4
Das „Reduit national“ sorgt seit Jahrzehnten für Diskussionen über seine Rolle im Zweiten Weltkrieg und den Einfluss auf das Nationalverständnis der Schweiz. Das Vokabular reicht vom Bild der wehrhaften Alpenrepublik als eingerolltem, Sta- cheln zeigenden Igel – ein Bild der Schweizerischen Landes- ausstellung 1964 – bis hin zu sarkastischen Äußerungen Max Frischs, der auch von der „Bewachung von Murmeltieren“ durch die Schweizer Armee sprach. Doch wie kam es über- haupt zu diesen Abwehranlagen tief in den Alpen? Nach der Kapitulation Frankreichs im Juni 1940 sah sich die Schweiz plötzlich von den sogenannten Achsenmächten umgeben, eine für die Strategie der Verteidigung völlig neue Situation. Die Eidgenossen fürchteten einen weiteren „Blitz- krieg“ der deutschen Wehrmacht. In dieser Lage erteilte Gene- ral Guisan den „Reduit-Befehl“ und wurde damit zum Symbol des nationalen Widerstands. Die Strategie sah vor, im Falle ei- nes Angriffs die Verteidigung der Schweiz auf das Gebiet der Hochalpen mit den wichtigen Passübergängen, vor allem das Gotthardmassiv, zu konzentrieren und alle Zufahrten zu den Bergen notfalls zu zerstören. Zwischen 1941 und 1945 entstand daraufhin ein gewaltiges unterirdisches Festungssystem. Es ist ein Bauwerk der Superlative: Die größten Anlagen konnten bis zu 600 Mann aufnehmen und sind durch ein Stollensys- tem miteinander verbunden. In nur vier Jahren wurden rund 657 Millionen Franken verbaut – nach heutiger Kaufkraft ent- spricht dies gut 8 Milliarden Schweizer Franken. Neben jenen Bauwerken, in denen Waffen in Stellung gebracht wurden, sind auch Anlagen für die Lagerung von Lebensmitteln, Er- satzteilen für die Armee und Treibstoff, Reparaturwerkstätten, Produktionsanlagen für Medikamente und Druckereien für Zeitungen eingerichtet worden. Schon während der Bauzeit war der Sinn der Alpenfestung umstritten, doch erst mit dem Ende des Kalten Krieges wurden die Festungswerke nach und nach ausgemustert. Einige sind in Privatbesitz übergegangen, in einigen sind Museen entstanden. Eine der größten und bedeutendsten Artillerie-Stellun- gen auf der Gotthard-Passhöhe, der Sasso da Pigna, wurde 1998 außer Dienst gestellt. Die Festung mit Geschützständen und Munitionsmagazinen am Nordhang des Monte Prosa, auf der Höhe der Alpi di Sella, diente dem Schutz der Gotthardpass- Straße. Der Stollenkomplex besteht aus zwei deutlich getrenn- ten Teilen. Hinter dem Haupteingang auf der Passhöhe befan- Im Sasso San Gottardo Die Alpenfestung im St. Gotthard-Massiv wird von der Schweiz nicht mehr zur Verteidigung ihrer Souveränität und Neutralität benötigt. Barbara Holzer und Tristan Kobler haben im unteren Teil eine Ausstellung inszeniert, die sich hier, am Kreuzungspunkt europäischer Kulturen, drängenden Fragen der Gegenwart widmet. Text Christiane Gabler Fotos Jan Bitter Höhlen inszenieren | Die Umstände, die Menschen einst dazu führten, tiefe Höhlenanlagen ins St. Gotthard- Massiv und in die Gravina-Schlucht zu treiben, sind passé, neue Nutzungen konnten einziehen. Wie reagierten die Architekten auf die rohen Räume? Themenwelt Sasso San Gottardo Historische Festung Sasso da Pigna Auf rund 2100 Meter Höhe liegt der Zugang in die Gott- hard-Festung Übersichtsplan im Maßstab 1:10.000 Bauwelt 46 | 2012 17 Bauwelt 46 | 2012 Thema Höhlen inszenieren 16

Im Sasso San Gottardo - Bauwelt · 2018-10-18 · stellung im Sasso da Pigna, aber erst im Frühjahr 2011 kam Dynamik in das Projekt, als die Swisscom als wichtiger Spon sor gewonnen

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Im Sasso San Gottardo - Bauwelt · 2018-10-18 · stellung im Sasso da Pigna, aber erst im Frühjahr 2011 kam Dynamik in das Projekt, als die Swisscom als wichtiger Spon sor gewonnen

Das „Reduit national“ sorgt seit Jahrzehnten für Diskussionen über seine Rolle im Zweiten Weltkrieg und den Einfluss auf das Nationalverständnis der Schweiz. Das Vokabular reicht vom Bild der wehrhaften Alpenrepublik als eingerolltem, Sta­cheln zeigenden Igel – ein Bild der Schweizerischen Landes­ausstellung 1964 – bis hin zu sarkastischen Äußerungen Max Frischs, der auch von der „Bewachung von Murmeltieren“ durch die Schweizer Armee sprach. Doch wie kam es über­haupt zu diesen Abwehranlagen tief in den Alpen?

Nach der Kapitulation Frankreichs im Juni 1940 sah sich die Schweiz plötzlich von den sogenannten Achsenmächten umgeben, eine für die Strategie der Verteidigung völlig neue Situation. Die Eidgenossen fürchteten einen weiteren „Blitz­krieg“ der deutschen Wehrmacht. In dieser Lage erteilte Gene­ral Guisan den „Reduit­Befehl“ und wurde damit zum Symbol des nationalen Widerstands. Die Strategie sah vor, im Falle ei­nes Angriffs die Verteidigung der Schweiz auf das Gebiet der Hochalpen mit den wichtigen Passübergängen, vor allem das Gotthardmassiv, zu konzentrieren und alle Zufahrten zu den Bergen notfalls zu zerstören. Zwischen 1941 und 1945 entstand daraufhin ein gewaltiges unterirdisches Festungssystem. Es

ist ein Bauwerk der Superlative: Die größten Anlagen konnten bis zu 600 Mann aufnehmen und sind durch ein Stollensys­tem miteinander verbunden. In nur vier Jahren wurden rund 657 Millionen Franken verbaut – nach heutiger Kaufkraft ent­spricht dies gut 8 Milliarden Schweizer Franken. Neben jenen Bauwerken, in denen Waffen in Stellung gebracht wurden, sind auch Anlagen für die Lagerung von Lebensmitteln, Er­satzteilen für die Armee und Treibstoff, Reparaturwerkstätten, Produktionsanlagen für Medikamente und Druckereien für Zeitungen eingerichtet worden. Schon während der Bauzeit war der Sinn der Alpenfestung umstritten, doch erst mit dem Ende des Kalten Krieges wurden die Festungswerke nach und nach ausgemustert. Einige sind in Privatbesitz übergegangen, in einigen sind Museen entstanden.

Eine der größten und bedeutendsten Artillerie­Stellun­gen auf der Gotthard­Passhöhe, der Sasso da Pigna, wurde 1998 außer Dienst gestellt. Die Festung mit Geschützständen und Munitionsmagazinen am Nordhang des Monte Prosa, auf der Höhe der Alpi di Sella, diente dem Schutz der Gotthardpass­Straße. Der Stollenkomplex besteht aus zwei deutlich getrenn­ten Teilen. Hinter dem Haupteingang auf der Passhöhe befan­

Im Sasso San GottardoDie Alpenfestung im St. Gotthard-Massiv wird von der Schweiz nicht mehr zur Verteidigung ihrer Souveränität und Neutralität benötigt. Barbara Holzer und Tristan Kobler haben im unteren Teil eine Ausstellung inszeniert, die sich hier, am Kreuzungspunkt europäischer Kulturen, drängenden Fragen der Gegenwart widmet.

Text Christiane Gabler Fotos Jan Bitter

Höhlen inszenieren | Die Umstände, die Menschen einst dazu führten, tiefe Höhlenanlagen ins St.Gotthard-Massiv und in die Gravina-Schlucht zu treiben, sind passé, neue Nutzungen konnten einziehen. Wie reagierten die Architekten auf die rohen Räume?

ThemenweltSasso San Gottardo

Historische Festung Sasso da Pigna

Auf rund 2100 Meter Höhe liegt der Zugang in die Gott-hard-Festung

Übersichtsplan im Maßstab 1:10.000

Bauwelt 46 | 2012 17Bauwelt 46 | 2012Thema Höhlen inszenieren16

Page 2: Im Sasso San Gottardo - Bauwelt · 2018-10-18 · stellung im Sasso da Pigna, aber erst im Frühjahr 2011 kam Dynamik in das Projekt, als die Swisscom als wichtiger Spon sor gewonnen

Hinter dem gewöhnungsbedürftigen Namen steckt die Idee, hier, tief im Gotthardmas- siv, drängende aktuelle Themen zu behandeln

Höchstens achtzehn Grad Cel-sius beträgt die Temperatur in der Ausstellung, für deren Besuch zwei bis vier Stun - den eingeplant werden sollten

„Zehn Gebote“ | Betonschale im Fels: Der Raum, in dem ein Modell des gesamten Stol-lensystems von der Decke hängt, zeigt dem Besucher deutlich, dass er sich hier in einer vom Menschen ge-schaffenen Höhle befindet

den sich Küche, Krankenzimmer, Unterkünfte und Werkstät­ ten. Im oberen Teil wurden Räume für die Unterkunft der Ge­schützmannschaft, die Munitionsmagazine und natürlich für die Geschütze selbst in den Berg gesprengt. Zwischen beiden Ebenen liegen über 90 Meter Höhenunterschied, und sie sind 1,5 Kilometer voneinander entfernt. Die historisch wertvolls­ten Bereiche stehen unter Denkmalschutz und sind in diesem Jahr der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden – doch nicht als ein Festungsmuseum unter vielen, sondern eingebet­tet in die „Themenwelt Sasso San Gottardo“, die das Zürcher Architekturbüro Holzer Kobler in den unteren Teil der Fes­tungskavernen implantiert hat.

Der etwas gewöhnungsbedürftige Name weckt Assoziati­onen von Themenparks im Stile von Jurassic Park oder Dis­neyland, doch hinter ihm steckt die Idee, hier, tief im Gott­hardmassiv, drängende aktuelle Themen zu behandeln: unse­ ren Umgang mit natürlichen Ressourcen, die Veränderungen von Klima und Landschaft, Zukunftsvisionen und Gefahren unserer Zeit. Das macht Sinn – gerade hier am Gotthard be­kommen diese Fragen Brisanz, denn an diesem „Dach Euro­pas“ verknüpfen sich regionale und globale, vergangene und bevorstehende Veränderungen. Der Berg ist eine Wasserscheide – hier entspringen große europäische Flüsse, Reuss und Rhein, Rhône und Ticino –, und er ist Wettergrenze zwischen Nord­ und Südeuropa. Angesichts dieser Urgewalt aufgetürmten Ge­steins wird die Frage nach technischem Fortschritt und unbe­grenzter Mobilitität von jeder Generation erneut gestellt und der Besucher begegnet hier gleichzeitig den Grenzen dieser Träume.

Bereits vor sieben Jahren entstand die Idee zu einer Aus­stellung im Sasso da Pigna, aber erst im Frühjahr 2011 kam Dynamik in das Projekt, als die Swisscom als wichtiger Spon­

sor gewonnen werden konnte. Das Budget für die Ausstel ­ lung betrug rund zwei Millionen Franken – eine bescheidene Summe angesichts der extremen Bedingungen für die Bauar­beiten und der hohen Kosten für Brandschutz und Gebäude­technik. Aufgrund der Geheimhaltung gab es keine verläss­lichen Pläne zu den Räumlichkeiten. Ein Helikopter lieferte Material und transportierte an manchen Tagen auch die Ar­beiter. Im Stollen konnten sich nur spezielle Fahrzeuge bewe­gen, der Beton wurde vor Ort hergestellt. Die Passtraße ist nur von April bis September befahrbar, was den Zeitplan für die Bauarbeiten zusätzlich stark einschränkte.

Die Architekten setzten sich nach ihrer Arbeit für die Ausstellung im Dresdner Militärhistorischem Museum (Heft 43.11) erneut mit einem eher abschreckend konnotierten Ort auseinander. Und wie in Dresden haben sie auch hier einen er­zählerischen Ansatz verfolgt – mit dem es gelungen ist, die klaustrophobische Atmosphäre der Festung in ein dichtes Aus­stellungserlebnis umzuwandeln. Jedem der Räume im unte­ren Teil der Festung ist ein eigenes Thema gewidmet: Energie, Sicherheit, Klima und Wasser, Mobilität und Lebensraum. An­gesprochen wird ein breites Publikum. Der Zugang erfolgt über den langen, nur spärlich beleuchteten Stollengang. Man hat Zeit, sich an Dunkelheit, Nässe und niedrige Temperatu­ren, höchstens 18 Grad Celsius, zu gewöhnen. Der erste Aus­stellungsraum, zum Thema Energie, ist die ehemalige Versor­

Bauwelt 46 | 201218 Bauwelt 46 | 2012 19Thema Höhlen inszenieren

Page 3: Im Sasso San Gottardo - Bauwelt · 2018-10-18 · stellung im Sasso da Pigna, aber erst im Frühjahr 2011 kam Dynamik in das Projekt, als die Swisscom als wichtiger Spon sor gewonnen

ThemenweltSasso San Gottardo

Shop

Energie

Mobilität und Lebensraum

Wetter und Klima

Sicherheit

Auditorium

VIP/Kristalle

WasserWechselausstellung Zehn GeboteModell

ArchitektenHolzer Kobler Architekturen, Zürich

ProjektleiterinSimone Haar

MitarbeiterFabiana Dondiego, Grischa Fischer, Jaroslav Toussaint, Rüdiger Schlömer, Sarah Berndt, Natalie Stocker, Ivonne Schäfer, Stefanie Löser

KuratoriumLisa Humbert-Droz

BauherrFondazione Sasso San Got-tardo

Energie | In der ehemaligen Versorgungszentrale blie- ben die technischen Apparate erhalten

Grundriss Themenwelt im Maßstab 1:1000

Sicherheit | Festungsarchitek-turen sind gegen Attacken in der digitalen Welt nutzlos – anschaulicher als mit dem St. Gotthard-Reduit lassen sich Folgen technischen Wandels kaum demonstrieren

Mobilität | Bewegte Bilder machen das Thema unmit-telbar anschaulich. Die Filme Blicken auf Träume und Vi sionen der Fortbewegung zurück.

gungszentrale der Festung. Er ist fast unverändert geblieben, Maschinen und Elektroverteilern sind einige wenige Objekte zur Seite gestellt, die das Potenzial der erneuerbaren Energien und die Möglichkeiten, Energie zu speichern, einprägsam ver­anschaulichen.

Im nächsten Raum findet sich ein in Metall gegossenes Modell der Festung, das an der gewölbten Betondecke hängt; an den Wänden lehnen große Tafeln aus Cortenstahl. Eine jede stellt dem Besucher eine Frage: nach seinem Umgang mit den natürlichen Ressourcen, seinem Verhältnis zur Umwelt, seinem Lebensstil. Fast pathetisch inszeniert, mahnen die mo­dernen „Zehn Gebote“ zum Nachdenken.

Der Raum zur Mobilität ist zurückgebaut bis auf den nackten Fels. Auf den Stirnseiten laufen Filmcollagen mit Zu­kunftsvisionen zur Mobilität aus dem 20. Jahrhundert.

Im darauf folgenden Raum geht es um Trojaner, Spam und Phishing – die leicht unterschätzten Bedrohungen unserer Zeit werden in einer Umgebung thematisiert, die selbst einmal der Bedrohung und Verteidigung diente. Gelbe Rettungsinseln ste­hen im Raum, überzogen von einem Netz aus Lichtschranken.

Visuell sehr beeindruckend widmet sich ein Raum dem Thema Wasser und Klima. Er ist geflutet. Über kleine Inseln bewegt man sich im Halbdunkeln. Geräusche – Regen, Glet­scherknacken, Tropfen, die ins Wasser fallen, Donner und Blitze – werden durch die Akustik der rohen Felsenkammer verstärkt. Ein Fahrrad liegt im Wasser, ein vorbeifahrendes Schiff wird auf die Felswand projiziert, ein „letzter Gletscher“ ist konserviert, in einem Labor wird danach gefragt, ob wir Klima machen können oder ob wir es nicht schon längst tun.

Fels als VerstärkerDer Ausstellung steht ein wissenschaftliches Forum zur Seite; jährlich werden sich Seminare als eine Art Thinktank mit den Ausstellungsthemen befassen. So soll sie kontinuierlich aktu­alisiert werden. Die Ausstellung selbst lebt von diesem eigen­tümlichen, fast unheimlichen Ort: der besonderen Akustik, dem Gefühl, sich in einem Berg zu bewegen; gut zweitausend Meter hoch über dem Meer und mit tausend Meter festem Ge­stein über sich. Kälte und Feuchte dringen in den Körper. Man fühlt sich abgeschottet, wie in einer Black Box, was die in der

Dazu auf Bauwelt.de | Bildstrecke: Ein Gang durch die Ausstellung in

der ehemaligen Festungsanlage

Bauwelt 46 | 201220 Bauwelt 46 | 2012 21Thema Höhlen inszenieren

Page 4: Im Sasso San Gottardo - Bauwelt · 2018-10-18 · stellung im Sasso da Pigna, aber erst im Frühjahr 2011 kam Dynamik in das Projekt, als die Swisscom als wichtiger Spon sor gewonnen

Wasser und Klima | Der Klima-wandel, in der Ausstellung in zwei einander gegenüber-liegenden Räumen veran-schaulicht, ist auch außerhalb der Ausstellung am St.Gott-hard präsent – die Gletscher in der Umgebung schmelzen

Ausstellung aufgeworfenen Fragen noch drängender erschei­nen lässt. Alle Sinne werden angesprochen; Fragen und Fakten werden lakonisch präsentiert, manchmal mit einem Augen­zwinkern. Einen erhobenen Zeigefinger findet man glückli­cherweise nicht. Geschickt bauen Holzer Kobler immer wie­der eine Verbindung zum Ort. Die Konzepte der Räume sind nicht wie aus einem Guss, sondern suchen spezielle Möglich­keiten zur Visualisierung der einzelnen Themen. Einige sind wie ausgehöhlt, roh und rau, wie ein Loch im Berg. Andere at­men noch die vormalige Überformung durch den Menschen, eine militärisch­spartanische Ordnung und die Rationalisie­rung des Krieges: eine Atmosphäre der Bedrohung. Dann wie­der wird man überwältigt von der Schönheit der Natur, den ge­heimnisvoll glitzernden Bergkristallen, denen sich einer der oberen Räume widmet.

Nach dem Besuch der Ausstellung führt ein Fußweg durch einen hunderte Meter langen Stollen im Halbdunkel langsam bergan, bis plötzlich ein uniformierter Mann er­scheint. Er bedient den Schrägseillift, der durch Kälte und Dunkelheit an 400 Treppenstufen vorbei in die 90 Meter höher liegenden sechs Artillerieräume führt. Hier ist die Vergangen­

heit konserviert; Schlafkammern, Büros und Werkstätten wir­ken, als wären sie erst gestern verlassen. In der langgestreck­ten Pulverkammer sind in den Regalfächern Fundstücke – Essgeschirr, Gasmasken oder Devotionalien um den verehr­ ten General Guisan – gesammelt und hinter Glas arrangiert. Schmale Gassen führen zu den Artillerieräumen mit den alten Geschützen. Durch eine unscheinbare Tür wird man aus der Enge in die neblige Bergwelt entlassen. Licht und Luft tun gut nach dem langen Weg durch die Kavernen.

Infolge der strengen Geheimhaltung sind rund um das Reduit in den Alpen Gerüchte und Legenden entstanden. Wer sich auf so ein legendenhaftes Gedankenexperiment einlassen möchte, dem sei Christian Krachts Roman „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ empfohlen. In ihm wird die jüngere Geschichte neu erfunden: Lenin verlässt 1917 nicht im plombierten Wagon Zürich Richtung St. Petersburg, die Schweiz erlebt einen kommunistischen Umsturz und die Geschichte des 20. Jahrhundert nimmt einen anderen Verlauf. Das Reduit tief in den Schweizer Alpen ist das Zentrum die ­ ser bolschewistischen Schweizer Macht: das große „Herz der Finsternis“. ▪

Vulkan und Sonne verkörpern Energiereserven, über deren Nutzung der Mensch nach der vollendeten Ausbeutung der fossilen Ressourcen wird nach denken müssen. Unten: Die eigentliche, ober-halb der Ausstellungs räume gelegene Festung wurde als eigenständiges Museum in den Rundgang einbezogen.

Bauwelt 46 | 201222 Bauwelt 46 | 2012 23Thema Höhlen inszenieren