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Im Camp der Gesetzlosen

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Nr. 236Im Camp der GesetzlosenUm ihre Freiheit zu erlangen, entfesseln sie den Krieg der Kasten ...von William Voltz

Vor langer Zeit setzten die ‚Meister der Insel‘, die mysteriösen Herren des Andromedanebels, das Volk derTwonoser, als Wächter von Andro-Beta ein. Obwohl seit diesem Ereignis inzwischen viele Jahrtausendevergangen sind, üben die Twonoser auch noch im Jahre 2402 irdischer Zeitrechnung ihr Wächteramt imAuftrag der Herren aus - zum Unglück Perry Rhodans und der Männer der CREST. Die CREST II, die den inAndro-Beta eingedrungenen „Geheimsatelliten Troja“ verließ und auf Erkundungsflug ging, wurde von denTwonosern überfallen, aufgebracht und in das Innere eines Mobys geschleppt. Nach hartem und aussichtslosemKampf gegen eine gewaltige Obermacht der Rüsselwesen wurden Perry Rhodan und seine Leute überwältigt.2000 Terraner traten den bitteren Weg in die Gefangenschaft an. Aufgrund ihres Aussehens wurden dieGefangenen zu Parias abgestempelt, und ein Zug brachte sie in die Region der Weißrüssel, der niedrigstenKaste der Twonosern Perry Rhodan bleibt jedoch nicht lange in Gefangenschaft. Mit einer ausgewähltenGruppe von Terranern flüchtet er und schließt sich den „Haushaltsverbrechern“ an. Die Operationsbasis, vonder aus der Kampf um die Freiheit beginnt, ist das CAMP DER GESETZLOSEN!

Die Hautpersonen des Romans:Brodger Kapitanski - Ein Terraner auf Wache „in“ einer fremden Welt.Icho Tolot - Der Haluter fungiert als Rammbock.Perry Rhodan - Großadministrator des Solaren Imperiums - und Genosse der „Haushaltsverbrecher“.John Marshall - Chef des Mutantenkorps.Tronar und Rakal Woolver - Die Wellensprinter sorgen für Unruhe.Pohiik und Larkaat - Zwei „Haushaltsverbrecher“.Garko der Starke - Anführer der Weißrüssel.

1.

Sergeant Brodger Kapitanski stand in derDunkelheit des Seitenganges und lauschtekonzentriert. Ab und zu hörte er aus weiter Ferne dasDröhnen der Interkastenzüge, die irgendwo über ihmdurch die Adern des Mobys rasten. Kapitanski wußte,daß die Züge einen völlig lautlosen Antrieb besaßen.Die Vibrationen jedoch, die ihre Haftrollen auf demSchienenstrang erzeugten, pflanzten sich übermehrere Hauptgänge hinweg fort.

Kapitanskis kräftige Hände tasteten nach der vorihm liegenden Fackel. Die Haushaltsverbrecherhatten sie aus einer Pflanzenstaude angefertigt. JederWächter des Camps trug eine solche Fackel bei sich,damit er die in den schmalen Seitengängenherrschende Dunkelheit erhellen konnte.

Wesentlich mehr Vertrauen als zu der Fackelbesaß der Sergeant zu dem kleinen twonosischenThermostrahler, den man ihm ausgehändigt hatte.Zwar hatte er Mühe, den winzigen Abzug richtig inden Griff zu bekommen, aber das änderte nichts ander Tatsache, daß die Waffe ihm Selbstvertrauen gab.

Und Selbstvertrauen konnten die aus derGefangenschaft der Weißrüssel entflohenen fünfzigTerraner brauchen.

Kapitanski legte die Fackel zwischen die Füße. Erhockte auf einem Kristallsockel, den Blick

unverwandt in die Finsternis gerichtet. Wenn esüberhaupt zu einem Angriff der Blaurüsselpolizeikam, dann würde ein solcher nur durch eine dieserkleineren Seitenadern erfolgen. Das Camp wurde vonetwa einhundertfünfzig Haushaltsverbrechernbewohnt, die bis auf zwanzig Blaurüssel alle derunteren A-Kaste angehörten. Die vier Weißrüssel, diezusammen mit Perry Rhodan und seinen Männernaus dem Gefangenenlager in der Bauchetage desMobys geflüchtet waren, hatten die Terraner in diesesVersteck geführt. Rhodan war es in wenigen Tagengelungen, das Mißtrauen der Ausgestoßenen zubeseitigen und allmählich ihr Vertrauen zu erlangen.

Nur deshalb war es möglich, daß Terranergemeinsam mit Haushaltsverbrechern Wache standenund twonosische Waffen tragen durften.

Kapitanski lächelte grimmig. Hier, in denverschlungenen Gängen des raffiniert angelegtenVerstecks, hatten sie endlich alle noch fehlendenInformationen über die Twonoser erhalten. Innerhalbdes Camps züchteten die Klassenlosen sobezeichneten sich die Haushaltsverbrecher nicht ohneStolz - eine erstaunliche Anzahl von Bioparasiten,mit denen sie ein einträgliches Schmuggelgeschäftbetrieben.

Die Terraner wußten jetzt, warum die Rotrüsselüber die beiden anderen Kasten herrschen konnten,ohne, daß sie auf militärischem Gebiet besondere

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Macht entfalteten. Die Mitglieder der C-Kastekontrollierten die vier atomaren Kraftstationen in derRückenetage des Mobys. Dort wurde der gesamteEnergiebedarf der Twonoser erzeugt.

Das größte Privileg eines Rotrüssels bestand darin,diese Kraftstationen betreten und bedienen zu dürfen.Von den Twonosern der C-Kaste hing es ab, ob dievielen Kunstsonnen der unteren Mobyhälfte mitStrom versorgt wurden. Jeder Aufstand gegen dieobere Kaste mußte eine sofortige Sperre derEnergielieferungen nach sich ziehen, wasgleichbedeutend mit einem Todesurteil wäre.

Kapitanski wußte, daß die Energie- undNahrungsmittelversorgung innerhalb desabgestorbenen Mobys viel diffiziler war als aufeinem normalen Planeten. Innerhalb des Gigantenmußte alles künstlich hergestellt werden.

Für Kapitanski stand es längst fest, daß dieRotrüssel keineswegs mehr Intelligenz besaßen alsdie anderen Twonoser. Die C-Kaste war nurgesellschaftlich überlegen, weil sie denEnergiehaushalt des Mobys nach Belieben steuernkonnte.

Ein Geräusch ließ Kapitanski zusammenfahren.Mit einem Schlag war er wieder hellwach. Weit vorihm schien ein Steinchen aus der Deckeherausgebrochen und auf den Boden des Gangesgefallen zu sein.

Es konnte aber auch sein, daß jemand durch denGang schlich und mit den Füßen gegen einen kleinenKristallbrocken gestoßen war.

Er fragte sich, ob er die Fackel anzünden sollte. Erverwarf diese Idee, weil er im dann entstehendenLichtschein ein ausgezeichnetes Ziel abgegebenhätte, ohne selbst viel sehen zu können. Trotzdemumklammerte er die Fackel mit der linken Hand. Inder Rechten hielt er den Strahler.

Langsam, jede hastige Bewegung vermeidend,stand er auf.

Das Geräusch wiederholte sich nicht, dochKapitanski blieb wachsam. Bald würde man ihnablösen, so, daß er ins Innere des Campszurückkehren konnte. Der Sergeant kannte sich in dernäheren Umgebung des Camps bereits gut aus. DreiHauptgänge führten hierher und mindestens zwanzigkleinere Adern. Alle Zugänge waren bis auf eineAusnahme mit Sprengkörpern präpariert. Sollte dieBlaurüsselpolizei irgendwann das Camp entdecken,würden die Haushaltsverbrecher die Sprengladungenzünden und alle Gänge zum Einsturz bringen. Nurein einzelner Gang sollte als Fluchtweg dienen.

Kapitanski dachte nur mit Unbehagen an eineventuelles Auftauchen der Blaurüssel, dieerbarmungslos Jagd auf die Haushaltsverbrechermachten. Die Ausgestoßenen würden beimgeringsten Anzeichen eines Angriffes die Adern

sprengen, ohne Rücksicht auf die dort postiertenWächter.

Das war das Risiko, das alle Wächter auf sichnahmen. Da wiederholte sich das Geräusch. BrodgerKapitanski hielt den Atem an. Diesmal war es vielnäher gewesen.

Natürlich konnte es sich abermals um einenMineralbrocken handeln, der sich von der Deckegelöst hatte. Nur, gestand sich der Sergeant ein, wardie Möglichkeit, daß es kein natürliches Geräuschwar, jetzt viel größer.

Niemand konnte wissen, daß er, Sergeant BrodgerKapitanski, bewegungslos inmitten des Ganges stand,um aufzupassen. Der beste Blaurüsselpolizist konntedas nicht wissen.

Es sind die Nerven, dachte Kapitanski nach einerWeile. Die Nerven haben mir einen Streich gespielt.Trotzdem blieb er leicht nach vorn gebeugt stehen,ein untersetzter, nicht mehr junger Mann in derschmucklosen Uniform der Flotte des SolarenImperiums. Jetzt verwünschte er den Eifer, mit demer sich um den Posten eines Wächters bemüht hatte.Melbar Kasom hatte sich angeboten, diese Aufgabezu übernehmen. Der Ertruser, so mußte Kapitanskizugeben, hätte einen weitaus besseren Wächterabgegeben als er.

Da war es wieder! Diesmal hörte es sich fast an,als schleife etwas über den Boden. Kapitanskierschauerte. Jemand kam durch den schmalen Gangauf ihn zu. Er umklammerte die Fackel, bis seineHand schmerzte. Der Unbekannte hätte keinen Grundgehabt, sich so leise zu bewegen, wenn er nicht miteinem Wachtposten gerechnet hätte. DieseErkenntnis trug nicht dazu bei, KapitanskisSelbstvertrauen zu erhöhen.

Der Sergeant bedauerte, daß man dentwonosischen Strahler, den er in der Ruhten hielt,nicht auf breite Streuung einstellen konnte. Wenn erschoß, mußte er einen gezielten Schuß abgeben -sonst gehörte die zweite Chance dem Unbekannten.

Vielleicht war es ein Haushaltsverbrecher, der voneinem anderen Camp kam, um Verbindung zu denKlassenlosen aufzunehmen.

Kapitanski war sich darüber im klaren, daß er eineEntscheidung treffen mußte. Jede Sekunde, die erlänger zögerte, gefährdete die Sicherheit des Camps.Ohne Licht konnte er jedoch nichts unternehmen. Ermußte die Fackel anzünden.

Kapitanski streckte den linken Arm weit aus, bis ermit der Spitze der Fackel die Wand der Aderberührte. Er wartete noch. Ein kurzer Druck mit derFackel gegen das harte Mineral hätte genügt, um dasbrennbare Material zu entzünden.

Bevor der Sergeant jedoch dazu kam, seineUmgebung zu beleuchten, flammten in etwa fünfzigMetern Entfernung drei Fackeln auf.

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Nur eine blitzschnelle Reaktion rettete Kapitanskidas Leben. Ohne darüber nachzudenken, wer für dieplötzliche Helligkeit verantwortlich sein könnte,sprang Kapitanski hinter einem Kristallbrocken inDeckung.

Vier Meter neben ihm entlud sich die Energieeines Strahlschusses. Bei seinemVerzweiflungssprung hatte sich Kapitanski die Armeaufgeschlagen. Die Fackel lag auf der anderen Seitedes Ganges. Seiner Waffe war zum Glück nichtspassiert.

Ohne Rücksicht auf seine Sicherheit spähteKapitanski aus der Deckung hervor. Da sah er sie.Sie kamen durch die Decke und nicht, wie derSergeant geglaubt hatte, vom anderen Ende desSeitenganges. Die kleine Ader war durch einenSchacht mit einem darüberliegenden Gangverbunden. Das hatte Kapitanski nicht gewußt.

Wahrscheinlich hatten die Angreifer diesenSchacht erst in letzter Zeit geschaffen, um unbemerktins Camp zu gelangen. Der Erfolg ihres Planes hingdavon ab, den Wächter auszuschalten, bevor dieserdie Haushaltsverbrecher alarmieren konnte.

Die drei Blaurüsselpolizisten hatten sich an silbrigschimmernden Seilen auf den Boden herabgelassen.Bei diesem Unternehmen hatten sie kaum Geräuscheverursacht.

Wahrscheinlich waren die Blaurüssel besserbewaffnet als er. Nicht nur das, sie verfügtenbestimmt über irgendwelche Schutzschirme.

Deshalb zögerte Kapitanski, auf sie zu schießen,obwohl er sie in etwa fünfzig Meter Entfernungdeutlich am Boden liegen sehen konnte. Sie schienenzu beratschlagen. Kapitanski hoffte, daß nichtausgerechnet jetzt seine Ablösung erschien und denEindringlingen vor die Waffen lief.

Nach einiger Zeit winkte einer der Blaurüssel miteinem seiner Rüssel. Kapitanski knurrte verächtlich.Hielten die Burschen ihn für verrückt? So schnellkonnten sie ihn nicht dazu bringen, seine Deckung zuverlassen, auch wenn sie in Anbetracht dergegnerischen Waffen ziemlich fragwürdig war.

Kapitanski zog den twonosischen Translator, dener ständig bei sich trug, aus der Uniformtasche. JederTerraner, der als Wächter eingesetzt wurde, erhieltfür die Zeit seiner Wache ein solches Gerät, damit ersich mit eventuell eintreffendenHaushaltsverbrechern, die keinen Translator besaßen,unterhalten konnte.

Kapitanski schätzte, daß weitere zehn Minutenverstrichen waren, als wieder einer der Polizisten zuihm herüberwinkte. „Fremder!“ drang gleichzeitigeine Lautsprecherstimme an Kapitanskis Ohren. „Wirwissen, daß du nicht zu den Haushaltsverbrecherngehörst. Ergib dich - und du kannst insGefangenenlager zurückkehren.“

Die Blaurüssel besaßen also mindestens einenTranslator, überlegte der Sergeant. Das bewies nur,daß sie bestens ausgerüstet waren. Er überlegtefieberhaft. Was sollte er antworten? Sicher hatte eswenig Sinn, die Angreifer hinzuhalten. Dazu warensie zu klug.

„Welche Garantien bekomme ich?“ rief er laut.„Wenn du dich nicht ergibst, garantieren wir für

deinen Tod“, wurde ihm geantwortet.Brodger Kapitanski grinste verächtlich. Seine

dunkelbraune, großporige Haut schimmerte im Lichtder Fackeln. Er besaß genug Kampferfahrung, umsolche Drohungen gelassen hinzunehmen.

„Ich habe mich verirrt und bin ohne Waffe!“ riefer.

„Komm heraus!“ wurde er aufgefordert, ohne, daßdie Polizisten zeigten, ob sie seinen Lügen glaubten.

Sergeant Brodger Kapitanski wälzte sich langsamhinter dem Felsbrocken hervor, die kleine Waffe imAnschlag. „Ich komme!“ brüllte er. Er schoß dreimalhintereinander. Er zielte auf die silbernen Seile, dieaus dem Loch in der Decke herabpendelten. DieStricke verschmorten unterhalb der Decke. Dieabgetrennten Stücke fielen auf die Twonoserherunter.

Kapitanski lag schon wieder hinter demKristallbrocken in Sicherheit, als sich dreiStrahlenschüsse vor seiner Deckung entluden. Dergroße Stein glühte auf. Qualm stieg in die Höhe undnahm dem Sergeanten die Sicht.

Immerhin hatte er ihnen den Rückwegabgeschnitten, dachte er befriedigt.

Sicher lauerte irgendwo in den oberen Adern einegroße Streitmacht der Blaurüsselpolizei, die nur aufdas Signal der Vorhut wartete, um massiertanzugreifen. Wenn Kapitanski seine Lage nüchternbetrachtete, hatte sich nicht viel geändert. Einkonzentriertes Feuer der drei Twonoser würde denKristall, hinter dem er lag, in kurzer Zeit zerstören.

Das eigentliche Camp lag ungefähr drei Meilenvon Kapitanski entfernt, so, daß nur wenig Aussichtbestand, daß der Überfall bemerkt wurde. Es hattejetzt wenig Sinn, daß er sich Selbstvorwürfe machte,überlegte der Sergeant. Er hätte wissen müssen, daßer als Wächter völlig ungeeignet war. JederTwonoser an seiner Stelle hätte sich nicht soüberrumpeln lassen, sondern wäre beim erstenGeräusch losgerannt, um Alarm zu schlagen.

Er dagegen lag hinter diesem Kristall, dreiüberlegenen Gegnern mehr oder weniger ausgeliefert.

Kapitanski begann langsam rückwärts zu kriechen,in der Hoffnung, einen größeren Mineralbrocken zuerreichen.

An manchen Stellen war der aufgerauhte Bodenscharf wie Glas. Kapitanski erlitt Schnittwunden anArmen und Beinen. Hinter ihm begannen die

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Twonoser seine Deckung zu zerschießen. DasZischen der Energieschüsse schien nicht mehrverstummen zu wollen. Kapitanski blickte kurzzurück. Ein dichter Rauchvorhang hatte sichzwischen ihm und den Angreifern gebildet. DerSergeant sprang auf und rannte los.

Gleich darauf zeigte sich, daß er die Blaurüsselunterschätzt hatte, denn sie kamen aus derQualmwolke herausgestürzt und schossen auf ihn.Kapitanski torkelte gegen die Wand. Ein Geschoßhatte seine rechte Schulter gestreift. Kapitanskivermied es, nach der Wunde zu sehen.

Er feuerte auf die nur undeutlich sichtbarenVerfolger, jeden Augenblick mit dem Trefferrechnend, der ihn töten würde. Da kam vonirgendwoher ein langanhaltendes Donnern.Kapitanski schrie auf. Die Haushaltsverbrecherhatten die Blaurüsselpolizisten entdeckt undbegannen die Zugänge zum Camp zu sprengen. Inkurzer Zeit würde auch in dieser Ader die Deckeherabbrechen.

Kapitanski stürzte in die Mitte des Ganges. DieBlaurüssel waren stehengeblieben. Der Bodenerzitterte, als die zweite Explosion erfolgte. Offenbarnäherten sich die Angreifer dem Camp vonverschiedenen Seiten. Ein anderer Wächter hatteschneller als Kapitanski reagiert und dieHaushaltsverbrecher gewarnt.

Als der Sergeant zurückblickte, konnte er die dreiTwonoser nicht mehr sehen. Sie wußten anscheinend,was die Explosionen bedeuteten und hatten dieFlucht ergriffen. Kapitanski lächelte bitter. Er hatteden Angriff der Polizisten überlebt, doch er würdekaum den Auswirkungen der zu erwartendenSprengung entgehen.

Er rannte so schnell, wie es der unebene Bodenzuließ. Nun umgab ihn wieder völlige Dunkelheit.Die Fackeln der Blaurüssel waren erloschen. DerSergeant mußte sich auf seinen Orientierungssinnverlassen. Er hielt die Arme weit von sich gestreckt,um nicht mit voller Wucht gegen eine Wand zustoßen.

Da detonierten hinter Kapitanski die von denHaushaltsverbrechern versteckten Bomben.Kapitanski hörte nur die eigentliche Explosion, dannnahm er nur noch das Dröhnen seiner Trommelfellewahr. Rings um ihn stürzte der Gang zusammen. Einherabbrechender Felsen streifte ihn und riß ihn fastzu Boden. Er taumelte weiter. Da wurde es vor ihmhell. Aus Staubwolken und Felstrümmern kam einvierarmiger Riese auf den Sergeanten zu.

„Tolot!“ schrie Kapitanski grenzenlos erleichtert.Der riesenhafte Haluter hielt zwei Fackeln

umklammert und schob sich mühelos durch dieaufgetürmten Gesteinsmassen. Ein herabstürzenderKristallbrocken, der jeden anderen erschlagen hätte,

prallte wie ein harmloser Gummiball an Tolot ab. Diemächtigen Säulenbeine des Haluters bahnten sichunaufhaltsam einen Weg.

Kapitanski hatte hinter zwei großenTrümmerstücken Deckung gesucht. Er hustete, alsder aufgewirbelte Staub in seine Lungen drang.Endlich beugte sich Tolot über ihn.

„Ich bin gekommen, um Sie abzulösen, Sergeant“,erklärte der Haluter.

Kapitanski schaute entgeistert zu ihm hoch. Erwunderte sich, daß er Tolot überhaupt verstandenhatte.

„Ablösen?“ wiederholte er ungläubig. „Das Campist von Blaurüsseln umstellt. Die Haushaltsverbrechersprengen sämtliche Zugänge.“

Tolot gab ein gedämpftes Lachen von sich, dasnoch laut genug war, um den Lärm der einstürzendenDecke zu übertönen.

„Ich wollte einen kleinen Scherz machen,Terraner, als ich von einer Ablösung sprach“, erklärteder Haluter.

Kapitanski preßte beide Hände gegen seinendröhnenden Schädel und kroch aus der Deckung.Tolot beugte sich schützend über ihn.

„Wir warten noch, bis es etwas ruhiger wird“,sagte Tolot. „Dann klettern Sie auf meinen Rücken,und wir verschwinden hier.“

Kapitanski blickte skeptisch in den von TolotsFackeln spärlich erhellten Gang.

„Der größte Teil der Decke istheruntergekommen“, erinnerte er den Riesen. „Wiewollen wir da hindurchkommen?“

Tolot gab keine Antwort. Er schien nachzudenken.Er hockte auf einem Kristallbrocken, als könnte ihnnichts aus der Ruhe bringen.

„Die Haushaltsverbrecher räumen das Camp“,sagte er schließlich. „Sie nehmen ihre heimlichgezüchteten Bioparasiten mit. Sie werden versuchen,in ein anderes Lager durchzukommen.“

Kapitanski befeuchtete seine trockenen Lippen mitder Zunge. Er konnte den Kristallstaub auf seinerHaut schmecken.

„Was werden wir tun?“ wollte er wissen. „Wollenwir den Rechtlosen in ein anderes Versteck folgen?“

„Wir kehren zur CREST zurück“, sagte Tolot, alssei das selbstverständlich. „Die Haushaltsverbrecherwerden uns helfen. Wir haben bereits einige Pläneausgearbeitet.“

Kapitanski kannte diese Pläne. Rhodan hatte vor,die Verteilerstation in der Rückenetage des Mobys zubesetzen. Diese Station war wichtiger als die vieratomaren Kraftstationen. Die Terraner hattenerfahren, daß die robotgesteuerte Verteilerstation dergünstigste Angriffspunkt war. Es galt als unmöglich,alle vier Kraftstationen zu erobern. In derRobotanlage jedoch wurden alle anfallenden

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Energien der vier Kraftstationen gespeichert und inalle Teile des Mobys umgeleitet.

Es war durchaus möglich, von der Verteilerstationaus den Energiehaushalt des Mobys zu kontrollieren.

Kapitanski bezweifelte allerdings, daß ihnen dasjemals gelingen würde. Ihre einzige Hoffnung war,daß es zu einem Krieg zwischen den einzelnenKasten kam. Rhodan glaubte, daß sie eine Revoltedadurch heraufbeschwören konnten, wenn sie dieSteuerung der Energieversorgung übernahmen. Dazumußten sie in die Verteilerstation.

„Kommen Sie jetzt!“ wurden KapitanskiGedankengänge von Tolot unterbrochen. „Es wirdZeit, daß wir gehen.“

Hustend kletterte der Sergeant in Tolots Nacken.Der Körper des Haluters kam ihm noch härter vor alsder kristalline Boden. Kapitanski wußte, daß Tolot inder Lage war, die atomare Zellstruktur seinesKörpers zu ändern. Um die Trümmerberge zudurchdringen, mußte sich Tolot in einen Koloß ausTerkonitstahl verwandelt haben. Kapitanskierschauerte. Wahrscheinlich würde er sich nie an dieFähigkeiten dieses Wesens gewöhnen können.

„Halten Sie sich fest!“ empfahl ihm Tolot.Irgendwo fanden unmittelbar hintereinander vier

weitere Explosionen statt. Die Haushaltsverbrechersprengten die letzten Zugänge zum Camp. DerSergeant hoffte, daß es den Blaurüsseln nichtgelungen war, den gut getarnten Fluchtweg der Pariaszu finden.

Tolot setzte sich in Bewegung. Auf seineSprungarme gestützt, hatte der Haluter seinescheinbare Schwerfälligkeit verloren. Kapitanskihörte, wie die ersten Kristallbrocken unter TolotsGewicht zerbrachen. Von oben rieselte Staub undGeröll auf die beiden ungleichen Wesen herab.Kapitanski hielt mit einer Hand eine brennendeFackel, mit der anderen klammerte er sich an Tolotfest. Der Sergeant wußte, daß jeden Augenblick einStück der Decke auf ihn herabfallen konnte. Davorvermochte ihn auch Tolot nicht zu bewahren.

Sie kamen schnell voran, obwohl die Felsbrockenmanchmal meterhoch aufeinander lagen und dichteStaubwolken die Sicht versperrten. Kapitanskibeobachtete mißtrauisch die Fackel, deren Feuermehrmals zu erlöschen drohte. Der Haluter wurdevon den schlechten Luftverhältnissen nicht betroffen.

Der Sergeant wußte nicht, wann sie das Camperreichen würden. Es war unmöglich, die bereitszurückgelegte Entfernung zu schätzen. Ab und zuhörten sie das Donnern einer weiteren Sprengladung.Jetzt verstand Kapitanski, warum dieHaushaltsverbrecher innerhalb des Camps nurprovisorische Unterkünfte gebaut hatten. Für dieGejagten war es sinnlos, sich auf einen Platz zukonzentrieren. Sie mußten ständig damit rechnen,

aufgespürt und vertrieben zu werden.Als die Fackel endgültig erlosch, schleuderte

Kapitanski sie von sich. Sein Atem ging keuchend.Verzweifelt rang er nach Luft. Staub drang in seineLungen.

„Es wird bald besser!“ rief Tolot, der dieSchwierigkeiten des Terraners zu kennen schien.

Kapitanski wußte, daß der Haluter mit seinenAugen die Dunkelheit mühelos durchdringen konnte.Der Sergeant dagegen konnte nur an denBewegungen seines Trägers feststellen, welcheHindernisse ihnen den Weg versperrten.

Wenn es möglich war, versuchte Tolot,herabgestürzte Felsmassen zu umgehen. Manchmaljedoch blieb ihm nichts anderes übrig, als sich mitGewalt eine Gasse zu bahnen. Dann mußteKapitanski die Arme vor sein Gesicht legen, um esvor splitternden Kristallstücken zu schützen.

Sie gelangten an eine Stelle, wo die Zerstörungengeringer waren. Hier war auch die Luft besser, so,daß der Sergeant sich etwas erholen konnte. Tolothielt einen Augenblick an. „Wir haben ungefähr dieHälfte geschafft“, kam seine Stimme aus derFinsternis.

„Die Hälfte?“ wiederholte Kapitanski krächzend.Er hatte geglaubt, daß sie das Camp fast erreichthatten.

„Der letzte Abschnitt des Ganges ist wenigerverschüttet“, sagte Tolot. „Wir werden schnellervorankommen.“

„Was ist mit den anderen Wächtern?“ brachteKapitanski hervor.

„Sie waren der einzige Terraner, der Posten stand,als sich die Haushaltsverbrecher zu den Sprengungenentschließen mußten“, informierte ihn Tolot.

„Kennen Sie den Fluchtweg?“ fragte Kapitanski,der nicht glaubte, daß sie noch ein lebendes Wesenim Camp antreffen würden.

„Nein“, sagte Tolot, „aber ich werde ihn finden.“Hoffentlich, dachte Kapitanski, waren die

Blaurüssel nicht schneller als der Haluter.

2.

Die kleinen Deckenstrahler flackerten unruhig.Perry Rhodan überblickte den Hauptplatz des Camps,auf dem aufgeregte Twonoser hin und her rannten.Vor wenigen Augenblicken war die Nachrichteingetroffen, daß die Blaurüsselpolizei den größtenTeil des Camps umstellt hatte und im Begriff war,durch verschiedene Seitengänge einzudringen.

Pohiik, der Anführer der Haushaltsverbrecher hattemit unerwarteter Gelassenheit auf die Nachrichtreagiert.

„Irgendwann mußte es dazu kommen“, hatte er zuRhodan gesagt. Aus seiner Stimme hatte die

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Bitterkeit des Gejagten geklungen.„Irgendwann entdecken sie jedes Versteck.“Dann war Pohiik davongestürmt, um seine Befehle

zu geben. Inzwischen waren die erstenHaushaltsverbrecher bereits in jenem Gangverschwunden, der als Fluchtweg dienen sollte.Rhodan hatte nicht gezögert, auch seine Männerdorthin zu schicken.

Nur Atlan und Melbar Kasom hielten sichinnerhalb des Camps auf. Kasom stand nebenRhodan. Der Arkonide befand sich irgendwo in derkleinen Energiestation der Haushaltsverbrecher undwartete auf Rakal Woolver, der zur CRESTunterwegs war. Der Wellensprinter mußte baldzurückkehren.

Rhodan beobachtete, daß die Twonoser sämtlicheBioparasiten in bereitstehende Behälter legten. JederFlüchtling schnallte sich einen Behälter auf denRücken.

„Hoffentlich kommt Rakal Woolver nicht zu spät,Sir“, sagte Kasom. „Trotz der gesprengten Gängewerden die Blaurüssel einen Weg finden, um insCamp einzudringen.“

Rhodan nickte. Er machte sich weniger Sorgen umden Mutanten, der jederzeit flüchten konnte, als umAtlan, der in der Energiestation wartete.

„Gehen Sie zu Atlan und versuchen Sie ihn zuüberzeugen, daß es besser ist, wenn er das Camp jetztebenfalls verläßt“, sagte er zu Kasom.

Kasom warf dem Großadministrator einenzweifelnden Blick zu.

„Solange Sie noch hier sind, wird der Lordadmiralbestimmt nicht fliehen, Sir“, sagte er.

Rhodan bezweifelte nicht, daß der Ertruser rechthatte. „Gehen Sie trotzdem zu ihm“, befahl er.

Kasom löste sich von Rhodans Seite. Ohnebesondere Eile überquerte er den freien Platz undverschwand in einem baufällig wirkenden Gebäude.Rhodan sah, daß immer mehr Twonoser in der Aderverschwanden, die von den Sprengungen verschontbleiben sollte.

Wenige Minuten, nachdem Kasom gegangen war,tauchte Pohiik wieder bei Rhodan auf. Der Anführerder Haushaltsverbrecher war ein Weißrüssel. SeineRüssel wirkten dünn und kraftlos. Oberhalb seinesFacettenauges befand sich eine tiefe Narbe. Obwohles schwierig war, das Alter eines Twonosers zuschätzen, glaubte Rhodan, daß Pohiik eines derältesten Rüsselwesen war, das er bisherkennengelernt hatte.

„Wir werden die Bioparasiten retten“, sagte Pohiikund deutete auf die Männer, die die letzten Behälterdavontrugen.

„Nicht nur die Parasiten“, ergänzte Rhodan. „Auchkeiner von uns wird von den Blaurüsseln gefangenwerden.“

Pohiik schob den kleinen Thermostrahler, den erbisher in einem seiner verkrümmten Händchengehalten hatte, in den Gürtel seiner Uniform.

„Mich werden sie fangen“, sagte er. Rhodanregulierte die Einstellung des Translators.

„Was wollen Sie damit sagen?“ fragte er erstaunt.Pohiik machte mit einem Rüssel eine Geste, als

wollte er das gesamte Lager umfassen. „Von hiergehe ich nicht fort“, erklärte er müde. „Viermal binich bereits geflüchtet und habe ein neues Campaufbauen lassen. Das ist genug für einen altenMann.“

Rhodan machte einen Schritt auf den Twonoser zu.Er mußte Pohiik von seiner selbstmörderischenAbsicht abbringen. Pohiik wußte von den Plänen derTerraner. Er würde sie, wenn auch nicht aus freiemWillen, den Blaurüsseln verraten. Nicht nur das:Pohiik war auch der einzige Haushaltsverbrecher, derin der Anwesenheit der Terraner eine Möglichkeitsah, die Machtverhältnisse innerhalb des Mobys zuändern. Wenn Pohiik zurückblieb, war es fraglich, obsein Nachfolger den Terranern ebenfallsUnterstützung gewährte.

„Sie sind alt, das stimmt“, sagte Rhodaneindringlich. „Aber das ist gerade der Grund, warumdie Klassenlosen Ihre Hilfe brauchen. Sie habengenügend Erfahrung, um die richtigenEntscheidungen zu treffen.“

„Niemand kann mich umstimmen“, erklärte Pohiiktrotzig.

„Vielleicht haben Sie nur Furcht davor, nocheinmal anzufangen“, meinte Rhodan nachdenklich.„Sie wollen keine Verantwortung mehrübernehmen.“

Pohiik schwieg. Sein Facettenauge war starr aufden freien Platz inmitten des Camps gerichtet.Rhodan wußte, daß der Twonoser jetzt angestrengtüberlegte, wie er Rhodans Vorwürfe entkräftenkonnte. Der Großadministrator unterdrückte nur mitMühe ein Lächeln. Es gab kaum eine intelligenteLebensform in der Galaxis, die nicht einen gewissenStolz besessen hätte. Auch hier, imAndro-Beta-Nebel, war das nicht anders.

Pohiiks Rüssel krümmten sich. „Nun gut“, sagte erschließlich. „Ich werde mit euch gehen.“

„Ich wußte es“, erwiderte Rhodan. Pohiik legteeinen Rüssel auf Rhodans Schulter. „Kommen Sie“,forderte er den Terraner auf. „Es wird Zeit, daß wirden anderen folgen. Die Blaurüssel werden balddamit beginnen, einen Zugang ins Campfreizusprengen.“

Rhodan deutete zu den Gebäuden hinüber. „Ichwarte noch auf drei meiner Freunde, Pohiik.“

Der Twonoser war plötzlich wieder vollerUnternehmungslust. Rhodan fühlte, daß Pohiikimmer unruhiger wurde.

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„Führen Sie die Flüchtlinge an einen sicherenPlatz“, schlug er dem Haushaltsverbrecher vor. „Ichwerde später nachfolgen.“

Pohiik wedelte unschlüssig mit beiden Rüsseln,dann wandte er sich mit einem Ruck von Rhodan ab.Ohne ein weiteres Wort ging er davon. Inzwischenwaren die letzten Twonoser aus dem Campverschwunden. Die baufälligen Gebäude machteneinen Eindruck, als seien sie seit Jahren nicht mehrbewohnt worden.

Rhodan setzte sich in Bewegung und ging langsamauf das Haus zu, in dem Melbar Kasomverschwunden war. Bevor er eintrat, hörte er dieersten Explosionen. Wie Pohiik prophezeit hatte,begannen die Blaurüssel, sich einen Weg ins Campfreizusprengen.

Wegen Tolot machte sich Rhodan keine Sorgen.Der Haluter würde Kapitanski vor den Polizistenretten, sofern der Sergeant überhaupt noch am Lebenwar.

Im Eingang des Gebäudes blieb Rhodan stehen.„Kasom!“ rief er in den dunklen Vorraum hinein.„Sie müssen gleich hinter dem Eingang rechts

abbiegen, Sir“, antwortete die vertraute Stimme desUSO-Spezialisten.

„Atlan hat den größten Teil der Beleuchtungausgeschaltet, um Energie zu sparen.“

Ohne zu zögern, ging Rhodan durch den dunklenRaum. Als er einige Meter zurückgelegt hatte, klangvor ihm Stimmengewirr auf. Er konnte die StimmeRakal Woolvers heraushören. Der Mutant warzurückgekehrt. Gleich darauf flammten einigeLampen auf.

Rhodan sah Atlan und Kasom vor einigenMaschinen sitzen. Der Wellensprinter hatte die Armein die Hüften gestützt und lehnte mit dem Rückengegen ein Kontrollbrett.

„Haben Sie die CREST erreichen können, Major?“erkundigte sich Atlan.

Woolver nickte ernst. Am Gesichtsausdruck desImarters konnte Rhodan sehen, daß der Mutantschlechte Nachrichten brachte.

„Die Rotrüssel beginnen mit der Demontageeiniger Maschinen“, berichtete Woolver. „ZumGlück haben sie noch keine wichtigen Teile zerstört,aber es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie nichtwiedergutzumachenden Schaden an den Triebwerkenanrichten.“

„Das hatte ich befürchtet“, sagte Rhodan. „Wirmüssen Pohiik dazu bringen, daß er uns bei einemsofortigen Vorstoß in die oberen Etagen des Mobysunterstützt.“

„Der Twonoser wird jetzt andere Sorgen haben“,wandte Atlan ein.

„Schon möglich“, gab Rhodan zu. „Andererseitskann es ihm nur recht sein, den Gegner zu einem

Zeitpunkt anzugreifen, da seine Männer ihr Campverloren haben.“

Von draußen drang der Lärm weiterer Explosionenherein. Wie auf ein verabredetes Kommando standenAtlan und Kasom auf.

„Es wird Zeit“, sagte Rhodan. „Die Blaurüsselwerden das Camp bald erreicht haben.“

„Was ist mit Tolot?“ wollte Melbar Kasom wissen.„Der Haluter weiß genau, was er zu tun hat“, sagte

Atlan. „Um ihn brauchen wir uns keine Gedanken zumachen.“

Sie verließen das Gebäude. Vorher schaltete Atlansämtliche Maschinen aus. Rhodan führte die dreiMänner zum Eingang der Ader, in die dieHaushaltsverbrecher geflüchtet waren. Dort machtensie halt.

Rhodan deutete zu den Deckenstrahlern hinauf.„Wir zerschießen sie“, ordnete er an. „Wenn es im

Camp dunkel ist, werden die Blaurüssel einige Zeitaufgehalten.“

Nachdem sie die Strahler zerstört hatten, drangensie in den schmalen Gang ein. Er war breit genug, umdrei Männern nebeneinander Platz zu bieten.

„Wie wollen wir in die oberen Etageneindringen?“ fragte Atlan seinen terranischen Freund.„Wenn wir die Strecke zu Fuß zurücklegen, werdenwir Monate benötigen, um unser Ziel zu erreichen.Was nützt es uns dann, wenn die Woolver-Zwillingebis zur CREST vorstoßen können?“

„Es gibt nur eine Möglichkeit, um schnell nachoben zu gelangen“, antwortete Rhodan. „Wir müsseneinen Interkastenzug überfallen und ihn für dieRückfahrt benutzen.“

Atlan stieß einen leisen Pfiff aus. Im Licht derFackel, die der vorausgehende Kasom trug, konnteRhodan sehen, wie der Arkonide den Kopf schüttelte.

„Weiß Pohiik von dieser Idee?“ erkundigte sichAtlan.

„Er wird davon erfahren, sobald wir dieFlüchtlinge eingeholt haben.“

„Vielleicht gelingt es uns tatsächlich, einen Zug zuüberfallen und in Besitz zu nehmen“, gab Atlan zu.„Ich bezweifle jedoch, daß wir auch nur eine einzigeMeile damit fahren werden.“

Innerlich war Rhodan nicht so zuversichtlich, wieer den Anschein erweckte. Ohne die Unterstützungder Haushaltsverbrecher konnten sie ihren Plan nichtdurchführen. Es kam darauf an, was Pohiik zuRhodans Idee zu sagen hatte.

*

Es war ein gespenstisches Bild, die Twonoser imSchein der Fackeln am Boden sitzen zu sehen. DieKlassenlosen hatten einen weiten Kreis gebildet undin dessen Mitte einige Fackeln aufgestellt. Pohiik

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stand neben den brennenden Stauden.Die Terraner hatten sich in den Hintergrund

zurückgezogen, weil Rhodan angeordnet hatte, dieTwonoser bei ihren Beratungen nicht zu stören. Vorungefähr sieben Stunden hatten die Flüchtlinge diesekleine Halle erreicht. Kurz darauf waren auch Tolotund Kapitanski angekommen. Der Gang, den sie alsFluchtweg benutzt hatten, war durch Fernzündunggesprengt worden. Es bestand im Augenblick keineGefahr einer Verfolgung durch die Blaurüssel.

Rhodan beobachtete, daß Pohiik erregt mit einigenjüngeren Twonosern debattierte, die offenbar mit denPlänen ihres Anführers nicht einverstanden waren.Pohiik hatte einen Bioparasiten töten und über demFeuer der Fackeln rösten lassen. Diese Nahrung waran die Rüsselwesen verteilt worden. Die Terranerhatten es abgelehnt, an dieser Mahlzeit teilzunehmen.Der Gestank des verbrannten Fleisches lag nochimmer in der Luft.

„Wie lange wird es noch dauern, bis dieseBurschen eine Entscheidung getroffen haben?“raunte Kasom an Rhodans Seite.

„Pohiik hat einen schweren Stand“, erwiderteRhodan. „Die Haushaltsverbrecher sind es gewohnt,nur an ihren unmittelbaren eigenen Vorteil zudenken. Berücksichtigt man ihre Lebensverhältnisse,ist das sogar verständlich. Es wird nicht einfach sein,ihnen begreiflich zu machen, daß es für sie vonNutzen sein kann, wenn sie uns unterstützen.“

Pohiik sprach jetzt lauter. Er hatte beide Rüsselerhoben. Leidenschaftlich redete er auf seine Zuhörerein. Schließlich riß er eine Fackel vom Boden hochund schwang sie wie eine Keule über seinen Kopf.Ein paar Twonoser sprangen auf und begannen zuschreien.

„Die Diskussion wird lebhafter!“ rief Atlan. Pohiikverließ seinen Platz, durchbrach den Ring derZuhörer und kam direkt auf Rhodan zu.

„Folgen Sie mir“, verlangte er. „Es ist mirgelungen, die anderen von der Richtigkeit unseresVorhabens zu überzeugen.“

„Seien Sie vorsichtig, Sir“, warnte Kasom. „GehenSie nicht allein mit ihm.“

Rhodan hob die Schultern. Es blieb ihm nichtsanderes übrig, als dem Anführer der Klassenlosen zuvertrauen. Ohne Kasoms Protest zu beachten, ging erhinter Pohiik zu den erregten Twonosern hinüber.

Pohiik schleuderte die Fackel davon und hobseinen Rüssel. Zu Rhodans Erstaunen verstummtendie Rüsselwesen.

„Wir halten es für unmöglich, sofort bis in dieRückenetage der Rotrüssel vorzustoßen“, sagtePohiik zu Rhodan. „Bei den Blaurüsseln gibt es keinDurchkommen.“

„Wir müssen aber die Verteilerstation erobern,wenn wir eine Chance haben wollen, unsere Gegner

in Schach zu halten“, sagte Rhodan.Pohiik wartete geduldig, bis der Translator

Rhodans Worte übersetzt hatte.„Es gibt noch eine andere Möglichkeit“, sagte er

dann. „Innerhalb des Wohngebietes der B-Kasteexistiert wie in jeder Etage eineHauptempfangsstation für die von den Rotrüsselngelieferte Energie. Diese müssen wir angreifen.“

Rhodan dachte nach. Es war undenkbar, daß esihnen gelang, die militärisch gut ausgerüstetenBlaurüssel zu überwinden. Nur durch eineblitzschnelle Aktion der Woolver-Zwillinge war inder Mitteletage etwas zu erreichen.

Als Pohiik weitersprach, stellte es sich heraus, daßder Twonoser ebenso dachte.

„Ihre beiden Männer, die Sie Mutanten nennen,müssen diesen Angriff durchführen“, sagte derKlassenlose. „Wenn es uns gelingt, dieEnergieversorgung der B-Kaste zu gefährden, habenwir gute Aussichten, die Mitteletage zu überwinden.“

„Gibt es außer der Hauptstation weitereEnergieempfänger?“ fragte Rhodan.

„Ja“, bestätigte Pohiik. „Sie sind jedoch für eineNotversorgung gedacht und fallen kaum insGewicht.“

Wenn es den Woolver-Zwillingen gelang,unbemerkt in die Hauptempfangsstation der B-Kasteeinzudringen und dort einige Zerstörungen zuverursachen, bestand die Möglichkeit, daß dieBlaurüssel die C-Kaste für die Vorfälleverantwortlich machten. Dann waren dieVoraussetzungen für eine Auseinandersetzung dereinzelnen Kasten erfüllt.

„Wir haben auch über Ihren Vorschlaggesprochen, einen Interkastenzug zu überfallen“,drang Pohiiks Stimme in Rhodans Gedanken.

„Zu welcher Entscheidung sind Sie gekommen?“fragte Rhodan gespannt.

Pohiik zögerte. „Es ist zu schwierig“, sagte er.„Wir müssen uns mit einem Versorgungszugbegnügen, der nur von wenigen Wächtern begleitetwird.“

„Dafür gibt es bei einem Versorgungszug andereSchwierigkeiten?“ vermutete Rhodan, der allmählichlernte, das Verhalten eines Twonosers richtig zudeuten.

„Ja“, gestand der Haushaltsverbrecher. „DieseZüge sind mit Bioparasiten und Früchten beladen. Eswird schwer sein, für uns alle Platz zu finden.Außerdem sind die Parasiten gefährlich.“

Rhodan wandte sich zu den Zuhörern. Er schalteteden Translator auf volle Lautstärke. Er hatte dasGefühl, daß die Twonoser erwartungsvoll auf ihnschauten.

„Wir überfallen einen Versorgungszug“, sagte erentschlossen.

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3.

Zwischen den Woolver-Zwillingen bestand einegefühlsmäßige Verbindung. Das hieß, daß einWellensprinter heftige Gefühlsäußerungen seinesBruders über große Entfernungen hinwegwahrnehmen konnte.

Rhodan glaubte, daß sich diese Fähigkeit derbeiden Imarter während des Überfalls auf denVersorgungszug zu ihrem Vorteil ausnutzen ließ.

Brodger Kapitanski glaubte es nicht. Doch er hättenie gewagt, die Pläne des Großadministrators zukritisieren. Dabei waren dem Sergeanten RhodansPläne anfangs als vernünftig erschienen.

Das hatte sich geändert, als Kapitanski durch einewinzige Ader in die Rohrbahn gekrochen war, durchdie der Versorgungszug kommen mußte.

Kapitanski stand jetzt mitten auf demSchienenstrang. Das Licht der Fackel warfgespenstische Schatten. Die Metallschiene kam ihmbreiter vor, als der Sergeant sie von der Fahrt mitdem Interkastenzug in Erinnerung hatte. Es war einUnterschied, ob man in einem Zug saß, oder auf demSchienenstrang darauf wartete.

Rakal Woolver, erinnerte sich Kapitanski, wardurch eine der vielen Energieleitungen innerhalb derRohrbahn zur nächsten Bahnstation gesprungen, umheimlich in den Versorgungszug zu gelangen. RakalsBruder Tronar wartete zusammen mit Icho Tolotetwa zwei Meilen vor Kapitanski. Natürlich konnteRakal Woolver nicht wissen, an welcher Stelle derRohrbahn die Haushaltsverbrecher dem Zugauflauerten. Es war unmöglich, diese Stelle vomfahrenden Zug aus zu berechnen, wenn die Wagendurch die Dunkelheit der Ader fuhren.

Deshalb hatten die beiden Wellensprinter eineinfaches Signal verabredet, von dem Rhodan hoffte,daß es funktionierte, und von dem Kapitanskiannahm, daß es ein Fehlschlag sein würde.

Sobald Icho Tolot den Zug hören konnte, sollte erTronar Woolver heftig auf die Schulter schlagen.Rhodan hatte mit Absicht Tolot für diesen Auftraggewählt, weil er wußte, daß selbst einfreundschaftlicher Hieb des Haluters Schmerzenauslösen würde. Rakal Woolver, der mit seinenmentalen Sinnen angespannt „lauschte“, mußtediesen plötzlichen Schmerzanfall seines Brudersregistrieren. Danach würde er am Antrieb desVersorgungszuges sabotieren, um den Zug zustoppen.

Das Schienenfahrzeug sollte spätestens dort zumStillstand kommen, wo Sergeant Kapitanski wartete.

Wenn Kapitanski an die vielen Möglichkeiteneines Versagens der Woolvers dachte, begann er zuschwitzen.

Es war fraglich, ob Rakal Woolver den Zugüberhaupt erreichte. Außerdem konnte es passieren,daß das Para-Signal nicht übermittelt wurde. Der Zugwürde dann wie ein Geschoß weiterrasen und demSergeanten kaum eine Chance zur Flucht lassen.

Brodger Kapitanski bückte sich und preßte ein Ohrgegen die Schiene. Noch konnte er nichts hören.

Eine halbe Meile hinter ihm, gerade so weitentfernt, daß sie sehen konnten, wenn Kapitanski mitder Fackel winkte, warteten die Terraner und dieHaushaltsverbrecher. Der Sergeant bildete dieSignalstation zwischen Tolot und Perry Rhodan. Erhatte sich freiwillig für diese Aufgabe gemeldet.

Jetzt wünschte er, er hätte es nicht getan.Unwillkürlich dachte er an Baynes, an Lord

Kendall Baynes, der sein Leben geopfert hatte, umihnen die Flucht zu ermöglichen. Kapitanski hattenicht vor, das zweite Opfer zu sein. Er war einnüchtern denkender Mensch. Romantik undübertriebener Idealismus lagen ihm fern. Wenn esdarauf ankam, würde er verzweifelt um sein Lebenkämpfen.

Wieder beugte er sich hinab und lauschte an derSchiene. Diesmal konnte er etwas hören. DerVersorgungszug kam. Er mochte noch zehn odermehr Meilen entfernt sein, aber er näherte sichunaufhaltsam. Der Sergeant mußte sich dazuzwingen, ruhig auf dem Schienenstrangstehenzubleiben. Noch war er seiner Sache nichtsicher.

Das Geräusch, das der herannahende Zug machte,wurde allmählich lauter. Kapitanski rechnete jedenAugenblick damit, die großen Wagen aus derDunkelheit heraus auf sich zurasen zu sehen. Ersprang auf und winkte mit der Fackel. Weit hinterihm blitzte ein Lichtpünktchen auf. Rhodan hatte dieNachricht des Sergeanten empfangen.

Jetzt würde Icho Tolot Tronar Woolver„kameradschaftlich“ auf die Schulter klopfen, damitsich das plötzliche Schmerzgefühl Tronar Woolversauf Rakal übertrug.

Kapitanski schaute sehnsüchtig in die Richtung,wo er die rettende kleine Ader wußte, durch die sie indie Rohrbahn eingedrungen waren. Jetzt war nochgenügend Zeit, sich in Sicherheit zu bringen.

Wenige Augenblicke später konnte Kapitanski denZug hören, ohne ein Ohr auf die Schiene zu legen.Die Haftrollen erzeugten ein schleifendes Geräusch,durchdringend und schrill. Kapitanski biß sich auf dieZungenspitze. Seine Nerven waren angespannt.

Er stand mit aufgerissenen Augen da, die Fackelhoch erhoben. Wenn in diesem Augenblick die erstenWagen im Lichtschein aufgetaucht wären, hätte erkeinen Schritt zur Seite machen können. Kapitanskihatte schon immer unter der bedrückendenAtmosphäre Fremder Planeten gelitten. Selten war es

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ihm gelungen, absolut fremdartige Dinge zuakzeptieren. Hier, im Innern eines gigantischenLebewesens verstärkte sich die Abneigung desSergeanten gegen alles Nichtirdische.

Kapitanski war intelligent genug, diesen Komplexzu bekämpfen, doch in Momenten höchster Gefahrerwies dieser sich als stärker. Der Lärm des Zugesnahm an Heftigkeit zu. Die gesamte Rohrbahnbegann zu vibrieren. Die Schiene unter KapitanskisFüßen schien sich zu bewegen. Die Fackel flackerteunruhig.

Da gewann der Sergeant seine Überlegung zurück.Er versuchte zu schätzen, wie weit der Zug nochentfernt war. Kapitanski wußte, daß hinter ihm dieTerraner mit ihren neuen Verbündetenlosmarschierten, um das Schienenfahrzeug zubesetzen.

Da rollte der vorderste Wagen in den Lichtkreisder Fackel. Kapitanski schrie auf und warf sich zurSeite. Instinktiv fühlte er, daß er keine Chance hatte,wenn der Zug nicht zum Stehen kam. Seineausgestreckten Hände berührten die Seitenwand derRohrbahn. Eng preßte er sich dagegen, obwohl ihmdas keine Rettung gebracht hätte, denn die Wagenfüllten die Ader fast vollkommen aus.

Mit geschlossenen Augen wartete er auf denkurzen Augenblick wahnsinnigen Schmerzes, derseinem Tod vorangehen würde. Doch nichts geschah.Der Sergeant drehte sich um. Die Fackel lagbrennend auf dem Schienenstrang.

Etwa zwanzig Meter von Kapitanski entfernt standder vordere Wagen.

Kapitanski atmete erleichtert auf. Rhodans Planhatte funktioniert. Rakal Woolver hatte das Signalseines Zwillingsbruders empfangen und schnellgenug gehandelt.

Der Sergeant wagte nicht, sich allein dem Zug zunähern. Er wußte, daß mindestens zehn Wächterinnerhalb der Wagen waren. Außerdem gab eswahrscheinlich Hunderte von Bioparasiten im Innerndes Zuges. Kapitanski fragte sich, wie die Wächterreagieren würden. Er rechnete damit, daß sie sich inden Wagen verschanzten, weil sie nicht wissenkonnten, was sie außerhalb des Zuges erwartete.

Unter diesen Umständen würde es schwer sein,den Versorgungstransport zu übernehmen.Kapitanski machte sich darüber jedoch keineGedanken. In wenigen Minuten würden dieHaushaltsverbrecher hier erscheinen. Sie wußten, wieman den Widerstand einiger Blaurüssel brechenkonnte. Außerdem näherten sich in diesemAugenblick Icho Tolot und Tronar Woolver dem Zugvon der anderen Seite. Um Icho Tolot aufzuhalten,mußten sich die Wächter etwas Besonderes einfallenlassen.

Kapitanski hoffte, daß die Zuginsassen ihn nicht

entdeckten. Allein war er vollkommen hilflos.Sie hatten den Zug zum Stehen gebracht. Nun kam

es darauf an, ihn zu erobern.

*

Wie die Haushaltsverbrecher vorhergesagt hatten,wurde der Transport von zehn Wächtern begleitet. Eswaren militärisch geschulte Blaurüssel. Sieverbarrikadierten sich im vordersten Wagen undleisteten hartnäckigen Widerstand. Es gelang ihnen,zwei der Angreifer zu erschießen.

Schließlich waren es Tolot und die beidenWoolver-Zwillinge, die dem Kampf ein Endemachten.

Durch ein großes Loch in der Vorderfront desWagens kamen die überlebenden Wächter miterhobenen Rüsseln heraus.

„Sie ergeben sich!“ rief Pohiik befriedigt.Die Klassenlosen fielen über die Blaurüssel her

und begannen sie zu mißhandeln. Rhodan ging sofortzu Pohiik, um dagegen zu protestieren.

„Sagen Sie Ihren Männern, daß sie damit aufhörensollen“, sagte er scharf.

Pohiik blickte ihn verständnislos an. „Es sindunsere Feinde“, erinnerte er den Terraner.

„Sie sind unsere Gefangenen“, berichtigte Rhodan.„Was würden Sie davon halten, wenn man Sie inGefangenschaft so behandeln würde?“ Pohiik grunzteverächtlich. „Niemand wird mich fangen“,behauptete er.

Rhodan sah ein, daß es sinnlos war, mit demAnführer der twonosischen Gesetzlosen darüber zudiskutieren. Er war froh, als Pohiik seinen Anhängernbefahl, den Zug zu besetzen. Mit einerherablassenden Geste deutete Pohiik auf die sechsWächter, die den Angriff überlebt hatten.

„Sie können Sie jetzt erschießen lassen“, sagte erzu Rhodan.

Rhodan nickte nur. Dann ging er mit einemTranslator zu den Blaurüsseln.

„Verschwindet hier!“ rief er ihnen zu. „Verkriechteuch irgendwo, bevor euch die Haushaltsverbrecherwieder einfangen.“

Fünf der Wächter rannten davon. DerZurückgebliebene musterte Rhodan durchdringend.„Wer sind Sie?“ fragte er. Rhodan warf einenschnellen Blick zum Zug. „Beeilen Sie sich“, drängteer. „Sobald Pohiik wieder herauskommt, sind Sieverloren.“

Zögernd drehte sich der Blaurüssel um und gingdavon. Er konnte sich offenbar nicht damit abfinden,von einem Rüssellosen besiegt worden zu sein.

Kaum war der letzte Wächter in der Dunkelheit derAder verschwunden, als Pohiik wieder erschien. Deralte Twonoser winkte vergnügt mit seinen Rüsseln.

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„Es wird nicht schwer sein, den Zug wieder inGang zu bringen“, erklärte er. „Es sind nur vierWagen. Damit kommen wir gut durch das Gebiet derBlaurüssel - vorausgesetzt, es gelingt Ihren Mutanten,die Empfangsstation der B-Kaste außer Betrieb zusetzen.“

„Die Woolver-Zwillinge werden alles tun, umauch diesen Teil unseres Planes erfolgreichauszuführen“, versicherte Rhodan.

„Für einen Mann ohne Rüssel sind Sie erstaunlichentschlußkräftig“, bemerkte Pohiik.

Rhodan mußte lachen. „Pohiik, Sie und Garko derStarke könnten zusammen der Diktatur der Rotrüsselein Ende machen.“

Der Haushaltsverbrecher wurde ärgerlich. „Garkoder Starke? Er wagt es nicht, sich offen für unseinzusetzen. Er besitzt keinen Mut.“

„Das möchte ich bezweifeln. Ich glaube vielmehr,daß er zu schlau ist, einen aussichtslosen Kampf zuwagen.“

„Der Kampf gegen die Rotrüssel wird immeraussichtslos sein“, entgegnete Pohiik nachdenklich.

Zum erstenmal hatte Pohiik offen darübergesprochen, wie er über den Ausgang ihresUnternehmens dachte. Der alte Twonoser hatte inseinem Leben schon viele Rückschläge erlebt. Erglaubte nicht mehr an einen Sieg.

Rhodans Gedanken wurden unterbrochen, als IchoTolot seinen massigen Kopf durch ein Loch imvorderen Wagen streckte. „Kasom!“ rief der Haluter.Melbar Kasom kam an Rhodan vorüber. „Was wollenSie?“ fragte er lautstark.

„Der Zug hat vier Wagen“, berichtete Tolot. „Undalle sind mit Nahrungsmitteln beladen. Wie gefälltIhnen das?“

„Bioparasiten und twonosischer Riesenmais“entgegnete Kasom. „Damit können Sie einen Ertrusernicht in Ekstase versetzen.“

4.

Rakal Woolver materialisierte unmittelbar voreinem Verteiler am Ende der Rohrbahn. Über tausendMeilen hinter ihm raste jetzt der Versorgungszugdurch die Ader. Woolver schätzte, daß mindestensacht Stunden vergehen würden, bevor der Zug dieseStelle passierte. Zu diesem Zeitpunkt mußten dieBlaurüssel so mit ihrer Energieversorgungbeschäftigt sein, daß sie dem Schienenfahrzeug keineAufmerksamkeit schenken würden. Woolver stand ineiner gewaltigen Halle, die zum Wohngebiet derB-Kaste gehörte. Einige Meilen von ihm entferntbefand sich ein Landeplatz für kleinere Raumschiffe.Woolver vermutete, daß er eine Werft vor sich hatte,denn die Hangars der Blaurüssel lagen in denAußenbezirken des Mobys. Im Augenblick mußte

Woolver nicht befürchten, daß er von einemTwonoser entdeckt wurde. Hier oben, am Eingangder Rohrbahn, zeugten lediglich einige größereWerkzeuglager von der Anwesenheit der Blaurüssel.

Im Zentrum der Halle jedoch wimmelte es vonTwonosern. Woolver sah langgestreckte Gebäude,die eine gewisse Ähnlichkeit mit Kasernen besaßenund wahrscheinlich auch den gleichen Zweckerfüllten. Der Mutant erinnerte sich, daß fast alleBlaurüssel zum Militär gehörten.

Woolver glaubte nicht, daß es sehr schwer seinkonnte, die Energiezentrale der Mitteletage zu finden.Er mußte sich nur in die Hauptenergiebahneneinfädeln, um dorthin zu gelangen. Er hoffte, daß erschon nach wenigen Versuchen Erfolg haben würde.Schwieriger würde es sein, innerhalb derEmpfangsstation einige Sabotageakte auszuführen,die die Energieversorgung der Blaurüssel für längereZeit lahmlegten.

Rakals Bruder Tronar war mit dem gleichen Zielunterwegs. Nach kurzer Beratung hatten sich diebeiden Imarter geeinigt, getrennt zur Zentrale zuspringen. Dort würden sie jedoch gemeinsamoperieren. Dadurch konnten sie sicher sein, daßwenigstens einer sein Ziel erreichte.

Woolver nahm nicht an, daß die Interkastenzügevon den einzelnen Empfangsstationen der Etagen mitEnergie versorgt wurden. Das hätte im Falle einerAuseinandersetzung den Bahnverkehr zu sehrgefährdet. Wahrscheinlich steuerten die Rotrüsselvon der Hauptverteilerstation aus dieEnergiebelieferung der Züge.

Das bedeutete, daß Woolver auf dem Weg über dieenergieführenden Leitungen der Bahn sein Ziel nichterreichen konnte. Er mußte tiefer in diese Halleeindringen und sich andere Energiequellen suchen.Der Imarter hoffte, daß seine Überlegungen richtigwaren. Es hing viel davon ab, ob der Versorgungszugauch dann weiterfuhr, wenn die Energieversorgungder Mitteletage ausfiel.

Innerhalb der Halle, in der der Wellensprintermaterialisiert war, gab es weder Maisfelder nochFarmen zur Bioparasitenzucht. Das bewies einmalmehr, daß die beiden oberen Kasten ausschließlichvon den Weißrüsseln mit Nahrung versorgt wurden.Die einzelnen Kasten waren mehr oder wenigeraufeinander angewiesen, obwohl sie sich alles andereals freundlich gesinnt waren. Woolver schloß daraus,daß innerhalb dieser eigenartigen Gesellschaftsformstärkere Spannungen herrschten, als Rhodan bisherangenommen hatte. Ein nichtiger Anlaß konntegenügen, einen Krieg der Twonoser untereinanderheraufzubeschwören.

Woolver versuchte, die Lage innerhalb des Mobysobjektiv zu beurteilen. Er konnte nicht verhindern,daß sich seine Sympathie den Weißrüsseln zuneigte,

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da ausschließlich diese Kaste eineüberdurchschnittliche Produktivität entfaltete. DieWeißrüssel mußten für den Unterhalt der B- undC-Kaste mitarbeiten.

Rakal Woolver unterbrach seine Gedanken undsuchte nach einem Impulsecho, das von denEnergieleitungen der Bahn unabhängig war. Etwadreißig Meter von ihm entfernt stieß er auf einschalenförmiges Gebilde, das nur wenige Zentimeterüber den Boden ragte. Die paranormalen Sinne desMutanten fühlten die pulsierenden Energieströmeinnerhalb des vor ihm liegenden Verteilers. Es gabmindestens zwanzig Impulsechos, aber nur eines warso stark, daß Woolver sich Erfolg davon versprach,diese Verbindungsleitung als Trägermedium zubenutzen. Der Mutant fädelte sich ein undmaterialisierte fast gleichzeitig an einer anderenStelle. Geblendet schloß er die Augen. Er war vonstrahlender Helligkeit umgeben.

Nach wenigen Sekunden hatten sich seine Augenan die Lichtfülle gewöhnt. Er stellte fest, daß er sichim Innern eines Quaders befand, der langsam rotierte.Woolver spürte genügend Impulsechos, mit derenHilfe er sich von diesem Platz entfernen konnte. Erwollte jedoch herausfinden, wo er materialisiert war.

Der riesige Würfel war aus einem Kristallbrockenentstanden, wie es sie im Innern des Mobys in großenMengen gab. Woolver wußte nicht, wie es denTwonosern gelungen war, den Kristall auszuhöhlen,ohne ihn dabei zu zerstören. Ein weiteres Rätsel wardas helle Licht, das von den Wänden des Würfelsausstrahlte.

Woolver betastete vorsichtig den Boden. Auch erbesaß ungewöhnliche Leuchtkraft. Das Materialjedoch, das Woolver berührte, war eiskalt. DieKantenlänge des Würfels betrug mindestens dreiMeter. Man hatte ihn so aufgestellt, daß nur eineSpitze den Boden berührte. Woolver nahm an, daßder Riesenstein auf einer drehbaren Scheibe montiertwar. Er fragte sich, welchen Zweck der Würfelerfüllen sollte.

Es drangen keine Geräusche zu dem Imarterherein, und er konnte die strahlenden Wände mit denAugen nicht durchdringen.

Als Woolver sich entschloß, den unheimlichen Ortzu verlassen, öffnete sich der Würfel.

Alle Wände sanken gleichzeitig zur Seite.Fasziniert schaute der Mutant zu. Im gleichen Maße,wie die Wände zusammenschrumpften, ließ auch ihreLeuchtkraft nach. Unter normalen Umständen wäreRakal Woolver jetzt geflüchtet, doch einunbestimmbares Gefühl hielt ihn zurück.

Die Wände sanken weiter und gaben den Blick aufeinen von Fackeln erhellten Raum frei. Mindestensfünfhundert Blaurüssel hockten mit gesenktenKöpfen kreisförmig um den Würfel herum.

Irgendwo aus dem Hintergrund des Raumes kamschauerlich klingende Musik.

Schlagartig begriff Woolver, daß er zumMittelpunkt irgendeines heidnischen Ritualsgeworden war.

Ich könnte ihnen ein kleines Schauspiel vorführen,dachte der Mutant grimmig.

Er schaltete den Translator ein, den er von Pohiikerhalten hatte, und kletterte langsam aus dem Würfelheraus.

„Twonoser!“ rief er mit lauter Stimme.Die Köpfe ruckten hoch. Die Musik verstummte.

Fünfhundert Facettenaugen blickten Rakal Woolvermit unverhohlenem Entsetzen an.

Dann erhob sich ein großer Blaurüssel, der demWürfel am nächsten saß. Seine Haltung drückteDemut aus. Er legte seine Rüssel übereinander.

Woolver nahm an, daß diese Vorführung zu einerbestimmten Zeremonie gehörte.

„Ich bin gekommen, um euch zu verbieten, gegendie Weißrüssel zu kämpfen“, sagte der Mutant miterhobener Stimme. Er hoffte, daß der Translatorseine Worte mit der gleichen Eindruckskraftweitergab.

Der Blaurüssel vor Woolver hielt in seinenBewegungen inne. Seine Rüssel sanken in dieGrundstellung zurück.

„Du verlangst viel von uns. Strahlender“, erklärteder Twonoser.

Woolver wurde unsicher. Was immer er jetztantwortete, konnte ein Fehler sein, der die Blaurüsseldie wahre Identität Woolvers erkennen lassen würde.Woolver entschied sich dafür, trotzdem noch etwasfür Garko den Starken und sein Volk zu tun.

„Wenn ihr die Weißrüssel angreift, werden euchdie Strahlenden die Gunst versagen.“

Der Twonoser hob einen Rüssel und streckte ihnanklagend in Woolvers Richtung aus.

„Er belügt uns!“ schrie er. Ein Augenblickbetroffenen Schweigens folgte. Die Zeit innerhalbdes Raumes schien stillzustehen. Dann brach einunglaublicher Tumult los. Die Hälfte der bisher soandächtig lauschenden Twonoser sprang auf undstürmte auf Woolver zu.

Der Mutant gab seine würdevolle Haltung auf undrannte zum Würfel zurück. Diesmal blieb ihm nichtdie Zeit, unter vielen Impulsechos eines auszusuchen.Er entmaterialisierte im gleichen Augenblick, als dieersten Twonoser nach ihm griffen.

Er hoffte, daß die Blaurüssel durch sein plötzlichesVerschwinden so schockiert waren, daß sie seinerDrohung glaubten. Andererseits wirkte eineflüchtende Gottheit nicht gerade respekteinflößend,gestand sich Woolver ein, als er wiedermaterialisierte.

Er war in einem Lagerraum herausgekommen, der

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mit Waffen aller Art gefüllt war. Woolver trug einekleine twonosische Strahlenpistole, deshalbverzichtete er darauf, eine Handfeuerwaffemitzunehmen. Kein Blaurüssel hielt sich in seinerNähe auf, so, daß er in aller Ruhe nach einem starkenImpulsecho suchen konnte. Es wurde Zeit, daß er dieEmpfangsstation fand. Bestimmt war Tronar schondort angekommen und wartete.

Woolvers nächster Parasprung brachte ihn erneutin eine unangenehme Situation. Er materialisiertezwischen twonosischen Raumschiffswracks. AtomareBrennschneider zerschnitten hoch über ihm dieMetallwandungen der schrottreifen Schiffe. EinFunkenregen ging auf Woolver nieder. Mit einemSatz brachte sich der Mutant unter ein paarBlechplatten in Sicherheit. Das Fauchen und Zischender Brenndüsen übertönte alle anderen Geräusche.

Woolver kroch einige Zeit zwischen denRaumschiffstrümmern herum, ohne ein verwendbaresImpulsecho zu finden. Er fragte sich, wie erüberhaupt hierhergekommen war. DieAusstrahlungen der Brenner waren so stark, daß siedie Impulse der anderen Leitungen überlagerten. FürWoolver war es jedoch sinnlos, sich in denFlammenkopf einer atomaren Schneidmaschineeinzufädeln, die ihn höchstens zehn Meter weittransportiert und dann zu Asche zerstrahlt hätte.

Die Wracks selbst führten keine Energien mehr.Sämtliche Leitungen waren tot. Dem Imarter bliebnichts anderes übrig, als eine möglichst großeEntfernung zwischen sich und die Brennschneider zubringen.

Plötzlich fühlte er sich vom Boden hochgerissen.Verzweifelt klammerte er sich an einigenMetallstreben fest, bis er feststellte, daß die Platte,auf der er lag, die Aufwärtsbewegung mitmachte. Erwälzte sich vorsichtig herum. Einen Meter von ihmentfernt haftete die Magnettrosse eines Krans. DieLast pendelte unruhig hin und her. Woolverbefürchtete, er könnte gegen andere Teile des Wracksgeschlagen werden. Hastig ortete er. DieMagnettrosse strahlte ein kaum spürbares Impulsechoaus. Für Woolver genügte es.

Er gewann seine körperliche Substanz hoch überdem Schrottplatz zurück, genau im Kontrollstand desriesigen Krans. Der Twonoser, der den Kran steuerte,ließ verblüfft die Schalthebel los und betrachteteWoolver wie einen Geist.

Der Mutant hörte, wie die Last unter ihnenausgeklinkt wurde und polternd auf das Wrackzurückfiel.

Der Twonoser trug keine Waffe, aber er war auchso ein gefährlicher Gegner. Schneller als Woolvererwartet hatte, ging er zum Angriff über. Woolver,der keine Lust hatte, auf einer fünfzig Zentimetergroßen Trosse zu materialisieren, die frei in der Luft

schwebte, suchte verzweifelt nach anderenFluchtmöglichkeiten.

Die Rüssel des Twonosers berührten ihn, als ersich auflöste. Der Blaurüssel griff ins Leere. Woolverfand sich auf der anderen Seite des Kontrollraumeswieder. Beharrlich kam der Blaurüssel wieder auf ihnzu. Woolver zögerte, seine Waffe zu benutzen. Erhätte nie auf einen Unbewaffneten schießen können,auch dann nicht, wenn dieser sein Leben bedrohte.

Unerwartet umklammerte der Twonoser einenSchalthebel und brachte ihn in eine andere Stellung.Der Kran machte einen Sprung. Woolver verlor dasGleichgewicht und taumelte gegen die Außenwand.Der Twonoser stürmte auf ihn zu. Woolver ortete undverschwand. Der Blaurüssel schrie vor Wut undEnttäuschung auf, als er gegen die Wand prallte, wogerade noch der Gegner gestanden hatte.

Diesmal hatte der Imarter mehr Glück. Ermaterialisierte am Rande des Schrottplatzes. Vor ihmtürmten sich die unbrauchbaren Raumschiffe. Aufder anderen Seite entdeckte Woolver den Kran. Erbeobachtete, wie der Twonoser, den er überraschthatte, mit einem Lift herunterfuhr. Der Kranführerwürde bestimmt seine Vorgesetzten alarmieren.

Woolver lächelte spöttisch. Niemand würde demarmen Kerl seine Geschichte glauben.

Der Wellensprinter umging vorsichtig eineLagerhalle und fand schließlich ein stärkeresImpulsecho. Er war jetzt seit mindestens drei Stundenunterwegs. Wenn Tronar die gleichenSchwierigkeiten hatte, wurde es für den von Rhodanund Pohiik befehligten Versorgungszug kritisch. DieBlaurüssel würden bestimmt mißtrauisch werden,wenn ein nicht fahrplanmäßiger Zug durch ihr Gebietfuhr.

Als Rakal Woolver seinen nächsten Sprungbeendete, wußte er sofort, daß er diesmal sein Zielerreicht hatte. Der Raum, in dem er materialisierte,war mit Energiespeichern gefüllt. An der Deckehingen viele gelbe Spulen, die miteinander durchfingerdicke Drähte verbunden waren.

Doch das war es nicht, was Rakal Woolver davonüberzeugte, daß er die Hauptempfangsstation derBlaurüssel vor sich sah. Der eigentliche Beweis warsein Bruder Tronar, der vor einem Kontrollpult knieteund gerade dabei war, die Deckplatte abzuschrauben.

„Du bist ziemlich unvorsichtig“, begrüßte Rakalseinen Bruder. „Was hättest du getan, wenn anmeiner Stelle ein Twonoser erschienen wäre.“

Tronar deutete wortlos zum Eingang. Er hatte eineeinfache, aber wirksame Sicherheitsmaßnahmegetroffen, um nicht überrascht zu werden. DerTüröffner war von innen mit einem Draht umwickelt.Jeder, der den Raum betreten wollte, würde dabeierheblichen Lärm verursachen.

„Wann bist du angekommen?“ erkundigte sich

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Rakal Woolver.„Vor wenigen Minuten“, antwortete Tronar.

„Einmal hatte ich das Pech, inmitten einer Armeevon Blaurüsseln zu materialisieren. Sie trugen einSendegerät bei sich, mit dem sie jede beliebigeEnergiequelle anzapfen können. Es war mein Pech,daß ich in der Leitung war, die sie sich dazuaussuchten.“

Rakal grinste. „Wahrscheinlich sind sie vorSchreck zusammengebrochen, als du plötzlich vordem Gerät aufgetaucht bist“, vermutete er.

Tronar Woolver deutete auf eine versengte Stellean seiner Uniformjacke.

„Sie reagieren ziemlich schnell“, sagte er. „Dudarfst nicht vergessen, daß ich mindestens soerschrocken war wie sie.“

Rakal Woolver beugte sich zu seinem Bruderhinab.

„Ich habe inzwischen den ganzen Raumuntersucht“, erklärte Tronar. „Dabei habe ichfestgestellt, daß hier die wichtigsten Verteiler sitzen.“Er klopfte befriedigt gegen die Umrandung desKontrollpultes. „Es kommt uns sehr gelegen, daß dieTwonoser sämtliche Hauptrelais hier eingebauthaben.“

„Findest du?“ fragte Rakal. „Ich halte das für einenausgesprochenen Nachteil. Die Blaurüssel werden dieBeschädigungen viel leichter beheben können, wennsie auf einem Platz konzentriert sind.“

„Sie können unmöglich alle Schaltungen in kurzerZeit ersetzen“, wandte Tronar ein.

„Vielleicht nicht. Aber es ist immerhin möglich,daß sie eine vollkommene Kontrollanlage in Reservehaben. Schließlich ist dieses Gerät das wichtigsteinnerhalb der Station.“

Tronar nickte nachdenklich. „Ich glaube, du hastrecht. Wir müssen uns etwas anderes einfallenlassen.“

Rakal Woolver deutete auf die verschiedenenSpeicheranlagen. „Wir wissen, daß jedes dieserGeräte ein bestimmtes Gebiet der Mitteletage mitEnergie beliefert“, sagte er. „Wenn es uns gelingt,sämtliche Hauptleitungen zu zerstören, haben wirbestimmt mehr Erfolg, als wenn wir uns nur auf dieSchaltungen beschränken.“

„Ich habe noch einen besseren Vorschlag“, sagteTronar. „Wir zerstören beides: die Leitungen und dieRelais.“

Sie konnten fast eine Stunde arbeiten, bevor dieersten Blaurüssel auftauchten.

*

Als Rhodan feststellte, daß Pohiik allmählich denVerstand verlor, war der Zug schon seit einigenStunden unterwegs. Diese bedrohliche Entwicklung

mußte bei der Eroberung des Zuges ihren Anfanggenommen haben. Für einen Terraner war esunmöglich, die Hintergründe einer Geisteskrankheitbei einem Twonoser zu erkennen.

Rhodan schöpfte zum erstenmal Verdacht, alsPohiik im Maschinenraum auftauchte und sichwortlos vor den Kontrollen auf den Boden legte.Außer Perry Rhodan hielten sich noch Melbar Kasomund Atlan im Maschinenraum auf.

„Was ist passiert, Pohiik?“ erkundigte sichRhodan. Er gab sich Mühe höflich zu sprechen, weiler längst wußte, wie launisch derHaushaltsverbrecher sein konnte.

„Es gibt keine twonosische Maschine, die ich nichtbedienen könnte“, erklärte Pohiik.

„Ausgezeichnet“, erwiderte Rhodan ruhig. Ertauschte einen Blick mit Atlan, der wortlos den Kopfschüttelte.

Pohiik wälzte sich auf den Bauch undumklammerte mit einem Rüssel den Bremshebel desZuges.

„Ich kann diesen Zug zum Stehen bringen“,erklärte Pohiik ernsthaft.

„Das würden Sie natürlich nicht tun“, sagteRhodan. „Es genügt Ihnen, wenn Sie wissen, daß Siees tun können.“

Pohiik grunzte verächtlich und ließ den Hebel los.Er fing an, die anderen Kontrollen zu betasten.

„Sobald wir die Verteilerstation der Rotrüsselbeherrschen, werde ich die Bedienung der Maschinenübernehmen“, kündigte Pohiik an. „Es ist meineLebensaufgabe, die Energieversorgung innerhalb desMobys zu kontrollieren.“ Er lachte schrill. „StellenSie sich vor, wohin man die Energie überall leitenkann. Sogar in den Weltraum, wo sie einfachverpuffen würde.“

„Niemand hätte etwas davon“, warf Atlan ein.Pohiik sprang auf die Beine. „Warum nicht?“

fragte er ernsthaft. „Es gäbe mir ein Gefühlvollkommener Macht. Sämtliche Twonoser würdenallmählich erfrieren oder ersticken während ichzusehen könnte, wie sich die Energie im Weltraumentlädt. Ich könnte verschiedenfarbige Blitze ins Allschleudern, oder Feuerspiralen erzeugen, ohne, daßmich jemand daran hindern würde.“

„Dazu müssen wir erst einmal in derVerteilerstation sein“, erinnerte Rhodan.

Plötzlich war Pohiik wieder völlig normal.„Glauben Sie, daß Ihre Mutanten die Blaurüssel vonuns ablenken können?“ fragte er.

„Ich hoffe es“, antwortete Rhodan. „Wichtig istvor allem, daß sie es zum richtigen Zeitpunktschaffen. Pohiik, Sie wissen, wann der Zug in derMitteletage eintrifft. Wenn dort dieEnergieversorgung noch nicht zusammengebrochenist, müssen wir sofort umkehren.“

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„Das wird nicht möglich sein“, sagte derWeißrüssel. „Weshalb nicht?“

„Hinter uns“, sagte Pohiik, „folgt einInterkastenzug. Wenn wir umkehren, müssen wirzwangsläufig mit ihm zusammenstoßen.“

„Das würde bedeuten, daß uns die Blaurüsselgefangennehmen, wenn die Woolvers dieEmpfangsstation nicht außer Betrieb setzen können“,stellte Atlan nüchtern fest.

„Ja“, stimmte Pohiik zu. Er wedelte mit denRüsseln. „Ich habe eine neue Idee“, sagte er undverschwand aus dem Raum.

„Der Kerl spinnt, Sir“, sagte Kasom überzeugt, alssich die Tür hinter Pohiik geschlossen hatte.

„Leider scheinen Sie recht zu haben“, sagte PerryRhodan. „Das kann uns in Schwierigkeiten bringen.Nicht nur, daß Pohiik Unheil anrichten kann, wirdürfen auch nicht vergessen, daß es ohne ihn keineUnterstützung der Haushaltsverbrecher für uns gibt.Sie würden uns sofort im Stich lassen, wenn ihremAnführer etwas zustößt.“

„Was sollen wir tun?“ fragte Kasom.Rhodan wünschte, er hätte eine befriedigende

Antwort auf diese Frage geben können. Sie konntennur hoffen, daß Pohiik solange einigermaßen beiVerstand blieb, bis sie die Etage der B-Kaste hintersich hatten.

„Vielleicht wäre es besser, wenn wir ihnunauffällig überwachen lassen“, schlug Atlan vor.

„Wenn er das merkt, wird er wütend werden“,sagte Rhodan. „Er ist unberechenbar. Wenn wir ihnverärgern, kann es passieren, daß er uns einfach imStich läßt.“

Atlan lachte spöttisch. „Unser bester Verbündeterist ein Verrückter. Wie gefällt dir das, Perry?“

„Überhaupt nicht, aber wir müssen uns damitabfinden. Vor allem müssen wir hier imMaschinenraum bleiben und die Kontrollenüberwachen. Es darf nicht dazu kommen, daß Pohiikhier erscheint und die Fahrtrichtung des Zugesändert. Wenn es stimmt, daß hinter uns einInterkastenzug nachkommt, können wir uns keinenAufenthalt erlauben.“

Kasom zog ein halbes twonosisches Maiskorn ausseiner Tasche. Es gab ein krachendes Geräusch, als erein Stück davon abbiß.

„Ich schätze, wir werden es einige Zeit hieraushalten“, sagte er zufrieden.

*

Die Terraner hatten sich in den beiden leerenAbteilen des vorderen Wagens niedergelassen,während die Haushaltsverbrecher sich im Gang deszweiten Wagens aufhielten. Von den beiden letztenWagen hielten sich die Flüchtlinge fern. Dort waren

die Bioparasiten untergebracht.Sergeant Brodger Kapitanski verließ das größere

der beiden leeren Abteile und trat auf den Ganghinaus. Wenn er gehofft hatte, hier bessere Luftatmen zu können, so sah er sich enttäuscht. Auch aufdem Gang herrschte der stickige Geruch vor, derKapitanski aus dem Abteil getrieben hatte.

Kapitanski gähnte. Er hatte zwar etwas geschlafen,aber ausgeruht war er nicht. Die wenigen Stücketwonosischen Maises, die er gegessen hatte, lagenihm schwer im Magen.

Dennoch war er froh, einen Augenblick allein aufdem Gang stehen zu können. Ein paar Männer imAbteil schnarchten, die anderen diskutierten ihreFluchtpläne.

Kapitanski wunderte sich nicht, als Pohiik, derAnführer der Haushaltsverbrecher, aus demMaschinenraum kam und langsam durch den Gangauf den Sergeanten zuging. Der alte Twonoser warununterbrochen auf den Beinen.

Pohiik blieb vor Kapitanski stehen.„Sie sollen mit mir kommen“, sagte er nach einer

Weile zu dem Sergeanten.Kapitanski besaß keinen Translator, aber das Gerät

des Weißrüssels übertrug die Worte seines Besitzerseinwandfrei.

„Wohin?“ wollte Kapitanski wissen, der bequemmit dem Rücken gegen die Abteiltür gelehnt standund nur mit Unwillen daran dachte, diese Stellungschon nach so kurzer Zeit wieder aufgeben zumüssen.

Der Twonoser zeigte mit dem Rüssel in den Gang.„Zu den hinteren Wagen. Wir müssen eine

Kontrolle durchführen.“„Wer sagt das?“ erkundigte sich Kapitanski

aufgebracht.„Ihr Chef“, erwiderte Pohiik. „Der Mann, der

Perry Rhodan heißt.“Kapitanski zögerte. Welchen Grund sollte Perry

Rhodan haben ausgerechnet ihn mit dem Twonoserin die hinteren Wagen zu schicken? War esangebracht, daß er zum Maschinenraum ging, umsich Gewißheit zu verschaffen?

„Unsinn“ sagte Kapitanski. Dann wandte er sich anPohiik. „Wir können gehen“, sagte er.

Pohiik übernahm die Führung. Als die Stimmender Männer verstummt waren, kam sich der Sergeantziemlich verlassen vor. Das änderte sich auch nicht,als sie den zweiten Wagen betraten und bei denHaushaltsverbrechern vorbeikamen. Pohiik wurdevon einigen Twonosern angesprochen, doch er bliebnicht stehen und gab nur kurze und barscheAntworten.

Gleich darauf standen sie im vorletzten Wagen.Außer dem Geräusch des fahrenden Zuges war nichtszu hören. Kapitanski sah, daß die Abteile, in denen

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sich die Parasiten befanden, gut verschlossen waren.Pohiik ging bis zum Ende des Wagens.

„Hier ist alles in Ordnung“, stellte er fest. „Nunder letzte Wagen.“

Kapitanski warf mißtrauische Blicke auf dieAbteiltüren. Er wußte, daß die Bioparasiten noch vielzu klein waren, um eine gewisse Intelligenzentwickelt zu haben. Das bedeutete jedoch nicht, daßsie ungefährlich waren.

In der Mitte des Wagens blieb Pohiik stehen.„Ich werde Ihnen jetzt etwas zeigen“, sagte er zu

Kapitanski.„Es ist vielleicht besser, wenn wir zurückgehen“,

sagte der Sergeant.„Sie haben Angst“, stellte Pohiik enttäuscht fest.„Natürlich“, knurrte Kapitanski. „Ein alter

Sergeant hat genug überstanden, um jede Gefahr übereine Meile hinweg zu wittern.“

„Was ist das wittern?“ fragte Pohiik verdrossen.„Eine verfeinerte Art von Riechen“, erklärte

Kapitanski und wartete darauf, daß Pohiik umkehrenwürde.

Der Twonoser zog jedoch einen seltsam geformtenStab aus der Tasche. Er hielt ihn Kapitanskientgegen. „Wissen Sie, was das ist?“

„Nein“, brummte der Raumfahrer. „Ich habe nichtdie geringste Ahnung. Sie können mir das alles imvorderen Wagen erklären.“

Pohiik schien ihm überhaupt nicht zugehört zuhaben.

„Passen Sie auf!“ forderte er den Sergeanten auf.Er holte einen Beutel aus seiner Tasche und schütteteetwas gelbes Pulver in eine kleine Öffnung desStabes.

„Es ist verboten“, erklärte Pohiik geheimnisvoll.„Aber was ist eigentlich nicht verboten, wenn manein Haushaltsverbrecher ist?“

Kapitanski wich zurück, als der Twonoser dicht anein Abteil herantrat und das spitze Ende des Stabes inden Mund nahm. Pohiik beugte sich zum Schlitz desTürschlosses hinab. Der Sergeant sah, wie ein gelbesStaubwölkchen an der Tür entstand. Der Twonoserhatte das Pulver zu den Bioparasiten hineingeblasen.

„Das Pulver erzeugt eine erstaunliche Wirkung“,erklärte Pohiik sein geheimnisvolles Tun. „Siewerden gleich erleben, was passiert, wenn es sich aufdie Parasiten herabsenkt.“

„Das gefällt mir nicht“, rief Kapitanski mißmutig.„Ich glaube nicht, daß Perry Rhodan damiteinverstanden ist, wenn Sie hier mit den Parasitenherumspielen.“

Pohiik wandte sich von der Tür ab. Er blies einigeMale heftig in den Stab, so, daß er von gelbenStaubwolken eingehüllt wurde. Gleich darauf sahKapitanski einen dünnen Fladen unter der Türhervorfließen.

„Vorsicht!“ schrie er auf. „Da kommt so ein Biestheraus.“

Er hatte noch nie gesehen, daß sich ein Parasit sodünn machen konnte.

Pohiik trat auf die herausfließende Masse, diesofort seine Beine umhüllte und an ihm hochkroch.Kapitanski stand wie gelähmt dabei.

„Es wir mir nichts geschehen“, sagte Pohiik. „DasPulver schützt mich.“

Der Parasit legte sich wie ein dünner Film um denTwonoser. Innerhalb weniger Augenblicke war er bisin Hüfthöhe gelangt. Kapitanski sah, daß weitereParasiten unter der Tür hervorquollen.

„Das Pulver ist die zerriebene Trockensubstanzeines Schmarotzers, der genau wie die Bioparasiteneinmal im Innern des Mobys lebte“. erläuterte Pohiikgelassen. „Zwischen den Parasiten und densogenannten Tongkts bestand eine Symbiose. DieTongkts gestatteten den Parasiten, sich auf ihnenniederzulassen.“

„Schaffen Sie das Zeug weg“, verlangteKapitanski.

„Nur, wenn Sie sich mit einem Tongkt verbinden,können sich die Parasiten so verflüssigen“, fuhrPohiik fort, während unter der Tür weitere Parasitenhervorkamen, angelockt durch das gelbe Pulver,Kapitanski fuhr herum und wollte die Fluchtergreifen. Rhodan mußte benachrichtigt werden. Dasah der Sergeant, daß ihm der Weg abgeschnittenwar. Hinter ihm bedeckten die Parasiten bereits dengesamten Boden des Ganges.

„Schauen Sie sich an, was Sie fertiggebrachthaben“, rief er Pohiik zu.

Pohiik griff mit seinen beiden Händchen vorsichtignach der gummiartigen Schicht, die seinen Körperfast vollständig bedeckte. Wo er sie berührte,bildeten sich durchsichtig erscheinende Blasen.

Kapitanski hörte nicht länger zu. Er sah, daß diePlasmamasse sich jetzt auch in seine Richtungausdehnte. Schnell zog er sich ins hintere Teil desWagens zurück. Es gab kein Abteil, in das er flüchtenkonnte, denn sie waren sämtlich von Bioparasitenbesetzt. Pohiik handhabte die Masse, die ihn umgab,wie ein Schlangentänzer. Seltsamerweise bliebenKopf und Rüssel frei.

„Nehmen Sie den Zerstäuber“, rief Pohiik demSergeanten zu. „Es ist noch genügendTongkt-Substanz darin, um Sie ebenfalls zuschützen.“

„Ich schütze mich auf meine Art“, erklärteKapitanski grimmig und zog den twonosischenThermostrahler aus seinem Gürtel.

Entschlossen ging er auf die Parasiten zu. Pohiikwollte ihm den Weg verstellen. Bei jedem Schritt,den der Twonoser machte, bildeten sich kopfgroßeBlasen unter seinen Füßen. Sie zerplatzten mit einem

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lauten „Plopp“, wenn er die Füße wieder aufsetzte.Der Parasit umgab den Weißrüssel wie ein Mantel.Kapitanski begann zu schießen. „Nicht!“ brülltePohiik entsetzt. Die Masse verfärbte sich, als sie derHitzestrahl traf. Sie bäumte sich auf und schrumpftedann zusammen. Pohiik begann zu toben. DerParasit, der ihn umgab, wallte auf. Die Gestalt desTwonosers schien sich zu verzerren, als sei er eineundeutliche Übertragung auf einem Fernsehschirm.

Von Entsetzen geschüttelt, schoß Kapitanskiweiter. Der Boden begann zu brennen. StinkendeRauchwolken stiegen in die Höhe. Es wurdeunerträglich heiß. Der Sergeant sah, daß Pohiik denZerstäuber wieder in den Mund genommen hatte undverzweifelt Staub in alle Richtungen verstreute. DieParasiten am Boden waren zurückgewichen.Kapitanski nahm einen Anlauf und übersprang denletzten Fladen, der dem Beschuß getrotzt hatte.Pohiik war inzwischen zu einer gewaltigen Blasegeworden, zu einem aufgeblähten Etwas, das keinefeste Form besaß. Es sah aus, als sei der Twonoser inein durchsichtiges Riesenei gehüllt, aus dem nurKopf und Rüssel hervorragten.

„Bleiben Sie hier, ich hole Hilfe!“ rief Kapitanski.„Ich kann Blitze nach Ihnen schleudern!“ schrillte

Pohiik. „Blitze in allen Farben. Energiespiralenwerden Sie umschlingen. Von der Verteilerstationaus kann ich Sie festhalten, wenn Sie fliehen wollen.“

Er ist übergeschnappt, dachte Kapitanskierschüttert.

Er stürmte davon. Er hielt sich nicht bei denHaushaltsverbrechern auf, sondern rannte bis zumMaschinenraum. Er war schweißüberströmt, als erdie Tür aufriß.

„Sir!“ krächzte er. „Kommen Sie schnell. Pohiikist bei den Bioparasiten.“

Er sah Rhodan und Melbar Kasom. „Was istgeschehen?“ erkundigte sich Rhodan.

„Sie haben ihn“, meldete Kapitanski. „Er istwahnsinnig.“

„Nun ist es passiert, Sir!“ grollte Kasom. Er tratauf den Gang hinaus, wobei er den zitterndenKapitanski mit einer Hand zur Seite schob.

„Pohiik hat ein paar Parasiten auf den Ganggelockt“, erklärte Kapitanski. „Der Twonoser ist vonihnen vollkommen eingehüllt.“

„Sie fressen ihn“, sagte Kasom trocken.„Nein, er hat sich mit dem Pulver immunisiert.“Kasom wechselte einen Blick mit Rhodan, der

Kapitanski nicht entging. Die beiden Männerglaubten ihm nicht Rhodan kontrollierte seine Waffeund wandte sich an Atlan, der im Maschinenraumgeblieben war.

„Es ist besser, wenn du hinter uns abschließt“,sagte Rhodan zu dem Arkoniden. Atlan nicktestumm. „Kommen Sie, Sergeant“, sagte Kasom und

zog Kapitanski mit sich. „Wir wollen uns die Sacheeinmal ansehen.“

5.

Sie hatten alle Stellen markiert, die ihnen wichtigerschienen. Es waren insgesamt dreiundsiebzig. Dasbedeutete, daß sie dreiundsiebzig gutgezielteStrahlschüsse abgeben mußten, bevor sie dieEmpfangsstation verlassen konnten.

„Wir müssen damit rechnen, daß die Blaurüssel inkurzer Zeit hier auftauchen, wenn wir mit unseremVernichtungswerk begonnen haben“, sagte TronarWoolver ruhig. „Wir müssen ständig fluchtbereitsein. Es gibt hier genügend Impulsechos, mit derenHilfe wir verschwinden können.“

Rakal Woolver zog schweigend den twonosischenStrahler. Auch Tronar hob seine Waffe. „Fertig?“fragte Tronar. „Fertig“, bestätigte Rakal. EineSekunde später brach in der Energiezentrale derBlaurüssel die Hölle los. Die ersten Spulenzerschmolzen sofort und verströmten Feuerkaskaden.Die Abstrahlprojektoren der Energiespeicherverglühten im Beschuß der Thermowaffen. GrellroteBlitze schlugen aus den Speichern. Der Lärm warohrenbetäubend. Ungeheure Energien entluden sichmit gewitterartigem Donner.

„Das halten wir nicht durch!“ schrie RakalWoolver. „Wir verbrennen, bevor wir alle wichtigenTeile zerstört haben.“

Tronar deutete auf die überall zur Deckeemporzüngelnden Flammen. „Was wir nichtvernichten, wird ein Opfer des Feuers.“

Da erschienen im Eingang die ersten Blaurüssel.Sie hatten bemerkenswert schnell reagiert. Sie trugenSchutzanzüge und drangen ohne Rücksicht auf ihreeigene Sicherheit in den Raum ein.

Zwischen Rauchwolken und Feuer waren sie nurundeutlich zu erkennen. Rakal Woolver sah, daß sieLöschgeräte dabei hatten.

„Sie haben uns noch nicht gesehen“, rief er seinemBruder zu.

Tronar nickte verbissen. Im Chaos entfesselterEnergien waren die Strahlschüsse, die die beidenMutanten abgaben, kaum zu erkennen. ÄtzenderGestank machte den Woolvers das Atmen fastunmöglich. Von der Tür aus drangen die Blaurüsselimmer tiefer in die Zentrale ein. Ihre Löschgerätewaren klein, aber wirkungsvoll.

„Die Schaltanlage!“ schrie Tronar Woolver.Sie zerschossen die freigelegten Relais. Am

anderen Ende des Raumes explodierte eineSpeicheranlage. Es war das Signal für die beidenImarter, diesen Ort zu verlassen.

Tronar winkte mit seiner Waffe. Erentmaterialisierte.

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Rakal Woolver betrachtete das Bild derZerstörung. Einmal mehr wurde zwischen denVertretern intelligenter Lebensformen die Spracheder Gewalt gesprochen. Eine andere Sprache schienes in den Tiefen des Universums nicht zu geben.Rakal preßte die Zähne aufeinander. Vielleicht warFrieden etwas, was man nur erreichen konnte, wennman aufhörte, den Geheimnissen des Kosmosnachzujagen. Mit diesen Gedanken zog sich Woolveraus der Energiezentrale zurück.

*

Pohiik war ein unförmiges Gebilde, eine glasierteGestalt, die sich mit ruckartigen Schritten über denGang bewegte.

Rhodan stieß mit einem Ruck die Durchgangstürzum letzten Wagen auf. Er hob seine Waffe undrichtete sie auf den Twonoser. „Bleiben Sie stehen,Pohiik.“ Pohiik zögerte, und er schwankte wie einBetrunkener von einer Seite des Ganges auf dieandere. Der Parasit, der ihn einhüllte, schien sichirgendwie verändert zu haben. Kapitanski erschienes, als ginge ein schwaches Leuchten von ihm aus.

„Schießen Sie nicht“, sagte Pohiik. Kapitanskihatte das Gefühl, als müßte sich der Weißrüssel beijedem Wort anstrengen.

„Bringen Sie das Ding in sein Abteil zurück“,befahl Rhodan. „In diesem Zustand kann ich Sienicht in die vorderen Wagen lassen.“

„Sie sprechen nicht mit Pohiik“, sagte Pohiikschwerfällig. „Sie sprechen mit mir.“

„Er ist endgültig verrückt geworden, Sir“, dröhnteKasom. „Es wird am besten sein, wenn wir ihn hiereinsperren.“

„Warten Sie!“ sagte Pohiik. „Ich werde Ihnenbeweisen, daß Sie nicht mit Pohiik sprechen. AchtenSie auf die rechte Schulter des Twonosers.“

Schaudernd beobachtete Kapitanski, wie sich aufder rechten Schulter des Weißrüssels eine Blasebildete. Sie blähte sich auf, bis sie die Größe einesKopfes erreicht hatte, dann zerplatzte sie und fiel insich zusammen.

„Genügt Ihnen das?“ erkundigte sich Pohiik.„Bioparasiten von Ihrer Größe besitzen keine

Intelligenz“, sagte Rhodan.Kapitanski kam sich vor, als hätte ihn jemand

unter eiskaltes Wasser getaucht. Er verstand, wasRhodan mit seinen Worten ausdrücken wollte. DerParasit umhüllte Pohiik nicht nur körperlich, erbeherrschte ihn auch geistig.

„Ich benutze die Intelligenz Pohiiks“, sagte derParasit. „Er hat sich mit Tongkt-Substanz bestäubt,obwohl er wußte, was geschehen würde. Pohiik istvor der Wirklichkeit geflüchtet. Er wollte, daß ich ihnübernehme.“

„Was ist Tongkt-Substanz?“ fragte Rhodan. Erhielt die Waffe nach wie vor auf Pohiik gerichtet,oder auf das, was einmal Pohiik gewesen war.

„Die Tongkts waren eine halborganischeLebensform, die früher ebenfalls in den Mobyslebten“, sagte der Parasit. „Sie gingen mit uns ofteine Symbiose ein. Durch ihre Hilfe konnten wir unsin einer Weise verformen, wie Sie es jetzt an Pohiiksehen.“

„Angenommen, es stimmt, was Sie behaupten“,sagte Rhodan, „was haben Sie dann vor?“

„Wir wurden gezüchtet, um von den Twonoserngefressen zu werden“, erinnerte Pohiiks Beherrschermit Pohiiks Stimme. „In einem Zustand, der nurinstinktive Handlungen zuließ, war uns diesesSchicksal gleichgültig, weil wir die Vorgänge um unsnicht bewußt verarbeiten konnten. Mit Hilfe desTwonosers kann ich jedoch denken. Ich weiß, daßalle anderen Parasiten mit der Zeit einen gewissenIntelligenzgrad erreichen könnten, wenn man ihnenGelegenheit gäbe, sich körperlich weiter zuentwickeln als bisher.“

Kapitanski hatte das Gefühl, im wachen Zustandeinen Alptraum zu erleben. Seine Abneigung gegenalles Fremdartige erwachte. Hätte Kasom nicht hinterihm gestanden und den Durchgang in die vorderenWagen versperrt, wäre der Sergeant geflüchtet.

„Geben Sie Pohiik frei, bevor ich schieße“, riefRhodan in den Wagengang hinein. „Schießen Sienicht!“ sagte der Parasit. „Durch PohiiksGedankengut weiß ich, daß Sie Schwierigkeitenhaben. Sie gehören ebensowenig in diesen Moby wiedie Twonoser. Allerdings wollen Sie den Mobywieder verlassen, während die Rüsselwesen nichtdaran denken, dieses Wohngebiet freizugeben.“

„Worauf wollen Sie hinaus?“ erkundigte sichRhodan.

„Wir helfen Ihnen dabei, Ihr Raumschiff zuerreichen. Dafür helfen Sie uns, in aller Ruhe solangezu wachsen, bis wir einen Intelligenzgrad erreichthaben, der es uns erlaubt, den Twonosern Widerstandzu leisten.“

„Ich kann keinen Befreiungskrieg für alleBioparasiten innerhalb des Mobys führen“, erklärteRhodan ablehnend.

„Nicht für alle“, verbesserte Pohiik. „Nur für die,die sich innerhalb dieses Zuges befinden.“

„Nehmen wir an, ich ginge auf Ihre Vorschläge ein- wie wollten Sie uns helfen?“ fragte Rhodan.

„Sie müssen mir einfach glauben, daß wir Ihnenhelfen können. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie wirdas tun werden, weil Sie dann versuchen würden,diese Unterstützung ohne Gegenleistung zuerlangen.“

Rhodan ließ die Waffe sinken. „Ich werde darübernachdenken“, versprach er und schlug die

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Verbindungstür zu.„Was nun, Sir?“ wollte Kasom wissen. „Wir haben

Pohiik verloren. Die Haushaltsverbrecher werden denZug verlassen, sobald sie vom Schicksal ihresAnführers erfahren. Dann können wir nachdenken,wie wir allein in die Rückenetage kommen.“

„Vielleicht“, sagte Rhodan nachdenklich, „sind dieParasiten nützlichere Verbündete als dieHaushaltsverbrecher.“

Sie gingen zurück zum Maschinenraum, um mitAtlan die neue Situation zu besprechen. DieHaushaltsverbrecher wurden bereits unruhig. Sieschienen zu ahnen, daß irgend etwas nicht inOrdnung war. Es war nur noch eine Frage der Zeit,bis sie eine Abordnung in die hinteren Wagenschicken würden, um zu erfahren, was mit Pohiikgeschehen war. Als nächstes würden sie eine weitereAbordnung zum Maschinenraum entsenden, um dieTerraner zu zwingen, den Zug an irgendeinerSeitenader anzuhalten.

Die Lage der Flüchtlinge wurde immerverworrener. Dabei hatten sie noch nicht einmal dieMitteletage erreicht.

Und im Wohngebiet der Weißrüssel warteten andie zweitausend Terraner auf ihre Befreiung.

*

Die wenigen Lichtsäulen, die zur Notbeleuchtunggehörten, reichten nicht aus, um auch nur einen Teilder riesigen Halle zu erhellen. SämtlicheKunstsonnen der Mitteletage waren erloschen.Innerhalb kurzer Zeit war es empfindlich kühlgeworden.

Die Armeen der Blaurüssel marschierten. Ihr Zielwar die Rückenetage. Von Kundschaftern wußten dieFührer der B-Kaste, daß in der Rückenetage keinEnergieausfall zu verzeichnen war. Die Blaurüsselhandelten entsprechend. Für sie stand es fest, daß dieRotrüssel für die Sabotageakte in der Energiezentraleverantwortlich waren.

Rakal Woolver stand in der Dunkelheit undlauschte auf das Dröhnen der schwerenTransportfahrzeuge, mit denen die Blaurüssel ihrewichtigsten Waffen zu den Ausgangsstationen dernach oben führenden Adern brachten. Es war diedritte Halle, die Rakal Woolver nach der gelungenenSabotage an der Empfangsstation der Blaurüsselaufgesucht hatte. Während Tronar Woolverversuchte, den Versorgungszug vor dessen Ankunftin der Mitteletage zu erreichen, wollte Rakalherausfinden, was nach dem Ausfall derEnergieversorgung geschah.

Die Blaurüssel hatten überraschend schnellreagiert. Während ihre Spezialisten sich darumbemühten, den Schaden zu beheben, bereiteten sich

die Truppen auf einen Angriff gegen die Rotrüsselvor. Es entsprach der Mentalität der B-Kaste, daßkeine diplomatischen Schritte unternommen wurden.Das Denken der B-Kaste verlief in rein militärischenBahnen.

Woolver schätzte, daß die Temperatur inzwischenum zehn Grad gefallen war. Sie würde noch weiterfallen, denn die Notanlagen reichten nicht aus, umdie starken Deckenstrahler zu versorgen. DieseTemperaturschwankung mußte sich auch auf diebeiden anderen Etagen übertragen. Auch wenn es beiden Weißrüsseln nur einige Grad kühler wurde,bestand kein Zweifel an der Reaktion der A-Kaste.Ein Volk, das seit Generationen gleichbleibendeTemperatur gewohnt war, mußte in einer plötzlichenÄnderung einen bedrohlichen Angriff auf seineExistenz sehen.

Wahrscheinlich würde sich Garko der Starkeendlich entschließen können, gegen die oberenKasten vorzugehen, die die Weißrüssel seit Jahrentyrannisierten.

Rakal Woolver stand in der Nähe einigerverlassener Kasernen. Der Motorenlärm wurdeimmer schwächer. Die Fahrzeuge der Blaurüsselwaren bereits in den verschiedenen Adernverschwunden. Rakal war überzeugt, daß die B-Kastesich nicht auf einen Angriff von innen beschränken,sondern mit ihren schnellen Raumschiffen dieRückenetage vom Weltraum aus bombardierenwürde. Die Rotrüssel hatten aber sicher dieMöglichkeit eines Überfalls seit langem einkalkuliert.Die Aussicht, daß die B-Kaste die Oberschicht ineinem Blitzkrieg unterwerfen konnte, war gering. DieAuseinandersetzungen würden längere Zeit dauern,vor allem dann, wenn sich die Weißrüsselentschlossen, ebenfalls ihre Machtansprüche geltendzu machen.

Woolver überquerte eine Straße zwischen zweiWohnblöcken. Etwa hundert Meter von ihm entferntleuchtete eine einsame Lichtsäule. Sie verbreitetegerade soviel Helligkeit, daß Woolver sehen konnte,wo er sich befand. Innerhalb der Mitteletage warenalle Maschinen ausgefallen. Die Blaurüssel konntennur die wichtigsten Anlagen mit Energien beliefern.

Der plötzliche Angriff der B-Kaste würde dieRotrüssel davon abhalten, die CREST II weiter zudemontieren. Sie würden jeden Mann zurVerteidigung ihres Wohngebietes benötigen.

Jetzt rächte es sich, daß die Rotrüssel der B-Kasteausschließlich militärische Aufgaben zugeteilt hatten.Die Blaurüssel waren unfähig, ein Problem nichtausschließlich nach strategischen Gesichtspunkten zubeurteilen. Psychologische Schachzüge waren ihnenfremd. Das konnte, wenn die C-Kaste intelligentgenug war, der Untergang der Blaurüssel sein.

Der Ausgang des beginnenden Krieges, das wußte

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Woolver mit Sicherheit, hing weitgehend davon ab,was die Weißrüssel unternehmen würden.

Woolver suchte nach einem Impulsecho. Nachdem Ausfall der Energieversorgung gab es nur nochwenige Leitungen, die von den Mutanten benutztwerden konnten.

Es würde schwierig sein, den Zug zu erreichen.Rakal entschloß sich, am Ende der Rohrbahn zuwarten, bis das Schienenfahrzeug eintraf. Jetzt hatteder Transport alle Aussichten, ungefährdet durch dieMitteletage zu kommen.

*

Tronar Woolver materialisierte im Maschinenraumdes Versorgungszuges, als Rhodan, Atlan und Kasomnoch immer keinen Entschluß getroffen hatten, wiesie sich gegenüber dem veränderten Pohiik verhaltensollten.

„Die Mitteletage ist ohne Energie“, berichtete derMutant ohne Umschweife. „Nur die Notversorgungfunktioniert noch. Rakal will einige Halleninspizieren, um sich ein Bild davon zu machen, wiedie Blaurüssel reagieren.“

Rhodan atmete unhörbar auf. Endlich gab es eineermutigende Nachricht. Jetzt konnten sie hoffen, dasGebiet der Blaurüssel unangefochten zu durchqueren.

„Diese Nachrichten werden Garko beunruhigen“,meinte Atlan. „Der Ausfall der Kunstsonnen mußauch in der Bauchetage zu einer Abkühlung führen,weil aus dem unteren Teil des Mobys Wärme in dieabkühlende Mitteletage abgestrahlt wird.“

„Garko der Starke wird ahnen, wer für den Angriffauf die Energieversorgungszentrale verantwortlichist“, sagte Rhodan. „Er weiß, daß die Rotrüssel vielzu klug sind, um ihre Nahrungslieferanten zugefährden.“

„Das kann dazu führen, daß der Weißrüssel dieRotrüssel darüber aufklärt, was wirklich geschehenist“, sagte Kasom.

Rhodan wandte sich an Tronar Woolver. „Major,Sie müssen sofort in die Bauchetage springen undsich mit John Marshall im Gefangenenlager inVerbindung setzen. Marshall muß Garko demStarken klarmachen, wie groß jetzt für dieWeißrüssel die Chance ist, die Diktatur der C-Kasteabzuschaffen.“

„Ich will es versuchen, Sir“, erklärte Tronar.„Vergessen Sie jedoch nicht, daß die Zahl derenergieführenden Leitungen jetzt äußerst gering ist.“

„Innerhalb der Rohrbahnen nicht“ sagte Rhodan.„Die Züge sind von den Energiezentralen dereinzelnen Etagen unabhängig. Sie müssen sich alsonur an den Schienenstrang halten.“

Rhodan gab dem Mutanten weitere Instruktionen.Marshall mußte genau wissen was inzwischen

geschehen war, damit er mit unanfechtbarenArgumenten vor Garko treten konnte.

„Die Weißrüssel können jetzt in die Mitteletagedes Mobys vorstoßen, ohne befürchten zu müssen,von den Blaurüsseln verjagt zu werden“, sagteRhodan abschließend. „Garko weiß selbst, daß es vondort aus nur noch ein kurzer Schritt zur Eroberungder Verteilerstation ist. Wer die Verteilerstationkontrolliert, beherrscht den Moby.“

„Gut, Sir“, sagte Woolver knapp. Dietonnenförmige Brust des Imarters hob und senktesich. „Hoffentlich kommen die Rotrüssel uns nichtmit einem raffinierten Plan zuvor.“

„Wir müssen schneller sein als sie, das ist alles“,sagte Rhodan.

Tronar Woolver verstand den Wink. Es wurdeZeit, daß er sich auf den Weg machte. Ein kurzerMoment voller Konzentration - und Tronar Woolver,Major der USO, hatte innerhalb des Maschinenraumszu existieren aufgehört.

Atlan lächelte, als Rhodan sich wieder ihmzuwandte.

„Ich sehe, du bist mit meinen Spezialmutanten gutvertraut“, sagte der Arkonide.

„Ohne sie hätten wir kaum ein Chance“, erwiderteRhodan ernst. „Ich möchte dich aber trotzdem daranerinnern, daß die beiden Imarter Nachkommen echterTerraner sind und nicht etwa zu den Arkonidengehören. Es ist also rein organisatorisch zu verstehen,wenn du die beiden als deine Mutanten bezeichnest.“

„Ist es nicht gleichgültig, wessen Mutanten es sind,Sir?“ fragte Kasom, der zu befürchten begann, daßdas Gespräch in philosophische Erörterungenübergehen könnte.

„Im Augenblick, ja“, stimmte Atlan zu. „Jetzt giltes, das Problem Pohiik zu lösen.“

Bevor Rhodan antworten konnte, wurde die Türaufgerissen. Vor dem Eingang drängten sich dieHaushaltsverbrecher. Stimmengewirr drang herein,Rhodan sah, daß Sergeant Kapitanski zur Waffe griff.

„Ja“, sagte Rhodan. „Pohiik scheint tatsächlich zueinem Problem zu werden.“ Er wandte sich zur Tür.„Was wollt ihr?“ fragte er scharf. „Wir haben jetztkeine Zeit für Beratungen.“

„Wo ist Pohiik?“ erkundigte sich der Weißrüssel,der unmittelbar im Eingang stand. Es war ein junger,kräftiger Mann, der Pohiik schon bei denVersammlungen im Camp oft widersprochen hatte.Rhodan erinnerte sich, daß dieser Twonoser Larkaathieß.

„Im hinteren Wagen“, sagte Rhodan.„Wir kommen von dort“, sagte Larkaat zornig.

„Wir haben ihn nicht gefunden.“Rhodan drehte sich um und sagte: „Um Himmels

willen, Sergeant Kapitanski. Hören Sie auf mit derWaffe herumzufuchteln.“

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Kapitanski errötete und schob den twonosischenStrahler in den Gürtel zurück. Kasom trat langsam anRhodans Seite.

„Wir sind nicht dafür verantwortlich, was Pohiiktut“, erklärte Rhodan barsch.

„Wir glauben, daß er tot ist“, entgegnete Larkaat.„Wenn das stimmt, bin ich Anführer derHaushaltsverbrecher.“

„Was wollen Sie, Larkaat?“ fragte Rhodan.Unverwandt blickte er in das starre Facettenauge desTwonosers.

„Ich bin nicht verpflichtet, mich an dieAbmachungen zu halten, die Pohiik mit euchgetroffen hat“, rief Larkaat drohend.

„Wollen Sie den Zug zurückfahren lassen, damit ermit dem nachfolgenden Interkastenzugzusammenstößt?“ fragte Rhodan spöttisch.

Es war deutlich zu erkennen, daß Larkaat nochkeine Pläne für die Zukunft gemacht hatte. Einemersten Impuls folgend, war er mit seinen Anhängernzum Maschinenraum gegangen. Allerdings hatte ernicht damit gerechnet, so kühl und gleichgültigempfangen zu werden.

„Ich werde nachdenken“, knurrte Larkaat undwandte sich abrupt ab.

Rhodan schlug die Tür wieder zu. Er fragte sich,wo Pohiik ein Versteck gefunden hatte, als dieTwonoser in den hinteren Wagen eingedrungenwaren, um nach ihm zu suchen.

„Die Burschen sind mißtrauisch, Sir“, sagteKasom. „Was sollen wir tun, wenn sie unsverlassen?“

„Sie verlassen uns nicht“, sagte Rhodan überzeugt.„Die Aussicht, die Verteilerstation zu besetzen, wirdsie schließlich ihren Widerwillen gegen uns aufgebenlassen.“

Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als an denKontrollanlagen des Zugantriebes einige Lämpchenaufglühten. Die Geschwindigkeit des Zuges schiensich automatisch zu verlangsamen. „Was bedeutetdas?“ fragte Kasom. „Wir haben soeben dieRohrbahn verlassen und fahren durch freiesGelände“, erklärte Rhodan.

Kasom blickte ungläubig zum Fenster. „Es ist nochalles dunkel, Sir. Wir müssen uns noch in einer Aderbefinden.“

„Dort draußen gibt es keine Energie mehr“,erinnerte Rhodan. „Deshalb werden Sie vergeblichnach Licht suchen.“

Kasom ging dicht ans Fenster und preßte seinGesicht dagegen. „Es ist unheimlich. Wir rasenvielleicht durch eine riesige Halle, ohne das geringstezu sehen.“

Rhodan beobachtete die Kontrollen. Er wußtenicht, ob der Zug automatisch an den einzelnenStationen anhielt. Pohiik hatte den Mechanismus des

Antriebs verstanden. Er wäre in der Lage gewesen,den Zug nach dem Willen der Insassen zubeschleunigen oder anzuhalten. Rhodan kanntelediglich den Bremshebel, der für Notfälle gedachtwar.

Er wußte nicht, was er tun sollte, wenn derVersorgungszug durch irgendwelche Umstände zumHalten gebracht wurde.

6.

John Marshall, Chef von Rhodans Mutantenkorps,war es seit Jahrzehnten gewohnt, die GedankenFremder Intelligenzen zu überwachen. Nicht immerhatte er angenehmen Dingen „gelauscht“ und nichtimmer verständlichen.

Die Gedanken Garko des Starken jedocherschienen dem Telepathen durchaus verständlichund auch für terranische Begriffe normal. Marshallhatte dem Weißrüssel von den Verhältnissen in derMitteletage berichtet, nachdem Tronar Woolver imGefangenenlager aufgetaucht war, um die Terranerüber den ersten großen Erfolg der fünfzig Flüchtlingezu informieren. Der Wellensprinter war sofort wiederumgekehrt, um möglichst bald den Versorgungszugzu erreichen.

Garko der Starke wußte natürlich nicht, daß seineGedanken für den schlanken Terraner keinGeheimnis waren. Und mit seinen Worten war deroberste Weißrüssel sehr vorsichtig.

„Der Energieausfall in der Mitteletage betrifftnicht uns“, sagte er zu Marshall. „Natürlich ist diekonstante Temperatur auch hier gesunken, aber nichtsosehr, daß es gefährlich werden könnte.“

Marshall lächelte höflich. Den Gedanken seinesGegenübers entnahm er, daß Garko befürchtete, derLufthaushalt der Mitteletage könnte in Unordnunggeraten. Ohne Energie mußten dieRegenerationsanlagen ausfallen, so, daß es früheroder später völlig unmöglich sein würde, das Gebietder B-Kaste zu durchqueren. An diese Gefahr hatteMarshall selbst noch nicht gedacht. Er hoffte, daßden fünfzig Flüchtlingen daraus keineSchwierigkeiten entstanden.

„Wahrscheinlich ist dies die letzte Chance derWeißrüssel, ihr unwürdiges Dasein zu beenden“,sagte Marshall. Er war von Storkeet, der noch immerals Verbindungsmann zwischen Garko und denTerranern fungierte, in die Residenz desWeißrüsselführers gebracht worden. Er und Garkosaßen sich in einem Raum gegenüber, dessen Wändevon Schlingpflanzen überwuchert waren. Als Sitzedienten geflochtene Hängematten. Marshall wußte,daß auch Rhodan Garko dem Starken hier gegenübergesessen hatte.

„Der Preis für eure Hilfe wird wahrscheinlich die

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Freilassung aller Gefangenen sein“, vermutete Garko.„Das ist richtig“, gab Marshall zu. „Ich weiß, daß

Sie die fünfzig Blaurüssel fürchten, die Ihre Wächterabgelöst haben. Es wird jedoch nur kurze Zeitdauern, bis die Blaurüssel sich aus der Bauchetagezurückziehen. Bevor ich hierherkam, konnte ichbereits spüren, daß sie unruhig wurden.“

Marshall konnte dem Twonoser nicht sagen, daß erdurch Gedankenüberwachung der Blaurüssel erfahrenhatte, daß diese einen Angriff der Weißrüsselerwarteten und bereits überlegten, wie sie amschnellsten aus dem Gebiet ihrer potentiellen Gegnerverschwinden konnten.

Es ist noch zu früh, alle Terraner freizulassen,dachte Garko. Damit würde ich mein bestesDruckmittel gegen Rhodan aufgeben. Leider kennenwir die Fremden nicht gut genug, um ihnen zuvertrauen. Wenn es den fünfzig Flüchtlingen jedochgelingt, die Verteilerstation zu besetzen, könnte ichden Befehl zur Freilassung der Gefangenen gebenund ihnen sogar einen Zug zur Verfügung stellen, mitdem sie die Rückenetage erreichen können. Jeschneller die Terraner aus dem Moby verschwinden,desto eher haben wir Gelegenheit, dieVerteilerstation zu übernehmen, vorausgesetzt, daßes überhaupt gelingt, sie der Kontrolle der Rotrüsselzu entreißen.

Diese Gedankengänge, fand Marshall, warenvollkommen logisch. Es war verständlich, daß sichGarko der Starke nicht völlig auf die Terranerverlassen wollte. Solange er jedoch knappzweitausend Männer gefangenhielt, würde Rhodannicht wagen, ihn zu hintergehen.

Marshall wußte, daß es zwecklos gewesen wäre,die Bedenken des Twonosers in dieser Hinsichtzerstreuen zu wollen. Wichtig war im Augenblicknur, daß Garko bereit war, die Terraner freizulassen,wenn Rhodan die Verteilerstation besetzen und siespäter an die Weißrüssel übergeben konnte.

„Wir werden warten“, sagte Garko zu seinemGesprächspartner. „Ich trage die Verantwortung fürmein Volk. Sie können nicht erwarten, daß ich es ineinen Krieg führe, ohne alles reiflich zu überlegen.“

„Ich respektiere Ihre Auffassung“, entgegneteMarshall offen. „Ich bin sicher, daß Perry Rhodangenauso denkt wie ich. Wenn Sie sich jedochentschließen können, in die Auseinandersetzungzwischen den beiden oberen Kasten einzugreifen,wünsche ich Ihnen viel Glück.“

„Was bedeutet das - viel Glück?“ wollte Garko derStarke wissen.

„Glück“, sagte Marshall, „ist der Sammelbegrifffür alles, was unserem Volk als erstrebenswert gilt.“

„Glück“, wiederholte Garko nachdenklich. „DiesesWort werde ich mir merken, Terraner. Sie könnenjetzt gehen.“

Marshall stand auf und ging hinaus. Storkeeterwartete ihn vor dem Regierungsgebäude. DerKommandant der Wächter machte einengutgelaunten Eindruck. An Marshalls Seite ging erdurch das Spalier der Soldaten, die das Gebäudebewachten.

Als er hinter dem Terraner in das wartendeFahrzeug kletterte, sagte er: „Ich glaube, daß Sie einerfolgreiches Gespräch hatten.“

Marshall wollte die Gedanken Storkeets nichtkontrollieren. Deshalb fragte er verblüfft: „Wiekommen Sie auf diese Idee?“

Storkeets großes Auge blitzte im Licht derKontrollampen.

„Jeder, der so lange Zeit bei ihm war, hatteErfolg“, sagte er trocken.

*

Während die vier Terraner im Maschinenraumverzweifelt die Bedeutung der einzelnenKontrollschaltungen zu ergründen suchten, wurde derVersorgungszug immer langsamer. Rhodanbezweifelte nicht, daß er bald anhalten würde, wennes ihnen nicht gelang, den Bremsvorgang zuverhindern.

„Es ist sinnlos, daß wir willkürlich einigeSchaltungen vornehmen“, sagte Rhodan. „Das könntezu weiteren Komplikationen führen. Wir müssenPohiik hierherbringen.“

„Bei seinem jetzigen Aussehen kämen wir nie mitihm an einhundertfünfzig mißtrauischenHaushaltsverbrechern vorbei“, warnte Atlan.„Larkaat sähe seinen Verdacht bestätigt und würdeendgültig das Kommando über die Pariasübernehmen.“

Rhodan wußte, daß der Arkonide recht hatte.Trotzdem mußten sie versuchen, Pohiik ungefährdetvor die Kontrollen zu bringen. In wenigenAugenblicken würde der Zug endgültig zum Stehenkommen - inmitten einer in völliger Dunkelheitliegenden Halle, die zum Gebiet der Blaurüsselgehörte. Auch wenn die Mitglieder der B-Kastegenügend mit ihren eigenen Schwierigkeiten zukämpfen hatten, würden sie einen stehendenVersorgungszug nicht unbeachtet lassen.

Bevor die vier Männer einen Entschluß gefaßthatten, hielt der Zug an. Melbar Kasom ging wiederzum Fenster.

„Finsterer als die Hölle“, stellte er grimmig fest.„Wenn ein Meter neben dem Schienenstrang einBlaurüsselsoldat mit angeschlagener Waffe steht,können wir ihn nicht sehen.“

Das Licht, das durch die Fenster hinausfiel, reichtenicht aus um die nächste Umgebung zu erhellen.

Rhodan war sich darüber im klaren, daß mit jeder

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weiteren Sekunde, die sie zum Anhalten gezwungenwaren, die Gefahr eines Angriffs wuchs. Sie mußtenirgend etwas unternehmen.

„Kasom, Sie und Sergeant Kapitanski werdenhinausgehen und sich ein bißchen umschauen“,ordnete Rhodan an. „Inzwischen werde ichversuchen, Pohiik in den Maschinenraum zu holen.Atlan wird hier aufpassen.“

Die Aussicht, mit Kasom in der Dunkelheit derHalle herumzuwandern, gefiel Kapitanski wenig. Ersah jedoch ein, daß sie wissen mußten, wo sie sichbefanden. Wenn es ihnen nicht gelang, den Zug inFahrt zu bringen, konnten sie nicht blindlings in dieNacht hinausgehen.

„Was sollen wir tun, wenn sich irgendein Automatentschließt, die Wagen gerade dann wieder zustarten, wenn Kapitanski und ich im Freien sind?“fragte Kasom.

„Das bleibt Ihrer Phantasie überlassen“, sagteRhodan. „Ich würde jedoch vorschlagen, daß Sie ineinem solchen Fall die terranischen Verkehrsregelnmißachten und versuchen, auf den losfahrenden Zugaufzuspringen.“

Kasom überging Rhodans gutmütigen Spott undklopfte Kapitanski auf die Schulter. „Kommen Sie,Sarge“, sagte er mit dumpfer Stimme. „Wir werdenuns schon irgendwie durchschlagen, wenn es daraufankommt.“

Kapitanski schluckte. Er wußte nicht, was sie inder Finsternis dort draußen tun sollten, wenn der Zugdavonfuhr. Er mußte sich jetzt ganz auf Kasomverlassen.

„Kommen Sie in ungefähr zehn Minuten zurück“,rief Rhodan ihnen nach, als sie auf den Ganghinaustraten.

„Wir haben keine Uhr, Sir“, sagte Kapitanski zuKasom, als sie außer Hörweite der beiden anderenMänner waren.

Kasom seufzte. „Kein Mensch erwartet, daß wirauf die Sekunde pünktlich sind, Sarge.“

„Sie meinen, daß wir eventuell länger als zehnMinuten draußen bleiben werden?“ erkundigte sichKapitanski.

„Das kommt darauf an, was wir finden“,entgegnete der Ertruser. Sie erreichten denWagenausgang. Kasom sprang zuerst hinaus.Kapitanski sah, wie die massige Gestalt desUSO-Spezialisten aus dem Lichtkreis derWagenbeleuchtung verschwand. Angestrengtversuchte der Sergeant, in der Dunkelheit etwas zuerkennen. Er zögerte, Melbar Kasom zu folgen.

„Worauf warten Sie noch?“ fragte eine Stimmehinter ihm.

Er fuhr herum und sah Icho Tolot hinter sichstehen. Der Haluter hatte bisher kaum das Abteilverlassen, in dem er sich zusammen mit anderen

Flüchtlingen aufhielt. Perry Rhodan hatte nichtversucht, Icho Tolot zu größerer Aktivität zuüberreden. Auch Kapitanski wußte, daß es sinnloswar, von Icho Tolot Hilfe zu erwarten, wenn diesersich entschlossen hatte, die Bemühungen derTerraner zwar mit freundlichem Interesse zuverfolgen, aber persönlich nicht einzugreifen. Dasplötzliche Auftauchen des Haluters beschäftigteKapitanski fast noch mehr als die UngewissenGefahren außerhalb des Zuges.

Der Sergeant erinnerte sich, daß Tolot auch beiDunkelheit ausgezeichnet sehen konnte.

„Können Sie etwas sehen?“ fragte er den Haluter.„Ja“, sagte Tolot. Kapitanski spürte, daß es dem

Riesen Spaß machte, ihn im unklaren zu lassen.Zornig sprang der Sergeant aus dem Wagen. Er hörteTolot hinter sich auflachen.

„Gehen Sie nicht zum hinteren Teil des Zuges!“rief Tolot. „Dort ist es gefährlich.“

Kapitanski tat, als hätte er den Hinweis nichtgehört. Er fragte sich, wohin Kasom gegangen war.Schon nach wenigen Schritten konnte er keineEinzelheiten mehr erkennen. Als er zurückblickte,sah er die Zugfenster als leuchtende Rechtecke in derFinsternis. Er mußte ein Seufzen unterdrücken.Wahrscheinlich konnte man den Zug über Meilenhinweg erkennen. Sie hätten unbedingt versuchensollen, die Beleuchtung auszuschalten. JederBlaurüssel, der sich irgendwo in der Nähe aufhielt,konnte die vier Wagen stehen sehen.

Kapitanski stolperte über irgendeine Unebenheitam Boden. Er wich nach links aus und prallte gegenirgend etwas Weiches. Erschrocken fuhr er zurück.Seine Hand tastete nach seinem Strahler. Er glaubte,Tolots Gelächter noch immer zu hören.

Während Kapitanski mit einer Hand die Waffefesthielt, streckte er die andere weit von sich, bis erauf Widerstand stieß.

„Hören Sie auf, an mir herumzufummeln“, knurrteKasom. „Sie machen mich nervös.“

Kapitanski erstickte einen Aufschrei. Blitzschnellschob er den Strahler in den Gürtel zurück. Er hoffte,daß der Ertruser nicht bemerkt hatte, daß er ihnbeinahe angegriffen hätte.

„Tolot steht am Wagenausgang“, sagte er unsicher,um die Stille zu durchbrochen.

„Ich bin nicht blind.“ Kasoms Stimme wurdelauter. „Vielleicht hat sich unser Freund entschlossen,endlich wieder einmal einzugreifen.“

Noch während er sprach, war Kasomweitergegangen. Kapitanski folgte dem Klang derStimme. Er verursachte mehr Lärm, als es in ihrerLage gut war. Er fragte sich, wie es dem schwerenKasom gelang, sich vollkommen lautlos zu bewegen.

„Was ist mit Ihren Füßen los?“ erkundigte sichKasom, als Kapitanski abermals stolperte und sich an

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Kasom festhalten mußte.„Entschuldigen Sie, Sir“, sagte der Sergeant

zerknirscht. „Ich habe Plattfüße.“„Plattfüße?“ wiederholte der Ertruser ungläubig.

„Warum, bei allen Planeten, tragen Sie keineEinlagen?“

Kapitanski bezweifelte, daß jetzt der geeigneteZeitpunkt war, um sich über Einlagen zu unterhalten.Er hatte das sichere Gefühl, daß Kasom sich über ihnlustig machte. Der USO-Spezialist besaß den Rangeines Majors, es blieb dem Sergeanten also nichtsanderes übrig, als alle Fragen zu beantworten.

„Man hat mir Spezialschuhe gegeben, Sir. Ichkann darin jedoch kaum aufrecht gehen. Es gelangmir, diese Schuhe bei Major Bernard gegen ein Paarnormale Stiefel umzutauschen.“

„Sie müssen ein Genie sein“, sagte Kasomerschüttert. „Wie wäre es sonst möglich, daßausgerechnet Sie Major Bernard zu einem solchenTausch veranlassen konnten?“

Kapitanski lächelte verlegen. Er fühlte sichkeineswegs als Genie. Seine Plattfüße hatten ihnschon oft genug zum Mittelpunkt des Spottes imF-Deck der CREST II gemacht. Vor allem KendallBaynes hatte ihn immer gehänselt

„Vor uns muß sich ein größeres Gebäudebefinden“, sagte Kasom, nachdem sie etwa hundertMeter zurückgelegt hatten.

„Ich kann nichts sehen, Sir“, gestand Kapitanski.„Natürlich nicht“, sagte Kasom. „Ich spüre es am

Boden. Er ist mit den gleichen Platten ausgelegt, wiewir sie auch in den Vorhöfen der beiden anderenEtagen gesehen haben.“

Kapitanski erinnerte sich an die kristallinenSteinplatten, die die Twonoser als Bodenbelagverwendeten. Vorsichtig strich er mit einer Fußspitzeüber den Boden hinweg. Er konnte keinenUnterschied gegenüber dem unebenen Geländefeststellen.

„Sie haben recht, Sir“, sagte er trotzdem. Wiekonnte Kasom wissen. daß es ein großes Gebäudewar? Es gab doch keinerlei Anhaltspunkte.

„Glauben Sie, daß sich jemand darin aufhält?“fragte er den Ertruser.

„Sicher nicht“, meinte Kasom. „Obwohl esnatürlich möglich wäre.“

*

Kapitanski hatte das Gefühl, daß sich aus derDunkelheit die Krallen gefährlicher Ungeheuer nachihm ausstreckten. Hastig blickte er zum Zug zurück.Die hellen Fenster gaben ihm eine gewisseSicherheit. Dann entdeckte er, daß Tolot nicht mehrim Wageneingang stand. Entweder hatte sich derHaluter ins Wageninnere zurückgezogen, oder war

ebenfalls herausgekommen. Der Sergeant machteKasom darauf aufmerksam.

„Ich glaube, wir können umkehren“, sagte derErtruser. „Hier ist es überall so ruhig, daß ...“ EinFlammenspeer spaltete die Nacht und ließ ihnverstummen.

Kapitanski schrie auf und warf sich zu Boden. Vorihm stand Kasom, seine mächtige Gestalt war vonFeuer umhüllt. Mit blitzschnellen Bewegungen rißder Ertruser die brennenden Fetzen seinerUniformjacke vom Körper.

Voller Entsetzen zerrte Sergeant BrodgerKapitanski den kleinen Strahler aus seinem Gürtel. Erzielte in die Dunkelheit, obwohl er nicht wußte, vonwelcher Seite der Angriff kam. Kasom sank zuBoden und wälzte sich ein paarmal herum, um dieletzten Flammen zu ersticken.

„Ist etwas passiert, Major?“ rief Kapitanski erregt.Er hörte, wie der Ertruser leise zu fluchen begann.

„Der Schuß muß vom Dach des vor uns liegendenGebäudes abgefeuert worden sein“, sagte er. „DerSchütze hatte seinen Strahler auf breite Streuungeingestellt, weil er unseren Standort nicht genauausmachen konnte. Zum Glück wurde ich nurgestreift.“

„Sind Sie verletzt?“ erkundigte sich Kapitanski.Seine Hand, die den Strahler umklammerte, zitterteheftig. Was sollten sie tun, wenn noch weitereAngreifer in der Dunkelheit lauerten?

„Ich habe einige leichte Verbrennungendavongetragen“, rief ihm Kasom zu. „Wir müssenhier weg bevor der Zug angegriffen wird.“

„Es ist nur ein einzelner Blaurüssel“, sagte jemandhinter Kapitanski.

Der Sergeant fuhr herum. Es war Tolot, dergesprochen hatte.

„Der Twonoser ist unmittelbar nach seinem Schußins Innere des Gebäudes geflüchtet“, berichtete derHaluter.

Kapitanski hörte, wie Kasom sich wiederaufrichtete. Der Sergeant hielt es für besser, amBoden zu bleiben.

„Halten sich dort drüben noch weitere Blaurüsselauf?“ fragte Kasom.

„Das glaube ich nicht“, entgegnete Tolot.„Bestimmt handelt es sich um einenzurückgelassenen Wächter. Er wird nicht wagen, denZug anzugreifen.“

Kasom stöhnte unterdrückt. Wahrscheinlich warenseine Verletzungen schmerzhafter, als er zugebenwollte.

„Gibt es irgend etwas Interessantes zu sehen?“wollte Kasom von Tolot wissen. Bevor der Haluterantworten konnte, fügte er ärgerlich hinzu: „Dashätten Sie uns ersparen können, Tolot.“

Es dauerte einige Zeit, bis Icho Tolot antwortete.

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Kapitanski benutzte diese Pause, um sich zu erheben.„Ich kann nicht immerzu und überall den

Aufpasser spielen“, sagte Tolot schließlich. „Siewären wahrscheinlich der erste, der sich darüberbeschweren würde, wenn ich Sie wie ein unreifesKind behandeln wollte.“

„Ich werde aus Ihnen nicht klug“, erklärte Kasom.„Halten Sie es für besser, einen Mann erschießen zulassen, als ihm zu helfen?“

„Ich glaube nicht, daß wir uns darüber streitensollten“, entgegnete Tolot. „Jeder von uns beiden hatbestimmte Ansichten, von denen er nicht abgehenwird. Sie sind noch am Leben, das ist im Augenblickdie Hauptsache.“

„Also gut“, lenkte Kasom ein. „Kehren wir zumZug zurück. Hoffentlich ist es Rhodan gelungen,diesen Verrückten in den Maschinenraum zuschaffen.“

Kapitanski hatte den Anführer der Twonoservollkommen vergessen. Von Pohiik hing es ab, ob sieden Zug bald wieder auf Fahrt bringen konnten.

Es konnte Stunden dauern, bis es ihnen ohne dieHilfe des Haushaltsverbrechers gelingen würde, dierichtigen Schaltungen vorzunehmen.

*

Rhodan lehnte sich gegen die geschlosseneVerbindungstür und lauschte. Vom hinteren Wagendrangen keine Geräusche zu ihm heraus. Trotzdemmußte sich Pohiik dort irgendwo aufhalten. Rhodanzog die kleine twonosische Waffe aus seinem Gürtel.Zwar hatte der Parasit, der Pohiik beherrschte, seinenFriedenswillen bekundet, doch das konnte sichschnell ändern. Rhodan hatte wenig Vertrauen zueinem Wesen, das nur durch entlieheneVerstandeskräfte in der Lage war, sich mit ihm zuunterhalten. Außerdem bestand die Möglichkeit, daßes Pohiik war, der den Parasiten beherrschte, ohnesich darüber im klaren zu sein.

Rhodan umschloß mit der Linken den Türöffner.Larkaat war vor kurzer Zeit ebenfalls hier gewesen,ohne, wie er behauptet hatte, den alten Twonoser zusehen. Rhodan zögerte abermals. Sollte es Larkaatsein, der ein doppeltes Spiel trieb?

Durch längeres Warten ließ sich diese Frage nichtbeantworten.

Rhodan öffnete die Tür gerade so weit, daß erdurch einen Spalt in den Gang des letzten Wagensblicken konnte.

Pohiik hockte in der hintersten Ecke. Noch immerwurde er von dem Bioparasiten umhüllt. PohiiksSymbiont bedeckte jetzt auch den Kopf desTwonosers. Nur das zwölf Zentimeter große Augewar frei geblieben. Der Parasit hatte seineLeuchtkraft verloren. Seine Außenfläche war jetzt

grau.Rhodan sah, daß Ausläufer des Parasiten sich auf

die beiden Rüssel Pohiiks auszudehnen begannen.Der Twonoser bot keinen angenehmen Anblick.

Das starre Facettenauge schaute Rhodanunablässig an.

„Sie bringen eine Waffe mit“, stellte Pohiikschließlich fest.

„Ja“, bestätigte Rhodan. „Ich wußte nicht, wasmich hier erwartet. Larkaat rebelliert. Er war miteinigen Twonosern hier, um Sie zu suchen.“

Aus dem Lautsprecher von Pohiiks Translator kamein abstoßendes Lachen. Einer von Pohiiks Rüsselnbewegte sich schwerfällig und zeigte auf eineAbteiltür.

„Ich war bei meinen Freunden. Ich habe ihnen vonunserer Abmachung berichtet.“

Rhodan ließ Pohiik keine Sekunde aus den Augen.„Ich dachte, die Parasiten besäßen in ihrem

jetzigen Zustand nur einen schwachen Instinkt“,sagte er. „Wie können Sie sich mit ihnen inVerbindung setzen?“

„Ich habe Zufriedenheit in ihnen geweckt“,erklärte Pohiik. „Instinktive Zufriedenheit nur,gewiß, aber das ist immer noch besser als dumpfesUnbehagen.“

Rhodan ahnte, daß er nie erfahren würde, was mitPohiik geschehen war. Aber es war schließlichgleichgültig, ob Pohiik oder ein Bioparasit mit ihmsprach, wenn es ihm nur gelang, den Twonoser inden Maschinenraum zu bringen.

„Wir haben Schwierigkeiten“, sagte er zu Pohiik.„Der Zug ist zum Stehen gekommen. Sie müssen dieKontrollen übernehmen, damit wir hier wegkommen,bevor uns die Blaurüssel angreifen.“

Pohiik stand langsam auf. Der Parasit schmiegtesich eng an seinen Körper wie eine Schutzhaut.Rhodan konnte jetzt sehen, daß die beiden ÄrmchenPohiiks noch frei waren. Der Parasit verzichteteoffenbar darauf, den Twonoser körperlich zubehindern.

„Wir müssen an Ihren Männern vorbei. Pohiik“,sagte Rhodan. „Es sei denn, Sie verlassen mit mirdiesen Wagen und gehen bis nach vorn durch dieDunkelheit.“

„Ich könnte fliehen“, sagte Pohiik. „Dort draußengibt es kein Licht.“

Rhodan gab sich einen Ruck. „Gehen Sie voraus“,ordnete er an.

Pohiik zögerte. „Mit Ihrer Waffe im Rücken?“erkundigte er sich.

„Ich gehe kein Risiko ein“, erklärte Rhodannachdrücklich. „Sie sollten daran denken, daß ichIhren Wirt töten werde, wenn Sie flüchten wollen.Dann wären Sie Ihrer plötzlich gewonnenenIntelligenz wieder ledig.“

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Ohne zu antworten, ging Pohiik zumWagenausgang. Rhodan folgte zwei Meter hinterihm, die Waffe in der Hand. Pohiik sprang hinausund wartete, bis Rhodan an seiner Seite war.

„Wir müssen weiter vom Zug weg“, befahlRhodan. „Die Haushaltsverbrecher dürfen uns nichtsehen.“

Widerspruchslos änderte Pohiik seine Richtung.Rhodan zweifelte immer noch, daß der Twonoserunter der Kontrolle eines Parasiten stand. Wenn erjedoch verrückt war, blieb es ein Rätsel, wie er denParasiten davon abhielt, ihn als willkommeneNahrung zu benutzen.

Rhodan achtete darauf, daß sie außerhalb desLichtes blieben, das durch die Fenster kam. JederWagen war fast einhundert Meter lang. Jedes Abteilbesaß ein großes Fenster. Im Gegensatz zu denInterkastenzügen waren die Wagen desVersorgungszuges nicht in mehrere Etagen unterteilt.

Rhodan fragte sich, wie die zwanzig Blaurüsselunter den Haushaltsverbrechern auf den Anblickihres Wohngebietes reagieren würden. Hoffentlichentdeckten sie ihren alten Kastengeist nicht wieder,so, daß es zu neuen Schwierigkeiten kommen würde.

Pohiik blieb plötzlich stehen. Sie waren jetztungefähr in der Mitte des Zuges. Sofort drückteRhodan die Mündung des Strahlers in PohiiksRücken.

„Weitergehen!“ rief er dem Twonoser zu.„Da ist jemand vor uns“, drang es flüsternd aus

dem Lautsprecher des Translators.Rhodan lauschte in die Nacht hinein, ohne Pohiik

unbeobachtet zu lassen.„Ich kann nichts hören“, sagte Rhodan. „Pohiik,

versuchen Sie nicht, mich zu bluffen.“Er verstärkte den Druck der Waffe. Widerstrebend

setzte sich der Weißrüssel wieder in Bewegung.Gleich darauf sah Rhodan drei Gestalten imLichtschein des ersten Wagens auftauchen. Es warenTolot, Kasom und Sergeant Kapitanski. Der Ertrusertrug keine Uniformjacke mehr. Rhodan ahnte, daß eszu einem Zwischenfall gekommen war.

Die drei Männer kletterten in den Zug. Pohiik hattealso nicht gelogen, dachte Rhodan erleichtert. Er ließdie Waffe sinken.

Da schlugen Pohiiks Rüssel nach hinten. Sie trafenRhodan gleichzeitig von beiden Seiten. Es gelangdem Terraner, einen Schuß abzugeben, der jedoch anPohiik vorbeizischte. Mit einem Rüssel umfaßte derTwonoser Rhodans Waffe, mit dem anderenversuchte er, den Hals des Terraners zu umschlingen.

Rhodan erholte sich schnell. Er ließ sich in dieKnie sinken und entging so dem Würgegriff desAngreifers. Pohiik zerrte wütend am Lauf desStrahlers, ohne ihn Rhodans Händen entreißen zukönnen. Rhodan wollte nicht um Hilfe rufen, weil er

dadurch auch die Haushaltsverbrecher aufmerksamgemacht hätte. Pohiik schwang den freien Rüssel wieeine Keule. In der Finsternis fiel es Rhodan schwer,die Absichten des Twonosers zu durchschauen. EinSchlag traf den Terraner gegen die rechte Schulter.

Obwohl Pohiik ein alter Mann war, stellten seineRüssel gefährliche Waffen dar. Rhodan wußte, daß erden Twonoser schnell bezwingen mußte, wenn ernicht unterliegen wollte.

Er gab Pohiiks Zerren an der Waffe nach und warfsich gegen den Körper des Gegners. Der unerwarteteAufprall ließ den Weißrüssel das Gleichgewichtverlieren. Er hielt sich jedoch an Rhodan fest. Diebeiden Kämpfer fielen zu Boden. Rhodan stürzte aufden Twonoser. Es gab ein schmatzendes Geräusch,als sich der Parasit an einer Stelle von Pohiiks Körperlöste und versuchte, nach Rhodan zu greifen. Rhodanwälzte sich zur Seite. Pohiiks Rüssel streckte sich,ohne die Waffe loszulassen. Sekundenlang lagen sieschweratmend nebeneinander, bis der Twonosererneut zum Angriff überging.

Rhodan wurde vom zweiten Rüssel seinesWidersachers gegen die Brust getroffen. Er stöhnteauf, als ein stechender Schmerz ihm fast den Atemnahm. Pohiik grunzte triumphierend und holte zueinem weiteren Schlag aus, doch Pohiiks Hieb trafnur Rhodans Füße.

Rhodan wußte, daß er verloren war, wenn esPohiik gelang, ihm den Strahler zu entwinden. Erdrehte sich auf die Seite und umklammerte die Waffemit beiden Händen.

Mit einem heftigen Ruck versuchte er, den Laufaus Pohiiks Rüssel zu reißen. Der Twonoser mochtealt sein, aber er war ein geübter Kämpfer, der dasVorhaben seines Gegners leicht durchschaute.

„Ist das Ihre Art, sich an Abmachungen zuhalten?“ rief Rhodan.

„Ich habe einen Wirtskörper und die Gelegenheitzur Flucht“, kam die Antwort. „Warum sollte ich dasnicht ausnutzen?“

„Denken Sie an die anderen Parasiten“, beschworihn Rhodan. Er spürte, daß der Twonoser immerstärker am Lauf der Waffe zog. „Sie können ihnennicht helfen, wenn Sie jetzt fliehen.“

„Ich werde andere finden, die ich befreien kann“,entgegnete Pohiik.

Rhodan fühlte die Kraft seiner Arme erlahmen.Wenn Pohiik nicht zum Aufgeben gezwungen würde,konnte Rhodan den Strahler nicht mehr langefesthalten.

Das Schlimmste war, daß Rhodan zwei Gegner vorsich hatte, die sich gegenseitig ergänzten. Wenn derTerraner Pohiik zu nahe kam, bestand die Gefahr,daß der Parasit auf ihn übergriff.

Ohne die Waffe freizugeben, richtete sich Rhodanauf die Knie auf. Er spürte, daß auch Pohiik sich

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bewegte.Plötzlich sprang der Haushaltsverbrecher mit

einem Ruck hoch. Rhodan fiel vornüber und wurdeeinen Meter davongeschleift. Er mußte eine Handvon der Waffe nehmen, um sich gegen die Schläge zuwehren, die Pohiik mit seinem freien Rüsselanbrachte.

Pohiik heulte triumphierend auf und riß Rhodanden Strahler aus den Händen. Der Terraner schlugmit dem Oberkörper auf den Boden. Er hörte denLärm, den Pohiik mit den Beinen machte, und dasangestrengte Atmen des Twonosers.

Rhodan glaubte deutlich vor sich zu sehen, wiePohiik den Strahler mit einem seiner verkrümmtenHändchen ergriff.

Der Terraner warf sich zur Seite. Er hatte denrichtigen Augenblick gewählt, denn der erste Schußerhellte die Dunkelheit. Der Energiestrom traf aufden Boden und schuf eine meterlange Furche.Rhodan spürte die Hitze. Winzige Steinbrockenregneten auf ihn herab. Der Twonoser war vomersten Schuß ebenso geblendet wie Rhodan. Erfeuerte zum zweitenmal. Diesmal fehlte er um einigeMeter. Rhodan war wieder auf den Beinen. Mitgesenktem Kopf rannte er auf Pohiik los. DerWeißrüssel schoß abermals. Ein Feuerstrahl zischteüber Rhodan hinweg, dann prallte der Terraner gegenPohiik. Der unerwartete Angriff schleuderte Pohiikzurück. Rhodan hörte, wie die Waffe zu Boden fiel.

Gleichzeitig sagte eine dröhnende Stimmeunmittelbar hinter dem Twonoser:

„Ich habe meine Waffe auf den Burschen gerichtet,Sir.“

„Kasom!“ entfuhr es Rhodan. „Sie kommen imrichtigen Augenblick.“

Er tastete den Boden ab, bis er seinen Strahlergefunden hatte.

Pohiik stand schweigend in der Dunkelheit.„Vorwärts!“ rief Rhodan Pohiik zu. „Sie haben

verloren.“Pohiik gab ein undeutliches Geräusch von sich.

Wenige Augenblicke später kletterten sie in den Zug.Rhodan führte den Twonoser in den Maschinenraum.

Atlan lächelte spöttisch, als sie eintraten.„Anscheinend hatte nicht nur Kasom ein

unerfreuliches Erlebnis während seines Ausfluges“,bemerkte der Arkonide.

Rhodan wies auf den teilnahmslos wirkendenPohiik. „Wenn es darauf ankommt, entfaltet dieserBursche ungeahnte Aktivität“, sagte er. „Es istbesser, wenn wir ihn nicht aus den Augen lassen.“

Rhodan schickte Pohiik an die Kontrollen. „Duweißt, was du zu tun hast“, sagte er zu demTwonoser.

Bereitwillig machte sich Pohiik an die Arbeit. Alsder Zug anfuhr, materialisierte Rakal Woolver

innerhalb des Maschinenraums.„Die Blaurüssel marschieren“, berichtete Woolver

ohne Umschweife. „Ihr Ziel ist zweifellos dieRückenetage. Die Rotrüssel werden kämpfenmüssen.“ Er schaute sich innerhalb desMaschinenraumes um. „Ist Tronar schon zurück?“

Rhodan verneinte. Er wußte, daß Rakal gernseinem Bruder gefolgt wäre. Rhodan wollte demWellensprinter jedoch eine Ruhepause gönnen. DerZug würde bald wieder seine Höchstgeschwindigkeiterreichen.

Wenn sie im Gebiet der C-Kaste ankamen, mußtensie ausgeruht sein.

7.

Garko der Starke wurde durch seine Kundschafterlaufend über die Vorkommnisse in den anderenEtagen des Mobys unterrichtet. Die Behauptungendes Terraners John Marshall waren bestätigt worden.Nicht nur das, inzwischen war etwas passiert, wasGarko zwang, seine abwartende Haltung endgültigaufzugeben.

Die Rotrüssel hatten, alarmiert durch dieaufmarschierenden Armeen aus der Mitteletage,einen verzweifelten Entschluß gefaßt. Ein Teil der fürdie A-Kaste vorgesehenen Energie war in dieNotversorgungsanlagen der Mitteletage umgeleitetworden. Das hatte zur Folge, daß auch im Gebiet derWeißrüssel einige Kunstsonnen ausfielen.

Anscheinend hofften die Rotrüssel durch dieseTaktik, die B-Kaste zur Aufgabe ihres Angriffs undzur Umkehr bewegen zu können. Kaum hatten dieMaßnahmen der C-Kaste in der Bauchetage dieersten Folgen gezeigt, als Garko der Starke vonseinen Beratern bestürmt wurde, etwas dagegen zuunternehmen.

Garko der Starke war sich darüber im klaren, daßseine Soldaten es unter normalen Umständen nichtmit den Blaurüsseln aufnehmen konnten. Doch dieB-Kaste würde bis zum Eintreffen der Weißrüsselmit der C-Kaste im Kampf liegen. Durch seineSpione hatte Garko erfahren, daß die Blaurüssel ihreAngriffsabsichten nicht aufgegeben hatten.

Wie der Terraner gesagt hatte, handelte es sich umeine einmalige Chance für die Weißrüssel, dieVorherrschaft der führenden Kasten zu brechen.

Garko überblickte die Reihe der Kommandanten,die sich vor seiner Residenz versammelt hatten.Diesen Männern konnte er vertrauen.

Garko wußte, daß die Kommandanten jedenBefehl befolgen würden, ohne, daß er besondereErklärungen abgeben müßte. Der Anführer derWeißrüssel wollte jedoch, daß die Soldaten ausÜberzeugung den Aufbruch in die oberen Etagenwagten und nicht, weil sie ein Befehl dazu zwang.

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Jeder einzelne Weißrüssel wußte, was von derEnergieversorgung abhing, aber bestimmt gab esMänner, die einen Angriff gegen die oberen Kastenablehnten, weil damit das Risiko einer vernichtendenNiederlage verbunden war.

„Wir stehen vor einem Wendepunkt in unsererGeschichte!“ rief Garko den Kommandanten zu.„Seit Generationen waren wir, die Ausgestoßenen,gerade gut genug, um Nahrung für unsereBeherrscher zu produzieren. Wir wurden ständigüberwacht und durften die Bauchetage nieverlassen.“ Garko machte eine Pause und blickte überdie endlosen Felder, die sich vor demRegierungsgelände ausdehnten. „Inzwischen habe ichveranlaßt“, fuhr er fort, „daß die Belieferung deroberen Kasten mit Nahrungsmitteln eingestellt wird.Doch das ist nur ein erster Schritt. Sie sollen mitunseren Soldaten bis zur Rückenetage vorstoßen unddort versuchen, die Verteilerstation zu besetzen.Wenn das gelingt, haben wir das Recht, unsereRüssel rot zu färben. Es ist möglich, daß die fünfziggeflohenen Gefangenen zusammen mit einigenHaushaltsverbrechern inzwischen die Verteilerstationerobert haben. Perry Rhodan, der Anführer derFremden, hat mir versichert, daß er die Stationfreigeben wird, wenn wir die Tore desGefangenenlagers öffnen.“ Garko hob beschwörendbeide Rüssel. „Es liegt an Ihnen, ob wir Erfolg habenwerden.“

Die Kommandanten legten ihre Rüsselübereinander, um ihre Ehrerbietung zu zeigen.Vergeblich wartete Garko auf irgendeinen Einwand.Alle schienen mit seinen Plänen einverstanden zusein.

„Benutzt die Züge, soweit das noch möglich ist“,sagte Garko abschließend. „Einen Zug müssen wirhier festhalten, um die terranischen Gefangenen zutransportieren.“

Garko winkte mit beiden Rüsseln zum Zeichen desAbschieds.

In kurzer Zeit würden die erstenAngriffsdivisionen die Bauchetage verlassen. Garkoblickte den Kommandanten sinnend nach. Wie hießdoch dieses terranische Wort, das er sich hattemerken wollen?

Glück! Ja, das war es, was sie jetzt brauchten.

*

Stunde um Stunde raste der Versorgungszug durchdie serpentinenförmig angelegte Rohrbahn derRückenetage entgegen. In regelmäßigen Abständenließ Rhodan die Woolver-ZwillingeErkundungssprünge ausführen, um zu erfahren, wosie sich befanden.

Die meisten Terraner schliefen. Die

Haushaltsverbrecher verhielten sich ruhig. Pohiikhatte keinen Versuch unternommen, einen derMänner im Maschinenraum anzugreifen. Der Parasit,der ihn umhüllte, hatte seine Farbe abermalsgewechselt und schimmerte jetzt mattschwarz. Erhatte sich bis auf die Rüsselspitzen und bis zu denHandgelenken der unentwickelten Ärmchenausgedehnt. Pohiiks Facettenauge blieb jedoch nachwie vor frei.

Der Twonoser bot einen erschreckenden Anblick.Die mattschwarze Farbe des Parasiten ließ denEindruck entstehen, Pohiik sei von einer Kakaoglasurumgeben. Der Parasit war jedoch unglaublichelastisch, so, daß er, hätte er nicht die unnatürlicheFärbung besessen, kaum aufgefallen wäre.

Rhodan machte keinen Versuch, sich mit Pohiik zuunterhalten.

Kasoms Verbrennungen hatten sich alsungefährlich erwiesen, sie würden rasch abheilen,sobald die CREST II wieder im Besitz der Terranerwar und die Raumfahrer Zugang zur Krankenstationhatten.

Die Fahrt durch die Mitteletage verliefreibungsloser, als Rhodan angenommen hatte. Diemeisten Hallen, durch die sie gefahren waren, lagenin vollkommener Dunkelheit. Außerdem schienen dieZüge trotz der gespannten Lage für jeden Twonosereine Sonderstellung einzunehmen. Sie wurdengebraucht, um den Transport von Nahrungsmittelnaufrechtzuerhalten.

Die einzigen Twonoser, die sich über die innerhalbdes Mobys bestehenden Tabus hinwegsetzten, warendie Haushaltsverbrecher. Sie überfielen Züge,züchteten Bioparasiten und waren sogar bereit, ihreRüssel mit einer anderen Farbe zu versehen, wenn esfür das Gelingen eines Planes wichtig erschien.

Keiner der Terraner besaß noch eine Uhr. Rhodanwußte weder, wieviel Tage seit ihrem Aufbruch ausdem Gefangenenlager in der Bauchetage verstrichenwaren, noch welches Datum man jetzt auf der Erdeschrieb.

Icho Tolot hatte sich wieder in das Abteil zu denanderen Männern zurückgezogen. Auch Kapitanskiwar von Rhodan dorthin geschickt worden, so, daßsich nur Rhodan, Atlan, Kasom und dieWoolver-Zwillinge im Maschinenraum aufhielten.Hinzu kam Pohiik der mürrisch die notwendigenSchaltungen an den Kontrollen vornahm.

Endlich erschien Rakal Woolver mit derNachricht, daß der Zug in kurzer Zeit in derRückenetage eintreffen würde. Er mußte in einerHalle herauskommen, die von den Rotrüsseln scharfbewacht wurde. In verschiedenen Gebieten derRückenetage wurde bereits gekämpft. Ein großer Teilder Adern war von den Mitgliedern der C-Kasteverbarrikadiert worden. Der Angriff der

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Blaurüssel-Raumschiffe schien fehlgeschlagen zusein, da die Rotrüssel noch die Energiestationen unterihrer Kontrolle hatten und somit auch den Laderstrahlbenutzen konnten, der die Angreifer aus demWeltraum daran hinderte, sich dem Moby zu nähern.

„Auf jeden Fall wird man den Zug anhalten“,schloß Rakal Woolver. „Es halten sich mindestenstausend bewaffnete Rotrüssel am Ende der Rohrbahnauf. Ich frage mich, wie wir dort vorbeikommensollen.“

„Bisher sind wir gut vorangekommen“, sagteAtlan. „Wir mußten jedoch damit rechnen,aufgehalten zu werden.“

„Unter den gegenwärtigen Voraussetzungen wirdman wenig Verständnis für uns und dieHaushaltsverbrecher haben“, vermutete Rhodan.„Trotzdem können wir nicht umkehren. Es muß einenWeg geben, die Rotrüssel zu überlisten.“

„Sie müssen mit Larkaat sprechen“, sagte Pohiikunerwartet.

Rhodan wandte sich an den Twonoser. „Haben Siesich entschlossen, Ihre Rolle als passiver Wirtskörperaufzugeben?“ erkundigte er sich ironisch.

„Was, glauben Sie, werden die Rotrüssel mit mirmachen, wenn sie mich sehen?“ fragte Pohiik, ohneauf Rhodans Frage einzugehen. „Ich handle ineigenem Interesse, wenn ich Ihnen einen Vorschlagmache.“

„Und was soll Larkaat tun?“ wollte Melbar Kasomwissen.

„Er soll veranlassen, daß sämtliche Klassenlosenihre Rüssel mit roter Farbe bemalen. Wir führengenügend davon mit. Larkaat weiß genau, was zu tunist. Beeilen Sie sich, Rhodan.“

„Er hat recht“, sagte Rhodan. Entschlossen wandteer sich zur Tür. „Ich gehe zu Larkaat. Inzwischenmüssen die Woolvers versuchen, die Verteilerstationzu finden. Dabei dürfen sie sich auf keinen Fallentdecken lassen.“

Rhodan trat auf den Gang hinaus und ging in denzweiten Wagen. Die Haushaltsverbrecherdiskutierten heftig miteinander. Offenbar hatten sichzwei Parteien gebildet, von denen eine zu Larkaathielt, während die andere Pohiik treu ergeben war.

„Wo ist Larkaat?“ erkundigte sich Rhodan.Die im Gang hockenden Twonoser machten ihm

widerwillig Platz. Rhodan kletterte überausgestreckte Beine hinweg, bis er schließlich vorLarkaat stand.

„Der Zug wird bald das Gebiet der C-Kasteerreichen“, eröffnete Rhodan das Gespräch.

Larkaat hielt den Kopf gesenkt. Er schien zuüberlegen, ob er Rhodan antworten sollte. Rhodanwartete nicht, bis der junge Twonoser eineEntscheidung getroffen hatte.

„Jetzt haben wir keine Zeit für persönliche

Differenzen“, sagte er zu Larkaat. „Sobald wir ausder Rohrbahn herauskommen, empfangen unstausend oder mehr schwerbewaffnete Rotrüssel.Wenn wir tot sind, ist es gleichgültig, ob Pohiik oderSie im Recht waren.“

„Warum sprechen Sie nicht mit Pohiik?“erkundigte sich Larkaat gereizt.

„Ich will mit Ihnen reden.“ Rhodan sprach laut undrasch. Er mußte den Weißrüssel dazu bringen, seinenGroll gegen Pohiik für einige Zeit zu vergessen. „Siekönnen den Zug sicher an den Rotrüsselnvorbeibringen.“

„Wie?“ stieß Larkaat hervor. Rhodan bückte sichund ergriff Larkaats Rüssel mit den Händen. DieTwonoser, die einen Ring um die beiden Männergebildet hatten, verstummten. Sie warteten darauf,daß Larkaat Rhodan niederschlagen würde.

„Färben Sie diese Dinger rot“, forderte Rhodan.„Sorgen Sie dafür, daß Ihre Begleiter Ihrem Beispielfolgen. Dann erzählen Sie den Rotrüsseln eineGeschichte, die man Ihnen glaubt.“

Rhodan ließ die Rüssel los. Larkaat stand auf. Erblickte aus dem Fenster, als könnte er die Dunkelheitder Mobyader mit den Blicken durchdringen. Erdachte offenbar angestrengt nach.

„Was ist, wenn sie in den Zug kommen und eineKontrolle durchführen?“ fragte Larkaat schließlich.

„Das hängt von Ihrer Geschichte ab“, meinteRhodan lakonisch. „Je besser Sie lügen, desto größerwird unsere Aussicht, lebend durch die erste Halle zukommen.“

Larkaat stampfte mit einem Fuß auf. Seine Rüsselzitterten erregt.

„Wir werden es tun“, sagte er. „Wir werden unsereRüssel färben.“

Rhodan gab sich keine Mühe, seine Befriedigungzu unterdrücken. „Ich muß zurück in denMaschinenraum“, erklärte er.

„Warten Sie!“ rief Larkaat hastig. „Sagen Sie uns,was mit Pohiik passiert ist.“

„Er ist krank“, sagte Rhodan. „Er ist imMaschinenraum. Ich hoffe, daß er sich bald so weiterholt hat, daß er zu euch zurück kann. Wir haben ihnin den vorderen Wagen transportiert, als der Zug inder Mitteletage anhielt.“

„Sie können gut Geschichten erzählen“, sagteLarkaat voller Spott. „Warum sprechen Sie nicht mitden Rotrüsseln?“

„Mir fehlt etwas.“ Rhodan deutete lächelnd aufjene Stellen seines Körpers, wo bei den Twonoserndie Rüssel saßen.

Larkaat machte den Eindruck eines Mannes, dermit Sicherheit wußte, daß man ihn hintergangen hat,aber er hielt den Terraner nicht auf, als dieserdavonging. Rhodan blieb weiterhin zuversichtlich. Ererinnerte sich an seinen Zusammenstoß mit Storkeet,

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dem Kommandanten des Gefangenenlagers, als erdiesem vorgeschlagen hatte, sich durch eine roteFärbung der Rüssel in ein Mitglied der C-Kaste zuverwandeln.

Storkeet hätte ihn fast erschossen. Nur Twonoser,die Zugang zur Verteilerstation besaßen, durften roteRüssel tragen. Niemand außer denHaushaltsverbrechern wagte es, dieses Tabu zubrechen. Im Grunde genommen war dieseEinstellung bei einem zivilisierten Volk, wie es dieTwonoser waren, völlig unverständlich. Rhodangestand sich jedoch ein, daß es in der terranischenGeschichte ähnliche unsinnige Privilegien und Tabusgab.

Nie würden die Rotrüssel auf den Gedankenkommen, daß die Twonoser innerhalb des Zuges sicheine Rüsselfarbe zugelegt hatten, die ihnen nichtzustand. Deshalb hoffte Rhodan, daß der Zugpassieren konnte, wenn Larkaat sich nicht gerade wieein Dummkopf verhielt.

Als Rhodan in den Maschinenraum zurückkam,waren die Woolvers bereits verschwunden. „Nun?“fragte Atlan. „Sie werden sich in Rotrüsselverwandeln“, berichtete Rhodan. „Larkaat istumgänglicher, als ich geglaubt habe.“

„Vergessen Sie nicht, daß es mein Vorschlag war“,mischte sich Pohiik ein. „Denken Sie auch daran, daßSie es mir zu verdanken haben, wenn der Zugüberhaupt bis hierher gelangt ist.“

„Was wollen Sie?“ knurrte Kasom. „EinenOrden?“

Pohiiks schwarzglasierte Rüssel richteten sich aufPerry Rhodan.

„Er weiß, was ich will“, sagte er. „Freiheit für alleBioparasiten innerhalb dieses Zuges.“

„Er glaubt immer noch, er sei ein Parasit“, sagteKasom verwundert.

„Ich bin fast überzeugt, daß es wirklich ein Parasitist, der mit uns spricht“, sagte Atlan betont.

Rhodan blickte den Arkoniden an. „Und wassollen wir tun, wenn wir unser Ziel erreicht haben?“

„Wir können den Zug einfach stehenlassen“,schlug Atlan vor. „Pohiik kann zurückbleiben. Erwird wissen, was er mit den Parasiten zu tun hat.“

„Was halten Sie davon?“ wandte sich Rhodan anden Twonoser.

„Wenn wir unser Ziel erreicht haben“, erwidertePohiik rätselhaft, „werden Sie vielleicht andersdarüber denken.“

*

Mit stark herabgesetzter Geschwindigkeit kam derZug aus der Rohrbahn heraus und fuhr in die großeHalle hinein, die zum Gebiet der C-Kaste gehört.Pohiik hatte die Fahrt auf Rhodans Befehl

verlangsamt. Rhodan wollte vermeiden, daß dieRotrüssel beim Anblick eines aus der Aderherausrasenden Zuges in Panik handelten.

Rhodan stand dicht neben der Verbindungstür zumzweiten Wagen. Larkaat und ein Dutzend andererHaushaltsverbrecher drängten sich an den Fenstern.Die Rüssel der Klassenlosen glänzten in roter Farbe.

Rhodan näherte sein Gesicht vorsichtig demFenster und blickte hinaus.

„Eine Sperre auf Schienen!“ rief Larkaataufgeregt. „Wir müssen anhalten.“

„Pohiik! Anhalten!“ schrie Kasom, der ebenfallsim Gang stand, in den Maschinenraum hinein.

Gleich darauf bremste das Schienenfahrzeug ab.Mit einem Ruck kamen die Wagen zum Stehen.

„Es geht los, Sir“, sagte Kasom aufgeregt.Sie hörten, wie Larkaat ein Fenster öffnete. Von

draußen klang das Trampeln von Stiefeln undStimmengewirr herein.

„Was bedeutet das?“ rief Larkaat empört hinaus.„Warum halten Sie den Zug an?“

„Wir halten jeden Zug an“, sagte ein Twonoser,der für Rhodan unsichtbar blieb. Der auf geringeLautstärke eingestellte Translator Rhodans übersetztejedes Wort. „Wir befürchten, daß die Blaurüssel hiereindringen.“

Larkaat lachte schallend. „Blaurüssel?“wiederholte er spöttisch. „Wir haben diesen feigenBurschen den Zug abgenommen. Sie wollten ihnentladen, als wir in einem Interkastenzug ankamen.Es entwickelte sich ein heftiger Kampf. DieBlaurüssel halten zwar jetzt den Interkastenzug fest,doch uns erscheinen die mit Nahrungsmittelnbeladenen Wagen wichtiger.“

„Allerdings“, stimmte der Rotrüssel eifrig zu.„Habt ihr bereits Befehle, wohin ihr den Zug bringensollt?“

„Ja“, sagte Larkaat. „Wir fahren ihn zurBerdag-Station zum Entladen.“

„Bei Berdag wird gekämpft“, informierte derRotrüssel die Haushaltsverbrecher. „Es ist besser,wenn ihr schon bei Landarg haltet.“

„Wir werden daran denken“, versicherte Larkaat.„Paßt auf den nächsten Interkastenzug auf. Er istwahrscheinlich von Blaurüsseln besetzt.“

Kasom fluchte ungehalten. „Der Narr soll dasSpiel nicht übertreiben.“

Rhodan legte beschwichtigend eine Hand aufKasoms Arm. „Nur die Ruhe, Major. Dieser Larkaatwird uns hier durchschleusen, ohne, daß nur eineinziger Rotrüssel den Zug betritt.“

„Habt ihr vielleicht Verletzte, die wir mitnehmenkönnen?“ erkundigte sich Larkaat in diesemAugenblick.

Kasom zog eine Grimasse. Rhodan mußte dieKaltblütigkeit des jungen Twonosers bewundern.

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Larkaat wußte genau, daß es in diesem Abschnitt derRückenetage noch nicht zu Kämpfen gekommen war.

„Es ist besser, wenn ihr jetzt weiterfahrt!“ rief einRotrüssel Larkaat zu.

„In Ordnung“, sagte der Weißrüssel Er zog denKopf aus der Fensteröffnung zurück,

„Weiterfahren!“ schrie er über den Gang.Rhodan gab dem im Eingang zum Maschinenraum

stehenden Pohiik ein Zeichen. Sekunden später rollteder Zug durch die Halle. Larkaat kam in denvorderen Wagen.

„Gut gemacht“, lobte ihn Rhodan. „Die Rotrüsselwerden uns nicht mehr aufhalten.“

„Ich tat es für uns“, gab Larkaat zurück. „Siewerden uns als Gegenleistung dafür helfen, dieVerteilerstation zu besetzen.“

„Sie gehört Garko dem Starken“, erklärte Rhodan,der nicht wollte, daß es zu neuen Streitigkeiten kam.„Die Haushaltsverbrecher allein können die Stationnicht kontrollieren. Sie brauchen dazu dieUnterstützung der Weißrüssel.“

Larkaat lachte. „Das brauchen Sie mir nicht zusagen. Garko der Starke ist mein Vater. Ich bin inseinem Auftrag zu den Haushaltsverbrecherngegangen, um zu verhindern, daß es Schwierigkeitengibt.“

„Was ist mit Pohiik?“ wollte Rhodan wissen.„Besitzt er nicht das Vertrauen Ihres Vaters?“

Larkaat verneinte. „Er ist zu eigenwillig. Manweiß nie genau, was er zu tun beabsichtigt. Deshalbsollte ich seine Rolle als Führer übernehmen.“

Rhodan nickte nachdenklich. Larkaat war alsokeineswegs ein unüberlegt handelnder junger Mann,sondern ging nach einem festen Plan vor. Irgendwiehatte Garko von der psychischen Labilität Pohiikserfahren. Es sprach für das VerantwortungsgefühlGarkos, daß er das Leben seines Sohnes aufs Spielsetzte, um Zwischenfälle zu vermeiden.

„Ich habe schon mit Ihrem Vater gesprochen undihm auch eine Nachricht über die letzten Ereignisseübermitteln lassen“, sagte Rhodan.

„Für mich ist es schwer, mit meinem VaterVerbindung aufzunehmen“, beklagte sich Larkaat.„Innerhalb des Camps war es unter bestimmtenUmständen noch möglich. Seit wir jedoch von dortflüchten mußten, hat Garko nichts mehr von mirgehört.“ Rhodan streckte dem jungen Twonoser dieHand entgegen. „Auf jeden Fall haben wir jetztfestgestellt, daß sich unsere Interessen und Absichtendecken.“

Zögernd ergriff Larkaat die Hand des Terranersmit einem Rüssel.

„Werden Sie mir jetzt sagen, was mit Pohiikpassiert ist?“

„Er ist verrückt“, sagte Rhodan. „Er weiß weder,was er tut, noch wer er ist.“

„Das befürchtete ich seit langem“, sagte Larkaat.„Ich werde die Klassenlosen davon unterrichten.Dann werden auch Pohiiks letzte Anhänger von ihmabfallen.“

Larkaat ging zum zweiten Wagen zurück. Rhodanbegab sich wieder in den Maschinenraum.

„Wissen Sie, wo Landarg ist?“ fragte er Pohiik.„Nein“, erwiderte der Twonoser. „So gut kenne ich

mich in der Rückenetage nicht aus.“„Wir fahren weiter“, entschied Rhodan. „Irgendwo

werden wir schon herauskommen. DieWoolver-Zwillinge werden bald herausgefundenhaben, wo die Verteilerstation liegt.“

Der Versorgungszug raste durch die erste Halledes Rotrüsselgebietes. Die Männer beobachteten dasLand durch die Fenster. Überall sahen siemarschierende Soldaten des Rotrüssel-Militärs.

„Sie bringen weitaus mehr Bewaffnete zusammen,als ich geglaubt habe“, sagte Pohiik. „Die Blaurüsselwerden sich blutige Köpfe holen.“

Keiner der Rotrüssel schien auf den Gedanken zukommen, daß der Versorgungszug eine gefährlicheFracht in ihr Land trug. Doch Rhodan gab sichkeinen Illusionen hin. Sie hatten erst eine Halledurchquert. Es war möglich, daß sie noch tausendoder mehr Meilen zurücklegen mußten.

Der Zug fuhr durch einen Torbogen in die nächsteHalle. Hier deutete nichts darauf hin, daß innerhalbder Rückenetage bereits heftige Kämpfe tobten. Nurwenige bewaffnete Rotrüssel waren vom Zug aus zusehen. Die kunstvoll angelegten Parks lagen friedlichim Schein der starken Kunstsonnen. Der Zug kam aneiner verlassenen Bahnstation vorbei. Rhodan hoffte,daß es bei den Kämpfen zwischen den Twonosernnicht zu größeren Zerstörungen kam. Je früher es denTerranern gelang, die Verteilerstation zu besetzen,desto schneller würde der Krieg beendet sein.

*

Rakal Woolver materialisierte innerhalb einesSchachtes. Er stand auf einer Liftplatte, die langsamnach oben glitt. Woolver hatte seit Verlassen desZuges mindestens zwanzig Sprünge ausgeführt, bis erdie Verteilerstation endlich gefunden hatte. DieStation war ein großes, kuppelförmiges Gebäude mitzwei turmähnlichen Seitenbauten. Woolver hatte dieAnlage längere Zeit von außen beobachtet, bis er sichdazu entschlossen hatte, ins Innere zu springen.

Er vermutete, daß er innerhalb eines Turmesmaterialisiert war, denn es war ziemlichunwahrscheinlich, daß es in der Kuppel einen Liftgab. Unter ihm, im Tragkorb des Aufzuges, hieltensich einige Rotrüssel auf. Da der Lift lautlos durchden Schacht glitt, konnte Woolver hören, daß sich dieTwonoser miteinander unterhielten.

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Der Mutant blickte nach oben. Der Schacht warfast dunkel, so, daß Woolver sein Ende nichterkennen konnte. Eine Tür huschte vorbei. Gleichdarauf hielt der Lift an. Woolver hörte, wie dieTwonoser den Tragkorb verließen. Der Imarter hattenicht damit gerechnet, daß die Verteilerstation einderart großer Komplex war. Auch die Anwesenheitder vielen Rotrüssel kam für ihn unerwartet. Erhoffte, daß Tronar nicht gesehen wurde.

Der Imarter konzentrierte sich. Innerhalb desSchachtes gab es nur vier Impulsechos. Eines führtein den Tragkorb, die anderen gingen von Leitungenaus, die nichts mit dem Antrieb des Aufzuges zu tunhatten. Woolver hielt es für zwecklos, innerhalb desTurmes zu bleiben. Die wichtigsten Anlagenbefanden sich zweifellos unter der großen Kuppel.

Woolver konzentrierte sich und fädelte sich ein. Ermaterialisierte vor einer senkrechten Säule, dieungefähr zehn Meter durchmaß. Er überblickteblitzschnell seine Umgebung. Auch hinter ihm ragteeine Riesenspule zum Kuppeldach empor. Innerhalbdes Gebäudes gab es nur eine schwache Beleuchtung.Der Mutant erkannte erleichtert, daß sich in seinerunmittelbaren Umgebung keine Rotrüssel aufhielten.Vorsichtig umrundete er eine Spule. Er stieß aufriesenhafte Energiegatter, die fast die ganze Breitedes Gebäudes einnahmen. Die Twonoser, die dieseAnlage kontrollierten, beherrschten praktisch denMoby. Nur wenige Schaltungen waren nötig, um denEnergiefluß in ein bestimmtes Gebiet des Mobys zuunterbrechen.

Der Mutant ging zwischen zwei Gattern hindurch.Das Gebäude lag ungefähr im Zentrum derRückenetage. Der Wellensprinter mußte nunherausfinden, wo der Versorgungszug vorbeikam. Eswar fraglich, ob der Schienenstrang überhaupt durchdiese Halle führte. Rakal hatte beobachtet, daß dasGebäude von draußen bewacht wurde.Wahrscheinlich war diese Maßnahme auf den Angriffder Blaurüssel zurückzuführen. Ein Lächeln zeigtesich auf Woolvers Gesicht. Die Twonoser konntennicht ahnen, daß der Angriff auf die Verteilerstationvon imartischen Mutanten durchgeführt und vomInnern des Gebäudes aus erfolgen würde.

8.

Der Versorgungszug hielt noch innerhalb derRohrbahn. Rhodan gab Pohiik ein Zeichen, denAntrieb auszuschalten. Die Männer machten sichzum Aussteigen bereit. An den Wagenausgängenwarteten die Haushaltsverbrecher mit ihrenrotgefärbten Rüsseln. Sie würden zuerst aus der Aderherauskommen. Von den Woolvers hatte Rhodanerfahren, daß sie noch eine kleinere Halledurchqueren mußten, bevor sie in den riesigen

Hohlraum kommen würden, in dem die Twonoser dieVerteilerstation errichtet hatten. Die beiden Mutantenhatten berichtet, daß sich nur wenige Rotrüsselinnerhalb der kleinen Halle aufhielten. Rhodan hattezusammen mit Larkaat beschlossen, den Versuch zuwagen, die Rotrüssel zu überlisten.

Larkaat sollte bei einem Zusammentreffen mitAngehörigen der C-Kaste behaupten, daß er undseine Männer die Terraner gefangengenommenhätten. Rhodan hoffte, daß die Rotrüssel erneut durchdie gefärbten Rüssel der Haushaltsverbrechergetäuscht werden konnten. Wenn der Plan scheiternsollte, konnten sie immer noch um ihre Freiheitkämpfen.

Rhodan wandte sich an Pohiik, der abwartend vorden Kontrollen des Zuges stand.

„Wollen Sie uns begleiten?“ fragte Rhodan.„Lassen Sie mir die Wahl, mit Ihnen zu gehen oder

hierzubleiben?“ wollte Pohiik erstaunt wissen.„Sie müssen sich entscheiden“, sagte Rhodan. „Ich

halte meinen Teil unserer Abmachung ein.“Larkaat, der im Eingang zum Maschinenraum

erschien, überblickte die Szene mit einem Blick.„Das ist also Pohiiks Verrücktheit“, zischte er und

deutete mit einem Rüssel auf den Parasiten, derPohiik wie eine zweite Haut umgab.

Rhodan stellte sich zwischen die beiden Rivalen.„Wollen Sie wieder mit diesem Unsinn anfangen?“

herrschte er Larkaat an. „Er ist eine Symbiose miteinem Parasiten eingegangen“, sagte Larkaat erregt.„Er muß getötet werden.“

„Nein“, widersprach Rhodan. Larkaat zog seinenStrahler. Rhodan blieb zwischen dem aufgebrachtenSohn Garkos und Pohiik stehen. Ruhig schaute er denTwonoser an.

„Sie werden auch mich erschießen müssen, wennSie an mir vorbei wollen“, sagte er und brachteebenfalls seine Waffe in Anschlag.

Larkaat zitterte vor Wut. Schließlich wandte ersich wortlos um und ging hinaus.

„Es liegt an Ihnen, was Sie aus Ihrer Freiheitmachen“, sagte Rhodan zu Pohiik.

„Ich habe feste Vorstellungen“, erklärte Pohiikzuversichtlich.

„Eines würde mich interessieren“, sagte Rhodan.„Sind Sie Pohiik oder spreche ich mit einemBioparasiten?“

„Ich bin ein Symbiose-Wesen“, sagte derTwonoser.

Rhodan hob die Schultern und ging hinaus. Aufdem Gang warteten die Flüchtlinge auf ihn. Larkaatund die anderen Haushaltsverbrecher hatten dieWagen bereits verlassen.

Der Zug war noch fünfhundert Meter vom Endeder Rohrbahn entfernt. Als Rhodan hinaussprang,konnte er den hellen Adernausgang erkennen.

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Larkaat wartete mit mürrischem Gesichtsausdruckneben dem vorderen Wagen.

„Wir werden Sie und Ihre Männer entwaffnenmüssen“, sagte der Weißrüssel. „Oder glauben Sie,die Rotrüssel würden uns bewaffnete Gefangenedurchgehen lassen?“

Rhodan befahl seinen Männern, die kleinenStrahlwaffen in ihren Kleidern zu verstecken.

„Genügt Ihnen das?“ fragte er Larkaat.„Natürlich“, brummte Larkaat. „Wir werden Sie

eskortieren, damit die Sache echt aussieht.“Wenige Minuten später marschierte die seltsame

Kolonne aus der Ader heraus. FünfzigHaushaltsverbrecher mit rotgefärbten Rüsselnbildeten die Spitze. Danach folgten die fünfzigMänner des Solaren Imperiums. Zum Schluß kamenweitere hundert Twonoser. Inzwischen hatte Rhodandie beiden Wellensprinter wieder zur Verteilerstationgeschickt. Sie sollten dort im gleichen Augenblicklosschlagen, wenn die Kampfgruppe vor demGebäude auftauchte. Rhodan hatte auch einkalkuliert,daß sie nicht bis zur Verteilerstation vordringenkonnten. Dann sollten die Imarter nach eigenemErmessen handeln und versuchen, den Rotrüsseln einUltimatum zu stellen.

Als Perry Rhodan die Rohrbahn verließ und diekleine Halle überblicken konnte, fand er die Berichteder beiden USO-Mutanten bestätigt. Im Zentrumstanden drei kleinere Gebäude. Eine Straße führtedirekt zum nächsten Torbogen. Rhodan konnte eineinzelnes Fahrzeug beobachten, das auf die dreiHäuser zufuhr. Ungefähr ein Dutzend Rotrüsselhielten sich in der Nähe der Straße auf. ImAugenblick bildeten sie keine Gefahr. Rhodan wolltejedoch auf jeden Fall vermeiden, daß die Rotrüssel inder Verteilerstation alarmiert wurden.

Larkaat führte die Kolonne geradewegs auf diedrei Gebäude zu. Sie waren noch einige hundertMeter von der Ansiedlung entfernt, als die erstenRotrüssel auf sie aufmerksam wurden.

Rhodan beobachtete, wie aus einem der Häuser einFahrzeug herausschoß und den Flüchtlingenentgegenraste.

Larkaat hob einen Rüssel und ließ die Kolonneanhalten.

Das Fahrzeug glich jenen, die die Terraner bereitsin der Bauchetage des Mobys gesehen hatten. Esbremste neben Larkaat. Zwei Rotrüssel sprangenheraus. Mit offensichtlicher Gelassenheit blickteihnen Larkaat entgegen.

„Wer sind diese Fremden?“ erkundigte sich dergrößte der beiden Ankömmlinge.

„Unsere Gefangenen“, erklärte Larkaat vollerStolz. „Sie waren bei den Blaurüsseln, die Berdagüberfielen. Wir haben sie festgenommen.“

Die beiden Rotrüssel blickten mißtrauisch zu den

Männern der CREST II herüber.„Warum bringt ihr sie hierher?“ wollte der Große

wissen.„Wir befolgen einen Befehl“, antwortete Larkaat

gleichmütig.„Wessen Befehl?“ wurde er gefragt.Es war die entscheidende Frage. Rhodan wußte,

daß Larkaat sich jetzt nicht mehr mit einer Lügehelfen konnte.

„Warum fragt ihr?“ Das war der letzte Versuch desHaushaltsverbrechers, die Entlarvung abzuwenden.

„Wer gab Ihnen den Befehl, die Gefangenenhierherzubringen?“ wiederholte der Rotrüsseldrohend.

Diesmal gab Garkos Sohn keine Antwort mehr. Erriß seinen Strahler heraus und schoß. Der Sprecherder beiden Rotrüssel sank leblos zusammen. SeinBegleiter versuchte sich mit einem verzweifeltenSprung hinter dem Fahrzeug in Sicherheit zu bringen.Seine Reaktion kam viel zu spät. Von mindestenszehn Energiestrahlen getroffen, starb auch er.

Rhodan preßte die Zähne aufeinander. DasBefürchtete war geschehen. In kurzer Zeit würdenalle Rotrüssel darüber informiert sein, daß außer denBlaurüsseln fünfzig Fremde in ihr Gebieteingedrungen waren. Rhodan fragte sich, wie dieC-Kaste auf das Erscheinen von einhundertfünfzigTwonosern reagieren würde, die rote Rüssel besaßen,aber offenbar mit den Angreifern verbündet waren.

Larkaats Stimme rief Rhodan in die Wirklichkeitzurück.

„Weitergehen!“ rief Garkos Sohn denHaushaltsverbrechern zu.

Rhodan winkte Tolot und Melbar Kasom zu sich.„Wir setzen uns an die Spitze des Zuges“, ordnete

der Terraner an. „Larkaat soll nicht auf denGedanken kommen, daß er jetzt die Befehle alleingibt.“

„Der Twonoser hätte nicht schießen dürfen“, sagteAtlan. „Es wird nicht lange dauern, bis sichRotrüssel-Divisionen uns entgegenstellen.“

„Das befürchte ich auch“, gestand Rhodan. Erwandte sich an Tolot. „Gehen Sie voraus undversuchen Sie, sich mit den Woolvers in Verbindungzu setzen. Wir müssen die Station irgendwie inunsere Gewalt bringen, damit Garko der Starke alleGefangenen freiläßt.“

Icho Tolot ließ sich auf seine Sprungarme niederund stürmte davon.

*

Die Woolver-Zwillinge standen im obersten Raumeiner der beiden Türme, die zur Verteilerstationgehörten. Hier waren sie ungestört. Der Raum wurdevon den Twonosern als Ersatzteillager benutzt. Der

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überall lagernde Staub bewies, daß die Rotrüssel nurselten hierherkamen.

Rakal Woolver ging unruhig auf und ab. Wenn dieFlüchtlinge nicht aufgehalten wurden, mußten siejeden Augenblick auftauchen. Rakal strichnachdenklich über sein kurzgeschnittenes Haar. Erbefürchtete, daß sie sich zu sehr auf ihr Glückverlassen hatten.

Vor dem großen Fenster blieb Rakal stehen. Erhörte seinen Bruder Tronar, der sich auf einer kleinenMaschine niedergelassen hatte, leise auflachen.

„Davon, daß du ständig aus dem Fenster blickst,wird Rhodan nicht früher kommen“, sagte ersarkastisch.

„Wenn er überhaupt noch kommt“, gab Rakal zubedenken.

Tronar erhob sich und trat neben seinen Bruder.Im gleichen Augenblick hörten sie den Lärm

mehrerer Explosionen. In der Ferne stiegenRauchwolken auf. Die beiden Brüder schauten sichan.

„Glaubst du, daß sie das sind?“ Rakals Stimmeklang unsicher.

„Nein“, erwiderte Tronar. „Das scheinen dieBlaurüssel zu sein.“

Rakal erschrak. Wenn es den Blaurüsseln gelungenwar, schon bis in diese Halle vorzudringen, dann warihre Absicht nicht zu verkennen. Auch sie wollten dieVerteilerstation besetzen.

„Wir können nicht länger warten“, sagte RakalWoolver. „Bis die Blaurüssel sich durchgekämpfthaben, müssen wir die Rotrüssel innerhalb derStation zum Aufgeben gezwungen haben.“

Tronar zeigte in eine andere Richtung. „Ich glaube,wir bekommen Verstärkung“, sagte er.

Rakal blickte in die angegebene Richtung. Er hättefast aufgejubelt, als er Icho Tolot mit hoherGeschwindigkeit auf der Straße zur Stationheranstürmen sah. Der Haluter wurde von einerHorde bewaffneter Rotrüssel verfolgt, die zum Teil inoffenen Fahrzeugen saßen und auf den Riesenschossen. „In die Kuppel“, rief Tronar. BeideMutanten sprangen gleichzeitig. Sie wußten jetztgenau, welchen Energiestrom sie benutzen mußten,um ins Innere der Station zu gelangen.

Rakal Woolver hatte das Pech, genau neben einemRotrüssel zu materialisieren, der über eine Maschinegebeugt war. Woolver zog seinen Strahler, packte ihnam Lauf und schlug dem ahnungslosen Twonoser mitvoller Wucht gegen den Hinterkopf. DasRüsselwesen brach mit einem Ächzen zusammen.Zehn Meter von Rakal entfernt wurde Tronarsichtbar. Rakal winkte seinem Bruder zu, zumZeichen, daß alles in Ordnung war.

Sie rannten gemeinsam auf die Energiegatter zu.Am anderen Ende des Ganges tauchten sieben

Rotrüssel auf. Die Twonoser begannen Warnrufeauszustoßen und fuchtelten mit kurzläufigen Waffenherum. „Sie werden es nicht wagen, auch nur eineneinzigen Schuß abzugeben“, rief Tronar seinemBruder zu. „Wenn sie eine wichtige Maschinetreffen, gefährden sie die gesamte Energieversorgunginnerhalb des Mobys.“

Die beiden Mutanten hielten sich nach Möglichkeitim Schutz von Maschinen. Auf der anderen Seite desGebäudes erklang ein explosionsartiges Geräusch.Die Imarter hörten das Splittern von Glas.

Die Rotrüssel, die die Verfolgung aufgenommenhatten, blieben unschlüssig stehen. Dann teilten siesich in zwei Gruppen auf. Während vierdavonrannten, um die Ursache des Lärms zuergründen, blieben die anderen in der Nähe derMutanten.

Rakal und Tronar glitten zwischen einigenRiesenspulen hindurch. Gleich darauf standen sie vorden Energiegattern.

Von der anderen Seite klang eine dröhnendeStimme zu ihnen herüber. Gleich darauf erfolgte derschwere Fall eines Körpers.

„Tolot!“ schrie Tronar. „Hören Sie uns?“„Ich komme!“ antwortete der Haluter. Sekunden

später tauchte seine massige Gestalt zwischen denGattern auf.

Da erschienen die Verfolger. Die Mutantenrichteten ihre Waffen auf die gewaltigenAbstrahlanlagen, von denen aus die Energieströmeüber den gesamten Moby verteilt wurden. RakalWoolver schaltete seinen Translator auf volleLautstärke.

„Wenn ihr euch nicht sofort aus dem Gebäudezurückzieht, vernichten wir alle wichtigenMaschinen“, rief er den Twonosern zu.

Die Rotrüssel blieben stehen und beratschlagten.„Wer seid ihr?“ fragte schließlich ihr Anführer.

„Gehört ihr zur B-Kaste?“„Wir sind Besatzungsmitglieder des Raumschiffes,

das in eurer Etage steht“, erklärte Rakal Woolver.„Geht hinaus und sagt euren Befehlshaber n, daß siedie Kämpfe gegen die Blaurüssel einstellen sollen.Wir waren es, die die Energieversorgung in derMitteletage zum Erliegen brachten. Wir werden nichtzögern, hier ebenso zu verfahren, wenn dieseVerteilerstation nicht geräumt wird.“

Die Rotrüssel diskutierten heftig miteinander, ehesie sich zurückzogen.

„Haltet die Stellung“, sagte Tronar Woolver zu denbeiden anderen. „Ich will versuchen, Perry Rhodanzu erreichen.“

„Beeilen Sie sich“, empfahl ihm Tolot. „DieKolonne sitzt vor dem Torbogen dieser Halle fest.Die Rotrüssel haben eine Energiekanone aufgefahrenund damit das Tor wirkungsvoll abgeriegelt.“

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„Sie werden sich wundern“, sagte Tronar, dannentmaterialisierte er. Sein Körper wurde neben einerLeuchtsäule außerhalb der Kuppel substantiell.

Mindestens hundert erregte Rotrüssel hatten dieStation umringt. Tronar konnte die Stelle sehen, ander Tolot das Gebäude „betreten“ hatte. Der Haluterhatte sich wie ein Geschoß durch die Außenmauergebohrt. Ein riesiges Loch, das ungefähr die Umrissevon Tolots Körper besaß, zeugte vom gewaltsamenEindringen des Haluters.

Bevor die Rotrüssel auf ihn aufmerksam wurden,sprang Woolver abermals. Er benutzte die Leitungen,die von Leuchtsäule zu Leuchtsäule führten. Soerreichte er bald den Torbogen. Wie Tolot berichtethatte, war dieser von Rotrüsseln besetzt. Tronarzählte mindestens sechzig Twonoser, die einegrößere Waffe aufgebaut hatten. Das mußte dieEnergiekanone sein, von der Tolot gesprochen hatte.

Woolver überlegte fieberhaft. Unmittelbar vor demTorbogen befand sich eine weitere Leuchtsäule. DerMutant zog seinen Strahler. Er fädelte sich in dieunterirdische Leitung ein und sprang. Wie erwartet,kam er direkt beim Torbogen an.

Ohne eine Sekunde zu zögern, hob Woolver dieWaffe und zielte gegen die Kanone. Die Twonoserentdeckten ihn im gleichen Augenblick, als er denersten Schuß abgab. Ein paar schrien auf, die anderengriffen zu ihren Waffen. Woolver jagte eine Serievon Schüssen in Richtung der Kanone, dann benutzteer das nächste Impulsecho und verschwand.

Die Twonoser umringten ihre nutzlos gewordeneWaffe und schrien vor Wut und Enttäuschung.Inzwischen war der Mutant bereits wieder auf deranderen Seite des Torbogens aufgetaucht. Woolverüberzeugte sich, daß er jetzt innerhalb einer kleinenHalle war. Die Handfeuerwaffen der Rotrüsselkonnten ihm auf diese Entfernung nicht gefährlichwerden. Meilen von seinem Standort entfernt sahTronar Woolver drei Gebäude. Von dort aus führteeine Straße direkt zum Torbogen.

Während Woolver seine Umgebung beobachtete,tauchten aus Bodenlöchern und hinterKristallbrocken die Haushaltsverbrecher und ihreterranischen Verbündeten auf.

„Das Tor ist frei!“ schrie Woolver. „Ihr müßt euchbeeilen.“

Er konnte das Triumphgeheul der Männer hören.Die Flüchtlinge beschleunigten ihr Tempo. MelbarKasom erreichte den Imarter als erster. Seine Augenfunkelten unternehmungslustig.

„Haben Sie diese verdammte Kanone erledigt?“erkundigte er sich.

„Natürlich“, bestätigte Tronar. „Aber es gibtimmer noch sechzig bewaffnete Rotrüssel in derNähe des Torbogens.“

Kasom knurrte verächtlich und rannte weiter.

Rhodan kam neben Woolver an. Mit knappen Wortenschilderte der Mutant, was in der Verteilerstationgeschehen war.

Atlan tauchte auf. Das Gesicht des Arkoniden wargerötet. Tronar sah Sergeant Kapitanski mit einerGruppe von Haushaltsverbrechern auf den Torbogenzustürmen. Bevor die ersten Schüsse fielen, verlorendie Rotrüssel die Nerven. Der Anblick derangreifenden Fremden mußte sie in Panik versetzthaben. Als Melbar Kasom an der Spitze derAngreifer den Torbogen erreichte, fand er nur nochdie ausgeglühte Energiekanone vor.

9.

Als Garko der Starke persönlich imGefangenenlager erschien, ahnte John Marshall, daßetwas Entscheidendes geschehen war. Er zögerte, dieGedanken des Weißrüsselanführers nach dem Grundfür dessen Ankunft zu durchforschen. Garko derStarke blieb am Eingang stehen. Storkeet kam zudem ungeduldig wartenden Marshall und sagte: „Erwill Sie sprechen, Terraner.“

Marshall erhob sich und folgte Storkeet zur Tür.Garko hob zur Begrüßung einen Rüssel. Der Telepathhielt das für ein gutes Zeichen.

„Haben Sie inzwischen irgendwelche Nachrichtenerhalten?“ fragte Garko.

Marshall verneinte überrascht. Er hatte gehofft,von dem Twonoser etwas über den Kampf in derRückenetage zu erfahren. Es sah jedoch so aus, alsbesäße auch Garko keine neuen Informationen.

„Meine Verbindungen in die oberen Etagen sindabgerissen“, erklärte der Weißrüssel. „Ich weiß nicht,was inzwischen im Gebiet der C-Kaste geschehenist.“

„Es ist ein weiter Weg“, entgegnete Marshall. Erfragte sich, ob es überhaupt richtig war, denTwonoser zu beruhigen. Er, Marshall, hatte einenZuspruch viel nötiger.

Garko griff plötzlich nach dem Türöffner und stießdie Tür zurück.

„Der Zug, mit dem ihr die Rückenetage erreichenkönnt, steht bereit“, sagte er. „Ich habe dafür gesorgt,daß genügend Waffen bereitgestellt wurden.“Marshall schaute den kleinen Twonoser fassungslosan. „Sie wollen uns freilassen?“ fragte er verblüfft.„Und das, obwohl Sie überhaupt nicht wissen, wasPerry Rhodan erreicht hat?“

„Ich hoffe, daß es richtig ist, was ich tue“, sagteGarko ruhig. „Jetzt, da wir uns gegen die Diktatur derRotrüssel aufgelehnt haben, sollten wir nicht das tun,was wir bei den oberen Kasten verurteilen würden. Inunserer Etage gibt es keine Gefangenen mehr.“

„Danke“, sagte Marshall. „Darf ich es denMännern sagen? Sie werden diese Nachricht mit

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Ungeduld erwarten.“„Gehen Sie zu ihnen“, sagte Garko. „Storkeet wird

sie alle zum Zug führen.“„Begleiten Sie uns“, schlug Marshall vor. „Fahren

Sie mit uns hinauf in die Rückenetage und beginnenSie dort mit Ihrer neuen Aufgabe.“ Garko schüttelteden Kopf. „Ich bleibe hier“, sagte er. „Mein Sohnhält sich bei den Haushaltsverbrechern auf. Wenn esRhodan gelingt, die Verteilerstation zu besetzen, wirdLarkaat den Befehl innerhalb der Rückenetageübernehmen.“

„Sie haben lange Zeit auf den Augenblickgewartet, da Sie die Verteilerstation betretenkönnen“, erinnerte Marshall den Weißrüssel. „Siewerden das Recht haben, Ihre Rüssel mit roter Farbezu bemalen und über alle Kasten zu herrschen.“

„Nein“, sagte Garko beinahe heftig. „Das will ichnicht. Ich bin hier in der Bauchetage geboren. Seitich Anführer der Weißrüssel bin, habe ich versucht,die Mitglieder meiner Kaste gerecht zu regieren. Eswird lange dauern, bis sich ein solches Systeminnerhalb des gesamten Mobys durchsetzen läßt.Vielleicht kann Larkaat es schaffen.“ Garko ließseine Rüssel sinken. „Ich bin kein geeigneterAnführer“, sagte er.

Marshall legte eine Hand auf die Schulter desTwonosers. „Warten Sie einen Augenblick“, forderteer Garko auf. „Ich will Ihnen zeigen, wie wirTerraner darüber denken.“ Er machte einen Schritt indie Halle hinein und rief den Raumfahrern zu:„Garko der Starke hat beschlossen, uns freizulassen.Der Zug, der uns in die Rückenetage bringen wird,steht schon bereit.“

Ohrenbetäubender Beifall folgte seinen Worten.Marshall lächelte dem Weißrüssel zu. „Glauben

Sie, daß ein schlechter Anführer von uns so gefeiertwürde?“

Garko ging davon ohne zu antworten. Marshallblickte ihm nach. Er war froh, daß er daraufverzichtet hatte, in den Gedanken des Twonosers zuspionieren. Garko verdiente es nicht, daß man ihnüberwachte. Als Marshall sich wieder denRaumfahrern zuwandte, ließen die Offiziere derCREST II die Mannschaften bereits antreten.

*

Sergeant Brodger Kapitanski versuchte, dieArmeen der Blau- und Rotrüssel zu überblicken, diesich vor der Verteilerstation gegenüberstanden. Erschätzte, daß sich hunderttausend Schwerbewaffneteder beiden Kasten innerhalb der Halle aufhielten.Militärisch wären die Twonoser in der Lage gewesen,die Station in wenigen Minuten zurückzuerobern.Nur die Tatsache, daß sich im Innern der Kuppelzweihundert zu allem entschlossene Männer

aufhielten, ließ die Rüsselwesen zögern. Rhodan undLarkaat hatten den Anführern der Twonoserklargemacht, daß jeder Versuch, die Terraner undHaushaltsverbrecher zu verjagen, die Vernichtungder Energiegatter in der Station zur Folge habenwürde. Die Zerstörung der Hauptempfangsstation inder Mitteletage bewies den Twonosern, daß ihreGegner keine leeren Drohungen ausgesprochenhatten.

Kapitanski bewegte sich unruhig vor dem Fensterauf und ab. Er befand sich im obersten Raum einesTurmes. Von hier aus konnte er weit über das Landblicken. Blau- und Rotrüssel hatten Waffenstillstandgeschlossen, nachdem feststand, wer den Angriff aufdie Energieversorgung durchgeführt hatte.

Es war ein gewagtes Spiel, zu dem sich Rhodanund Larkaat entschlossen hatten. Kapitanski war sichjedoch darüber im klaren, daß sie keine andereMöglichkeit besaßen, um die Twonoser unter Druckzu setzen. Inzwischen hatte sich Rakal Woolver aufden Weg zur Bauchetage gemacht, um zu berichten,daß die Verteilerstation in den Händen der Terranerwar.

Kapitanski wunderte sich, daß er vollkommenruhig hier oben stehen und auf die Truppen derGegner schauen konnte. In einer unangreifbarenFestung hätte er sich nicht sicherer fühlen können.Ausgerechnet jetzt, da die Auseinandersetzung mitden Twonosern ihren Höhepunkt erreicht hatte, wares Kapitanski gelungen, seine Furcht vor allemNichtirdischen abzulegen. Vielleicht überlegte er,hatte er sich an die fremde Umgebung gewöhnt.

Als der Sergeant aus dem Fenster blickte, sah er inder Ferne eine Staubwolke aufwirbeln, die sichschnell in Richtung der Verteilerstation ausdehnte.Kapitanski erinnerte sich, daß dort der großeTorbogen lag, durch den sie in diese Halleeingedrungen waren.

Entweder näherte sich dort eine weitere Armee derBlaurüssel, oder ... Kapitanski verließ seinenBeobachtungsplatz und rannte zum Lift. Er betrat denTragkorb und ließ sich in die Tiefe gleiten. ImErdgeschoß hielt er an. Draußen stand einer derterranischen Raumfahrer.

„Übernehmen Sie meinen Posten!“ befahlKapitanski. „Ich muß sofort zu Rhodan.“

Der Mann verschwand im Lift und fuhr nach oben,während der Sergeant durch den Verbindungsgangder eigentlichen Station entgegenrannte. WenigeAugenblicke später stand er vor Rhodan.

„Vom Torbogen aus nähert sich eine größereKolonne der Station, Sir“, berichtete er hastig.„Wenn es keine Blaurüssel sind, kann es sich nur umGarkos Soldaten handeln.“

Rhodan preßte die Lippen aufeinander. Larkaatwedelte aufgeregt mit beiden Rüsseln. „Wenn es

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Weißrüssel sind, besteht die Gefahr, daß dieKampfhandlungen wieder aufleben.“

„Das müssen wir verhindern“, sagte Rhodan.„Wenn es wieder zu Kämpfen kommt, sind auch wirgefährdet. Larkaat, Sie müssen mit den SoldatenIhres Vaters sprechen.“

„Ich kann sie nicht schnell genug erreichen“, gabLarkaat resignierend zurück.

„Doch“, Rhodan deutete auf Icho Tolot. „DerHaluter wird Sie tragen.“

Icho Tolot lachte dröhnend. Der Twonoserbetrachtete ihn mißtrauisch.

„Er hat Angst“, stellte Tolot trocken fest.Larkaat winkte trotzig mit einem Rüssel. „Wir

können gehen“, sagte er fest. Er kletterte auf denRücken des Haluters. Tolot setzte sich in Bewegung..

„Es muß uns gelingen, die Anführer der beidenoberen Kasten hierherzubringen“, sagte Rhodan. „Siemüssen uns freies Geleit bis zur CREST zusichern.“

Noch während er sprach, materialisierte RakalWoolver hinter den Energiegattern und kam rasch zuden Männern herüber.

„Die Besatzung der CREST ist bereits zur oberenEtage unterwegs, Sir“, berichtete der Wellensprinter.„Garko hat sie vorzeitig freigelassen. Ich traf denZug unterwegs. Er wird in ungefähr zehn Stunden inder Rückenetage eintreffen, wenn man ihn nichtaufhält. Doch das ist noch nicht alles. Soebenmarschieren Garkos Soldaten durch den Torbogen indiese Halle ein.“ „Das wissen wir bereits, Major“,sagte Rhodan. Er wandte sich an Tronar Woolver.„Springen Sie zur CREST und sorgen Sie dafür, daßwir einen möglichst reibungslosen Start wagenkönnen, sobald wir dort ankommen.“

Tronar entmaterialisierte. Atlan stand von demMaschinensockel auf, den er die ganze Zeit alsSitzplatz benutzt hatte.

„Warum willst du nicht auf den Zug mit derBesatzung warten. Perry?“ fragte der Arkonide.

„Ich habe das sichere Gefühl, daß die Twonoseruns noch Schwierigkeiten machen werden“, sagteRhodan. „Wenn wir in der CREST sind, können wirden Flüchtlingen besser helfen als von derVerteilerstation aus.“

Rhodan rief Sergeant Kapitanski zu sich.„Würden Sie es wagen, zu den Twonosern

hinauszugehen, Sergeant?“„Natürlich, Sir!“ rief Kapitanski. „Richten Sie

ihnen aus, daß ich mit den Anführern beider Kastensprechen will“, sagte Rhodan. „Vielleicht können Siedie beiden Rüsselträger gleich mitbringen.“

„Ich will es versuchen, Sir“, sagte Kapitanski.Mit gemischten Gefühlen machte sich der Sergeant

auf den Weg. Jetzt wünschte er sich in den Turmzurück. Er befürchtete, daß ihn die Twonoser alsGeisel festhalten könnten. Er verließ die Kuppel

durch die Öffnung, die Tolot gewaltsam geschaffenhatte. Fünfhundert Meter von Kapitanski entferntlagerten die ersten Twonoser. Einen Augenblickstand der Sergeant zögernd vor der Kuppel. Er kamsich hilflos und verlassen vor. Dann gab er sich einenRuck und setzte sich wieder in Bewegung. Mit jedemSchritt wurde er unsicherer. Als er die Hälfte desWeges zurückgelegt hatte, sah er, daß die Twonoservor ihm zu den Rotrüsseln gehörten.

Er erwartete, daß ihm jemand entgegenkommenwürde, doch die Twonoser blieben ruhig an ihrenPlätzen. Schließlich stand Kapitanski wenige Metervor den ersten Soldaten. Seine Kehle war wieausgetrocknet, und er befürchtete, er könnte keinWort über die Lippen bringen. UnzähligeFacettenaugen fixierten ihn drohend. Aus denhinteren Reihen kam dumpfes Gemurmel. Kapitanskimußte sich zwingen, nicht die Flucht zu ergreifen.Wenn er jetzt davonrannte, würden die Twonoser amMut der Terraner zweifeln.

„Wo ist euer Anführer?“ fragte Kapitanski. Seineeigene Stimme erschien ihm seltsam laut undunsicher. Er hoffte, daß das bei der Übersetzungdurch den Translator nicht auffiel.

„Was wollen Sie von ihm?“ erkundigte sich einunmittelbar vor Kapitanski sitzender Twonoser.

„Das werde ich ihm persönlich sagen“, antworteteder Sergeant.

Der Rotrüssel stand auf und winkte mit einemRüssel. „Folgen Sie mir!“ forderte er den Sergeantenauf. Kapitanski blieb nichts anderes übrig, als sichdem Soldaten anzuschließen. Der Twonoser führteihn mitten in das Lager der Rotrüsselarmee. Vonallen Seiten wurden Kapitanski Schmähungenzugerufen. Er bemühte sich aufrecht zu gehen. Füreine Umkehr war es jetzt zu spät. Wenn ihn dieTwonoser festhalten würden, war jede Gegenwehrsinnlos.

Vor einem zeltähnlichen Gebäude bliebKapitanskis Führer stehen.

„Da hinein!“ zischte er unfreundlich. KapitanskisNerven waren angespannt, als er in das Zelt trat. ImInnern brannten einige Fackeln, die gerade sovielLicht verbreiteten, daß der Sergeant drei Rotrüssel imHintergrund sitzen sehen konnte. Der Soldat, derKapitanski hergebracht hatte, sagte: „EinUnterhändler der Fremden, Saidiik.“

„Laß uns allein“, sagte eine grollende Stimme. DerSoldat ging hinaus. Kapitanski hielt es für besser,sofort die Initiative zu ergreifen.

„Perry Rhodan will Sie sprechen, Saidiik“, sagteer. „Sie sollen zusammen mit dem Befehlshaber derBlaurüssel in die Verteilerstation kommen.“

Im Licht der Fackeln sahen die Twonoser seltsamverzerrt aus. Der Geruch der brennenden Staudenmachte Kapitanski benommen.

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„Nein!“ rief Saidiik. „Rhodan soll zu mirkommen.“

Kapitanski befürchtete, daß die Twonoser dasheftige Schlagen seines Herzens hören konnten. Ermußte sich Mühe geben, einen gelassenen Eindruckzu machen.

„Wenn Sie nicht kommen, sind Sie für alleKonsequenzen verantwortlich“, sagte er drohend.„Wir haben nichts zu verlieren.“

„Eine Armee der Weißrüssel ist in dieser Halleaufgetaucht“, sagte Saidiik. „WelcheZusammenhänge stehen zwischen denMinderwertigen und euch?“

„Sie sind mit uns verbündet“, behaupteteKapitanski.

Er hörte, wie sich Saidiik leise mit den beidenanderen beriet.

„Ich komme mit“, erklärte der Befehlshaber derRotrüssel schließlich.

Der Sergeant atmete erleichtert auf. Wenn es ihmjetzt gelang, den Anführer der Blaurüssel zu einemGespräch mit Rhodan zu bewegen, bestand dieAussicht, daß sie bald zur CREST II zurückkonnten.Der Gedanke an das Schiff ließ den Sergeanten alleMüdigkeit vergessen. Zusammen mit Saidiik verließer das Zelt.

Die Soldaten wichen respektvoll zur Seite, als ihrBefehlshaber erschien. Kapitanski beglückwünschtesich im stillen. Er hatte den schwierigsten Teil seinesAuftrages ausgeführt.

*

Die beiden führenden Twonoser erwiesen sich alsunbequeme Verhandlungspartner. Sie behandeltensich gegenseitig voller Herablassung. Saidiik lehntees zunächst ab, Vorbaag, dem Anführer derBlaurüssel irgendein Entscheidungsrechtzuzuerkennen. Schließlich unterbrach Rhodan dieStreitgespräche der beiden Rüsselwesen.

„Sie vergessen offenbar völlig, daß es mit derRolle, die Ihre Kasten bisher gespielt haben, fürimmer vorbei ist“, sagte Rhodan. „Wir werden dafürsorgen, daß die Weißrüssel zusammen mit denHaushaltsverbrechern Ihre Stelle einnehmen.“

Saidiik und Vorbaag begannen zu toben. Sieverlangten, sofort zu ihren Truppen zurückkehren zudürfen, um gemeinsam die Armee der Weißrüssel zuüberfallen.

„Schweigen Sie!“ fuhr Rhodan dazwischen.„Sobald Sie nur einen Schuß gegen die Weißrüsselabfeuern, fliegt diese Station in die Luft.“

Wieder begannen die beiden Befehlshaber heftigzu protestieren. Sie verstummten erst, als derinzwischen zurückgekehrte Tolot sie packte undhochhob.

„Ihr habt nur zu reden, wenn ihr dazu aufgefordertwerdet“, grollte der Haluter. „Ist das klar?“

Saidiik und Vorbaag schnappten nach Luft. Tolotstellte sie mit einem Ruck wieder auf den Boden.Rhodan konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

„So“, sagte er mit Nachdruck, „jetzt können wiruns wieder unterhalten.“

„Was wollen Sie überhaupt?“ erkundigte sichSaidiik.

„Wir verlangen freien Abzug für uns und unserSchiff“, eröffnete Rhodan den beiden Twonosern. Eswar offensichtlich, daß die Rüsselwesen RhodansAnkündigung mit Erleichterung aufnahmen. Rhodanglaubte, förmlich zu sehen, wie es hinter den StirnenSaidiiks und Vorbaags arbeitete. Die Twonoserüberlegten wahrscheinlich bereits, wie sie die Stationfür ihre Kaste zurückerobern konnten.

„Niemand wird euch aufhalten“, versicherteSaidiik.

Rhodan wußte, daß der Rotrüssel log.„Wir werden mit unserem Raumschiff den Moby

verlassen“, sagte er.„Gut“, stimmte Saidiik rasch zu. „Ich bin

einverstanden.“Vorbaag gab sein Einverständnis, indem er kurz

mit den Rüsseln wedelte.„Larkaat wird Sie beide solange hier zurückhalten,

bis wir unser Schiff erreicht haben“, sagte Rhodan.„Sozusagen als doppelte Sicherheit.“

Saidiik wollte protestieren, verstummte jedochsofort, als Tolot einen Schritt auf ihn zu machte.

„Inzwischen“, fuhr Rhodan fort, „werden dieWeißrüssel diese Verteilerstation und alle vieratomaren Kraftstationen besetzen. Garko der Starkeund sein Sohn Larkaat werden zukünftig über dieTwonoser regieren. Alle weiteren Befehle erhaltet ihrvon ihnen.“

Das war für die beiden Befehlshaber zuviel. Sieverloren ihre Beherrschung und wollten sich aufRhodan stürzen. Blitzschnell trat Tolot dazwischenund hob sie abermals in die Höhe.

„Ich habe viel gelernt“, sagte Larkaat, als erRhodan einen Rüssel reichte.

„Noch sind Sie nicht außerhalb des Mobys!“ schrieSaidiik dazwischen.

Rhodan hielt Tolot fest, der sich auf den Rotrüsselstürzen wollte.

„Ihre Zeit ist abgelaufen“, sagte Rhodan ruhig.„Was immer Sie noch tun wollen, es kann denUmschwung innerhalb des Mobys nicht verhindern.“

Saidiik hielt es für klüger zu schweigen. Verbittertschaute er den fünfzig Fremden nach, die zwischenden Energiegattern verschwanden. „Sie sind weg“,sagte Vorbaag leise. „Ja“, sagte Saidiik mit einemBlick auf Larkaat, „aber ihre Saat ist aufgegangen.“

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10.

Scheinbar unberührt stand das Flaggschiff desSolaren Imperiums, die CREST II, innerhalb derriesigen Halle, wo man es zur Landung gezwungenhatte. Rhodan wußte, daß dieses Bild täuschte. DieWissenschaftler der C-Kaste hatten fieberhafteAnstrengungen unternommen, die Arbeitsweise derverschiedenen Maschinen zu ergründen. Vereinzelthatten sie sogar mit der Demontage von Aggregatenbegonnen. Der Angriff der Blaurüssel auf dieRückenetage hatte die Rotrüssel schließlichgezwungen, ihre Arbeit innerhalb der CREST IIeinzustellen.

Die fünfzig Männer stiegen den Landesteg bis zurSchleuse hinauf. In der Schleusenkammer erwartetesie Tronar Woolver.

„Es hält sich kein einziger Twonoser an Bord auf“,verkündete der Mutant. „In der Zentrale und an denTriebwerken konnte ich keine Beschädigungenfeststellen. Die von den Rotrüsseln demontiertenTeile werden leicht zu ersetzen sein.“

Rhodan empfing diese Nachrichten mitErleichterung. Seine Befürchtungen, die CREST IIkönnte flugunfähig sein, erwiesen sich alsunbegründet.

Tronar Woolver hatte bereits die Kraftstationeneingeschaltet, so, daß die Raumfahrer durch dieAntigravschächte zur Zentrale gelangten. Rhodanhielt eine kurze Lagebesprechung.

„Noch sind wir nicht in Sicherheit“, sagte er. „Wirmüssen vor allem die Besatzung zur CRESTzurückholen. Zu diesem Zweck werden wir eineKaulquappe ausschleusen, die den Flüchtlingenentgegenfliegen und sie an Bord nehmen wird.“

„Das wird aber ziemlich enge Verhältnisse geben,Sir“, warf Melbar Kasom ein.

„Allerdings“, stimmte Rhodan zu. „Die Männerwerden jedoch eine kurze Zeit des Platzmangelslebenslänglicher Gefangenschaft vorziehen.“

; Rhodan wählte fünf Männer aus, die dieKaulquappe fliegen sollten und schickte sie in denHangar. Dann wandte er sich an die beidenWellensprinter.

„Ich weiß, daß Sie beide ziemlich erschöpft sind“,sagte er. „Trotzdem müssen Sie noch einen Einsatzwagen.“

Die Imarter lächelten. „Seit wir wieder an Bord derCREST sind, fühlen wir uns wie neugeboren, Sir“,sagte Rakal.

„Wir wissen inzwischen, daß der Laderstrahl, mitdem man die CREST bezwungen hat, nicht von derVerteilerstation aus kontrolliert wird.“ Rhodanmachte eine kurze Pause und fuhr dann fort. „Es istmöglich, daß die Anlage, von der der Strahl gesteuert

wird, noch im Besitz der Rot- oder Blaurüssel ist.Man könnte uns also daran hindern, den Moby zuverlassen.“

„Wir sollen diese Anlage zerstören, Sir?“ fragteRakal Woolver.

„Ja“, entschied Rhodan nachdrücklich. „Seien Siejedoch so gründlich, daß kein anderes Raumschiffmehr in Gefahr geraten kann. Entnehmen Sie denLagern der CREST soviel Bomben, wie Sie für dieAusführung dieses Auftrages benötigen.“

Die Wellensprinter entmaterialisierten. Rhodan sahauf dem Kontrollbildschirm, daß sich dieHangarschleuse geöffnet hatte. Sekunden späterschoß eine Kaulquappe aus der CREST hinaus.

Rhodan schaltete das Sprechfunkgerät ein, um mitden Männern im Beiboot Verbindung aufzunehmen.

„Wir nähern uns dem großen Torbogen, der in dienächste Halle führt“, klang Sergeant KapitanskisStimme auf, der das Kommando an Bord derKaulquappe übernommen hatte.

„Glauben Sie, daß Sie durchkommen, Sergeant?“fragte Rhodan. „Sicher, Sir“, kam die Antwort.

„Wir haben zu beiden Seiten bestimmt einigeMeter Platz.“ Er sagte noch etwas, doch seineStimme war nur noch schwach zu hören. Das sechzigMeter durchmessende Schiff war bereits in dieangrenzende Halle eingeflogen.

Rhodan ließ sich in den Kommandosessel sinken.Trotz des Zellaktivators.. der seinen Körperpausenlos regenerierte, fühlte er eine gewisseMüdigkeit. Seit Tagen hatte er unter ständigerAnspannung gestanden.

Es dauerte etwa sieben Minuten, bis dieOrtungsgeräte der CREST II mehrere Explosionenregistrierten.

„Die Woolvers sind an der Arbeit“, bemerkteAtlan.

Wie um seine Worte zu bestätigen, materialisierteRakal Woolver in der Zentrale. Sekunden späterfolgte Tronar.

„Befehle ausgeführt, Sir“, sagte Tronar militärischknapp. „Die Anlage existiert nicht mehr.“

Rhodan ließ die starken Triebwerke der CRESTanlaufen. Das mächtige Schiff sollte startbereit sein,wenn die Kaulquappe wieder in den Hangarzurückkehrte.

Es verstrichen jedoch fast drei Stunden, eheKapitanskis Stimme wieder im Lautsprecher derFunkanlage aufklang.

„Alles in Ordnung, Sergeant?“ erkundigte sichRhodan.

„Vollkommen, Sir!“ Man konnte den Stolz ausKapitanskis Stimme heraushören. „Die Männerliegen wie die Heringe in den Gängen, Sir.“

„Hatten Sie Verluste?“„Keine, Sir! Die Twonoser hinderten uns nicht

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Page 41: Im Camp der Gesetzlosen

daran, die Besatzung aufzunehmen, als sie den Zugverließ und in die Halle kam, wo die Verteilerstationsteht.“„Sehr gut, Sergeant. Kehren Sie jetzt in den Hangarzurück.“Minuten später befand sich die gesamte Besatzungwieder an Bord des Flaggschiffes. Rhodan konnteden Männern jedoch noch keine Ruhe gönnen. „AlleMann auf Gefechtsstation!“ hallte die Stimme desGroßadministrators aus den Lautsprechern desInterkoms. „Feuerleitzentrale besetzen.“Oberst Cart Rudo kam herein. Der Epsaler übernahmdie Kontrollen des Schiffes.„Wie kommen wir hier heraus, Sir?“ war seine ersteFrage.„Wir schießen uns einen Weg ins Weltall“,antwortete Rhodan.Die Polgeschütze der CREST II wurden feuerbereitgemacht. Gleich darauf hob sich der stählerne Gigantvom Boden der Halle ab.„Achtung! Feuerleitzentrale!“ Rhodan wandte seinenBlick nicht von den einzelnenBeobachtungsschirmen. „Auf meinen Befehl hin wirddie Decke der Halle mit den Polgeschützen unterBeschuß genommen.“„Das wird die Twonoser in Schwierigkeiten bringen,Perry“, rief Atlan von seinem Platz herüber.„Darüber bin ich mir im klaren“, entgegnete Rhodan.„Das wird sie jedoch davon abhalten, übereinanderherzufallen. Vielleicht hilft ihnen die Bedrohungihrer Existenz, sich schneller zu einigen.“Atlan lächelte grimmig. „Terranische Psychologie“,sagte er. „Immer nach dem Motto: Mach aus jeder

Sache etwas Gutes.“Rhodan antwortete nicht. Die CREST schwebte jetzthundert Meter über dem Boden. „Feuer!“ riefRhodan. Die Abwehrschirme des Schiffes flackerten,als die Polgeschütze einen Feuerstoß gegen dieHallendecke schickten. Tonnen glasierten Gesteinstropften herunter. Die Decke zerfloß förmlich in dentosenden Energiefluten. „Feuer!“ rief Rhodanabermals. Die äußere Hülle der Rückenetage spaltetesich in einer Länge von fast zehn Meilen auf. DerLärm außerhalb des Schiffes mußte unvorstellbarsein. Er hielt jedoch nur solange an, bis derSauerstoff aus der Halle entwichen war. Die CRESTraste in den Feuersturm hinein, den sie entfacht hatte.Oberst Cart Rudo vollbrachte eine fliegerischeGlanzleistung, als er das fünfzehnhundert Meterdurchmessende Schiff durch die gewaltsamgeschaffene Öffnung in den Weltraum steuerte.„Geschafft!“ rief Rhodan erleichtert, als er wenigeAugenblicke danach den Moby auf den Bildschirmenauftauchen sah. Das Flaggschiff der Solaren Flotteentfernte sich mit zunehmender Geschwindigkeit vondem Riesen, der die Heimat eines seltsamenWächtervolkes war.Die automatischen Kalender an Bord der CREST IIzeigten den 16. August 2402, Standardzeit.Es war der Tag, an dem Sergeant Brodger Kapitanskiendlich wieder einmal mehrere Stundenhintereinander schlafen konnte - in einem richtigenBett.

E N D E

Sie haben sich durchgeschlagen und wieder das Weltall erreicht! Während die Männer der CREST im Mobyum ihre Freiheit kämpften, traf an den Grenzen des Andro-Beta-Nebels das Nachschubgeschwader ein. Es sindsechs riesige Transporter unter dem Geleitschutz des Schweren Kreuzers BAGALO.Als die BAGALO auf Erkundungsflug geht, kommt es zu einer entscheidenden Begegnung!

DIE DREI STERNENBRÜDER

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