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Nr. 4 | 35. Jahrgang 2005 | Biol. Unserer Zeit | 227 | TREFFPUNKT FORSCHUNG natürlichen Witterungsbedingungen ausgesetzt. Es zeigte sich, dass die Nachkommen der Sukkulentenkaroo bei Anwesenheit ihres Vaters deutlich schneller wuchsen als die mit der Mutter allein gelassenen Jungtiere. Während der Vater seinen Jungen in den dort teilweise sehr kalten Näch- ten lebenswichtige Wärme spenden kann, ist diese Hilfeleistung in den milden Nächten der Graslandschaften nicht von Bedeutung. Die Entwick- lung des dort beobachteten Nach- wuchses blieb folglich von der Anwe- senheit des Vaters unbeeinflusst [2]. [1] C. Schradin, N. Pillay, Journal of Compara- tive Psychology 2003, 117 (3), 317-324. [2] C. Schradin, N. Pillay, The influence of the father on offspring development in the striped mouse, Behav Ecol, in press. Annette Wiedon, Münster Impfstoffe können nicht nur zur Ver- hütung, sondern unter Umständen auch zur Behandlung von Krankhei- ten eingesetzt werden. Insbesondere bei Krebserkrankungen, die sich oft geschickt der Entdeckung durch das Immunsystem entziehen, kann eine Impfung mit charakteristischen Anti- genen dazu dienen, den Körper zur Abwehr einer bereits etablierten Krankheit zu befähigen. Das CIM in Havanna hat bereits drei Kandidaten für Krebsmedika- mente auf dieser Grundlage ent- wickelt. Vor rund einem Jahr gelang es der zugehörigen Firma CIMAB, ei- nen Vertrag mit der US-Firma Cancer- Vax Corporation abzuschließen, die sich jetzt um den Abschluss der klini- schen Tests für diese Therapeutika kümmert. CancerVax brauchte zwei Jahre, um von den US-Behörden eine Ausnahmegenehmigung für dieses Geschäft zu bekommen, für welches sie CIMAB nicht in Devisen, sondern ausschließlich in Lebensmitteln und Medikamenten bezahlen dürfen. Dieses Beispiel zeigt, dass die Situation für die kubanischen For- scher – politisch wie wirtschaftlich – schwierig bleibt. Doch die zuneh- menden Exporterfolge ihrer Impf- stoffe und anderer Biotech-Produkte [1] könnten es ihnen schon bald ermöglichen, sich auf wundersame Weise an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. [1] H. Thorsteinsdóttir et al., Nature Biotech- nol. 2004, 22, DC19-DC24. [2] V. Verez-Bencomo et al., Science 2004, 305, 522-525. Michael Groß, Oxford ARZNEIMITTELFORSCHUNG | Impfstoffe aus Kuba Vor einem Jahr publizierte das US-Magazin Science eine Arbeit, welche den ersten vollständig synthetisch erzeugten Impfstoff vorstellte und seine Wirksamkeit gegen Haemophilus influenzae B (HiB) demonstrier- te – einen Erreger, dem in den Entwicklungsländern jährlich mehr als 600.000 Kinder zum Opfer fallen. Die eigentliche Sensation: Der neue Wirkstoff stammt aus dem „Labor für synthetische Antigene“ an der Universität von Havanna in Kuba. Aus der simplen Not heraus, dass ih- nen die Devisen fehlten, um die in Europa seit den 1990er Jahren üb- liche HiB-Impfung einzuführen, ent- wickelten die kubanischen Forscher unter Leitung von Vicente Verez-Ben- como eine kostengünstige Alternative auf der Grundlage der chemischen Synthese der für den Erreger charak- teristischen Zuckerketten. In Zusam- menarbeit mit Kollegen an der Uni- versität von Québec in Montreal gelang ihnen nach zehn Jahren der vielbeachtete Durchbruch, als ihr Impfstoff-Kandidat alle klinischen Tests bestand [2]. Inzwischen hat die technische Produktion des Wirkstoffs und das Impfprogramm in Kuba bereits be- gonnen. Schon bald wird die Imp- fung auch in andere Entwicklungslän- der exportiert und womöglich auch in Asien und Afrika produziert wer- den. Obwohl der HiB-Impfstoff der bisher spektakulärste Erfolg der kuba- nischen Biotechnologie ist, steht er bei weitem nicht allein da. Seit den 1980er Jahren hat Fidel Castros Re- gierung das bisschen Geld, das sie für Forschungszwecke erübrigen kann, gezielt in Biotechnologie investiert. Am westlichen Stadtrand Havannas entstanden eine ganze Reihe moder- ner Forschungsinstitute, darunter das „Zentrum für molekulare Immunolo- gie“ (CIM), das inzwischen monoklo- nale Antikörper im großtechnischen Maßstab sowohl für Kubas Eigenbe- darf als auch für den Export produ- ziert und über die Firma CIMAB ver- kauft. In derselben Nachbarschaft befin- det sich auch das Finlay-Institut, das sich ebenfalls mit Immunologie und vor allem mit der Impfstoffentwick- lung befasst. Dort wurde zum Bei- spiel ein Impfstoff gegen den Erreger Neisseria meningitidis B entwickelt, mit dessen Hilfe die von diesem Bak- terium ausgelöste Hirnhautentzün- dung in den 1990er Jahren zurück- gedrängt werden konnte. Ebenso wie CIM betreut das Finlay-Institut seine Produkte über den kompletten Zyklus hinweg, von der Grundlagen- forschung bis hin zu Produktion und Vertrieb über die Firma Vacunas Finlay. INTERNET | Weitere Informationen im Internet unter: www.stripedmouse.com

Impfstoffe aus Kuba

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Page 1: Impfstoffe aus Kuba

Nr. 4 | 35. Jahrgang 2005 | Biol. Unserer Zeit | 227

| T R E F F P U N K T FO R SC H U N G

natürlichen Witterungsbedingungenausgesetzt. Es zeigte sich, dass dieNachkommen der Sukkulentenkaroobei Anwesenheit ihres Vaters deutlichschneller wuchsen als die mit derMutter allein gelassenen Jungtiere.Während der Vater seinen Jungen inden dort teilweise sehr kalten Näch-ten lebenswichtige Wärme spendenkann, ist diese Hilfeleistung in denmilden Nächten der Graslandschaften

nicht von Bedeutung. Die Entwick-lung des dort beobachteten Nach-wuchses blieb folglich von der Anwe-senheit des Vaters unbeeinflusst [2].

[1] C. Schradin, N. Pillay, Journal of Compara-tive Psychology 2003, 117 (3), 317-324.

[2] C. Schradin, N. Pillay, The influence of thefather on offspring development in thestriped mouse, Behav Ecol, in press.

Annette Wiedon, Münster

Impfstoffe können nicht nur zur Ver-hütung, sondern unter Umständenauch zur Behandlung von Krankhei-ten eingesetzt werden. Insbesonderebei Krebserkrankungen, die sich oftgeschickt der Entdeckung durch dasImmunsystem entziehen, kann eineImpfung mit charakteristischen Anti-genen dazu dienen, den Körper zurAbwehr einer bereits etabliertenKrankheit zu befähigen.

Das CIM in Havanna hat bereitsdrei Kandidaten für Krebsmedika-mente auf dieser Grundlage ent-wickelt. Vor rund einem Jahr gelanges der zugehörigen Firma CIMAB, ei-nen Vertrag mit der US-Firma Cancer-Vax Corporation abzuschließen, diesich jetzt um den Abschluss der klini-schen Tests für diese Therapeutikakümmert. CancerVax brauchte zweiJahre, um von den US-Behörden eineAusnahmegenehmigung für diesesGeschäft zu bekommen, für welchessie CIMAB nicht in Devisen, sondernausschließlich in Lebensmitteln undMedikamenten bezahlen dürfen.

Dieses Beispiel zeigt, dass die Situation für die kubanischen For-scher – politisch wie wirtschaftlich –schwierig bleibt. Doch die zuneh-menden Exporterfolge ihrer Impf-stoffe und anderer Biotech-Produkte[1] könnten es ihnen schon bald ermöglichen, sich auf wundersameWeise an den eigenen Haaren ausdem Sumpf zu ziehen.

[1] H. Thorsteinsdóttir et al., Nature Biotech-nol. 2004, 22, DC19-DC24.

[2] V. Verez-Bencomo et al., Science 2004,305, 522-525.

Michael Groß, Oxford

A R Z N E I M I T T E L FO R S C H U N G |Impfstoffe aus Kuba

Vor einem Jahr publizierte das US-Magazin Science eine Arbeit, welcheden ersten vollständig synthetisch erzeugten Impfstoff vorstellte undseine Wirksamkeit gegen Haemophilus influenzae B (HiB) demonstrier-te – einen Erreger, dem in den Entwicklungsländern jährlich mehr als600.000 Kinder zum Opfer fallen. Die eigentliche Sensation: Der neueWirkstoff stammt aus dem „Labor für synthetische Antigene“ an derUniversität von Havanna in Kuba.

Aus der simplen Not heraus, dass ih-nen die Devisen fehlten, um die inEuropa seit den 1990er Jahren üb-liche HiB-Impfung einzuführen, ent-wickelten die kubanischen Forscherunter Leitung von Vicente Verez-Ben-como eine kostengünstige Alternativeauf der Grundlage der chemischenSynthese der für den Erreger charak-teristischen Zuckerketten. In Zusam-menarbeit mit Kollegen an der Uni-versität von Québec in Montreal gelang ihnen nach zehn Jahren dervielbeachtete Durchbruch, als ihrImpfstoff-Kandidat alle klinischenTests bestand [2].

Inzwischen hat die technischeProduktion des Wirkstoffs und dasImpfprogramm in Kuba bereits be-gonnen. Schon bald wird die Imp-fung auch in andere Entwicklungslän-der exportiert und womöglich auchin Asien und Afrika produziert wer-den. Obwohl der HiB-Impfstoff derbisher spektakulärste Erfolg der kuba-nischen Biotechnologie ist, steht erbei weitem nicht allein da. Seit den1980er Jahren hat Fidel Castros Re-gierung das bisschen Geld, das sie für

Forschungszwecke erübrigen kann,gezielt in Biotechnologie investiert.Am westlichen Stadtrand Havannasentstanden eine ganze Reihe moder-ner Forschungsinstitute, darunter das„Zentrum für molekulare Immunolo-gie“ (CIM), das inzwischen monoklo-nale Antikörper im großtechnischenMaßstab sowohl für Kubas Eigenbe-darf als auch für den Export produ-ziert und über die Firma CIMAB ver-kauft.

In derselben Nachbarschaft befin-det sich auch das Finlay-Institut, dassich ebenfalls mit Immunologie undvor allem mit der Impfstoffentwick-lung befasst. Dort wurde zum Bei-spiel ein Impfstoff gegen den ErregerNeisseria meningitidis B entwickelt,mit dessen Hilfe die von diesem Bak-terium ausgelöste Hirnhautentzün-dung in den 1990er Jahren zurück-gedrängt werden konnte. Ebenso wieCIM betreut das Finlay-Institut seineProdukte über den kompletten Zyklus hinweg, von der Grundlagen-forschung bis hin zu Produktion und Vertrieb über die Firma VacunasFinlay.

I N T E R N E T |Weitere Informationen im Internet unter: www.stripedmouse.com

226_BI_Treff_Maus_Kuba 19.07.2005 8:47 Uhr Seite 227