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Archivnachrichten 34/2007 1 In den ersten und mittleren Jahr- zehnten des 19. Jahrhunderts entstanden in verschiedenen größeren Städten in Deutschland – wie Würzburg, Leipzig, Berlin, Köln und Dresden – Musikschulen und Ausbildungsinstitute (Konservato- rien), die sich auch der höheren Musik- ausbildung widmeten. In der Mehrzahl waren sie keine staatlichen Einrichtungen, sondern gingen aus privater Initiative her- vor und wurden auch durch private Mittel eingerichtet und unterhalten. Eine Unter- stützung städtischer oder staatlicher Stel- len erhielten sie erst dann, nachdem sie sich nach einigen Jahren etabliert hatten. Auch die heutige Staatliche Hoch- schule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart, situiert an der Stuttgarter Kul- turmeile, ist aus einem Privatunterneh- men herausgewachsen. Maßgeblichen Verdienst an der Gründung des Musik- instituts hatte Sigmund Lebert (1821 – 1884), ein aus Ludwigsburg stammender und am Prager Konservatorium ausgebil- deter Klaviervirtuose und -pädagoge. Er erkannte, dass in Stuttgart die institutio- nellen Voraussetzungen für eine breite musikalische Ausbildung des aufstreben- den Bürgertums fehlten. Es gelang ihm, zusammen mit dem Pianisten Ludwig Stark und dem Stuttgarter Organisten und Komponisten Immanuel Faisst, wei- tere Musiker und Musikinteressierte für die Gründung einer Musikschule zu gewinnen. Im Februar des Jahres 1857 wurde ein von 22 hervorragenden Bür- gern der Stadt unterzeichneter Aufruf zur Gründung einer Musikschule in Stuttgart veröffentlicht: Der Zweck dieser geplanten Anstalt ist ein doppelter: sie soll nicht bloß dem angehenden Musiker von Fach Gelegenheit bieten, sich in den betreffen- den Zweigen seiner Kunst zum Künstler auszubilden, sondern sie soll auch zur all- gemeinen Gründung eines gediegenen musikalischen Geschmackes und Ver- ständnisses, zur Hebung der Tonkunst in allen ihren Gebieten, den Weg bahnen. Die Stuttgarter Musikschule bestand daher, im Unterschied zu den meisten anderen Konservatorien, aus zwei ge- trennten Abteilungen: einmal der Künst- lerschule, die Berufsmusiker ausbildete, und der so genannten Dilettantenschule, Nr. 34 Juni 2007 Im Takt der Zeit – 150 Jahre Stuttgarter Musikhochschule Ausstellung des Hauptstaatsarchivs Stuttgart vom 15. April bis 31. Juli 2007 Die Villa Schönlein am Urbansplatz in Stuttgart, seit 1911 der Sitz des Stuttgarter Konservatoriums. Vorlage: Landesarchiv HStAS E 14 Bü. 1666

Im Takt der Zeit – 150 Jahre Stuttgarter Musikhochschule · 2019. 12. 6. · instituts hatte Sigmund Lebert ... Es gelang ihm, zusammen mit dem Pianisten Ludwig Stark und dem Stuttgarter

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Archivnachrichten 34/2007

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In den ersten und mittleren Jahr-zehnten des 19. Jahrhunderts entstandenin verschiedenen größeren Städten inDeutschland – wie Würzburg, Leipzig,Berlin, Köln und Dresden – Musikschulenund Ausbildungsinstitute (Konservato-rien), die sich auch der höheren Musik-ausbildung widmeten. In der Mehrzahlwaren sie keine staatlichen Einrichtungen,sondern gingen aus privater Initiative her-vor und wurden auch durch private Mitteleingerichtet und unterhalten. Eine Unter-stützung städtischer oder staatlicher Stel-len erhielten sie erst dann, nachdem siesich nach einigen Jahren etabliert hatten.

Auch die heutige Staatliche Hoch-schule für Musik und Darstellende KunstStuttgart, situiert an der Stuttgarter Kul-

turmeile, ist aus einem Privatunterneh-men herausgewachsen. MaßgeblichenVerdienst an der Gründung des Musik-instituts hatte Sigmund Lebert (1821–1884), ein aus Ludwigsburg stammenderund am Prager Konservatorium ausgebil-deter Klaviervirtuose und -pädagoge. Ererkannte, dass in Stuttgart die institutio-nellen Voraussetzungen für eine breitemusikalische Ausbildung des aufstreben-den Bürgertums fehlten. Es gelang ihm,zusammen mit dem Pianisten LudwigStark und dem Stuttgarter Organistenund Komponisten Immanuel Faisst, wei-tere Musiker und Musikinteressierte fürdie Gründung einer Musikschule zugewinnen. Im Februar des Jahres 1857wurde ein von 22 hervorragenden Bür-

gern der Stadt unterzeichneter Aufruf zurGründung einer Musikschule in Stuttgartveröffentlicht: Der Zweck dieser geplantenAnstalt ist ein doppelter: sie soll nichtbloß dem angehenden Musiker von FachGelegenheit bieten, sich in den betreffen-den Zweigen seiner Kunst zum Künstlerauszubilden, sondern sie soll auch zur all-gemeinen Gründung eines gediegenenmusikalischen Geschmackes und Ver-ständnisses, zur Hebung der Tonkunst inallen ihren Gebieten, den Weg bahnen.

Die Stuttgarter Musikschule bestanddaher, im Unterschied zu den meistenanderen Konservatorien, aus zwei ge-trennten Abteilungen: einmal der Künst-lerschule, die Berufsmusiker ausbildete,und der so genannten Dilettantenschule,

Nr. 34 Juni 2007

Im Takt der Zeit – 150 Jahre Stuttgarter MusikhochschuleAusstellung des Hauptstaatsarchivs Stuttgart vom 15. April bis 31. Juli 2007

Die Villa Schönlein am Urbansplatz in Stuttgart, seit 1911 der Sitz des Stuttgarter Konservatoriums.Vorlage: Landesarchiv HStAS E 14 Bü. 1666

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die sich der Laienausbildung widmete.Die Musikschule nahm am 15. April 1857mit 60 Schülern, davon 15 Kunstschülerund 45 Dilettanten, und elf Lehrern denUnterrichtsbetrieb auf. Die Zahl der Schü-ler steigerte sich rasch – nach drei Jahrenwar sie bereits auf 270 gestiegen, nachzehn Jahren lag sie bei über 500 –, wobeider Aufschwung lange Zeit vor allem aufdem hervorragenden Ruf der Klavier-klasse beruhte.

Die Zweigleisigkeit der Ausbildungam Konservatorium, so die Bezeichnungseit 1865, dauerte bis 1921, als es in eineWürttembergische Hochschule für Musikumgewandelt und damit die Trennung der professionellen Ausbildung von derDilettantenschule vollzogen wurde. Zum1. Oktober 1938 erfolgte die Übernahmeder Musikhochschule in die Verwaltungdes Landes Württemberg unter demNamen Staatliche Hochschule für Musikin Stuttgart.

Das Hauptstaatsarchiv nimmt das150-jährige Jubiläum der Musikhoch-schule zum Anlass, den Weg der Musik-ausbildung in Stuttgart in seinem kulturel-len Umfeld und den politischenRahmenbedingungen nachzuzeichnen.Archivalien, Bild- und Tondokumente,

Instrumente und andere Exponate, zumTeil aus privatem Besitz, lassen die wich-tigsten Ereignisse lebendig werden, erin-nern an prägende Persönlichkeiten,bedeutende Lehrer und berühmte Schülerund verdeutlichen vor allem auch dieenge Verflechtung und Wechselwirkungder Musikhochschule und ihrer Träger mitdem Stuttgarter Musikleben. Die Ausstel-lung wird von zahlreichen Veranstaltun-gen begleitet. Am 3./4. Mai beschäftigtsich eine Tagung mit dem Thema Zwi-schen bürgerlicher Kultur und Akademie –Musikausbildung in Stuttgart und anders-wo, am 13. Juni und 11. Juli kommenKonzerte mit historischen Prüfungspro-grammen des Konservatoriums zur Auf-führung. Ausstellung und Begleitpro-gramm werden veranstaltet vomLandesarchiv Baden-Württemberg –Hauptstaatsarchiv Stuttgart in Koopera-tion mit der Staatlichen Hochschule fürMusik und Darstellende Kunst Stuttgart.Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.Nähere Informationen zu Ausstellung undVeranstaltungen im Internet unterwww.landesarchiv-bw.de → Hauptstaats-archiv Stuttgart → Aktuelles NicoleBickhoff

Unter diesem Titel präsentiert dasLandesarchiv eine Ausstellung, die denhistorischen Prozess gegen den Ge-heimen Finanzienrat des Herzogs vonWürttemberg mit seinen authentischenQuellen sowie das zeitgenössischeMedienspektakel und die fiktionalenBearbeitungen des Stoffs in den Mittel-punkt stellt. Dazu wird ein Überblick überdie Nutzung und die wissenschaftlicheAuswertung des Aktenbestands gegeben,den das Hauptstaatsarchiv Stuttgart ver-wahrt. Joseph Süß Oppenheimer wurdenach dem Tod des Herzogs Karl Alexan-der von Württemberg am 12. März 1737verhaftet und unter Hausarrest gestellt.Eine Inquisitionskommission bereiteteeinen Kriminalprozess gegen ihn vor, dermit dem Todesurteil endete. Die Ermitt-lungs- und Prozessakten dokumentierendas Vorgehen gegen Oppenheimer beider Vorbereitung des Prozesses und ent-halten eine Fülle an Unterlagen, die vonden ermittelnden Behörden bei Oppen-heimer als potenzielles Beweismaterialbeschlagnahmt wurden – beschlag-nahmte Briefschaften, die so als unmittel-bare Zeugnisse seiner Persönlichkeitüberliefert sind.

Der Kriminalprozess gegen JosephSüß Oppenheimer hat zu seiner Zeithöchste Aufmerksamkeit in der Öffent-lichkeit erregt. Die Hinrichtung wurde als

Spektakel inszeniert und vor einem mas-senhaften Publikum vollzogen. ZahlloseFlugschriften, die ihre Käufer fanden,berichteten darüber. Namhafte Kupfer-stecher wie Elias Baeck aus Augsburgschufen Illustrationen vom Geschehen.Sie waren zum Teil eigens nach Stuttgartgereist, um ihm beizuwohnen. Das BildJoseph Süß Oppenheimers wurde davonnachhaltig geprägt. Die Geschichte desJuden, von seinem Aufstieg und Fall,wurde auch auf Gedenkmedaillen und in

der gefälligen Form einer Schraub-medaille erzählt, sie lieferte den Stoff füreine populäre Alltagskultur. Literarischwurde der Stoff unter anderem 1826 vonWilhelm Hauff und gut 100 Jahre spätervon Lion Feuchtwanger bearbeitet. VeitHarlan legte ihn 1940 seinem abscheu-lichen antisemitischen Hetzfilm Jud Süßzugrunde. In unseren Tagen hat man denFall des Joseph Süß Oppenheimer für einTheaterstück aufgegriffen, das im Dezem-ber 1999 in Stuttgart uraufgeführt wurde.

Ein Wechselbrief Oppenheimers vom 14. Juni 1736 aus der Frankfurter Registratur desHandels-/Bankhauses Oppenheimer.Vorlage: Landesarchiv HStAS A 48/14 Bü. 118/2 Bl. 611

Professor Dr. Sigmund Lebert (Levi),geboren am 12. Dezember 1821 inLudwigsburg, gestorben am 8. Dezember1884 in Stuttgart, Mitbegründer undLehrer an der Stuttgarter Musikschule.Vorlage: Württembergische Landes-bibliothek Stuttgart

Beschlagnahmte BriefschaftenDer Kriminalprozess gegen Joseph Süß Oppenheimer 1737/38

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Im selben Jahr wurde in Bremen eineOper erstmals inszeniert.

Das Schicksal des Joseph SüßOppenheimer hat so eine Nachwirkungvon ganz eigener Dynamik entfaltet. DieForschung hat sich mehr mit dieserNachwirkung als mit dem Geschehenselbst befasst. Zutreffend wurde 2001von Gudrun Emberger festgestellt, dassdie Wirkungsgeschichte den historischenKern überwuchert.

Der Bestand der Kriminalprozess-akten im Hauptstaatsarchiv Stuttgart hateinen Umfang von 7,5 Regalmetern. DieUnterlagen wurden von den Behörden,die mit dem Fall befasst waren, im Laufdes 19. Jahrhunderts an das damaligeKönigliche Staatsarchiv abgegeben undumfassen1. die Ermittlungsakten und die Verhör-

protokolle der Süßischen Inquisi-tionskommission, die den Prozessvorbereitet hat,

2. eine Fülle an Unterlagen, die man inden Dienst- und PrivaträumenOppenheimers beschlagnahmt hat,

3. die so genannten Landberichte mitden Beschuldigungen, die im ganzenHerzogtum Württemberg von denUntertanen eingefordert wurden,

4. die Akten einer Inventur-Deputation,die mit der Verwaltung des Oppen-heimerschen Vermögens betrautwar,

5. die Akten aus dem Gerichtsverfahrenund das Urteil.Bis zu den politischen Veränderun-

gen von 1918 wurde der Forschung nurEinsichtnahme in ausgewählte Stückegewährt. Die historischen Abhandlungenspeisten sich zunächst überwiegend ausden zeitgenössischen Flugblättern. In den1920er Jahren konnten Curt Elwenspoek

und Selma Stern erstmals den gesamtenAktenbestand einsehen. Insgesamt hatsich die Forschung aber weitaus mehr mitdem Bild Oppenheimers und der Verwer-tung des Stoffs als mit der authentischenÜberlieferung und dem Geschehen selbstbefasst. Erst in jüngster Zeit werden dieVorgänge unter weitergehenden histori-schen Fragestellungen betrachtet.

Zwischen 1933 und 1945 wurde derBestand zu propagandistischen Zweckenmissbraucht. Für das Drehbuch zum Filmvon Veit Harlan hat man ihn – freilich nurkurz – eingesehen; nicht zustande kamjedoch eine geplante Wanderausstellung,die bei den Premieren gezeigt werdensollte.

Nach 1945 setzte neben der wissen-schaftlichen Nutzung ein wachsendesInteresse der Medien an dem Akten-bestand ein. Einzelne Dokumente darauswerden immer wieder illustrativ in Publi-

kationen und Dokumentationen derPresse und des Fernsehens eingesetzt.

Die Ausstellung war im Hauptstaats-archiv Stuttgart vom 8. Februar bis zum30. März 2007 in der Reihe Archivale desMonats zu sehen und wird ab November2007 im Staatsarchiv Ludwigsburggezeigt.

Online bietet das Landesarchiv Ein-blicke in die Ausstellung (einschließlichaller Texte und Exponatbeschreibungen)und aktuelle Informationen über Begleit-veranstaltungen.

Im Netz ist aber auch das neuerstellte Inventar zu den Akten des Krimi-nalprozesses zugänglich, der unter derSignatur A 48/14 im Hauptstaatsarchivverwahrt wird. In der Einführung zu demInventar finden sich nähere Angaben zurBestandsgeschichte und Hinweise aufeinschlägige Literatur RobertKretzschmar

Sonderdruck einer Artikelserie im Stuttgarter NS-Kurier, 1936.Vorlage: Landesarchiv HStAS, Dienstbibliothek Ab 842

Einer der beiden Protokollbände mit denZeugenaussagen im Prozess gegenOppenheimer, 1737.Vorlage: Landesarchiv HStAS A 48/14Bd. 64

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Kaum eine Institution steht heutemehr im Spannungsfeld von Tradition undModerne, von alten Ordnungsprinzipienund moderner Technisierung als dasArchiv. Besonders die großen Archivestellen sich dieser Herausforderung undentwickeln sich zu modernen Informa-tionsdienstleistern. Das LandesarchivBaden-Württemberg hat in diesem Jahreinen weiteren, entscheidenden Schritt indiese Richtung getan. Es bietet seinenNutzern nun die Möglichkeit, Archivalienüber das Internet zu bestellen. DieRecherche in den Online-Findmitteln ist jaschon seit geraumer Zeit möglich undwird auch gerne genutzt, was die Zu-griffszahlen belegen, doch nun kann derNutzer den Archivbesuch noch weit effek-tiver von zuhause aus vorbereiten. Wenner ins Archiv kommt, liegen die bestelltenUnterlagen schon bereit – das spart Zeitund Kosten.

Das ist allerdings nicht die einzigebedeutende Neuerung, die die Jahres-wende für den Nutzer des Landesarchivsmit sich brachte. Im Zusammenhang mitder Einführung der elektronischen Bestel-lung steht die Einführung eines in allenArchivabteilungen gültigen Nutzerauswei-ses. Wenn ein Nutzer also mehrereArchivabteilungen des Landesarchivsbesucht, muss er sich nicht mehr in jederAbteilung gesondert anmelden. Nebendieser praktischen kommt dem neuenAusweis auch eine symbolische Bedeu-tung zu. Die Zusammengehörigkeit derArchivabteilungen, die ja teilweise nochihre historischen Namen tragen, wie etwaGenerallandesarchiv Karlsruhe oderHauptstaatsarchiv Stuttgart, und die weitvoneinander entfernte Standorte haben,wird in den Augen der Öffentlichkeit nochdeutlicher.

Das Verfahren der Ausweisvergabeist denkbar unkompliziert. Der Nutzer, derzum ersten Mal das Landesarchiv besu-chen möchte, kann sich bereits von zuHause aus im Internet anmelden, indemer lediglich Namen und Adresse angibtsowie ein Passwort festlegt. Er bekommtdann im Lesesaal nach Unterzeichnungeines schon fertig ausgefüllten Antragsseinen Nutzerausweis ausgehändigt.Wenn er im Internet von zu Hause ausbereits Archivalien bestellt hat, kann ernun umgehend mit dem Quellenstudiumbeginnen.

Die Bestellung im Lesesaal funktio-niert in gleicher Weise wie diejenige imInternet. Der Nutzer sammelt die für ihn

relevanten Archivalieneinheiten in einemBestellkorb, loggt sich dann ein mit Kon-tonummer und Passwort, trägt Nutzungs-vorhaben, Nutzungszweck sowie Zeit-punkt des Archivbesuchs ein und sendetdie Bestellung ab. Das Verfahren ist vonden heute üblichen und vielfrequentiertenOnline-Shops her schon gut bekannt. Fürmanche Nutzer, die noch unerfahren imUmgang mit Computern und elektroni-schen Bestellsystemen sind, gilt es natür-lich eine gewisse Hürde zu überwinden.Das Archivpersonal hilft jedoch gerne undführt die Bestellung, wenn nötig, auchganz für den Nutzer durch. Durch dasneue Bestellsystem verliert die Beratungund Unterstützung des Nutzers durch denArchivar keineswegs an Bedeutung. Siewird auch in Zukunft immer zum Serviceder Archive gehören.

Zum neuen elektronischen Bestell-system gehört auch eine archivinterneKomponente, in der die Nutzerdaten undBestellvorgänge verwaltet werden. Diecomputergestützte Nutzer- und Bestell-verwaltung sorgt nicht nur für mehrTransparenz, sondern erleichtert auchdas Führen der Statistik. Früher musstedas Archivpersonal die statistischenWerte in mühevoller Handarbeit durchAuszählen der roten Bestellscheine ermit-teln. Heute übernimmt diese Arbeit daselektronische System.

Das Landesarchiv Baden-Württem-berg ist das erste Archiv in Deutschland,das über eine komplette elektronischeBestell- und Nutzerverwaltung mit derMöglichkeit der Internetbestellung ver-fügt. Das System wurde im Landesarchivselbst entwickelt – in enger Zusammen-arbeit zwischen Archivarinnen und Archi-varen und Mitarbeitern des ReferatsInformations- und Kommunikationstech-nologie Thomas Fricke

Neu im Landesarchiv Baden-WürttembergLandesweit gültiger Nutzerausweis und Archivalienbestellung perInternet

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Das zurückliegende Jahr kann fürdas Landesarchiv Baden-Württemberg alsein wichtiger Einschnitt für die Archivie-rung elektronischer Unterlagen betrachtetwerden. Der im Staatsarchiv Ludwigsburgangesiedelte Aufbaustab für die Übernah-me digitaler Behördenunterlagen hat nichtnur erste theoretische Teilergebnisse erar-beitet, sondern auch in größerem Umfangbereits Bestände aufgebaut, die in einemdigitalen Magazin gepflegt werden.Erfolgreich abgeschlossen wurde auchdas in Kooperation mit der Fraunhofer-Gesellschaft durchgeführte Projekt Arche,bei dem der Einsatz des Mikrofilms zurdauerhaften Sicherung elektronischerUnterlangen erprobt wurde. Über beidesist in Nr. 32 der Archivnachrichten berich-tet worden.

Um die Aktivitäten zur Ausgestaltungdes digitalen Landesarchivs zu begleitenund verschiedene Arbeitsbereiche, diedaran beteiligt sind, stärker zu vernetzen,hat der Präsident 2006 eine kleineArbeitsgruppe eingerichtet, die sich mitder Zukunft des Mikrofilms im digitalenZeitalter befasst hat, sowie eine weitereGesprächsrunde, von der eine Gesamt-strategie für das Landesarchiv im digita-len Zeitalter konzipiert werden soll. ImOktober fand im Staatsarchiv Ludwigs-burg unter Beteiligung zahlreicher Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter aller Abteilun-gen dazu eine Informationsveranstaltungstatt (vgl. Archivnachrichten Nr. 33). Dieersten Überlegungen zu einer Gesamt-strategie, die Mitte 2007 vorliegen soll,wurden im Herbst auf der Abteilungslei-terbesprechung vorgestellt. Ziel all dieserAktivitäten ist, für die Archivierung analo-ger und digitaler Unterlagen ein integrati-ves Konzept zu entwickeln, das denBerührungspunkten auf den verschiede-nen Arbeitsfeldern gerecht wird – von derÜbernahme elektronischer Unterlagen bishin zur Reproduktionsverwaltung derFotostellen. Denn im Alltag wird immerdeutlicher, dass es beim heutigen Digitali-sierungsgrad keine isolierten Inseln fürden Umgang mit Digitalisaten mehrgeben kann, dass vielmehr alle Synergienim Rahmen eines planvollen Vorgehensauszuschöpfen sind.

Abgeschlossen wurde die Einführungvon MIDOSA 21 – scopeArchiv, das sich als Werkzeug für die Erschließunggut bewährt. Im Sommer 2006 konnte aufdem Südwestdeutschen Archivtag dasOnline-Inventar Fotografien im Landesar-chiv Baden-Württemberg vorgestellt wer-den, in dem rund 150 Bestände nach-gewiesen sind, die ausschließlich oder inwesentlichen Teilen Fotografien enthalten.Im Hauptstaatsarchiv Stuttgart wurde ein

Pilotprojekt für die Online-Nutzung imLesesaal durchgeführt; im Ergebniskonnte das System im Januar 2007 anallen Standorten eingeführt werden.

Das Landesarchiv beteiligt sichweiterhin an verschiedenen nationalenund europäischen Digitalisierungsprojek-ten. Seit Juni 2006 ist es Partner des EU-Projekts MIchael Plus – MultilingualInventory of Cultural Heritage, das einenZugang zu digitalisierten Beständen ineuropäischen Archiven, Bibliotheken undMuseen schaffen soll. Auf der bundes-weiten Ebene wird das von der Deut-schen Forschungsgemeinschaft geförder-te Projekt Internet-Portal für Bibliotheken,Archive und Museen – BAM-Portal fortge-führt. Das DFG-Projekt Piccard-Onlinefand nach seinem erfolgreichen Ab-schluss einen Anschluss im EU-ProjektBernstein, durch das die nunmehr kom-plett digitalisierte WasserzeichenkarteiPiccard mit anderen europäischen Was-serzeichendatenbanken vernetzt wird.

In seinem Vorhaben, Rückstände inder fachgerechten Verpackung undErschließung von Archivgut abzubauen,ist das Landesarchiv wieder wesentlichvorangekommen. 1500 Regalmetern, dieneu als Archivgut übernommen wurden,stehen 4220 Regalmeter an verpacktenBeständen und 2541 Regalmeter anerschlossenen Beständen gegenüber,sodass sich der Anteil der nach konser-vatorischen Maßstäben verpackten underschlossenen Unterlagen weiter erhöhthat. Im Rahmen einer Zieldiskussionwurde beschlossen, dass auch weiterhinder deutliche Abbau von Rückständenprioritäres Ziel des Landesarchivs seinsoll; dabei ist auch eine Verständigungauf Standards erfolgt (vgl. Archivnach-richten Nr. 33). Auch wurde wiederumdas Ziel erreicht, den Anteil der onlinezugänglichen Findmittel zu erhöhen, derim Hauptstaatsarchiv Stuttgart und imStaatsarchiv Ludwigsburg bei über 20Prozent der Bestände liegt. Wie er in dennächsten Jahren in nennenswerter Weiseinsgesamt weiter erhöht und dabei einetwas angeglichener Stand für die ver-schiedenen Archivabteilungen erreichtwerden kann, ist in der nächsten Zeit ein-mal näher zu durchdenken.

Die Zugänglichkeit von Findmittelnhat deutliche Folgen für das Nutzerverhal-ten: Archivbesuche können besser vorbe-reitet werden, die Bestellung von Archiv-gut in die Lesesäle erfolgt gezielter.Insgesamt hat die Nutzung wieder leichtzugenommen. Waren im Jahr 2005 12 024 Nutzungen zu verbuchen, so sindes 2006 13 140. Wie sich die Nutzung inden nächsten Jahren vor dem Hinter-

grund der weiter fortschreitenden Digitali-sierung der Findmittel weiter entwickelnwird, bleibt abzuwarten. Für die These,dass übersichtlich aufbereitete Informa-tionen im Netz über Archivbestände eherzu einer Zunahme der Nutzung als zueiner Abnahme führen werden, sprichtvieles. Sicher ist eine Zunahme der Nut-zung aber auch zumindest partiell auf eingezieltes Werben für das Archiv undseine Bestände im Rahmen der Bildungs-und Öffentlichkeitsarbeit zurückzuführen.Alle Archivabteilungen, aber auch dasInstitut für Erhaltung von Archiv- undBibliotheksgut in Ludwigsburg waren imvergangenen Jahr wieder mit vielfältigenAngeboten in der Öffentlichkeit präsent,wie aus den Jahresberichten der Abtei-lungen, die über die Homepage des Lan-desarchivs zugänglich sind, entnommenwerden kann.

Wesentlich verstärkt wurde der Aus-tausch über öffentlich wirksame Aktivi-täten, indem als neues Fachgremiuminnerhalb des Landesarchivs die Arbeits-gruppe Bildungs- und Öffentlichkeitsar-beit eingerichtet wurde. Sie hat auch denAuftrag erhalten, abteilungsübergreifendeProgramme zur Präsentation des Landes-archivs in der Öffentlichkeit vorzubereitenund grundsätzliche Fragestellungen zubehandeln. So wurden 2006 erste Überle-gungen zu einem Gesamtkonzept für dieBildungs- und Öffentlichkeitsarbeit undzu einem professionellen Marketing ange-stellt. Für die nächsten Jahre wurdenerstmals abteilungsübergreifendeSchwerpunkte in der Bildungs- undÖffentlichkeitsarbeit festgelegt. Auch istder Beschluss erfolgt, für das Landesar-chiv ein Corporate design zu entwickeln,über das 2007 zu entscheiden sein wird.In Verbindung damit soll das Erschei-nungsbild der Archivnachrichten und derPublikationen auf eine neue Grundlagegestellt werden. In diesem Zusammen-hang wird auch nochmals die grundsätzli-che Ausrichtung der Publikationen zuüberdenken sein. Bereits 2006 wurde derWorkflow bei der Produktion modifiziert.Über die verschiedenen Neuerscheinun-gen des Landesarchivs wurde und wird inden Archivnachrichten berichtet.

Mit großer Resonanz wurde im No-vember 2006 in Niedernhall die neueKreisbeschreibung des Hohenlohekreisesder Öffentlichkeit vorgestellt. Die ersteAuflage mit 2900 Exemplaren war nachkurzer Zeit vergriffen; noch vor Weihnach-ten wurde eine zweite Auflage ausgelie-fert. Bis zur Einstellung der Arbeiten anden Kreisbeschreibungen, die durch dasVerwaltungsstruktur-Reformgesetz vorge-sehen ist, wird das Landesarchiv noch

Auf dem Weg zu einem integrativen Konzept für die Archivierung analoger unddigitaler UnterlagenJahresbericht des Landesarchivs Baden-Württemberg für 2006

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6Archivnachrichten 34/2007

zwei weitere Kreisbeschreibungen vor-legen, für die noch vor der Verwaltungs-reform Verträge geschlossen wurden.Aufgenommen wurde 2006 die Arbeit ander Kreisbeschreibung Esslingen, für dieder Landrat und der Präsident des Lan-desarchivs in einer Auftaktveranstaltungden Startschuss gaben; sie wird 2009erscheinen. Für 2010 ist die Publikationder Kreisbeschreibung Heilbronn vor-gesehen, die ebenfalls bereits in Bear-beitung ist. Nach den Vorgaben der Verwaltungsreform wird sie die letzteKreisbeschreibung sein, die das Landes-archiv als Pflichtaufgabe bearbeitethaben wird.

Organisatorisch wurden 2006 zweiMaßnahmen getroffen. Zum einen wurdendie frühren Abteilungen 2 GrundsätzlicheAngelegenheiten und 10 Landesfor-schung und Landesbeschreibung zu einerneuen Abteilung 2 Fachprogramme undBildungsarbeit zusammengefasst. Zumanderen wurde beim Präsidenten einekleine Stabsstelle eingerichtet. Über dieMotive für diese Veränderungen, die sichin den ersten Monaten sehr bewährthaben, wurde in Nr. 33 der Archivnach-richten berichtet.

Mittels der neuen Steuerungsinstru-mente (NSI) wurden 2006 erstmals Pro-duktberichte erstellt, die abteilungsbezo-gen mit den jeweiligen Abteilungsleiternbesprochen wurden. Die dabei geführtenGespräche haben bestätigt, dass dieAuswertung der produktbezogenen Zah-len für alle Beteiligten von Gewinn seinkann.

Im Alltag macht sich die zuneh-mende Reduktion des Personalbestands,die als Folge der Verwaltungsreformdurch die Nichtwiederbesetzung frei wer-dender Stellen eintritt, immer stärker be-merkbar. Viele Aufgaben werden heutedurch unstetige Kräfte erledigt, ohnederen Einsatz merkliche Abstriche imLeistungsangebot oder an der Qualitätder Arbeit vorzunehmen wären.

Positiv haben sich die Aussichten fürdie Unterbringung des Generallandes-archivs Karlsruhe und des StaatsarchivsFreiburg entwickelt. Der in Karlsruhe seitlangem dringend benötigte Erweiterungs-bau ist im Entwurf des Landeshaushalts2007/08 vorgesehen; der Baubeginn soll2007 erfolgen. Eine für Freiburg ange-dachte Lösung der Unterbringung imRahmen eines Archivverbunds wurde ineiner Machbarkeitsstudie untersucht.

Die Standorte in Stuttgart, Sigmarin-gen, Karlsruhe und Freiburg sowie dasLudwigsburger Institut für Bestandserhal-

tung von Archiv- und Bibliotheksgut hatStaatssekretär Dr. Birk seit Sommer 2006besucht, um sich vom Landesarchiveinen Eindruck zu verschaffen. Für seinaufgeschlossenes Interesse sei Herrn Dr. Birk an dieser Stelle noch einmal ganzherzlich gedankt. Für vielfältige Unterstüt-zung und gute Zusammenarbeit ist auchdem Ministerium für Wissenschaft, For-schung und Kunst Baden-Württemberginsgesamt zu danken – und ganzbesonders jenen Mitarbeiterinnen undMitarbeitern, die für das Landesarchivzuständig sind.

Welche Bedeutung das Landes-archiv als Gedächtnis der Verwaltung hat,wurde deutlich, als eine Arbeitsgruppezur Aufarbeitung der Eigentumsverhält-nisse der badischen Handschriften einge-richtet wurde. Der Leiter des Generallan-

desarchivs gehört dieser Arbeitsgruppean, die auch als Beispiel dafür stehenmag, dass selbst bei einer noch so klugdurchdachten Jahresplanung nicht jederArbeitsanfall vorhersehbar ist.

Umso mehr ist allen Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern des Landesarchivs fürihren Arbeitseinsatz im vergangenen Jahrzu danken, durch den das Landesarchivwieder beachtliche Leistungen erbringenkonnte. Nachdem das Landesarchiv sichin den Jahren 2003 – 2005 durch die Ver-waltungsreform sehr stark mit sich selbst,seinen Zielen und Produkten, Strukturen,Abläufen und Arbeitsweisen beschäftigthatte, stand 2006 wieder ganz die Fach-arbeit im Vordergrund. Und die Ergeb-nisse können sich sehen lassen RobertKretzschmar

Das Landesarchiv in Zahlen

Das Wesentliche auf einen Blick

Gesamtumfang des Archivguts am 31. 12. 2006 (in Metern) 136 492Urkunden (Stück) 309 714Karten, Pläne (Stück) 330 927Bilder (Stück) 814 321Gespeicherte elektronische Unterlagen (in Megabytes) 2897

Auslastung der Magazine (in %) 89,8

Raumreserve (in Jahren) 7 Jahre, 9 Monate

Zu betreuende Registraturen 2288

Erschlossenes Archivgut (Erschließungsgrad ,sehr gut‘ bis ,hinreichend‘) ca. 71 %

In online verfügbaren Findmitteln erschlossenes Archivgut (in % des Gesamtumfangs) 15,6

Online verfügbare Beständeübersichten (in % des Gesamtumfangs) 100

Zahl der Mitarbeiterinnnen und Mitarbeiter (Stand: 31. 12. 2006) 191

Unsere Leistungen im Jahr 2006

Nutzungen 13 140

Vorgelegte Archivalien 86 310

Abgegebene Reproduktionen 312 874

Schriftliche Auskünfte der Archivabteilungen 6212

Online-Zugriffe auf Informationsangebote ca. 155 000

Neu hinzugekommenes Archivgut (in Metern) 1475

Fachgerecht verpackte Archivalien (Stück) 389 845

Fachgerecht verpackte Archivalien (in Metern) 4223

Erschlossenes Archivgut (Stück) 324 542

Erschlossenes Archivgut (in Metern) 2541,5

Ausstellungen und Präsentationen 36

Besucher bei Ausstellungen und Präsentationen 60 087

Führungen 269

Geführte Personen 4762

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Archivnachrichten 34/2007

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Die seit einigen Jahren anhaltendenund durch die TIMSS- und PISA-Studienausgelösten Diskussionen um eine ver-besserte (Schul-)Bildung unserer Kinderund Jugendlichen nimmt der Archivver-bund Main-Tauber zum Anlass, sein dies-jähriges Jahresprogramm unter das MottoSchulgeschichte(n) zu stellen. In einemweiten zeitlichen und thematischenBogen wird dieses Thema von verschie-denen Seiten beleuchtet.

Den Auftakt bildete am 15. März2007 ein Vortrag von Professor Dr. RainerThome, Professor für Betriebswirtschafts-lehre und Wirtschaftsinformatik an derUniversität Würzburg, der im Rahmen derWintervortragsreihe des Universitäts-bunds Würzburg aktuelle Entwicklungenin den Blick nahm. Er ging den Fragennach: Welche Arbeit gibt es künftig nochund was sollen wir dafür lernen? Welcheneuen Lerninhalte müssen vermittelt wer-den, weil im Umgang mit künftigen Rech-nern, die selbst enorme Arbeitsmöglich-keiten mitbringen, von den Menschensicher andere Fähigkeiten gefordert wer-den als heute?

Daran schloss sich Ende März 2007ein Überblicksvortrag von Professor Dr. Gerhard Fritz, Schwäbisch Gmünd,über die Geschichte der Schulbildungvom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundertan. Bis zur Einführung der allgemeinenSchulpflicht gab es viele Stationen in derGeschichte der Schule als Stätte derBildung und Ausbildung, die die jeweili-gen gesellschaftlichen Situationen wider-spiegelten.

Adliger Bildung im 17. Jahrhundertgalt am 26. April 2007 ein Vortrag von Dr. Volker Rößner, Burgpreppach. Nacheiner allgemeinen Einführung in das Phä-nomen der Kavalierstour als Teil adligerBildung stehen die Erlebnisse zweier adli-ger Brüder während ihrer Ausbildung inden Jahren 1681–1686 im Mittelpunktdes Vortrags. Das Schicksal der beidenfränkischen Reichsritter Christoph Ernstund Ludwig Reinhold Fuchs von Bimbachlässt sich nach über 300 Jahren anhanderhaltener Briefquellen noch eindrucksvollund genau nachvollziehen. Diese zeigendie ungeschönte Realität und harte Arbeitder Eltern, Erzieher und Hofmeister beimVersuch, den jungen Adligen eine solideAusbildung und damit ein Entrée in diehöfische Gesellschaft zu verschaffen.

Zur Rolle und Bedeutung der Latein-schulen im frühneuzeitlichen Bildungswe-sen sprach am 10. Mai 2007 Dr. ThomasSchulz, Ludwigsburg. Unsere heutige Zeitkennt keine Schulart, die sich auch nurannähernd mit den alten Lateinschulenvergleichen ließe. Nachdem sie jahrhun-

dertelang das Bildungs- und Schulwesenentscheidend geprägt hatten, sind sie imLauf des 19. und 20. Jahrhunderts nachund nach verschwunden oder unter Auf-gabe ihrer bis dahin typischen Eigenartmit zeitgemäßeren schulischen Einrich-tungen verschmolzen worden.

Die Geschichte der Volksschule inStadt und Grafschaft Wertheim nimmt am20. September 2007 Dr. Hermann Ehmer,Stuttgart, in den Blick. Die Reformationhat im Schulwesen bedeutende Neuerun-gen gebracht. Neben den Gymnasien,dem lateinischen Schulwesen, entstan-den auch deutsche Schulen, die nach-mals so genannten Volksschulen. Obwohldas deutsche Schulwesen eine weitausgrößere Breitenwirkung als die Gymna-sien oder Lateinschulen gehabt hat, ist esdoch viel weniger erforscht worden. DerVortrag will daher eine zusammenfassen-de Darstellung des deutschen Schul-wesens in Stadt und Grafschaft Wertheimvon der Reformation bis zum Ende desAlten Reichs geben.

Zum Abschluss wird der Bogen wie-der in die heutige Zeit geschlossen. Am18. Oktober 2007 wird die Leiterin desersten baden-württembergischen Lan-desgymnasiums für Hochbegabte inSchwäbisch Gmünd, Annette von Man-teuffel, einen Beitrag zum aktuellen Standder Bildungsdiskussion in Deutschlandleisten mit besonderem Blick auf dieBegabtenförderung. Begabung wirddabei nach Karl Marx als ein Geschenkder Natur an die Gesellschaft verstanden.Vor diesem Hintergrund verfolgt das Lan-desgymnasium mit Internat einen ganz-heitlichen Bildungs- und Erziehungsan-satz, der neben dem Erwerb vonfachbezogenen und allgemeinen Kompe-tenzen wie Selbstständigkeit, Leistungs-wille, Urteilsvermögen und Toleranz auchein hohes Verantwortungsbewusstsein fürMensch, Gesellschaft und Natur fördert.Von den Unterrichtskonzepten, die hierfür Hochbegabte entwickelt werden, sol-len in Zukunft möglichst auch andereSchulen und Schüler profitieren.

Auch einer der beiden traditionellenLesekurse greift das Thema Schulge-schichten auf. Geplant ist eine Zeitreisebeginnend in der Reformation bis zumEnde des Alten Reichs. Das Themen-spektrum wird unter anderem Lehrerstel-lenbesetzung, Lehrpläne und Schulord-nungen umfassen. Die Quellenlektüre zurSchulgeschichte in der Grafschaft Wert-heim begann am 7. März 2007 undumfasste insgesamt fünf Abende. Einzweiter Lektürekurs, dessen Thema nochnicht feststeht, beginnt am 10. Oktober2007.

Neben den Veranstaltungen zumdiesjährigen Themenschwerpunkt seinoch auf zwei weitere Veranstaltungendes Archivverbunds Main-Tauber kurz hin-gewiesen. Vom 14. Juni bis 27. Juli 2007wird die Wanderausstellung des Haupt-staatsarchivs Stuttgart Heute gerettet –gesichert für die Zukunft. Konservierungund Restaurierung von Kulturgut im Lan-desarchiv Baden-Württemberg gezeigt.Am 23. Juni 2007 findet ein Konzert mitfürstlicher Musik aus LöwensteinischerZeit statt. Zwischen den Musikstückenwerden Quellen aus den Beständen desStaatsarchivs gelesen. Die Texte rankensich um die Musik, um die Menschen, diesie geschaffen haben, um diejenigen, fürdie sie bestimmt war, sowie um dieAnlässe, für die sie komponiert wurde.

Die genannten Veranstaltungen fin-den im Staatsarchiv Wertheim in Bronn-bach statt. Ein detailliertes Programmkann dort angefordert werden: Bronnbach 19, 97877 Wertheim, Telefon09342/91592-0, Telefax 09342/91592-30,E-Mail: [email protected]. NähereInformationen sind auch auf der Home-page des Staatsarchivs www.landes-archiv-bw.de/staw unter der RubrikAktuelles: Veranstaltungen, Ausstellun-gen, Termine abrufbar MonikaSchaupp

Stundenplan für das WertheimerGymnasium, 1604.Vorlage: Landesarchiv StAW G Rep. 57Schulsachen Nr. 34

Schulgeschichte(n)Themenschwerpunkt im Archivverbund Main-Tauber

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8Archivnachrichten 34/2007

Unter dem Motto Reiche und Titelsieht man wie chinesische Schattenspielevorüberwandeln – Baden und das Jahr1806 betrat das Generallandesarchiv wie-der einmal Neuland. In Zusammenarbeitmit dem Schauspielhaus des BadischenStaatstheaters fand dort am 1. und am27. November 2006 jeweils eine gutbesuchte Lesung aus originalen Ge-schichtsquellen statt. Zusammengestelltund bearbeitet waren diese von ProfessorDr. Volker Rödel, der auch einen histori-schen Prolog zum besseren Verständnisder Aufführung sprach. Die französisch-sprachigen Texte hatte Christine Rödelübersetzt. Eingerichtet hatte die SzeneTilman Neuffer. Jeder der fünf Schauspie-ler (Anne-Kathrin Bartholomäus, AndreasNeckritz, Michael Rademacher, MathiasChristian Rehrl und Lisa Schlegel) über-nahm gleich mehrere Rollen, sodass alledamaligen Hauptakteure wie Napoleon,Großherzog Karl Friedrich, Erbprinz Karlund Stéphanie de Beauharnais, Markgrä-fin Amalie und ihre Tochter Zarin Elisa-beth, die Gräfin Hochberg und mehrere

badische Beamte ausführlich zu Wortkamen. Eine Schlüsselstellung nahmdabei zweifelsohne der Chefunterhändlerin Paris, Sigismund Freiherr von Reitzen-stein ein, dessen Spott über die badi-schen Träume eines Zwergkönigreichsauch noch nach 200 Jahren seine Wir-kung beim Publikum nicht verfehlte.Umrahmt wurde das Geschehen zwi-schen Herbst 1805 und Herbst 1806durch zwei lange Geburtstagsglückwün-sche von Johann Heinrich Jung, genanntStilling, an Karl Friedrich, in denen er sichfast seelsorgerisch mit der schwierigenSituation der Beteiligten auseinander-setzt. Die dramatischen Ereignisse desJahres 1805/06 im Spiegel der teils offi-ziellen, teils intimen Briefe der handeln-den und erleidenden Menschen nahmendas Publikum während der 70 Minutendauernden Lesung sichtbar gefangen:Geschichte wurde zum Sprechengebracht Rainer Brüning

Sigismund Freiherr von Reitzenstein,geboren am 3. Februar 1766 in Nemmers-dorf/Oberfranken, gestorben am 5. März1847 in Karlsruhe, badischer Chefunter-händler in Paris.Vorlage: Landesarchiv GLAK J-Ac-R/7

Generallandesarchiv Karlsruhe präsentiert sich auf Theaterbrettern

Das Hauptstaatsarchiv Stuttgart prä-sentierte vom 14. Dezember 2006 biszum 2. Februar 2007 die AusstellungOchsenkopf und Meerjungfrau – Wasser-zeichen des Mittelalters. Hintergrund undAnlass der Ausstellung war ein Fachkollo-quium, das am 14./15. Dezember imRahmen des von der Europäischen Kom-mission geförderten Projekts Bernstein –the memory of papers im Hauptstaats-archiv stattfand. Beteiligt an diesem Pro-jekt sind die europäischen Hauptakteureim Bereich der Wasserzeichensammlungund historischen Papierexpertise, ins-gesamt neun Projektpartner aus sechsLändern.

Im Mittelpunkt der Ausstellung ste-hen die Geschichte des Papiers undseine Herstellung im Mittelalter sowie diebesondere Rolle der Wasserzeichen, dieim Hauptstaatsarchiv Stuttgart mit derWasserzeichensammlung Piccard, derweltweit größten ihrer Art, in prominenterWeise präsent sind.

Was ist überhaupt ein Wasserzei-chen? Wer beschäftigt sich damit und fürwelchen Zweck? Solchen und ähnlichenFragen geht die Ausstellung nach. Insechs Kapiteln, die den Bogen spannenvon der Papierherstellung im Mittelalterüber die Welt im Wasserzeichen, die Ver-

breitung der Wasserzeichen und ihreBedeutung für die Handschriftenfor-schung, von bedeutenden Sammlungenbis zur digitalen Präsentation, wird dieVielfalt der Wasserzeichen und ihrer Nut-zungsmöglichkeiten dargestellt. Anhandvon kostbaren Handschriften, zeitgenös-sischen Texten, Karten und Bildern wirddie Kulturgeschichte um das Papier unddamit gleichzeitig die mittelalterliche Weltim Spiegel der Wasserzeichen vermittelt.Die Ausstellungsbesucher können amLeuchttisch auch selbst historischePapiere untersuchen, Wasserzeichenabzeichnen und diese an einer PC-Sta-tion mithilfe der digitalen Wasserzeichen-sammlungen bestimmen – vor allem fürzahlreiche Schulklassen ein spannendesVergnügen.

Kurz zur Geschichte der Wasser-zeichen und ihrer Bedeutung: Wasserzei-chen begegnen beim Kontakt mit Papier.Seit den Anfängen der Papierproduktionin Europa, die wohl noch ins 12. Jahrhun-dert zurückgehen, sind diese Wasserzei-chen oder Papiermarken als Herkunfts-oder Qualitätsmerkmale ins Papier einge-bracht. Sie kennzeichnen damit den Her-stellungsort und Produktionsbetrieb,zunächst also die Papiermühle, wo dasPapier produziert wurde. Modern formu-

liert würde man das Wasserzeichen quasials Label ansprechen können, als Her-kunftsmarke oder Gütelogo. Dabei gebensich die Wasserzeichen im Papier freilichnicht auf den ersten Blick zu erkennen,sondern erst, wenn man das Papiergegen eine Lichtquelle hält. Die bekann-teste aktuelle Verwendung finden Was-serzeichen noch in Banknoten. Sie die-nen auch hier in erster Linie noch zumNachweis der Authentizität und zur Siche-rung vor Fälschung.

Die Ausstellung ist ein Gemein-schaftsprojekt des Landesarchivs Baden-Württemberg und der ÖsterreichischenAkademie der Wissenschaften, Kommis-sion für Schrift- und Buchwesen Wien.Sie ist als Wanderausstellung konzipiertund wird nach der Präsentation in Stutt-gart von März bis Juni 2007 im Schotten-stift in Wien gezeigt. Als weitere Ausstel-lungsstationen sind bei den Partnern desBernstein-Projekts Fabriano und Rom inItalien, Liverpool und Cambridge in Groß-britannien sowie Den Haag und Parisvorgesehen. Daher sind neben derdeutschsprachigen Gestaltung bereitsmehrsprachige Versionen der Ausstellungund des Ausstellungskatalogs in Vorbe-reitung Peter Rückert

Ochsenkopf und MeerjungfrauWasserzeichen des Mittelalters im Hauptstaatsarchiv Stuttgart

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Archivnachrichten 34/2007

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Der Württembergische Geschichts-und Altertumsverein e.V. bot im Novem-ber 2006 einen Workshop über die12. Isonzo-Schlacht (24.– 27. Oktober1917) und ihre militärischen Folgen an.Ziel der in dieser Form erstmals durchge-führten Veranstaltung war es, Vereinsmit-gliedern, die Interesse am wissenschaft-lichen Arbeiten haben, eine Möglichkeitzur Vertiefung ihrer Kenntnisse über dieGeschichte des Ersten Weltkriegs zu bie-ten. Methodisch war der Workshop so

konzipiert, dass die aktive Mitwirkung derTeilnehmer in den Sitzungen in Form vonKurzvorträgen, Quelleninterpretationenund Diskussionen im Mittelpunkt stehensollte. Die Veranstaltung, die von Dr. Wolfgang Mährle (HauptstaatsarchivStuttgart) geleitet wurde, umfasste dreiAbendtermine à 90 Minuten.

Die 12. Isonzo-Schlacht, die in dieGeschichtswissenschaft auch unter derBezeichnung Schlacht bei Caporetto(Karfreit) Eingang gefunden hat, ent-schied den seit 1915 am Isonzo toben-den Krieg zugunsten der Mittelmächteund ermöglichte deren Truppen den Vor-stoß bis zum Piave. An den kriegerischenAuseinandersetzungen im Herbst 1917nahmen im Rahmen der eigens für diesenZweck aufgestellten deutsch-österrei-chisch-ungarischen 14. Armee mehrerewürttembergische Formationen teil. Ein

berühmter Teilnehmer der Schlacht beiCaporetto war der spätere WüstenfuchsErwin Rommel, der 1917 als Oberleutnantdem Württembergischen Gebirgsbataillonangehörte und dessen Abteilung den Vor-marsch der Einheiten der Mittelmächte imFrontabschnitt bei Tolmein maßgeblichmitbestimmte. Rommel hat seine Erfah-rungen an der Isonzo-Front nach demEnde des Ersten Weltkriegs in Vorträgen,vor allem aber in seinem Buch Infanteriegreift an, Erlebnis und Erfahrung (1937)dargestellt und militärwissenschaftlichreflektiert.

Die Ereignisse, die sich an derIsonzo-Front im Herbst 1917 zutrugen, ineinem Workshop zu thematisieren, botsich unter anderem auch deshalb an, weildie Schlacht bei Caporetto trotz dergenannten Publikation Rommels inDeutschland heute aus dem historischenBewusstsein weitgehend verschwundenist. Ganz anders stellt sich dies in Italiendar: Die militärischen Ergebnisse der12. Isonzo-Schlacht bedeuteten nicht nureinen Einschnitt für die italienische Krieg-führung im Ersten Weltkrieg. Die Nieder-lage der italienischen Armee im Herbst1917 zeitigte während des Kriegs, aberauch nach Abschluss der Kampfhandlun-gen erhebliche Wirkungen auf das natio-nale Bewusstsein der Italiener. Caporettowurde für eine breite Öffentlichkeit zumSynonym für militärisches Versagen undSchwäche. Durch diese mentalitätsge-schichtlichen Folgewirkungen in Italienerklärt sich ein im Vergleich zu Deutsch-land bis heute sehr hohes publizistischesund historiografisches Echo der militäri-schen Auseinandersetzungen des Okto-bers/Novembers 1917.

Im Workshop wurde die Schlacht beiCaporetto aus verschiedenen Perspek-tiven beleuchtet. Wichtige Diskussions-gegenstände waren die politischenHintergründe des Eintritts Italiens in denErsten Weltkrieg auf Seiten der Entente,die Ziele der Kriegsparteien sowie derVerlauf des Kriegs an der Alpenfront vorund nach der Offensive der Mittelmächteim Herbst 1917. Des Weiteren wurden diemilitärische Strategie und Taktik der sichgegenüber stehenden Heere in der12. Isonzo-Schlacht analysiert. Im Mittel-punkt des Interesses stand daneben derRommel-Mythos, der zum Teil an dieEreignisse bei Caporetto anknüpfte, sichjedoch vor allem nach dem Ende desZweiten Weltkriegs entfaltete. Mittels desBildervortrags eines Teilnehmers konnteder Schauplatz der Kämpfe am Isonzoanschaulich vor Augen geführt werden.Dabei wurden auch Fragen der aktuellenErinnerungskultur in Deutschland, Slowe-nien und Italien angesprochen.

Wesentliche Impulse für den Verlaufdes Workshops gingen von den Interes-sen der Teilnehmer aus. Der Vortrag desDozenten, die Referate und Diskussions-beiträge der Teilnehmer, die gemeinsameBesprechung publizierter Quellentextesowie die Vorstellung von Archivalien, diein den Magazinen des HauptstaatsarchivsStuttgart verwahrt werden, ergänzten sichzu einem abwechslungsreichen Pro-gramm. Das große Engagement der Teil-nehmer und die lebendigen Gespräche inder Veranstaltung ermutigen dazu, in derZukunft einen Workshop mit ähnlicherdidaktisch-methodischer Gestaltung überein anderes historisches Thema anzubie-ten Wolfgang Mährle

Deutsche Truppen in Santa Lucia d’Isonzo, heute Most na Soci in Slowenien, Herbst1917.Vorlage: Landesarchiv HStAS M 705/2 Bd. 3 Nr. 1701

Mit Erwin Rommel an der AlpenfrontWorkshop im Hauptstaatsarchiv Stuttgart über die 12. Isonzo-Schlacht 1917

Oberleutnant Erwin Rommel, geboren am15. November 1891 in Heidenheim an derBrenz, gestorben am 14. Oktober 1944 inHerrlingen, heute Blaustein, im Dezember1917.Vorlage: Landesarchiv HStAS M 707 Nr. 1253

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10Archivnachrichten 34/2007

Die Stadt Neuenstein veranstaltet inden Sommerferien ein Kinderferienpro-gramm. Kinder, die nicht in Ferien fahrenkönnen, oder solche, die zu den Terminenwieder daheim sind, erhalten Gelegen-heit, zu Hause Unbekanntes kennen zulernen und manches Abenteuer zu erle-ben. Die Stadtverwaltung bittet alleNeuensteiner Institutionen, sich mit klei-nen Veranstaltungen zu beteiligen undkindergerechte Aktionen vorzuschlagen.Die Gesamtorganisation übernimmt dieStadt, sie macht die Termine und Pro-gramme bei den Kindern bekannt, nimmtAnmeldungen entgegen und meldetAdressen und Zahl der Teilnehmer kurzvor dem Termin den beteiligten Institu-tionen.

2006 nahm das Hohenlohe-Zentral-archiv zum zweiten Mal am Kinderferien-programm teil. Am 7. September bot esden Kindern Gelegenheit, das für ihreRegion maßgebliche Archiv im Schloss

Neuenstein zu besuchen und kennenzu-lernen. Das Ereignis stand unter demMotto Wir stöbern im Archiv. Die Kindersollten Gelegenheit haben, die sonstunzugänglichen Räume zu besichtigen,einige schöne Archivalien aus nächsterNähe zu bestaunen und selbst einen Ein-druck davon zu bekommen, was eigent-lich ein Archiv ist. Zwölf Kinder im Alterzwischen zehn und 13 Jahren nutztendiese Gelegenheit. Einige stammten ausden Neuensteiner Teilorten, hatten alsofür die Veranstaltung eigens anfahrenmüssen.

Im Magazin wurde den Kinderngezeigt, wie Archivalien, also Akten,Urkunden, Karten und Bände, sachge-mäß verwahrt werden. Eine kleine Prä-sentation zeigte auch die Folgen falscherLagerung und Altersschäden: stark ver-schmutzte Akten, vom Mäusebiss zer-fressene Urkunden, Tintenfraß und Schä-digungen durch Menschen – hierfür

diente das Beispiel einer aus einem Briefherausgeschnittenen Briefmarke.

Schöne Archivalien gibt es auch ausder Welt der Kinder. Sie interessiertensich durchaus für Fotos vom alten Neu-enstein um 1900, die sie mit der heutigenSituation vergleichen konnten. Das akuratgezeichnete Geometrieheft eines 14-jähri-gen späteren Kirchberger Grafen undnoch mehr das Zeugnis eines Langenbur-ger Fürsten erregten die kindliche Neu-gier. Die Karte vom Schlaraffenland imHomann-Atlas war ebenfalls genau dasRichtige für die Kinder.

Wie schön Schrift sein kann und wases alles an Schriften gibt, war ebenfallsein kindgerechtes Thema. Alte, schöngemalte Initialen aus mittelalterlichenHandschriften wirken auch auf Kinder.Auch wie man in der Barockzeit Groß-buchstaben verzierte, sodass man deneigentlichen Buchstaben vor lauter Ver-zierung gar nicht mehr erkennt, fasziniertdie kleinen Besucher im Archiv.

Der eigentliche Zauber der Schriftbesteht für Kinder jedoch in der Geheim-schrift. Aus den einschlägigen Beständendes Hohenlohe-Zentralarchivs war des-halb ein Brief aus dem 16. Jahrhundertsvorbereitet worden, der in einer Zahlenge-heimschrift verfasst ist. Die Kinder erhiel-ten den Zahlenschlüssel und sollten einenSatz aus dem Brief entziffern. Als Prob-lem erwies sich die damalige Sprache,die für Kinder schwer nachvollziehbar ist.Die Aufgabe war zugegebenermaßennicht leicht, vor allem für die jüngerenKinder, aber alle versuchten sie mit Ernstzu lösen. Am Schluss gab es Lob, einekleine süße Belohnung und vor allem dieAuflösung.

Was eigentlich ein Archiv ist, dasswissen nicht einmal alle Erwachsenen.Aber die zwölf Kinder haben es mit eige-nen Augen gesehen, altes Pergamentselbst angefühlt und mit viel Schweißeine alte Schrift entziffert. Einen halbenUrlaubstag war dies allemal wert PeterSchiffer

Interessiert betrachten die Kinder eine alte Fotografie des Schlosses Neuenstein.Aufnahme: Vanessa Vieser, Bretzfeld

Urlaub im Archiv?Beteiligung des Hohenlohe-Zentralarchivs Neuenstein am Kinderferienprogramm

Die Bedeutung des außerschuli-schen Lernorts Archiv für den Unterrichtsämtlicher Schularten und Klassenstufenist heute allgemein anerkannt. Nichtzuletzt aus diesem Grund bekennen sichdie meisten öffentlichen Archive zurArchivpädagogik als einer ihrer wichtigenAufgaben – allen voran die baden-würt-tembergischen Staatsarchive, die denSchulen ein vielseitiges Angebot anbie-ten. Es reicht von einfachen Archivführun-

gen über interaktive Archiverkundungenbis hin zu intensiver Projektarbeit.

Zwischen dem Archivverbund Main-Tauber und dem Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium Wertheim wurde im Oktober2005 eine intensivierte Zusammenarbeitvereinbart, um den außerschulischenLernort Archiv stärker im Geschichts-unterricht des Gymnasiums zu verankern.Um den nötigen Vorbereitungsaufwandauf beiden Seiten zu minimieren, wurde

als erster Schritt zunächst für (fast) alleJahrgangsstufen ein Thema ausgewählt,zu dem eine Unterrichtseinheit im Archivso vorbereitet wurde, dass sowohl dieLehrer als auch das Archiv diese künftignur noch aus der Schublade ziehen müs-sen. Dadurch, dass die Themen und diedazu ausgewählten Quellen in der Schulebekannt sind, kann zudem der für dieArchivarbeit ideale Zeitpunkt im Verlaufdes Schuljahrs gewählt werden. Der

Lernort Archivverbund Main-TauberEin Themenkanon für die Archivarbeit mit Schülern

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Archivnachrichten 34/2007

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Zusammenhang innerhalb des Lernfort-gangs wird gewahrt.

Die Schüler lernen im Archiv denUmgang mit authentischen Quellen – teil-weise direkt am Original. Neben deninhaltlichen Aspekten lässt sich an diesenOriginaltexten besonders anschaulich derBereich der Quellenkritik – und damitganz allgemein der Medienkritik – erarbei-ten. Ganz nebenbei vollziehen die Schülerso im Kleinen den wissenschaftlichenWeg von unterschiedlichen Quellen zueiner fundierten Aussage nach. DerArchivbesuch führt darüber hinaus anregional- und lokalgeschichtliche Themenheran. Da im Archivverbund Main-Taubermit seinen Verbundpartnern StaatsarchivWertheim, Stadtarchiv Wertheim undArchiv des Main-Tauber-Kreises Unterla-gen der Stadt Wertheim und der Regionvorhanden sind, stehen die Texte derLebenswelt der Schüler nicht nur in Hin-blick auf die örtlichen Gegebenheiten undPersonen, sondern auch auf mancheInhalte nahe, selbst wenn die Archivalienbereits mehrere Jahrhunderte alt sind.Nicht zuletzt hat die Aura des authenti-schen Geschichtszeugnisses eine starkmotivationssteigernde Wirkung, dieallenthalben zu beobachten ist.

Der eigenen Quellenarbeit der Schü-ler ist eine an deren jeweiliges Alter ange-passte Archivführung vorangestellt, in derdie Institution Archiv und die Arbeit derArchivare allgemein und der Archivver-bund Main-Tauber im Besonderen vorge-stellt werden. Breiten Raum nehmen hier-bei Originalquellen unterschiedlicher Artein. Daneben wird auch eine propädeuti-sche Einführung in die Archivarbeit unterden Fragen Wie arbeite ich im Archiv?Wie finde ich zu meinen Quellen? gege-ben (Gesamtdauer rund 45 Minuten).Daran schließt sich die Quellenarbeit derSchüler an. Zu einzelnen Themenkomple-xen werden Arbeitsgruppen gebildet, indenen die Schüler jeweils unterschiedli-che Quellen bearbeiten, deren Ergebnissesie anschließend in Gruppenarbeit zu-sammentragen. Kurze Informationen zuden jeweiligen Themenkomplexen undTexten durch das Archivpersonal, dasauch für weitere Rückfragen jederzeit zurVerfügung steht, erleichtern den Einstieg(Gesamtdauer rund 45 Minuten).Abschließend stellen die Arbeitsgruppenihre Ergebnisse dem Rest der Klasse vor,idealerweise am Overheadprojektor (rund30 Minuten). Eine Schlussdiskussionbeschließt den Archivbesuch (rund 15Minuten). Insgesamt dauert somit eineUnterrichtseinheit im Archiv rund 21/2Stunden.

Dem Leseproblem wird dadurchbegegnet, dass möglichst Druckschriftenoder – für das 20. Jahrhundert – maschi-nenschriftliche Quellen ausgewählt wur-den. Stehen sinnvollerweise nur hand-schriftliche Archivalien zur Verfügung,wurden diese für die Quellenarbeit tran-

skribiert, wobei die Schüler durchauszuerst mit den Handschriften konfrontiertund erst nach einer kurzen Bearbeitungs-zeit durch die Transkriptionen erlöst wer-den.

Folgende Themen wurden für denQuellenkanon herausgesucht: 6. Klasse(G8): Mittelalter (mit Schwerpunkt Leib-eigenschaft); 8. Klasse (G8): Revolution1848/1849 in Wertheim; 9. Klasse (G8):Nationalsozialismus – Judenverfolgung inWertheim; 11. Klasse (G8): Widerstand imNationalsozialismus – Der WertheimerStadtpfarrer Karl Bär (1880 –1968); 12. Klasse (G8): Migration – Ansiedlung

von Flüchtlingen auf dem Reinhardshof inWertheim nach dem Zweiten Weltkrieg.

Mittlerweile wurden die Unterrichts-einheiten auch für andere Schulen undSchularten eingesetzt. Bei zunehmenderErfahrung soll dieser Themen- und Quel-lenkanon erweitert werden. Weitere Infor-mationen einschließlich einer genauenÜbersicht über die bisher ausgewähltenArchivalien können gerne im Archivver-bund angefordert werden: Bronnbach 19,97877 Wertheim, Telefon 0 93 42/915 92-0,Telefax 0 93 42/915 92-30, E-Mail: [email protected] Monika Schaupp

Schreiben des Erzbischöflichen Ordinariats Freiburg an Stadtpfarrer Karl Bär inWertheim vom 12. Juli 1934 als Beispiel für den Widerstand in der NS-Zeit.Vorlage: Landesarchiv StAW S N 20 Nr. 5

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Das Generallandesarchiv Karlsruheführte zusammen mit dem ArbeitskreisHeimatpflege im Regierungsbezirk Karls-ruhe einen eintägigen Workshop zurEinführung in die Archivarbeit durch. Zielwar es, potenziellen Erstnutzern dieBesonderheiten der archivischen Re-cherchearbeiten sowie die Nutzungsbe-dingungen im Archiv vorzustellen. DerZuspruch auf den vom Arbeitskreis Hei-matpflege versandten Flyer war über-wältigend. Von den 50 Anmeldungenkonnten nur 30 aus Platzgründen berück-sichtigt werden. Die Teilnehmer rekrutier-ten sich aus Vereinen und Arbeitsgruppenmit historischer Ausrichtung aus demgesamten Regierungsbezirk.

Am Vormittag wurde besprochen,wie neue Archivnutzer vor dem Beginnder eigentlichen Archivarbeit erste Infor-mationen einholen können. Dabei wurdendie einschlägigen Internetseiten des Lan-desarchivs Baden-Württemberg aberauch des Bundesarchivs sowie vonStadt- und Kreisarchiven vorgestellt. Falt-blätter einzelner Archive sowie traditionel-le gedruckte Archivführer bieten gleich-falls erste Einstiegshilfen und informierenüber wichtige Daten und Fakten wie zum

Beispiel Öffnungszeiten, Nutzungsmög-lichkeiten und Beständeprofil.

Ein zweites Modul stellte Suchstrate-gien im Archiv vor. Anders als bei Biblio-theken oder im Internet kommt man imArchiv mit einer Google-orientiertenSuchstrategie nicht sehr weit. Die vordem Archivbesuch zu stellenden Fragenlauten: Bei welchen Behörden, sonstigenEinrichtungen und Registraturbildnernsind Unterlagen zu meinem Thema ent-standen? Welches Archiv verwahrt dieeinschlägigen Unterlagen? Hier wurdedann auch das im Archiv geltende Prove-nienzprinzip erläutert. Denn in der Regelkommen für jedes einzelne Forschungs-vorhaben mehrere Archive unterschied-licher Träger infrage. Dieses Modulendete mit der Erläuterung eines Muster-schreibens an das Archiv. Eine gut for-mulierte Anfrage bietet dem Archivar dieMöglichkeit, dem potenziellen Nutzerbestmögliche Informationen zukommenzu lassen. So können zeitraubende Irr-wege bei der Recherche vermieden wer-den.

Nachmittags wurde dann der Aufent-halt im Archiv selbst konkretisiert. Detail-liert wurden die Landesarchivbenutzungs-

ordnung und die Lesesaalordnungbesprochen. Aber auch Fragen zu Re-produktionsmöglichkeiten wurdenthematisiert. Im theoretischen Teil derVeranstaltung wurden abschließend dieverschiedenen Sperr- und Schutzfristenvorgestellt: Was für Sperr- und Schutz-fristen gibt es? Welche dieser Fristenkönnen verkürzt werden und unter wel-chen Voraussetzungen? Was ist perso-nenbezogenes Archivgut? Was ist unterden schutzwürdigen Belangen Dritter zuverstehen?

Den Abschluss der überaus gelunge-nen Veranstaltung bildete ein Rundgangdurch den Lesesaal, das Magazin undden Findmittelraum des Generallandes-archivs Karlsruhe. Voller Tatendrangwaren die Workshopbesucher schon imFindmittelraum nicht mehr zu bremsenund versuchten, durch das Seminar gutvorbereitet, bereits erste Informationen zuihrem Forschungsthema einzuholen.Nach Abschluss der erfolgreichen Veran-staltung war allen klar, dass dieserWorkshop auch aufgrund der hohen Zahlder bislang nicht berücksichtigten Inte-ressenten unbedingt wiederholt werdensoll Jürgen Treffeisen

Archive nutzen – aber wie?Workshop im Generallandesarchiv Karlsruhe

Das Ludwigsburger Institut hat imvergangenen Jahr drei ungewöhnlicheRestaurierungsprojekte für Einrichtungendes Landesrestaurierungsprogrammsdurchgeführt, die im Folgenden doku-mentiert werden sollen. Sie können unterdem Obertitel Erhaltung der naturkund-lichen und technischen Überlieferungzusammengefasst werden.

Die Restaurierung derdreiteiligen Rheinstromkartevon 1590

Puzzlearbeit an zwölf Meter langerHandzeichnung auf Leinengewebe

Eine besondere Herausforderung fürdie Kartenrestaurierung des Instituts fürErhaltung von Archiv- und Bibliotheksgutwar 2006 die Sicherung und Restaurie-rung der Kurpfälzischen Rheinstromkarte.Sie gehört zu den wertvollsten Objektenim Generallandesarchiv Karlsruhe. Dochwas macht ihre Besonderheit aus?

Sie zeigt das Leben am und auf demFluss um 1590. Dargestellt ist der Ab-schnitt zwischen Beinheim und Philipps-burg. Die zwölf Meter lange farbige Kartezeigt sehr anschaulich die einzelnen Ort-schaften und den noch urwüchsigen

Stromverlauf mit seinen vielen kleinenInseln. Einzelne Schiffchen deuten aufden Broterwerb der Anrainer als Fischerhin.

Aufgrund ihrer Länge wurde dieKarte vermutlich schon sehr früh in drei

gleich lange Teile zerlegt. Das Papier istauf teilweise sehr grobes Gewebegeklebt. Papier als sehr feinfaseriges,homogenes Material und der im Lauf derZeit schwächer werdende Klebstoff konn-ten sich den Alterungsprozessen des

Aus der Arbeit des Instituts für Erhaltung von Archiv- und Bibliotheksgut

Die dreiteilige Kurpfälzische Rheinstromkarte von Beinheim, Dép. Bas-Rhin, bisPhilippsburg, um 1590.Vorlage: Landesarchiv GLAK H/Rheinstrom/19, 24, 27

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Gewebes nicht entgegenstellen. Span-nungen zwischen Leinen und Papier führ-ten zum Abplatzen vieler Farbbereiche,die nun unwiederbringlich verloren sind.

Buchbinder und Restauratoren ver-gangener Zeiten hatten die losen Berei-che, denen besondere Gefahr drohte, mitneuem Gewebe hinterlegt. UnzähligeGewebeflicken und angesetzte Stückezeigen diese Festigungsversuche von derRückseite sehr deutlich.

Für das Institut stellte sich die Auf-gabe, die vielen kleinen Absplitterungenauf der Vorderseite zu festigen sowie loseSchollen und aufgespaltene Ränderniederzulegen. Mit einem hauchdünnenJapanpapier, Weizenstärkekleister undeinem feinen Pinsel wurde die Oberflächestückweise gefestigt. Auf der Rückseitezeigte sich eine ausgefranste, auflösendeGewebekante. Mit kleinen Japanpapier-streifen wurden alle Kanten der drei Bah-nen eingefasst. Diese mühevolle Klein-arbeit zog sich über einen längerenZeitraum hin.

Die drei fertig restaurierten Teile wer-den jeweils gerollt aufbewahrt. Bei häufi-ger Nutzung besteht die Gefahr eineserneuten Abplatzens durch die flexibleBewegung des Gewebes. Um ein Abrei-ben der aufeinanderliegenden Farb-schichten zu vermeiden, wird ein fasttransparentes Polyestergewebe alsZwischenlage miteingerollt. Als weitereSchutzmaßnahme folgte die Verfilmung,um eine Nutzung ohne Inanspruchnahmedes Originals zu ermöglichen.

Die alten holzhaltigen Rollkerne undihre Verpackungen wurden durch neuesäurefreie Kerne und Boxen ausge-tauscht. Der alte Vater Rhein kann so inseinem neuen Bett sicher ruhenCornelia Bandow

Wie viel Schnee fiel im Februar1789?

Vom Tintenfraß bedrohteKlimaaufzeichnungen gerettet

Hinter dem unscheinbaren TitelMeteorologische Beobachtungen/bear-beitet von Philipp Stieffel vermutet derRestaurator zunächst nichts Aufregendes.Auch auf den zweiten Blick enthalten diezwölf Mappen aus verschlissenemschwarzem Einbandmaterial gewöhnlicheAktenblätter aus minder gutem Hadern-oder Zellstoffpapier. Es bedarf schoneines Hinweises, um zu erfassen, worumes hier geht:

Hinter der Signatur HS 21 der Uni-versitätsbibliothek Karlsruhe verbergensich sehr frühe, methodisch ermittelteWetterdaten des heutigen Instituts fürMeteorologie und Klimaforschung. Diezur Restaurierung eingereichten Nieder-schriften beginnen im Jahr 1788 undreichen bis 1852. Die Bearbeitung von

Philipp Stieffel stellt den Beginn einerwissenschaftlichen Wetterbeobachtungdar. Karlsruhe kann mit einer inzwischenüber 200 Jahre umfassenden Messreiheeine der längsten Reihen dieser Art inDeutschland vorweisen. Die zwölf Map-pen enthalten Klimadaten über vieleJahre hinweg für jeweils einen Monat.Jede Mappe ist unterteilt in neun Faszikelmit Messdaten auf losen Blättern. Darauslassen sich zum Beispiel klimatische Ver-änderungen quer durch alle Jahre aufzei-gen. Die Entwicklung der Meteorologiewar wissenschaftlich eng mit der Ent-wicklung der Messtechnik (im 18. Jahr-

hundert) verbunden. Diese Verknüpfungerklärt vielleicht auch, warum die Einträgehandschriftlich erfolgten, obwohl teilweiseVordrucke für mechanische Messschrei-ber (Baro-, Thermo-, Hygrograph) ver-wendet wurden. Sie dienten wohl einfachals praktische tabellarische Vorlage zurÜbertragung und Auswertung frühererDaten.

Aus restauratorischer Sicht ist dieBearbeitung eher eine Routinemaß-nahme. Zuerst werden alle Blätter schutz-verfilmt. Die Verfilmung noch vor einerTrockenreinigung ist angebracht, weildiese Maßnahme Information sichert.

Von Philipp Stieffel übertragene früheste Aufzeichnungen aus seinen meteorologischenBeobachtungen, 1788.Vorlage: Universitätsbibliothek Karlsruhe HS 21 (Abbildung mit deren freundlicherGenehmigung)

Beginnender Tintenfraß auf einem Vordruck für mechanische Messschreiber aus denvon Philipp Stieffel bearbeiteten meteorologischen Beobachtungen.Vorlage: Universitätsbibliothek Karlsruhe HS 21 (Abbildung mit deren freundlicherGenehmigung)

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14Archivnachrichten 34/2007

Etwa ein Sechstel des Umfangs einerMappe sind Blätter mit unzähligen aufge-klebten handschriftlichen Datenstreifenaus Papier, die abzufallen drohten. Siewaren nur schwach mit Stärkekleber aneinem Ende befestigt, der Klebstoff durchAlterung mürbe geworden. Ihre Hand-habung erfordert besondere Vorsicht,damit nichts verrutscht und durcheinan-der gerät. Lose Streifen wurden spätermit einem einfachen Trick in ihrer Positionfestgehalten, damit sie in Serie nachge-klebt werden konnten. Dies erspart großeMühsal.

Oberste Priorität gilt der Behandlungdes Tintenfraßes. Viele Blätter zeigtendeutliche Anzeichen (Stadium I und II,nach Reißland) dieser Papier zerstören-den Reaktion. Dabei wird unter anderemder Tintenstrich auf der Blattrückseitesichtbar. Tintenfraß wird in diesem Fallam sichersten durch eine sorgfältigeNassbehandlung gestoppt. Dabei durch-laufen alle Papiere mehrere Bäder. Zuerstvollentsalztes Wasser zur Vorreinigung,dann ein Bad mit Calciumphytat, dasschädliche freie Eisenionen komplexiert,und schließlich ein Bad, in dem dasPapier mit einer ordentlichen alkalischenReserve ausgestattet wird. Abschließendwerden alle Blätter in einem Bad ausMethylcellulose nachgeleimt. Der pH-Wert hat sich nun deutlich verbessert. Erstieg von pH 4,0 auf 6,0 – das heißt, dieAktenblätter sind gut für die Zukunftgerüstet, und die könnte nicht nur klima-tisch, sondern auch im Archiv stürmischwerden: Im Zusammenhang mit der Ver-änderung des globalen Klimas gewinnenfrühe Aufzeichnungen von Wetterdatenimmer mehr an Interesse. Sie geben aucheinen Einblick in die historische Entwick-lung der Wettervorhersage. Gründegenug für eine steigende Nutzung dieserUnterlagen – nicht nur von wissenschaft-

licher Seite – über das SchutzmediumMikrofilm. Die zwölf schwarzen Kladdenkönnen nun in guter konservatorischerVerpackung bei geeignetem, möglichstkonstantem Magazinklima ohne Gefahrvon Nutzungsschäden auf Dauer erhaltenwerden Andreas Kieffer

Jugendstil-Prachturkunde zuEhren eines Gastechnologenrestauriert

Fixierung abblätternder Farbschichten auf Pergament aus dem Nachlass Hans Bunte

Im Jahr 2007 feiert das Engler-Bunte-Institut der Universität Karlsruhesein 100-jähriges Gründungsjubiläum. Esvertritt das Fachgebiet Chemie und Tech-nik fossiler und erneuerbarer Brennstoffe.Einer seiner Namensgeber, Hans Bunte(1848 –1925), war von 1887 bis 1919 Pro-fessor für Chemie an der damaligen Tech-nischen Hochschule und ein Pionier deröffentlichen Gasversorgung Deutsch-lands. Das Universitätsarchiv Karlsruheverwahrt seinen Nachlass, der einigereich dekorierte Prachturkunden enthält,so auch die Urkunde zur Ehrenmitglied-schaft im Bayerischen Verein von Gas-und Wasserfachmännern, die Bunte 1910verliehen wurde. Dieser High-Tech-Ver-band des frühen 20. Jahrhunderts gestal-tete die Auszeichnung mithilfe mittelalter-licher Technologien, nämlich mit feinenTusche-Illuminationen auf Pergament. Siezeigen das Karlsruher Gasinstitut um-rahmt von zwei steinernen Brunnen mitWasserfontänen.

Selten erhalten die Pergamentspe-zialisten im Institut für Erhaltung vonArchiv- und Bibliotheksgut ein so jungesObjekt zur Bearbeitung. Die Urkunde ist

zwar nicht einmal 100 Jahre alt, ihre Sub-stanz war allerdings in Gefahr: Die rost-rote Farbschicht des Hintergrunds löstesich zum Teil pudernd, zum Teil in ganzenSchollen vom Untergrund ab. Es warenschon etliche Fehlstellen vorhanden, fürden Farbauftrag war wenig Bindemittelverwendet worden. Angrenzende Seiden-und Zwischenlagenblätter hatten bereitsdie rote Farbe angenommen. Schon beileichter Berührung mit der Pinselspitzeblieben Farbpartikel hängen.

Ziel der Restaurierung war es, ganz-flächig in Feinstverteilung ein Fixiermittelsowohl für die abblätternden als auch fürdie abpudernden Farbschichten aufzu-bringen. Die Schwierigkeit besteht darin,die Oberfläche der Miniatur dabei sowenig wie möglich zu verändern, insbe-sondere Glanzeffekte zu verhindern. AlsFixiermittel eignet sich wegen guter Flexi-bilität, gutem Alterungsverhalten undgeringen Reaktionen bei Feuchtigkeits-schwankungen sehr gut Methylcellulose,ein halbsynthetischer Klebstoff. Zuerstmussten die aufklaffenden Farbscholleneinzeln durch Pinseltupfer am Schollen-rand mit dem Konsolidierungsmittelniedergelegt werden. Nach der Sicherungaller lockeren Schollen wurde das in Was-ser gelöste Fixiermittel dann in feinsterVernebelung als Aerosol ganzflächig auf-gebracht. Hierfür wurde ein mit Ultra-schall betriebener Generator verwendet,ein Gerät, das an der Staatlichen Akade-mie der Bildenden Künste Stuttgart spe-ziell für die Restaurierung entwickeltwurde.

Nach dreifachem Auftrag ergab sichkein Pinselabrieb mehr, und auch bei derBerührung mit Papier blieb die Farbepraktisch wischfest. Ein besonders glat-tes Zwischenlagenblatt aus japanischenGampifasern bildet nun einen zusätz-lichen Schutz für diese Prachturkunde.Die Bayerischen Gas- und Wasserfach-männer wären sicher erfreut, dass dieDokumente ihres Verbands mithilfemoderner (Gas/Wasser-)Technologie aufDauer erhalten werden können BeateDegen

In Schollen aufgeworfene Farbschichten der Aquarellzeichnung auf Pergament, Aus-schnitt aus der Prachturkunde zur Ehrenmitgliedschaft des Chemikers Professor Dr. Hans Bunte, geboren am 25. Dezember 1848 in Wunsiedel, gestorben am 17. Au-gust 1925 in Karlsruhe, im Bayerischen Verein von Gas- und Wasserfachmännern, 1910.Vorlage: Universitätsarchiv Karlsruhe 27055 (Abbildung mit dessen freundlicher Geneh-migung)

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Archivnachrichten 34/2007

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Handgezeichnete Karten und Pläneder vergangenen Jahrhunderte erfreuensich bei Archivarinnen und Archivarenstets großer Beliebtheit. Geschichte aufeinen Blick kann mit ihnen auf einfachsteWeise in Ausstellungen und Führungenvermittelt werden. Die ästhetischenObjekte haben aber auch ihre Schatten-seiten. Verblassende Farben, verformteLeinenkaschierungen oder durch Faltun-gen hervorgerufene Risse und Fehlstellentrüben die Freude am Umgang mit denwertvollen historischen Dokumenten. Beider Nutzung und Lagerung sind daherbesonders strenge konservatorischeMaßstäbe anzulegen. Dies gilt um so mehr, wenn es sich um überformatigeKarten und Pläne handelt, die in her-kömmlichen Planschränken nicht ohneFaltung unterzubringen sind. Die vor eini-gen Jahren im Staatsarchiv Sigmaringenabgeschlossene Verfilmung der Kartenauf Farbmakrofiches hat die Situation imBereich der Nutzung immerhin deutlichentschärfen können. Eine konservatorischbefriedigende Lagerung der überformati-gen Karten war damit aber nicht erreicht.Noch immer mussten die Objekte ingefaltetem Zustand in die Schrankschub-laden gelegt werden.

Nur mit einem entsprechend dimen-sionierten Kartenschrank war diesemProblem beizukommen. Bei der Beschaf-fungsplanung waren allerdings nicht nur

die begrenzten räumlichen Verhältnissedes im schrägwandigen Dachgeschossdes Staatsarchivs untergebrachten Kar-tenmagazins zu berücksichtigen, sondernauch die teilweise sehr beengten Zu-gangswege im Gebäude, die die Trans-portmöglichkeit großer Schrankelementezum vorgesehenen Aufstellort bedenklicheinschränkten. Zudem sollte aus konser-vatorischen und Brandschutzgründen aufSchweißarbeiten im Kartenmagazin unbe-dingt verzichtet werden. Wegen ihrerBauart konnten deshalb die meisten dervon renommierten Fachfirmen angebote-nen Schrankmodelle, seien sie nun ausStahl oder Aluminium, keine Berücksichti-gung finden.

Eine Lösung wurde schließlich miteinem in Leichtbauweise konstruiertenModell aus Aluminiumrahmen gefunden,das vorwiegend im Museumsbereich fürdie Verwahrung textiler Objekte einge-setzt wird. Der Clou bei diesem Systemsind sogenannte Tablare, die aus ver-schraubten Aluminiumrahmen bestehenund als Boden statt einer festen Metall-oder Kunststoffplatte lediglich einen reiß-festen Polyesterstoff haben. Die auf derUnterseite über angeschraubte Querstäbeversteiften und gespannten Tablare wer-den auf Gleitschienen wie Schubladen indas Schrankgehäuse eingeschoben. DasSchrankgehäuse selbst besteht ebenfallsaus Aluminiumrahmen und Aluminium-

Kunststoffplatten und ist an der Frontsei-te durch einen Stoffbezug mit Klettver-schluss verschlossen.

Nach zwei Montagetagen war dasGroßmöbel im Kartenmagazin desStaatsarchivs aufgestellt. Bei den Innen-maßen 3254 x 2454 Millimeter konntennun sämtliche 58 überformatigen Karten,die für den Schrank vorgesehen waren,bequem und faltenfrei gelagert werden.Dabei war ein von der Herstellerfirmaangefertigter Legeplan, der auf derGrundlage der genauen Abmessungender einzelnen Karten EDV-gestützt erstelltwurde, sehr hilfreich. Die Kapazität desSchranks konnte auf diese Weise optimalausgenutzt werden.

Die Handhabung der Tablare istwegen des geringen Eigengewichts sehreinfach und bietet den besonderen Vor-zug, dass ein Tablar mit nur zwei Perso-nen vollständig aus dem Schrank heraus-genommen und auf einen Kartentischgelegt werden kann. Die Betrachtungselbst der größten Karten ist somit ohnejegliche Berührung möglich. Bedenktman, dass der neue Schrank auch preis-lich zum Teil sehr deutlich unter den Ver-gleichsangeboten geblieben ist, hat dieBestandserhaltung im Staatsarchiv Sig-maringen gleich doppelt gewonnenFranz-Josef Ziwes

Leichtbauweise für schwer handhabbare Brocken

Neuer Planschrank für großformatige historische Karten im Staatsarchiv Sigmaringen

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Eine bemerkenswerte Entdeckungwurde Ende 2005 im HauptstaatsarchivStuttgart bei Verzeichnungsarbeitengemacht: Im Bestand H 52 BemalteUrkunden, einer Zusammenstellung vonilluminierten Urkunden verschiedenenUrsprungs, konnte eine Urkunde als Ablassurkunde mehrerer namentlichgenannter Kardinäle für eine Nikolaus-Kapelle in Kaunas, Diözese Wilna (Li-tauen), aus dem Jahr 1493 identifiziertwerden. Dem Referendar Axel Metz, derim Rahmen seiner praktischen Ausbil-dung im Hauptstaatsarchiv mit der Ver-zeichnung betraut war, ließ die Fragekeine Ruhe, wie die sowohl von ihrerGröße als auch ihrer Gestaltung beindru-ckende Urkunde mit insgesamt siebenSiegeln von Litauen nach Württemberggekommen war, und begann den Weg zurekonstruieren. Einen ersten Hinweis lie-ferte ein Zettel, welcher der Urkundebeilag, mit der Angabe: Gabe von derLandesbibliothek. Anhand der Registra-turakten des Hauptstaatsarchivs ließ sichdiese Spur weiterverfolgen. In einem indie Akten eingegangenen Schreiben derWürttembergischen Landesbibliothek andas Hauptstaatsarchiv, datiert vom19. September 1945, heißt es: Die beige-fügte Urkunde aus dem Kloster Carina (?),Diözese Wilna vom Jahr 1493 wurde nachder Besetzung in dem damals nahezu ver-lassenen Gebäude der Landesbibliothekaufgefunden und wird dem Hauptstaats-archiv übersandt. 5 Siegel anhängend, 1lose. Das mit Hoffmann – dem damaligenLeiter der Landesbibliothek – unterzeich-nete Schreiben wurde am nächsten Tagregistriert. Im Hauptstaatsarchiv sollte dieUrkunde zunächst dem Bestand A 118Beziehungen Württembergs zu Auswärti-gen: Polen zugeordnet werden; da aberoffensichtlich war, dass sie in keinemHerkunftszusammenhang stand, wurdesie den Bemalten Urkunden zugeschla-gen – wo sie nun 60 Jahre ruhte. Alssicher kann man wohl annehmen, dassdie Urkunde weder zum Altbestand derLandesbibliothek noch des Hauptstaats-archivs gehörte, zumal ein Vermerk aufder Urkunde eindeutig festhält, dass sieam 20. Januar 1719 noch im Benediktine-rinnenkloster in Kaunas verwahrt wurde.Eher zu vermuten ist, dass sie erst 1945in dem zerstörten Gebäude der Landes-bibliothek entdeckt wurde – und dass siewohl kaum auf einem normalen Weg indie Landesbibliothek gekommen ist. Soist davon auszugehen, dass die Ablass-

urkunde erst im Zweiten Weltkrieg oder in den unmittelbaren Nachkriegswirren indie Landesbibliothek und von dort ebenin das Hauptstaatsarchiv gelangt ist.

Da es sich demnach um kriegsbe-dingt verlagertes Kulturgut handelt, wardas Hauptstaatsarchiv gerne bereit, dasArchivale an das Herkunftsland zurückzu-geben. Das Landesarchiv informierte ent-sprechend das Bundesarchiv und batdarum, die Urkunde bei gegebenemAnlass in Verhandlungen über die Rück-gabe von verlagertem Kulturgut einzube-ziehen.

Im Januar 2007 war es dann soweit:Der Präsident des Bundesarchivs, Profes-sor Dr. Hartmut Weber, reiste nach Vil-nius, im Gepäck die Ablassurkunde ausdem Hauptstaatsarchiv. Bei den Gesprä-chen über eine engere Kooperation imeuropäischen Rahmen spielte die Urkun-de, wie er nach seiner Rückkehr berich-tete, eine unerwartet große Rolle. Derstellvertretende Generaldirektor der staat-lichen Archivverwaltung Litauens, Vikto-

ras Domarkas, hatte eine feierliche Zere-monie vorbereitet, zu der er Presse, Fern-sehen und Kollegenschaft eingeladenhatte. Es stellte sich nämlich heraus,dass die unerwartete Rückgabe derUrkunde eine große Bedeutung für dasZentrale Historische Staatsarchiv in Vil-nius besitzt. Sie gehört jetzt zu den ältes-ten Urkunden im Staatsarchiv, und sieerlaubt, die bisherige Erstnennung derSt.-Nikolaus-Kirche in Kaunas um zweiJahre – von 1495 auf 1493 – nach vornezu datieren. Aber nicht nur aus histori-scher, sondern auch aus politischer Sichtwar die Rückführung von Bedeutung. Fürdie litauischen Kollegen war sie nämlichgleichzeitig ein Signal nach Moskau,wurde doch die bedeutende ältere Über-lieferung Litauens während der Zugehö-rigkeit Litauens zur Sowjetunion in dasheutige Historische Staatsarchiv der Rus-sischen Föderation in St. Petersburggebracht – ohne dass bislang eine Bereit-schaft zur Rückgabe zu erkennen istNicole Bickhoff

Ablassurkunde für die Nikolauskapelle in Kaunas, Litauen, 1493.Vorlage: Staatsarchiv Vilnius

Hauptstaatsarchiv gibt kriegsbedingt verlagertes Archivgut zurückAblassurkunde aus Litauen befindet sich wieder an seinem Ursprungsort

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Spätestens seit der Landesausstel-lung Das Königreich Württemberg 1806 –1918 mit ihren vielen Begleitpublikationenkönnte man den Eindruck gewinnen,dass nun alle für die Geschichte desKönigsreichs und der Mitglieder seinerHerrscherdynastie relevanten Quellenbekannt sind. Dass aber auch heutzutagenoch faszinierende Dokumente neu ans Licht kommen können, zeigt eineNeuerwerbung des HauptstaatsarchivsStuttgart.

Die Geschichte beginnt mit einerrussischen Zarentochter, Olga Nikola-jewna, die sich während einer Italienreisemit dem württembergischen Thronfolger,Kronprinz Karl, verlobte. Nach ihrer Heiratund Übersiedlung nach Stuttgart wolltesie natürlich an der engen Beziehung zuihrer Familie festhalten, was damals hieß:eine dichte Korrespondenz führen.

Die Briefe Olgas – an die Mutter,eine geborene Charlotte Prinzessin vonPreußen, und die Geschwister gerichtet –

wurden am Zarenhof in St. Peterburgsorgsam verwahrt und von Generation zuGeneration weitergegeben: Zar Alexan-der II. (1818 –1881), ein Bruder Königin

Olgas, vererbte sie wohl seiner TochterMaria Alexandrovna (1853 –1920), dieeinen Prinzen von Sachsen-Coburg undGotha heiratete. Deren Tochter VictoriaMelita (1876 –1936) heiratete wieder nachRussland, ihre Tochter Maria Kirillovna(1907 –1951) kam jedoch durch eine Hei-rat mit Fürst Friedrich Karl zu Leiningenzurück nach Süddeutschland.

Vor einigen Jahren erwarb ein Mitar-beiter des Museums der Stadt Miltenbergam Main auf einem Flohmarkt einenPacken mit rund 80 Briefen: äußerst reiz-voll, da mit verschiedenen farbigen Brief-köpfen versehen, jedoch fast unleserlich,da auf französisch in einer sehr verschlif-fenen Schrift geschrieben.

Man fand heraus, dass die Absende-rin der Briefe wohl im württembergischenKönigshaus zu suchen und Olly, wie dieBriefe unterzeichnet sind, mit KöniginOlga gleichzusetzen sei. Unterstützt vonpersönlichen Beziehungen zum Haupt-staatsarchiv, wo das Hausarchiv der

Könige von Württemberg verwahrt wird,wurden die Briefe nach Stuttgart ver-mittelt. Hier fiel eine schnelle Entschei-

dung und für den Ankauf wurden Geld-mittel bereitgestellt.

Die Briefe sind inzwischen archivge-recht verpackt und verzeichnet, das heißtsie wurden dem Bestand G 314 KöniginOlga als Büschel 11 angefügt.

Bei den Briefen handelt es sich umreine Privatschreiben der Zarentochter,Kronprinzessin und Königin Olga. ZweiBriefe stammen noch aus Russland, vonder 16-jährigen Olga aus der Sommer-residenz der Zarenfamilie in ZarskojeSelo, die übrigen aus ihrer Zeit am würt-tembergischen Königshof, jedoch nichtalle aus Stuttgart, sondern auch von Rei-sen, die sie zusammen mit ihrem Ehe-mann Karl unternahm, zum Beispiel ausLondon und Torquay.

Eingeleitet werden die Briefe meistmit Informationen über den eigenenGesundheitszustand: J’ai depuis deuxjours … un rhume formidable avec mal detête – seit zwei Tagen hat sie einenSchnupfen und Kopfschmerzen. Olgalässt ihre Familie teilhaben an ihremLeben am Stuttgarter Hof, indem sie ihreBesucher charakterisiert: Aujourd’huiMarie Taubenheim avec le Sturmfeder ontpassé une heure à bavarder, cela m’amu-se car je n’ai pas besoin de les faire par-ler, cela va de soi même – zwei angeneh-me Gesellschafter aus ihrer Umgebung,da sie nicht unterhalten werden müssen,sondern eine Stunde lang geplauderthaben. Natürlich erzählt sie auch vonihrer angeheirateten Familie: Charles m’alu un peu hier, mais ce n’est pas sa pas-sion, ihr Ehemann Karl liest ihr also mitwenig Begeisterung vor, während einGespräch mit ihrem Schwiegervater sieeher ermüdet: Cela me fatigue de parlerau Roi qui est sourd … – da der Königtaub sei. Aber auch aktuelle politischeEreignisse werden angesprochen wie dieUnruhen im Frühjahr 1848, zu denen dieKronprinzessin durchaus ihre eigene Mei-nung wiedergibt: Je pense que le rétablis-sement de l’ancien empire serait … lemieux – sie hält also die Wiedererrichtungdes Deutschen Reichs für die besteLösung. Am umfangreichsten dokumen-tiert sind die Jahre 1848 (17 Briefe) und1853 (50 – 60 Briefe).

Nur wenige Briefe sind auf einfa-chem Schreibpapier verfasst. Die meistenBriefbögen sind aufwendig gestaltet: Esgibt Schäferszenen, Blumen und Vögeloder Ornamente unter Verwendung desWochentagnamens. Die weitaus größteSerie zeigt jedoch Zeichnungen vonPalästen und Pavillons der Sommerresi-denzen der Zarenfamilie. Dieses Briefpa-pier, mit rund 25 unterschiedlichen hand-kolorierten Motiven, das Olga zumindest1848 und 1853 benutzte, stammt wohlvon ihrer Familie aus St. Petersburg. Undanscheinend verwendete sie es gerne,um Nachrichten aus dem Schwäbischennach Russland zu senden ReginaKeyler

Brief von Olga Nikolajewna Romanowa, der späteren Königin Olga von Württemberg,geboren am 11. September 1822 in St. Petersburg, gestorben am 30. Oktober 1892 inFriedrichshafen, mit der Ansicht der Sommeresidenz Pawlowsk bei St. Petersburg.Vorlage: Landesarchiv HStAS G 314 Bü. 11 Nr. 2

Briefe der Königin OlgaEin Kleinod der russisch-württembergischen Beziehungen

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Deutschland – ein Sommermärchen– mit diesem Slogan wird in Sönke Wort-manns Dokumentarfilm die Freude undBegeisterung, die die deutsche Fußball-nationalmannschaft bei der Fußball-Welt-meisterschaft im eigenen Land ausgelösthat, charakterisiert. Absoluter Höhepunktfür Baden-Württemberg war das Spiel umden dritten Platz in Stuttgart. Zehntau-sende jubelnder Fans erlebten im Stutt-garter Gottlieb-Daimler-Stadion den 3:1-Sieg der deutschen Elf über Portugal.Damit dieses Sommermärchen in Stutt-gart überhaupt stattfinden konnte,musste eine für die Weltmeisterschaftgeeignete Spielstätte vorhanden sein.Das war mit dem auf dem CannstatterWasen gelegenen Gottlieb-Daimler-Sta-dion, das zuvor jahrzehntelang denNamen Neckarstadion trug, gegeben.

Bereits im Jahr 1919 wurde auf demGelände des Cannstatter Wasens eingroß angelegter Sportplatz gebaut. Erdiente dem VfB Stuttgart bis zur Eröff-nung des 1936 gebauten Neckarstadionsals Heimspielstätte. Anlässlich der Erstel-lung der neuen Sportplatzanlage gab derVerein 1919 eine Denkschrift heraus, diebei Verzeichnungsarbeiten im Staatsar-chiv Ludwigsburg pünktlich zur Weltmeis-terschaft an völlig unerwarteter Stellezutage gefördert werden konnte. Die achtSeiten umfassende, bebilderte Druck-schrift war als Spendenaufruf an die Ver-einsmitglieder gerichtet. Sie enthält einenÜberblick über die Entwicklung des Fuß-ballsports in Stuttgart und einen Plan desneuen Stadions.

Die Anfänge des Fußballsports inStuttgart reichen in das Jahr 1893 zurück,als in Cannstatt der FV Stuttgart 93zunächst als Rugby-Klub gegründetwurde, der seine Heimstätte schon bald

auf den Cannstatter Wasen verlegte.1912 vereinigte sich dieser Verein mitdem 1897 gebildeten Kronen-Klub Cann-statt zum VfB Stuttgart, weshalb 1893 inden offiziellen Vereinsnamen Verein fürBewegungsspiele Stuttgart 1893 e.V. auf-genommen ist. In der Denkschrift wirdberichtet, dass zunächst der in Stuttgart-Münster gelegene Sportplatz des Kronen-Klubs als alleiniges Spielfeld des V. f. B.diente. Der Platz in Münster erwies sichjedoch als ungeeignet, da er zu abgele-gen war und die Zuschauer ausblieben,was nicht ermunternd auf Spieler undVereinsleitung wirkte. Ein geeigneterSpielplatz wurde gesucht und fand sichauf dem Cannstatter Exerzierplatz, derdurch den Rückzug des Militärs freigeworden war. Dort wurde dem Vereindas Gelände, auf dem sich das alte Sta-dion befunden hatte, zur Verfügunggestellt. Mit der Ausführung der Anlagewurde das VfB-Mitglied Architekt Pfeifferbeauftragt.

Das Projekt wird in der Denkschriftwie folgt charakterisiert: Ein prächtigeralter Baumbestand gegen Süden undeine noch anzupflanzende Hecke gegendie Straße umsäumen die gepachtetePlatzanlage. Die Straße von der König-Karls-Brücke nach Untertürkheim führtdirekt am Platz vorbei. Zwei Eingangstoremit zweckdienlichen Kassenhäuschennehmen den Zulauf auf. Vor den Augendes Besuchers breitet sich das großeSpielfeld mit 7700 qm Grundfläche aus,welches von der 400 m langen und 4 mbreiten Aschenbahn umrahmt ist. Darüberhinaus, unter den mächtigen Bäumen, istdie Zuschauer-Tribüne mit geräumig undpraktisch eingebauten Umkleideräumenfür Damen und Herren. Die Tribüne bietet1000 Besuchern Gelegenheit zum Sitzen.

… Tennisplätze, Luftbad u.a. dürfennatürlich nicht fehlen, um die ganzeSportplatzanlage zu einer vollwertigen zugestalten. Dazu kommt noch, dass dernahe Neckar zu allerlei wassersportlichenÜbungen einladet, was von denSchwimmgewandten und den Luftbad-Gästen angenehm begrüßt wird.

Angesichts all dieser Tatsachen darfgesagt werden, dass den Mitgliedern,Damen und Herren, und ihren Freundenbeim Besuch der neuen Platzanlage aufdem Wasen alles geboten ist, was zurzeitgefordert werden kann. Straßenbahn- undEisenbahnlinien von allen Richtungen,eine Fähre über den Neckar als Verbin-dung mit den Vororten Gaisburg, Gablen-berg, Ostheim, geben alt und jung reich-lich Gelegenheit in bequemster Weise bisin die unmittelbare Nähe der Sportplatz-anlage zu gelangen. Unser „Familiengar-ten“ muß daher der Jugend im weitestenSinne des Wortes und noch mehr derensehr geschätzten Eltern und Geschwis-tern ein gern besuchter, heimischer Auf-enthaltsort werden.

Diese idyllische Anlage kann sicher-lich als eine Art Vorläufer der heutigenFamilienerlebnisparks betrachtet werden.Mit einem Fassungsvermögen von 15 000Besuchern entsprach sie auf Jahre hinausallen Anforderungen und Aufgaben einesgroßen Sportvereins.

Entdeckt wurde dieses sportge-schichtlich bemerkenswerte Dokument –und das war die eigentliche Überra-schung – in einer Akte des ehemaligenStraßen- und Wasserbauamts Cannstatt,die als Folge der letzten Verwaltungsre-form von einer Dienststelle der Gewäs-serdirektion Neckar in Besigheim (vormalsWasserwirtschaftsamt Besigheim) an dasStaatsarchiv abgeliefert wurde. In denAkten dieser Behörde geht es um Maß-nahmen des Wasserbaus, insbesondereFlusskorrektionen und die Errichtung vonWasserkraftwerken an der Enz, aber auchum wasserrechtliche und flusspolizeilicheGenehmigungen. Eine solche war auchim Fall des neuen Stadions in Cannstatterforderlich, denn das Bauvorhaben lagim Überschwemmungsgebiet desNeckars, für das ein Bauverbot galt. Dieerforderliche Genehmigung konnte erstnach einer flusspolizeilichen Begutach-tung erteilt werden. Besonderes Augen-merk wurde dabei auf die geplanteNeckarkanalisierung und die damit ein-hergehende Großschifffahrt auf demNeckar gelegt. Wer sich für die Akteinteressiert, findet sie in Bestand FL 45/1des Staatsarchivs Ludwigsburg, derdurch ein Online-Findbuch erschlossenist und damit bequem von zu Hauserecherchiert werden kann GabrieleBenning

Der neue Sportplatz auf dem Wasen in Stuttgart-Bad Cannstatt, 1919.Vorlage: Landesarchiv StAL FL 45/1 Bü. 54 Bl. 4/5

Deutschland – ein Sommermärchen

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Ist denn kein Mann da – Mann da –Mann da – für meine Wanda – Wanda –Wanda – so fragt uns die abgebildetePostkarte, deren Poststempel aus demJahr 1902 datiert. Die Postkarte ent-stammt der Sammlung des SigmaringerKaufmanns Robert Arnaud, dessen Nach-lass sich seit zwei Jahren unter derBestandsbezeichnung N 1/78 T 1 imStaatsarchiv Sigmaringen befindet.

Robert Arnaud wurde am 30. Juni1885 in Sigmaringen geboren und absol-vierte nach dem Besuch des Gymna-siums eine dreijährige Lehrzeit in Heil-bronn, der die Tätigkeit in verschiedenenDrogerien und als Vertreter für Kathrei-ners Malzkaffee folgte. 1908 erwarbRobert Arnaud ein Gebäude in derSchwabstraße in Sigmaringen, das in derFolgezeit die Stadtdrogerie RobertArnaud beherbergen sollte. Ende Mai1945 starb Robert Arnaud, kurz nachdemsein Sohn beim Einmarsch der französi-schen Truppen in Sigmaringen erschos-sen worden war.

Einen Schwerpunkt des Bestandsbildet die außergewöhnliche und umfang-reiche Sammlung von Postkarten undFotografien mit Ortsaufnahmen. Diesebeschränken sich nicht nur auf Südwest-deutschland, auch wenn das Gebietbesonders stark vertreten ist. Eine zweitegroße Gruppe besteht aus Postkarten ausden ehemaligen deutschen Ostgebieten.Darüber hinaus umfasst die Sammlungaber auch fast alle anderen Gebiete desehemaligen Deutschen Reichs. Aus demeuropäischen Ausland enthält sie Ansich-ten aus den heutigen Staatsgebieten vonBelgien, Frankreich, Griechenland, Groß-britannien, Holland, Italien, Kroatien, Nor-wegen, Österreich, Polen, Russland, derSchweiz und Spanien. Außerhalb Europassind Bilder von Orten vorhanden, dieheute in Armenien, auf den Bahamas, aufden Bermuda-Inseln, in Honduras, Israel,Namibia, Thailand, Tunesien und denUSA liegen. Bei der Durchsicht derSammlung stößt man auf eine Vielzahlvon Namen bedeutender Fotografen undKünstler. Genannt seien nur die TübingerGebrüder Metz, die Dresdner Kunstan-stalt Stengel & Co. und das SigmaringerFotoatelier Kugler. Die Postkarten- undFotografiensammlung reicht bis ins19. Jahrhundert zurück und hat ihreSchwerpunkte in den ersten beiden Jahr-zehnten des 20. Jahrhunderts sowie inden Jahren zwischen 1930 und 1940.

Die Sammlung von Postkarten undFotografien beeindruckt auch durch ihregroße Vielseitigkeit. Neben den Orts-ansichten umfasst sie unter anderemzahlreiche Personenbilder, Glückwunsch-karten sowie Humor-, Fastnachts-, Rekla-

me-, Kunst- und Militärpostkarten undauch Naturaufnahmen.

Aufgrund der großen Zahl der Ver-wandten, Freunde, Bekannten undGeschäftspartner der Familie Arnaud gabes neben der Menge der empfangenenPostkarten aus aller Welt auch umfangrei-che briefliche Kontakte. Die geschäftlicheKorrespondenz dokumentiert das Wirkeneines viel reisenden Kaufmanns zuBeginn des 20. Jahrhunderts. Die zeit-weise täglich geschriebenen Liebesbriefezwischen Robert Arnaud und seiner FrauAmelie und die Korrespondenz mit Freun-den und Verwandten, beispielsweise mitseinem in die USA ausgewanderten Bru-der, erzählen viel von der PrivatpersonRobert Arnaud.

Sammlungen von Heiligenbildchenund Sammelbildchen von Bernsdorp’sCacao & Chocolade Amsterdam, Kath-reiner’s Kneipp-Malzkaffee, Palmin undLiebig’s Fleisch-Extract bilden weitere

Schwerpunkte des Nachlasses. Liebig’sFleisch-Extract enthält großteils kom-plette Sammelbildchenreihen zu Themenwie beispielsweise Tänze verschiedenerZeiten, Delicatessen aus Meeren undFlüssen, Die Farben des Regenbogensoder Frauengestalten aus Opern R. Wag-ner’s. Auch die Alben, in denen die Bild-chen gesammelt wurden, sind imBestand vorhanden.

Komplettiert wird der Nachlass unteranderem durch einige Zeitungsaus-schnitte und Literatur. Kurios wirkt ausder heutigen Sicht insbesondere dasKochbuch Kleine Hexereien für ihn undalle von Eugenie von Garvens aus demJahr 1930. In ihm ist die Die Suppe derEiligen und Allzubeschäftigen ebenso ent-halten wie die Thematik Wenn Männerkochen … – ein mit dem Nachsatz gibt’sgroßen Aufruhr versehenes Kapitel.

Für den Bestand, der insgesamt1380 Einheiten umfasst, gibt es ein Find-buch, das auch im Internet unterhttp://www.landesarchiv-bw.de/stas ein-gesehen werden kann. Es ist geplant,eine Auswahl der Bilder zu digitalisierenCorinna Knobloch

Eine Fundgrube nicht nur für PostkartenliebhaberDer Nachlass Robert Arnaud (1885 –1945) im StaatsarchivSigmaringen

Vorlagen: Landesarchiv StAS N 1/78 T 1 Nr. 519 (oben) und Nr. 1043 (unten)

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20Archivnachrichten 34/2007

Pläne von Bahngebäuden sind inden Lesesälen der Staatsarchive häufignachgefragte Objekte. Ob Ortshistoriker,Modellbahner oder Eisenbahn-Allround-fan – es ist kein kleiner Personenkreis,der für die Geschichte dieses traditionel-len Verkehrsmittels seit Jahren ein anhal-tend großes Interesse zeigt.

Ein neues Internet-Angebot desStaatsarchivs Ludwigsburg macht es nunmöglich, nicht nur die Planverzeichnisseder früheren Bundesbahndirektion Stutt-gart einzusehen, sondern darüber hinauseinen großen Teil der Pläne selbst – meistEmpfangsgebäude – in Form digitalerScans online in Augenschein zu nehmen.Das Angebot erstreckt sich gemäß derfrüheren Zuständigkeit der Direktion aufweite Teile Württembergs und Hohenzol-lerns.

Vor der archivischen Sicherungsprich Übernahme dieser Pläne galt eszunächst einige Klippen zu überwinden.Zum Zeitpunkt der Gespräche war dieBahn bereits privatisiert worden. Die letz-ten Aussonderungsgespräche desStaatsarchivs fanden schon bei denNachfolgegesellschaften der DeutschenBundesbahn, den privatwirtschaftlichausgerichteten neuen Organisationsein-heiten der Bahn AG, statt. In ihrem Ver-lauf wurde das überprüfte Planmaterial –untergebracht im allseits bekannten Turmdes denkmalgeschützten StuttgarterHauptbahnhofs – einerseits zwar aus-nahmslos als archivwürdig bewertet,andererseits aufgrund der seinerzeit ver-wendeten Trägermaterialien (vor allembruchgefährdetes Pergamin) bedauerli-

cherweise jedoch als auf Dauer nichtarchivfähig eingestuft.

Die Deutsche Bahn AG ihrerseitshatte bereits im Jahr 1998 beschlossen,zur Erleichterung des bahninternen Zugriffs sowie zur Sicherung dieser Über-lieferung ein aufwendiges Digitalisie-rungsprojekt zu starten. Nach mehrerenmit den Entscheidungsträgern geführtenGesprächen konnte das Staatsarchiv dieZusage erhalten, anstelle der fragilenOriginale die digitalen Daten zu bekom-men.

Nach Abschluss der in erfolgten undin mehreren Phasen durchgeführten Digi-talisierungsarbeiten konnten Ende 2002wie vereinbart sämtliche Digitalisate aufsieben CDs übernommen werden.

Wie verlief nun die Aufbereitung, dieArchivierung sowie die Präsentation imInternet? Das Ausgangsmaterial bestandaus insgesamt 16 387 eingescanntenBahnplänen im Tiff-Format. Die CDs ent-hielten auch zwei MS-ACCESS-Daten-banken mit beschreibenden Daten zu denPlänen. Als erstes wurden diese Datengesichtet und auf Vollständigkeit über-prüft. Hierbei stellte sich heraus, dassmanche Datei doppelt vorlag. 18 Bahn-pläne ließen sich nicht mehr anzeigen.Ihre Ansicht kann wohl nur durch eine andigitale Archäologie grenzende Aktionwieder hergestellt werden. Die Prüfungauf Lesbarkeit konnte mit einem in derWindows-Welt populären Bildbetrachter(Thumbview), dem auf Linux laufendenWerkzeug tiffinfo und dem Java basiertenTool JHOVE (Gültigkeitsprüfung der Tiff-Dateien) automatisiert werden.

Im Anschluss wurden zunächst wei-tere Daten wie zum Beispiel Scandatum,Tiff-Version und Komprimierung unter Ver-wendung von JHOVE aus den Tiff-Dateienextrahiert und dann die beschreibendenDaten insgesamt den Primärdaten zuge-ordnet. Wie sich zeigte, waren nicht alle inder Datenbank referenzierten Dateienauch physisch vorhanden (Fehlbestandvon 432). Andererseits fehlte bei 298Bahnplänen der Eintrag in der übernom-menen Datenbank. Auch war die Daten-bank in sich nicht streng konsistent. Sogab es hier beispielsweise für jeden Bahn-hof einen Code, allerdings nicht für jedenCode einen entsprechenden Bahnhofs-namen. Zudem waren wichtige Informatio-nen wie der Entstehungszeitraum nichtimmer dokumentiert. So fehlte bei 689Bahnhöfen sowohl das Entstehungsdatumals auch das Änderungsdatum.

Die Inkonsistenzen und fehlendeInformationen wurden über eine manuelleNacherfassung bereinigt. Nun war derWeg frei für das Einstellen in das DigitaleMagazin. Hier sollten die Bahnplänesicher aufbewahrt werden, angereichertmit den beschreibenden Daten und einemelektronischen Fingerabdruck pro Datei.All dies wurde schon mit anderen digita-len Objekten so praktiziert, allerdingsnicht in dieser großen Anzahl. Bisher gabes nur ein Verfahren, digitale Objektemanuell und einzeln einzustellen. Alsobrauchte es ein Verfahren, welches aufeinen Schlag alle Daten archivierenkonnte. Alle Pläne wurden strukturiertnach den Ordnungsmerkmalen Anfangs-buchstabe der Orte und Ortsnamen derBahnhöfe abgelegt. Bei Bedarf erfolgteeine weitere Gruppierung nach dem Ent-stehungsjahrgang. Somit blieb die Anzahlder Pläne auf einer Tektonikebene über-schaubar.

Als letzter Schritt folgte die Aufberei-tung für eine Internet-Präsentation.Zunächst wurden die im Digitalen Maga-zin entstandenen Titelaufnahmen nachscope übertragen. Im Anschluss konntendie Titelaufnahmen in das landesarchiv-eigene Onlinefindmittelsystem exportiertund dort mit verkleinerten Abzügen derdigitalen Pläne verknüpft werden. Insge-samt sind nun rund 2/3 der übernomme-nen Pläne von 867 verschiedenen Ortenim Internet mit einem Vorschaubild veröf-fentlicht. In der Tektonik des Staatsar-chivs Ludwigsburg erscheinen sie nebenden bereits verwahrten umfangreichenEisenbahnbeständen unter der Bestands-signatur K 412 IV Reichs-/Bundesbahn-direktion Stuttgart, Hochbaupläne undkönnen, sofern keine Sperrfristen ent-gegenstehen, jederzeit online ein-gesehen werden: https://www2.landes-archiv-bw.de/ofs21/olf/startbild.php?bestand=21279 Wolfgang Schneider/Rolf Lang

Giebelansicht des Empfangsgebäudes in Bad Wildbad, 1903.Vorlage: Landesarchiv StAL K 412 IV DO 1160

Digitale Hochbaupläne der Bahn online

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Archivnachrichten 34/2007

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Unter dem Titel Persilscheine undMitläufer. EDV-gestützte Erschließung derSpruchkammerakten im Staatsarchiv Lud-wigsburg wurde in den ArchivnachrichtenNr. 5 von einem Projekt berichtet, dasbereits im Spätjahr 1990 angelaufen war.Ende des Jahres 2006, also nach Ablaufvon 15 Jahren, ist das überwiegend vonzeitlich befristeten Mitarbeitern getrageneProjekt zum Abschluss gekommen. Inseinem Verlauf sind weit über 450 000Einzelfälle mit einem Gesamtumfang vonrund 1200 Regalmetern, im Wesentlichendie im Staatsarchiv Ludwigsburg ver-wahrten Verfahrensunterlagen der Inter-nierten- und Heimatspruchkammern,erschlossen worden. Stellt man dasArbeitsergebnis von 1990/91 demjenigenvon 2006 gegenüber, wird deutlich, dassder output hier zwischenzeitlich in neueBereiche vorgestoßen ist: Waren es inden beiden Anfangsjahren zusammenge-nommen 3350 Verfahrensakten, dieerschlossen, und ebenso viele, die ver-packt wurden (22 Regalmeter), konnte imAbschlussjahr 2006 mit 77 263 neu ver-zeichneten und 109 307 verpacktenAkten (270 Regalmeter) ein ganz andersdimensioniertes Ergebnis erzielt werden.Dies gilt auch im Hinblick auf die mit derErschließung parallel gehende konserva-torische Grundbehandlung der Bestände:Im Zuge der Bearbeitung jeder einzelnenAkte wurden zum einen oxydierendeMetallteile wie Büro- oder Heftklammernentfernt (nach wie vor bildet diese Entme-tallisierung den größten Zeitfresser), zum anderen erfolgte eine Verpackungder zuvor lediglich zu dicken Bündelnzusammengeschnürten und offen gela-gerten Unterlagen in säurefreie Um-schläge und Archivboxen.

Die Steigerung im Erschließungstem-po ist mehreren Faktoren zu verdanken,die hier nur kurz angerissen werden kön-nen. Zunächst wurde die Erschließungs-

tiefe von zuvor bis zu 150 Merkmalen proAkte beziehungsweise Person auf einmehr oder weniger unabdingbares Maß,nunmehr nur noch zehn, reduziert. Mitdieser Reduktion wurde die Grenze zwi-schen Elementarerschließung und vor-weggenommener Auswertung erheblichschärfer konturiert. Was dies für jedeseinzelne Merkmal bedeuten kann, sei amBeispiel der Laufzeit verdeutlicht: Da dieKernlaufzeit der Spruchkammerverfah-rensakten entstehungsbedingt ohnehinauf die Zeitspanne zwischen 1946 und1950 beschränkt ist, wurde auf die detail-liertere Erfassung von Laufzeitbeginn und-ende wie auch auf die Erhebung derLaufzeiten von Vor- oder Nachakten ver-zichtet. Stellt man für die (auch für aus-gebildete Mitarbeiter durchausanspruchsvolle) Laufzeitermittlung proAkte durchschnittlich ein bis zwei Mi-nuten in Rechnung, hätte allein dies die Gesamtlaufzeit des Projekts um450 000 – 900 000 Arbeitsminuten, alsogrob etwa vier bis acht Mannjahre verlän-gert. Für unverzichtbar erachtet wurdedagegen die Erfassung des Geburtsorts,der zum einen als unveränderliches per-sonenidentifizierendes Merkmal, zumanderen im Hinblick auf bestimmte über-greifende sozialgeschichtliche For-schungsansätze, etwa der Frage nachder Entnazifizierung Vertriebener, bedeut-sam erschien.

Wichtigster Bestandteil des Erschlie-ßungskonzepts war die Abwicklung desin mehrere klar voneinander getrennteArbeitsschritte unterteilten Erschließungs-ablaufs durch Arbeitsgruppen aus drei bissechs Mitarbeitern. Die anfallenden Auf-gaben, angefangen von der Datenerfas-sung bis hin zum Einlagern des Bestandsam endgültigen Lagerort, wurden nichtvon Einzelkämpfern am Fließband, son-dern von Arbeitsgruppen mit ständigemBlick auf das Ganze in eigener Regie

erledigt. Die Einrichtung kommunikations-fördernder Gruppenarbeitsplätze imMagazingebäude des Staatsarchiv Lud-wigsburg wirkte sich nicht zuletzt auf dieWeitergabe einschlägigen Know-howsinnerhalb und zwischen den Arbeitsgrup-pen aus, sondern sicherte – trotz derdurch die Arbeitsförderungsvorgabenunabdingbar hohen Fluktuation der Mitar-beiter – eine gleichbleibend hoheErschließungsqualität. Selbst Kurzzeit-Praktikanten konnte in diesem integrati-ven Umfeld ohne großen Einarbeitungs-aufwand Möglichkeiten zur Mitarbeitgeboten werden. Fiel ein Mitarbeiter aus,kam die Arbeit nicht gänzlich ins Sto-cken, sondern im Prinzip konnte sichjedes Mitglied einer Erschließungsgruppean jedem Punkt des Ablaufs einbringen.Auf EDV-Seite wurde das Projekt voneiner speziellen, im Staatsarchiv Lud-wigsburg auf der Basis von dBase entwi-ckelten Datenbankanwendung unter-stützt. Diese auch für Ungeübte einfachzu bedienende Software, mit der selbstauf älterer Hardware riesige Datenmen-gen erstaunlich schnell und sicher zubearbeiten sind, besitzt unter anderemSchnittstellen für die Erstellung von Kor-rekturausdrucken und den Export nachMidosa95, dem seinerzeitigen Standard-Erschließungsprogramm der Archivver-waltung. Nach der datenbankmäßigenAufbereitung der über 450 000 Daten-sätze soll in Kürze der Export nachscope, der neuen Erschließungssoftwaredes Landesarchivs erfolgen. Wenn dievom Landesarchiv geplante Filterfunktionfür die automatisierte Bereitstellung vonnicht mehr gesperrten Verfahrensakten imInternet zur Verfügung steht, wird endlichdie bereits im eingangs genanntenBericht von 1992 angesprochene Mög-lichkeit einer beständeübergreifendenRecherche sogar für Online-Nutzer viaInternet verwirklicht sein StephanMolitor

Das Spruchkammerprojekt des Staatsarchivs LudwigsburgErschließung von massenhaft gleichförmigen Akten in Arbeitsgruppen

Wie die Online-Findbücher desHohenlohe-Zentralarchivs ins Internetgekommen sind, brauchen Nutzer desNeuensteiner Online-Angebots nichtunbedingt zu wissen. Wichtig für sie ist,dass die Findbücher überhaupt onlineverfügbar sind. Mittlerweile sind es schonüber 200, und sie entstammen allen Teil-archiven des Hohenlohe-Zentralarchivs.Die Nutzer freuen sich über die beque-men und schnellen elektronischen Such-möglichkeiten und darüber, interessanteTitelaufnahmen herunterladen und aus-drucken zu können. Auch können sie

vom heimischen Computer aus interes-sante Archivalien aus dem Online-Find-buch in den Neuensteiner Lesesaalbestellen. Dass hinter all dem Arbeitsteckt, können die Nutzer nur ahnen. Bli-cken wir doch einmal in die Werkstatt desArchivs!

Findbücher liegen als maschinen-schriftliche oder handschriftliche Textevor. Die einfachste Methode, diese Texteins Internet zu bringen, ist das mühevolleAbschreiben durch eine Schreibkraft. Sieschreibt den Text aber nicht wieder alsText ab, sondern überträgt ihn gleich in

eine Datenbank. Diese hält für die Ein-gabe eine Maske bereit, die wie ein For-mular an immer gleicher Stelle Platz fürdie Laufzeit, für den Aktentitel, denUmfang, die Enthält- oder Darin-Vermerkeund so weiter bereitstellt. Wenn dergesamte Text eingegeben ist, liegt eineDatenbankdatei vor, die noch sorgfältigKorrektur gelesen und korrigiert werdenmuss. Die fehlerfreie Datei wird dannmittels eines speziellen Programms aufden Server des Landesarchivs hochgela-den. Hier ist sie für alle Teilnehmer desInternets nutzbar.

Findbuch Wa 160 online!Ein Blick in die Werkstatt des Hohenlohe-Zentralarchivs Neuenstein

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22Archivnachrichten 34/2007

Wa 160 ist ein Findbuch jüngerenDatums, das 2001 fertiggestellt wurde. Esbeschreibt einen Bestand aus dem ArchivWaldenburg (daher der Signaturbestand-teil Wa), und zwar das Amt Waldenburg.Das Amt war die lokale Verwaltung in derengeren Umgebung Waldenburgs. Ihmstand der Amtmann vor, der ohne größe-ren Verwaltungsstab mit nur wenigenGehilfen die lokale Verwaltung ausübte.Die Unterlagen von Wa 160 umfassen dieZeit von 1559 bis 1806.

2001 nutze das Hohenlohe-Zentral-archiv eine Textverarbeitung, um Find-bücher möglichst gut strukturiert undübersichtlich zu gestalten. Die Datei zuWa 160 existiert noch. Alle Dateien derrund 60 mittels Textverarbeitung erstelltenFindbücher sind noch vorhanden, dennein Archiv verwahrt alles ordentlich. Wa 160 liegt also nicht nur als Text, son-dern schon in einer elektronischen Formvor. Kann man sich dann die Mühe desaufwendigen Abtippens ersparen? DieAntwort ist ja, aber die Methode ist kom-pliziert und man braucht etwas EDV-Geschick.

Das Verfahren besteht darin, dieTextdatei mittels spezieller Programm-tools Schritt für Schritt in eine richtigstrukturierte Datenbankdatei umzuwan-deln. Voraussetzung ist, dass alle Titel-aufnahmen eines Findbuchs nach demgleichen Layout gestaltet sind. Bei Wa 160 ist es so strukturiert, dass nach

der Signatur (immer Bü. xy) mit Tabulatoreingerückt die Titelaufnahme folgt unddiese mit einem Zeilenumbruch abge-schlossen wird. Danach kommt rechts-bündig die Laufzeit, in der nächsten Zeile(nach Zeilenumbruch) der Umfang undnach Tabulator in der gleichen Zeilerechtsbündig die Vorsignatur. ZumSchluss folgt gegebenenfalls in einerneuen Zeile ein Darin- oder Enthält-Vermerk.

Über die Suche-und-Ersetze-Funk-tion kann man in den Text Trenner einbau-en, die bei einer Datenbank die einzelnenFelder begrenzen. Tabulator und Zeilen-umbruch markieren etwa die Titelaufnah-me (hinter dem ersten Tabulator und vordem ersten Zeilenumbruch). Durch Sucheund Ersetze werden sie in datenbank-taugliche Feldtrenner umgewandelt.Samuel Drimmer vom Staatsarchiv Lud-wigsburg hat für die Arbeiten im Hohen-lohe-Zentralarchiv ein Tool mit NamenKoWo95 programmiert, mit dem dieWord-Dateien nach dem skizzierten Ver-fahren nahezu automatisch in Datenbank-dateien umgewandelt werden können.

In der Praxis erfolgte die Umwand-lung leider nicht so reibungslos. Der Teu-fel steckt bekanntlich im Detail. EinigeBestände sträubten sich hartnäckiggegen eine Umwandlung. Ein fehlenderTabulator oder ein anderes Formatie-rungselement kann KoWo95 stark verwir-

ren. Schlimmer noch wirkt sich einegeänderte Reihenfolge beispielsweise vonUmfang und Laufzeit aus. Kowo95bemerkt teilweise solche Fehler automa-tisch, protokolliert sie oder steigt in hart-näckigen Fällen sogar aus. Die Fehlermüssen erkannt und vor dem erneutenKonvertierungsversuch behoben werden.Das Layout der Neuensteiner Findbücherhat sich über die Jahre gewandelt undKoWo95 muss jeweils angepasst werden.Manchmal fallen bei der UmwandlungTextstellen weg, sodass abschließendeine Vollständigkeitsüberprüfung erfor-derlich ist und weggefallene Passagenmanuell ergänzt werden müssen. So istauch bei modernster Technik eine Krafterforderlich, die alle notwenigen Schritteveranlasst, das Ergebnis kontrolliert undFehler korrigiert. Ganz am Schluss kannsie die Datei auf den Server des Landes-archivs hochfahren. Für Wa 160 geschahdas am 2. Juni 2006. Seither ist das Find-buch weltweit für alle Internetteilnehmereinsehbar und mit den genanntenBequemlichkeiten auswertbar.

2006 sind 38 Findbücher durchUmwandlung von Textdateien in Daten-bankdateien von einer Mitarbeiterin desHohenlohe-Zentralarchivs retrokonvertiertund online gestellt worden. Ein wesent-licher Anteil an den 200 Online-Findbü-chern ist somit ihr und dem Tool Kowo95zu verdanken Peter Schiffer

Unmittelbar vor seiner Investitur undWeihe erneuerte Sigismund Fichtlin, am12. Mai 1626 zum Abt des KlostersSchöntal gewählt, gegenüber Jakob Mos-bach, Abt von Kaisheim, Vaterabt desKlosters Schöntal, seine Profess miteinem Eid auf das Evangelium: Ego F.Sigismundus monasterii Speciosae Vallis… ordinandus abbas … – Ich, BruderSigismund, neu einzusetzender Abt desKlosters Schöntal Zisterzienser OrdensWürzburger Bistums, verspreche vor Gottund seinen Heiligen sowie vor dieserfeierlichen Versammlung meiner Mitbrü-der Treue (fidelitatem) [in der Erfüllung derPflichten] und geziemende Unterordnung[unter die geistlichen Oberen], Gehorsamund Ehrerbietung gegenüber meiner Mut-ter, dem Zisterzienserorden, und gegen-über Euch, meinem ehrwürdigen HerrnJakob, Abt der Reichsabtei zur HeiligenJungfrau Maria in Kaisheim, derzeit Pro-vinzialvikar der Provinz Schwaben undGeneralvikar der Kongregation Ober-deutschland, und Euren rechtsgültigenNachfolgern gemäß den Geboten desKanonischen Rechts und wie dies dieunverletzbare Autorität der römischen

Päpste vorschreibt, so wahr mir Gotthelfe und dieses heilige Evangelium Got-tes. Während des feierlichen Hochamtshinterlegte Abt Sigismund eine besiegelteUrkunde desselben Wortlauts auf demAltar. Nach dem Gottesdienst wurdediese Urkunde für ewige Zeiten ins Archivdes Klosters Schöntal genommen. ImSchöntaler Urkundenarchiv, Teil derBestände des Staatsarchivs Ludwigs-burg, wird sie noch heute verwahrt.

In den seitdem verflossenen 380Jahren hat dieses Archiv bei aller Hoch-schätzung, die ihm Äbte wie BenediktKnittel (1683 –1732) entgegenbrachten,harte Schicksalsschläge erlitten. Dies zei-gen gerade jüngere Forschungen zurArchivgeschichte (Maria MagdalenaRückert im Aufsatzband zur AusstellungAlte Klöster, neue Herren von 2003 undDorothea Bader in den ArchivnachrichtenNr. 28). Nach der durch den GeheimenArchivar Christoph Friedrich Lotter veran-lassten Verbringung des größeren Teilsdes Archivs in das Königliche Staats-archiv Stuttgart erstellte Archivar WilhelmLudwig Ferdinand Scheffer 1825 umge-hend das bis 2006 gültige Findbuch zum

Stuttgarter Auslesebestand KlosterSchönthal (nach Karl Otto MüllersGesamtübersicht: B 503), wobei er dieRegesten zu lateinischen Urkundenselbstverständlich in Latein verfasste. DerBestand wurde von Scheffer in Generaliaund Specialia, bei den letzteren alphabe-tisch nach Orten geordnet. Innerhalb dereinzelnen Abschnitte reihte Scheffer chro-nologisch. 1834 folgte die Verzeichnungdes im Königlichen Nebenarchiv Mergent-heim verwahrten, nach damaliger Auffas-sung weniger wertvollen Teils desGesamtbestands durch Anton Breiten-bach (nach Karl Otto Müller: B 504); die-ser Teil enthielt nach wie vor auch Urkun-den. Bei jeder Nachlieferung an dasStaatsarchiv Stuttgart – 1827 aus Schön-tal selbst, 1867 aus dem NebenarchivMergentheim, 1868 vom KameralamtHeilbronn, 1872 vom StaatsfilialarchivLudwigsburg und 1896 vom KameralamtNeuenstadt am Kocher – mussten imFindbuch von 1825 Nachträge eingefügtwerden. Die Neuzugänge, denen bis 2006noch mehrere kleine folgten, machtenden anfangs so systematisch geglieder-ten Band immer unübersichtlicher.

Zweimal Grund zum JubelnIm Jubiläumsjahr 2007 Findbuch der Schöntaler Urkunden online gestellt

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Immerhin gelang als wesentliche Verbes-serung noch vor der Beständebereinigungzwischen Hauptstaatsarchiv Stuttgart undStaatsarchiv Ludwigsburg im Jahr 1969der Übergang von der bisherigen Num-merierung nach Büscheln (bereits derzweiten!) zur Nummerierung nach einzel-nen Urkunden.

Die grundlegende Neuverzeichnungder Schöntaler Bestände (nun B 503 Iund II) begann 1985. Bei B 503 I gerietder erste Anlauf 1988 ebenso ins Stockenwie ein zweiter Anlauf Mitte der 1990erJahre. Die Verzeichnung von B 503 IIdagegen wurde, trotz anderer anstehen-der Arbeiten, durch Dorothea Baderbeharrlich fortgeführt und 1999 abge-schlossen. Das Findbuch liegt seit demJahr 2000 online vor. Die urkundlicheErsterwähnung Schöntals im Jahr 1157 –die Urkunde Friedrich Barbarossas liegtim Kaiserselekt des HauptstaatsarchivsStuttgart, die Bischof Gebhards vonWürzburg im Staatsarchiv Ludwigsburg –gab den dritten Anstoß zu einer Neuver-zeichnung der Urkunden. Die Vorausset-zungen für einen Erfolg waren inzwischenungleich günstiger: 1. Die beiden Bestän-de waren von Dorothea Bader nachUrkunden und Akten getrennt worden; ihrFindbuch erleichterte zudem die Identifi-zierung von Personen und Orten. 2. MariaMagdalena Rückert, die bei den Urkun-den den zweiten Anlauf gestartet hatte,hat inzwischen zahlreiche Forschungenvor allem zur frühen Geschichte desKlosters veröffentlicht, die bei der Ver-zeichnung eine unschätzbare Hilfe waren.3. Die Verzeichnungsvorgaben wurdengrundlegend geändert. 4. Der neue Bear-beiter hatte mit der Regestierung größererBestände bereits Erfahrungen gesam-melt. 5. Mit scopeArchiv stand ein neuesVerzeichnungsprogramm zur Verfügung,bei Beginn der Arbeit allerdings nur dieMaske für Aktentitelaufnahmen, die bei-behalten wurde.

Von den für die Neuverzeichnungder Schöntaler Urkunden geltendenRegeln sei hier nur auf eine hingewiesen,da sie für den Nutzer von erheblicherBedeutung ist: Da die anfangs geplanteRetrokonversion schon wegen der lateini-schen Regesten nicht infrage kam, aus-führliche Regesten aber zu zeitaufwendiggewesen wären, blieben nur Kurzreges-ten. Die Urkunden enthalten also oftwichtige Informationen, die in den Reges-ten wegen der Kurzform nicht erscheinen.Der Bestand sei deshalb hier kurz cha-rakterisiert: Die rund 1000 Urkunden ausder Zeit des Alten Reichs setzen wieschon erwähnt 1157 ein. Sie betreffenüberwiegend Besitzerwerbungen und -bestätigungen. Geografischer Schwer-punkt sind der heutige Hohenlohekreissowie die angrenzenden Kreise Heilbronnund Neckar-Odenwald. Im Norden bildendie Grenze etwa der Odenwald und derOchsenfurter Gau, im Süden der Strom-

berg sowie die Löwensteiner und Wal-denburger Berge. Der Bestand enthältzahlreiche Vorprovenienzen, deren Über-gang an Schöntal meist eindeutig zu klä-ren ist. Mit über 70 Urkunden sind dieHerren von Aschhausen wichtigste Vor-provenienz; zu den Stücken aus ihremArchiv zählen auch ein Dutzend Urkundenderer von Braubach gen. von Angelloch,deren Erben und Besitznachfolger dieAschhausen waren. Der Allodialbesitz derAschhausen fiel bei ihrem Aussterben1657 an das Erzstift Mainz; dieses ver-kaufte Rittergut und Dorf Aschhausensamt den Urkunden 1671 an KlosterSchöntal. In diesem Teil des Bestandsbefinden sich in größerem UmfangLehenbriefe, und hier ist geografisch dergrößte Ausreißer festzustellen: Am16. Juni 1558 verschrieb Helfant vonGiech zu Lisberg seiner Ehefrau Eva geb.von Aschhausen Schloss und RittergutZettmannsdorf (Schönbrunn i. Steiger-wald, Landkreis Bamberg (Land)) mitBesitzungen im Gebiet der RauhenEbrach. – Rein äußerlich fallen die zahlrei-chen Pergamenthüllen auf, die zumSchutz des Siegels vor dessen Anbrin-gung über die Pressel gestreift wurden.Wo hierbei Makulatur Verwendung fand,reicht sie von der Wiederverwendungalter Urkunden, zum Beispiel eines bäu-erlichen Lehenbriefs, bis zu Schreibübun-gen des Schöntaler Skriptoriums. Beieiner Urkunde des Michael Bammenheim,Vikar zu Neuenstadt am Kocher, vom1. Juni 1487 sind zum Beispiel zwei Siegel-hüllen nicht beschrieben; die dritte enthältvor allem Minuskeln (aaaabcccdddeeeund so weiter), am unteren Ende aberganz überraschend das Fragment einesMarienlieds: … [u]ff gottes sal gantz vberal das ist die meyd formosa … (… vor

allen anderen im Himmelssaal, das ist diewohlgestaltete Maid …).

Leider geriet Wasser in den Wein derFreude: Lotter stellte bei seinen Archiv-reisen fest, das Archivlokal in Schöntalsei so feucht, dass die Pflastersteinemoderten (Rückert S. 455). Dies hat deut-liche Spuren an den Pergamenten hinter-lassen. Für einige zerbröselte Urkundenwurde von unseren Altvorderen mitBü. 69 a eigens ein Büschel für Unleser-liches geschaffen. Die zahlreichen Res-taurierungen zeugen vom Bemühen gan-zer Restauratorengenerationen um denBestand. Einige Restaurierungen sindinzwischen selbst wieder restaurierungs-bedürftig. Die Behandlung der Eisengal-lustinte mit Säure ließ zwar verblassteSchriften wieder zum Vorschein kommen,kostete aber auch einige Urkunden dasLeben; der behandelnde Stuttgarter Apo-theker hat sie gar nicht erst wiederzurückgegeben. Ersatz bieten hier undbei starken Schäden in gewissem Maßdie Schöntaler Kopialbücher im Haupt-staatsarchiv Stuttgart. Noch härter hat esdie Siegel getroffen: Viele sogenannteBlätterteigsiegel zerbröselten bisher unterder Hand; erst seit Kurzem gibt es techni-sche Möglichkeiten zur Behebung dieserSchadensform. Die derzeitigen Restaurie-rungsarbeiten laufen sicher noch langeZeit. Es empfiehlt sich deswegen vorheranzufragen, ob eine bestimmte Urkundenutzbar ist.

Mit der Verzeichnung des Gesamt-bestands Kloster Schöntal ist nunmehrneben der in großen Teilen erschlossenenÜberlieferung des Klosters Bronnbach imStaatsarchiv Wertheim ein weitererbedeutender Klosterbestand aus demNorden unseres Landes für die Nutzerzugänglich Norbert Hofmann

Hülle für ein an einer Pergamenturkunde von 1487 hängendes Siegel mit Schriftprobenund Liedfragment.Vorlage: Landesarchiv StAL B 503 I U 645

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Digitale Bilder und Filme im Archiv,Marketing und Vermarktung, Vorträge des66. Südwestdeutschen Archivtags am24. Juni 2006 in Karlsruhe-Durlach, he-rausgegeben von Michael Wettengel,Verlag W. Kohlhammer Stuttgart, ISBN978-3-17-019916-3, 114 Seiten mit 36 Abbildungen, 12,50 €.

Angebot und Vertrieb von digitalisier-ten Bildern und Filmen, auch in Zu-sammenarbeit mit privatwirtschaftlichenDienstleistern, und die Frage, wie weitArchive und Bilddokumentationen dabeigehen können und sollten, stehen imMittelpunkt des Tagungshefts. Aber auchAspekte der Erschließung und Nutzungaudiovisuellen Archivguts, die mit demErwerb, der Publikation und der Weiter-gabe von Bildern verbundenen Rechtsfra-gen und die Entwicklung im globalisiertenBildermarkt werden angesprochen.Geboten werden Lösungsansätze unterarchivpraktischen Gesichtspunkten.

Theaterbilder – Bildertheater, Büh-nenbild- und Kostümentwürfe der Staats-theater Stuttgart im Staatsarchiv Lud-wigsburg, bearbeitet von Martin Laiblin,Verlag W. Kohlhammer Stuttgart, ISBN978-3-17-019752-7, 122 Seiten mit 65 Abbildungen, 13,50 €.

Die bis zum Anfang des 19. Jahrhun-derts zurückreichende Überlieferung derWürttembergischen Staatstheater inStuttgart gehört zu den kulturhistorischwertvollsten Beständen des StaatsarchivsLudwigsburg. Besondere Beachtung ver-dient der umfangreiche Bestand an Büh-nenbild- und Kostümentwürfen aus den1950er- bis 1970er-Jahren. Das Heft stellteinige der bemerkenswertesten Entwürfevor, die 2005 auch in einer Ausstellungdes Staatsarchivs zu sehen waren undeinen Eindruck vom ästhetischen Wertdieses außergewöhnlichen Archivbe-stands vermitteln.

Piccard-Online, Digitale Präsentatio-nen von Wasserzeichen und ihre Nutzung,herausgegeben von Peter Rückert,Jeannette Godau und Gerald Maier,Werkhefte der Staatlichen Archivverwal-tung Baden-Württemberg Serie A Heft 19,Verlag W. Kohlhammer Stuttgart, ISBN978-3-17-019754-1, 184 Seiten mit 55 Abbildungen. 18,50 €.

Die drei in der Forschung etabliertenWasserzeichendatenbanken Piccard-Online, Wasserzeichen des Mittelalters(WZMA) und Watermark in Incunabulaprinted in the Low Countries (WILC) bil-deten den Fokus der internationalenFachtagung Piccard-Online im November2004. Piccard-Online basiert auf der welt-weit größten Wasserzeichenkartei Piccardim Hauptstaatsarchiv Stuttgart, benanntnach ihrem Sammler Professor GerhardPiccard, der in 40 Jahren die rund 92 000Wasserzeichen zusammentrug und in 17 Findbüchern mit 25 Bänden veröffent-lichte. Ihm ist der Tagungsband zuge-dacht.

Die Bestände des Generallandesar-chivs Karlsruhe, Teil 8, Landtag, ObersteLandesbehörden, Neuere Urkunden(230 – 238), bearbeitet von Rainer Brüningund Michael Bock, Veröffentlichungen derStaatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg Band 39/8, Verlag W. Kohl-hammer Stuttgart, ISBN 978-3-17-018761-0, 458 Seiten, 39,50 €.

Der achte Teilband der KarlsruherBeständeübersicht beschreibt die Gene-ral- und Spezialakten des BadischenLandtags (231, 231 a), die Unterlagen derOberrechnungskammer (232), der Regie-rung (233) und der Ministerien (234 – 238)sowie den Auswahlbestand der NeuerenUrkunden (230). Damit ermöglicht er alsWegweiser für den Archivnutzer einenwesentlich verbesserten Zugang zu die-ser zentralen Überlieferung des badi-schen Staats in den Jahren 1803/06 –1945, die mehr als eine 1/4 Million Aktenim Umfang von etwa drei Regalkilometernumfasst.

Württembergische Gesandtenbe-richte und Gesandtschaftsakten 1619 –1806, Inventar der Bestände A 16 a und A 74 a – m im Hauptstaatsarchiv Stuttgart,bearbeitet von Klaus-Dieter Bock, Chris-tine Bührlen-Grabinger und RobertUhland (†), Veröffentlichungen der Staat-lichen Archivverwaltung Baden-Württem-berg Band 56, Verlag W. KohlhammerStuttgart, ISBN 978-3-17-019753-4, 612Seiten mit 16 Abbildungen, 48 €.

Das Inventar gibt Aufschluss sowohlüber die Originalberichte der württember-gischen Gesandten und die an sie erfolg-ten Konzeptreskripte aus dem Kabinettdes Herzogs als auch über die in den

Gesandtschaften Württembergs entstan-denen Unterlagen: die Berichtskonzepteund die dort eingegangenen Original-reskripte des Kabinetts. Die beidenBestände bieten umfassendes Material zuallen Aspekten der württembergischenAußenpolitik, aber auch zu vielen weite-ren Fragen des Zeitgeschehens in Würt-temberg wie auch an den Höfen imdamaligen europäischen Ausland.

Archiv der Freiherren von Mentzin-gen, Schlossarchiv Menzingen, bearbeitetvon Martin Armgart, Inventare der nicht-staatlichen Archive in Baden-Württem-berg Band 34, Verlag W. KohlhammerStuttgart, ISBN 978-3-17-019722-0, 503 Seiten, 40 €.

Die Mentzingen bildeten zusammenmit den Göler von Ravensburg und denHelmstatt den Kern des Kraichgauer Rit-teradels und seit dem 16. Jahrhundertder Kraichgauer Ritterschaft; alle dreiFamilien zeigen einen Raben im Wappen.Die Mentzingen, die noch heute in Men-zingen ansässig sind, waren führend beider Positionierung des Kraichgauer Adelsin den Konfessionslagern; sie gründetenfür die lutherischen Familien das Kraich-gauer Adelige Damenstift in Ittlingen. Derwertvolle Bestand von 911 Urkunden desFamilienarchivs in Schloss Menzingenaus der Zeit von 1351 bis 1805 macht dieganze Breite ritteradliger Existenz imSpätmittelalter und in der frühen Neuzeitnachvollziehbar und bietet wichtige Quel-len zur weit über die Region hinausdeu-tenden Sozialgeschichte des AdelsLuise Pfeifle

Neue Literatur zum Archivwesen

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Ich muß das Volk hinter mir wissen,wenn ich seine Ehre vertreten soll. Und dabaue ich auf Sie, meine Schwaben, undIhre harten Köpfe. Vertrauensschwerdröhnten diese Worte des Führers am18. Oktober 1933 durch die StuttgarterStadthalle, hinweg über die Häupter sei-ner dort versammelten Lieben. Freilich:Nicht jeder Betonschädel im Ländletaugte an sich schon zum Baustein dernationalsozialistischen Volksgemein-schaft. Der Josef Kaisers zum Beispiel,eines SA-Reservisten, wurde als un-brauchbar verworfen. Bahnarbeiter ausLeidenschaft, hatte Kaiser Schweresdurchgemacht: 1926 schob man ihn

beruflich aufs Abstellgleis, wegen seinernationalsozialistischen Gesinnungstüch-tigkeit, wie er sich glaubte erinnern zukönnen. Der Partei allerdings schien die-ser Alte Kämpfer alles andere als hasen-rein. Kaiser war das egal. Seine aktuellefachfremde Beschäftigung bei der Murr-korrektion zu Bartenbach drückte ihnsehr, und seiner Ansicht war es nur rechtund billig, wenn sein Opfermut für diegute Sache honoriert wurde, am bestenin Gestalt einer Wiedereinstellung bei derReichsbahn. Sein jetziger Wochenlohn –zwölf Mark – war zum Sattwerden zuwenig, zum Verhungern zu viel, das gingnun schon über ein Jahr so. Ach, einmal

ausspannen und sich vor allem wieder sorichtig satt essen dürfen! Zumal an denorganisch-instrumentellen Voraussetzun-gen dafür nichts auszusetzen war: Beider SA-Reserve-Untersuchung hatte derArzt Kaiser ein ordentliches Gebiss undeine gute Verdauung bescheinigt. Dassetwas geschehen musste, sah auch Kai-sers Sturmführer ein. Wenn es schon mitdem gewünschten Posten bei der Bahnnicht klappte, so lag doch ein Trostpflas-ter bereit.

Die SA-Führung verfügte im Rahmender Hitler-Freiplatz-Spende der National-sozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) überein Kontingent, das erholungsbedürftigen,

Die Stuttgarter Stadthalle an der Neckarstraße, 1925/26 nach Plänen von Hugo Keuerleber errichtet, Fotografie, 1925.Vorlage: Landesmedienzentrum Baden-Württemberg 007850

Nr. 34 Juni 2007

L a n d e s ge s c h i c h t e ( n )

Wenn einer eine Reise tut …Ein Schwabe auf kulinarischem Bildungsurlaub im Harz

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minderbemittelten Gefolgsmännern desFührers einen Urlaub ermöglichen sollte.Im Jahr 1933 hatten bereits über 90 000Personen dieses in der Regel kostenneut-rale All-Inclusive-Angebot eines soge-nannten Hitlerurlaubs genutzt. Bereitge-stellt wurden die Urlaubsplätze vonSpendern, denen auf solche Weise Gele-genheit gegeben war, ein aufrichtigesBekenntnis zur Volksgemeinschaft abzule-gen. Galten die Plätze aus der Perspek-tive ihrer Stifter als Dank an den Führer,so waren sie, von ihren Nutznießern hergesehen, ein Geschenk des Führers undzugleich eine Auszeichnung für jene, dieim Kampf ums Dritte Reich sowie für denBestand desselben etwas geleistet hat-ten. Wünsche hinsichtlich des Urlaubs-ziels durften zwar geäußert werden,jedoch war es selbstverständlich, dassdie Beschenkten und Ausgezeichnetenjeden Freiplatz mit größter Dankbarkeitakzeptierten. Dauern sollte der Aufenthaltmindestens 14 Tage, kürzere Trips hättenweder die beabsichtigte Erholung ge-währleistet noch den Kostenaufwandgelohnt, den die NSV und die von Kaiserso sehr geschätzte Reichsbahn je zurHälfte übernahmen.

Eine Gegenleistung freilich durfte derFührer von den Beschenkten erwarten.Sie war immaterieller Art. Wer dank Hitlerauf Reisen ging, war gleichsam alsEnzym in Sachen Volksgemeinschaftunterwegs und hatte sich dementspre-chend zu betragen. Tat er das nicht,machte er dem Führer gar Schande, sowaren die Leiter von Partei und SA amUrlaubsort ermächtigt, den Versager mitdem nächsten Zug nach Hause zu beför-dern. Um das zu vermeiden, schärfte einMerkblatt den Hitlerurlaubern vorab Ver-haltensregeln ein: Gib Deinen Mitmen-schen überall und jederzeit durch Deinmannhaftes Auftreten ein gutes Beispiel.Du hast Dich so zu benehmen, dassDeine Gastgeber mit größter Freude vonihrem SA-Mann erzählen und bei derObersten SA-Führung wieder um Zuwei-sung eines SA-Mannes bitten. Laß Dichnicht bedienen! Sei bemüht, Deinen Gast-gebern zu helfen, wo es geht! Sei liebens-würdig, höflich und bescheiden! Behandledie Frauen ritterlich und begegne denälteren Leuten mit Ehrfurcht! Benutze denErholungsaufenthalt um Dich körperlichund geistig zu ertüchtigen und genießedie Schönheiten Deines unvergleichlichenVaterlandes! Suche gute Kameraden aufund lungere nicht in Gasthäusern herum!Der Obersten SA-Führung sollst Du mitdem Kennwort ‚Hitler-Spende‘ einen Briefoder Aufsatz in ernster oder heiterer Artüber den Urlaub als Dank einsenden.

Derart auf guten Ton gestimmt,machte sich auch der SA-Reservist Kai-ser auf. Er hatte nämlich, der Fragwürdig-keit seiner Leistungen im Kampf fürsDritte Reich ungeachtet, einen Freiplatzergattert. Urlaubsort war Rottleberode im

Harz, wo das Bauernehepaar Meyer da-rauf brannte, seine Gastfreiheit und Füh-rertreue unter Beweis zu stellen. Was denGeschenk-Charakter des Urlaubs nochverschärfte: Er sollte am 18. Juli begin-nen, zwei Tage nach Kaisers 50. Geburts-tag! Ein echtes Präsent also! Und sobrach er an besagtem Tag um zehn Uhrvormittags aus Ludwigsburg auf, vollerVorfreude auf die Schönheiten des unver-gleichlichen Vaterlandes – worunter er imWesentlichen eine üppige Auswahl anFressalien verstand. All you can eat zumNulltarif: Er konnte es kaum erwarten,das Wasser rann ihm schon zusammen inseinem führergemäß überbartetenLeckermaul. Nach zehn Stunden endlichrollte Kaiser im Harz ein. Nichts wie hinzu den Wirtsleuten! Dort stellte sich flugsErnüchterung ein, verursacht durch ein imMerkblatt nicht vorgesehenes Problem:Die Verständigung mit meinen Gastge-bern war wegen der Verschiedenheit derMundarten sehr schwer. Dass es damit imVaterland aber auch so unvergleichlich

ungleich bestellt sein musste! Wie sollteda zusammenwachsen, was zusammen-gehörte? Die Verwurzelung im deutschenSüdwesten brachte den Reisenden abernicht nur um die zuweilen recht nütz-lichen Hochdeutschkenntnisse, nein, siestürzte ihn sogleich in einen weiteren Kul-turschock. In dem Zimmer befand sichkein Stuhl, keine Waschgelegenheit, keinSpiegel und kein Handtuch. Wo war er hier gelandet? War die Maxime Seibescheiden! so gemeint? BedeuteteUrlaub Verzicht auf Lebensqualität?Offenbar, denn zu wünschen übrig ließnicht nur die Ausstattung des Quartiers.Zum Vesper erhielt Kaiser Brot mit Wurstund Tee, nicht eben viel für seinen nachFüllung verlangenden Bauch. Kaiserschluckte seinen Ärger hinunter und trös-tete sich mit der Aussicht auf ein deftigesFrühstück, auf Würste, Sülzen, HarzerKäse. Am nächsten Morgen, um 1/27 Uhr,sprang er erwartungsvoll aus dem Bett.Meine Gastgeber waren bereits auf demFelde und ich wusch mich auf dem Hof

Joseph Kaiser. – Vorlage: Landesarchiv StAL PL 505 Bü. 502

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an dem Brunnen. Gegen 8 Uhr 30 kamendie Leute zurück und ich bekam zumFrühstück etwas Tee mit Brot undSchmalz, satt wurde ich von den zweidünnen Scheiben Brot nicht. SolcherleiHäppchen, bestenfalls ein Gruß aus derKüche, gehörten nun wahrlich nicht zuden Gaumenfreuden, die zu genießen erin den Harz gekommen war. Das mussteKaiser erst einmal verdauen (leider nur imübertragenen Sinne). Er stiefelte an diefrische Luft, knurrenden Magens undknurrend vor Wut. Der Bäuerin Meyerbegann zu dämmern, dass mit Brot alleinihrem Hitlertouristen nicht gedient war.Was tun? Am besten, man nahm sich einBeispiel am Führer selbst. Der versprachdoch immer Arbeit und Brot! Ganz imSinne des Slogans entwarf sie ein Fit-nessprogramm und präsentierte es stolzdem Gast. Als ich wiederkam, wollte michdie Frau für etwa 2 Stunden an die But-termaschine stellen. Zweifellos eine gutgemeinte Animation. Dank ihrer wäre zwi-schen Kaiser und den Meyers vielleichtdoch noch alles in Butter gekommen,wenn – ja, wenn Kaiser die Empfehlungendes Merkblatts (Behandle die Frauen rit-terlich! Sei bemüht, zu helfen, wo esgeht!) beherzigt hätte. Das aber war kei-neswegs der Fall. Vielmehr sagte er sich:Wer nicht isst, soll auch nicht arbeiten –und trat in eine Art Hunger-Streik. Ichlehnte diese Arbeit ab, da ich zur Erho-lung hierhergekommen sei. Die nächsteNahrungsaufnahme, immerhin der Lunch,verlief abermals deprimierend: 11/2 TellerGemüsesuppe in die Kartoffeln und zweiScheiben Schwarzwurst. Ich stand wie-derum hungrig auf. In dieser Küche trieboffenbar Schmalhans sein Unwesen.Immerhin ertüchtigten Kohldampf undÄrger Kaiser körperlich wie geistig derart,dass er nun zum örtlichen SA-Führermarschierte, um dort – mannhaft, wie das

Vorlage: Bundesarchiv Abt. R, Berlin, aus: Schriften des Bundesarchivs Band 35, 1988,Abb. 12

Ergebnis der SA-Reserve-UntersuchungJoseph Kaisers.Vorlage: Landesarchiv StAL PL 505 Bü. 604

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Merkblatt gebot – wegen seiner entgan-genen Urlaubsfreuden Beschwerde zuführen. Die Führungskraft versprach, sichpersönlich um Abhilfe zu kümmern. Aufdem Rückmarsch lief unserem Hungerlei-der der Bauer Meyer über den Weg;beide vereinbarten eine klärende Aus-sprache von Mann zu Mann auf dem Hof.Jedoch: Auch diese letzte Hoffnung trog.Im Haus angekommen, kümmerte sichniemand um mich. Unterdessen rücktedas Abendbrot bedrohlich näher (allerWahrscheinlichkeit irgendetwas wenigNahrhaftes nebst Tee), und Kaiser begannsich mit dem Gedanken an eine vorzeiti-ge Abreise zu befreunden. Zwar erwarte-ten den Frühheimkehrer empfindlicheSanktionen – aber sollte er wirklichweiterhin Teetrinken und Abwarten? Nein,der wackre Schwabe forcht sich nit undrüstete zum Rückzug, weiteren Probender Harzer Gastlichkeit mochte er sichnicht aussetzen. Ich packte meineSachen, verabschiedete mich undbedankte mich bei meinen Gastgebern,gegen 8 Uhr 45 abends fuhr ich ab. Amspäteren Abend erreichte er Erfurt, derletzte Zug in Richtung Südwesten warschon weg. Was nun? Das Merkblatt gabRat: Suche gute Kameraden auf und lun-gere nicht in Gasthäusern herum! So ließer sich zum SA-Standartenbüro weisen,klopfte an die Tür und musste draußenbleiben. Die guten Kameraden hattenlängst Feierabend gemacht. Wie gernwäre Kaiser nun in ein Gasthausbettgekrochen (nach zuvor eingenommenemAbendmahl, versteht sich). Doch damitwar es nichts, er hatte kein Geld. Es bliebihm nichts übrig, als zum Bahnhof

zurückzutrotten. Die Stunden bis zurWeiterreise am nächsten Morgen lungerteer auf einem Stuhl herum.

Der obligatorisch-spontane Epilogjedes Hitlerurlaubs, der briefliche Doppel-dank, zum einen an den Gastgeber, zumandern an die SA-Führung, musste beidieser Reise entfallen. Die parteiamtlichverfügte größte Dankbarkeit kam bei Kai-ser nicht auf, wofür hätte er auch dankensollen, für den ewigen Tee etwa? Umge-kehrt allerdings wird wohl auch das Ehe-paar Meyer wenig Anlass verspürt haben,des fressgierigen Nörglers mit der seltsa-men Artikulation in größter Freude zugedenken. Zu einem wahren Aufsatz inallerdings durchaus nicht heiterer, son-dern sehr ernster Art geriet die Mängel-rüge, die Kaiser zu Hause bei der SA auf-nehmen ließ. Sturmführer Glaser, derProtokollant, traute seinen Ohren nicht. Ermachte Meldung beim zuständigen SA-Sturmbann, in der Absicht, dem Undank-baren wegen seines Verhaltens einestrenge Strafe, am besten den Aus-schluss aus der SA zu erwirken. Oben-drein gab er Kaisers Reiseabenteuer amStammtisch zum besten, als mahnendesBeispiel, dass ein beurlaubter SA-Manndie selbstverständliche Pflicht habe mitanzufassen und dass er nicht erwartenkönne, dass ihm während des Urlaubsnoch ein Stubenmädchen zur Bedienunggestellt werde. Als Kaiser davon erfuhr,platzte ihm der Kragen. Er begab sich zuGlaser und stellte klar: Ich für meine Per-son brauche keine Dame als Bedienung,– für das wenige Essen wo ich bekam.Darauf erhitzte sich auch der Sturmführer,ein Wort gab das andere, und schließlich

verließ der gebeutelte Hitlertourist auf-brausend mit den Worten: ‚Komme wasda wolle‘ ohne Gruß das Dienstzimmer –nicht ohne dass zuvor, seiner Darstellungzufolge, Glaser noch mit der Hand nachmeiner Vermutung zu einem Schlage aus-geholt hatte. Kaiser reichte bei der SA-Standarte Beschwerde ein, wegenEhrenkränkung. Dort jedoch galt dasFührerprinzip. Glasers Urteil über Kaiser –alles andere als naiv, ‚dummdreist’ wäreeine richtigere Bezeichnung – fandZustimmung, zumal da auch der zustän-dige Sturmbannführer mit seiner Ansichtnicht hinterm Berg hielt, für einen wieKaiser sei kein Platz in der SA, denn beiihm handle es sich um einen unduld-samen Menschen. Duldsamkeit alsGrunddisziplin der braunen Bataillone?Tolerant hin, tolerabel her: Kaiser jeden-falls erhielt seinen Laufpass. Für denGeschassten brach eine Welt zusammen.Erst der verpatzte Schlemmerurlaub,dann die üble Nachrede, und nun nichtetwa Schmerzensgeld, sondern schmach-voller Rauswurf. Und das, wo ihm einAusscheiden aus des Führers Sturmtrup-pen mehr als sofortiger Tod schien! Dochweder verfing diese erpresserische Dro-hung, noch erfüllte sie sich. Genauer: Sieerfüllte sich nur in übertragenem Sinn.Kaiser fuhr nicht, wie vollmundig ange-kündigt, in die Grube, sondern allenfallsaus seiner Haut (seiner zweiten, demgeliebten Braunhemd). Tot war er ledig-lich für die SA: In deren Reihen mar-schierte er, wie die erschossenen Kame-raden im Horst-Wessel-Lied, fortan nurmehr im Geist mit Carl-Jochen Müller

Landesarchiv Baden-Württemberg,Eugenstraße 7, 70182 Stuttgart Telefon (07 11) 2 12-4273Telefax (07 11) 2 12-42 83.Redaktion: Dr. Wolfgang ZimmermannGestaltung: Luise PfeifleRedaktion/Gestaltung der Quellenbeilage:Luise PfeifleDruck: Offizin Chr. Scheufele, Stuttgart

Das Heft erscheint halbjährlichund wird kostenlos abgegeben.

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