geheim-nisvolle Art und Weise vor ihnen öffneten, sagte

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der Fürst, nachdem er Hans Joachim durch einefreundliche Handbewegung eingeladen hatte, ineinem der hohen, zwar etwas unbequemen, abersehr schönen alten, geschnitzten Lehnstühlen Platz zunehmen: „Ich möchte zunächst nochmals meinerVerwunderung darüber Ausdruck geben, daß SeineHoheit es in seiner gnädigen Gesinnung für nötigbefunden hat, mir in Ihrer Person einen Ehren-dienst zu stellen, der doch eigentlich nur den An-gehörigen der regierenden Häuser zusteht. Daßich persönlich sehr erfreut darüber bin, gerade inIhnen für die Tage meines Hierseins einen mir schonvon früher her als äußerst charmant bekannten Kame-raden zur Gesellschaft erhalten zu haben, braucheich wohl nicht erst zu erwähnen. Es tut mir sehr leid,daß ich mich Ihnen gegenüber dafür nicht erkennt-lich zeigen kann, daß Sie mir Ihre Gesellschaft widmen.Ich kann Ihnen ja nicht einmal irgend eine Aus-zeichnung verleihen, nicht einmal den allerkleinstenOrden,” um dann belustigt fortzufahren: „Wennich Ihnen aber eine gute Zigarre anbieten darf,dann bitte nehmen Sie die und lassen Sie uns bei derZigarre gemütlich zusammen plaudern.”

Und als die Zigarren brannten, plauderte derFürst in der ihm eigenen leichten und amüsantenArt über tausend Dinge, aber es war trotzdem eigent-lich mehr ein Fragen. Und Hans Joachim merktees Seiner Durchlaucht an, daß die bisher gestelltenFragen gewissermaßen nur eine Einleitung waren,

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um durch diese in möglichst unauffälliger Weise aufdie Hauptsache zu kommen. Und die würde ent-weder Prinzessin Rena oder Fräulein Ursula heißen.

So kam es denn auch, wenn auch in etwas an-derer Art, als Hans Joachim gedacht hatte, dennSeine Durchlaucht sagte plötzlich: „Ich möchte ganzoffen und ehrlich gegen Sie sein, Herr von Kötten-dorf, und Sie bitten, mich über eine Sache auf-zukären, die ich mir allein nicht zu deuten vermag.Und wenn ich mich deswegen gerade an Sie wende,dann geschieht es, weil ich bei dem Frühstück undauch hinterher bemerkt zu haben glaube, daß Siebei den Höchsten Herrschaften sehr gut akkreditiertsind und daß namentlich die Prinzessin Ihnen sehrwohl geneigt ist. Ja, wenn ich ganz indiskret sein will,muß ich sagen: Ich habe es sogar bemerkt,daß Ihre Hoheit die Gnade hatten, Ihnen heimlichzuzutrinken. Bitte, bitte,” setzte er lächelnd hinzu,„Sie haben gar keine Ursache, rot zu werden, icherwähnte das auch nur, um Ihnen damit zu sagen,daß Sie nach meiner Ansicht bei Hofe großes Ver-trauen genießen, daß Sie mehr sind als lediglichder offizielle Vortänzer bei Hofe. Prinzessin Renaerzählte mir, als wir bei der Frühstückstafel vonIhnen sprachen, daß Sie dieses Amt bekleiden. Undnach dieser etwas sehr langen Einleitung möchteich Sie, natürlich im Vertrauen auf Ihre absoluteDiskretion fragen: Was ist hier am Hofe meinemBesuch vorangegangen?”

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Und als Hans Joachim etwas betroffen auf-blickte und nicht gleich die richtige Antwort zu findenwußte, fuhr der Fürst fort: „Ich will mich etwasnäher erklären. Seine Hoheit hat mich mit dergrößten Liebenswürdigkeit, aber fast möchte ich sagen,zugleich auch mit einer gewissen Verlegenheit be-grüßt. Das war auch bei der Prinzessin der Fallund die Frau Oberhofmeisterin hat sich eigentlichnur damit begnügt, vor mir in Ergebenheit zu er-sterben. Gewiß, der Empfang, den man mir be-reitete, war sehr liebenswürdig, aber auch nicht mehr.Ich gestehe offen ein, daß das auch mich meinerseitsin eine gewisse Verlegenheit versetzte, denn nachdem, was der Erbherzog mir erzählte, mußte iches erwarten, hier, wie man so sagt, mit offenenArmen an die Brust gedrückt zu werden. Der Erb-herzog konnte nicht genug Worte finden, um mir zuschildern, wie der Hof sich auf mein Kommen freue.Er redete mir auch auf das lebhafteste zu, meineReise nicht zu verschieben, obgleich er selbst durchden bedauerlichen Unfall ja verhindert wurde, michzu begleiten. Er sprach mir davon, wie die Prin-zessin sich freue, mich wiederzusehen, er erzähltemir von der unendlichen Liebenswürdigkeit derFrau Oberhofmeisterin, nur eins erwähnte er gar-nicht, die in meinen Augen geradezu auffallendschöne Hofdame Fräulein von Rengwitz. Und dochweiß der Erbherzog sehr genau, wie ich für schöne,junge Damen schwärme und wie ich schon längst

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auf der Suche nach einer wirklichen Schönheit bin,um meinem Junggesellenleben ein Ende bereitenzu können. Ich kenne das gnädige Fräulein ja schonvon früher her, muß aber offen gestehen, daß Fräu-lein von Rengwitz mir damals garnicht so aufge-fallen ist. Die hat sich in der Zwischenzeit ja in einergeradezu faszinierenden Weise zu ihrem Vorteilverändert. Ich war mehr als erstaunt, hier einesolche Beauté zu finden. Die müßte nach Berlin,die würde selbst am dortigen Hofe Sensation er-regen, statt dessen vertrauert sie ihr Leben hier inder kleinen Residenz. Ich bin von der jungen Damegeradezu enchantiert und hoffe, Gelegenheit zufinden, ihr das sagen und beweisen zu können.”Seine Durchlaucht blickte mit seinen hübschen hell-braunen Augen ganz entzückt vor sich hin, währendzugleich ein leises Lächeln seinen feingeschnittenenMund, den ein nach der englischen Mode kurz ge-schnittener Schnurrbart schmückte, umspielte.

Dann aber meinte er plötzlich: „Wir kommenvon dem Hauptthema ab und da wiederhole ich:So liebenswürdig der mir zuteil gewordene Empfangauch immer war, er war doch nicht annähernd so,wie der Erbherzog ihn mir im voraus geschilderthatte. Ich kann mir die gewisse Zurückhaltung,die man mir zeigt, nicht erklären, denn daraus, daßich allein , ohne den Erbherzog komme, kann manmir doch keinen Vorwurf machen. Es muß alsoinzwischen bei Hofe etwas vorgefallen sein, das

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gegen mich spricht und ich wäre Ihnen aufrichtigdankbar, wenn Sie mich darüber aufklären wollten,vorausgesetzt natürlich, daß Sie das können.”

„Können könnte ich das schon,” meinte Hans Joachim unwillkürlich.

Seine Durchlaucht lachte fröhlich auf: „Dannalso nur heraus mit der Sprache.”

Aber Hans Joachim schwieg trotzdem noch eineganze Weile. Die Worte Seiner Durchlaucht hattenihm ja zur Genüge bewiesen, daß er selbst garnichtdaran dachte, um die Hand der Prinzessin zu werben,daß der Wunsch, Seine Durchlaucht möchte sich indie Prinzessin verlieben, lediglich bei dem Erbherzogbestand und daß der gehofft haben mochte, dieSchönheit seiner Schwester würde in Gemeinschaftmit der Tätigkeit der Frau Oberhofmeisterin alsHeiratsvermittlerin dahin führen, daß der Fürstum die Hand der Prinzessin anhielt. Seine Durch-laucht ahnte nichts davon, daß und weshalb er diePrinzessin heiraten sollte. Aber wie sollte er ihmdas erklären?

„Ich bitte Sie, ganz offen gegen mich zu sein,”erklang da die Stimme Seiner Durchlaucht. „Ichsehe es Ihnen an, daß es Ihnen peinlich ist, mir dassagen zu müssen, was Sie beschäftigt, aber geradedeshalb muß ich alles wissen.”

Das sah Hans Joachim denn schließlich auch einund so sagte er: „Wenn Ew. Durchlaucht es dennwissen wollen ― ― ― man glaubte hier, daß Ew.

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Durchlaucht lediglich kämen, um die Hand der Prin-zessin zu gewinnen, und man sah dem Besuch Ew.Durchlaucht deshalb mit einem gewissen Zögernentgegegn, weil Ihre Hoheit, die Prinzessin, sich nochnicht darüber einig ist, ob sie den Antrag Ew. Durch-laucht wird annehmen können.”

Das letzte war nach Hans Joachims Ansichtsehr diplomatisch ausgedrückt, aber Seine Durchlauchtschien die letzten Worte garnicht gehört zu haben.Sichtbar auf das allerpeinlichste berührt, sah erHans Joachim mit großen, beinahe entsetzten Augenan, während sich seine Wangen, wohl aus Verlegen-heit, dunkelrot färbten. Dann aber fragte er: „Wassagen Sie da? Ich sollte die Absicht haben, mich umdie Prinzessin zu bewerben? Ich gebe Ihnen meinEhrenwort darauf, der Gedanke ist mir noch niemalsgekommen, auch heute nicht. Die Prinzessin ist eineaußerordentlich liebenswürdige, charmante jungeDame, gewiß werden sehr viele sie auch außer-ordentlich hübsch finden, obgleich sie in meinenAugen den Vergleich mit Fräulein von Rengwitzauch nicht annähernd aushält ― ― ― aber darumhandelt es sich jetzt ja nicht, sondern nur darum:Wie konnte ein solches Gerücht entstehen und vorallen Dingen, wie konnte man das bei Hofe auchnur einen Augenblick glauben?”

Aber die Antwort auf diese beiden letzten Fragenblieb Hans Joachim wirklich schuldig. Das brachteer denn doch nicht fertig, Seiner Durchlaucht zu

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erklären, aus welchem Grunde der Erbherzog seineSchwester mit dem reichen Freunde habe verheiratenwollen.

Vielleicht aber hätte Hans Joachim dennochsprechen müssen, wenn nicht in diesem Augenblickder Kammerdiener Seiner Durchlaucht in das Zimmergetreten wäre, um ihm ein Telegramm zu über-bringen: „Ew. Durchlaucht würde ich nicht zu störengewagt haben, aber es handelt sich um eine dringendeDepesche und da glaubte ich ― ―”

„Schon gut, schon gut.” Mit einer ungeduldigenHandbewegung nahm Seine Durchlaucht das Tele-gramm entgegen, um es dann zu öffnen, nachdemer sich deswegen bei Hans Joachim entschuldigt undnachdem er dem Kammerdiener ein Zeichen gegebenhatte, sich wieder zu entfernen.

Und die Depesche mußte eine sehr frohe Nach-richt enthalten, denn Seine Durchlaucht machteein ganz glückliches Gesicht, während er zugleich un-willkürlich ein paarmal „Gott sei Dank, Gott seiDank” vor sich hin sagte. Und als sei er Hans Joachimeine Erklärung schuldig, setzte er hinzu: „Ich habein Berlin einen mir sehr lieben Freund, der mirsoeben mitteilt, daß es ihm endlich gelungen ist,im Jeu einen g a n z großen Coup zu landen. Erhat eine so bedeutende Summe gewonnen, daß esihm möglich ist, alle seine Verbindlichkeiten einzu-lösen. Was mich persönlich aber dabei erfreut, istdaß der Kamerad nun nie wieder spielen wird. Er

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hat es mir mit seinem Ehrenwort als Offizier ver-sprochen, nie wieder eine Karte anzurühren, sobaldihm endlich einmal das Glück hold gewesen seinsollte. Das war nun der Fall und ich bin darüberso erfreut, daß ich für den Augenblick ganz vergaß,was Sie mir da mitteilten.”

Bis Seine Durchlaucht dann plötzlich wie elek-trisiert von seinem Stuhl aufsprang und mit ganzerregten Schritten auf und ab ging, während er halb-laut vor sich hin sagte: „Das ist nicht hübsch von demErbherzog, das ist nicht hübsch, das Jeu, das dreimalverdammte und verfluchte Jeu.”

Und dann vor Hans Joachim stehen bleibend,fragt er: „Nicht wahr, ich habe den Zusammenhangerraten? Diese Depesche hat mir die Augen ge-öffnet. Ich will es Ihnen nicht länger verschweigen,sie kommt von dem Erbherzog. Ich habe sein Ehren-wort, daß er nicht mehr spielt. Seinem Vater gaber lediglich ein Versprechen, darüber setzte er sichhinweg, aber sein Ehrenwort wird und muß erhalten, dafür verbürge ich mich. Es war die höchsteZeit, daß er sich rangierte, er saß verdammt imSchlammassel, auch bei mir. Sie dürfen mich nichtindiskret schelten, wenn ich das verrate, aber ichmußte es sagen, denn nicht wahr, der Erbherzoghat es gewünscht, daß ich die Prinzessin heirate,weil er geglaubt hat, dadurch seine Schulden beimir los zu werden? Nicht wahr, so ist es?”

„Wenigstens so ähnlich, Ew. Durchlaucht,” stimmte

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Hans Joachim dem Fürsten bei, „nur, daß SeineHoheit angab, Ew. Durchlaucht interessierten sichfür die Prinzessin.”

Wieder ging Seine Durchlaucht erregt auf undab, bis er dann abermals stehen bleibend sagte: „Dasist nicht hübsch von dem Erbherzog und ich finde fürsein Verhalten die einzige Entschuldigung in seinenSpielschulden. Der Erbherzog ist ein so charmanter,liebenswürdiger Mensch, ein Ehrenmann im bestenSinne des Wortes vom Wirbel bis zur Sohle. Nurdem Spiel war er verfallen. Ich kenne ihn, er wirdselbst mehr als froh sein, daß er es nun nicht mehrnötig hat, die Karten anzurühren. Ich wußte, daßgestern Abend ein großes Jeu in der Wohnung desErbherzogs geplant war. Das scheint sich bis inden späten Morgen hinein ausgedehnt zu haben,sonst hätte ich die Depesche wohl schon eher erhalten.”

Dann aber plötzlich das Thema wechselnd, fuhrer fort: „Der Erbherzog hat mich durch sein unüber-legtes Verhalten und durch das, was er dem Hofmitteilte, den hiesigen Hohen Herrschaften gegen-über in die allerpeinlichste Situation gebracht. Ichwage es kaum, der Prinzessin noch gegenüberzu-treten. Was muß die von mir denken, wenn sie glaubt,ich hätte gehofft, sie mir dadurch geneigt zu machen,daß ich gewissermaßen die Summe, die der Erbherzogmir schuldet, gegen sie ausspielen wolle? Die Prin-zessin muß sobald wie irgend möglich erfahren, daßich von den Wünschen und den Plänen des Erbherzogs

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bis zu dieser Stunde keine Ahnung hatte. WollenSie die Liebenswürdigkeit haben, sie darüber auf-zuklären? Ich selbst kann es ihr unmöglich sagen,denn das wäre für die Prinzessin wie für mich ingleicher Weise peinlich. Wollen Sie bitte mein Ver-mittler sein? Ich wäre Ihnen dafür ganz außer-ordentlich dankbar, auch wenn sie es baldmöglichsttäten, schon damit die Prinzessin über alles unter-richtet ist, wenn ich mit den Höchsten Herrschaftenheute Abend bei der Tafel zusammentreffe.”

Hans Joachim beeilte sich, Seiner Durchlauchtzu erklären, daß er sehr gern bereit sei, den ihm ge-wordenen Auftrag auszuführen, und während SeineDurchlaucht noch mit Hans Joachim im Gesprächzusammensaß, um möglichst genau den Wortlautdessen festzustellen, was Hans Joachim der Prin-zessin im Namen Seiner Durchlaucht, des Fürsten,erklären solle, saß Prinzessin Rena bei ihrem Vaterin dessen Arbeitszimmer.

Als Seine Hoheit nach beendetem Cercle sichin seine Gemächer zurückzog, hatte er die Prinzessingebeten, ihn noch für einen Augenblick zu begleiten,und die Prinzessin war ihm gefolgt, noch unterder Nachwirkung des kurzen Gespräches, das siemit Hans Joachim führte und in dem sie eingestand,daß sie einen anderen als den Fürsten liebe. Sieglaubte zu wissen, weshalb der Herzog noch mitihr zu sprechen wünsche, aber sie war fest entschlossen,ihre Liebe zu Hans Joachim nicht zu verleugnen.

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Und es war wie sie vermutete. Seine Hoheitbrachte das Gespräch, als er mit der Prinzessin alleinwar, sofort auf den Fürsten: „Du mußt mich rechtverstehen, mein Liebling, ich will absolut keinenZwang auf dich ausüben, du sollst dir deinen späterenMann nach freiem Ermessen wählen. Ich betoneauch ausdrücklich, daß ich absolut nicht von dem be-einflußt bin, was die Frau Oberhofmeisterin mirin der letzten Zeit klar zu machen versuchte, daß dukeinen besseren und geeigneteren Mann findenkönntest, als Seine Durchlaucht. Auf das, was IhreExzellenz sagt, lege ich gar keinen Wert, schon des-halb nicht, weil die Frau Oberhofmeisterin uns janun verlassen wird. Fast hätte ich gesagt „leider”.Gewiß, es war nicht immer leicht, mit ihr auszu-kommen, und namentlich du, mein liebes Kind, wirstoft unter ihren Launen und unter ihrer Herrschsuchthaben leiden müssen, aber trotzdem, man hatte sichdoch schließlich bis zu einem gewissen Grade an ihreEigenart gewöhnt. Nun wird eine neue kommen.Du hast die Bitte geäußert, die Tante deiner Hof-dame möchte die Nachfolgerin der Gräfin werden.Ich füge mich ganz dem, was du dir wünschst, abertrotzdem wäre es mir, offen gestanden, noch lieber,wir könnten fortan ohne eine Oberhofmeisterin leben.Auch schon deshalb möchte ich dich nochmals fragen:Kannst du dich wirklich nicht entschließen, jetzt oderspäter Seiner Durchlaucht die Hand zu reichen?Ich habe ihn mir heute nochmals daraufhin ange-

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sehen, ob er mir als Schwiegersohn willkommenwäre, und ich kann nur sagen, ich finde nicht dasGeringste an ihm auszusetzen. Ebenso vornehm undbestechend wie sein Äußeres ist die Vornehmheitseiner Gesinnung und die Ehrenhaftigkeit seinesCharakters. Seinen enormen Reichtum und seinegroßen Besitzungen erwähne ich absichtlich nicht,denn unser Haus ist reich genug, um dir selbst danneinen deinem Stande angemessenen Hofstaat zuhalten, wenn du jemals einen mittellosen Fürstenheiraten solltest, der selbst über keine nennenswerteApanage verfügt. Wie gesagt, mein liebes Kind,du sollst ganz frei entscheiden, aber trotzdem bitteich dich, überlege es dir noch einmal in aller Ruhe,ob du dich nicht vielleicht doch entschließen kannst,dem Fürsten dein Jawort zu geben.”

Aber anstatt dem Vater zu versprechen, seineWorte wenigstens in Erwägung zu ziehen, schütteltesie nur den Kopf und kniete gleich darauf vor ihremVater, der in einem hohen Lehnstuhl Platz genom-men hatte, nieder, um dessen herabhängende Rechtevoller Liebe und Zärtlichkeit zu streicheln und zuküssen.

Ganz überrascht blickte Seine Hoheit auf seinKind, er konnte sich dessen Benehmen nicht erklärenund so fragte er denn: „Was ist dir, Rena? Willstdu mich etwa kniefällig bitten, dir nicht mehr zu-zureden, daß du den Fürsten erhörst? Dessen be-darf es wahrlich nicht. Du weißt, ich bin dir immer

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ein guter, liebevoller Vater gewesen, du mein liebesKind, stehst meinem Herzen besonders nahe, dawerde ich es doch nicht wollen, daß du unglücklich wirst.Dann ist die Angelegenheit erledigt und ich ver-spreche dir, nie wieder darauf zurückzukommen.Nun aber steh' auf.”

Aber die Prinzessin blieb noch vor ihrem Vaterknieen, um dann ganz plötzlich mit ganz leiser Stimmezu sagen: „Du bist immer so gut zu mir gewesen,Papi, du bist es auch heute und wenn du es auchnicht von mir verlangst, so will ich dir trotzdem frei-willig sagen, warum ich deinen Wunsch nicht erfüllen,warum ich den Fürsten nicht erhören kann. Dudarfst mir aber deswegen nicht böse sein, Papi,denn ich kann nichts dafür. Ich habe dagegen an-gekämpft, nein, Papi, das ist nicht wahr, ich habemich garnicht dagegen gesträubt, denn es war soschön und so süß und es machte mich so glücklich,ach, Papi, was habe ich früher davon gewußt, wasLiebe ist.”

Mit immer größerem werdendem Erstaunen hatteSeine Hoheit den Worten seiner Tochter gelauschtund als die nun schwieg, saß er noch eine ganze Weilenachdenklich da, als müsse er sich erst klar machen,was er eben zu hören bekommen hatte. Dann aberfragte er: „Du hast die Liebe kennen gelernt,Rena?Du kannst dem Fürsten nicht Dein Jawort geben,weil dein Herz einem anderen gehört? Ja, aberwer ist denn nur dieser andere? Es ist doch schon

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so lange her, daß ein Fürst oder ein Prinz bei unsam Hofe zu Gast war. Ich stehe da vor einemRätsel, das nur du mir erklären kannst, und ich mußdich schon bitten, mir den Namen dieses anderenzu nennen.”

Auch diese Worte Seiner Hoheit hatten liebevoll,gütig und freundlich geklungen, aber trotzdem, alsdie Prinzessin nun den Namen des Geliebten nennensollte, da kauerte sie doch einen Augenblick ängstlichin sich zusammen, bis sie dann plötzlich aufsprangund sich aufrecht vor ihren Vater hinstellte. Nichtwie eine Sünderin wollte sie ihre Liebe eingestehen,sondern offen und frei, und so sagte sie denn jetzt:„Ja, Papi, du sollst es wissen, wer es ist, selbst aufdie Gefahr hin, daß du mich schiltst oder mir fürimmer zürnst. Erinnerst du dich noch, daß ich direinmal sagte, ich würde nur einen Mann heiraten,den ich noch lieber hätte als dich, Papi, oder wenigstensebenso lieb? Nun habe ich ihn gefunden, es ist unserVortänzer, Hans Joachim von Köttendorf.”

Aber wenn die Prinzessin im stillen gefürchtethatte, Seine Hoheit würde nun zornig aufbrausenund die Zornesader auf seiner Stirn würde an-schwellen, dann hatte sie sich geirrt. Für einen Augen-blick hatte sich die hohe, schlanke Gestalt des Herzogswohl noch etwas höher aufgerichtet, aber nun wardie wieder in sich zusammengesunken und den Kopfauf die rechte Hand gestützt, die auf der Lehne seinesSessels ruhte, blickte er lange schweigend vor sich

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hin, bis er dann endlich sagte: „Also doch, Rena!Ich will es dir offen eingestehen, mein liebes Kind,ich habe es nicht erwartet, daß es so kommen würde,aber ich habe es zuweilen befürchtet. Ich habe eswohl bemerkt, welchen Gefallen du an dem Vor-tänzer fandest und mehr als einmal wollte ich dichwarnen: Treibe das Spiel nicht zu weit, hüte dich,damit dein kleines Herz nicht Feuer fängt. Ichschwieg, weil ich dich nicht auf die Gefahr aufmerk-sam machen wollte, die dir drohte, weil ich dachte,du würdest ihr dann umso leichter entgehen. Nunsehe ich zu spät ein, daß ich doch besser getan hätte,dich zu warnen, daß es meine Pflicht gewesen wäre,dir die Augen zu öffnen. Jetzt ist es zu spät.Aber was nun?”

Wieder kniete die Prinzessin vor ihrem Vaterund bat mit erhobenen Händen: „Was nun, Papi?Wenn du mich wirklich lieb hast, Papi, und ich weiß,daß du mich lieb hast, dann gib ihn mir zum Mann.”

Nun versuchte Seine Hoheit doch aufzuspringenund deutlich hörte die Prinzessin ihm seine Erregungan, als er ihr zurief: „Du denkst wirklich allen Ernstesdaran, ihn zu heiraten? Du, die Tochter eines re-gierenden Herzogs, einen einfachen Leutnant, dernur ein „von” vor seinem Namen trägt.”

„Ist das alles, was du gegen Hans Joachim ein-zuwenden hast?” fragte die Prinzessin glücklich,„ist es nur sein Name? Liegt es nicht in deiner Macht,ihm einen anderen zu verleihen, kannst du ihn nicht

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jeden Augenblick in den Grafenstand erheben, wenndu glaubst, daß er dadurch meiner würdiger wird?”Und dann setzte sie hinzu: „Ist es denn ein Verbrechen,Papi, wenn man in unseren Kreisen jemanden liebt,der unter uns steht, tust du das nicht auch?”

Seine Hoheit zuckte wie von einem Pfeil ge-troffen in sich zusammen. Niemals hatte er ausseinen kleinen Liebesaffären ein Geheimnis gemacht,aber mit aller Ängstlichkeit hatte er sie vor seinerTochter gehütet. Sein Kind, sein reines, unver-dorbenes Kind durfte nichts von seinen Abenteuernwissen, auch seinetwegen nicht, damit er ihr jederzeitin die Augen blicken konnte, ohne vor ihr errötenzu müssen. Nun schien sie doch etwas von den ge-heimnisvollen Besuchen zu wissen, die er zuweilenschönen Damen abstattete, oder die er in später Abend-stunde in seinem Schlosse empfing. Wer konnte ihretwas davon verraten haben? Wer war so taktlos,ja, noch mehr, wer war so grausam gewesen, diereine Seele seines Kindes durch solche Geschichtenzu vergiften? Zum erstenmale fühlte er sich heuteseiner Tochter gegenüber schuldig, aber gerade des-halb mußte er sich nach Kräften verteidigen, jedeSchuld von sich abzuwälzen versuchen.

Aber seine Stimme klang anscheinend doch nurverwundert und erstaunt, als er nun sagte: „Wassprichst du da, mein Kind, auch ich liebte untermeinem Stande?”

Mit reinen Kinderaugen sah sie zu ihm auf,

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während zugleich ein leises schelmisches Lächelnihren Mund umspielte, dann sagte sie: „Papi, glaubstdu wirklich, ich wüßte nicht, daß du in die hübscheSchauspielerin verliebt bist? Meinst du, ich hättees nicht bemerkt, wie du im Theater keinen Blickvon ihr abwendest und wie du ein ganz glücklichesGesicht machst, wenn Fräulein Verden nur für dichspielt? Und hältst du mich für so dumm, Papi, daßes mir nicht aufgefallen wäre, wie warm und wieherzlich deine Stimme klingt, wenn du dich bei derFrühstückstafel oder abends bei dem Diner mit miroder mit deinen Adjutanten über Fräulein Verdenunterhältst, sei es, weil diese am Abend vorherspielte, oder weil du dich darauf freust, sie bald wiederspielen zu sehen?” Und nach einer kleinen Pausefuhr sie mit weicher Stimme fort: „Weißt du wohl,Papi, daß ich auf die hübsche Schauspielerin ofteifersüchtig gewesen bin, weil ich dachte, sie könntemir deine Liebe rauben, und weil ich manchmalsogar glaubte, du hättest sie so lieb, Papi, daß dusie heiraten würdest, wenn du nicht ein Herzog wärest.Und oft hast du mir beinahe leid getan, d a ß duein Herzog bist und daß du sie nun nicht heiratenkannst.” Und sich voller Liebe an ihn schmiegend,sagte sie zärtlich: „Mein armer Papi.”

Seiner Hoheit hatte bei den ersten Worten seinerTochter das Herz ganz gewaltig geschlagen, bis erdann schließlich zu seiner Beruhigung einsehen mußte,daß sein Kind glaubte, es handle sich lediglich um

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eine Herzensneigung, die er für die Künstlerinempfände. Aber als dann die Prinzessin ihm erklärte,er täte ihr leid, weil er als Herzog die Geliebte nichtheiraten könne, da schlug sein Herz abermals. Erschämte sich vor seinem Kind, nicht, weil die Schau-spielerin seine Geliebte war, sondern weil er unterdem Einfluß, den diese auf ihn ausübte, zu wieder-holten Malen sehr ernstlich den Plan erwogen hatte,sich die Geliebte, wenn auch natürlich zur linkenHand, antrauen zu lassen.

Aber als er nun in das unschuldsvolle Gesichtseines Kindes sah, als er aus ihrem Munde hörte,wie leid er ihr tat, aber auch, wie sie zuweilen ge-fürchtet hatte, die Schauspielerin möchte ihr seineLiebe rauben, da wurde ihm eigentlich erst ganzklar, was er zu tun beabsichtigt hatte. Und aus Liebezu seinem Kinde schwur er sich jetzt im stillen, niewieder daran zu denken, Fräulein Verden zu heiraten.Er durfte das nicht, die Prinzessin würde es nichtverstehen, es niemals begreifen, daß er als Herzogeine Künstlerin zu seiner Gemahlin machte. Nurer allein wußte es ja, wie sehr die es oft darauf an-gelegt hatte, ihn derartig in ihre Gewalt zu bekommen,daß er nur sie liebe, daß sogar seine Kinder ihr gegen-über zurücktreten sollten.

Latet anguis in herba, die Schlange lauert imGrase. Aus der Jugendzeit fiel ihm dieses alte Wortwieder ein. Aber lieber wollte er der Schlangenoch beizeiten den Kopf zertreten, als daß er ihrem

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tödlichen Gift unterlag. Er fühlte sich plötzlich frei,erlöst von den vielen Zweifeln, die ihn in den letztenWochen gequält und beunruhigt hatten. Sein Kindhatte ihm ganz unbewußt die Augen geöfnet undso zog er denn jetzt die Prinzessin voller Liebe an sich.

Die jubelte glückselig auf: „Papi, mein geliebtesPapi, darf ich das dahin deuten, daß du mir erlaubst,ihn zu heiraten?”

Mit den eigenen Gedanken viel zu sehr beschäftigt,hatte er im Augenblick das, was seine Tochter ihmgestand, völlig vergessen. Jetzt erst bei ihrer Fragefiel es ihm wieder ein. Durfte und konnte er ihrenWunsch erfüllen? Durfte er es zugeben, daß sie soweitunter ihrem Stande heiratete? Bis es ihm dannabermals einfiel, daß doch auch er dasselbe hatte tunwollen. Aber wie e r jeden derartigen Gedankenfür immer aufgegeben hatte, so mußte das auch diePrinzessin tun. Aber als er nun in ihr süßes, kleinesGesicht sah, als er in ihre schönen, großen Augenblickte, die mit so viel Liebe, aber auch mit so vielAngst und Unruhe auf ihm weilten, da wurde ihmweich um das Herz, da brachte er eine ablehnendeAntwort doch nicht über seine Lippen. Er hattedoch nur diese eine Tochter und die war sein Lieb-ling und sein Verzug.

Trotzdem saß er noch eine ganze Weile unschlüssigda, bis er dann endlich fragte: „Hast du deinen HansJoachim denn wirklich so lieb und wirst du ihn auchspäter lieb behalten, wenn du erst seine Frau bist,

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wenn du dann auf manches verzichten mußt, weildu nicht mehr eine Prinzessin, sondern lediglich eineAdlige bist, die keinen Hofstaat mehr hat, nicht ein-mal mehr eine Oberhofmeisterin?”

Die letzten Worte waren natürlich nur ein Scherzgewesen, denn der Herzog wußte ja, wie sein Kindsich oft danach gesehnt hatte, ohne eine Oberhof-meisterin leben zu dürfen. So lachte denn auchjetzt die Prinzessin hell und fröhlich auf: „Ach, duüber alles geliebtes Papi, muß ich dir erst sagen,wie froh ich bin, daß ich nun o h n e eine solcheExzellenz leben kann?” um dann übermütig fortzu-fahren: „Weßt du wohl, Papi, daß ich oft darübernachdachte, wie ich es anfangen könne, um meineOberhofmeisterin für alle Zeiten los zu werden?Vielleicht habe ich mich nur deshalb in Hans Joachimverliebt, nein, deshalb doch nicht, Papi. Warumich ihn liebe, weiß ich selbst nicht, aber ich liebe ihnüber alles und ich werde nie aufhören, dir zu danken,daß du so gut zu mir bist.”

Voller Glückseligkeit warf sie sich an seine Brustund küßte und küßte ihn, bis Seine Hoheit sich dannlachend von ihr losmachte: „So, kleine Rena, nunist es aber wirklich genug, du erstickst mich ja undvor allen Dingen muß ich nun ein ernstes Wortmit deinem Hans Joachim sprechhen und den nocheinmal auf Herz und Nieren prüfen, ob er auchwirklich würdig ist, daß du ihn heiratest.”

Wieder lachte die Prinzessin fröhlich auf, dann

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rief sie: „Ja, tu das nur, Papi, prüfe ihn so genau,wie du willst, ich weiß schon jetzt, daß er das Examenmit höchster Belobigung bestehen wird. Aber ehedu ihn dir rufen läßt, Papi, gönne ihn mir noch einenAugenblick, damit ich ihm sagen kann, daß ich ihnliebe und wie er mich liebt.”

Nun lachte der Herzog seinerseits fröhlich auf:„Potzblitz, das weiß er noch garnicht? Und da bittestdu mich schon um Erlaubnis, ihn heiraten zu dürfen?Umgekehrt wäre es eigentlich richtiger gewesen.Dann wird es aber wirklich die höchste Zeit, daß eralles erfährt, denn sonst gesteht ihm vielleicht eineandere ihre Liebe und du hast das Nachsehen.”

Aber die Prinzessin schüttelte den Kopf: „Nein,Papi, seiner Liebe bin ich sicher und wenn auchtausend andere ihm sagen würden, daß sie ihn lieben,― er hat keinen anderen Gedanken als nur mich.”

Noch einmal schloß sie ihren Vater stürmisch indie Arme, dann begab sie sich, so schnell sie nur konnte,in ihre Gemächer zurück. Sie mußte sich Gewaltantun, um nicht zu laufen und um nicht durch denlangen Gang dahin zu stürmen. Aber das durftesie nicht. Jemand von der Dienerschaft konnte ihrbegegnen und was sollten die Leute dann von ihrdenken? Noch war sie doch eine Prinzessin.

Erst als sie ihre Gemächer wieder erreicht hatte,dachte sie darüber nach, wie sie es anfangen solle,Hans Joachim sofort zu sprechen. Wen konnte siezu ihm schicken? Abermals ihre Kammerfrau? Aber

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jetzt am hellen Tage? Oder einen Adjutanten ihresVaters?

Die Prinzessin überlegte noch, als die Hofdame,Fräulein Ursula, bei ihr eintrat, um ihr zu melden,daß Hans Joachim schon seit längerer Zeit in demVorzimmer auf die Rückkehr der Prinzessin warteund um eine sofortige Audienz bitten lasse, da erim Auftrage Seiner Durchlaucht Ihrer Hoheit einewichtige Mitteilung zu überbringen habe.

Was konnte die enthalten? Für einen Augenblicküberfiel sie die Furcht, der Fürst könne trotz ihrerWeigerung, die sie ihm durch Hans Joachim hattemitteilen lassen, darauf bestehen, um ihre Hand zuwerben. Vielleicht, daß er hoffte, in einer münd-lichen Aussprache ihren Entschluß ändern und sieumstimmen zu können. Eine leise Angst überfielsie. Sollte ihr wirklich das Peinliche nicht erspartbleiben, dem Fürsten einen Korb geben zu müssen?

Und diese Gedanken beschäftigten sie so, daß diesie ganz allein beherrschten, als sie gleich daraufHans Joachim in Gegenwart ihrer Hofdame empfing.Aber auf den ersten Blick sah sie, daß Hans Joachimeine frohe Botschaft brachte. So glücklich hättenseine Augen nicht geleuchtet, wenn er gekommenwäre, um im Namen des Fürsten um ihre Hand zuwerben.

Trotzdem aber sagte sie jetzt: „Sie kommen vondem Fürsten, Herr von Köttendorf? SprechenSie ruhig in Gegenwart von Fräulein Ursula, es

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müßte denn sein, daß das, was Sie mir zu sagenhaben, lediglich für mich ganz allein bestimmt ist.”

„Das allerdings, Hoheit,” stimmte Hans Joachimihr bei, denn es war seine feste Überzeugung, daßselbst die Hofdame es nicht zu wissen brauche, wieder Erbherzog unter dem Druck seiner schlechtenfinanziellen Verhältnisse einen Dritten in seineHeiratsprojekte hineingezogen hatte, ohne daß dieserauch nur das Geringste davon wußte. Dann aberfuhr er fort: „Ich habe allerdings Ihrer Hoheit eineganz private und diskrete Mitteilung zu machen,aber Seine Durchlaucht hat mich auch ermächtigt,an Fräulein von Rengwitz ein paar Worte zu be-stellen, vorausgesetzt, daß ein glücklicher Zufall michmit dem gnädigen Fräulein zusammenführen sollte.Darf ich mich also zunächst dieses Auftrages entledigen?”Und sich dann an Fräulein Ursula wendend, fragteer: „Oder würden Sie, gnädiges Fräulein, es mirübelnehmen und mir nachtragen, wenn ich Ihnenim Namen Seiner Durchlaucht sage, daß der Fürstvon Ihnen enchantiert ist, daß Ihre Schönheit ihngefangen genommen hat und daß er hofft, Sie,gnädiges Fräulein, möchten ihn mit gnädigen Blickenaus Ihren schönen Augen betrachten, wenn er währendder Dauer seines hiesigen Aufenthaltes es wagensollte, um Ihre Gunst zu werben?”

Fröhlich und übermütig wie ein kleines Kindklatschte die Prinzessin in beide Hände, währendFräulein Ursula mit glühenden Wangen dastand.

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Sie vermochte das, was sie so plötzlich und unver-mittelt zu hören bekam, so schnell nicht zu fassen. Wares Wahrheit, war es kein Traum, daß der Fürst,den sie im stillen liebte, seitdem er ihr zum erstenmalgegenübergetreten war, war es Wirklichkeit, daß ersie begehrte? Trotzdem Seine Durchlaucht keinem re-gierenden Hause angehörte und bei der Wahl seinerspäteren Gemahlin an keine Hausgesetze gebunden war,hatte sie nie zu hoffen gewagt, daß sie Gnade vor seinenAugen finden würde und es war ihre feste Überzeu-gung gewesen, wenn sie immer und immer wieder-holte: „Wer da kommt, um die Hand einer Prinzessinzu erlangen, begnügt sich nicht mit der Hofdame.”

Auch jetzt fiel ihr das wieder ein, das ließ vonneuem die Zweifel in ihr wach werden, ob es Wahr-heit sei, was Hans Joachim ihr erklärt hatte, bis siesich dann sagte: „Wenn der Fürst dich wirklich liebt,kann er ja niemals die Prinzessin geliebt haben”, unddas ließ ihr das Glück, das ihr zuteil geworden war,noch größer erscheinen, weil ihre geliebte Prinzessinnun den Fürsten nicht zu heiraten brauchte.

Fräulein Ursula stand noch immer mehr alsverwirrt da, während die Prinzessin und Hans Joachimsie lächelnd betrachteten, bis Hans Joachim sie end-lich fragte: „Wenn Seine Durchlaucht nun wissenmöchte, wie Sie, gnädiges Fräulein, über das denken,was ich Ihnen eben ausgerichtet habe, was soll ichihm da melden?”

„Daß meine liebe Ursula glückselig ist,” rief die

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Prinzessin, „und daß sie Seiner Durchlaucht ver-spricht, so nett und so freundlich gegen ihn zu sein,wie nur irgend möglich, damit Seine Durchlauchtes schon jetzt erfährt, daß er nicht nur eine seltenschöne, sondern auch eine selten liebenswürdige Frauerhält. Nicht wahr, Ursula, das dürfen wir ihm dochausrichten lassen?”

Fräulein von Rengwitz verneigte sich tief vorder Prinzessin, dann sagte sie: „Meine Stellungals Hofdame verbietet es mir, anderer Ansicht zu seinals Ew. Hoheit, und was Ew. Hoheit dem Fürstenauch immer in meinem Namen sagen lassen, ichhabe mich dem zu fügen.”

Die Prinzessin lachte fröhlich auf: „Das habenSie gut gesagt, liebe Ursula, aber es ist nur ein Glück,daß Ihr strahlendes Gesicht verrät, daß Sie mirnicht nur deshalb beistimmen, weil Sie meine Hof-dame sind. Nun aber, Liebste, lassen Sie mich mitHerrn von Köttendorf einen Augenblick allein, dennnun bin auch ich begierig, zu erfahren, was SeineDurchlaucht m i r sagen läßt.” Und übermütig setzesie hinzu: „Mir schickt er sicher einen Korb, dennuns beide kann er doch unmöglich heiraten wollen,dann müßte er schon ein Sultan sein, aber ich weiß,daß es heutzutage ja selbst Sultane gibt, die sich miteiner Frau begnügen.”

Siedend heiß schoß Hans Joachim das Blut indie Schläfen, als die Prinzessin ihn bei diesen Wortenübermütig anblickte. Er mußte sich mit Gewalt

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beherrschen, um sich nicht zu verraten, bis die Hofdameentlassen war, dann aber sagte er: „Hoheit, selbstauf die Gefahr hin, daß Sie mir zürnen, daß Sie mirfür immer Ihre Gnade entziehen, Hoheit, ich be-schwöre Sie, erinnern Sie mich nie wieder an denSultanstraum, von dem wir einmal zusammensprachen. Ich bin kein Sultan, werde es nie werden,nicht einmal der König eines auch noch so kleinenReiches. Ich bin nur ein Mensch, ein einfacherKöniglich Preußischer Leutnant, aber auch ich habeein Herz in der Brust, Hoheit, und dieses Herz mußschweigen, darf nicht verraten, für wen es schlägt.”

„Können Sie es mir auch jetzt nicht sagen, HansJoachim?” bat die Prinzessin, „auch mir nicht, wennich Ihnen schwöre, es niemandem weiter zu sagen?”

Leise und verführerisch erklang ihre Stimme,mit ihren Augen, in denen ein stilles Glück schimmerte,sah sie zu ihm auf, aber er fand auch jetzt nochnicht den Mut, zu sprechen, sie war doch eine Prin-zessin und er ― ― ― ―

So schüttelte er denn nur den Kopf: „Hoheit,ich kann es nicht sagen ― ― ― ich darf es nicht.”

„Und wenn ich es nun wissen will, Hans Joachim,”rief sie ihm zu, um dann ganz plötzlich und unver-mittelt zu fragen: „Hans Joachim, glaubst du dennwirklich, daß du es mir noch sagen mußt? Glaubstdu, daß ich es nicht schon lange weiß, wem deineLiebe gilt und warum du wünschtest, ein Königzu sein?” Und seine Hand ergreifend fragte sie weiter:

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„Hans Joachim, willst du wirklich all die anderenFrauen, die dir in deinem Leben schon begegnetsind, für immer aus deinem Herzen verjagen, wieder Sultan seine zweitausend Frauen aus dem Harem,willst du wirklich nur mich lieben auf der Welt, nurmich?” und schelmisch lächelnd setzte sie hinzu: „Bistdu zufrieden mit meiner Liebeserklärung, die ichdir machte, Hans Joachim? Eigentlich hättest duzu mir sprechen müssen, aber ich glaube, da hätteich noch lange warten müssen und vielleicht hättestdu nie gesprochen.”

Und wie vorhin Fräulein Ursula, so stand jetztHans Joachim da, zitternd vor Erregung, nichtwissend, ob er wache oder träume, ob es die Wahrheitsei, daß sie ihn liebe, sie, die Prinzessin Rena, nein,nicht die Prinzessin, sondern die süße, liebe, kleineRena. So laut schlug sein Herz, daß er glaubte, essolle ihm zerspringen.

Bis er dann endlich aufjubelte: „Hoheit,― ― ― Prinzessin ― ― ― Rena ― ― ― so ist esalso doch wahr; was ich nie zu hoffen wagte, ist inErfüllung gegangen, Rena, meine über alles ge-liebte kleine Rena, wie soll ich dir das je danken,daß du mir deine Liebe schenkst?”

„Zunächst einmal dadurch, daß du mir einen Kußgibst,” neckte sie ihn übermütig.

Aber anstatt sie nun gleich in die Arme zu nehmen,stand er noch einen Augenblick zögernd da, als könneer das Glück immer noch nicht fassen.

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Die Prinzessin lachte fröhlich auf, dann abermeinte sie, weil sie sein Zögern anders deutete:„Warum küßt du mich nicht? Siehst du immer nochin mir die Prinzessin?” Und dann setzte sie über-mütig hinzu: „Ich glaube es dir, Hans Joachim,sicher hast du in deinem Leben schon viele hübscheMädchen geküßt, aber doch noch nie eine Prinzessin.”

„Du aber auch noch nie einen Königlich PreußischerLeutnant,” gab er fröhlich zur Antwort.

„Bitte sehr,” verteidigte sie sich, „ich habe meinenVater oft geküßt und der ist nicht nur Leutnant,sondern bekleidet sogar den Rang eines komman-dierenden Generals.”

Da lachte Hans Joachim hell auf: „Mag einkommandierender General auch sonst tausendmal klüger sein als ein Leutnant, im Küssen nimmt esjeder Leutnant mit jedem Vorgesetzten auf. Wieman küßt, das können die Exzellenzen bei uns Leut-nants lernen.”

Da sah sie abermals mit lustigen Augen zu ihmauf, um ihm zugleich voller Ungeduld zuzurufen:„Mein Gott, Hans Joachim, dann beweise es mirdoch endlich, daß du besser küssen kannst als eineExzellenz.”

Da zog er sie voller Leidenschaft an sich undküßte sie heiß auf den Mund und er mochte doch wohlwirklich besser als ein kommandierender Generalküssen können, denn die Prinzessin schloß die Augenund ruhte in stillem seligem Erschauern an seinerBrust.

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