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Zeppelin Museum Friedrichshafen GmbH, Abteilung Diskurs & Öffentlichkeit, 2018 IDEAL STANDARD. Spekulationen über ein Bauhaus heute Zeppelin Museum Friedrichshafen 30.11.2018 – 28.04.2019 Erika Hock Arbeitsblatt Jahrgangsstufe 11-13 (Kunst-LK) AUFGABE 1 CAFÉ SAMT UND SEIDE Schaut euch das Bild von Lilly Reich und Ludwig Mies van der Rohe an. Lest den kurzen Einführungstext dazu. Fertigt eine Werkbeschreibung an und überlegt euch, wie das Projekt den Raum beeinflusst. AUFGABE 2 SALON TACTILE Schaut euch anschließend die Bilder des Salon Tactile der Künstlerin Erika Hock an, und fertigt dazu ebenfalls eine Werkbeschreibung an. AUFGABE 3 VERGLEICH 1. Erika Hock wurde bei ihrem Salon Tactile vom Café Samt und Seide inspiriert. Schaut euch die Bilder der beiden Kunstwerke noch einmal an und sucht nach möglichen Gemeinsamkeiten zwischen den beiden. 2. Überlegt euch im nächsten Schritt, welche Unterschiede es zwischen den beiden Kunstwerken gibt. Fertigt dazu zwei Tabellen an. Die eine soll sich mit den formalästhetischen Unterschieden befassen, und die andere mit den Unterschieden auf der Deutungsebene. Schaut euch Materialien, die Raumsituation und den Aufbau an. Reflektiert auch, welche Aufträge hinter den Arbeiten stehen. AUFGABE 4 RAUM Der Salon Tactile wird in der Ausstellung den Raum aufteilen und eingrenzen. Man kann durch ihn hindurchlaufen und sich an die Tische zwischen den Vorhängen setzen, wo man Bücher lesen und basteln kann.

IDEAL STANDARD. Spekulationen über ein Bauhaus heute · in Barcelona beauftragt. Sie gestalteten auch hier einige Ausstellungsbereiche gemeinsam, und Mies van der Rohe baute ein

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Page 1: IDEAL STANDARD. Spekulationen über ein Bauhaus heute · in Barcelona beauftragt. Sie gestalteten auch hier einige Ausstellungsbereiche gemeinsam, und Mies van der Rohe baute ein

Zeppelin Museum Friedrichshafen GmbH, Abteilung Diskurs & Öffentlichkeit, 2018

IDEAL STANDARD. Spekulationen über ein Bauhaus heute Zeppelin Museum Friedrichshafen

30.11.2018 – 28.04.2019

Erika Hock

Arbeitsblatt Jahrgangsstufe 11-13 (Kunst-LK)

AUFGABE 1 – CAFÉ SAMT UND SEIDE Schaut euch das Bild von Lilly Reich und Ludwig Mies van der Rohe an. Lest den kurzen Einführungstext dazu. Fertigt eine Werkbeschreibung an und überlegt euch, wie das Projekt den Raum beeinflusst. AUFGABE 2 – SALON TACTILE Schaut euch anschließend die Bilder des Salon Tactile der Künstlerin Erika Hock an, und fertigt dazu ebenfalls eine Werkbeschreibung an. AUFGABE 3 – VERGLEICH

1. Erika Hock wurde bei ihrem Salon Tactile vom Café Samt und Seide inspiriert. Schaut euch die Bilder der beiden Kunstwerke noch einmal an und sucht nach möglichen Gemeinsamkeiten zwischen den beiden.

2. Überlegt euch im nächsten Schritt, welche Unterschiede es zwischen den beiden Kunstwerken gibt. Fertigt dazu zwei Tabellen an. Die eine soll sich mit den formalästhetischen Unterschieden befassen, und die andere mit den Unterschieden auf der Deutungsebene. Schaut euch Materialien, die Raumsituation und den Aufbau an. Reflektiert auch, welche Aufträge hinter den Arbeiten stehen.

AUFGABE 4 – RAUM Der Salon Tactile wird in der Ausstellung den Raum aufteilen und eingrenzen. Man kann durch ihn hindurchlaufen und sich an die Tische zwischen den Vorhängen setzen, wo man Bücher lesen und basteln kann.

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1. Überlegt euch, was an diesem Ausstellungsaufbau so besonders ist. Wie unterscheidet sich

dieses Format von anderen Ausstellungen, die ihr kennt? Und wie beeinflusst dieser Aufbau den Raum an sich?

2. Reflektiert, welchen Austausch zwischen Kunstwerk und Besucher diese Anordnung ermöglicht. Sammelt eure Ergebnisse an der Tafel.

3. Erika Hock fungiert als Ko-Kuratorin der Ausstellung. Was glaubt ihr, bedeutet das? Welche Vorteile könnte es für einen Kurator haben, eine Künstlerin als Ko-Kuratorin hinzuzuziehen? Überlegt euch gemeinsam, welche Schritte in der Konzeption einer Ausstellung stattfinden und wie eine Künstlerin diesen Prozess positiv bereichern könnte.

AUFGABE 5 – HISTORISCHER KONTEXT

1. Analysiert erneut das „Café Samt und Seide“ hinsichtlich des Zwecks und verwendeten Materials. Versucht Parallelen zu anderen Projekten der beiden zu dieser Zeit zu finden.

2. Lest die Informationstexte zu Lilly Reich und Ludwig Mies van der Rohe. Fertigt zu den beiden Personen eine Kurzbiografie an und fertigt eine Liste ihrer gemeinsamen Projekte an.

3. Schaut euch die Projekte noch einmal genauer an. Welche Rolle wird Lilly Reich zugesprochen? Welche Mies van der Rohe? Was fällt euch auf?

4. Reflektiert in einem breiteren Kontext, mit welchen Problemen sich Künstlerinnen und Architektinnen zu dieser Zeit konfrontiert sahen. Geht dabei besonders auf das Verhältnis zwischen Künstlerinnen und Künstlern ein.

5. Überlegt, wie das mit dem „Salon Tactile“ zusammenhängen könnte. Wieso setzt sich Erika Hock mit gerade diesem Projekt auseinander?

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MATERIALIEN

(1) BILDMATERIAL CAFÉ SAMT UND SEIDE

Lilly Reich, Woman’s Fashion Exhibition, Berlin, Deutschland, view on the Velvet and Silk Café, 1927 © 2018. Digitales Bild, The Museum of Modern Art, New York/Scala Archives

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(2) TEXTMATERIAL CAFÉ SAMT UND SEIDE1 „Im Juni 1927 erhält Mies vom Verein deutscher Seidenwebereien den Auftrag, einen Repräsentationsstand für die deutsche Seidenindustrie zu entwerfen. Im Rahmen der Messe Die Mode der Dame in der gerade fertig gestellten Messehalle am Berliner Funkturm präsentiert sich der in Krefeld ansässige Industrieverband erstmals der Öffentlichkeit. Seit 1926 waren Überlegungen zum Marketing in den Fokus des Verbandes gerückt. Wohl auf Grund der Verbindung seines Vorstandsmitglied Hermann Lange zu Mies, der im selben Jahr erste Entwürfe für die privaten Wohnhäuser von Hermann Lange und Josef Esters anfertigt, fällt die Wahl auf Mies als Architekten des Messestandes. Mies führt das Projekt gemeinsam mit seiner Partnerin Lilly Reich aus. Mies und Reich entwickeln den Messestand als freie Fläche, die ausschließlich durch Stoffbahnen räumlich gegliedert wird. Von unterschiedlicher Höhe hängen Seiden- und Samtstoffe wie Vorhänge an geraden und geschwungenen Stahlrohren und bilden unterschiedliche Zonen. Wie im Glasraum, dem Repräsentationsstand der Glasindustrie auf der Werkbundausstellung in Stuttgart 1927, verwenden Mies und Reich das auszustellende Material als ein raumkonstituierendes Element. Der Stand wird als Café genutzt, das die Architekten mit den gerade erst entwickelten Freischwingern und Stahlrohrtischen von Mies möblieren. Das Café Samt & Seide füllt eine circa 300 Quadratmeter große Fläche am Ende der Messehalle. Unter der umlaufenden Empore erweitert es sich in Einzelkojen zur Präsentation von Samt– und Seidenbändern und weiteren Stoffen.“ (3) SALON TACTILE

Erika Hock, Salon tactile, 2018 Bedruckte Fadenvorhänge, pulverbeschichtetes Stahlrohr, Ausstellungsansicht / exhibition view Marta Herford © the artist, courtesy the artist and COSAR HMT

1 Christiane Lange: „Café Samt & Seide, Die Mode der Dame, Berlin 1927“, auf Projekt MIK. http://projektmik.com/moderne-in-

krefeld/mies-in-krefeld/cafe-samt-seide-1927/ (aufgerufen 01.10.2018)

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Erika Hock, Salon tactile, 2018 Bedruckte Fadenvorhänge, pulverbeschichtetes Stahlrohr, Ausstellungsansicht / exhibition view Marta Herford © the artist, courtesy the artist and COSAR HMT

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(4) INFORMATIONSTEXT LUDWIG MIES VAN DER ROHE2 „Ludwig Mies kam aus einer katholischen Steinmetz-Familie in Aachen. Nach einer Maurerlehre wurde er aufgrund seines außergewöhnlichen Zeichentalents schnell an verschiedene Architektenbüros weiterempfohlen. Er arbeitete für die angesehenen Architekten John Martens und Bruno Paul in Berlin, bis er 1908 in das Büro des Architekten und AEG-Hausdesigners Peter Behrens eintrat. Hier begegnete er erstmals dem ebenfalls dort beschäftigten Walter Gropius. Im Herbst 1915 wurde Ludwig Mies in die Armee einberufen und in verschiedene Baukompanien in Frankfurt am Main, Berlin und in Osteuropa abkommandiert. Anfang 1919 kehrte er nach Berlin zurück. 1922 erweiterte er seinen Nachnamen um die Herleitung „van der“ und den Geburtsnamen seiner Mutter zu „Mies van der Rohe“. Wenn auch Mies van der Rohe in Bezug auf sein Architekturideal der Satz „Weniger ist mehr“ zugeschrieben wird, so machte er bei seinem neuen Namen wohl eine Ausnahme. Mit der Revolution im November 1918 fanden sich in Berlin einige Künstler zusammen, die ihre Vorstellungen von einer modernen Kunst diskutieren und der Öffentlichkeit mit Ausstellungen nahebringen wollten. Sie gründeten die sogenannte Novembergruppe und organisierten regelmäßige Treffen, auf denen diskutiert und musiziert wurde – die Novembergruppenabende. Mies van der Rohe schloss sich ihnen 1921 an und organisierte bis 1925 die Architekturbeiträge der Gruppe in der jährlichen „Großen Berliner Kunstausstellung“. 1921 nahm Mies van der Rohe auch an einem Wettbewerb für ein Bürohochhaus an der Friedrichstraße in Berlin teil. Sein ungewöhnlicher – und prompt abgelehnter – Hochhausentwurf war wohl vor allem als programmatische Studie zu verstehen, mit der er bei dieser Gelegenheit an die Öffentlichkeit ging. Aus heutiger Sicht ist der Entwurf visionär, denn erstmals waren alle Hauptnutzflächen weitgehend variabel und die Fassade vollständig verglast. Sie ist das erste Beispiel für die „Haut-und-Knochen“-Architektur der späteren Jahre Mies van der Rohes: Eine transparente „Haut“ aus Glas schließt sich dabei um die Knochen eines stählernen Tragwerks. Weitere Studien wie das „Glashochhaus“, das „Landhaus in Eisenbeton“ und das „Landhaus in Backstein“ wurden in verschiedenen Ausstellungen über moderne Architektur in Deutschland und Europa vorgestellt. Sie gelten heute noch immer als bemerkenswert innovativ und als Keimzellen seiner späteren Arbeiten. Mies van der Rohe organisierte in den folgenden Jahren weitere Ausstellungen, hielt Vorträge und veröffentlichte Artikel in der Zeitschrift „G“ und anderen Publikationen. Intensiv beteiligte er sich an den Debatten über moderne Architektur und bezog Position für die Neue Sachlichkeit. 1923 baute Mies van der Rohe sein erstes Gebäude in moderner Formensprache: Haus Ryder in Wiesbaden, ein hell verputztes, kubisches Wohnhaus mit Flachdach – stilistisch bereits dem Bauhaus nahestehend. Sein bis dahin umfangreichstes Projekt folgte 1927: Mies realisierte vier Mehrfamilienwohnhäuser an der Afrikanischen Straße in Berlin-Wedding. Er verwendete hier vorgefertigte Normbauteile zur Senkung der Baukosten und bemühte sich mit der offenen Gruppierung der Baukörper um eine gute Ausleuchtung und Belüftung der Wohnungen. 1924 (…) trat er auf Einladung dem Deutschen Werkbund bei, zu dessen Vizepräsidenten er zwei Jahre später ernannt werden sollte. In dieser Funktion leitete er die Werkbundausstellung „Die Wohnung“ 1927 in Stuttgart, die unter anderem die Weißenhof-Siedlung hervorbrachte. Ein weiterer Teil der Ausstellung wurde in der Stuttgarter Innenstadt gezeigt und befasste sich dort mit moderner Wohnungseinrichtung. Die Leitung dafür lag bei der Innenarchitektin Lilly Reich. Mitte 1928 wurden Mies van der Rohe und Reich – wohl vor allem aufgrund des großen Erfolges der Stuttgarter Werkbundausstellung – mit der künstlerischen Leitung der deutschen Abteilung der Weltausstellung

2 https://www.bauhaus100.de/de/damals/koepfe/direktoren/ludwig-mies-van-der-rohe/index.html (aufgerufen 01.10.2018)

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in Barcelona beauftragt. Sie gestalteten auch hier einige Ausstellungsbereiche gemeinsam, und Mies van der Rohe baute ein offizielles Empfangsgebäude dazu: den Barcelona-Pavillon. Erst 1986 wurde der Barcelona-Pavillon, der nach der Weltausstellung 1929 abgerissen worden war, wiedererrichtet.“

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(5) INFORMATIONSTEXT LILLY REICH3 Die selbstbewusste Tochter aus finanziell solide gepolstertem Berliner ElektrofabrikantInnen-Haus ging scheinbar unbeirrt ihren Weg. Nach dem Abitur ließ sie sich als Kurbelstickerin ausbilden, ein im Jugendstil beliebtes Handwerk, und schloss, angesichts der misslichen Ausbildungslage, die deutsche Akademien Studentinnen boten, einige Jahre des »learning by doing« an: 1908 wechselte sie nach Wien, in Josef Hoffmanns Wiener Werkstätte. Zurück in Berlin, 1910, war sie neben Else Oppler-Legband an der soeben eröffneten »Höheren Fachschule für Dekorationskunst« aktiv und pflegte rasch multiple Kontakte, u.a. zum damals omnipräsenten BaukünstlerInnen-Paar Anna und Hermann Muthesius. 1911 machte Reich mit dem ersten größeren Entwurf auf sich aufmerksam, einer Inneneinrichtung für ein Charlottenburger Jugendheim. Ein Jahr später, durchaus keine zu vernachlässigende Auszeichnung, nahm der Deutsche Werkbund (DWB) sie in seine Reihen auf. Es folgten weitere, vielbeachtete Entwürfe, beispielsweise 1912 eine ArbeiterInnenwohnung für die Berliner Ausstellung »Die Frau in Haus und Beruf«, 1914 ein Wohnzimmer und eine Schaufensterserie für das »Haus der Frau« auf der Kölner Werkbund-Ausstellung. (…) 1920 drang Reich erneut in männliches Gebiet: Sie ließ sich als erste Frau in den Werkbund-Vorstand wählen. 1924 wechselte Reich an den Main, als Ausstellungsgestalterin der Werkbund-Kommission des Frankfurter Messeamtes. Daneben führte sie ein Atelier für Ausstellungsgestaltung und Mode. »Von der Faser zum Gewebe« (1926) hieß ihre bis dahin erfolgreichste Schau, die wegen ihrer künstlerischen Vereinheitlichungstendenz, quasi einer Frühform des Corporate Design, als Archetypus progressiven Textilausstellungsdesigns gehandelt wurde. 1927, mit 42 Jahren, folgten noch gewaltigere Meriten: Reich war bei der Stuttgarter DWB-Schau »Die Wohnung«, der bis dahin ambitioniertesten Werkbund-Ausstellung, u.a. verantwortlich für das von Siegfried Kracauer hochgelobte, nüchtern-sachliche Ausstellungsdesign der Gewerbehalle. Außerdem oblag ihr die gepriesene, hochreduzierte Appartementausstattung in Ludwig Mies van der Rohes Weißenhofsiedlungs-Wohnblock. Mies, der hochbetagt darlegte, es sei schwieriger, »einen guten Stuhl zu bauen als einen Wolkenkratzer« (zit. n. Reuter / Schulte 2008), fungierte als Gesamtleiter der Weißenhofsiedlung, die eigens für die DWB-Ausstellung aus dem Boden gestampft wurde, um die Ziele des »Neuen Bauens« und »Neuen Wohnens« griffig zu visualisieren. Schon damals galten jene 21, von rein männlicher Architektenschaft konzipierten Wohnhäuser vielen als Urknall der Moderne, anderen als verabscheuungswürdiges Zeugnis modern frisierter, bourgeoiser Lebenskultur. Reich war die einzige Weißenhof-Künstlerin, die eine vollständige Wohnungseinrichtung kreieren durfte und nicht in vermeintlich genderkonforme Gebiete, kurz: Küche und Haushaltsorganisation, gezwungen wurde. Auf Stuttgart ließ Reich zahllose weitere Möbel- und Innenraumentwürfe folgen, die ihren Ruf als Vorzeige-Innenarchitektin und -Möbeldesignerin festigten. U.a. prägte sie eine Stahlrohrmöbel-Serie – mutmaßlich als erste Frau ihrer Zeit. Daneben arbeitete sie zusammen mit Ludwig Mies van der Rohe am mehreren Projekten für eine betuchte Klientel – z.B. die Innenausstattung für die Krefelder Häuser Lange und Esters (1927-30) sowie das Haus Tugendhat in Brünn (1930, heute: Brno). Außerdem saß sie gemeinsam mit Mies an den Plänen für das »Café Samt & Seide« der Berliner Ausstellung »Die Mode der Dame« (1927), für den Deutschen Pavillon der Weltausstellung in Barcelona 1929 und für die Bauausstellung 1931 in Berlin, wo Reich erstmalig – unabhängig von Mies – als Architektin in Erscheinung trat. Reich kannte den ein Jahr jüngeren Mies seit 1924. Ein Jahr später wurde auch er in den DWB-Vorstand gewählt, doch waren sich beide offenbar erst 1926/27 in Stuttgart nähergekommen. Beruflich wie privat.“

3 Lange, Christiane: http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/lilly-reich/ (aufgerufen am 01.10.2018)