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Impressum

Herausgeber: Amt für missionarische Dienste der Evang. Landeskirche in Württemberg. Postfach 10 13 52, 70012 Stuttgart, Telefon (0711) 20 68-2 69, Telefax (0711) 2 26 02 67. Schriftleiter: Jens Plinke. Redaktlonsbelrat: Amt für missionarische Dienste, Württemberg, Manfred Bittighofer, Evang. Jugendwerk in Württemberg (N. N.). Amt für missionarische Dienste, Bayern, Jürgen Körnlein, Amt für missionarische Dienste, Baden, Wolfgang Raupp. Fotosatz: Typographie Helmut Paul, Valhingen (Enz). Herstellung: Arbeits- und Beschäftigungstherapie der Grafischen Werkstätte der Gustav-Werner-Stiftung zum Bruderhaus Reutlingen. Erscheinungsweise: vierteljährlich. Bezugspreis: Im Abonnement (4 Ausgaben pro Jahr) DM/sFr. 20.- bzw. öS 150,- einschließlich Porto und MWSt.. Einzelheft DM/sFr. 5,50 bzw. öS 40.- zuzüglich Porto. Abbestellung bis 1.11. zum Jahresende.

Überweisungen des Abonnementpreises bitte an den Evang. Gemeindedienst für Württemberg. Stuttgart. Konto-Nr. 2 030 102. Landesgirokasse Stuttgart (BLZ 600 501 01). Bitte in jedem Fall Kundennummer und Kennwort ·Bibel aktue11· angeben. Warten Sie bitte die Rechnungstellung ab. die zu Beginn jedes Kalenderjahres erfolgt. Bei Abbestellungen beachten Sie bitte die oben angegebene FrisL Vielen Dank!

Konto in der Schweiz: Evang. Gemeindedienst, Amt für missionarische Dienste, Ref. Hauskreisarbeit, GeschäftssteHe Sigrid Kurz. Riehen: Postscheckamt Basel, Konto-Nr. 40-17248-8

Konto in Österreich: Evang. Gemeindedienst AmD. Geschäftsstelle Hermann Brand. Klagenfurt: Kärtner Spar­kasse. Gst. Pischeldorferstraße, Konto-Nr. 1310-125 909, Stichwort ·Bibel aktue11·

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Bibel aktuell Arbeitshilfe für Bibelkreise

Beft63

Thema: Jeremialll

Herausgegeben vom Amt für missionartsehe Dienste der Evang. Landeskirche tn Württemberg

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An diesem Heft haben mitgearbeitet:

Alfred Herb, Pfarrer i. R .. Hattenhofen Jürgen Körnlein, Pfarrer und Referent für Hauskreisarbeit in Bayern. Langenzenn Elisabeth Neunzig, Pfarrerin i. R., Nürnberg Mattbias Pöhlmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für praktische Theologie. Erlangen Wolfgang Raupp, Pfarrer und Referent für Hauskreisarbeit in der Evangelischen Landeskirche Baden, Keltern Brunhilde Weinmann, Diplom-Religionspädagogin, Ebern

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Liebe Leserin! Lieber Leser!

Vor Ihnen liegt nun unser letztes Heft aus dem großen Jeremia-Zyklus. Wieder können Sie- anband von diesmal acht Bibelauslegungen-tiefenEinblick neh­men in dies außergewöhnliche Lebens- und Prophetenzeugnis aus dem Alten Testament. Drei Autoren stellen sich Ihnen dabei zur Seite- wiederum mit ganz unterschied­licher Persönlichkeit: Brunhilde Weinmann em1öglicht Ihnen einen sehr präzisen und differenzierten Zugang zu den Texten, wobei immer wieder eine erstaunliche Durchsichtigkeit für unser ·Heute• gelingt. Elisabeth Neunzig erweist sich als engagierte Autorin aus der Praxis. Aifred Herb zeigt, wie gut er sich in die Situation eines Hauskreises versetzen kann und wirbt in seiner •Zupackenden Art" für das, was von Gott her "an der Zeit• ist - damals und heute. Übrigens haben sich zum ersten Mal alle drei Textausleger an unser neues Be­arbeitungsschema gehalten. Wir hoffen, damit den Lesern ein einheitliches und hilfreiches »Geländer" durch die Bibelarbeiten an die Hand zu geben.- Vielleicht schreiben Sie uns einmal, wie Sie damit zurechtkommen. Jürgen Körnlein und Wolfgang Raupp greifen- sozusagen in badisch-bayrischer Kooperation - ein Thema auf, das unterschwellig schon viele Jahre - auch in Hauskreisen- "gärt«, das in letzter Zeit aber auch zunehmend von der Presse auf­genommen wird: 11Kritik an der Kirchen. - Wer diesen Artikel in seiner ab­wägenden Art gelesen hat, wird sich gewiß im Strudel der Diskussion um die Kirche besser zurechtfinden. Matthias Pöhlmann nimmt -mit der ihm eigenen wissenschaftlichen Gründlich­keit- das Thema "Angst vor der Zukunftcc auf. Dabei spannt sich dankenswer­terweise in diesem Artikel der Bogen vom Kirchengeschichtlichen bis hin zum Seelsorgerlichen- und das ist diesem heiklen Artikel durchaus angemessen. Noch ein Hinweis im Rückblick auf das Heft Nr. 61 und die vorweihnachtliche Bildbetrachtung von Manfred Bittighofer: .Q Heiland, reiß die Himmel auf.· Es gab Nachbestellungen wie noch nie. Wer in der nächsten Adventszeit auf dieses besonders eindrucksvolle Bild von Beate Heinen zurückgreifen möchte, sollte sich bis Ende September 1995 an unser Amt für missionarische Dienste wenden, damit wir die Auflagenhöhe festlegen können. In einem letzten Blick aufunseren Jeremia-Zyklus bekomme ich den Eindruck: "Jeremia, der außergewöhnliche Prophet, spricht in außergewöhnliche Zeiten hinein und wird wohl nur von denen verstanden, die die Außergewöhnlichkeit ihrer eigenen Zeit auch wahrnehmen können."- Daß dies an so manchem Haus­kreis-Abend gelingt - vielleicht durch manche tex1Jiche Schwierigkeit und Schwergewichtigkeit hindurch-, das ist mein Wunsch. Und dazu möge nun schon ein wenig Vorfreude kommen auf unsere nächsten beiden »Bibel-aktuell-Ausgaben••, die dem so hellen und hellsichtigen Philipper­brief aus dem Neuen Testament gewidmet sind.

Ihr

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Inhalt dieses Heftes

[ Bibelarbeit

Jeremia

Zeugnisse l \ _ ausC:ler ~ Christenheit

[ Problemfeld l3

Brunhilde Weinmann

Die Katastrophe: Jerusalem wird zerstört. Jeremia 52 7

Jeremia erleidet Geschichte - Jeremia und Gedalja -. Jeremia 40 und 41 13

Jeremia warnt vor eigenwilligen ·Rettungsversuchen •. Jeremia 42 und 43 19

Letzte Warnungen an den ·Rest Judas• Jeremia 44 27

Elisabeth Neunzig

Endlich: ·Gnade und neuer Bund· Jeremia 31. 23-34

Gottes Wort kann niemand auslöschen Jeremia 36

Gott und die Weltgeschichte Jeremia 46, 2-18

Babels Untergang und Israels Rettung Jeremia (50, 1-51. 12) 51. 13-26

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37

Alfred Herb

41

47

Matthias Pöhlmann

Angst vor dem Ende? Apokalyptische Bewegungen heute 53

Jürgen Körnlein/Wolfgang Raupp

Kritik an der Kirche 61

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1 AO Jeremia 52

Die Katastrophe: Jerusalem wird zerstört

Bibelarbeit

Welch ein nüchterner Bericht über eine nationale Katastrophe. Mit der Vernichtung des Tempels, der Brandschatzung der Stadt, der Hinrich­tung der Königssöhne und eiriflußreicher Männer, der Gefangennahme des Königs und der Deportation der Besitzenden ist das Ende Judas besiegelt. Wie beurteilt der biblische Bericht diese Ereignisse? Eine eindeutige Bewertung weltpolitischer Ereignisse aus christlicher Sicht erscheint vielen wünschenswert und hilfreich. Ist dies aber möglich?

Was damals nloscc war

Die Parallelstellen: An drei weiteren Stellen wird von diesem historischen Ereignis berichtet: • Jeremia 39, 1-10 stellt das Geschehen in engen Zusammenhang mit dem per­sönlichen Schicksal Jeremias. • 2. Chronik 36, 11-21 ist Teil eines umfangreichen Geschichtswerkes, das die Könige vor allem danach bewertet, wie sehr sie sich für den rechten Gottesdienst im Tempel eingesetzt haben. e 2. Könige 24, 18-25, 21 ist eine fast wörtliche Parallele zu Jeremia 52. Der Ver­fasser der Königsbücher schildert die Geschichte aus der Perspektive eines Pro­pheten. Entscheidend für dieses Geschichtswerk ist, wie Gott mit seinem Volk .zurecht· - zu seinem Recht- kommt. • Das 52. Kapitel bildetdenAbschluß desJeremiabuches und machtsomit deut­lich: Die Worte Jahwes und seines Propheten sind wahr! Es ist ein Text in der ·Rückblende•, keine Reportage!

Die Vorgeschichte: Nach dem Tod König Josias- unter seiner Regierungszeit begann Jeremias öffentlicher Auftritt als Prophet - war Juda Ägypten gegenüber tributpflichtig geworden (2 Kön 23, 35). Im Wechselspiel der weltpolitischen Kräfte geriet es ab 605 v. Chr. Babyion ge­genüber unter Tribut, stellte unter König Jojakin die Abgaben an Nebukadnezar ein und hielt sich damit wieder an die Seite Ägyptens. Die Folge war die erste Er­oberung Jerusalems (2 Kön 24, 1 0 und die Gefangennahme des jungen Königs Jojachin (Sohn Jojakins), der nach Babyion gebracht wurde (2 Kön 24, 8-12). Sein wenig älterer Onkel Mattanja wurde von Nebukadnezar zum Nachfolger ein­gesetzt und erhielt von diesem den Namen Zedekia (37. 1). Dieser war jedoch bestrebt- im Kontakt mit anderen tributpflichtigen Königen (27, 3)- sich vom babylonischen Joch zu befreien, indem er gleichzeitig von Ägypten Unterstüt­zung erhoffte (Ez 17, 11-21). Nebukadnezar schickte daraufhin abermals seine Soldaten zur Belagerung Jerusalems aus.

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Was man nicht gleich versteht

Zeitangaben: Die biblischen Verfasser kennen keine einheitliche. überall gül­tige Zeitrechnung und damit keine fortlaufende Jahreszählung wie wir. Es gibt keine ·Zeit an sich· - Zeit ist immer an ein Ereignis gebunden. Damit hängen auch die Unstimmigkeiten bei den Zeitangaben im Vergleich zu 2. Könige 24 und innerhalb des Kapitels (V. 12, 28-30) zusammen. Ebenso wie in Babyion mißt man die Zeit nach dem Regierungsantritt des jewei­ligen Königs. Die Babyionier zählten das Jahr des Regierungsantritts nicht mit (V. 29 = 18. Jahr der Regierungszeit Nebukadnezars). Die Juden dagegen zählten das Jahr des Regierungsantritts mit (V. 12 = 19. Jahr). Gemeint istjeweils das gleiche Ereignis- entsprechend unserer Zeitrechnung das Jahr 586 v. Chr. -. also das Jahr der Tempelzerstörung und der 2. Deportation. Der jüdische Monat beginnt mit dem Neumond. Folglich ist der 10. Tag (V. 4 und 12) im zunehmenden Mond gut geeignet für eine militärische Aktion. Der zehnte Monat (V. 4) entspricht unserem Monat Januar, der fünfte Monat (V. 12) dem August.

Nebukadnezar war der junge KönigBabylons, Nebusaradansein enger Vertrau­ter. Die Chaldäer, die im Süden Babyions lebten, galten als das Rückgrat des neubabylonischen Reiches.

Die Priester Serl\ia und Zefanja und die Hüter der Schwelle (= Befehlshaber derTempelwache) gehörten als VertreterderReligion zu den einflußreichen Män­nem Jerusalems. Sie werden mit 60 angesehenen Männern Jerusalems und dem Kämmerer, der über die Kriegsleute gesetzt war (= Kriegsminister), sieben Männem, welche stets um den König sein mußten (= Minister) und dem Schrei­ber des Feldhauptmanns (=Leiter der Heeresverwaltung) wohl zu der sogenann­ten ·Kriegspartei· gehört haben, die Zedekia stark beeinflußt hatten.

Zedekia und seine Gefolgsleute zogen zur Stadt binaus ... zwischen den zwei Mauern (V. 7). Sie flohen durch das Tor in der südlichen Stadtmauer, während die Babyionier im Norden der Stadt ·durchgebrochen• waren. Nebukadnezar hat Jerusalem wahrscheinlich nicht persönlich betreten, er residierte in Ribla im Lande Bamat (V. 9). ca. 300 km nördlich Jerusalems in Syrien.

Die Einrichtungsgegenstände des Tempels (V. 17-18, 20-23) werden ausführ­lich beschrieben: Die kleineren Gebrauchsgegenständefür das tägliche Opfer (V. 19) und vor allem das eherne Meer, ein Wasserbecken mit einem Durchmes­ser von ca. 5,25 m und einer Höhe von ca. 2,60 m (eine Elle entspricht rund 52,5 cm). Es diente den Priestern für ihre rituellen Waschungen und stand auf12 kup­fernen Rindern, die als Sockel dienten. Bei den Säulen (V. 21) handelte es sich um 9,45 m hohe, reich verzierte Bronzesäulen (V. 22 + 23), die Salomo rechts und links vom Eingang des Tempels hatte errichten lassen. Möglicherweise dienten sie als riesige Leuchter oder Feueraltäre. Die sperrigen Gegenstände wurden zum besseren Transport in Stücke geschlagen (V. 17).

Die einzelnen Deportationen und die Zahl der Deportierten (V. 28-30) lassen zwar eine zuverlässige Quelle vermuten- auffallend ist jedoch, daß hier von drei Deportationen die Rede ist, wobei die letztgenannte (sie entspräche 581 v. Chr.) an keiner weiteren Stelle der Bibel belegt ist. Auch erscheint die Gesamtzahl von 4 600 im Vergleich zu den Zahlen der Rückkehrer (Esr 2. 64) unstimmig. Wir erkennen, daß biblische Geschichtsschreibung nicht mit den Geschichtswissen­schaften in unserem Sinne gleichzusetzen ist!

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Der Ausblick (V. 31-34) weist daraufhin, daß wohl das ganze Kapitel 52 ein spä­terer ·Anhang. des Jeremiabuches ist. Es ist archäologisch belegbar, daß Nebu­kadnezars Sohn Jojachin nach 37jähriger Haft freiließ - dieser also aus den königlichen Vorräten reichlich versorgt wurde.

Was der Text wollte Von Jeremia selbst erfahren wir nichts. Es geht in diesem Text um die Bewertung des letzten Königs- nicht um das Schicksal des Propheten. Ein Prophet soll dem König als Korrektiv gegenüberstehen, ihn an seine Bindung an Jahwe erinnern und ihn warnen, wenn er seine Machtbefugnisse überschreitet. Dies hatte Jere­mia getan. Was nun berichtet wird, ist die Folge des Ungehorsams.

Die Beurteilungsma,ßstäbe für die Könige Israels und Judas werden in den Ver­sen l bis 3 a deutlich: Die Beurteilung des letzten Königs Judas ist kurz: Er tat, was dem Herrn mißfiel. Die Qualität des Königs entscheidet sich an seinem Vertrauen und seiner n-eue zu Jahwe und seinem Bund. Zedekia hatte andere Sicherheiten gesucht. Er hatte sich nicht mahnen lassen, sich unter das Joch des Königs von Babel zu stellen (27, 6-8). Zu seinen Beratern gehörten vielmehr solche, die eine baldige Befreiung von Babyion bevorzugten und auf eine Verbündung mit Ägypten setz­ten (37. 5-10, 19; 38. 2-4).

Das Ende des jüdischen Königshauses schildern die Verse 3 b bis 11: 18 Monate dauerte die Belagerung Jerusalems. Eine lange Zeit, in der das Leben in der Stadt zunehmend lahm gelegt worden war. Schließlich war die Verteidi­gung der durch Hunger geschwächten Stadt zusammengebrochen. Der flüch­tende König hoffte. über die Wüste Juda den Jordan zu erreichen und sich so ·hinüberzuretten«. Der Fluchtversuch mißlang und endete vor Nebukadnezar. Zedekia erwartete ein strenges Urteil: Seine Söhne wurden vor seinen Augen •abgeschlachtet«; er selbst mit einem glühenden Metall geblendet und bis zu sei­nem Lebensende in Babyion gefangen gelegt. Uns mag dieses Urteil unmensch­lich erscheinen- es war das Urteil des Siegers über einen abtrünnigen Vasallen.

Vom Ende Jerusalems und des Tempels hören wir in den Versen 12 bis 14 und 17 bis 23: Die Stadt war besiegt, aber über ihr weiteres Schicksal war offenbar noch nicht entschieden worden. Erst einen Monat später- zwischenzeitlich mag das Chaos geherrscht haben- trafNebusaradan mit Weisungen Nebukadnezars ein. Nichts soll mehr an die politische und religiöse Eigenständigkelt des jüdischen Volkes erinnern: Der Tempel, der Königspalast und die wichtigen Gebäude der Haupt­stadt wurden gebrandschatzt, die Befestigungsanlagen geschleift, die restlichen Tempelgeräte demontiert und als willkommenes "Recycling-Material• abtrans­portiert. Es waren wirkliche Schätze, die da weggeschafft wurden! Es blieb nichts zurück, was zur Darbringung des Opfers vonnöten war! So war mit der Zerstörung des Tempels der gewohnte "Kontakt• zu Jahwe nicht mehr möglich- das sichtbare Zeichen der Gegenwart Gottes war verschwunden. Hatte damit auch der ·Bund mit Jahwe• aufgehört zu existieren?

Das Schicksal der Bevölkerung lassen uns die Verse 15 bis 16 und 21 bis 27 erahnen: Bei der ersten Eroberung waren es die •Oberen Zehntausend· gewesen, die den Elendsmarsch ins Exil angetreten hatten (2 Kön 24. 14-16). Dieses Mal traf es

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alle: Die besitzenden Jerusalemer Bürger, die Handwerker, die zu den Babyio­niern Übergelaufenen und das einfache Volk. Sie alle mußten den langen Weg (ca. 1000 km Luftlinie!) nach Babyion antreten. Die Verantwortlichen wurden hingerichtet. Eine Hauptstadt- Jerusalem- hatte aufgehört zu existieren. das ·Zeichen• des Bundes- der Tempel- war zerstört worden und ein ganzes Volk- Israel- sollte ausgelöscht werden. Die zurückgelassene verarmte Landbevölkerung bekam das verwaiste Land zur Bestellung übereignet - ein Hoffnungsschimmer? Hat Jahwe mit dem Land, das er Abraham und seinen Nachkommen zugesagt hatte, noch einen Plan?

Der Ausbück wird in den Versen 31-34 gegeben: Hier wird die Hoffnung auf einen Neuanfang ablesbar: Die Mächtigen der Geschichte treffen Entscheidungen die deutlich machen, daß die Geschichte Jahwes mit seinem Volk noch nicht zu Ende ist.

Was der Text heute bewirken kann

Gottes Wort behält Recht Obwohl wir von Jeremia in diesem Text nichts hören, erinnert sich der Leser sicher an dessen Worte (z. B. 21. 1-6; 34, 1-7; 37, 17-21). Jahwe hat Recht be­halten!

Geschichtliche Tatsachen Auch wenn wir es uns wünschen: Dieser Text bewertet das Verhalten ·der Welt• nicht! Nebukadnezar und seine Soldaten werden nicht be- oder ver-urteilt. Alle sind eingebunden in die Geschichte Jahwes mit seinem Volk. Ein Abschnitt die­ser Geschichte- die der Könige Israels und Judas- endet mit einer Katastrophe. Das Alte versinkt in Schutt und Asche. In einer beeindruckenden Sachlichkeit wird dies berichtet. Unserem Wunsch nach einer Bewertung ·der anderen• und ihres Verhaltens wird mit diesem Text nicht entsprochen. Im Gegenteil: Zur ·Bewertung• stehen auch wir selbst an, indem wir unsererseits Gott das Recht geben und uns als ·das neue Volk Gottes. bekennen.

Jahwe bleibt der Herr der Geschichte Es gehört zu den tiefen Glaubenserfahrungen Israels, daß zwischen Jahwe und seinem Volk alle heilende und rettende Zuwendung von Gott ausgeht. Das Volk (der Mensch) kann ihm gegenüber nichts an •Leistung• vorweisen: Israel hat in dem Bundesverhältnis versagt. Wenn Gottes Geschichte mit Israel weitergehen soll, dann wird die Initiative von Gott ausgehen müssen. Das erlaubt im Blick auf unsere heutige Zeit die Frage: Erkennen wir in unserer persönlichen und in der weltweiten Geschichte Gott auch als den Handelnden?

Das 1. Gebot An ihm entscheidet sich das Schicksal Israels. Alle anderen Sünden sind Folgen aus der Übertretung des 1. Gebots. Nichts - auch kein Tempel oder ein noch so reicher Gottesdienst- kann das Ernstnehmen dieses Gebotes ersetzen: 11lch bin der Herr, dein Gott«! Müssen auch unsere ·Tempel•- vermeintliche Sicherheiten- vielleicht erst zer­stört werden, damit wir uns nur auf die lebendige, Heil bringende Beziehung zu Gott verlassen?

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Wie der Text im Hauskreis lebendig wird • Lassen Sie Jeremia 52 aufgeschlagen! Lesen Sie selbst (oder ein anderes

Hauskreismitglied) 2. Könige 24. 18-25. 2llaut vor! Die anderen lesen (für sich) mit. Tauschen Sie untereinander Ihre Beobachtungen aus!

• Regen Sie die Mitglieder Ihres Kreises an. sich selbst an Prophetenworte zu erinnern - am besten schriftlich ohne in der Bibel nachzuschlagen! Es dürfte interessant sein, woran wir uns erinnern.

• Besprechen Sie miteinander die Frage: Mit welcher Haltung nehme ich das Zeitgeschehen wahr? Wie beurteile ich Politik- als etwas, das mit meinem Glauben nichts zu tun hat? Oder gibt es Berührungspunkte? Hilfreich könnte dabei die Art der Berichterstattung in Jeremia 52 sein. Es geht um eine sachliche Darstellung der Ereignisse, die zunächst einmal einfach nur zur Kenntnis genommen werden wollen. Sind wir nicht allzu­oft geneigt, gleich einzuordnen. einzuteilen und zu bewerten?

• Können wirdas heute auch noch so •einfach· beurteilen: ·Er tut, was dem HERRN wohlgefällt· - ·Er tut, was dem HERRN mißfällt·? Gibt es vielleicht doch Vergleichspunkte? Dabei wäre darauf zu achten, daß die biblische Beurteilung immer in der Rückschau getroffen wurde: (·Er tat, ... •).

• Hier ein weiterer Gesprächsimpuls: .. wie sichere ich mich ab? Wovon erwarte ich mir Hilfe. Unterstützung und Beistand in Krisensituationen?. Dabei geht es mehr um das Nach-Denken und den Austausch, nicht um ·richtige. Antworten. Teilen Sie dazu einen großen Hauskreis ruhig einmal in kleinere Gesprächsgruppen (bis zu 4 Personen) auf! Ähnliches gilt für die Frage, die zunächstjede/r für sich alleine (schriftlich) beantwortet: Habe ich auch •Sichtbare Zeichen• meines Glaubens (ent­sprechend dem Tempel)? Wie würde ich reagieren. wenn sie mir genom­men würden?

• Der neunte Tag des Monats Aw Uüdischer Kalender) und der 10. Sonntag nach Trinitatis werden als Gedenktag der Zerstörung Jerusalems von Juden und Christen begangen. Machen Sie sich bewußt. daß wir eine lange gemeinsame Geschichte haben: Alle Erfahrungen der hebräischen Bibel (des Alten Testaments) gehören zu unseren gemeinsamen Glaubens­erfahrungen! Dieser Gedenktag macht darüber hinaus auf einen wesentlichen Bestand­teil des Judentums aufmerksam: Das,. Sich-Erinnerncc. Er ist bis heute in Israel ein nationalerTrauertag, an dem für religiöse Juden das Gebot völli­gen Fastens vom Vorabend bis zum nächsten Sonnenuntergang gilt. Wie gehen wir mit Erinnerungenum-besonders dann. wenn sie weh tun?

Brunhilde Weinmann

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Jeremia 40 uns 41

Jeremia erleidet Geschichte - Jeremia und Gedalja - 2 AO

Bibelarbeit

Ein hoffnungsvoller Neubeginn für den "Rest11 von Juda endet nach einem Massaker mit der Flucht. Das Schicksal Jeremias ist in diese Ge­schehnisse tragisch verwoben. Weil er sichfreiwillig an die Seite des zurückgelassenen Volkes stellt, gerät er ohne eigenes Zutun in Abhän­gigkeiten. Und Gott schweigt ...

Was damals nlos waru Im Mittelpunkt dieser beiden Kapitel steht das Schicksal des Propheten, nicht sein Wort. Es ist anzunehmen, daß der Verfasser die Ereignisse selbst miterlebt hat. Daher nimmt man an, daß diese Prophetenerzählungen von Baruch, dem SchreiberJeremias, stammen (36, 4 und 32). Sie umfassen die Kapitel37 bis 45.

Seide Kapitel sind gekennzeichnet von dramatischen Ereignissen umittelbar nach dem Fall Jerusalems. Die babylonischen Eroberer hatten den von König Zedekiagefangengehaltenen Jeremia (38, 28) befreit (39, 14), dennJeremiahatte in Nebukadnezareinen persönlichen Fürsprechergefunden (39,11-12). Dennoch war Jeremia kurz darauf in einen Gefangenentransport geraten, der in Rama zusammengestellt wurde. Wieder wird Jeremia befreit- diesmal durch Nebusa­radan, den persönlichen Vertrauten des babylonischen Königs (40, 1). So ist Jeremia in jenen Tagen der einzig wirklich freie Mensch in Juda, denn er konnte sich frei entscheiden, wo er in Zukunft leben will (40, 4).

Was man nicht gleich versteht

Gedalja: Bereits sein Vater - ein Beamter am Königshof- hatte Jeremia geschützt (26. 24). Dadurch, daß Nebukadnezar Gedalja als Statthalter einsetzte, haben Jeremias warnende Worte Recht behalten (36. 30): Die Königs-Dynastie von David her hatte ihre Herrschaft über Juda verloren.

Ismael: Stammte aus einer Nebenlinie des ·Hauses Davids•. Er gehörte wohl zu den Gefolgsleuten, die Zedekia auf seiner Flucht begleitet hatten und entkommen waren (39, 4; 52. 8). So hatte er sich wahrscheinlich in das Herrschaftsgebiet des ammonitischen Königs Baalis retten können. Dieser hatte ihm Asyl gewährt (40, 14).

Johanan, Jonatan, Seraja und Jaasanja werden neben Ismael als hohe jü­dische Offiziere namentlich genannt, die mit »ihren Leuten" (Soldaten) und zwei weiteren Offlzieren (40, 8) den Deportationen und Hinrichtungen durch die Baby­Ionier entgangen waren.

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Die geschilderten Ereignisse finden uim siebenten Monah (41, 1) statt, also zwei Monate nach der Zerstörung Jerusalems (52, 12). Entsprechend unserem Kalen­der ist es Oktober.

Die nachtzigMännerc• aus dem ehemaligen Nordreich (41, 5) trauern sichtbar um den zerstörten Tempel: Sie tragen zerrissene Kleider, einen Bart, und haben sich äußerliche Verletzungen zugefügt. Obwohl das heilige Gebäude nicht mehr steht, wollen sie ihre Opfergaben für das Herbstfest nach Jerusalem bringen (vgl. 2 Mose 23, 15).

Zisterne: Eine in den Fels gehauene Vertiefung, die oftmals sämtliches Regen­wasser der Wintermonate fassen konnte. Die Zisterne in Mizpa war von König Asa (um 910 v. Chr.) angelegt worden, um im Notfall die Wasserversorgung der gesamten Stadt zu sichern (1 Kön 15, 22).

Mizpa (40, 8): Bekannt als der Ort, in dem Samuel Recht sprach (1 Sam 7, 16) und in dem der erste König Israels zum Königgewählt worden war (1 Sam 10, 17 0. Die ursprüngliche Lage des Ortes ist in unserer Zeit umstritten. Aufgrund von Ausgra­bungen 12 km nördlich Jerusalems- man fand starke Befestigungsmauem und einen Siegelabdruck mit dem Namen .Jaasanja• - darf man annehmen, daß es sich dabei um ·Mizpa• handelt.

Gibeon (41. 16): ,,Hügel-Ort•. Hier hatte Salomo- vor dem Bau des Tempels­nach einem Opfer vor der Stiftshütte jenen Traum, in dem ihm Jahwe Weisheit, Erkenntnis, Reichtum und Ehre zusprach (2 Chrl, 3 und 1 Sam 7, 17). Gibeon hat vermutlich 8 km nördlich Jerusalems gelegen.

Rama (40, 1): Bekannt als der Wohnort Samuels, des letzten Richters Israels. Samuel wurde der erste Prophet als Gegenüber des israelitischen Königs.

Die Herberge Kimhans bei Bethlehem (41. 17) erinnert an Kimhan, den Sohn des vermögenden Mannes aus Gilead, Barsillai, der dem vor Absalom flüchten­den David Schutz gewährt hatte. Ihm erstattete David an Stelle seines alters­schwachen Vaters seinen Dank (2 Sam 19, 38+39).

Die Königstöchter (41. 10): Die Prinzessinnen des jüdischen Königshauses be­finden sich offenbar in der Obhut Gedaljas.

Was der Text wollte Es ist auffallend, daß von J eremia selbst nur zu Beginn gesprochen wird (40, 1- 6). Es gehtalso nicht um eine Biographie des Propheten, sondern ,.Gegen­stand der Darstellung ist hier das dramatische Geschehen selbst, in dem der Pro­phet stand und das sich von Mal zu Mal gefährlicher gegen ihn richtete•.' Das Schicksal Jeremias ist aufs Engste mit dem Schicksal des Volkes verbunden! Die Ereignisse nach der Katastrophe im Herbst 586 v. Chr. lassen sich entspre­chend Jeremia 40/41 gliedern:

Hoffnungsvoller Neuanfang (40, 7-12) Gedalja ist der Hoffnungsträger dieser Zeit. Sowohl die Besatzungsmacht, wie auch die zurückgelassene Bevölkerung bringen ihm Vertrauen entgegen. Ob da­mit die von Jeremia prophezeite Heilszeit (32, 42-44) beginnt? Anzeichen dafür gibt es: Die Flüchtlinge kehren zurück, siedeln sich wieder an und bestellen das Land. Der Segen einer sehr reichen Ernte erscheint wie die Bestätigung Jahwes.

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Ein Mordplan (40, 13-16) Unter den Zmückgekehrten befinden sich auch hochrangige Offiziere. Denen hatte Gedaija eidlich zugesichert, daß sie von den Babyioniern keinerlei Straf­maßnahmen zu befürchten hätten, wenn sie die Anweisungen der Besatzungs­macht akzeptieren würden (V. 8-9). Aus dieser Gruppe aber droht Gefahr: Jis­mael -war er ein Verschwörer- ein Nationalist- ein eifersüchtiger ·Königs­sohn·? Der biblische Text nennt uns kein eindeutiges Motiv für den Mordplan. Auffallend ist die zunehmende innere Dramatik der Ereignisse: Gedalja wird von dem loyalen Johanan gewarnt, ist jedoch Jismael gegenüber weiterhin arglos. Johanan ist sogar bereit, selbst die Verantwortung für die Beseitigung Jismaels zu übernehmen, denn für ihn steht das Schicksal des ganzen Volkes auf dem Spiel (V. 15). Gedalja aber bleibt bei seinem ·Glauben• (V. 16). Ist er blind?

Die Ermordung Gedaljas (41. 1-3) Johanan hatte doch Recht! Es ist auffallend, daß selbst jetzt noch, wo das Geschick eine unheilvolle Wende nimmt. der Erzähler bei seinem sachlichen. beschreibenden und nicht wertendem Stil bleibt. Gedalja ist bis zu seiner letzten Stunde eine Verkörperung des Guten. Er gewährt Jismael und seinen Begleitern Gastfreundschaft. Babyionier und Judäer, Sieger und Besiegte an einem Tisch­welch ein Hoffnungszeichen! Wohl aber nicht für Jismael. Für ihn ist Gedalja eher ein Zeichen der Unterdrückung (V. 2). Jismael- ein •ewig Gestriger"- der .. Befreier .. seines Volkes? Sein »Werk" aber ist mit diesem Mord noch nicht zu Ende.

Das Morden geht weiter (41. 1-3) Eine größere Gruppe von Festpilgern - an ihrem Äußeren erkennt man die Trauerum den zerstörten Tempel- wird von Jismael eingeladen, die Gastfreund­schaft Gedaljas zu teilen. Ihr Vertrauen hatte er dadurch gewonnen, daß er ihre Trauer teilte (V. 5 und 6). Ob er damit ihre Sympathie gegenüber den Babyioniern austesten wollte? Auffallend ist, daß Jismael bei dem anschließenden Blutbad die Männer ver­schont. die ihm ihre Ergebenheit bekunden, indem sie ihm ihre versteckten Vor­räte an Nahrungsmitteln als Geschenk anbieten (V. 8). Ist dieses Massaker die Tat eines blutrünstigen Wahnsinnigen oder das folgerich­tige Handeln eines ehrgeizigen Nationalisten, der alle Sympathisanten einer anderen Politik vernichtet? Diese politischen Morde haben dem Volk nicht die Freiheit gebracht. Neue Abhängigkeiten, diesmal von einem ·Landmann•, sind entstanden. Die ·Über­lebenden• des Massakers von Mizpa werden als Gefangene lsmaels weggeführt (V. 10). lsmaei erwartet für sich - ähnlich wie König J ojakim (52, 8) - Sicherheit östlich des Jordans.

Schadensregulierung (41. 11-55) und Neuorientierung (41, 16-17) Ein Bürgerkrieg scheint unvermeidlich. Die judäischen Offiziere unter Führung Johanans treffen nur wenige Kilometer südlich von Mizpa auf die Flüchtenden­zur Freude des Volkes (V. 12 und 13). das sich nunmehr Johanan zuwendet. Ismael entkommt mit acht seiner Gesinnungsgenossen nach Ammon, wo sich ihre Spur verliert. Ist Johanan vielleicht der neue Hoifnungsträger? Ausdrucklieh wird erwähnt: Auch Johanan ist auf der Flucht und mit ihm der Rest des Volkes. Sie fürchten Vergeltungsmaßnahmen der Babyionier (V. 17 und

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18). Die Einkehr in einer Karawanserei in Bethlehem- ihr Name erinnert an die segensreiche Unterstützung eines anderen königlichen Flüchtlings: David (2 Sam 19. 32-39) - soll allen Beteiligten eine Erholungspause gönnen. Gleich­zeitig wird die Zeit für eine Neuorientierung genutzt. Der ·Blick·- die Herberge war an der Landesgrenze gelegen- und die Hoffnung gehen wieder einmal Rich­tung Äg.,vpten (V. 17). Unter den Flüchtlingen befindet sich auch Jeremia und mit ihm wohl auch der Verfasser unseres Textes, Baruch (42. 1). Der Leidensweg ist noch nicht zu Ende!

Was der Text heute bewirken kann

Geschichte erleben und erleiden Es geht um mehr als geschichtliche Information. Es geht um die persönliche Leidensgeschichte des Jeremia. Er ist hineingeraten in die politischen Wirr­nisse einer Umbruchsituation - ist gewissermaßen •Zwischen die Mühlsteine• geraten. Gerhard v. Rad stellt fest: "Die Darstellung ... ist gelegentlich von grausamer Realistik und wird nirgends durch ein tröstliches Gotteswort, geschweige durch ein Wunder aufgelichtet. Von einer führenden göttlichen Hand weiß der Erzähler nichts zu sagen." 2

Wenn Gott schweigt Vielleicht ist dies gerade der Punkt, an dem wir Zugang zu diesem- wenig gelese­nen und selten ausgedeuteten -Text finden könnten. Gäbe es diese Erzählun­gen nicht, so würde den biblischen Texten eine menschliche Erfahrung fehlen. Es gibt Zeiten und Situationen. in denen Gott schweigt. Und wie sehr wünschen wir dann, daß er eingreift, das Schicksal noch einmal zum Guten wendet. Aber nichts geschieht! Es geht unaufhaltsam der Katastrophe entgegen! Was tun wir in solchen Situationen? Zwei Wege erscheinen gangbar: Resigna­tion oder Rebellion. Der Verfasser unseres Textes scheint sich für das Aufbegeh­ren entschieden zu haben. Zumindest mit Worten hat er •sich Luft gemacht•. Er klagt (45. 3) -auch Klage vor Gott ist Gebet!

Gott bleibt der Herr der Geschichte In dieser Hinwendung zu Gott leuchtet ein neuer Aspekt auf. Gott ist dem Gesche­hen gegenüber nicht machtlos - Gott läßt geschehen - aber er leidet auch mit. Deshalb kommt Gerhard v. Rad zu dem Schluß: n/n dieser Zeit des Gerichts, in der Gott sein eigenes Werk in der Geschichte abtragen muß, kann der Menschfür sich nicht gute Tage erwarten; es ist kein Wunder, wenn der Prophet . .. in dieses Einreißen Gottes auf eine ganz besondere Weise hineingezogen wird." 3

Zwei Impulse, die über die Aussagen des Jeremiatextes hinausgehen. wollen Anregung sein. diesem Gedanken weiter nachzuspüren.

• Der Jünger steht nicht über dem Meister (Mt 10, 25). Wiederholt erinnert Jesus seine Jünger daran, daß sie nicht über ihrem Herrn stehen. Das gilt für den Dienst aneinander (Joh 13, 16) und das persönliche Schicksal in den Wirrnissen und Angriffen der Zeit (Job 15. 20). Zur Nachfolge kann auch Leiden gehören. Wichtig: Leiden nicht als Selbstzweck, sondern als 11Folgerr einer innigen Beziehung zu Jesus.

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e Wir haben einen Gott, dem das Schicksal seiner Geschöpfe und der Welt zu Herzen geht. Jahwe, der Gott Israels, ist kein Tyrann, dem das Schicksal der Menschen gleich­gültig ist (vgl. Jon 4, 11). Im Mittelpunkt der geschichtlichen Tragödien Israels steht nicht die Strafe. sondern die Zuwendung. Jahwe ringt um die Liebe seines Volkes. Für uns, die wir die Botschaft des Neuen Testaments kennen, erschließt sich im Nach-Denken dieser Texte aus der hebräischen Bibel ein weiter Reso­nanzraum, in dem unser eigenes Verhältnis bzw. Mißverhältnis zu Gott ins Mit­schwingen kommen kann.

Wie der Text im Hauskreis lebendig wird • Eine Vorbemerkung: Es ist hilfreich, die Einordnung dieses Textes in

Raum und Zeit entsprechend dem Stil des biblischen Verfassers ernst zu nehmen. Deshalb sind geographische und geschichtliche Erklärungen vor dem Lesen des Textes zu empfehlen. Wer sich dafür interessiert, und sich über die Begriffserklärungen hinaus informieren möchte, dem seien Bibel­lexika oder auch das ·Bildwerk zur Bibel• von Jörg Zink- hier besonders Band I - als Fundgrube empfohlen.

• Eine Möglichkeit des Zugangs besteht auch darin, die Barucherzählung im ganzen zu lesen (Kap. 37-45). Es geht dabei ja nicht um einzelne Lehr­oder Glaubenssätze, sondern um das Erzählen von persönlich erlebter Geschichte. Deshalb dürfen auch die Empfindungen der Leser (das Betrof­fensein, die Ratlosigkeit oder das Aufbegehren) zur Sprache kommen. Nehmen Sie sich dafür genügend Zeit!

• Möglicherweise führt dieser Austausch zum Erzählen eigener Leidens­geschichten. Lassen Sie das nicht nurzu-planen Sie es bei der Vorberei­tung Ihres Bibelgesprächs (Hauskreisabends) mit ein! Woraufbei solchem Erzählen zu achten ist. macht der biblische Verfasser selbst aufmerksam: Persönliche Erlebnisse dürfen nicht bewertet werden.

e Eine weitere Möglichkeit ist. der persönlichen Betroffenheit im Klagerufen Ausdruck zu geben. Dabei können auch die aktuellen weltpolitischen Ereignisse in den Blick kommen. Vorschlag: Wagen Sie eine Gebetsgemeinschaft, in der die (vorher schrift­lich famulierten) Klagen genannt werden. Ein gemeinsam gesungener Gebetsruf oder Liedvers zwischen den einzelnen Gebetssätzen macht das Anliegen des Einzelnen zum Gebet aller. Zum Abschluß dieser Gebets­gemeinschaft sollte ein Zuspruch- entsprechend Jeremia 45. 5- stehen. Denkbar wären auch 2. Korinther 12, 9; Jeremia 31, 3; Jesaja 43. 1 oder ein Liedvers (evtl. •Von guten Mächten• nach dem Text von Dietrich Bon­hoeffer).

• Es ist sicher kritisch zu prüfen. ob dem Schicksal des Jeremia ein Schick­sal unserer Tage gegenübergestellt werden kann. Es gibt sowohl inhalt­lich, wie auch methodische Vorbehalte und berechtigte Einwände. Wer solch eine Gegenüberstellung dennoch wagen möchte, dem sei ein Video über Dietrich Bonhoeffer empfohlen (z. B. Nachfolge und Kreuz, Wider­stand und Galgen- auszuleihen bei der Evang. Medienzentrale in Bayern - EMZ, Nürnberg, oder anderen Verleihstellen).

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Anmerkungen:

1 Gerhard von Rad, Die Botschaft der Propheten, Siebenstern Taschenbuch Verlag. München und Hamburg, 1967, S. 171.

2 ebd. S. 172. 3 ebd. S. 173.

Zusätzlich verwendete Literatur:

Lexikon zur Bibel. Herausgegeben von Fritz Rienecker, Brackhaus Verlag Wuppertal. 1960.

Das Alte Testament Deutsch - Das Buch des Propheten Jeremia. Übersetzt und erklärt von Artur Weiser, Vandenhoeck & Ruprecht, 1959.

Georg Fahrer, Die Propheten des Alten Testaments, Band II, Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, Gütersloh 197 4.

Brigitte Hübner, AT: Die biblischen Königstraditionen. Furche-Verlag und Patmos-Verlag. Harnburg- Düsseldorf. 1970.

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Brunhilde Weinmann

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Jeremia 42 und 43

Jeremia warnt vor eigenwil­ligen »Rettungsversuchen~~ 3

AQ Bibelarbeit

Der "Rest von Juda11.fragt nach dem Willen Gottes und erklärt sichfeier­lich dazu bereit, diesen auch zu tun. Gottes Antwort wird ihnen durch Jeremia nach längerem Warten angesagt - aber nicht als solche an­genommen. Die Auswanderungswilligen führen ihre eigenen Pläne aus und zwingen Jeremia und Baruch, nach Ägypten mitzugehen. Jeremias Auftrag als Prophet bleibt: Er ml.(ß weiterhin Gottes Wort gegen alle Widerstände ausrichten.

Was damals nloscc war Auch diese beiden Kapitel gehören zu der sogenannten Barucherzählung (vgl. Bemerkungen zu Kap. 40141). Nach der Ermordung Gedaljas befürchtete die Gruppe um Johanan Vergeltungs­maßnahmen der Babyionier (41. 17 und 18). Angst, das war das beherrschende Gefühl dieser Menschen. Was hatten sie nicht alles erlebt: Belagerung - Er­oberung- Kriegsgeschrei - Seuchen - Flucht- Intrigen - Mord - enttäuschte Hoffnungen! Menschen also, die am Ende ihrer Kraft waren - Menschen, die sich nach Ruhe und Frieden, nach Leben sehnten.

Was man nicht gleich versteht Aus dem inhaltlichen Ablauf der Ereignisse ergibt sich eine formale Umstellung einiger Verse. Da Jeremia in 42, 21 direkt auf die Ablehnung des göttlichen Wil­lens durch die Verantwortlichen eingeht, dürften die Verse 1-3 des 43. Kapitels bereits nach 42, 18 zu lesen sein. Demnach ergibt sich folgende Versfolge: 42, 18 I 43, 1-3 I 42, 19-22 I 43, 4 ff. Diese Lesart haben einige Bibelübersetzungen bereits im Druck berücksichtigt (z. B. Die Bibel im heutigen Deutsch).

Asarja, der Sohn des Hoschajas (42. 1) wird im revidierten Luthertext von 1964 als Jesa71ja erwähnt. Demnach wäre der hier erwähnte judäische Offizier mit dem in Jeremia 40, 8 identisch.

Die göWiche Aussage ..... es hat mich gereut das Unheil ... cc (42, 10) weist darauf hin, daß der Gott der Bibel weder eine absolute Idee, noch ein unabwend­bares Schicksal, sondern eine lebendige Person ist. Gerade die hebräische Bibel kennt diese •anthropomorphen• - d. h. menschlichen Wesenszügen entspre­chenden- Verhaltensweisen Gottes (z. B. Gen 3. 8) .

... . . ihr habt selbst euer Leben in Gefahr gebracht.. (42, 20 und 21) wird vom Alttestamentler A. Weiser übersetzt: •... ihr unterliegt einer lebensgefährlichen Täuschung ... • Die ·Gefahr. geht also nicht von Gott aus. Sie beruht auf einer Fehleinschätzung Gottes.

Tachpanhes (43, 7) ist eine Stadt an der Ostgrenze Ägyptens. Seit dem Aufbruch von Bethlehem liegen ca. 300 km Wegstrecke hinter den Flüchtlingen. Dieser Ort

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ist identisch mit dem griechischen Daphne, heute ein Ruinenhügel am Suez­kanal.

Herr Zebaoth (43, 10 und 18): Luther übersetzte den hebräischen Gottesnamen Jahwe immer mit ·Herr•. ·Zebaoth• ist die Mehrzahl des hebräischen •saba• (Heerschar). Ob damit die Heerscharen Israels oder die der Sterne und Engel gemeint sind, bleibt unklar.

''···meinen Knecht Nebukadnezar ... holen Iassente (43, 10). Diese Aussage macht deutlich, daß der babylonische König ein Werkzeug Jahwes ist und .. in seinem Dienst steht ...

"· .. er soll Ägyptenland lausen .. . cc (43, 12) meint: Er wird das lästige Ungezie­fer in seinem Weltreich unschädlich machen. Nach babylonischen Königshand­schriften besiegte König Nebukadnezar 568/67 v. Chr. den ägyptischen Pharao Amasis. Es hatte sich dabei wohl nur um einen kurzen Raubzug- oder einfach nur um eine Machtdemonstration - gehandelt. Der jüdische Geschichtsschreiber Josephus berichtet im 1. Jahrhundert n. Chr. davon, daß Nebukadnezar bereits 582/81 in Ägypten eingefallen und es besiegt haben soll. Historisch gesichert ist der Sieg der Perser (525 v. Chr.) über Ägypten und die damit beginnende jahrhundertelange Fremdherrschaft.

Bei den Steinmalen von Bet-Schemesch (43, 13) handelt es sich nach Überzeu­gung von Alttestamentlern um die Obelisken des Sonnentempels von Heliopolis. Jeremia wollte wohl in erster Linie keine Ortsangabe machen, sondern auf die monumentale Architektur Ägyptens hinweisen.

Was der Text wollte Seit Jeremia 40, 6 wurde der Name des Propheten nicht mehr erwähnt. Jetzt tritt er wieder in den Mittelpunkt des Geschehens - er wird •gebraucht•. Die ·Übriggebliebenen• erhofften sich von Jeremia zweierlei: Fürbitte (42, 2) und Weisung (V. 3). Und Jahwe istjetzt-im Gegensatz zu Jeremia 7, 16, wo es Jeremia ausdrücklich verboten wurde, für das Volk zu beten- bereit zu hören. Aber die ·Auftraggeber• sind im entscheidenden Augenblick nicht bereit zu ge­horchen! Der Text läßt sich dementsprechend in folgende Abschnitte gliedern:

Jeremia wird um den Dienst als Prophet gebeten (42, 1 bis 6).

Rückbesinnung (V. 1 bis 3) Die ·Übriggebliebenen• waren sich des Ernstes der Lage bewußt und wollten dieses Mal überlegt handeln, nicht •aus dem Bauch heraus··· Sie schätzten sich, ihr und Jeremias Verhältnis zu Gott realistisch ein. Sie waren sich ihrer ei­genen Schwäche bewußt und unsicher, ob der Bund Jahwes auch noch für diesen ·Rest Judas• galt. Jeremia dagegen hatte sich als ein wahrer Prophet Jahwes gezeigt. Seine Worte waren wahr geworden - Jahwe war •Sein Gott· (V. 2).

Jeremias Bereitschaft (V. 4) Jeremia übernahm die Aufgabe ohne Zögern. Auch diesem kläglichen Rest galt die Zuwendung Jahwes. Er war und ist .. euer Gott«. Jeremia stellte sich unter die Bitte der Flüchtlinge und unter die Autorität Gottes- er war und blieb Prophet.

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Das Versprechen (V. 5 und 6) Die Bereitschaft zum Gehorsam wird im Text ausdrücklich erwähnt und die For­mulierung •unser Gott• (V. 6) erinnert an ähnliche Ereignisse aus der Geschichte des Volkes (vgl. Ex 19, 5-8 oder Jos 24. 19 ff). Man war bereit, beides als den Willen Gottes anzusehen: ·Gutes oder Böses•. Eine gewisse Spannung erzeugt der Zusatz •auf daß es uns wohlergehe•. Ein Verdacht drängt sich auf: Geht es diesen Menschen nun vielleicht doch mehr um die eigene Zukunft als um die Beziehung zu Gott?

Jeremia übermittelt die Antwort Jahwes (42, 7 bis 18).

Die Ankündigung des Gotteswortes (V. 7 bis 9). Jeremia und das Volk mußten 10 Tage und Nächte auf die Antwort warten. Es wird kein Kriterium genannt, woran Jeremia merkte, daß es sich gerade "jetzt. um eine göttliche Offenbarung gehandelt hat. Das Wort Jahwes .. geschah· zu Jeremia. Was er zu sagen hatte, war nicht ein ·Blick in die Zukunft•, sondern das Darlegen von Alternativen. Auch der ·Rest Judas• durfte sich also noch entscheiden!

Die VerheUJung (V. 10 bis 12) Am Anfang steht die Zusage, die Verheißung! Jahwe will diesem geringen Rest das Leben ermöglichen. Die Worte, die Jeremia dabei verwendet hat, erinnern an seine Berufung (1. 10) und an das Gleichnis vom Töpfer (18, 7-10): Gott ist es, der über Wohl und Wehe entscheidet. Die Reue, die er empflndet, ist demnach nicht als das Eingeständnis einer Fehlentscheidung zu verstehen. "Es tut mir weh, daß ich Unheil über euch bringen mußte"- so wird Vers 10 in der »Bibel im heutigen Deutsch" übersetzt. Gott ist nicht auf eine Verhaltensweise festgelegt Als der Lebendige reagiert er sowohl auf das Verhalten, als auch auf das Leid seines Volkes. Gott ist nicht »herz­los" - er liebt!

Gott kennt die Angst der Flüchtlinge (V. 1 0) Das Erbarmen geht von Gott aus und wird erfahrbar durch Menschen. Ebenso wie Jahwe Nebukadnezar zum Werkzeug seines Gerichtes gemacht hatte, kann und will er ihn zum Werkzeug seines Erbarmens machen. Es soll eine Zukunft auch für diesen ·Rest• geben- eine Zukunft, die aber Gott eröffnet (V. 12).

Warnung, nach Ägypten zu ziehen (V. 13 bis 18) Alles, was dieser geschundene Rest wollte, ist: genug zu essen haben und Frieden erleben. Und am sichersten ist dies- aus ihrer Sicht- zu finden in Ägypten im .. goldenen Westen<•. Aus dem Prophetenwort klingt Verständnis für diese Sicht­weise (V. 14). Und trotzdem- gegen den Augenschein- muß Jeremia eindring­lich vor einer Auswanderung nach Ägypten warnen. Sie ist nicht Gottes Wille für den .. RestJudas". Genau das Schicksal, dem sie durch diese •>Umsiedlung .. zu ent­rinnen hoffen, wird sie dort erwarten. Jahwe ringt auch hier um den Gehorsam des Volkes. Er will, daß es ihnen .. wohl­gehe ... Waren die Worte der Verheißung von einer liebevollen Zuwendung geprägt, kommt in dem Drohwort der Ernst der Situation auch dadurch zum Ausdruck, wie Jeremia von Gott spricht. Er redet von ihm als dem .Jahwe der Heerscharen• (V. 15 und 18). Mit dieser Erinnerung an Gottes Macht und Herrlich­keit und den klaren Aussagen über die Zukunftsaussichten in Ägypten soll das

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ängstliche und verblendete Volk zur Besinnung und zur nüchternen Einschät­zung der Lage bewegt werden. Wie J erusalem fallen mußte, weil Zedekia andere Sicherheiten gesucht hatte (vgl. Bibelarbeit zu Jer 52). so werden auch sie vernichtet werden, wenn sie ihr Ver­trauen nicht auf Jahwe setzen und ihre eigenen Wege gehen.

Die Reaktion der Verantwortlichen (43, 1 bis 3)

Warten und Erwartungen Während des Wartens hatten sich wohl alle mit ihren eigenen Erwartungen aus­einanderzusetzen. Mag sein, daß sich einige von ihnen bereits von Gott verlassen fühlten. Vielleicht hatten in dieser Zeit Asaija und Johanan um Sympathien für ihre Erwartung - das ·Heil• in Ägypten zu finden - geworben, denn Baruch bezeichnete sie als .. aufsässig• (V. 2). Möglicherweise hatte Baruch während des Wartens selbst versucht zu beruhigen und auszugleichen. Vielleicht hatte er aber auch gewagt, zu widersprechen (V. 3) und hatte sich für ein Verbleiben im besetz­ten Land eingesetzt.

Die Ablehnung In den Ohren und im Denken Asaijas und Johanans konnten diese Worte (42, 11-18) nicht wahr sein! Ihr Versprechen Jahwe gegenüber wollten sie zwar auf­rechterhalten, aber sie bezichtigten gleichzeitig Baruch der Einflußnahme und Jeremia als ·Lügenprophet• (43, 2). Dem Leser zeigt sich der wahre Sachverhalt verdreht. Jeremia, der nichts ande­res ausrichtet als die Worte Jahwes, und Baruch, der unauffällige Schreiber, als Agitatoren, als falsche Antreiber- Asaija und Johanan als die ·Retter«!? Die Wirklichkeit wird auf den Kopf gestellt und dabei klingt alles >~SO logisch·! Besonders deutlich wird dieser Mechanismus an dem Motiv, das Baruch unter­stellt wird. Darin spiegeln sich die eigenen Ängste wider: Die befürchtete Rache der Babylonier. Aber Jahwe will nicht Rache, sondern das Leben und die Zukunft auch für den ·Rest Judas•.

Die Reaktion Jeremias (42, 19 bis 22) Entsprechend der weiter oben beschriebenen Umstellung ist hier als Überleitung einzufügen ·Da erwiderte Jeremia•. Während Asatja und Johanan sehr heftig und emotional reagiert hatten, ist nun die Antwort Jeremias auffallend ruhig und sachlich. Er wird um den Dienst eines Propheten gebeten und diesen hat er ausgeführt- ein ·Sprachrohr· Gottes. Fünf­mal lesen wir den Gottesnamen in diesen vier Versen! Die Schuld aller ist es, daß sie Jahwe als lebendiges Gegenüber nicht ernst neh­men (V. 20). Sie scheitern- wie die Könige Israels und Judas-am 1. Gebot. Das kommende Unheil ist keine Strafefür moralische Verfehlungen, es ist die Folge des Ungehorsams.

Die Auswanderung (43, 4 bis 7) Was für die Verantwortlichen und den "Rest Judas" das rettende Ereignis zu sein scheint, ist für Baruch die Tat des Ungehorsams (V. 4 und 7). Noch einmal wird erwähnt, wer zu diesen .. übriggebliebenen•· zählte- alles Namen und Personen, die aus den vorangegangenen Kapiteln bekannt sind. Sie alle waren durch die Er­mordung Gedaljas schicksalhaft verbunden worden. Unter ihnen befinden sich gezwungenermaßen auch Jeremia und Baruch. Ob sie mitgenommen werden,

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damit man ihnen beweisen kann, wie unrecht sie hatten? Oder erwartet man sich von ihrer Gegenwart einen letztmöglichen Kontakt zu Gott? Jeremia ist inzwischen ein alter Mann geworden, aber aus seiner Verantwortung als Prophet ist er noch nicht entlassen.

Jahwes Gerichtswort über Ägypten (43, 8 bis 13) Jeremia wird beauftragt, eine prophetische Handlung unter Zeugen auszufüh­ren. Das Versenken der großen Steinquader in den Boden vor dem Regierungs­gebäude ist eine Symbolhandlung- keine geographische Markierung-. die der Deutung bedarf. Die Auswanderer sollen damit in ihrer vermeintlichen Sicher­heit gestört und an Jahwes Wort erinnert werden. Dabei geht es nicht um die genaueVorhersage geschichtlicher Ereignisse, sondern um das Recht Jahwes: Gott wird recht behalten. Als .Jahwe der Heerscharen" und ·Gott Israels· hat er die Macht über den Kosmos und die Geschichte- und Nebukadnezar ist immer noch sein Werkzeug (V. 10).

Jeremia hat am Ende seines Lebens die gleiche Botschaft wie zu Beginn seines Wirkens: Die Erinnerung an Jahwe und seinen Bund und die Mahnung, ihn und seinen Willen nicht zu mißachten (vgl. Jer 2, 13). Deshalb verwundert es auch nicht, daß »alte. Formulierungen Verwendungfinden (vgl. V.ll mitJer 15, 2). Auch das ägyptische Reich mit seiner beeindruckenden Architektur, den gewal­tigen Tempeln, wird keinen Bestand haben. Für die Auswanderer stellt es sich augenscheinlich anders dar: Der Tempel Jah­wes war zerstört und ausgeraubt. Die Tempel Ägyptens dagegen zeigen offen­sichtlich die Macht ihrer Götter. Es ist die Aufgabe Jeremias, auch hier die Dinge klarzustellen: Nicht die Herrscher der Weltreiche, sondern allein Jahwe ist der Herr der Geschichte. Er bedarf keiner Machtdemonstrationen durch Gebäude und Denkmäler wie die ·Götzen• (V. 13). Er ist der Lebendige, er will Beziehung. Selbst denen, die sich nun gegen ihn entschieden hatten, hat Gott durch Jeremia noch etwas zu sagen. Wie mag sich der Prophet dabei gefühlt haben? Baruch schreibt davon nichts. Wichtig scheint für ihn alleine, was Gott zu sagen hatte, und daß Jeremia seinem Auftrag und Gott treu geblieben ist.

Was der Text beute bewirken kann Hier einige Fragen, die sich für uns heute im Blick auf diesen Textes stellen könnten:

Prophetie - was ist das eigentlich? Zunächst erfahren wir, was Prophetie nicht ist: weder ein Orakel. noch die Bestä­tigung der allgemeinen Volksmeinung oder irgendeines politischen Kalküls, auch nicht das Ergebnis ·frommen. Nachdenkens. • Als Prophet hat es J eremia immer mit dem lebendigen Gott, mit Jahwe. zu tun. Er •war Prophet. weil Jahwe sein ganzes Leben in Beschlag genommen hatte•. schreibt v. Rad. 1 Prophetisches Reden kann man nicht "machen", denn es geht von Gott aus. Er ist der Handelnde, der Redende, der sich Offenbarende. • Eine der prophetischen Aufgaben ist es. vor Gott für andere einzustehen: Für­bitte zu üben und um Weisung zu bitten (vgl. 1 Sam 12, 23; Ex 32. 10 f). • Gottes Offenbarungen sind nicht abrufbar wie Daten eines Computerpro­gramms. Gott redet zu seiner Zeit!

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• Eigene Erwartungen können sich mit dem Willen Gottes decken- müssen es aber nicht. Gott kann seinen Willen wohl auch in unsere Gedanken und Empfin­dungen legen. Wenn darin aber kein Platz mehr ist für andere denkbare Entschei­dungen. wird es sich bei uns dann eher um eine ·fixe Idee• handeln. als um den Willen Gottes. der sich in prophetischer Rede kund tut. • Es gibt offenbar ~falsche" und ~~richtige" Propheten. So kann es dann zu Aus­sagen kommen, die gegensätzlich zueinander stehen und sich dennoch beidein der äußeren Form auf Gottes Willen berufen. Jeremia selbst hatte solch eine Auseinandersetzung durchzustehen (Jer 27 und 28). Für die Unterscheidung gibt es keinen anderen Maßstab als den aus Deuteronomium (5. Buch Mosel 18. 21 und 22: Das Eintreffen oder Nichteintref­fen der Prophetie.

Als bewußt-lebende Christen fragen wir uns oft:

Wie kann ich den konkreten Willen Gottes eifahren? Woran kann ich erken­nen, daß es nicht doch menschlicher Wille ist? Auch hier zuerst die Negation: Gottes Wille ist nicht •nachzuschlagen• wie das Stichwort in einem Lexikon oder das Rezept in einem Kochbuch. Was der Text dazu sagt. ist folgendes: • Gottes Wille kann erfragt werden. Gott antwortet auf seine Weise: Durch Per­sonen, die ER berufen und zu der Zeit, die ER bestimmt hat. • Es gibt eine Kontinuität des Willens Gottes. Jeremia hatte von Anfang an davon gesprochen, sich •unter das Joch des Königs von Babel· zu stellen (Jer 27, 12; vgl. Bearbeitung zu Jer 52) und nicht auf Ägypten zu vertrauen. • Der Prophetenspruch ist die Offenbarung Gottes in Krisenzeiten. Es gibt auch andere Möglichkeiten, den Willen Gottes zu ·erfahren•. • Entscheidend ist die Beziehung, diejemand zu Gott hat. ER will•unser Gott• sein und somit Zukunft und Leben ermöglichen.

Wie verhalten sich Glaubensgehorsam und Freiheit zueinander? Wer Gott so persönlich. direkt und konkret nach seinem Willen befragt. begibt sich in "Lebensgefahr· (42. 20). "Gefährlich .• ist es dann. wenn dem Wissen kein Tun folgt, wenn das Gehörte keine Konsequenzn im Leben nach sich zieht (vgl. Jak 1, 22 0. Das ist ja gerade die Freiheit. die Gott schenkt: Sich für oder gegen seinen Willen, sich für oder gegen ihn zu entscheiden. Gott hat uns nicht als Marionetten geschaffen! "Gott sei Dank!· geht es in unserem Alltag nicht immer um Entweder- Oder, um Leben oder Tod. Es gibt auch oft mehrere. unterschiedliche Möglichkeiten der Entscheidung. Entscheidend bleibt in allem, ob wir Gott als Person, als Gegen­überernstnehmen-ob wirihn ~~unseren Gott" sein lassen unddamitdasl. Gebot beachten.

Was hindert uns, uns für Gott und seinen Willen zu entscheiden? Es ist die Angst. die Asaija und die anderen nach Ägypten - und damit von Gott weg- treibt. Die Furcht vor den Machthabern dieser Welt verstellt den Blick auf die Möglichkeiten Gottes. ~~Angst"- das ist ein Kennzeichen des menschlichen Lebens und dieser Welt. "Jn der Welt habt ihr Angst•. sagt Jesus deshalb, aber er sagt auch, •·Seid getrost. ich habe die Welt überwunden• (Joh 16. 33). Jahwe hatte dem "Rest Judas .. zugesagt. bei ihm zu sein (42, 11). weil er der Herr des Lebens und der Geschichte ist und bleibt.

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Wie der Text im Hauskreis lebendig wird • Wie wäre es einmal mit dem Vergleichen unterschiedlicher Übersetzungen

-sofern sie im Hauskreis zur Verfügung stehen! Dabei wird zunächst fest­gestellt werden, daß die Schreibweise von Namen und Orten verschieden sein kann (hängt z. T. mit den anderen Schriftzeichen der hebräischen Sprache zusammen). Das ist aber für das inhaltliche Verständnis nicht von Bedeutung. Hier ein Beispiel: Die Aussage, daß Gott Menschen in seinen Dienst nimmt, um seine Güte erfahrbar zu machen (42, 12). wird durch folgende Übersetzungen deutlich: Menge: Ich will euch Gnade bei ihm finden lassen, daß er sich euer erbarmt ... Zink: Ich will ihn barmherzig machen, daß er euchfreundlich ist. Bibel in heutigem Deutsch: Ich bringe ihn dazu, daß er Erbarmen mit euch hat ... Weiser, ATD: Und ich erwirke für euch Erbarmen, daß er sich eurer erbarme ...

e Gerade der vorangegangene Abschnitt dieser Textauslegung könnte ge-wiß zu den folgenden Gesprächsimpulsen anregen:

Welche Erfahrung habe ich mit dem Fragen nach Gottes Willen gemacht? Was erwarte ich mir von Gott für meine momentane Situation - für meine persönliche Zukunft- für meine Kinder- für unser staatliches Zusammenleben - für unseren Hauskreis. Gemeinde, Kirche? Wie gehe ich damit um, wenn sich meine persönlichen Erwartungen nicht erfüllen? Wie erlebe ich das Warten ganz allgemein - auf die Erfüllung meiner Wünsche - auf Gebetserhörung?

Gerade hierbei ist es wichtig, hinzuzufügen: Es istdabei nicht gedacht, daß allen Fragen nachgegangen wird. Wählen Sie im Hinblick auf "Jhren• Hauskreis aus I Es ist fruchtbarer, sich Zeit für einen Gedanken zu nehmen und nicht, möglichst viel .. schaffen" zu wollen!

• Weil die Geschichte Israels im Rahmen der Weltgeschichte stattfindet, und im Hinblick auf Kapitel 44, könnte sich der Hauskreis über Ägypten kun­dig machen.

Welche biblischen Texte fallen dazu ein? (Nehmen Sie ruhig eine Konkordanz zur Hilfe!) Was ist über die Kultur und Religion Ägyptens bekannt? (Hierüber geben auch die Geschichtsbücher Ihrer Kinder Auskunft!)

Brunhilde Weinmann

Anmerkung: 1 Gerhard v. Rad, Die Botschaft der Propheten, Siebenstern-Taschenbuch Verlag, Mün­

chen und Harnburg 1967. S. 46.

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Jeremia 44

Letzte Warnungen an den »Rest Judas«

Bibelarbeit AQ 4

Jeremia steht amEndeseines Lebens- da. wo er begonnen hatte: Im vergeblichen Kampf gegen den Götzendienst. Trotz eindringlicher Erin­nerung an den Untergang Jerusalems und Judas lassen sich diejudäi­schen Männerund Frauen in Ägypten nicht warnen und davon abbrin­gen. Ist Jeremia an seiner Lebensaufgabe gescheitert? Baruch schildert in dem letzten Kapitel seiner Prophetenerzählungen die Treue Jeremias zu seiner Berufung.

Was damals .. lostc war Es ist das ·letzte Kapitel• aus der Geschichte der ·Übrtggebliebenen" von Juda. Die Barucherz~hlung schließt die Ereignisse um Jeremia damit ab. Darüber­hinaus wissen wir aus biblischen Quellen nichts über das Leben oder den Tod Jeremias. Eine jüdische Legende erzählt, daß Jeremia in Ägypten von seinen Landsleuten zu Tode gesteinigt wurde. Ist Baruch möglicherweise einer der ·Entronnenen. (V. 28) und nach Juda zurückgekehrt? Das Hauptanliegen des Textes ist es, daß Gott •ZU Wort• kommt (V. I und 2. 7.11.24 und 25). Ob wir uns den Text als eine zusammenhängende Rede oder die Zusam­menfassung einzelner Prophetenworte vorstellen, ist zweitrangig und ver~ndert die Aussage des Textes nicht. Auch wann, wo und zu welchem Zweck ·alles Volk, das in Ägyptenland und in Patros wohnte• (V. 15) zusammenkam, wissen wir nicht.

Was man nicht gleich versteht

..... an alle Judäer, die in Ägyptenland wohnten ... cc (V. 1): Die Adressaten des Jeremia waren ausdrücklich nicht nur der in Tachpanhes lebende ·Rest Judas•, sondern alle Jud~er in Ägypten. Demnach kann man davon ausgehen, daß es an verschiedenen Orten Ägyptens eine jüdische Dia­spora gegeben hatte.

Mit dem Kult für die Himmelsgöttin (V. 18 und 19) ist die im ganzen vorderen Orient verbreitete Verehrung einer Mutter- und Liebesgöttin angesprochen. Sie ist unter den Namen lschtar (assyr.-babyl.), Astarte (kanaan.), Aphrodite (grtech.) oder Venus (röm.) bekannt. Ihre Symbole sind die Mondsichel und der •Venus­stem•. Zu diesem Fruchtbarkeitskult gehörte es offensichtlich, der ·Himmels­königin• bestimmte Kuchen (V. 19) zu backen. Es handelte sich dabei um ein spe­ziell angefertigtes Opfergeb~ck, das entweder ein Abbild der Göttin oder deren Symbole (Mond oder Stern) darstellte. Es war kein •neuer• Götzendienst, den die Judäer erst in Ägypten pflegten, denn die Betroffenen wiesen ausdrücklich darauf hin, daß sie schon früher dieser Göttin geopfert hatten und sich ihre Lage nun ja verschlechtert habe.

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"· •• seit wir unterlassen haben ••• cc (V. 18) Vor allem unter der Regierung des jüdischen Königs Manasse (695-641 v. Chr.) waren neben dem Jahwekult auch fremde Gottheiten .offiziell zugelassen• (vgl. 2 Kön 21. 1-7). Das war eine Folge der Abhängigkeit gegenüber der Schutzmacht Assyrien. Manasse war aber auch der König mit der längsten Regierungszeit gewesen (55 Jahre)!

Dagegen wurde der Reformkönig Josia schon nach kurzer Regierungszeit durch Pharao Necho (609 v. Chr.) getötet. (2 Kön 23. 25 nennt ihn ·beispiellos• in seiner Treue zu Jahwe und dessen Bund.) Seine Tempelreform beruht auf der Wieder­entdeckung des "Deuteronomiums• (genau übersetzt: des •zweiten Gesetzes"­d. h.: das 5. Buch Mose). (Vgl. 2 Kön 22. 8 bis 11.) Danach wurde von ihm der Tem­pel in Jerusalem zur alleinigen Gottesdienststätte erklärt und alle anderen Kulte (2 Kön 23. 1 bis 24) verboten.

Das Gelübde (V. 17 und 25) von Frauen benötigte zur Gültigkeit die Zustimmung des Ehemanns (V. 19) - entsprechend Numeri 30. 11 bis 13.

Wenn Jahwe sein Angesicht wider sie richten wird oder über sie wachen will (V. 11 und 27). dann erinnert dies auch an das Jahwewort bei der Berufung Jeremias (1. 12). Gemeint ist in allen Fällen. daß Jahwe ·hinsehen• wird. daß er •wach· ist. der Lebendige ist.

Ähnliches bringt die Aussage 11 ••• ich schwöre bei meinem großen Namen ••• u (V. 26) zum Ausdruck. Mit seinem Namen verbindet sich die Gegenwart Gottes. Deutlich wird dies auch durch die Übertragung des Gottesnamen mit •Ich-bin­da· (Ex 3. 14).

Auf Pharao Hofra (V. 30) richteten sich die Erwartungen Zedekias. Er wurde 569 v. Chr. infolge innerpolitischer Wirren ermordet. Sein Gegner und Nach­folger war Amasis gewesen und dessen Sohn verlor seine Herrschaft und sein Reich an die Perser.

Was der Text wollte

Jeremia erinnert an die Geschichte - ein Blick zurück (V. 1 bis 6) Mit feierlichem Ernst (V. 2) mußte Jeremia an die erlebte Geschichte erinnern. Es war sein letzter prophetischer Dienst. Nachdem an anderen Stellen die Verant­wortung des Königs betont worden war (38. 20; 52, 3). wird hier das Volk- der ·Rest Judas• - gefragt und zur Rechenschaft gezogen. Jeremia mußte es noch einmal an die Katastrophe in ihren ganzen Ausmaßen und Dimensionen erin­nern: An den Untergang Jerusalems- aber auch an das Werben und Warnen Gottes durch die Gestalt der Propheten hindurch. Auch die Ursache der momen­tanen Situation - das Mißachten des 1. Gebotes - bringt er in Erinnerung.

Der 11Rest Judasu hat aus der Geschichte nichts gelernt -Blick in die Gegenwart (V. 7 bis 10) Aus diesem geschichtlichen Zusammenhang heraus mußten seine Zuhörer eigentlich verstanden haben. daß auch sie dem Gericht verfallen waren. Wie sich doch die Taten des Volkes und die Worte des Propheten in Vergangen­heit und Gegenwart gleichen (vgl. Jer 7. 18 bis 27)! Und das. was ·damals•- in Jerusale"m und Juda- von entscheidender Bedeutung war. die Bundesordnung

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Jahwes, hatte auch noch in Ägypten- also ·heute•- Gültigkeit. Gott bleibtseinen Verheißungen, aber auch seinen Forderungen und Geboten treu!

Die Konsequenzen- Ausblick nach vorne (V. 11 bis 14) Um dieser seiner Treuewillen richtete Gott auch die judäischen Auswanderer in Ägypten. Sein Bund mit Israel war eben nicht auf das Land und den Tempel beschränkt. Jahwe war auch im ·fremden Land· gegenwärtig. Noch einmal erinnerte Jeremia an Worte, die er schon vor der Auswanderung nach Ägypten zu sagen hatte (42, 14-17). Gott hatte damals keinen Grund, von seinem gegebenen Wort etwas zurückzunehmen. Jeremia hatte immer wieder deutlich gesprochen und die Zusammenhänge und Konsequenzen klar benannt. Nun war das Volk •an der Reihe ...

Das Gelübde gegenüber der uHimmelskönigintc (V. 15 bis 19) Nun meldeten sich die Betroffenen •ZU Wort• (V.l5). Sie hatten sich für •·ihr Wort•, das sie an die ·Himmelskönigin• band, und damit gegen das .wortJahwes•- ge­redet durch den Propheten- entschieden (V. 16 und 17). Dem Appell Jeremias, sich an die Geschichte zu erinnern und aus ihr zu lernen, stellten sie ihre eigenen ·Erfahrungen• entgegen und kamen zu der vordergründigen Schlußfolgerung: ·Früher ging es uns besser!• Es ist vorstellbar, daß sie mit der Praxis des Opferkultes für die • Himmelskönigin • nicht gleichzeitig die Bindung an Jahwe aufgeben wollten. In Jerusalem war ja auch beides •möglich• gewesen: der Opferdienst für die ·Göttin• und der Tempel­dienst für Jahwe. In ihrer Erinnerung sind die Zeiten entscheidend, in denen es ihnen .. gut ging •. und sie ·kein Unglück" sahen (V. 17). Und sie konnten dafürsogar ·Beweise .. anführen (vgl. im vorigen Abschnitt das Stichwort: »Tempelreform unter Josia•). Die Frauen fühlten sich wohl als ·Hauptbetroffene•, denn sie rechtfertigten ihr Handeln ausdrücklich: Sie taten nichts ohne das Einverständnis ihrer Männer. Dies ausdrücklich erwähnen zu müssen, mag mit ihrer untergeordneten Rechts­stellung zu erklären sein. Wird hier aber nicht gleichzeitig das Bestreben deutlich, die Verantwortung •gleichmäßig zu verteilen• oder gar ·abzuschieben?·

Jeremia stellt den Sachverhalt von Gott her klar (V. 20 bis 23) Beide Seiten, die Ausgewanderten und Jeremia, hatten das Gleiche erlebt, beide meinten sie denselben Sachverhalt und kamen doch zu gegensätzlichen Deutungen. Beijeder Deutung ist der Standpunkt entscheidend! Für das Volk war das eigene Wohlergehen das Entscheidende; die »Frömmigkeit" und die »Religion• hatten dies zu garantieren. Für Jeremia war immer der Bund Jahwes mit seinem Volk das Entscheidende gewesen. Von dieser Grundlage aus argumentiert er auch in Vers 23. Ob diesem Bund mit dem Verhalten in allen Lebensbereichen - Privatleben, gesellschaftliches Leben, Politik, Frömmigkeit- entsprochen wird, entscheidet über Heil und Unheil des •Volkes Gottes•. Während das Volk "an sich denktu, denkt Jeremia von Gott her.

Ein Wort an die Frauen (V. 24 und 25) Jeremia sah nun den Punkt erreicht, an dem Argumente sinn- und zwecklos geworden waren. Hatte er bis zu diesem Zeitpunkt Geduld, Gesprächsbereit­schaft und Sachlichkeit geübt, so war er schließlich •am Ende·: Mit bitterer Ironie

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empfahl er den Frauen, die falschen Bindungen zu leben und •Wort zu halten•. Er wußte, daß er sie, ihre Männer und Kinder nicht mehr vor dem Verderben retten konnte.

Gott behält das letzte Wort (V. 26 bis 30) Es sind gewaltige Worte, die Jeremia amEndeseines Lebens auszurichten hatte. Sie sind eine ·Selbstoffenbarung der Wirklichkeit Gottes •. 1 Jahwe bleibt sich selbst treu. Er schwört bei seinem eigenen •großen Namen• (V. 26). Diese göttliche Treue nimmt die ablehnende Entscheidung ernst: Sie hatten nun auch kein Recht mehr, Gottes Namen ·im Munde zu führen•- sie sollten in ihrer ·Gott­entfremdung.2 umkommen. Und die, welche ·übriggeblieben sind· (V. 28), waren nicht .gerettet", sondern •nur• ein Beweis für die Wahrhaftigkeit Jahwes, des lebendigen Gottes. Zur Bekräftigung seiner Worte- und um den Ernst deutlich zu machen- nannte Jeremia ein anderes ·Zeichen•: Der Mord an Pharao Hojra, der sich dann etwa 15 Jahre nach dieser Prophezeiung ereignet hat. Zu welchem Zeitpunkt die Katastrophe über sie selbst- die Judäer in Ägypten­hereingebrochen ist. können wir dagegen geschichtlich nicht eindeutig belegen. Das Gericht Jahwes über den ·Rest Judas• hat aber stattgefunden: ·Am Ende• behält Jahwe recht! Und was geschah mit Jeremia? Aus biblischen Texten erfahren wir über die geschilderten Ereignisse hinaus nichts. Für den ·Schreiber Jeremias•, Baruch, scheint das Wesentliche gesagt zu sein: Der Prophet war seinem Auftragtrotz per­sönlicher Leiden und ·beruflichem Mißerfolg· treugeblieben-und damit war er •Seinem Gott. - Jahwe - treu geblieben.

Was der Text heute bewirken kann

Aus der Geschichte lernen Ist das nicht der Grund, warum wir uns mit biblischen Geschichten und bibli­scher Geschichte befassen, um daraus für unser Leben zu lernen?

Jeremia hatte den besonderen Auftrag, die Frauen und Männer an die Vergan­genheit zu erinnern- namentlich an ihre eigene Schuld und die ·ihrer Väter•. Wir erinnern uns in diesem Frühjahr an das Kriegsende vor 50 Jahren-am 9. April auch an den 50. Todestag Dietrich Bonhoeffers. Lassen wir es zu, dabei auch an eigene Schuld und die unserer Väter und Mütter erinnert zu werden? Oder ist es vor allem die Schuld ·der anderen•, die sich in unser Gedächtnis ein­geprägt hat? Um des Lebens und um Gottes willen sollten wir diesen Fragen nachgehen- sie zumindest zulassen. Das Ziel ist doch nicht die Vernichtung, das ·Fertig-machen•. Jeremia geht es um Gott und um sein Recht. Es geht darum, ob wir uns einladen lassen, einmal unseren Standpunkt des ~~Recht-haben-Wol­lens .. und des ·Hauptsache-mir-geht-es-Gut• zu verlassen und uns an die Seite Gottes zu stellen, wie Jeremia es tat, um die Gerechtigkeit Gottes - Gottes ·Schalom"- in den Blick zu bekommen.

Verantwortung übernehmen Gott fragte sein Volk, wie er Adam im Garten Eden gefragt hat (Gen 3, 9). Und er erwartete von beiden eine Antwort. Mit diesem personalen Geschehen ist das beschrieben, was wir ~~Ver-antwort-ung" nennen. Für Christen ist Verantwortung nicht denkbar ohne die Bindung an Gott, an sein Wort und seine Gebote. Sie wird sich vor allem darin zeigen, ob wir-jeder für sich

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persönlich, sowie die Gesellschaft als Ganzes und die Kirche im besonderen -bereit sind, uns den Blick weiten zu lassen für alle Bereiche des Lebens, in denen Gott Herr sein will.

Zusammenhänge erkennen Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem ·Schicksal· und den Taten. Es war eben kein • blindes Schicksal·- auch kein willkürliches Strafgericht Gottes-, das den Rest Judas in Ägypten ereilte. Es war die Folge eigenen Ungehorsams gegen­über Gott. Religiöse Bindungen und Lebensschicksale haben sehr wohl etwas miteinander zu tun! Deshalb ergeht ja auch die Ermahnung des Paulus: .. Irret euch nicht! Gott läßt sich nicht spotten• (Gal 6, 7). Bis hin zu Naturkatastrophen (z. B. Überschwem­mungen) erkennen wir es auch im •weltlichen• Bereich: Unser Tun hat Kon­sequenzen!

Götzendienst heute?! ~~Konsequenzenja- aber keine Automatik in den Folgen!" ·Uns geht es schlecht, weil wir der Himmelskönigin nicht mehr gedient haben•­so erklärten sich die Männer und Frauen in Ägypten ihr Schicksal.

•Nein, wir Menschen des 20. Jahrhunderts dienen keinen ,Götzen' oder ,Him­melsköniginnen · • - so lautet weithin unser derzeitiges Weltbild.

Ja, es gibt ihn, den modernen Götzendienst und den modernen Aberglauben (der gar nicht so .. neu• ist!). Die Bücherregale der Buchhandlungen, die Veranstal­tungskataloge der Erwachsenenbildungsstätten, Fernsehsendungen und Tages­zeitungen sind voll davon. In unserem Text wird sich mit diesem ·Götzendienst• inhaltlich nicht ausein­andergesetzt Es geht darin allein um die Frage "woran du dein Herz hängst~~. wie Martin Luther sagt. Und das kann auch etwas ganz anderes als ·Esoterik· sein. Wie steht das mit unserer Arbeit?- den Freizeitvergnügungen?- Selbst das ehrenamtliche Engagement sollten wir von Zeit zu Zeit hinterfragen: Wer ist mein Herr? Woran hängt mein Herz?

Die Rolle der Frau Die Verantwortungfürdie~~Frömmigkeit~' tragen in dem Textausdrücklich beide: Frauen und Männer. Ich habe den Eindruck. es wäre zu kurz gedacht und die Bibel zu wenig gründlich gelesen, wenn man allein von diesem Text aus auf eine allgemeine Aussage über das Verhältnis der Frauen zur Religion schließen würde. Sicher ist dies eine Fragestellung, der man ausführlich nachgehen sollte. Dies würde aber den Rahmen dieser Bibelarbeit sprengen.

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Wie der Text im Hauskreis lebendig wird Für das Gespräch im Hauskreis ergeben sich drei Schwerpunkte, die hilf­reich sein könnten: • Der biographische Zugang: Damit ist der Blick auf die Person des J eremia

gemeint. Dazu bietet sich an, J eremia 44 mit der Berufungsgeschichte des Jeremia (1, 4-19) zu vergleichen.

• Der textgebundene Zugang: Damit ist der Blick auf den Text gemeint, um ihn plastischer zu verstehen. Dazu könnten Sie die Hauskreismitglieder bitten, den Text nach selbstformulierten Überschriften zu gliedern. Vielleicht haben Sie auch Erfahrungen mit szenischen Darstellungen oder Rollengesprächen?! Die Dramatik innerhalb des Textes eignet sich sicher dafür.

e Der thematische Zugang: Damit kommt der Bezug zwischen Geschichte und Gegenwart in den Blick. Dazu ist es Ihnen sicher möglich - entspre­chend der angeschnittenen Fragen im vorigen Abschnitt dieser Bibelarbeit - selbst Fragen und Gesprächsimpulse zu formulieren (wie z. B. ·Kann man aus der Geschichte etwas lernen?•).

• Als Abschluß des Hauskreisabends oder auch der gesamten Jeremiareihe empfiehlt es sich, das Trostwort an Baruch (Kap. 45) zu lesen.

• Da durch den besprochenen Text auch die eigene Betroffenheit deutlich werden kann, bietet es sich an, der Gebetsgemeinschaft- soweit möglich und üblich - bewußt Platz einzuräumen.

Brunhilde Weinmann

Anmerkungen: 1 A. Weiser, Das Alte Testament Deutsch - Das Buch des Propheten Jeremia, Vanden­

hoeck & Ruprecht, 1959, S. 381. 2 A. Weiser, S. 381.

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Jeremia 31, 23-24

Endlich: ,,Qnade und neuer Bund<<

Bibelarbeit

5 AO 11Die Väter haben sauere Trauben gegessen und den Kindem sind die Zähne stumpf geworden. 11 - Bibelworte wie dieses weisen deutlich darauf hin, daß wir nicht nur für unsere Mitmenschen, die heute leben, Verantwortung tragen, sondern auchfür die, die nach uns kommen.

Der Prophet Jeremia muß die Folgen der Gottlosigkeit und der Men­schenverachtung dem Volk vor Augen führen. Der Ruf zur Buße ist aber nicht das letzte Wort Gottesfür sein Volk. Denn es wird die Barmherzig­keit Gottesam Ende erleben. So verheißt Gott einen neuen Bund. Er selbst will den Menschen neue Herzen schajfen. Leben und Freude ist Gottes Ziel mit seinem Volk - Leben in seiner Gegenwart. >>Leben in einem blühenden Landfür alle Menschen-für die Nomaden und die Seßhaftentel Daß Jeremiafest an das neue Leben im Land der Verheißung glaubt, wird später im Kapitel 32 durch eine Zeichenhandlung unterstrichen. Jeremia katift Land. Die Kaufurkunde wird versiegelt und in ein irdenes Gefäß gesteckt, damit das Dokument lange Zeit erhalten bleibt

Zum Verständnis einzelner Begriffe: Gott wird der 11Herr Zebaoth11 genannt. Das meint ·Herr der Heerscharen ... Da­mit sind die Engel Gottes gemeint. "Gott Israels11. Gott gab dem Erzvater Jakob den Namen »Israel ... Das heißt .. Got­tes Streiter•. Später wurde das ganze Gottesvolk ··Israel·· genannt. Eine Zeitlang war das Volk in Nord- und Südland geteilt. Da nannte sich das Nordreich »Israel· und das Südreich •Juda•. Juda war ein Sohn des Jakob- auch seine Nachkom­men nannten sich nach ihm. Das Nordreich ging 722 v. Chr. unter. Später ge­brauchte man wieder den Namen Israel. Dabei ist dann stets an das ganze Volk gedacht. Der Tempel wurde auch als "Wohnung der Gerechtigkeit(( bezeichnet. Man wußte: Recht schafft letztlich Gott. "zion(( heißt der heilige Berg, auf dem der Tempel steht. Oft wird dieser Beriff auch für .Jerusalem • gebraucht. Übernommen wurde der BegritT aus heidnischen Zei­ten, als David Jerusalem eroberte und sie zur Hauptstadt machte (damals war Zion die Festung der Jebusiter). Mit der Nennungvon Juda und Israel nebeneinanderkönnten die beiden alten Teilstaaten gemeint sein. Es ist aber wohl eher als eine Hervorhebung zu ver­stehen, um auszudrücken: ·Wirklich das ganze Volk ist gemeint.• Man drückt damit eine Vergewisserung. eine Bestätigung aus. Ganz ähnlich- auch als Ausdruck der Bekräftigung- wird der Satz zu erklären sein: " ... ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmer zu gedenken.« Das drückt auch die völlige Vergebung aus.

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Der Ausdruck »neuer Bund« (V. 31) wurde von den Christen als der •neue Bund•, als •neu es Testament• von dieser St<:lle .her gedeutet-. als der Bund, der um des Leidens und Sterbens Christiwillen von Gott her mit uns Menschen geschlossen wurde.

Gliederung des Textes 1. Einst wird Israel Frieden finden - bei Gott- in der Nähe des Tempels. 2. Die Schuld der Väter wird die Kinder nicht mehr belasten. Gott stiftet einen neuen Bund. Er vergibt. Er schafft neue Herzen und reiche Got­teserkenntnis.

Was sagte das Wort den Menschen damals: Dieses letzte Wort Gottes ist ein Wort der Gnade für das ganze Volk. Gott ist der Gott der Heerscharen. Er hat Macht über diese Welt. Von den Men­schen ist er nicht abhängig. Aber er setzt Zeichen für seine Gegenwart. Sie finden ihn auf dem •Heiligen Berg• im Tempel (der später, nachdem sie aus Babyion zurückkamen, wieder aufgebaut wird). Dieser Gott ist der Gott aller Israeliten- der Seßhaften und der Nomaden. Er tritt besonders ein für die Menschen, denen es schwer wird, Leistung zu erbringen -das Leben zu ·bewältigen•. Er erquickt die Müden und macht die Hungrigen satt. Gott wird sich nicht als Gott erweisen, der knausert. Er ist ein Gott des Lebens. Allerdings gehört zu vollem Leben auch die Verantwortung des Menschen dazu. In dem Wort •Verantwortung. steckt das Wort: Antwort. Gott nimmt die Antwort des Menschen ernst- auch das Nein des Menschen zu Gott, zu seinem Propheten und zum schwächeren Mitmenschen. Deshalb werden Menschen die Folge ihrer Schuld tragen müssen. Gott war es, der das Volk nach Babyion geführt hat - nicht die politischen Umstände-, aber auch in den schlimmen Zeiten hat Gott über sie gewacht. Gott war mit in Babylon. So wird er auch bei dem Aufbau des Landes dabei sein. Dabei sieht der Prophet nur die blühenden Landschaften voraus - nicht die schwere Plage des Aufbaues. Wichtig ist, daß Gott immer wieder die Gesetzmäßigkeit der Verstrickungen in die Schuld durchbricht: Die Kinder müssen nicht mehr unter der Schuld der Eltern leiden, Gott will mit dem Volk nach aller Not einen neuen Bund schließen. Dabei bleibt seine Verheißung vom alten Bund am Sinai beste­hen: ·Ihr sollt mein Volk sein und ich will euer Gott sein•.

Und doch ist es ein neuer Bund, weil die Menschen als Partner Gottes anders werden. Gott wird das Gesetz- die ·Thora. (5 Bücher Mosel -in ihr Herz schreiben. Und selbst die Lehre der ·Thora• wird nicht mehr nöig sein, denn jeder wird die Erkenntnis Gottes im Herzen tragen. Und das alles ist möglich, weil Gottganz und gar vergeben hat. Gott hat das, was gottlos war in seinem Volk, aus seinem Gedächtnis gestrichen. Der Prophet sieht die Rückkehr aus Babyion und das Friedensreich der letzten Tage wohl in einem Bild. So übersteigt das, was er beschreibt, alle menschliche Erfahrung- auch in friedlichen Zeiten. Deshalb haben wir es hier auch mit einer "eschatologischen({ (endzeitlichen) Sicht des Reiches Gottes ZU tun. Der Prophet sieht das »Paradies auf Erden•. Aber in allden großen Bildern und Verheißungen bleibt die Verheißung Gottes, daß ihm an dem Menschen liegt und daß er darum NeuessehafTen will. DasEndederZeitistnichtUntergang, sonderndasLeben mit Gott und den Menschen.

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Übrigens: So etwas wie »Zeichen aufdem Wegzum Gottesreich« hat Israel immer wieder erlebt. Gott führte das Volk einst aus der Knechtschaft in Ägypten. Und heute sieht mancher Israelit in der Rückkehr der Juden nach Israel auch eine beginnende Erfüllung der Worte des Propheten.

Was sagt uns dieses Wort heute: Als Christen dürfen wir gewiß sein, daß Gott uns liebt durch das Leben, Sterben und Auferstehen Christi. Als Jesus das neue Testament stiftet bei seinem letzten Abendmahl mit den Jüngern, tat er das mitten hinein ins Feiern des Passah- also desjüdischen Osterfestes. Und damitverbindetJesus den •neuen Bund· mitdem •alten Bund« Gottes mit Israel.- Das ganze Neue Testament zeigt die Nähe zum Alten. So sagt Jesus: ·Forschet in der Schrift, denn sie ist es, die von mir zeuget.• Aber wir finden uns heutzutage oft auch vor wie in der Situation des Volkes Israels, als es die babylonische Gefangenschaft erst vor sich hatte oder in ihr lebte und dringend neue Hoffnung brauchte, um zu überleben. Oft sehen wir die Freundlichkeit Gottes nicht. Manchmalliegt es wohl daran, daß wir den ·lieben Gott• allenfalls dann annehmen, wenn er unser Leben leichter und glücklicher macht. Und die Zweifel um uns herum an einem solchen Gott stecken auch uns an.

Wir brauchen Menschen wie Jeremia, die uns warnen, Gottes Willen nicht zu leicht zu nehmen- wir brauchen aber noch mehr Menschen, die uns in Voll­macht Gottes Liebe, Gottes neue Wege mit uns und sein zukünftiges Reich ver­heißen. Es bleibt trotzdem schwer im eigenen Unglück und beim Sehen des großen Unheils in der Welt nicht an Gottes Liebe zu zweifeln. Deshalb ist für uns das Wort Gottes, das Jeremia wiedergibt, so wichtig: Gott wacht über uns in guten und in bösen Zeiten. Das Ziel Gottes mit uns ist immer Leben und Fülle. Das geht aber nur, wenn wir uns der Verantwortung klar sind, die Gott uns gegeben hat für unser eigenes Leben, für das unserer Mitmenschen und für die Menschen, die nach uns kommen. Allein bewegen wir uns auf das vollkommene Heil nicht hin, Gott muß neue Her­zen schaffen. Und dazu hat er seine Kraft, den heiligen Geist angeboten für alle, die darum bitten. - Lange Zeit haben Menschen nicht recht gewußt. daß allein Gottes Geist es möglich macht, die Schuld vor Gott und den Menschen einzu­sehen. Und dieser Geist schenkt Glauben. So läßt er das Vertrauen zu dem Gott, der das Heil verheißt, auch uns erleben. Wir erwarten das Friedensreich unseres Gottes manchmal erst nach unserem Tod. Aber wir können erleben: Zugleich ist es schon überall da, wo Menschen die Welt mitJesu Augen sehen. Dabei können wir an dem Wort des Propheten studieren, was das heißt, z. B.: Alle Menschen leben friedlich zusammen: ·die Seßhaften und die Nomaden •. Kann das für uns heißen: Menschen aus allen Nationen- aber auch Fremde und Einheimische, Konservative und Liberale? Wir sind Glieder des Neuen Bundes durch unsere Taufe. ·Ich bin getauft .• Das heißt: Gott hat mich zu seinem Kind gemacht. Damit gehöre ich aber auch zu Got­tes Volk. Ich gehöre zur Gemeinde der Getauften. ·Zu Gott gehören• heißtalso zu­gleich •ZU der Gemeinschaft zu gehören, in die ich hineingetauft wurde•. Dabei ist nicht eine bestimmte Konfession gemeint. Die Rückbesinnung auf die Taufe beginnt sich in unserer Zeit wieder stärker zu entwickeln. Noch sind es wenige, die in Glaubenszweifeln wie Luther sich daran

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trösten: ·Ich bin getauft ... Aber Taufgedenken werden gefeiert- etwa in der Oster­nacht bei Kirchenfesten. Die Taufkerze wird bei vielen Gemeinden dem Täufling mit auf den Weg gegeben. Auch wenn uns das noch nicht bewußt ist, sind wir Kinder Gottes- gehören zum •Neuen Bund Gottes•. Gott hat an uns gehandelt: Aber er zwingt uns in diesem Leben nicht. ihn anzunehmen. Er wartet auf das •Ja•. auf unsere •Nachfolge•. Dann sendet er auch uns aus. an unserem Ort zu warnen vor Gottlosigkeit und dort erst recht Gottes Liebe weiterzugeben. Wenn wir diese Sendung dann wirk­lich ernst nehmen, geraten wir vielleicht näher an den Propheten Jeremia, als uns angenehm ist.

ANREGUNGEN ZUM GESPRÄCH • •Verheißung• und •Vertröstung• sehen sich so ähnlich. Sogar dasselbe

Wort Gottes kann gesagt und gehört werden so oder so. Wie können wir der Verheißung gewiß werden? Oder bleibt es immer ein Risiko zu ver­trauen?

• Finden wir auch Orte, die für uns zu heiligen Bergen- zu ·Zion•- werden? Orte, wo wir befreit leben - Gott, uns und unseren Nächsten nahe sind. Vielleicht kann der eine oder der andere davon berichten.

• Wie ist das zu verstehen: ·Die Eltern haben saure Trauben gegessen und den Kindern sind die Zähne stumpf geworden•? Wie kann man auch aus diesen Schuldgefühlen und Vorwürfen herauskommen?

e In der Textauslegung heißt es an einer Stelle: »Wir brauchen Menschen wie Jeremia, die uns warnen, Gottes Willen nicht zu leicht zu nehmen- wir brauchen aber noch mehr Menschen, die uns in Vollmacht Gottes Liebe, Gottes neue Wege mit uns ... verheißen. • Haben wir solche Menschen in unserem Leben schon erlebt? Mit welchen haben wir am ehesten Ähnlichkeit?

• Liedvorschläge (aus dem Evangelischen Kirchengesangbuch): Nr. 361 Befiehl du deine Wege .. . Nr. 262 Sonne der Gerechtigkeit .. . Nr. 200 Ich bin getauft auf deinen Namen ...

Elisabeth Neunzig

Anmerkungen:

Material zum Thema Taufe, das nicht zu aufwendig ist:

Herr, segne dieses Kind, von Gotthart Preiser, Kiefel Verlag, Wuppertal. Das Leben wählen - Einladung zur Taufe, von Ernst Scheibe, Thomas Verlag, Leipzig.

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Jeremia 36

Gottes Wort kann niemand auslöschen 8

AO Bibelarbeit

Verbrennen von Bibeln, der Tod der Propheten und der Menschen, die Gottes Wort weitersagten, Desinteresse und Ablehnung können der Wahrheit des Wortes Gottes nichts anhaben. Wenn es sein Wille ist, wird sein Wort wieder aufgeschrieben, treten neue Zeugen auf, trifft es Men­schen in aller Welt Seine Verheißungen bleiben verläßlich.

Was war damals los?

Eine solche Zeichenhandlung kann wohl keiner je wieder vergessen: Ein König schneidet Stück für Stück von einer Pergamentrolle ab, um die Stücke zu verbrennen. Er zerschneidet damit die Botschaft Gottes! Er zerschneidet damitdie BotschaftGottesan ihn, an dieMächtigen im Volk, an das Volk.Erwirft die Seiten ins Feuer. Ein Zeichen, daß er von den Warnungen nichts hält. Es ist der König und er weiß Bescheid. Er braucht keinen Rat und erst recht keinen von dem ·Miesmacher• Jeremia. Jeremia hat ihn und seine despotische Lebensart angegriffen-, damit die Lasten, die er auf das Volk legt. Das hat der König nicht vergessen. Das Volk soll seinem König vertrauen, so wie der König seinem politi­schen Geschick vertraut. Dieser Machthaber wurde einst- Sohn des großen Königs Josia- als König von den Ägyptern eingesetzt. Sie gaben ihm den Namen Jojakim- eigentlich hieß er Eljakim. Er hatte nichts von seinem als König beliebten, reformfreudigen Vater. Aber als die Ägypter gegen Babyion verloren, blieb er Vasall - allerdings nun einer von Gnaden der Babylonier. Das Volk sollte auf ihn hören. Mit seinem Geschick würde er dem Volk Frieden und Sicherheit erhalten. Vielleicht würde Ägypten wieder erstarken! Als Unterpfand dafür, daß das Volk nicht unterging, hatten sie ja den Tempel. Damit unterstützte ihn auch die Priesterschaft. Aber der König irrt sich gewaltig: Jahre später wird es auch sein Volk merken. Es werden nicht mehr nur die wenigen von der Oberschicht sein, die zunächst nach Babyion deportiert werden- der größte Teil des Volkes wird dorthin folgen müs­sen. Und diese Menschen aus Juda werden sich in der babylonischen Gefangen­schaft nach ihrer Heimat sehnen und mit Schrecken an den zerstörten Tempel denken. Viel später erst- nach der 40jährigen Gefangenschaft- werden sie einst beginnen den Tempel aufzubauen. Den Menschen damals in Jerusalem wurde übrigens noch von einer zweiten Zeichenhandlung erzählt: Gott gebietet dem Jeremia, alle seine Reden noch einmal zu schreiben und dem Freund Baruch wieder zu diktieren. Ja. er soll noch einiges hinzufügen. Jeder, der diese Zeichenhandlung versteht. begreift sogleich: Gottes Wort kann man nicht zerstören. Baruch steht Jeremia als sein Freund und Schreibertreu zur Seite. Aber auch im Ministerrat hat J eremia Freunde. In dieser Erzählung ist die Rede von dem Haus des Schaff an. Schaffan war ein hochgestellter Minister und Staatsschrei her. Sein Enkel bringt Baruch mit den Reden des J eremia vor den Ministerrat. Der Enkel

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heißt Michaja. Daraufhin wird Baruch und Jeremia geraten, sich zu verstecken, denn sie sind in tödlicher Gefahr, Da sind Menschen, die sich um Jeremia und Harud~ Sorge machen, die aber auch die Reden Jeremias als Reden Gottes an­sehen. Sie sehen zu, daß der König die Warnungen Gottes hört.

Kurze Bemerkungen zum Text Die Erzählung nennt das Jahr, in dem der König die Schriftrolle verbrannte. als sein 4. Regierungsjahr. Das war 605 v. Chr. In diesem Jahr schlägt der babylo­nische König Nebukadnezar die Ägypter entscheidend. Jeremia konnte zu der Zeit nicht selbst zum Tempel gehen. Die Feindschaft der Priesterschaft machte das unmöglich. Das Fasten, das ausgerufen wurde, war ein öffentlicher Fasttag. Man weiß den Grund nicht. Es kann sein, daß die schwierige politische Lage die Ursache war. Es kann sich aber auch um eine witterungsbedingte Notlage handeln (z. B .. daß eine Dürre herrschte im Land). Die Oberen des Volkes hatten schon vorher die Warnungen des Jeremia gehört. Aber die politisch unsichere Lage machte seine Worte aktuell für das Volk. Das Kohlenbecken war eine Vertiefung mit glühenden Holzkohlen. Das war die damalige Form der Heizung. Das Schreibmesserwurde sonst von den Schreibern zum Anspitzen der Federkiele benutzt. Vom Tod des Königs Jojakim berichtet übrigens auch das 2. Königsbuch (2 Kön 24, 6). Und der Sohn des Jojakim wird dann mit nach Babyion verschleppt.

Was der Text wollte Plastisch stellt die Erzählung dar, daß man Gottes Wort nicht zerstören kann. Auch seine Warnungen darf niemand herunterspielen. Jeremia geht es nicht hauptsächlich um außenpolitische Ratschläge. Daß Israel untergehen wird für eine Zeit, liegt nicht in erster Linie an falschen politischen Entscheidungen, son­dern an der Gottlosigkeit der Könige, der Mächtigen und des Volkes. Jeremia hat das Volk gewarnt: ·Bessert euer Leben und euer Tun, so will ich woh­nen an diesem Ort• (Jer 7, 3). Es schützt Israel also nicht der Tempel vor dem Untergang, sondern eine radikale Wendung zu Gott. Darum ruft Jeremia seinem Volk zu: "Q Land, Land, höre des Herrn Wort" (Jer 22. 29). J eremia wird von Gott aufgefordert, diese Reden zu diktieren, damit sich das Volk bekehre. Es ist für das Volk noch immer Hoffnung da. Gott wartet lang, ob sich nicht eine Wende vollzieht. So sollten wir die Sätze nicht überlesen: "vielleicht wird das Haus Juda sich bekehren- einjeder von seinem bösen Wege-, damit ich ihnen ihre Schuld und Sünde vergeben kann" (Jer 36, 3). Auch Jeremia drückt eine letzte Hoffnung aus: "Vielleicht werden sie sich mit Beten vor Gott demütigen und sich bekehren- einjeder von seinem bösen Wege" (Jer 36, 7). Aber der Hofstaat ist dem König so hörig, daß niemand protestiert, als der König die Rolle des Propheten zerschneidet und verbrennt. Wir wissen nicht, ob auch mancher Angst vor dem Herrscher hatte. Vielleicht ist nicht allen klar, daß mit dem Prophetenwort Gottes Wort verbrannt wird. Zu gerne machen sie sich etwas vor. "Der König wird es schon wissen." "Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird." Möchte man das Unglück, das vor der Tür steht, verdrängen? Möchte man die erworbene Stellung nicht verlieren? Aber es geht darum, daß diese Menschen in der Umgebung des Königs sich die Wahrheit nicht sagen lassen. Und bewußt oderunbewußt lehnen sie Gott ab,

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indem sie zulassen, daß das Prophetenwort verbrannt wird. So handeln sie sich das Unheil ein. (Ob mancher von uns erinnert wird an die Zeit der Bücherverbren­nung in der Nazizeit?) Wenn wir zurückblicken in unserer Bibel, erinnert das alles auch an den Turm­bau zu Babel- auch da wollten Menschen Gott absetzen. Aber der Herr fährt her­ab, um zu sehen. was die Menschen dort treiben. Dieser Gott müht sich so sehr um die Menschen. Er geht ihnen nach, er schickt den Propheten und - wo der nicht mehr auftreten kann - das, was er selber diktiert hat. Gott sorgt dafür, daß Baruch, der Schreiber, sein Wort noch einmal festhält-als Warnung und Verhei­ßung für die Menschen aller Zeiten. Übrigens, in dieser Geschichte wird auch von Menschen im Ministerrat geschrieben, daß sie über die Worte so bestürzt waren. Darum hätten sie es für wichtig gehalten, daß der König diese Prophetenworte hört. Diese Menschen damals am Königshof können wir als Vorfahren derer sehen, die den Mut hatten, solche Geschichtsschreibung weiterzugeben.

Was sagt uns das Wort heute Zunächst wird hier ausgesagt: Gottes Wort bleibt. Es ist wichtig, daß wir uns das immer wieder sagen lassen. Die alten Geschichten wie die des Jeremia scheinen für Menschen um uns herum nicht mehr von großem Interesse zu sein. Und ehrlich müssen wir hinzufügen: Auch in uns gibt es wohl manchmal die heimliche Angst: ·Ob wir uns auf das Wort Gottes verlassen können? • Man muß es ja nicht verbrennen- man kann es liegen lassen - ungelesen. Man kann es so lange umbiegen, bis es paßt. Aber Gott läßt es • neu schreiben•. Wir verstehen die Menschen. die zuerst um ihre Sicherheit Sorge haben. Wir haben es oft genug erlebt, daß Menschen den Kopf verlieren und leichte Beute sind für Menschen, die Sicherheit und Stärke vortäu­schen. Wer war schon ein Jojakim gegenüber Gott? Aber Menschen sind auf solche machtvoll auftretende ·Möchtegeme. immer wieder hereingefallen. Sie waren bei unmenschlichem Handeln - bei Gotteslästerung - nicht einmal ent­setzt. Auch .. gute Zeiten• bringen Menschen hervor, die Gottes Wortlächelnd zer­schneiden. Auch Menschen, die sich für besonders klug halten, klatschen ihnen Beifall.

Jeremias Verkündigung als Gottes Wort?! Wir finden die Reden des Jeremia im Alten Testament. Wir wissen, daß sich seine Warnungen erfüllt haben. Auch die Verheißungen sind zum Teil schon wahr geworden. Die Menschen damals zur Zeit des J eremia hatten es schwerer, die Reden des Pro­pheten anzunehmen. Hinterher ist man ja meistens schlauer. In ihrer Zeit sprach ja nicht allein Jeremia im Namen Gottes. Die Pliester taten es auch, in dem sie auf die Unverletzlichkeit des Tempels vertrauten. Auch wirwissen in manchen Situa­tionen nicht, ob dies oder jenes Gottes Wille ist. Dagegen nennen wir die Bibel Gottes Wort- und sie hat sich tausendfach bestä­tigt. Und wir können erleben, daß Gott mit uns spricht, wenn wir die Bibel lesen, wenn wir miteinander im Gespräch sind, wenn wir eine Predigt hören. Und doch fragen wir uns auch im konkreten Fall: ·Ist dies Gottes Wort an uns?• Manche Christen nehmen jedes Wort der Bibel als Gotteswort - wortwörtlich. Das ist nach meiner Meinung eine Entscheidung, die Sicherheit bringt. Aber bedacht sollte auch das Wort des Paulus sein: ·Der Buchstabe tötet. der Geist

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macht lebendig• (2 Kor 3.6). Übrigens: In der Versuchungsgeschichte Jesu braucht auch der Teufel Bibelzitate. Manche Christen fragen bei den biblischen Berichten: .was ist zeitgeschichtlich zu verstehen? Was gilt für uns heute?• Solche Menschen müssen sehr aufpassen, daß sie nicht ihre politische oder theologische Meinung bestimmen lassen über die Worte der Bibel. Trotz aller Schwierigkeiten ist es einfach großartig- ja ein Wunder-. daß Gott uns durch die Bibel direkt anspricht, uns aufrütteln und uns trösten kann. Vom Abendmahl heißt es, daß in, mit und unter den Elementen ·Brot und Wein• Christus zu uns kommt. Genauso können wir das von seinem Wort auch sagen. Diese Erfahrung haben wir gemacht und viele Menschen vor uns. Es gilt für Gespräche über die Bibel, für das persönliche Bibellesen und für die Predigt. Auch hiersind Irrtümervom Verstehen hernicht ausgeschlossen. Deshalb müs­sen und dürfen wir Gott immer wieder bitten um die rechte Erkenntnis. um die Unterscheidung der Geister, die uns im Verständnis verwirren wollen bzw. hel­fen. Je mehr wir die Bibel insgesamt lesen, erkennen wir Gottes Handeln, das sich wie ein roter Faden durch das Alte und Neue Testament durchzieht. ·Das ist für mich wichtig•, sagt Luther- und nennt es: »Das, was Christus treibet..

Wie der Text im Bauskreis lebendig werden kann • Die Frage. inwieweit man etwas als Gottes Wort erkennen kann, ist sicher

wichtig. (Lesen Sie dazu zunächst den vorigen Abschnitt als Anregung. um ins Gespräch zu kommen.)

• Frage: Warum suchen wir in Zeiten der Bedrohung andere Sicherheiten als Gottes Verheißungen? Wie kann man sich schützen, um nicht aufVer­sprechen von Heilsbringern hereinzufallen? - Tauschen Sie unterein­ander Ihre Erfahrungen und Ideen aus.

• Ob man die Szenen aus der Erzählung spielen und sich dann darüber unterhalten kann? Zum Beispiel: Ein Bediensteter des Königs kommt zu Baruch und erzählt, was der König getan hat und fragt. was Baruch dazu zu sagen hat!

• Jemand interviewt den König, ob er denn keine Angst vor Gott habe, wenn er die Rolle verbrennt? Jeremia und Baruch unterhalten sich in ihrem Ver­steck, ob es einen Sinn hatte, alle Reden wieder aufzuschreiben.- Sie den­ken darüber nach, was das für ein Gott ist, der so handelt.

e Liedvorschläge (aus dem Evangelischen Kirchengesangbuch): Nr. 198 Herr, dein Wort die edle Gabe ... Nr. 199 Gott hat das erste Wort ...

e Zitat aus einem alten Kirchengebet: .. Q Herr, laß uns dein Wort nicht dadurch vergeblich sein, daß wir es kennen und nicht lieben, daß wir es hören und nicht tun, daß wir ihm glauben und nicht gehorchen. Öffne uns die Ohren und das Herz, daß wir dein Wort recht fassen. •

• Können Sie den folgenden Ausspruch von Heinrich Heine zusammenbrin­gen mit unserem J eremia-Text?

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"Lebt das Wort, so wird es von Zwergen getragen; ist das Wort tot, so kön­nen es Riesen nicht aufrecht erhalten."

Ellsabeth Neunzig

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Jeremia 46, 2-18

Gott und die Weltgeschichte 7 AO Bibelarbeit

IstdieWeltgeschichtedasWeltgericht?Oderistallesmehroderweniger sinnlos und zufällig? niumphiert am Ende der Skrupellose und Mäch­tige? Düifen sich die Tyrannen ungestraft austoben und Millionen Un­schuldiger und Unbeteiligter zertreten und unterdrücken?

Wir erleben auch heute, 200 Jahre nach der Aufklärung, im 20. Jahrhundert mehr Völkermord und Ungerechtigkeit als je zuvor. Die Hauptbeteiligten, ob in Bosnien, Ruanda, der Sowjetunion, dem Dritten Reich oder bei der Mafia und der Weißen-Kragen-Kriminalität werden nur selten persönlich zur Verantwortung gezogen, ihre Völker schon eher. Der Pariser Historiker Jacques Le Gaffbestreitet in den Evangelischen Kommen­taren (Heft 12-1994. S. 740) jeden Sinn im Ablauf der Geschichte. ·Er glaube nicht daran •. Gleichwohl bekundet er •tiefen Respekt vor den Gläubigenjedweder Konfession, die den Sinn der Geschichte darin erkennen, daß Gott sie lenkt•. Anders heißt es in Jeremia 27. 6: •Nun aber habe ich alle diese Länder in die Hände meines Knechts Nebukadnezar, des Königs von Babel, gegeben.• Nach Jesaja 45, 1 ist der gottlose Perserkönig Kyros der Gesalbte und Knecht Jahwes. Die biblischen Zeugen- voran die Propheten- rechnenfest mit einemArifang und Ende, mit einem Ziel und Gericht der Weltgeschichte und mit dem Ende allen Unrechts und allen Elends auf dieser Erde. Nach deren Überzeugung haben auch die Großen der Geschichte ihren Platz im Plan Gottes. Es bleibt aber letztendlich eine prophetische, eine Glaubensaussage, daß "Gott im Regiment sitzttt,

Was damals los war Pharao Necho (V. 2 und 13) aus Ägypten leitete eine dramatische Wende in Juda ein. Als sich ihm derfromme KönigJosia bei Meggido 609 v. Chr. entgegenstell­te, wurde nicht nur Josia getötet, sondern seine richtungsweisende innere Refor­mation aufgehoben. Das Land geriet in Abhängigkeit von Ägypten und wurde dorthin tributpflichtig. 605 v. Chr. kämpfte dann der damalige Kronprinz des aufkommenden neubaby­lonischen Reiches Nebukadnezar um die Vorherrschaft in der Region Israel und Syrien. Er besiegte Pharao Necho bei Karkemisch. Das spürte nun auch Jojakim, Josias Nachfolger in Jerusalem. Er wurde Nebukadnezar tributpflichtig. Ägypten war zurückgedrängt (• ... denn der König von Babel hatte ihm alles genommen. was dem König von Ägypten gehörte, vom Bachtal Ägyptens bis an den Strom Euphrat• [2 Kön 24, 7]).ja 568 v. Chr. drangNebukadnezarbis nach Ägypten vor. Der Babyionier ist dem Bibelleser vor allem durch die ·Erste Wegführung nach Babel• 598 v. Chr. unter Jojakim und durch die Zerstörung Jerusalems unter Zedekia 587 v. Chr. bekannt. Doch auch Babel wird vergehen und wird vom Perserkönig Kyros abgelöst wer­den (vgl. die nächste Bibelarbeit zu Kap. 50 0.

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Die Gerichtsworte über die Völker (46 bis 51) Im Buch Jeremia finden wir schon i!l Kapitel 25 eine große und grundsätzliche Einleitung zu den Völkerkapiteln 46-51 mit ihren Gerichtsweissagungen über die verschiedenen Völker, die Israel umgeben: "Die Worte Gottes sollen in Erfül­lung gehen, nämlich alles, was in dem Buch geschrieben steht, was Jeremia geweissagt hat über alle Völker ... so will ich ihnen vergelten nach ihrem Ver­dienst und nach den Werken ihrer Hände" (Jer 25, 13 f). Man vermutet. daß in einer Urschrift Jeremias ein Teil dieser Völkergerichts­worte bei Kapitel 25 ab Vers 14 eingefügt war, also vor den Heilszusagen an Israel (Kap. 30-33). Dort sind die Kapitel 46-51 auch in der griechischen Ubersetzung des Alten Testaments, der ·Septuaginta •. eingefügt. Vermutlich wurden die Kapitel 46-51 in späterer Zeit noch aktualisiert und erweitert, so daß dieser ganze Abschnitt als gesondertes ·Büchlein• an das Ende des Propheten Jeremia rückte. Gottes Strafgericht an seinem Volk, zu dem er ja auch andere Völker in Dienst genommen hatte, ist nun ans Ziel gekommen. Nur ein Rest des Gottesvolkes hatte noch eine gottgewollte und gottgeschenkte Zukunft.

Was man nicht gleich versteht

Kusch, Put, und Lud (V. 9) sind afrikanische Nachbarländer wie Nubien, aus denen Ägypten seine schlagkräftige Söldnerarmee rekrutierte. Diese Kämpfer sind die •Helden, Schnelle, Starke und Gewaltigen• von den Versen 5, 6, 9 und 15.

Wagen sind die gefürchteten Streitwagen, die ·Panzerwaffe. von damals.

Der Tag Gottes, des Herrn 11Zebaotht1 (V. 10), d. h. der ·Himmelsheere•. Ähnlich dem •Jüngsten Tag. im Neuen Testamentist es der Tag, den Gottselbst bestimmt, um ins Räderwerk der Geschichte einzugreifen und seinem Willen Geltung zu verschaffen. Das Volk Gottes wird dabei von den bedrängenden Feinden befreit. Diese werden am ·Tag der Vergeltung• bestraft oder vernichtet. "Rache" ist dabei nicht im menschlichen Sinn gemeint, sondern als Durchsetzung der Gerechtig­keit Gottes. Doch die Propheten warnen, weil auch das abgefallene Gottesvolk selbst dem Gericht nicht entgehen wird.

Balsam in Gilead (V. 11): Die Landschaft Gilead im Ostjordanland war wegen ihrer Heilsalbe berühmt. Man gewann sie aus dem Harz des Storaxbaumes. Sie wurde auch exportiert (vgl. Gen 37. 25).

Migdol (V. 14) liegt im Nordosten Ägyptens, unweit der Mittelmeerküste. Die damalige Hauptstadt Memphis liegt 20 km südlich vom heutigen Kairo. Sie ist vielen Ägyptenreisenden durch die Pyramiden von Gizeh bekannt.

Tachpanhes liegt im östlichen Nildelta.

Tabor und Kannel (V. 18): Die meisten, die Israel besuchen, bewundern die ein­drucksvolle Aussicht vom kegelförmigen - das Umland 400 m überragenden -BergTabor. Ähnlich ist der Karmel die höchste Erhebung über der Mittelmeerküste bei Haifa. Von dort hat man einen großartigen Blick auf die Küsten- und Jesreelebene und hinauf nach Galiläa und zum Libanon.

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Was der Text wollte Wir gliedern in die zwei Hauptabschnitte: Verse 2 bis 13: Niederlage Ägyptens bei Karkemisch 605 v. Chr. Verse 13 bis 18: Eindringen der Babylonier nach Ägypten.

Das Kampfgeschehen (V. 2 bis 6) Mit einer präzisen Zeit- und Ortsangabe der Entscheidungsschlacht beginnt dieses Prophetenwort gegen Ägypten. In den Versen 3 und 4 hören wir die knappen und farbigen Kommandorufe für den Aufmarsch der ägyptischen Armee. Doch diese aufbruchsfrohe Stimmung ist mit einem Schlag dahin: Die kampferprobten Truppen des Pharao überfällt ein ·Gottesschrecken•: Niederlage. Flucht, Vernichtung- aus! Inmitten der Niederlage ist Gott am Werk. deutbar als Strafe für das Abschneiden der Segenslinie des 609 v. Chr. getöteten Königs Josia.

Die prophetische Deutung (V. 7 bis 12) Wie der Nil die fruchtbaren Talauen jedes Jahr überschwemmt. so wälzen sich die ägyptischen Heere über die umliegenden Länder, um Städte und Völker zu vernichten. Das war Ziel und Wille der Weltmacht- Hybris menschlicher Gewalt (V. 7 und 8). Wieder ein Marschbefehl - Gott selber setzt jetzt Söldner und Elitetruppen mit ihren Streitwagen und ihrer Reiterei, mit ihren Bogenschützen und Nahkämp­fern in Marsch (V. 9). Die Armeen, die so oft siegreich gewesen waren und andere niedergewalzt und ausgerottet hatten, werden nun am Euphrat selbst •vom Schwert gefressen•. Die •Vergeltung• und ·Rache Gottes• meint dabei nicht menschliche Rachsucht, sondern die göttliche Gerechtigkeit, die dem Unter­legenen Recht und Gerechtigkeit schafft: ·Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen• (Lk 2. 52; vgl. auch Ps 2). Im wahrsten Sinne des deutschen Wortes werden die Ägypter nun zu ·Schlacht­opfern•: Ihr Blut fließt wie bei einem Schlachtopferfest im Tempel (V. 10). Eine ironische Einladung beschließt den Abschnitt: Die Bevölkerung Ägyptens soll im für sie so armseligen Ausland Trost- und Heilmittel kaufen. Doch es gibt keine Heilung für das Unheil, das Ägypten getroffen hat. Es wird sich von diesem Schlag nicht mehr erholen (V. 11 und 12).

Weitere Demütigung Ägyptens (V. 13 bis 18) Jeremia schaut am Ende seines Lebens voraus. Nebukadnezar wird 568 n. Chr. nach Ägypten einmarschieren. Wieder- wie oben- ein ironischer göttlicher Befehl zur Verteidigung. Der Prophet sieht in der Niederlage der kampfgewohnten Söldnerarmee (•Gewaltige·•) die Hand Gottes am Werk: ·Der Herr hat sie so gestürzt!• (V. 13 bis 15) Die Verse 16 und 17 klingen wie eine Meuterei der Hilfstruppen: Die geschlagenen Reste desertieren und fliehen in ihre Heimatländer. Der geschlagene Herrscher hat schnell seinen Ruf der Unbesiegbarkeit los und braucht für den Spott nicht zu sorgen: ·Prahlhans. der die Zeit versäumt hat!• Der Herr Zebaoth- Herr der himmlischen und irdischen Heere - ist und bleibt König und Herr aller Großmächte. Er läßt es zu, daß die Macht Nebukadnezars die Macht des Pharao überragt wie Tabo und Karmel ihre Umgebung. Freilich­auch er ist nur auf Zeit ein Werkzeug in der Hand Gottes (vgl. dazu die nächste Bibelarbeit zu Kap. 50 f)!

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Was der Text heute bewirken kann Der Abschnitt spricht aus einer Zeit ähnlicher weltpolitischer Umwälzungen wie wir sie heutzutage erleben: War es damals die rasche Abfolge der Weltreiche der Assyrer, der Neubabyionier und Perser in nur einem Menschenleben - so hat ja die ältere Generation unter uns vergleichbares erlebt: Zwei Weltkriege mit ihren Umbrüchen. Dazu gehören Aufstieg und Fall eines Franco, Duce, Stalin, Hitler- wie auch das Zerbröseln des britischen Empire und überhaupt der Kolonialmächte. Die mächtige Sowjet­union und das alles zertrampelnde »1000jährige Reich", das eine Zeitlang fast ganz Europa beherrschte, sind zerstoben. Dieser Text kann bei uns die Hoffnung verstärken, daß ~~Gott im Regiment sitztu und die Herrschaft der Tyrannen nicht endlos währt. Freilich: Das Leid und das Leiden der Unterdrückten bedrückt uns mit Recht- gerade auch, weil wir in einer Weltgegend wohnen, in der es uns unverdient gut geht.

Unverdient- weil wir nicht besser sind als die anderen. Unverdient- weil wir als Deutsche andere Völker zertreten und zerstört haben und es uns trotzdem 50 Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs wesentlich besser geht als den meisten von ihnen. Unverdient- weil wir mitprofitieren von den geringen Löhnen und Preisen in der sogenannten .. m. und IV. Welt« und wir durch die ungerechten Preise der Weltwirt­schaft noch einen großartigen Lebensstandard genießen können.

Wie lange? Wie lange wird Gott noch zusehen? Denn all dies ist nur eins unter vielen Beispielen des Unrechts und der Gesetzlosigkeit unserer Tage. Muß oder wird erst wieder eine Weltwirtschaftskrise kommen wir vor fast 70 Jahren? Könnten es die immer größeren Umweltkatastrophen sein?

»Den großen Tag des Herrn11 würde ein Jesaja oder Jeremia unserer Tage wohl kaum nur in freundlichen Farben malen können! Die Vorstellung vom »Großen Weltgericht" bei Jesus (Mt24 f) oderbei Daniel (Kap. 9 ff) oder in der Offenbarung sind lebenswichtig gerade für die Zertretenen: Das Unrecht wird nicht bis in alle Ewigkeit siegen.

Eine tiefe Demut können wir als Christen mit dem Psalm 130 zum Ausdruck brin­gen: "wenn du, Herr, Sünden anrechnen willst, Herr, werwird bestehen? Denn bei dir ist die Vergebung, daß man dichfürchte.u Es ist der Psalm, der in allen Gottesdiensten bei den verschiedenen Versöhnungsreisen anläßtich des 50. Jah­res nach Kriegsende gebetet wird. Unvergeßlich war es für mich, zusammen mit Juden im Oktober 1994 in Auschwitz-Birkenau gekniet zu haben und später in Warschau noch einmal. Eine sonst noch nie verspürte Tiefe derVersöhnungund Befreiung ergriff mich bei diesem Bußgebet. Versöhnung und unverdiente Gnade unter dem Kreuz Jesu leuchtete auf.

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Wie der Text im Hauskreis lebendig wird

• Fragen, über die man reden könnte: Suchen Sie in der Ihnen bekannten Zeitgeschichte nach Parallelen von menschlichem Hochmut und Barbarei einerseits und göttlichem Gericht andererseits. Sehen Sie Spuren Gottes im Geschichtsablauf? Dazu hilft Ihnen vielleicht noch einmal ein Blick in den vorigen Abschnitt. Ein Beispiel dafür könnten auch die Kreuzfahrer sein. Erinnern Sie sich an prophetisch-politische Weltdeutung verschiede­ner Propheten im Alten Testament? (Mose, Elia, Jesaja. Amos usw.) Wie können wir getrost werden im Blick auf Gottes ewiges Gericht? (Vielleicht regt Sie das Beispiel der Versöhnung unter dem Kreuz im letzten Abschnitt an.)

• Vorschlag zur Aneignung des Textes Nach der Klärung des geschichtlichen Rahmens und einiger Begriffe könn­ten Sie den Text abschnittweise besprechen. Man könnte u. U. dann den Text mit verteilten Rollen etwas ·dramatisch· lesen. Dabei hilft zum Ein­stieg die Suchfrage: •Wer spricht jeweils?·

Abschnitt: (2-6) (7-12) (13-18)

Der Schreiber der Prophetenworte Ägyptischer Befehlshaber/Pharao Der Prophet Gott selbst (·Schrecken•) Söldner in Ägypten

• Weiterführende Frage

2 3.4. 5.6. 5

Bb 7.8a.l0-12 9

13

14-16. u.l8 16 b.l7

Wie gehen Nachgeborene mit der Schuld der Väter- und Großvätergenera­tion um? Man kann es gut am Beispiel des 3. Reiches und unseres Verhältnisses zu Israel bzw. zu unseren Nachbarvölkern anschaulich machen. Biblische Beispiele sind die Fürbuße eines Daniel (Dan 9, 4 fO oder Nehe­mia (Neh 1. 4 fO. Hilfreich ist dazu auch 2. Chronik 7, 14.

e Liedvorschlag (aus dem Evangelischen Kirchengesangbuch): Nr. 390 Wach auf. wach auf du deutsches Land ...

Alfred Herb

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J eremia 51, 13-26

Babels Untergang und Israels Rettung

Bibelarbeit

8 AQ

Wie schon in der letzten Bibelarbeit kommt auch in diesem Abschnitt göttliche Ruhe ins Tosen der Völker- und Weltgeschichte. Inmitten des Tobens der Völkermeere sehen wir das kleine Gottesvolk Israel, das immer wieder überspült wird und dem Untergang nahe scheint - und dem doch sein Gott seit Abraham bis heute die Treue hält.

All die Völker, die Gott zum Gerichtfür Israel benutzt, kommen und gehen. Kei­nes sollte sich daher überheben - auch nicht die Christenheit, die mitnichten als ·das neue Israel• das alte Bundesvolk ersetzen könnte. Viele Christen und Gemeinden scheinen ihren Paulus in Römer 9-11 noch nie gelesen zu haben! Wir können Israel höchstens zum Glauben an seinen Messias Jesus •reizen• (Röm 11, 14}, soweit dies nach 2000jähriger Verfolgung im Zeichen des Kreuzes- bis hin zum Holocaust- überhaupt möglich ist. Auch wenn durch alle Gottesgerichte hindurch oft nur ein kleiner heiliger Rest übriggeblieben ist - Israel bleibt erwählt. von Gott geliebt. ''Seine Gabe und Berufung können ihn nicht gereuen11 (Röm 11, 29).

Was damals nloscc war

Israel - wie eine zerstreute Herde Das kleine Israel/Juda war in den Jahrhunderten der großen Propheten ein Spielball der Weltmächte geworden: "Jsrael war eine zerstreute Herde, die die Löwen verscheucht haben. Zuerstfraß sie der König von Assyrien, danach nagte ihre Knochen Nebukadnezar ab, der König von Babel" (50, 17). Es hatte sich also Babel wie ein ·Hammer• in der Hand Jahwes erwiesen (50. 23)- und Nebukadnezar wie •ein Knecht· Gottes (25, 9): Babel hatte seinen Platz im Weltenplan Gottes. Da lag natürlicherweise in Babyion menschlicher Hochmut gegen den Gott der Israeliten nahe: Der in Babel hochverehrte Gott Bel (= Merodach = Marduk, 50, 2) schien ganz sichtbar über den Gott Israels zu triumphieren. Waren die Nie­derlagen eines Volkes nicht immer auch die Niederlagen seines Gottes? Damit hatte sich ·das Land der Chaldäer verschuldet am Heiligen Israels« (51. 5 b). Nach Assyrien und Babylonien steht nun die nächste Weltmacht vor der Tür: ·Der König von Medien• (51. 11). Nach Jesaja 45, 1 hat Gott ·Kyros, seinen Gesalb­ten• zur Befreiung seines Volkes benutzt. So wird deutlich, daß Gott- und sonst keiner- alle Geschicke in der Hand hält. Er führtjetzt den nTag der Vergeltung für seinen Tempel" (51. 12) herauf.

Israels Rückkehr aus babylonischer Gefangenschaft Schon am Ende des 1. Kapitels der Weissagungen gegen die Völker steht. daß ,,Jakob zurückkommen soll und in Frieden seinu und Gott ,,mit allen Völkern, unter die er es verstoßen hai, ein Ende machen wirdu (46, 27 f).

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Jeremia 50 und 51 reden nun ausführlich vom UntergangBabels und Israels Ret­tung. So wie die Babyionier •ein Volk aus dem Norden• (1, 14 u. a.) gegen Israel gewesen waren, überkommt sie nun selbst ein anderes "Volk aus dem Norden" (50, 3.41), die Perser. Das neubabylonische Reich war überhaupt nicht von langer Dauer gewesen. Nach dem Tod Nebukadnezars verfiel es rasch. Sein letzter König Nabonid war ein Sonderling, der die staatliche Ordnung zerfallen ließ. Im nördlichen Nachbarland war inzwischen Kyros zum König von Medien und Persien gekrönt worden. Stück um Stück rundete er seine Herrschaft ab. Neu­babylonien stand ihm als letztes noch im Wege. 539 v. Chr. wurde die großartige Hauptstadt Babyion eingenommen. Ohne viel Blutvergießen fiel das ganze Reich und damit auch Syrien und Israel an Kyros. Die neuen Herrscher behandeln nun ihre Untertanen-Völker grundlegend anders als die Babylonier: Kein Deportieren und Zerschlagen- sondern Respekt vor der Eigenart sowie Achtung von Kult und Glauben der Völker. Deshalb konnten die gefangenen Juden Hoffnung schöpfen. Bald schlägt die Stunde ihrer Rückkehr. Kyros erlaubt ihnen schließlich sogar, ihren Tempel wieder aufzubauen.

Was man nicht gleich versteht

"Babel - Babylon11: Im 2. Jahrtausend v. Chr. wurde die Stadt Babel am Euphrat zum Herrschaftszentrum des Vorderen Orients. Ihr Einfluß endete erst im 2. Jahrhundert v. Chr. Im Neuen Testament wird der Name als Deckbezeichnungfür die römische Welt­macht und ihre Hauptstadt Rom verwendet (1 Petr 5, 13. vgl. Offb 18). Der Ver­gleichspunkt ist immer die ,,Feindschaft gegen das Gottesvolk·.- Im übrigen zeigt schon die Geschichte vom Turmbau zu "Babel .. , daß das hochmütige Vertrauen auf eigene Kraft und politische Leistung vor Gott nicht bestehen kann.

"Herr Zebaoth11 (V. 13): Herr ))der Heerscharen", d. h. Herr der Heere Israels, der himmlischen Heerscharen, der Sternenmächte und unterworfenen Götter. Er ist der Herr aller Mächte und Gewalten.

,,Keltertreten1< (V. 14): Einst wurden die Weintrauben mit bloßen Füßen gestampft. Die ,,Kelterer .. haben dabei laut ihre rhythmischen Lieder gesungen und sich zur Arbeit gegenseitig angefeuert. - Das heißt also in diesem Zusam­menhang: So werden sich die Feinde Babels gegenseitig ermutigen.

"Heimsuchen~~ (V.18): Das bezeichnetdie Bestrafungeines Vergehens (•heimzah­len•). Ursprünglich ist es einBegriffaus dem Verwaltungsrecht: • Aufgrund dienst­aufsichtlicher Überprüfung zur Verantwortung ziehen.•

'' Chaldäa./er (V. 24): Damit waren ursprünglich nur die Bewohner des südlichen Babylonien gemeint. Unter Nabopolassar (626-605 v. Chr.), dem Vater des berühmten Nebukadnezar II., begründeten sie das Neubabylonische Reich. Von da an wird Chaldäa gleichbedeutend mit Babylonien. Da die babylonischen Prie­ster für ihre astronomischen und astrologischen Kenntnisse bekannt waren, ver­stand man später unter ·Chaldäer• ganz allgemein Priester, Astrologen und Gebildete (z. B. Dan 3, 8).

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11Ziont1 (V. 24): Ursprünglich wardas der Name dervon David erobertenJebusiter­festung (2 Sam 5, 6-9). Später ging der Name auf den Tempelberg über und wurde schließlich zur Bezeichnung für ganz Jerusalem und seiner Bewohner.

11Zionismust1 heißt dann viel später eine Bewegung seit dem 19. Jhdt., die sich mit allen Fasern des Herzens nach der Rückkehr in die alte Heimat sehnte. Theodor Herzt (1860-1904) war sein wichtigster Wegbereiter.

Ein Berg des Verderbens (V. 25): So war Babyion für andere Völker geworden. Jetzt wird es selbst zu einem •verbrannten Berg., voller Trümmer, der zu nichts mehr zu gebrauchen ist.

Das IIAusufür Babel (V. 13 und 14): Babel wird hier direkt angeredet. Es war groß und mächtig, reich an (geraubten) Schätzen, reich an Menschen, reich an Wasser, reich an Kultur, reich an Göttern und Gelehrten. Doch das Todesurteil ist gefällt- ·der Lebensfaden abgeschnit­ten•. Die Feinde feuern sich gegenseitig an, es zu vernichten. Hinter ihnen steht ·der Herr Zebaoth• und sein Schwur- als Hauptfeind.

Hymne auf Gottes überragende Schöpfermacht (V. 15 bis 19): In einem hymnischen Bekenntnis wird Jahwe als Weltenschöpfer gepriesen. Im Gegensatz zu den blutigen Schöpfungsmythen der Umwelt hat Jahwe die Welt allein durch sein Wort, durch seine Kraft und Weisheit geschaffen (15). Vers 16 erinnert an Psalmen wie Psalm 104; 135, 7 oderHiob 36.27-39. Die ganze Schöp­fung ist von ihm und zu ihm und jubelt ihm zu. Die sakrale Kunst stand inBabylonien und Ägypten in höchster Blüte. Gewaltige Kunstwerke und Götterbilder wurden geschaffen, um diese Götter gnädig zu stimmen und zu beeinflussen. Israel dagegen sollte "ohne Bildnisu dem Gott des l. Gebots, Jahwe allein, dienen. Doch immer wieder fiel es in seiner Geschichte aus diesem Gehorsam heraus, bis es in Hoch- und Tiefpunkten die Treue und Hei­ligkeit Jahwes und die Ohnmacht der ·Nichtse• erfuhr. Auch sie- die Götter­werden ·heimgesucht· und zuschanden. Israel sieht nun den mächtigen Schöpfer in seinem Gericht über die Weltmacht Babel am Werk. Es hältgleichsam den Atem an überdem souveränen Walten und Eingreifen Gottes in die Weltgeschichte und seiner Erhabenheit über alle irdi­schen und himmlischen Mächte. Land und Volk Israel gelten als »Erbe«/•• Erbteil" Jahwes. Er trägt letztendlich für seine Zukunft Sorge. Er ist der Schöpfer, der Erhalter (•Jakobs Reichtum.) und Erlöser seines Volkes (19). (Vgl. zu dem Gedankengang von 15-19 sehr ausführlich Jes 40, 12-26 und das Spottlied über die Götzen, Jer 10).

Die Weltmacht Babel als Gottes 11Hammer1t (V. 20 bis 23): Babel als Weltbeherrscher bekommt noch einmal ganz andere Autorität, indem es sich als "Hammer" und Werkzeug in der Hand Gottes erweist (vgl. 27, 6). Im hebräischen Text steht 9 Mal das Wort ,,zerhämmern" als dichterisches Aus­drucksmittel fürdiesen Grundgedanken. In 50.23 wird Babel sogar>•Hammerder ganzen (damaligen) Welt· genannt.

Das göttliche Strqfgericht kommt über Babel (V. 24 bis 26): Doch auch die Zeit der babylonischen Herrschaft ist bemessen, • bis auch für sein Land die Zeit kommt, daß es vielen Völkern und großen Königen untertan sein muß .. (27, 7). Wie einst die Weltmacht Assyrien als Gottes ~~Rute und Stecken"

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diente (Jes 10. 5, 15), dann aber von ihm verworfen wurde, so geht nun Babels Weltzeit zu Ende, indem es dem vergeltenden Gericht J ahwes für die Zerstörung des Tempels in Zion verfällt (vgl. V. 26 mit dem Ende von Kap. 11). Jahwe fordert sein einstiges Werkzeug vor Gericht. Seine Hand, die den ~~Ham­mer" einstjührte, ist nun gegen ihn ~~ausgestreckta. Wie in einem gewaltigen Bergsturz wird Jahwe Babel vom Gipfel seiner Macht hinabstoßen, so daß die Stadt zum ewigen Trümmerfeld wird, in dem sich kein heiler Stein mehr findet.

So sitzt Gott im Regiment Wie schon in der letzten Bibelarbeit über Jeremia 46. 3-18 wird in diesem ganzen Abschnitt nochmals deutlich, wie nach biblischem Glauben ·Gott im Regiment sitzt• und in den Wirren und Ränkespielen der Weltgeschichte seine Hand im Spiel hat. Dabei gelten sein richtendes Heimsuchen und gnädiges Erbarmen ganz besonders seinem erwählten Volk, seinem ~~Erbteik So wie in Genesis 11 menschlicher Hochmut und Selbstherrlichkeit in Babel zer­schellt, und er in Genesis 12 mit Abraham den Erwählungswegmitlsrael beginnt, so wird das neue Babyion sich nicht in Ewigkeit überheben können- weder im 6. Jh. v. Chr .. noch später dann als Weltmacht ·Rom•, noch als ·Hure Babylon• am Ende aller Zeiten (Offb 17 und 18).

Was der Text beute bewirken kann Auch uns in Deutschland hat Gott gebraucht. um durch unsere Gaben - nicht zuletzt durch die Reformation- andere Völker zu segnen. Lassen wir uns heute noch als Volk zum •Werkzeug Gottes• gebrauchen? Oder sind- wie einst in Babel -unsere selbstgemachten Götter so anziehend und berauschend, daß wir uns als Volk kaum noch an Gottes unverdiente Treue dankbar erinnern? Im besonderen ist das 1. Gebot natürlich eine Frage an uns Christen- wie einst bei Elia auf dem Karmel: •Wie lange hinket ihr auf beiden Seiten?· Mit anderen Worten: Es geht heute neu um Eindeutigkeit, um Leben in der Chri­stusnachfolge, um Erkennbarkelt und Unterscheidbarkelt eines Christen, damit wir der Welt das rettende Wort und die helfende Tat unseres Herrn J esus Christus nicht schuldig bleiben. Das ,.Werkzeug .. Volkskirche hat dabei keine Ewigkeits­garantie! Immer wieder ist es nötig, sich ganz konkret- wie Josua im Alten Te­stament- unter dem Satz zu sammeln: ·Ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen!·

Ein Beispiel der Eindeutigkeit: Wie stehen wir als Christen zu unserem älteren • Bruder• Israel? Damit kann nicht gemeint sein, daß wir das gegenwärtige Israel nicht hinterfragen dürften. Aber eins ist aus derNähe zu J eremia festzuhalten: Gott machte Babel zum • Harn­mer• gegen Israel. Doch der Hammer hatte sich erhoben und Israel in seinem Kern - seinem Tempel und Gottessymbol - vernichten wollen. War auch dies dann noch ·im Sinne Gottes·? Ganz eindeutig negativ war, wie unser Volk es ·Babel• nachmachte: Es duldete eine »Endlösung .. , um die Judenheit für alle Zeit auszulöschen. Es ist gewiß eines der größten Gnadenwunder Gottes, daß es unserem Volk trotz allem wieder so gut geht. Unser neuer Bundespräsident hat in seinem ersten außereuropäischen Staats­besuch vorbildlich das besondere Verhältnis Deutschlands zu Israel gewürdigt.

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Es geht nicht um ·Philosemitismus« und ·Israel-Euphorie" - die schaden nur! Es geht um Freundschaft und um ein klares Stehen zu diesem Volk in dieser Zeit, in der sich wieder lauter und latenter Antisemitismus regt, und in der die ·Auschwitzlüge<< an Biertischen und in Büchern gehandelt wird. Dazu kommt, daß viele ·fromme« Christen sich zu einer ·Ersatztheologie<< beken­nen - was meint, daß Israel als Gottesvolk ein für allemal durch die Kirche "ersetzt<< sei. Es scheint mir gut zu sein, in dieser Zeit des turbulenten Friedensprozesses, in den alle Welt um Israel herum hineinredet, und in dem sich die USA und andere als selbsternannte ·Hämmer" geben, in kritischer Solidarität und Freundschaft zu Israel zu stehen. Doch Vorsicht auch für die ·Hämmer'' selber, die oft so machtvoll auftreten im Konflikt um Israel. Was, wenn die selbst eines Tages von Gott weggelegt werden, wenn Israel dagegen noch viel länger bestehen wird?

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Wie der Text im Hauskreis lebendig wird e Welche Verheißungsworte der Rückkehr Israels in seine Heimat kennen

Sie? (In unserem Zusammenhang mögen Sie dazu lesen Jer 46, 27 f; 50, 17-20- aber auch Kap. 30-33. Dann können sie aus dem Jesajabuch die Kap. 40 und folgende hinzuziehen.)

e Was wissen Sie vom "Exodus" der Juden, der Heimkehr in ihr Land, in unserer Zeit? (Juden aus über 100 Ländern sind inzwischen nach Israel zurückgekehrt, 500 000 kamen in den letzten Jahren allein aus Rußland zurück. Durch Busse, Flugzeuge und Schiffspassagen unterstützen z. Zt. Christen diese Rückführung. in der viele Israelis die erneute Erfüllung der alten propheti­schen Verheißungen erleben. Näheres u. a. beim Dt. Zweig der Internatio­nalen Christlichen Botschaft in Jerusalem, Mauerstraße 9, 64 713 Michel­stadt, Tel. 0 60 61/7 2151 oder beim Eben Ezer Hilfsfonds, Berblinger­straße 2, 71254 Ditzingen, Tel. 0 71 56/93 13 36.)

• Wer sich genauer für • Unser Verhältnis zu Israel· mit entsprechendem Hin­tergrund interessiert, der sei auf meinen gleichnamigen Artikel in ·Bibel aktuell• Nr. 60, S. 40 hingewiesen.

• Worin sind wir gefährdet. uns über das 1. Gebot zu erheben und an beein­druckende ·Götter• unserer Zeit zu hängen? Vielleicht bauen Sie dazu ein­mal in der Gruppe einen ·Altar•, auf dem Sie ·Symbole falscher Götter­Verehrung. aufbauen!

e Man könnte den ganzen Zusammenhang über Babels Untergang und Israels Rettung Kapitel 50 und 51 durchblättern und die Überschriften überfliegen. Anschließend wird unser Abschnitt zur •Nahaufnahme•. Bi­blische Vergleichstexte zum UntergangBabels sindJesaja 13 und 21.1-10.

• Ein abschließender Hinweis: 1996 wird Jerusalem seinen 3000. Geburts­tag feiern. Wenn auch nur die Westmauer der Tempelanlage erhalten geblieben ist, blieb Jerusalem doch durch 3000 Jahre bis heute Mittel­punktjüdischen Denkensund Betens. Mit Psalm 122 dürfen wir Jerusalem Glück wünschen.

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Sie können auch mit folgendem Lied von Johanna Gutekur Jerusalem segnen (Melodie: Lobe den Herren, den mächtigen König):

"wünschet Jerusalem Glück, Heil und Friede mit seinem Volke und allen, die diesen Ort lieben. Es ist die Stadt, die Gott erwählet sich hat, daß von dort sein Wort ausgehe.

Wünschet Jerusalem Glück und seid alle erfreuet, daß seine Wohlfahrt im Schutze des Höchsten gedeihet. Wer mit geklagt, die rechte Freude auch hat, daß Gott es wieder erwählet.

Wünschet Jerusalem Glück und gebt Zion die Ehre, suchet sein Bestes, bis ewiger Friede einkehre. Jerusalem, du sollst im Herzen mir stehn. bis dein Messias erscheinet.•

Alfred Herb

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Angst vor dem Ende?

Apokalyptische Bewegungen heute

Zeugnisse aus der Christenheit

An der Schwelle zum Jahr 2000 treten sie besonders auf: apokalyp­tische Ängste, die mit dem drohenden Weltuntergang rechnen. Darauf versuchen endzeitliche Heilsbringer, Sekten und zweifelhafte Gruppierungen Antworten zu geben. Sie selbst zählen sich dabei zu den 11Geretteten<< - verheißen sie doch denen Rettung, die sich an die je­weilige Gruppierung und ihre Lehre halten. Endzeitliche Horrorszena­rien dienen dazu, diejeweiligen Mitglieder 11bei der Stange11 zu halten.

Der nachfolgende Artikel untersucht die apokalyptischen Lehren solcher end­zeitlicher Bewegungen auf dem Hintergrund gegenwärtiger Zukunftsängste und entfaltet Gedanken für eine christlich verantwortete Apokalyptik (d. h. Schau ins Zukünftige).

Apokalyptische Ängste heute

11Apokalypse now1<. So lautet nicht nur ein bekannter Filmtitel des amerikanischen Filmregisseurs Francis Ford Coppola- sondern ·Apokalypse now •. das kennzeichnet zugleich auch die Lebensangst und die Grundstimmung vieler Menschenangesichts per­sönlicher und weltweiter Krisen. Ein Blick auf die jüngste Gegenwart zeigt. daß die Angst vor dem drohenden Ende nicht ganz unberechtigt ist. Der alltägliche Schrecken hat viele Namen: Kriege. Umweltkatastrophen, Seuchen, die Folgen der Bevölkerungsexplosion. die zu­nehmende ·Brutalisierung des Alltags• an Schulen und in den Medien. All dies zeigt. daß es für Ängste in der Gegenwart allen Grund gibt. Das Gefühl der Ohn­macht nimmt zu. In weiten Teilen wird diese Angst verdrängt - oder sie ver­schwindet scheinbar ganz. Die moderne Gesellschaft hat ihre eigenen Mechanismen entwickelt. um Ängste zu beschwichtigen oder erst gar nicht zuzulassen. Dennoch lassen sich die Gefühle der Bedrohung nicht unterdrücken. Sie verschaffen sich Raum in Depression. Resignation, aber auch in Gestalt einer übersteigerten. bisweilen fanatischen Endzeit -Religiosität.

Der Fortschrittsglaube der Neuzeit ist zutiefst erschüttert. Die Grenzen des Wachstums sind längst erreicht. Ereignisse wie die Katastrophe von Tschernobyl sitzen tief im Gedächtnis. Nicht umsonst gilt unser heutiges Atomzeitalter als ein ,.zeitalter der Angst<r. Geringste technische Versagen kön­nen katastrophale Folgen für die Menschheit haben. Die Apokalyptik ist daher nicht nur eine Randerscheinung sektiererischer Gruppen, sondern inzwischen zu einem Grundphänomen mit großer Öffentlichkeitswirkung geworden. Die Zahl der Geängstigten nimmt zu. Nicht nur im politischen Bereich regen sich Kräfte. die aus diesem Grundphäno­men Kapital schlagen wollen. Im religiösen Bereich traten und treten immer wie-

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der Gruppierungen auf, die ihre Botschaften ganz eng auf diese menschliche Angst vor dem Ende abgestimmt haben. Sie greifen sie auf und malen das bevor­stehende Ende mit besonders dunklen Farben. Doch sie verstehen ihre .. Bot­schaften«- die sie mehr oder weniger dem »Bildmaterial« der Bibel entnehmen­als letztm.öglichen Rettungsanker Gottes vor dem Weltuntergang. Und sie mei­nen, es ganz genau bestimmen zu können:

wann das Ende kommt wer zu den Geretteten gehören wird und wer nicht.

Apokalyptische Bewegungen in der Geschichte des Christentums Schon immer begleiteten apokalyptische Bewegungen die Geschichte der Chri­stenheit. Ihre Entstehungsbedingungen sind damals wie heute die gleichen: nimmer, wenn gesellschaftliche Entartungen, kirchliche Skandalzustände, Seu­chen, Kriegs- und Naturkatastrophen eintraten, suchten von Angst und Ver­zweiflung aufgescheuchte GemüterTrost in apokalyptischen Hoffnungen. Diese Apokalyptik war in ihrer Weise ein Protest gegen die etablierten Mächte und Insti­tutionen, die diese Zeitnöte verschuldet hatten. Zu ihnen gehörte vorab die Kirche. So trugen die apokalyptischen Erwartungen seit ihrem Wiederauflodern im 13. Jahrhundert einen antikirchlichen Akzent, und es gelang nur stückweise, ihnen in der Kirche eine Heimstatt zu verschaffen.« 1

Aus der Kirchengeschichte ist vor allem der bedeutende Endzeit-Verkündiger Montanus in der Mitte des zweiten Jahrhunderts nach Christus bekannt. Die Berufung auf den prophetischen Geist führte zur Gründung der Bewegung der nMontanisten<<, die mit dem baldigen Eintreffen der Weltkatastrophe rech­neten. Zu den bekanntesten Berechnungen zählen die Angaben von Joachim von Fiore (ca. 1130 bis 1202), der für das Jahr 1260 den »Anbruch der Geistkirche" und die damit verbundene »Reinigung" bestimmte. Zu den Kennzeichen von Endzeitberechnungen zählt vor allem die bedrängende Naherwartung des kommenden Endes, die ihnen ihre innere Dynamik und Dra­matik verleiht. Sogar die Frage, ob man denn ein ··hochzeitliches Gewand« trage, wurde immer wieder gestellt und gewann damit einen tiefen Ernst. Die Kehrseite dieser apokalyptischen Bewegungen zeigt aber auch, daß in ande­ren Fällen wilde Spekulationssucht. übersteigertes Geltungsbedüfnis, Pseudo­prophetentum und Fanatismus die treibenden Kräfte für die Nahzeiterwartungen bildeten.

Apokalyptische Bewegungen und ••Endzeit-Sektencc Vor allem auch in der esoterischen Literatur einschlägiger Verlage finden sich teilweise geradezu phantastische Hinweise auf das bevorstehende Ende dieser Welt. Mit Hilfe okkulter Geheimlehren, parapsychologischer Erfahrungen, an­geblicher Anweisungen »außerirdischer Intelligenzen" oder höherer ·Geistwesen« versucht man dem verunsicherten Zeitgenossen nHilfen" zu geben. So könne die­ser dann die unmittelbar bevorstehenden Drangsale erkennen und überstehen. Bezeichnend allein sind schon die jeweiligen Titel (z. B. K. Eggenstein: "Der Prophet Jakob Lorber verkündet bevorstehende Katastrophen und das wahre Christentum•) 2.

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Neben dieser eher diffusen ·Religiosität• gibt es aber auch Gruppierungen älteren und neueren Datums, die verstärkt die Ängste des neuzeitlichen Menschen anzu­sprechen suchen und ihnen klare Antworten anbieten. Im folgenden sollen daher einige dieser Gruppierungen näher beleuchtet werden, um die Grundstrukturen -die gemeinsamen Grundaussagen-dieser "apokalyptischen Bewegungenu zu kennzeichnen. Dabei soll insbesondere der Frage nachgegangen werden, in­wiefern es ihnen immer wieder gelingt, Menschen anzusprechen.

Ein aktuelles Lexikon für Sondergruppen und religiöse Bewegungen3 nennt in einer Aufstellung folgende endzeitlich ausgerichtete Gruppen:

Jehovas Zeugen und freie Bibelforscher-Gemeinden (Laien-Heim Missions­bewegung, Freie Bibelgemeinde, Menschenfreundliches Werk, Les Amis de l'Homme), Weltweite Kirche Gottes (Herbert W. AmstrongJ. die adventistischen Bewegungen (Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventi­sten und verschiedene Abspaltungen).

Gemeinsam ist diesen Gruppen die Erwartung der unmittelbar bevorstehenden Wiederkunft Christi und des Anbruchs des Tausendjährigen Reiches. Biblische Belege gelten als Hinweis bzw. Grundlagefür Endzeitberechnungen bzw. für den Versuch, die Wiederkunft Christi zeitlich genau zu datieren. Manche dieser Gruppen, deren Wurzeln teilweise bis in das 19. Jahrhundert zurückreichen. lesen die Bibel unter dem Blickwinkel dieser Endzeiterwartung. Besonders in den letzten 100 bis 150 Jahren kann ein Zuwachs an Endzeit­Gemeinden verzeichnet werden. Während manche dieser Gruppierungen sich auch kritisch mit der eigenen Geschichte und Lehre befassen und sich positiv wandeln können (so z. B. Siebenten-Tags-Adventisten), verfestigen andere ihre Sektenstruktur undschottensich nach außen hin ab (Zeugen Jehovas). Über diese Aufstellung hinaus gibt es Sekten, die eine ausgeprägte Endzeiterwar­tung haben und ihren Anhängerngenaue Verhaltensanweisungen für die bevor­stehende Zeit geben.

Im folgenden sollen zwei Gruppierungen näher betrachtet werden. Beide sind endzeitlich ausgerichtet und verursachen nicht selten Konflike mit ihrer Um­gebung.

a) Der "göttliche End.zeitjahrplan11- Die Zeugen Jehovas Hervorgegangen aus einer adventistischen Splittergruppe. bilden die Zeugen Jehovas eine der wohl bekanntesten Sondergemeinschaften. Sie wurden gegründet von dem amerikanischen Großkaufmann Charles Taze Rusell (1852 bis 1916) unter der Bezeichnung ••Ernste Bibelforscher" (seit 1931 ·Zeugen Jeho­vas") und entfalten seither weltweit umfangreiche Aktivitäten.- Das organisato­rische Zentrum, das Büro in New York (Brooklyn), führt den Namen ·Wachtturm­Gesellschaft• und erhebtden Anspruch, •VertreterGottesaufErden• zu sein. Cha­rakteristisch für die ·Zeugen• ist die Auffassung, wonach die ·Zeit des Endes der Welt· in dieser Generation herbeigekommen sei und die ·Zeugen• darin eine Hauptrolle spielen würden. Schon öfters wurde der Weltuntergang prophezeit (1914, 1925, 1942, 1975). was die Organisation in große Argumentationsnot brachte. Ihre starke Endzeiterwar­tung entnehmen die ·Zeugen J ehovas• zwar biblischen Aussagen, die willkürlich zusammengestellt undfalsch interpretiert werden:

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Der Beginn des Tausendjährigen Reiches, dessen genaue Datierung immer wie­der nachträglich korrigiert werden mußte. führt zu einer Entscheidungsschlacht um Harmagedon, in der Satan ein letztes Mal gegen Gott aufbegehrt. Dieser Kampf hat schon eingesetzt, und Seuchen. Naturkatastrophen werden als Be­gleiterscheinungen dieses kosmischen Kampfes gedeutet. Seit dem Jahre 1914, in dem Christus seine Herrschaft auf dem himmlischen Thron angetreten hat, sammelt er das Heer der Treuen für die Entscheidungs­schlacht. aus der nur die wahren Zeugen Jehovas als Überlebende hervorgehen werden. Nach dieserLehre würden dann 144000Auserwählteals ·Kirche· in den Himmel entrückt, um nach der Schlacht über die Welt zu regieren. Den übrigen fällt die Aufgabe zu. unter besseren Bedingungen die Erde während derTausendjährigen Herrschaft in ein Paradies zu verwandeln. Schon hier fällt auf. daß lediglich die Begrifflichkeilen noch an einen biblischen Hintergrund erinnern- dessen zentrale Aussagen aber nicht erfaßt werden. Die willkürliche Auswahl von biblischen Aussagen über die Wiederkunft Christi dient zur Untermauerung der Glaubensüberzeugungen, die die Wachtturm­Gesellschaft in ihren Veröffentlichungen vorgibt. Die Endzeitspekulation wird durch waghalsige Zahlenkombinationen und Berechnungen auf die Spitze getrieben. Letztlich gibt sich hier eine sich nicht aus biblischen Quellen speisende, sondern das Evangelium verfälschende Endzeitvorstellung zu erkennen, die dazu dient. die "Zeugen·· bei der Stange zu halten. Es ist die Angst, nicht zu den dermaleinst Geretteten zu gehören, die die Mitglie­der offensichtlich zu aktivem "Zeugendiensta veranlaßt

b) "Urchristen11 in der Zeitenwende- Das "Universelle Leben11 (UL) Die Würzburger Neuoffenbarungssekte um die ehemalige Kontoristin und Haus­frau Gabriele Wittek stützt sich nur teilweise auf die Bibel, ja sie gilt insgesamt als unzuverlässig und verfälscht. Den Vorzug genießen die angeblichen Neuoffen­barungen Jesu Christi, die die ·Lehrprophetin der Jetztzeit• alias Gabriele Wittek seit 1975 empfangen soll. Der fundamentale Glaubenssatz dieser Gruppierung lautet, daß Chi;stus noch einmal sich zu Wort melde, um die Irrtümer. die sich durch das Versagen der Kir­chen in die Bibel eingeschlichen hätten, zu korrigieren und auszumerzen, um schließlich die wahre Christengemeinschaft zu verwirklichen. Die Durchsicht der UL-eigenen Zeitschrift "Der Christusstaat" macht deutlich, daß es sich hierbei um eine endzeitlich ausgerichtete Gemeinschaft handelt. Sie erweist sich hinsichtlich ihrer Lehren als eine außerchristliche Gruppierung, die Vorstellungen aus unterschiedlichen religiösen Systemen aufgenommen hat (z. B. ••Karma-Gesetz .. , ·Reinkarnation", d. h. die Vorstellung von wiederholten Erdenleben). Man selbst sieht sich im Anbruch der großen Zeitenwende. Kosmische Erschütte­rungen stünden bevor. Planeten würden aus der Umlaufbahn geworfen: ·Ein neu es Menschentum entsteht. ... Die Sinneswelt vergeht- die geistige Welt steigt emporund mit ihralljene, die aufMich, Christus, ausgerichtet sind .... Viele Welt­bezogene werden auf den Acker des Todes schauen und am Ende mit leeren Hän­den in das Reich des Todes eingehen, in welchem sie als Tote leben.•4 Auffälligist die Distanzierung von dieser Welt, die dem Untergang geweiht sei. Lediglich die ,.Offenbarungen" durch Gabriete Wittek dienten dazu, Rettungsinseln für diese

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Welt bereitzustellen. da die Menschheit sich jetzt in der gleichen Situation befände wie zu den ·Zeiten Noahs oder des Untergangs von Pompeji«.5

Die Herausstellung des Endsieges nach dem ·Endkampf• gegen die dämoni­schen Mächte der Finsternis, die sich in den Institutionen - Kirche, Politiker, Journalisten - verkörperten, dient dazu, die Anhänger gegen ihre Kritiker immun zu machen. Tatsächlich liegt beim UL eine straffe Organisation vor, die totalitäre Züge trägt: ·Das hierarchisch durch geschickte Manager geführte UL-Werk bietet seinen Anhängern weder das von der ,Lehrprophetin' zugesprochene ,Urchristentum·. noch die behauptete .Urdemokratie', sondern ein System der Entmündigung .• 6

So lautet dasUrteil einer jüngst erschienenen kritischen Auseinandersetzung mit dem .. universellen Leben •.

c) Daraus ist zufolgem: Das Beispiel beider endzeitlich ausgerichteten Sekten zeigt, daß hier die apoka­lyptischen Visionen bzw. Endzeitberechnungen unterschiedliche Auswirkungen haben können. In beiden Fällen dienen sie dazu. Anhänger zu mobilisieren. die eigene Gruppen­identität nach außen hin zu verteidigen. Kritiker bzw. Gegner gelten demzufolge als widergöttliche Mächte, die die wahrhaft Glaubenden vom rechten Weg abbringen möchten. Der Glaube, einer endzeitliehen Elite anzugehören, fordert von den Sekten­anhängern seinen Preis. An die Stelle der Freiheit, zu der uns Christus befreit (Gal 5, 1), treten nicht selten Abhängigkeit, Isolation und Manipulation sowie die fast schon hysterische Angst, vom rechten Weg abgleiten und dämonischen Mächten anheimfallen zu können.

Apokalyptische Aussagen in der Bibel Unter ··Apokalyptik·· (griechisch napokalypteincc =aufdecken, enthüllen) versteht man 7 die geistige Strömung im spätisraelitisch-urchristlichen Raum, die der ·Apokalypse• zugrunde lagen. Die Bibel enthält apokalyptisch geprägte Bücher (·Daniel• im Alten Testament und ·Offenbarung• im Neuen Testament). Dazu kommen einzelne Textabschnitte mit apokalyptischen Prägungen (Jes 24-27; Sach 14 sowie Mt 24 f; 1 Kor 15; 2 Thess 2). Das Wiederaufleben des prophetischen Geistes führte zu der Erwartung, daß Gottes eigentliche Offenbarung an die Menschen noch zukünftig bevorsteht. Bewußt werden von den apokalyptischen Schriftstellern (vgl. Daniel, Offen­barung des Johannes) historische Überlieferungen aufgegriffen. Sie entwickeln eine dramatische Geschichtsschau, die ein unaujhaltsames Gefälle der gegen­wärtig herrschenden ungerechten Verhältnisse auf Weltuntergang und Jüng­stes Gericht hin nachweisen will. Die darin entfalteten Unheilsgeschichten, die lediglich Teilaspekte der ·Apoka­lyptik" umfassen. haben wohl zu einem eher negativen, angstbesetzten Ver­ständnis von Apokalyptik geführt. Apokalyptik wird dann oft zu einem Ersatz­begriff für eine pessimistisch gestimmte Zukunftsschau. Demgegenüber ist es das erklärte Ziel der Apokalyptik, nicht den Untergang, sondern den Anbruch des Reiches Gottes den bedrängten Glaubenden vor Augen zuführen. Anhand eines Geschichtsüberblicks wird ihnen die Gewißheit vermittelt. daß Gott unter ihnen wohnen wird (Off 21, 3).

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nApokalyptik als Seelsorge an Geängstigtencc - Zum Umgang mit apokalyptischen Bibeltexten -Positiv verstandene Apokalyptik wird demnach zurTrostliteratur, zur "Seelsorge an Geängstigten,, (U.H.J. Körtner). Fürden Umgangmitapokalyptischen Texten eröffnet sich auf diesem Hintergrund folgende Perspektive: - Aus biblischer Sicht wird allen Endzeitberechnungen eine Absage erteilt. Zu­gleich aber erklingt die Aufforderung zur Wachsamkeit und damit zur Verant­wortung für diese Welt. in der wir leben. - Die Grundaussage christlich verantworteter Apokalyptik muß lauten: Das Ende ist ein neuer Anfang, den Gott selber setzt. Dementsprechend dürfen die apokalyptischen Elemente der Bibel nichtals ·End­zeitfahrplan« mißverstanden werden (vgl. z. 8. Apg 1. 7). Sie können nicht unmit­telbar auf gegenwa.rtlge historische Ereignisse übertragen oder gar von der Mitte der christlichen Botschaft abgetrennt werden. Denn dort wird Gott eben als der­jenige deutlich, ·der da ist und der da war und der da kommt• (Off 1. 8). Unser Leben liegttrotzaller möglichen Geschehnisse in der Hand Jesu Christi, an den wir als den Gekommenenglauben und den wir als Kommenden erwarten. Er ist es, der von sich sagt: ·Ich bin das A und das 0, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende· (Off 22, 13).

Literaturhinweise

1 Gerhard Marcel Martin, Weltuntergang. Gefahr und Sinn apokalyptischer Visionen, Stuttgart 1984. (Der Autor untersucht die Entstehung und Funktion von Weltuntergangsvisionen in Mythen, in Psychosen und vor allem in biblischen Schriften.)

2 Otto Bischojberger u. a., Apokalyptische Ängste- Christliche Hoffnung, Weltanschau­ungen im Gespräch 9, Freiburg (Schweiz) I Zürich 1991.

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Mögliche Gesprächsimpulse • Welche Stichwörter, Umschreibungen fallen Ihnen zu dem Stichwort

•apokalyptisch« ein? • Welche Zukunftsängste quälen unsere Mitmenschen in ihrem ganz per­

sönlichen Leben (Krankheit, Beruf, Tod)? e Welche Erfahrungen haben Sie mit apokalyptischen Predigern gemacht?

Worin sahen Sie die Schwierigkeiten für ein Gespräch? e Suchen Sie nach tröstlichen •apokalyptischen .. Texten in Ihrer Bibel (z. B.

Offenbarung des Johannes, 1 Kor 15) oder im Gesangbuch. - Vielleicht haben Sie miteinander Mut, diese ·künstlerisch• umzusetzen (Malen, Gestalten)?

Matthias Pöhlmann

Anmerkungen:

1 K. Hutten - Seher. Grübler, Enthusiasten. Das Buch der traditionellen Sekten und Sonderbewegungen. 12. Auflage, Stuttgart 1982, S. 19.

2 K. Eggenstein - Der Prophet Jakob Lorber verkündet bevorstehende Katastrophen und das wahre Christentum, München 1993.- Vgl. hierzu meine kritische Auseinander­setzung: Lorber-Bewegung - durch Jenseitswissen zum Heil? Reihe ·Apologetische Themen• 4, Konstanz 1994.

3 0. Eggenherger- Die Kirchen, Sondergruppen und religiösen Vereinigungen, Zürich 6 1994, s. 136 ff.

4 Universelles Leben (Hg.), Die großen kosmischen Lehren des Jesus von Nazareth an Seine Apostel und Jünger, die es fassen konnten, 2. Auflage. Würzburg 1992, S. 20 f.

5 Universelles Leben (Hg.), Das ist Mein Wort, 2. Auflage, Würzburg 1993, S. 681. 6 W. Behnk- Abschied vom ·Urchristentum•? Gabriete Witteks ·Universelles Leben• zwi­

schen Verfolgungswahn und Institutionalisierung, München 1994, S. 6. 7 Vgl. im folgenden K. Koch - Art. Apokalyptik, in: Reclams Bibellexikon , hg. von

K. Koch, E. Otto, J. Roloffund Hans Schmoldt, 4. Auflage, Stuttgart 1987. S. 38-41.

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Problemfeld ? Kritik an der Kirche

Wann haben Sie zum letzten Mal etwas Gutes über Ihre Kirche gelesen? In den letzten vierzehn Tagen? Dann lesen Sie offenbar nur Ihre Kirchen­zeitung. Oder liegt die etwa auch im 11Trend der Zeit?11 Kritik an der Kirche ist Mode. Aber diese modische Kritik hilft nicht un­bedingt weiter- weder der Kirche noch den Kritikern. Was wir brauchen, ist eine Kritik, die aus dem Glauben kommt- auch aus dem Glauben an die Kirche. So zumindest hat Jeremia die Glaubenspraxis seiner Zeit kritisiert.

Kritik an der Kirche ist ,. in cc

Jeder Rundfunk- oder Fernsehmoderator, der etwas auf sich hält, macht keinen Hehl daraus: ·Es ist etwas faul in der Kirche.• Im ·Spiegel· gehört es zur Linie des Hauses, wenn schon über die Kirche, dann wenigstens etwasNegatives zu schrei­ben. Kritik an der Kirche gilt als progressiv. Der aufgeklärte Mensch glaubt an keinen Gott, also hat er auch mit dessen Fußvolk nichts am Hut. Aber auch unter erweckliehen und evangelikalenChristenist man sich einig: ·Es geht bergab mit der Kirche. Die Pfarrer sind, ungläubig' und die Kirchgänger sind , Namenschristen ·. Die Kirche ist eine verweltlichte Institution, ein todkranker Patient, der am Tropf der Kirchensteuer hängt.,, Der einschlägige Pressedienst sucht und liefert Material, das dieses Bild bestätigt.

Was kritisiert wird Die Kritik der Distanzierten läßt sich etwa folgendermaßen zusammenfassen: • Die Kirche ist von gestern. Ihre Kultur ist nicht mehr unsere Kultur. Ihr Glaube

und ihre Moral sind überholt. • Die Kirche ist autoritär und undemokratisch. Sie beschneidet die persönliche

Freiheit und beengt die persönliche Entfaltung. • Die Kirche hat zu viel Geld und das verschwendet sie auch noch oder kauft

damit ·Waffen für Rebellen in Südamerika•. • Die Kirche ist in ihre Macht und ihre Privilegien verliebt. Deshalb schließt sie

zu viele Kompromisse mit den Reichen und Einflußreichen. • Die Kirche ist zu politisch und zu weit links. • Die Kirche ist zu unpolitisch und zu weit rechts.

Die Christen in der Kirche erheben daneben noch andere Einwände: • Die Kirche ist keine Bewegung mehr, sondern eine Institution, in der kein

lebendiger Glaube, sondern tote Überlieferung gepflegt wird. Menschen wer­den darin oft übersehen.

e Die Kirche unterscheidet nicht zwischen Glauben und Unglauben. Sie ist darum nicht •missionarisch•- will Menschen nichtzum Glauben führen, son­dern begnügt sich damit, Mitgliedschaft zu pflegen.

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e Die Kirche ist nicht eindeutig. Anstatt sich von falschen Auffassungen ab­zugrenzen, läßt sie unter dem Deckmantel des Pluralismus alles zu.

• Die Gemeinden sind nicht eindeutig. Man spürt in ihnen zu wenig von der Kraft Gottes.

• Zwischen der verkündigten Botschaft und dem Leben der krichlichen Mit­arbeiter besteht eine große Differenz. Wort und Tat passen nicht zusammen. Zu viele Menschen ohne •geistliche Perspektive• haben zu viel Einfluß.

Kaum einer der Kritiker hinterfragt die Motive für seine Kritik und diese Motive sind z. T. sehr menschlich:

• Manche spüren einen Anspruch aus der Botschaft der Kirche und wehren sich dagegen. Indem man Kritik gegen die Kirche vorbringt, versucht man, sich gegen die Ansprüche des Evangeliums zu schützen.

• Manche haben eine alte Rechnung zu begleichen. sie wurden verletzt oder wollten etwas erreichen, was nicht gelang (z. B. Wiedertrauung Geschiedener) -und machen nun durch ihre Kritik immer neu ihrem Ärger Luft.

• Manche haben sich aus der Kirchengemeinde zurückgezogen und sich einer anderen Gemeinde oder Gemeinschaft angeschlossen. Neue Gemeindebil­dungen außerhalb der Landeskirche und der Wechsel in diese Gemeinden können um so besser begründet werden, je dunkler das Bild der Kirche gemalt wird.

• Viele sehnen sich nach einerneuen Erweckung. Sie leiden unter der Differenz zwischen dem Bild einer idealen Gemeinde in ihrer Seele und der Wirklichkeit der Kirche in einer zunehmend säkularen Gesellschaft. Es ist leichter zu ver­stehen, warum eine • breite Erweckung• trotzaller Gebete ausbleibt, wenn man jemandem die Schuld dafür zuweisen kann: Es sei die Kirche, die einen solchen Glaubensaufbruch verhindere. Sie müsse sich abgrenzen von dieser Gesellschaft und deren geistigen Strömungen. Gleichzeitig erlebt man die Bedeutungslosigkeit von Kleinkirchen, die sich in ihre fromme Nische zurückgezogen haben. Von der Kirche verlangt man bei­des: die missionarischen Möglichkeiten einer Volkskirche, die in die Gesell­schaft integriert ist, und die Eindeutigkeit einer kleinen Gruppe, die sich von der Welt zurückgezogen hat.

e Wir leben in einer individualistischen und konsumorientierten Zeit. Wir sind gewohnt auszuwählen, was uns schmeckt. Man spricht von der .. Patchwork­Religiosität .. unserer Gesellschaft. Die Menschen .. nähen. Gedanken aus ver­schiedenen Religionen, die ihnen gefallen, zu einem religiösen Fleckentep­pich zusammen. Man stellt sich seine eigene Religion zusammen.

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Dieses individualistische Auswählen gibt es auch in der Kirche. Jeder undjede will eine Kirche nach den eigenen Vorstellungen. Was ist, wird am eigenen Maßstab bzw. am eigenen Bibelverständnis gemessen und ausgewählt. Dann heißt es:

·Die Kirche ist mir zu konservativ oder zu liberal. Sie mischt sich zu viel in die Politik oder sie kümmert sich zuwenig um die sozialen Nöte. Der Gottesdienst ist mir zu modern oder zu altmodisch.•

Alle Kritik geschieht je nach dem persönlichen Geschmack oderGlaubensver­ständnis. Und dann kommt der individualistische Schluß: ·Das ist nicht mehr meine Kirche!• Keine Kirche kann die Verschiedenartigkeiten dieser Erwar­tungen abdecken. Als Lösung kommt dann nur noch eine Fülle von Klein-

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kirchen in Frage, die jeweils eine bestimmte religiöse Geschmacksrichtung befriedigen.

Dies alles ist z. T. vermischt mit einer echten Sorge um die Zukunft des Glaubens und der Kirche. Bestimmt ist vielen das Evangelium viel wert und sie möchten deshalb, daß so viel wie möglich vom Reich Gottes auf dieser Erde sichtbar wird.

Die Kirche braucht Kritik Solange die Kirche öffentlich kritisiert wird, hat sie eine Bedeutung für die Gesell­schaft. Was nicht in irgendeiner Weise betrifft. wird auch nicht kritisiert. Aber Kirche tut sich oft schwer, mit Kritik umzugehen. Auch wer seine Kirche liebt, braucht sie weder zu verherrlichen noch zu verurtei­len. Wo sich die Kirche nicht mehr evangeliumsgemäß verhält, wo sie heuchle­risch und nicht mehr echt ist, wo sie an der Situation der Menschen vorbeilebt, da muß Kritik sein. Jesus war der größte Kritiker der Frommen. Man denke nur daran. wie er Petrus kritisiert hat, als der ihn vom Weg zum Kreuz abhalten wollte (Mt 16, 21-23)­oder wie Jesus den etablierten Frommen den Spiegel vorhält (Mt 23, 1-36). Die Paulusbrieje sind voll von Kritik an den ersten Gemeinden (vgl. 1 Kor 3-6; 2 Kor 10-13 usw.). Aber zugleich dankt Paulus für diese Gemeinden, die bei nähe­rem Zusehen keineswegs ideal waren. Wenn man die Apostelgeschichte liest, mag einem die Urgemeinde auf den ersten Blick wie eine ideale Kirche erschei­nen. Sieht man aber genauer hin, so entdeckt man auch in ihr schon Schwächen und Spannungen. Man denke nur daran, wie Petrus und Paulus wegen Speise­vorschriften heftig aneinander gerieten (Gal 2, 11-21). Es gab wohl keine Zeit ohne Kritik an der Kirche. Das Mönchtum lebte und lebt Kritik gegen eine verweltlichte Kirche und Luthers Reformation war eine einzige kirchenkritische Bewegung. Seine Kritik zielte auf eine innere Erneuerung der Kirche. Luther litt sehr darunter, daß es zu einer Kirchenspaltung gekommen war. Der Satz nekklesia semper rejormanda" ging als grundlegende Forderung in das evangelische Kirchenverständnis ein: ·Die Kirche ist stets zu reformieren•­wir könnten auch sagen: zu kritisieren und zu verändern. Jeremia war einer der schärfsten nKirchenkritiker~~. die je aufgetreten sind. Aber er trat dem Gottesvolk nie als einer gegenüber, der besser ist als die anderen. Er fühlte sich vielmehr hineingestellt in das Volk, das er zu kritisieren hatte. Es sieht so aus, als ob er am meisten gelitten hätte unter seinen Gerichtsankündigungen.

Geistliche Grundlagen einer Kritik an der Kirche Wer an der Kirche Kritik übt, sollte sich zuerst darüber klar werden, welche Wunschvorstellungen er von Kirche hat. Sonst kann es leicht passieren, daß er seine Wünsche in die Bibel hineinliest, statt die Vielfalt der biblischen Formen von Gemeinde wahrzunehmen. Die Kirche darf nicht an den eigenen Wunschvorstellungen gemessen werden. So hielt der Präses des Gnadauer Verbandes, Chr. Morgner, den Mitgliedern vor (aus dem Gedächtnis zitiert): •Wir beurteilen uns selbst, wie wir gerne sein möchten. Die andern aber- die Volkskirchen - beurteilen wir, wie sie sind.• Die Kirche ist nicht.meine Kirche•, sondern die ·KircheJesu Christi•. Damitistsie zugleich die Kirche der Sünder, weil Jesus die Sünder zu sich riefund weiljedes ihrer Glieder Sünder und Gerechter zugleich ist. Als Christ muß man diese Span­nung aushalten. Wer die ideale Gemeinde sucht, übersieht, daß Christus das Got-

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tesreich erst aufrichten wird, wenn er wiederkommt. So antwortete Spurgeon einem Mann, der sagte, er suche eine ideale Gemeinde: •Wenn Sie eine finden würden, wäre sie nicht mehr ideal, sobald Sie eintreten. • Die Kirche selbst daifnicht der Versuchung erliegen, sich an die Stelle des Rei­ches Gottes zu setzen. -Aber sie dmj auch von ihren Kritikern nicht am Reich Gottes gemessen werden. Auch der Unglaube gehört von Anfang an dazu: Da betet zwar die Urgemeinde für die Befreiung des Petrus, aber als das Gebet erhört wird, denken sie, sie sehen seinen Geist (Apg 12). Die Kirche, die nicht von der Welt ist, aber in ihr lebt, muß sich in weltliche Mittel einlassen. So erweist sich die Kritik an der )>Institution Kirche• in vielen Fällen als idealistisch, d. h. sie träumt von unrealistischen Idealen. Jede Gruppe, die ver­einbart, sich ein zweites Mal zu einer bestimmten Zeit zu treffen, fängt an, sich zu institutionalisieren. Jede Gemeindeneugründung muß sofort Verantwortlich­ketten und Zuständigkeiten klären und braucht natürlich auch eine Kasse. Und schon hat sie einen institutionellen Rahmen. Dieser institutionelle Rahmen steht immer in der Gefahr, sich zu verselbständigen. Wichtiger als die Frage, ob die Kirche eine Institution ist, ob sie Macht oder Geld haben darf, ist die, wie sie damit umgeht.

Ein "Knigge cc für Kritiker und Kritisierte

Kritik akzeptieren! Leider kostet es in vielen Gemeinden großen Mut, seine Kritik vorzubringen. Schlimm, wenn Pfarrer(innen) alles besser wissen. Dabei hatLuther den Gemein­degliedern aufgetragen, die Predigt zu beurteilen (•beurteilen• heißt auf grie­chisch: ·kritisieren•). Wir brauchen keine braven, angepaßten Christen. Deshalb ist es Aufgabe der Kritisierten, genau wahrzunehmen und hinzuhören, was kriti­siert wird.

Mehr miteinander, weniger übereinander reden! Die Kritik dem sagen, der kritisiert werden soll. Wer das nicht fertig bringt, sollte besser den Mund halten. Im Gespräch kann sich schon viel verändern: Man kann nachfragen- erklären- Mißverständnisse ausräumen. Nicht hinausposaunen, was anständigerweise erst im Innern geklärt werden sollte! Wir tun uns einen Bärendienst, wenn wir unsere Kirche schlechter machen als sie ist.

Nicht aus den Augen verlieren, was ilber alle Kritik hinaus verbindet! Oft geht es ja gar nicht um die Grundfesten des Glaubens, sondern um Fragen, über die man unter Christen sehr wohl unterschiedlicher Meinung sein kann. Dann muß man unterschiedliche Auffassungen nebeneinander stehen lassen können und einander trotzdem als Christen akzeptieren. Ein anderes Mal muß darüber gestritten werden, was dem Evangelium entspricht oder wie die Kirche den aktuellen Herausforderungen gerecht bzw. gerechter werden kann.

Erweist sich Kritik als berechtigt, ist es hilfreich, konkrete, durchführbare, meist kleine Schritte zu vereinbaren! Es hilft nichts, utopische Forderungen zu formulieren, die andere verwirklichen sollen. JedeForderung-DieKirche muß ... «fragtzunächstimmerauch: »Und was mach ich ... ?•

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Nach einiger Zeit den Konflikt nochmals betrachten: Sehen wir die Dinge aus einem zeitlichen Abstand heraus vielleicht doch anders? Was hat der Streit gebracht?

Der Blick über die Kritik hinaus Gewiß ist die Kirche in den vergangenen 2000 Jahren von einem Fehler zum andern und von einer dunklen Stunde zur andern getappt. Dabei tut sich die Kirche selbst immer schwer, Kritik anzunehmen oder gar Schuld einzugestehen. Dennoch bindet sich Gott auch heute an sie. Es scheint manchmal so, als ob Gott viel mehr an uns glaubt als wir an ihn. Ich traue es Gott zu, daß er durch diese Organisation ·Kirche· noch so manche Überraschung vorhat. Darum möchte ich mit Oetinger beten:

Gott gebe mir Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann -, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann -, und auch die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden.

ANREGUNGEN ZUM GESPRÄCH e Wo haben Sie Kritik an der Kiche miterlebt? Was war in Form und Inhalt

angemessen? Wogegen hatten Sie Einwände? Wie wurde die Kritik auf­genommen?

• Welche Motive für Kritik an der Kirche sind Ihnen auch schon begegnet? • Wie kritisiert Jeremia die Gläubigen und die Glaubenspraxis seiner Zeit?

Überprüfen Sie den kurzen Absatz über Jeremia an Textbeispielen. • Wir haben versucht, einen Knigge für Kritiker und Kritisierte aufzustellen.

Halten Sie diese Spielregeln für sinnvoll? Fallen Ihnen weitere Spielregeln ein?

• Überlegen Sie auf Grund Ihrer eigenen Erfahrungen: Was macht es Ihnen schwer, was macht es Ihnen leicht, Kritik zu äußern und Kritik anzu­nehmen?

Jürgen Körnlein/Wolfgang Raupp

Literaturhinweis:

Evangelischer Erwachsenenkatechismus. Seite 925-943.

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