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ten Falles vernünftigerweise von dem Betroffenen unter Anlegung subjektiver Maßstäbe – namentlich unter Be- rücksichtigung seiner Lage, Bildung und Erfahrung – zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Höhere Gewalt ist insbesondere auch bei einer falschen, irreführenden Rechtsbelehrung anzuneh- men, wenn gerade sie ursächlich für die Fristversäumnis war. Ebenso kann ein Fall höherer Gewalt durch ein sons- tiges rechts- oder treuwidriges Verhalten der Behörde be- gründet werden (BVerwG, Urt. v. 18. 4. 1997 – 8 C 38.95, juris Rdnr. 16, m. w. N.). Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin keine falsche oder irreführende Rechtsbelehrung erteilt. Sie hat insbe- sondere nicht – wie in dem Fall über den das Bundesver- waltungsgericht mit Gerichtsbescheid vom 30. 7. 1998 – 4 A 1.98 – entschieden hat – dadurch vorwerfbar Verwirrung gestiftet, dass sie der Antragstellerin zu Unrecht eine Stel- lungnahmefrist gesetzt oder verlängert hätte. Wie bereits oben unter II. 2. b) cc) ausgeführt hat sie sich vielmehr be- zogen auf die Einwendungs- und Stellungnahmefrist so- wie die Verlängerung der Letztgenannten in keiner hier relevanten Weise rechts- oder treuwidrig verhalten. Ihr in- soweit nicht zu beanstandendes Verfahrenshandeln ist le- diglich von den Bediensteten der Antragstellerin aus ver- schuldeter Rechtsunkenntnis missdeutet worden. Selbst wenn man aber annähme, dass die vertretungs- berechtigten und zuständigen Bediensteten der Antrag- stellerin durch die im Rechtsverkehr erforderliche übliche Sorgfalt den ihnen unterlaufenen Rechtsirrtum vor dem Verstreichen der Einwendungsfrist nicht hätten vermeiden können, kann keine Rede davon sein, dass sie auch un- ter Wahrung der größten, nach den Umständen des kon- kreten Falles vernünftigerweise von ihnen unter Anlegung subjektiver Maßstäbe – namentlich unter Berücksichtigung ihre Lage, Bildung und Erfahrung – zu erwartende und zumutbare Sorgfalt daran gehindert gewesen wären, noch vor Ablauf der Jahresfrist einen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen. Denn auch nachdem die Einwendungsfrist mit dem 13. 6. 2012 verstrichen war, hatten diese Bediensteten jedenfalls bei Beachtung einer derartigen außergewöhnli- cher Sorgfalt und zumindest bis zum Ablauf der verlän- gerten Stellungnahmefrist am 20. 7. 2012 weiterhin Anlass, durch die Einholung von Rechtsrat die Frage zu klären, ob die beabsichtigte gemeindliche Stellungnahme tatsächlich fristgerechte Einwendungen erübrigen könne, und zwar mit dem Ziel, erforderlichenfalls ein als Stellungnahme be- absichtigtes Vorbringen in nachträgliche Einwendungen zu kleiden und diese mit einem Wiedereinsetzungsgesuch zu verbinden. c) Es ist davon auszugehen, dass das Klagevorbringen der Antragstellerin, soweit es binnen der Frist des § 43 e Abs. 1 Satz 2 EnWG zum Gegenstand der Begründung auch des Eilantrags gemacht worden und deshalb hier in den Blick zu nehmen ist, insgesamt der eingetretenen Präklusion un- terliegt. aa) Gemäß § 43 a Nr. 7 Satz 1 EnWG sind alle Einwen- dungen nach Ablauf der Einwendungfrist ausgeschlossen. Diese Vorschrift verschärft § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG a. F. insoweit, als dessen Ausnahme, dass Einwendungen nicht präkludiert sind, soweit sie auf besonderen privatrechtli- chen Titeln beruhen, im energiewirtschaftlichen Planfest- stellungsverfahren nicht gilt (Missling, in: Danner/Theo- bald, Energierecht, Kommentar, Stand: Sept. 2013, Bd. 1, § 43 a EnWG, Rdnr. 23). Einwendungen, die der Präklu- sion unterliegen können, sind hiernach sachliches, auf die Verhinderung oder Modifizierung des Planvorhabens ab- zielendes Gegenvorbringen (BVerwG, Urt. v. 17. 7. 1980 – 7 C 101.78, BVerwGE 60, 297, 300; OVG Lüneburg, Urt. v. 22. 2. 2012 – 7 LC 83/10, juris Rdnr. 87). Zu solchem Gegenvorbringen zählt nicht allein ein Vortrag, der auf die Geltendmachung einer Verletzung materiellen Rechts hinausläuft, sondern auch ein solcher, der in der Beanstan- dung von Verfahrensverstößen besteht. Eine Ausnahme gilt lediglich für die Verletzung von Bestimmungen, die wie die Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde den formell-rechtlichen Rah- men der Planfeststellung abstecken; ihre Rüge unter- liegt nicht der Einwendungspräklusion (BVerwG, Urt. v. 14. 7. 2011 – 9 A 14.10, NuR 2012, 52). Zu diesen rah- mensetzenden Vorschriften gehören allerdings nicht die- jenigen über das Erfordernis einer Umweltverträglich- keitsprüfung (OVG Lüneburg, Urt. v. 19. 9. 2013 – 7 KS 209/11, juris Rdnr. 63). Das oben unter I. zusammengefasste und die Frist des § 43 e Abs. 1 Satz 2 EnWG wahrende antragsbegründende Vorbringen der Antragstellerin in der Antragsschrift be- trifft nicht die Verletzung von Bestimmungen, die den for- mell-rechtlichen Rahmen der Planfeststellung abstecken, sodass es insgesamt von einer eingetreten Präklusion er- fasst wird. bb) Der Eintritt der Präklusion ist auch gegeben, soweit die Antragstellerin geltend macht, der Schluss sei nicht ge- rechtfertigt, dass die Leitungsmasten, die nicht erhöht wer- den sollten, künftig trotz tieferer Durchhänge der Leiter- seile nur in derselben Weise belastet würden wie zuvor, weil sich hinsichtlich dieses Gesichtspunktes nichts Nähe- res aus den ausgelegten Unterlagen ergebe. Zutreffend ist zwar, dass der Einritt einer Präklusion un- ter anderem voraussetzt, dass die Planauslegung so beschaf- fen gewesen ist, dass sie hinsichtlich des als Einwendung in Betracht zu ziehenden Gesichtspunktes ihre Anstoßfunk- tion erfüllen konnte (vgl. Ziekow, VwVfG, 2. Aufl. 2010, § 73 Rdnr. 55). Hierzu ist jedoch nicht stets erforderlich, dass sich hinsichtlich dieses Gesichtspunktes Näheres aus den Planunterlagen ergibt. Vielmehr kann auch ein ‘’bered- tes Schweigen’‘ der Planunterlagen hinreichende Anstoß- funktion entfalten. So liegt es im vorliegenden Fall. Denn aus den Ziffer 3.2.1 und 3.2.2 des Erläuterungsberichts, der zu den ausgelegten Planunterlagen zählte, ergibt sich, dass die Beigeladene Veränderungen der statischen Belas- tung der wegen tieferer Durchhänge zu erhöhenden Mas- ten festgestellt hatte, woraus im Umkehrschluss zu folgern war, dass sie – und ihr folgend die Antragsgegnerin – davon ausging, dass es zu einer Veränderung der statischen Belas- tung der übrigen Masten infolge der größeren Durchhänge nicht kommen werde. Für diesen Umkehrschluss sprach insbesondere Ziffer 3.2.2 des Erläuterungsberichts, wo es heißt: „Anders als bei Tragmasten, gestaltet sich bei Win- kelmasten eine Aufstockung deutlich schwieriger, da diese neben vertikalen Zugkräften auch horizontale Kräfte auf- nehmen müssen.“ Soweit die Antragstellerin – möglicherweise – meint, es habe sogar eine Anstoßfunktion der Antragsunterla- gen hinsichtlich der gesamten von ihr geltend gemachten Stabilitätsproblematik der Masten gefehlt, ist ebenfalls ein „beredtes Schweigen“ der Planunterlagen anzunehmen, aus denen sich im Übrigen gerade das Alter der vorhan- denen Masten ergab, an das die Antragstellerin mit ih- ren (teilweise spekulativen) Schlussfolgerungen maßgeb- lich anknüpft. DOI: 10.1007/s10357-014-2616-5 Immissionsschutzrechtliche Genehmigung für Windkraftanlage (Drittanfechtung) NBauO § 5; § 66; VwGO § 114 Die erteilte Abweichung von den Regelungen der Grenzabstandsvorschrift des § 5 NBauO zugunsten ei- nes Windkraftvorhabens ist ermessensfehlerhaft, wenn das Recht des Eigentümers des Nachbargrundstücks, Rechtsprechung 123 218 NuR (2014) 36: 218–221

Immissionsschutzrechtliche Genehmigung für Windkraftanlage (Drittanfechtung)

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Page 1: Immissionsschutzrechtliche Genehmigung für Windkraftanlage (Drittanfechtung)

ten Falles vernünftigerweise von dem Betroffenen unter Anlegung subjektiver Maßstäbe – namentlich unter Be-rücksichtigung seiner Lage, Bildung und Erfahrung – zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Höhere Gewalt ist insbesondere auch bei einer falschen, irreführenden Rechtsbelehrung anzuneh-men, wenn gerade sie ursächlich für die Fristversäumnis war. Ebenso kann ein Fall höherer Gewalt durch ein sons-tiges rechts- oder treuwidriges Verhalten der Behörde be-gründet werden ( BVerwG, Urt. v. 18. 4. 1997 – 8 C 38.95, juris Rdnr. 16, m. w. N.).

Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin keine falsche oder irreführende Rechtsbelehrung erteilt. Sie hat insbe-sondere nicht – wie in dem Fall über den das Bundesver-waltungsgericht mit Gerichtsbescheid vom 30. 7. 1998 – 4 A 1.98 – entschieden hat – dadurch vorwerfbar Verwirrung gestiftet, dass sie der Antragstellerin zu Unrecht eine Stel-lungnahmefrist gesetzt oder verlängert hätte. Wie bereits oben unter II. 2. b) cc) ausgeführt hat sie sich vielmehr be-zogen auf die Einwendungs- und Stellungnahmefrist so-wie die Verlängerung der Letztgenannten in keiner hier relevanten Weise rechts- oder treuwidrig verhalten. Ihr in-soweit nicht zu beanstandendes Verfahrenshandeln ist le-diglich von den Bediensteten der Antragstellerin aus ver-schuldeter Rechtsunkenntnis missdeutet worden.

Selbst wenn man aber annähme, dass die vertretungs-berechtigten und zuständigen Bediensteten der Antrag-stellerin durch die im Rechtsverkehr erforderliche übliche Sorgfalt den ihnen unterlaufenen Rechtsirrtum vor dem Verstreichen der Einwendungsfrist nicht hätten vermeiden können, kann keine Rede davon sein, dass sie auch un-ter Wahrung der größten, nach den Umständen des kon-kreten Falles vernünftigerweise von ihnen unter Anlegung subjektiver Maßstäbe – namentlich unter Berücksichtigung ihre Lage, Bildung und Erfahrung – zu erwartende und zumutbare Sorgfalt daran gehindert gewesen wären, noch vor Ablauf der Jahresfrist einen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen. Denn auch nachdem die Einwendungsfrist mit dem 13. 6. 2012 verstrichen war, hatten diese Bediensteten jedenfalls bei Beachtung einer derartigen außergewöhnli-cher Sorgfalt und zumindest bis zum Ablauf der verlän-gerten Stellungnahmefrist am 20. 7. 2012 weiterhin Anlass, durch die Einholung von Rechtsrat die Frage zu klären, ob die beabsichtigte gemeindliche Stellungnahme tatsächlich fristgerechte Einwendungen erübrigen könne, und zwar mit dem Ziel, erforderlichenfalls ein als Stellungnahme be-absichtigtes Vorbringen in nachträgliche Einwendungen zu kleiden und diese mit einem Wiedereinsetzungsgesuch zu verbinden.

c) Es ist davon auszugehen, dass das Klagevorbringen der Antragstellerin, soweit es binnen der Frist des § 43 e Abs. 1 Satz 2 EnWG zum Gegenstand der Begründung auch des Eilantrags gemacht worden und deshalb hier in den Blick zu nehmen ist, insgesamt der eingetretenen Präklusion un-terliegt.

aa) Gemäß § 43 a Nr. 7 Satz 1 EnWG sind alle Einwen-dungen nach Ablauf der Einwendungfrist ausgeschlossen. Diese Vorschrift verschärft § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG a. F. insoweit, als dessen Ausnahme, dass Einwendungen nicht präkludiert sind, soweit sie auf besonderen privatrechtli-chen Titeln beruhen, im energiewirtschaftlichen Planfest-stellungsverfahren nicht gilt (Missling, in: Danner/Theo-bald, Energierecht, Kommentar, Stand: Sept. 2013, Bd. 1, § 43 a EnWG, Rdnr. 23). Einwendungen, die der Präklu-sion unterliegen können, sind hiernach sachliches, auf die Verhinderung oder Modifizierung des Planvorhabens ab-zielendes Gegenvorbringen ( BVerwG, Urt. v. 17. 7. 1980 – 7 C 101.78, BVerw GE 60, 297, 300; OVG Lüneburg, Urt. v. 22. 2. 2012 – 7 LC 83/10, juris Rdnr. 87). Zu solchem Gegenvorbringen zählt nicht allein ein Vortrag, der auf die Geltendmachung einer Verletzung materiellen Rechts hinausläuft, sondern auch ein solcher, der in der Beanstan-

dung von Verfahrensverstößen besteht. Eine Ausnahme gilt lediglich für die Verletzung von Bestimmungen, die wie die Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde den formell-rechtlichen Rah-men der Planfeststellung abstecken; ihre Rüge unter-liegt nicht der Einwendungspräklusion ( BVerwG, Urt. v. 14. 7. 2011 – 9 A 14.10, NuR 2012, 52). Zu diesen rah-mensetzenden Vorschriften gehören allerdings nicht die-jenigen über das Erfordernis einer Umweltverträglich-keitsprüfung (OVG Lüneburg, Urt. v. 19. 9. 2013 – 7 KS 209/11, juris Rdnr. 63).

Das oben unter I. zusammengefasste und die Frist des § 43 e Abs. 1 Satz 2 EnWG wahrende antragsbegründende Vorbringen der Antragstellerin in der Antragsschrift be-trifft nicht die Verletzung von Bestimmungen, die den for-mell-rechtlichen Rahmen der Planfeststellung abstecken, sodass es insgesamt von einer eingetreten Präklusion er-fasst wird.

bb) Der Eintritt der Präklusion ist auch gegeben, soweit die Antragstellerin geltend macht, der Schluss sei nicht ge-rechtfertigt, dass die Leitungsmasten, die nicht erhöht wer-den sollten, künftig trotz tieferer Durchhänge der Leiter-seile nur in derselben Weise belastet würden wie zuvor, weil sich hinsichtlich dieses Gesichtspunktes nichts Nähe-res aus den ausgelegten Unterlagen ergebe.

Zutreffend ist zwar, dass der Einritt einer Präklusion un-ter anderem voraussetzt, dass die Planauslegung so beschaf-fen gewesen ist, dass sie hinsichtlich des als Einwendung in Betracht zu ziehenden Gesichtspunktes ihre Anstoßfunk-tion erfüllen konnte (vgl. Ziekow, VwVfG, 2. Aufl. 2010, § 73 Rdnr. 55). Hierzu ist jedoch nicht stets erforderlich, dass sich hinsichtlich dieses Gesichtspunktes Näheres aus den Planunterlagen ergibt. Vielmehr kann auch ein ‘’bered-tes Schweigen’‘ der Planunterlagen hinreichende Anstoß-funktion entfalten. So liegt es im vorliegenden Fall. Denn aus den Ziffer  3.2.1 und 3.2.2 des Erläuterungsberichts, der zu den ausgelegten Planunterlagen zählte, ergibt sich, dass die Beigeladene Veränderungen der statischen Belas-tung der wegen tieferer Durchhänge zu erhöhenden Mas-ten festgestellt hatte, woraus im Umkehrschluss zu folgern war, dass sie – und ihr folgend die Antragsgegnerin – davon ausging, dass es zu einer Veränderung der statischen Belas-tung der übrigen Masten infolge der größeren Durchhänge nicht kommen werde. Für diesen Umkehrschluss sprach insbesondere Ziffer 3.2.2 des Erläuterungsberichts, wo es heißt: „Anders als bei Tragmasten, gestaltet sich bei Win-kelmasten eine Aufstockung deutlich schwieriger, da diese neben vertikalen Zugkräften auch horizontale Kräfte auf-nehmen müssen.“

Soweit die Antragstellerin – möglicherweise – meint, es habe sogar eine Anstoßfunktion der Antragsunterla-gen hinsichtlich der gesamten von ihr geltend gemachten Stabilitätsproblematik der Masten gefehlt, ist ebenfalls ein „beredtes Schweigen“ der Planunterlagen anzunehmen, aus denen sich im Übrigen gerade das Alter der vorhan-denen Masten ergab, an das die Antragstellerin mit ih-ren (teilweise spekulativen) Schlussfolgerungen maßgeb-lich anknüpft.

DOI: 10.1007/s10357-014-2616-5

Immissionsschutzrechtliche Genehmigung für Windkraftanlage (Drittanfechtung)

NBauO § 5; § 66; VwGO § 114

Die erteilte Abweichung von den Regelungen der Grenzabstandsvorschrift des § 5 NBauO zugunsten ei-nes Windkraftvorhabens ist ermessensfehlerhaft, wenn das Recht des Eigentümers des Nachbargrundstücks,

Rechtsprechung

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dieses Grundstück selbst mit einem im Außenbereich privilegierten Vorhaben (ebenfalls der Windenergie-nutzung) zu bebauen oder bebauen zu lassen, nicht mit dem gebotenen Gewicht in die Ermessensentscheidung eingestellt wird.OVG Lüneburg, Beschluss vom 10. 2. 2014 – 12 ME 227/13 –

Die Antragstellerin ist Eigentümerin u. a. der Flurstücke 143 und 140/7. Sie wendet sich dagegen, dass die Antragsgegnerin der Bei-geladenen durch Bescheid vom 19. 6. 2013 unter Anordnung der so-fortigen Vollziehung die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Windenergieanlage (des Typs G. H. mit einer Nennleistung von 6 MW, einer Nabenhöhe von 120 m, einem Rotordurchmesser von 154 m und einer Gesamthöhe von 197 m) auf dem – an ihre o. g. Flurstücke angrenzenden – Flur-stück 140/5 unter Abweichung von den Grenzabstandsvorschriften nach § 66 NBauO (Nebenbestimmung Nr. 5.1) erteilt hat.

Der in Rede stehende Bereich liegt nordwestlich des Stadtge-biets im Außenbereich der Antragsgegnerin. Mit ihrer 71. Flächen-nutzungsplanänderung (wirksam geworden am 17. 12. 2011) erwei-terte die Antragsgegnerin die in diesem Bereich bereits vorhandene Sonderbaufläche für Windenergieanlagen und Konzentrationszone nach § 35 Abs.  3 Satz  3 BauGB. Die Sonderbaufläche erfasst u. a. auch das Flurstück 143 der Antragstellerin. Am 19. 9. 2012 – und erneut am 13. 2. 2013 – beschloss der Rat der Antragsgegnerin die Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 143 „Forschungswindpark I.“. Dessen Geltungsbereich soll sich auf den Geltungsbereich der 71. Flächennutzungsplanänderung beziehen. Ziel des Bebauungsplans Nr. 143 ist es, die im Flächennutzungsplan dargestellten Sonderbau-flächen als Sondergebiete für Windenergie mit der Zweckbestim-mung „Erforschung und Entwicklung von Windenergieanlagen“ auszuweisen. Am 23. 2. 2013 erging ein erneuter Aufstellungsbe-schluss für diesen Bebauungsplan mit (geringfügig) angepasstem Geltungsbereich. Der Planentwurf, der eine Festsetzung des Grenz-abstands auf 0,25 H vorsieht, wird in der Zeit vom 13. Januar bis 13. 2. 2014 erneut öffentlich ausgelegt. Danach soll der Rat über den Entwurf beschließen.

Ein mit der Beigeladenen konkurrierendes Windenergieunterneh-men, die J., plante u. a. auf den Flurstücken 143 und 140/7 der An-tragstellerin die Errichtung und den Betrieb einer Windenergiean-lage. Die J. beantragte am 28. 9. 2011 bei der Antragsgegnerin die Erteilung eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheids zur pla-nungsrechtlichen Zulässigkeit einer Windenergieanlage unbekann-ten Typs mit einer Nennleistung von 3 bis 4 MW und einer Gesamt-höhe von 125 bis 200 m auf einem „Bauteppich“. Später begrenzte die J. den Standort auf das Flurstück 143. Mit Blick auf den Ratsbe-schluss zur Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 143 verfügte die An-tragsgegnerin die Zurückstellung des Vorhabens der J.. Den Antrag der J., die Errichtung und den Betrieb einer Windenergieanlage des Typs K. auf dem Flurstück 143, Flur 10, der Gemarkung F. zu geneh-migen, lehnte die Antragsgegnerin mit – soweit erkennbar bestands-kräftigem – Bescheid vom 11. 9. 2013 ab, weil die Fläche, die von den Rotoren überstrichen würde, nicht nur über den Geltungsbereich der 71. Flächennutzungsplanänderung, sondern auch über die Stadt-grenze hinausreiche.

Aus den Gründen:

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ist begründet.

Die Antragstellerin trägt zur Begründung ihrer Beschwerde vor: Die der Beigeladenen erteilte Genehmigung sei offensicht-lich rechtswidrig und verletze sie in ihren subjektiven Rechten. Die Windenergieanlage sei abstandsflächenpflichtig. Die erforderlichen Abstände zu ihren Flurstücken 143 und 140/7 würden nicht einge-halten. Der nach dem Erlass des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Familie, Gesundheit und Integration vom 14. 11. 2012 einzuhaltende Abstand betrage 146,8 m. Richtig berechnet (von ei-nem Kreis mit einem Abstand vom Mastmittelpunkt aus, der dem Rotorradius entspreche bzw. die auf die Geländeoberfläche proji-zierte „kugelförmige“ Fläche als fiktive Außenwand berücksichtige, die vom Rotor bei seinen Drehbewegungen überstrichen werde) betrage er 179 m. Tatsächlich sei ein Abstand von 124 m vorgese-hen. Der vorgetragene Rechenweg sei gerechtfertigt. Eine Wind-energieanlage als Baukörper werde maßgeblich durch die Rotoren und deren besonderen Dimensionen (hier 154 m) geprägt. Das Ver-waltungsgericht habe verkannt, dass die erteilte Abweichung von den Abstandsflächen ermessensfehlerhaft sei. Ihren schützenswer-

ten nachbarlichen Belangen, insbesondere ihrem (Grund-)Recht als Grundstückseigentümerin, das Grundstück zu nutzen, es ggf. zukünftig zu bebauen oder bebauen zu lassen, komme erhebli-ches Gewicht zu. Dies habe das Gericht verkannt. Es habe fehler-haft eigene Bauabsichten des Grundstückseigentümers gefordert. Sie habe – wie sich anhand der seit langem geschlossenen zivilrechtli-chen Nutzungsverträge erkennen lasse – die konkrete Absicht, ihr Grundstück mit einer Windenergieanlage durch einen Dritten be-bauen zu lassen, der zudem bereits Vorbescheids- und Genehmi-gungsanträge gestellt habe. Dass diese – fehlerhafter Weise – ab-gelehnt worden seien, sei irrelevant. Ihre Bauabsichten könnten – entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts – nicht als ledig-lich theoretischer Natur bezeichnet werden. Das Verwaltungsge-richt habe zudem fehlerhaft angenommen, ihre Grundstücke seien nur eingeschränkt bebaubar. Sie lägen in der Sonderbaufläche für Windenergie. Maßgeblich sei insoweit die generelle Bebaubarkeit der einzelnen Grundstücke. Die Bauabsichten auf ihren Grundstü-cken würden erheblich eingeschränkt bzw. unmöglich gemacht. Ihre Belange seien nicht mit dem gebotenen Gewicht in die Abwei-chungsentscheidung eingeflossen. Fehlerhaft sei auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Abweichung lasse sich durch den Ent-wurf des Bebauungsplans bzw. die dort vorgesehene Verkürzung der Abstandsflächen rechtfertigen. Zum einen handele es sich hier-bei um eine Gefälligkeitsplanung. Zum anderen sei maßgeblich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses der Genehmigung. Auf den Planentwurf abzustellen bedeute, eine eventuell künftige Rechtslage vorwegzunehmen, und sei ermessensfehlerhaft.

Die vom Senat zu prüfenden Beschwerdegründe (§ 146 Abs.  4 Satz  6 VwGO) geben Anlass, den angegriffenen Beschluss zu ändern. Die vorzunehmende Interessenab-wägung fällt zulasten der Antragsgegnerin und der Beige-ladenen aus. Nach summarischer Prüfung bestehen ernst-liche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der der Beigeladenen erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 19. 6. 2013. Eine Gesamtbetrachtung der Interessenlage ergibt keine überwiegenden Interessen der Beigeladenen oder der Allgemeinheit, die – ungeachtet der bestehen-den ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der ange-fochtenen Verfügung – für ihre sofortige Vollziehbarkeit sprächen.

Nach summarischer Prüfung spricht aus Sicht des Senats Überwiegendes dafür, dass die unter 5.1 des Genehmi-gungsbescheids erteilte Abweichung von den Regelungen der Grenzabstandsvorschrift des § 5 NBauO ermessensfeh-lerhaft ist. Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 NBauO kann die Bau-aufsichtsbehörde Abweichungen von Anforderungen dieses Gesetzes und aufgrund dieses Gesetzes erlassener Vor-schriften zulassen, wenn diese unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforde-rungen nach § 3 Abs. 1 NBauO vereinbar sind. Es ist an-zugeben, von welchen Vorschriften und in welchem Um-fang eine Abweichung zugelassen wird (§ 66 Abs. 1 Satz 2 NBauO). Eine Abweichung wird, wenn die Erteilung einer Baugenehmigung von ihr abhängt, durch die Baugenehmi-gung zugelassen (§ 66 Abs. 3 NBauO). Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 NBauO müssen Gebäude mit allen auf ihren Außen-flächen oberhalb der Geländeoberfläche gelegenen Punk-ten von den Grenzen des Baugrundstücks Abstand halten. Satz 1 gilt entsprechend u. a. für andere bauliche Anlagen, von denen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen. Der Abstand ist zur nächsten Lotrechten über der Grenzlinie zu messen. Er richtet sich jeweils nach der Höhe des Punktes über der Geländeoberfläche (H). Der Abstand darf auf volle 10 cm abgerundet werden (§ 5 Abs. 1 Satz 2 bis 5 NBauO). Gemäß § 5 Abs. 2 NBauO beträgt der Abstand 0,5 H, min-destens jedoch 3 m.

Zwar erfüllt die die Baugenehmigung einschließende immissionsschutzrechtliche Genehmigung die an eine Abweichungsentscheidung zu stellenden formellen An-forderungen. In ihr ist angegeben, von welcher Vorschrift (§ 5 Abs. 2 NBauO) und in welchem Umfang (Reduzie-rung des Grenzabstands von 0,5 H in Teilbereichen zu

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den Flurstücken 143, 140/7 und 146/5) eine Abweichung zugelassen wird. Sie genügt jedoch nach summarischer Prüfung nicht den materiell-rechtlichen Anforderungen. Dabei geht der Senat für das vorläufige Rechtsschutz-verfahren davon aus, dass die Abstandsvorschriften der NBauO für Windenergieanlagen anzuwenden sind, die Abstände nach dem Erlass des Niedersächsischen Minis-teriums für Soziales, Familie, Gesundheit und Integration vom 14. 11. 2012 zu berechnen sind und der hier nach § 5 Abs. 2 NBauO notwendige Abstand von 0,5 H zu den in Rede stehenden Grundstücken der Antragstellerin nicht eingehalten ist. Im Einzelnen:

Die Abstandsvorschriften der NBauO auch auf Wind-energieanlagen anzuwenden, entspricht der Konzep-tion des Gesetzgebers. Dieser hat den Geltungsbereich der NBauO auf bauliche Anlagen (§ 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 NBauO) erstreckt, ohne Windenergieanlagen auszuneh-men. Bauliche Anlagen mit einer Höhe von mehr als 30 m  – bei (Groß-)Windenergieanlagen regelmäßig der Fall – gelten als Sonderbauten (§ 2 Abs. 5 Nr. 2 NBauO; zu alledem auch Breyer, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 9.  Aufl., § 5 Rdnr.  45, 66; Mann, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 9. Aufl., § 2 Rdnr. 10). Dass in aller Regel Wind-energieanlagen im Außenbereich (vgl. dazu auch etwa VGH München, Beschl. v. 12. 3. 1999 – 2 ZB 98.3014, BayVBl. 2000, 630 u. Beschl. v. 28. 7. 2009 – 22 BV 08.3427, BayVBl. 2010, 109, juris Rdnr. 32; OVG Wei-mar, Beschl. v. 24. 2. 2011 – 1 EO 119/11, ThürVBl 2011, 243, juris Rdnr. 32; OVG Bautzen, Urt. v. 16. 9. 2003 – 1 B 226/99, SächsVBl 2004, 106, juris Rdnr. 38; Breyer, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 9. Aufl., § 5 Rdnr. 35) errich-tet werden und es bei diesen nicht darum gehen wird, die Ausleuchtung von Aufenthaltsräumen mit Tageslicht im fensternahen Bereich zu gewährleisten, rechtfertigt nicht die Annahme, Windenergieanlagen würden dem Schutz-zweck der Abstandsvorschriften nicht unterfallen. Die Abstandsvorschriften dienen nicht nur dem Schutz vor Verschattung, sondern auch dem Schutz vor anderen nega-tiven, durch Gebäudeaußenflächen erzeugten Wirkungen auf ein Nachbargrundstück, z. B. einer sichtversperrenden oder erdrückenden Wirkung und sollen auch Freiräume für ein störungsfreies Wohnen gewährleisten (Breyer, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 9.  Aufl., § 5 Rdnr.  55, 22). Dies sind auch bei der Genehmigung von Windenergie-anlagen zu berücksichtigende Aspekte (s. etwa OVG Wei-mar, Beschl. v. 24. 2. 2011 – 1 EO 119/11, ThürVBl 2011, 243, juris Rdnr. 31 f.; OVG Münster, Urt. v. 29. 8. 1997 – 7 A 629/95, NWVBl 1998, 115, juris Rdnr. 7 ff.). Zudem schreibt der Gesetzgeber einem Grundstückseigentümer die Einhaltung eines bestimmten Grenzabstands auch des-wegen vor, weil jeder Grundstückseigentümer dazu bei-tragen soll, die gewünschten Gebäudeabstände einzu-halten. Es soll nicht dem „Windhundprinzip“ überlassen bleiben, wer von zwei Nachbarn für einen notwendigen Gebäudeabstand zu sorgen hat. Vielmehr soll das Verur-sacherprinzip gelten mit dem Ergebnis, dass ein Grenzab-stand, den ein Nachbar einhalten muss, umso größer ist, je höher das Gebäude und dessen beeinträchtigende Wir-kung ist (Breyer, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 9. Aufl., § 5 Rdnr. 27).

Das beschließende Gericht hat sich bisher zu der Frage, wie bei Windenergieanlagen die Grenzabstände konkret zu berechnen sind, nicht abschließend geäußert. Dem Be-schluss des 1. Senats vom 13. 8. 2001 (1 L 4089/00, Nds-VBl 2001, 322, juris Rdnr. 7) ist die Bewertung zu ent-nehmen, dass die gebäudegleiche Wirkung, die von Windenergieanlagen ausgeht und die die Anwendung der Abstandsvorschriften rechtfertigt, auch von dem Feld aus-geht, den der Rotor bedeckt, und das Rotorfeld dement-sprechend bei der Abstandsflächenberechnung einzube-ziehen ist. Dem Beschluss des beschließenden Senats vom 21. 6. 2010 (12 ME 240/09, NVwZ-RR 2010, 797, juris)

liegt eine Abstandsflächenberechnung nach Maßgabe der seinerzeitigen Rundverfügung der Bezirksregierung Hannover vom 26. 4. 1995 (205-24159/10) zugrunde, die der Berechnung, die nach dem Erlass des Niedersächsi-schen Ministeriums für Soziales, Familie, Gesundheit und Integration vom 14. 11. 2012 vorzunehmen ist, weitge-hend entspricht (vgl. dazu näher auch Lindorf, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 8. Aufl., § 12 a Rdnr. 12 ff., 14). Das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bietet keinen Anlass, diese Berechnungsform grundsätz-lich in Zweifel zu ziehen, und die Frage, wie für Nie-dersachsen die Grenzabstände bei Windenergieanlagen konkret zu berechnen sind, abschließend zu entscheiden. In Kenntnis der auch bisher praktizierten Form der Ab-standsberechnung auch für Windenergieanlagen hat der Gesetzgeber bei der Neufassung der NBauO durch Ge-setz vom 3. 4. 2012 (GVBl. 2012, 46) an einem Grenzab-stand ausgehend von der Höhe der auf den Außenflächen von Gebäuden oberhalb der Geländeoberfläche gelegenen Punkte und einer über der Grenzlinie zu ziehenden Lot-rechten festgehalten, ohne Sondervorschriften für Wind-energieanlagen vorzusehen. Die erwähnte Rundverfü-gung der Bezirksregierung Hannover vom 26. 4. 1995 (205-24159/10) und der Erlass des Niedersächsischen Mi-nisteriums für Soziales, Familie, Gesundheit und Integra-tion vom 14. 11. 2012 sind von den nachgeordneten Be-hörden zu beachten und bieten auch darüber hinaus eine Auslegungshilfe u. a. für die Frage, wie in Anknüpfung an die gesetzgeberische Regelung für Windenergieanlagen die maßgeblichen Punkte oberhalb der Geländeoberfläche zu bestimmen sind. Diese Berechnungsmethode erscheint nicht unvertretbar. Dass sie auch gewisse, in der Recht-sprechung benannte (s. insbesondere VGH München, Be-schl. v. 28. 7. 2009 – 22 BV 08.3427, BayVBl. 2010, 109) und vom Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen auf-gegriffene Schwächen aufweist, mag sein. Der Senat hält diese indessen nicht für derart gravierend und etwa die u. a. vom Bayerischen VGH praktizierte Methode Form der Grenzabstandsberechnung nach der Gesamthöhe der Anlage gerechnet ab einem die Exzentrizität berücksich-tigenden Kreis um den Mastmittelpunkt nicht für derart überzeugend, dass er sich gezwungen sähe, von der hier angewandten Berechnungsformel im vorliegenden Ver-fahren des vorläufigen Rechtsschutzes abzurücken. Der Ansatz des VGH München scheint das Rotorfeld bei der Abstandsberechnung überhaupt nicht zu berücksichtigen. Ob dies gerechtfertigt ist bzw. es überzeugendere Formen der Grenzabstandsberechnung für Windenergieanlagen gibt (ob etwa auf eine Rotorstellung von 45° abzustellen sein könnte), bleibt einer Prüfung im Hauptsacheverfah-ren vorbehalten.

Die Beteiligten stimmen darin überein, dass der not-wendige Abstand von 0,5 H bei Zugrundelegung der vom Erlass des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Familie, Gesundheit und Integration im 14. 11. 2012 vorge-sehenen Berechnung nicht eingehalten wird.

Nach summarischer Prüfung spricht Überwiegendes da-für, dass die unter 5.1 des Genehmigungsbescheids erteilte Abweichung von den Regelungen der Grenzabstandsvor-schrift des § 5 NBauO ermessensfehlerhaft ist. Ein Ermes-sensfehler liegt vor, wenn die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 114 Satz 1 VwGO). So liegt es nach summarischer Prüfung hier. Die Antragsgegnerin hat das – auch grundrechtlich geschützte (vgl. OVG Baut-zen, Beschl. v. 25. 5. 2011 – 4 A 485/09, juris Rdnr. 8) – Recht der Antragstellerin, ihr Grundstück baulich ausnut-zen zu können oder ausnutzen zu lassen, nicht mit dem gebotenen Gewicht in die Ermessensentscheidung ein-gestellt. Sie hat zudem nicht hinreichend gewürdigt, dass die Abstandsvorschriften gerade nicht vom beschriebenen

Rechtsprechung

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Page 4: Immissionsschutzrechtliche Genehmigung für Windkraftanlage (Drittanfechtung)

„Windhundprinzip“ ausgehen, sondern grundsätzlich ein jeder Grundstückeigentümer die Einhaltung der Grenzab-stände auf seinem eigenen Grundstück sicherstellen bzw. die Bebaubarkeit eines jeden Grundstücks gewahrt bleiben muss. Im Einzelnen:

Die Antragsgegnerin ist in ihrer Begründung zur Ab-weichungsentscheidung in dem Genehmigungsbescheid vom 19. 6. 2013 davon ausgegangen, die Grundstücke der Antragstellerin befänden sich im Außenbereich, ihre Be-baubarkeit sei nur in einem eng gesteckten Rahmen ge-geben und werde nur geringfügig eingeschränkt. Diese Betrachtung vernachlässigt zum einen, dass sich etwa das Flurstück 143 in dem Bereich befindet, der nach dem Flä-chennutzungsplan der Antragsgegnerin in einer Sonder-baufläche für Windenergieanlagen und Konzentrations-zone nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB liegt, und sich die negative Komponente der festgelegten Konzentrations-zone (d. h., der Ausschluss von Windenergieanlagen au-ßerhalb der Konzentrationszone) nur rechtfertigen lässt, wenn sich die betreffenden Vorhaben innerhalb der Kon-zentrationszone gegenüber anderen konkurrierenden Nut-zungen grundsätzlich durchsetzen. Die Antragsgegnerin gewichtet damit den Aspekt der Bebaubarkeit des ange-führten Grundstücks der Antragstellerin fehl. Zwar be-rücksichtigt die Antragsgegnerin in ihrer Erwiderung auf die Beschwerde vom 6. 12. 2013 die Lage des Grundstücks innerhalb der Sonderbaufläche für Windenergieanlagen, zugleich relativiert sie aber deren Bebaubarkeit unter Hin-weis auf ihre Randlage innerhalb des Sondergebiets. Die Randlage innerhalb des Sondergebiets ändert indessen nichts daran, dass das Grundstück innerhalb der Konzen-trationszone liegt, mithin an deren Zweckbestimmung teilhat, und sich damit im Prinzip auch auf diesem eine Windenergienutzung gegenüber anderen konkurrieren-den Nutzungen grundsätzlich durchsetzen können muss. Zum anderen vernachlässigt die von der Antragsgegnerin angestellte Betrachtung, dass das Interesse der Antragstel-lerin gerade auf die Realisierung eines im Außenbereich privilegierten Vorhabens gerichtet ist, und stellt sich inso-fern die These in der Begründung der Abweichungsent-scheidung, die Antragstellerin werde mit Baumaßnahmen nur geringfügig eingeschränkt, als künstliche Relativie-rung ihrer Rechtsposition dar. Dass die Antragstellerin unabhängig von dem Vorhaben der Beigeladenen und dem noch nicht in Kraft getretenen Bebauungsplan der Antragsgegnerin von vornherein gehindert wäre, eigene Nutzungsinteressen auf den ihr zur Verfügung stehenden Grundstücken zu verwirklichen, drängt sich demgegen-über nicht auf.

Soweit die Antragsgegnerin im Bescheid vom 19. 6. 2013 zu den Antragsverfahren der J… betreffend das Flurstück 143 ausführt, ihr Vorbescheidsverfahren genieße keinen Vorrang, das Antragsverfahren nach § 19 BImSchG sei zurückgestellt worden, die insoweit geplante Anlage sei nicht zu berücksichtigen, die von der Antragstellerin vor-getragene Bebaubarkeit sei nur theoretischer Natur, und in ihrer Beschwerdeerwiderung vom 6. 12. 2013 anführt, Bauvorhaben könnten im Rahmen der Ermessenserwä-gungen zur Genehmigung der Bebauung eines Nachbar-grundstücks nur dann Berücksichtigung finden, soweit sie hinreichend konkretisiert, also nachvollziehbar und hin-reichend substantiiert, seien sowie absehbar sei, inwieweit eine konkrete Beeinträchtigung eintreten könne, läuft dieses Verständnis auf eine Betrachtung nach dem „Wind-hundprinzip“ hinaus, das nach der dargelegten Vorstellung des Gesetzgebers im vorliegenden Zusammenhang gerade nicht gelten soll. Im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 NBauO sind nicht nur Bauvor-haben zu berücksichtigen, die hinreichend konkretisiert sind. Vielmehr ist das Interesse eines jeden Grundstücks-eigentümers, sein Grundstück baulich auszunutzen bzw. ausnutzen zu lassen, nach der gesetzgeberischen Wertung

zunächst einmal prinzipiell gleichgewichtig (vgl. Breyer, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 9.  Aufl., § 5 Rdnr.  27; s. auch OVG Bautzen, Beschl. v. 25. 5. 2011, a. a. O.). Vor diesem Hintergrund stellt sich die grundsätzliche, im vor-liegenden Verfahren nicht abschließend zu beantwortende Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Vorausset-zungen die Abweichungsentscheidung nach § 66 NBauO überhaupt ein taugliches und rechtlich zulässiges Instru-ment darstellt und das Genehmigungsverfahren der geeig-nete Ort ist, um einen im Fall – wie hier – gleichartiger, aber sich wohl ausschließender Nutzungsinteressen beste-henden Nutzungskonflikt zulasten des einen Interessen-ten – hier die Antragstellerin – und damit zugunsten des anderen (mag hier mit der genehmigten Anlage der Bei-geladenen auch ein spezifischer Zweck verfolgt werden) aufzulösen und auf diese Weise faktisch die Nutzbarkeit des als nachrangig behandelten Grundstücks ohne Aus-gleich aufzuheben.

Eine Gesamtbetrachtung der Interessenlage ergibt keine überwiegenden Interessen der Beigeladenen, die – unge-achtet der bestehenden erheblichen Zweifel an der Recht-mäßigkeit der angefochtenen Verfügung – für ihre sofor-tige Vollziehbarkeit sprächen. Das Vollzugsinteresse der Beigeladenen ist in erster Linie wirtschaftlicher Natur. Dass ihr im Falle einer Aussetzung der Vollziehung ein wirt-schaftlicher Schaden drohte, der schwerer wiegt als das In-teresse der Antragstellerin oder der Allgemeinheit daran, von der Vollziehung der – wie dargelegt – nach summa-rischer Prüfung in rechtlicher Hinsicht zweifelhaften Ge-nehmigung verschont zu bleiben, ist weder dargelegt noch dem Senat ersichtlich. Soweit nach Inkrafttreten des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans das Baurecht im Bebauungsplangebiet in verfassungsrechtskonformer Weise erleichtert sein sollte, mag das Interesse der Antragstellerin anders zu gewichten sein. Gegenwärtig sieht der Senat da-für keine Handhabe.

Statthaftigkeit einer Normenkontrolle nach VwGO § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gegen Darstellungen eines Flächennutzungsplans

BauGB § 5, § 35 Abs. 3; VwGO § 47 Abs. 1

Zur (hier verneinten) Statthaftigkeit einer Normen-kontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gegen Darstel-lungen eines Flächennutzungsplans (im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 31. 1. 2013 – 4 CN 1.12, BauR 2013, 1255).VGH Mannheim, Urteil vom 20. 11. 2013 – 5 S 3074/11 –

Die Antragstellerinnen wenden sich gegen den Flächennutzungsplan 2020 der Vereinbarten Verwaltungsgemeinschaft Singen, Rielasin-gen-Worblingen, Steißlingen und Volkertshausen.

Die Antragstellerin zu 1. ist Eigentümerin der Grundstücke Flst.-Nr. 34, 34/1, 3262 und 2831/1. Die Grundstücke liegen teils auf der A…-Insel in B…, teils nordwestlich, teils nordöstlich des Mühlka-nals. Auf dem Grundstück Flst.-Nr. 34 betreibt die Antragstellerin zu 1. ein Wasserkraftwerk. Die Antragstellerin zu 2. betreibt auf dem Areal ein Unternehmen der Holzverarbeitung. Zu dem Betrieb ge-hört ein Sägewerk, ein Spanerwerk mit Rundholzsortieranlage und großem Holzlagerplatz. Der Einschnitt des Sägewerks beträgt ca. 130 000 Festmeter pro Jahr. Die Antragstellerin zu 3. fertigt dort au-ßerdem Paletten aus Holz.

Im Flächennutzungsplan 1970 der damals noch selbständigen Gemeinde B… war für die Grundstücke der Antragstellerin zu 1. eine gewerbliche Baufläche dargestellt. In den nachfolgenden Flä-chennutzungsplänen war diese Darstellung nicht mehr enthalten. Der von der Verwaltungsgemeinschaft beschlossene streitgegen-ständliche Flächennutzungsplan 2020 sieht für die Grundstücke

NuR (2014) 36: 221–223 221Rechtsprechung

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