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Edition Künstlerhaus

In der Zugluft Europa

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In der Zugluft Europa von Olga Martynova, Gedichte, Edition Künstlerhaus, Verlag Das Wunderhron, 2009.

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Edition Künstlerhaus

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Edition Künstlerhaus, herausgegeben von Michael Buselmeier.Band 29

Die Edition Künstlerhaus ist eine literarische Reihe des Künstlerhauses Edenkoben, einer Einrichtung der „Stiftung Rheinland–Pfalz für Kultur“; verantwortlich: Ingo Wilhelm.

© 2009 Verlag Das WunderhornRohrbacher Straße 1869115 Heidelbergwww.wunderhorn.deAlle Rechte vorbehaltenErste AuflageSatz: Cyan, HeidelbergDruck: Fuldaer Verlagsanstalt, FuldaISBN: 978-3-88423-327-6

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Olga MartynOva

In der Zugluft Europasgedichte

aus dem russischen übertragen von gerhardt Czejka, Elke Erb, Sylvia geist, Sabine Küchler , gregor laschen, Olga Martynova, Hans thill und Ernest Wichner

Wunderhorn

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In der Zugluft Europas

So seltsam, in der Zugluft Europas zu stehn.Die Spalten in diesem Raum dichtet niemand zu.Der vierblättrige Wind, der Klee rolltNach dort, nach hier den Tau auf die unnötigen Träume.

Spröde ist jetzt das Ried – Windrose der Mitte.

Diese Karte hat mit den Schultern gezuckt(Als sei kein Grund zur Sorge),Der Flickenumhang ist Naht um Naht geplatzt -Und keiner merkt das Nackte(Als sei Europa, auf den TodHinabgeglitten in den Garten, das verlorne Paradies,Wo ja zertreten sind die Lichtungen,Und ausgetrocknet alle Blumen,Wo nur noch Wind, der Sand, der fliegt,Und alte Ofenbänke und ihr Knarren ...)

... In der Zugluft Europas stehend Hat unsere Erzählung keine Stimme ...

(Gregor Laschen)

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Abendländischer Morgen Schokoladenbraune Frauen (die länglichen Brüste, die Beine kräftig,animalische Augen, verächtlich gewölbt der Mund),das giftige Grün, die Sonne, das Obst.Die Farben einfach, der Pinselstrich grob,du erinnerst dich an diese Gärten?Das ist lange her, Gauguin und Magoguin.Hinter den Palmen verborgen die schrecklichen Götter.Europa ist am Ende. Auf Zehenspitzen, am Meeresstrandwartet sie auf den Stier.Im Hafen, neben einer Fischersfrau und einer Hur,schaut sie beleidigt die Wellen an: Stier! Es war doch nurSpaß ... Nach Hause, zurück,wo das Leben war – und war gut,und die Haut sanft, wie Sahne,heim ... Hier bleiben die Steine,und daheim, im Paradies,werden die Hausgötter vom Silberpapieressen dein Schokoladenblut.

Wars, weil der Stier nicht kam aus dem Meer, oder wolltest du nicht zurück?Die Steine sind kaltgeworden, die Sonne sank unter den Saumdeines verwaschenen Rocks. Seine Flecken stören nicht mehr.Schließe die Augen, stirb – flüstern die alten Götter.

(Elke Erb und Olga Martynova)

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Emily Dickinsons Briefe (Die Biene und der Imker)

Are you too deeply occupied to say if my Verse is alive? E. D.

1Die Biene, da sie ihren Kreis gezogen,verließ die Runde und bog ab vom Bogen(der Wiese, an der aufgeschlagenen Seite).

2Die Biene fliegt ins Wiesenjenseits, leiblos,und der Wiese bleibt eine pelzige Hülse, und Emily steht dort, zu sehn begierigdurch das Loch nach der der Welt entflogenen Kugeldas Bienenkorbjenseits jenseits des Korbs, die Jenseits-Wiese der Wiese.

Eine Biene hat sich im Licht verirrtund summt, damit ihre Stimme nicht stirbt.

3Fügsam geleitete sie hin in die Welt-hinter-der-Weltdie Bienen, Kleeblüten, Vögel, Freunde, die Anverwandtenund wen sie sonst noch liebte ( ja, wen denn sonst noch?) – und schauteihnen nach.Das Gegenlichtdas – augenblicklich und eifersüchtig –den Garten ankohlte, gab keine Antwort –leb wohl, leb wohl du, Herbarium aus dem Sommer.

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4.(Wo die samtenen Fellchen nicht mehr sind,summt die Biene in Strahlengeweben,so hat es der Bienenapollo bestimmt, damit der Bienenchor überlebe.)

5Er, der im dunklen Jenseits der Wieseleuchtete aus dem Imkerhutnetzund der blätterte in dem Herbarium Lichtund las die Bienenschriftund der Antwort Gras glattstrich,reimte «bee» zu «Emily»und fuhr heiter als Böin das sonnige Hiatus-Luftloch „i“-„e“.

6.Ich habe gelesen jetztdein Herbarium von Bienenbriefen:auf einer pelzigen gelb-und-schwarzen Leiterkamst in das Licht du –und sagtest:

«Aber – im Dunkeln unter den Fellchen-Streifenleben sie, meine Gedichte?»

7Und er, der im dunklen wiesenen Jenseitsin dem Herbarium blätterte, nickte mit seinem vom Netz umhängten Haupt.

(Elke Erb und Olga Martynova)

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Schau auf die müde Zärtlichkeit in der Natur,und du siehst einen schnurrbärtigen Spuk –

Da rasselt gereizt und dumpfder Vogelbeerbaum mit seinen Körnerherzen in

vielfingriger Hand,

da vollführt ein großer Fisch ein Gekräusel als Zeile,die zu lesen ebenso wenig angebracht ist wie den

Kuckucksruf zählen.

In allem herrscht eine Wortlosigkeit, die ködert ein müßiges Ohr,

ihre scharfe Zunge, die zweischneidige, führt schnöde Täuschung vor,

ihre Seele – ein seelenloser Abdruck, ein Loch aus Luft.

So dachte ich, als ich meine Flüsse und Berge, Haine und Lichtungen abschritt,

und das feuchte bunte Leuchten zerfaserte die papierene Luft.

Also, sage uns wahr aus dem Lanzensatz in deinen Wolken,baten die Bäche und Hügel und Wiesen und Dickichte, bat

entflammt die Luft aus Papier.

(Elke Erb und Olga Martynova)

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Vor dem Bach schäme ich mich,der nicht Hunger kennt noch Angst.Ich schäme mich, daß tief im Innern,ein Klümpchen Schleim in einem weichen Moor,das Leben anschwillt. Und empfinde

Scham, weil Mäuse in der Vorratskammer nagen, das Kindermädchen ein Licht anzündet: es ist Zeit, steh auf, daß seine Hände runzlig sind und feucht, und daß es Schwielen an den Fingern hat.

Mal ists ein düsteres Loch in einer dreckstarren Nacht, mal ein Klümpchen, das zittert wie elektrisiert.

Besser, man wird ein Sessel, ein Teppich, eine Blume, ein Glas, ein Glaskolben, ein Häufchen Sand. Auch schäme ich mich, daß der Fluß dahinfließt, die Libelle fliegt und daß die Schatten lang sind, verursacht Pein, sauer ist das Leben wie der Wein.

Besser, man wird ein Buch und die geliebte Hand blättert die vergilbten Seiten um, dunkel ists darin und auf den Dingen liegt der Staub. Besser, man wird ein Kolben, ist wie die Wespe zweigeteilt, damit der Sand abfließe an verglasten Wunden.

(Ernest Wichner)

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Ein feierliches Tier, aus Tiaren zusammengesetzt. Elias Canetti

Ein Tier aus kleinen Noten,geschmiegt an ein Tier aus Leeren und Längen.

Ein Tier aus Kreisen und Haken,verschlafenes Wasser leckend.

Ein Tier aus Mondwolken,Ski springend.

Ein Zwinger ist der Brustkorb,die Kollektion klein-klein zusammengesammelt, -gehascht:Irgendwelche winzigen Pferdeschnauben in die Ohren großer Füchse.

Dort gibt es ein Tier, das im nächtlichen Garten lebt,dort gibt es ein Tier, lebt im schwarzen Teich,dort gibt es ein Tier, das im Eis lebt,und ein Kakadu hat alle Sprachen vergessen.

(Elke Erb und Olga Martynova)

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Puschkins Mönche probieren den Wein im Kloster Heilsbruck

War Einer, der sagte es zuerst: »Nun, für den Tod ist das Ebenbild der Winzer, der die Rebe schneidet –schröpft – das Blut fließt ins unterirdische Geäder, in Katakomben, wo die Fässer-Tromben liegen und der Saft am Messer runterrinnt – « Also: vor dem mit der Sense war der Winzer der Tod. Er schröpfte, ließ Blut ab ins unterirdische Geäder, wo der Saft eindickte in Fässer-Tromben und dort, in den tiefsten Gefäßenbrannten die Kerzen, weinten die Heimchen,sahen die Mönche betrunkenaufs Auferstehen, aber der Auferstandenesah herab von den Wänden, dem Wein zum Vorbild:soll der Wein die Schuld derer tragen,die in sich die Schuld nicht länger ertrugen?

So ein Mönch zum andren, entsetzt: »Stoß mich anwenn am Ende ich einschlaf.Denn Der —ob Schnitter, Mäher, Winzer —sieht sanften Auges immerzu auf uns.Sein Weinberg...Bergwein...die Arche aufm Ararat...Verkündigung und Krippe und Lasterloch...das brennt mir im Bauch.

Und ich hab Angst die Kerze geht aus, die Luft zuende, in diesem täglichen Katzenjammer schwimmt ein Faß durchs unterirdische Gewölbe...

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Mein Gott,da ist – wie in den Kellern Roms unsre Brüder, und der da oben – Durchschuß der Weinstock- zeilen in der Hand, als glitte ein Stift übers Papier, schneidet hier eine Traube ab, dort die Rebe, Ringelranke, da unterstreicht er, streicht durch, malt ein Bärtchen an, neigt mal zu Gänsefüßchen, mal zu Punkten, wir aber trinken,die Wange geschmiegt an den Stachel, ans Schlüsselchen, ans Stoßzähnchen, bis wir dann schlafen.«

»Nein«, sagt der Mönch zum andren, »endgültig schlafen wirst du nicht, wenn du dich dem Wein ergibst. Ich stoß dich an!«

Erster Mönch: »Und entkomme der Verwesung?«

(Gregor Laschen und Olga Martynova)

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Die Hörmuskeln sind angespannt, sich nach dem Ruf umzudrehn.Die Bewegung aus den Knospen nach oben stellt den Strauch dar als Trickfilm.Die Bewegung der Blätter nach unten verleiht der Stadt einen Rhythmus, Duktus.Nach dem Ruf sich drehn und niemanden sehn.

Die Stadt ist die nassen Bürgersteige,das Schweigen des strubbeligen Flusses, die Brückenbögen,das Wunder eines im speienden Novemberwind entflamm-ten Streichholzes.Die nassen Gehsteige sind eher Schweigen als Unterhaltung.

Die Stadt schwimmt zum Meer, hängt die grausigen Ohren hinaus,in die wir dreihundert Jahre lang flüstern, die Stimmbänder zerreißend,die rostigen Blätter schütten dieses Stück Festland zu,ein allseitig von Schreien umzingeltes Flüstern.

(Elke Erb und Olga Martynova)

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Ich erkläre Epikur, was Gen und Hormon bedeuten, ohne das selbst recht zu verstehn (Für Oleg Panfil)

IDen vom Mond geweißten Gartenhabe ich in einen schwarzen Roller verfrachtet.

IISo hell und leer war unzufrieden er:Als Geschöpf verlangte er seine Pflege vom Schöpfer,spreizte sich wie getrocknete Schuhe störrischund wartete, daß ihn wer füllt und füttert,großzieht und erzieht.

Ich tat den Epikur in den Garten.Er war schlaftrunken, doch der Schmerz hielt ihn wach,dazu kam Schüttelfrost und die Unmöglichkeit,die Freudeschauer unter der Hautumzugießen in solche außen.

Die Bienen, Bienen entschlummerten, ich weckte die Füchse.

Die Igel stehen im Mondlicht wie Baumstümpfe,wartend, daß wir weggehn.

IIIIch zog mein Geschenk heraus – da:Eine Flasche Wein, nach Barbarenart unverdünnt.Ich wußte, wenn er seinen Schmerz bis zum Grundausloten wird, begibt er sich in die Badewanne, aber läßt das Blut nicht hinaus, sondern in sich hineinwird er es gießen.Wir haben Wasser getrunken. Der schmale Mond alleinentzifferte, was die russisch lautenden Worte hießen.

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Ich sagte: Gott – das ist ein Gen-und-Hormon.Umschlossen sitzt er, im Kerker, gefangen im Dunkelnunserer Haut.

Ich sagte: Sogar,wenn du in lauter Wunden liegst, und Gott-Katze läßt das

Hormon „Kralle des Frohlockens“springen in dich – das ist wie ein frischer Schluck Dumm-

heit.Da liegst du elend, aber etwas wird lachen.

Und bist du satt und zufrieden und neben dir tafelt dein lieber Freund,

aber da läßt Biene-Gott das Hormon „Stachel der Angst“ springen,

sprichst du, statt ihn zu umarmen, zum Freund: Das Leben, Junge, ist ein einziges Schafott,

denke du an den Tod, denn in der Welt ist kein anderer Gedanke.

Und das Gen, das ist eine Zunge aus Feuerangezündet von Gott-Salamander,ich habe das Traumbilder-Gen,du das Gen Lust und Pein.

IVIm Garten kicherten die Bäume, die Alterchen.Wie Soda drang das erste Lichtin ihren beweglichen behaarten Gesichtern durch.

Es gibt Freude – bitterer als Bitternis,Bitternis – honigsüßer als Honig.Sein Wein ist grün wie das Meer,meiner – wie Blut.