3
AUTOMATION/MESSTECHNIK 68 MedPLAST · Mai 2007 IN KLEINEN SCHRITTEN RISIKOBETRACHTUNG MINIMIERT AUFWAND BEI DER VALIDIERUNG COMPUTERGESTÜTZTER SYSTEME Die Einführung von computergestützten Einzelanlagen, Produktionslinien, Analyseneinrichtungen im Labor oder übergeordneten IT-Systemen (zum Beispiel ERP oder MES) in der Herstellung, Lagerung und Kontrolle medizin- technischer Geräte sind ebenso wie in der Pharmazie GMP-relevant und müssen daher validiert werden. Das heißt, dass die im Leitfaden einer guten Herstellungspraxis (Good Manufacturing Practice, GMP) und deren An- hänge festgelegten Grundsätze einer Validierung eingehalten und umgesetzt werden müssen. Für viele, vor al- lem kleinere Betriebe eine große Hürde, die sich aber in kleinen Schritten überwinden lässt. T ritt ein computergestütztes System an die Stelle eines ebenfalls GMP- relevanten manuellen Vorgangs, dürfen weder die Qualität noch die Si- cherheit der Produkte beeinträchtigt werden. Ebenso dürfen durch eine redu- zierte Beteiligung des Bedienpersonals keine Informationen verloren gehen. Die über die allgemeine Validierungspflicht gemäß AMWHV (Arzneimittel und Wirkstoff-Herstellungsverordnung), GMP-Leitfaden und dessen Anhang 11 hinausgehenden, sehr konkreten Anfor- derungen des CFR 21 Part 11 (Vorgaben zum Umgang bei Systemen mit elektro- nischen Aufzeichnungen und elektro- nischen Unterschriften), standen in den letzten Jahren immer mehr im Mittel- punkt vieler Diskussionen. Doch die all- gemeinen Anforderungen bei der Vali- dierung von computergestützten Syste- men innerhalb des GMP-Leitfadens, ge- ben nur einen sehr allgemeinen Rahmen für Umfang und Tiefe von Validierungs- aktivitäten. Für verarbeitende Betriebe ist es anhand dieser Vorgaben nicht leicht zu entscheiden, welche Maßnahmen sie treffen müssen. Konkretere Vorschläge zur Vor- gehensweise bei der Qualifizierung der Hardware und Validierung der Software sind in Empfehlungen von Interessen- gemeinschaften und Verbänden enthal- ten. Dazu zählen zum Beispiel GAMP 4 (Good Automated Manufacturing Practi- ce) und „Validation of Process Control Systems“ der Interessengemeinschaft ISPE (International Society of Pharma- ceutical Engineering) sowie der Leitfaden „Good Practice for Computerised GXP- Environments“ des Verbands PIC/S PI011–2 (Pharmaceutical Inspection Co- Operation Scheme). Gesetzliche Anfor- derungen an ein computerisiertes Sys- tem, um eine GMP-gerechte Validierung überhaupt durchführen und zum Ab- schluss bringen zu können, sind in so ge- nannten Predicate Rules, festgeschrie- ben. Hierzu zählt unter anderem auch der CFR 21 Part 11. Validierungsmasterplan als Basis Die Validierung von komplexen, be- reichsübergreifenden ERP-Systemen wie SAP oder Manufacturing Execution (MES) beziehungsweise Dokumenten- Management-Systemen sollte sinnvoller Weise in drei Phasen unterteilt werden. Autor Wolfgang Hähnel, Leiter Vertrieb und Marketing, Gempex/GMP Con- sulting & Execution, Mannheim, [email protected] Kein Grund zum Durchdrehen: Durch ein strukturiertes Vorgehen verliert die Validierung computer- gestützter Systeme in der Medizintechnik ihre Schrecken (Bild: photocase.de)

IN KLEINEN SCHRITTEN - Plastverarbeiter.de€¦ · Forderung von Source-Code-Reviews durch neutrale Personen, ERHÖHTE MARKTCHANCEN Validierung Schritt für Schritt Durch die Vorgehensweise

  • Upload
    others

  • View
    3

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

  • AUTOMATION/MESSTECHNIK

    68 MedPLAST · Mai 2007

    IN KLEINEN SCHRITTEN RISIKOBETRACHTUNG MINIMIERT AUFWAND BEI DER VALIDIERUNG COMPUTERGESTÜTZTER SYSTEME Die Einführung von computergestützten Einzelanlagen, Produktionslinien, Analyseneinrichtungen im Labor oder übergeordneten IT-Systemen (zum Beispiel ERP oder MES) in der Herstellung, Lagerung und Kontrolle medizin-technischer Geräte sind ebenso wie in der Pharmazie GMP-relevant und müssen daher validiert werden. Das heißt, dass die im Leitfaden einer guten Herstellungspraxis (Good Manufacturing Practice, GMP) und deren An-hänge festgelegten Grundsätze einer Validierung eingehalten und umgesetzt werden müssen. Für viele, vor al-lem kleinere Betriebe eine große Hürde, die sich aber in kleinen Schritten überwinden lässt.

    T ritt ein computergestütztes System an die Stelle eines ebenfalls GMP-relevanten manuellen Vorgangs, dürfen weder die Qualität noch die Si-cherheit der Produkte beeinträchtigt werden. Ebenso dürfen durch eine redu-zierte Beteiligung des Bedienpersonals keine Informationen verloren gehen. Die über die allgemeine Validierungspflicht gemäß AMWHV (Arzneimittel und Wirkstoff-Herstellungsverordnung), GMP-Leitfaden und dessen Anhang 11 hinausgehenden, sehr konkreten Anfor-derungen des CFR 21 Part 11 (Vorgaben

    zum Umgang bei Systemen mit elektro-nischen Aufzeichnungen und elektro-nischen Unterschriften), standen in den letzten Jahren immer mehr im Mittel-punkt vieler Diskussionen. Doch die all-gemeinen Anforderungen bei der Vali-dierung von computergestützten Syste-men innerhalb des GMP-Leitfadens, ge-ben nur einen sehr allgemeinen Rahmen für Umfang und Tiefe von Validierungs-aktivitäten. Für verarbeitende Betriebe ist es anhand dieser Vorgaben nicht leicht zu entscheiden, welche Maßnahmen sie treffen müssen.

    Konkretere Vorschläge zur Vor-gehensweise bei der Qualifizierung der Hardware und Validierung der Software sind in Empfehlungen von Interessen-gemeinschaften und Verbänden enthal-ten. Dazu zählen zum Beispiel GAMP 4 (Good Automated Manufacturing Practi-ce) und „Validation of Process Control

    Systems“ der Interessengemeinschaft ISPE (International Society of Pharma-ceutical Engineering) sowie der Leitfaden „Good Practice for Computerised GXP-Environments“ des Verbands PIC/S PI011–2 (Pharmaceutical Inspection Co-Operation Scheme). Gesetzliche Anfor-derungen an ein computerisiertes Sys-tem, um eine GMP-gerechte Validierung überhaupt durchführen und zum Ab-schluss bringen zu können, sind in so ge-nannten Predicate Rules, festgeschrie-ben. Hierzu zählt unter anderem auch der CFR 21 Part 11.

    Validierungsmasterplan als Basis Die Validierung von komplexen, be-reichsübergreifenden ERP-Systemen wie SAP oder Manufacturing Execution (MES) beziehungsweise Dokumenten-Management-Systemen sollte sinnvoller Weise in drei Phasen unterteilt werden.

    Autor Wolfgang Hähnel, Leiter Vertrieb und Marketing, Gempex/GMP Con-sulting & Execution, Mannheim, [email protected]

    Kein Grund zum Durchdrehen: Durch ein strukturiertes Vorgehen verliert die Validierung computer-gestützter Systeme in der Medizintechnik ihre Schrecken (Bild: photocase.de)

  • MedPLAST · Mai 2007 69

    In Phase 1 (Initialisierung) wird die Vorgehensweise und Strategie innerhalb des Projekts im Validierungsplan (VP) festgelegt. Durch die Komplexität und der unterschiedlichen Verantwortlich-keiten von computergestützten Syste-men ist zu empfehlen, einen eigenen Va-lidierungsmasterplan für diese Systeme zu erstellen. In diesem Dokument, kurz VMP genannt, wird den verantwort-lichen Abteilungen, der Geschäftsfüh-rung und den Behörden ein übersicht-liches Up-date aller Validierungsaktivitä-ten aufgezeigt.

    Parallel dazu müssen im Betreiberlas-tenheft, in den so genannten User Requi-rement Specifications (URS), die GMP-kritischen Prozessparameter und andere qualitätsrelevante Anforderungen iden-tifiziert und schriftlich fixiert werden. Im Lastenheft sollten daher sehr kon-sequent, gut strukturiert und mit mög-lichst vielen Details alle Anforderungen an das zu beschaffende System und den Lieferanten beschrieben sein. Unter an-derem gehören dazu folgende Punkte:

    Bezug zu VMP, Gesetzlicher Hintergrund (Predicate Rules), auf die Prozesskette bezogen, Betrachtung vom Ist-Zustand, sofern möglich, Prozessablaufbeschreibung, Prozess-kette Soll-Zustand, Art und Durchführung der Neueinfüh-rung oder des Release-Wechsels, Hardware-Spezifikationen (PCs, Ser-ver, redundante Systeme etc.), Sicherheitskonzept (Firewalls, Viren-Scan etc.), Geschäftsprozesskontinuität (Ausfall, Stillstand etc.), Fall-Back-Szenario (Rückfall auf das al-te Release oder System bei Problemen beschreiben), Archivierungskonzept von GMP-rele-vanten Daten, Forderung von Programmiervorschrif-ten/Richtlinien im Pflichtenheft, Forderung von Source-Code-Reviews durch neutrale Personen,

    ERHÖHTE MARKTCHANCEN Validierung Schritt für Schritt Durch die Vorgehensweise der kleinen Schritte sind auch komplexe Systeme oder größere Ablaufsteuerungen bei der Qualifizierung der Hardware und Validierung der Software keine unüberschaubare Hürde mehr. Durch die Einstufung mittels einer gut strukturierten Risikobetrachtung lässt sich der Aufwand minimieren und überbli-cken.

  • AUTOMATION/MESSTECHNIK

    70 MedPLAST · Mai 2007

    Betrachtung von Fremdsystemen, Lieferantenbewertung und Audit (ist ab Software-Kategorie 4 Pflicht), Liste der Zulieferer des Lieferanten, Wartung, Hotline, Servicevereinbarun-gen, Schulung des Personals. Neben dem Validierungsplan und der

    URS sind während der ersten Phase noch die SOPs (Standard Operating Procedu-res) zu betrachten. Hier sollten alle An-weisungen aufgelistet werden, die für die spätere Bedienung, Instandhaltung und Pflege notwendig sind.

    Von den Behörden gefordert: die Risikobetrachtung Mit das wichtigste Instrument um eine gut strukturierte, und nicht über das Ziel hinausgehende Validierung dieser Syste-me durchzuführen, ist eine von den Be-hörden geforderte Risikobetrachtung. Diese hat zum Ziel, ausgehend von der Gesamtheit aller vorhandenen Prozesse und den daraus resultierenden Funktio-nen, diejenigen zu identifizieren, mit de-nen in den einzelnen Abteilungen GMP-

    relevante Daten angelegt, angezeigt, ge-speichert, gelöscht oder verändert wer-den können. Die GMP-Risikobetrach-tung sollte bei größeren computer-gestützten Systemen, wie ERP in zwei se-parate Abschnitte unterteilt werden.

    Die Risikoklassifizierung dient zum ei-nen der Überprüfung, ob es sich bei dem vorliegenden System um ein so genann-tes Legacy System handelt und zum an-deren der Identifikation der vom Unter-nehmen eingesetzten GMP-relevanten Geschäftsprozesse beziehungsweise der dazugehörigen Fremdsysteme.

    Die Grundlage für die Risikoklassifi-zierung bilden neben den, auf das com-puterisierte System anzuwendenden Pre-dicate Rules, die im Vorfeld der Validie-rung zu erstellenden Prozessablaufpläne, mittels derer die einzelnen Geschäftspro-zesse als eine Sequenz von funktional zu-sammen gehörigen Geschäftsvorfällen beschrieben werden.

    Aus dieser Darstellung resultiert letzt-endlich eine Übersicht aller verwendeten Geschäftsprozesse, welche die Zuord-nung der Transaktionen zu der ge-

    wünschten Funktionalität beschreibt. Im Rahmen der Risikoklassifizierung müs-sen außerdem alle Fremdsysteme identi-fiziert und kategorisiert werden, die eine Schnittstelle zum ERP-System besitzen.

    Alle als GMP-relevant eingestuften Business Module und Geschäftsprozesse werden in einem zweiten Schritt, das heißt in Phase 2, einer detaillierten Risi-koanalyse unterzogen und dafür auf Transaktionsebene auf ihr Risikopotenzi-al bewertet. Dieser Schritt kann aber erst nach der Umsetzung der in den URS be-findlichen GMP-relevanten Anforderun-gen in das Lieferanten-Pflichtenheft er-folgen. Denn erst dann sind die genauen Verzweigungen innerhalb der Module und die Anzahl der Transaktionen be-kannt. Die Risikoanalyse kann unter an-derem auf der FMEA (Fehler-Möglich-keit-und-Einfluss-Analyse)-Methode ba-sieren.

    Die daraus resultierende Eingruppie-rung in eine Risikoklasse bildet die Grundlage für die Festlegung des Testum-fangs, der Testtiefe sowie des Dokumen-tationsaufwands der Validierung. Für je-de einzelne als kritisch bewertete Trans-aktion muss der Nachweis der Validität dokumentiert werden.

    Weiterhin sind innerhalb der Risiko-analyse die Schnittstellen zwischen den Transaktionen und den möglichen Fremdsystemen auf ihre GMP-Relevanz zu untersuchen und zu bewerten. Falls erforderlich, ist die Validität der einzel-nen Schnittstellen durch entsprechende Funktionstests innerhalb der Funktions-qualifizierung (OQ) nachzuweisen und zu dokumentieren.

    In Phase 3 (Umsetzung) werden dann die anwenderspezifischen Programmie-rungen, die Abnahmen beim Hersteller (FAT) und am Aufstellungsort (SAT) so-wie die Validierungsaktivitäten Installati-onsqualifizierung (IQ), Funktionsqualifi-zierung (OQ) und Leistungsqualifizie-rung (PQ) innerhalb des Entwicklungs-, Validier- und Produktivsystems durchge-führt.

    Validierungsstrategie in drei Schritten

    infoDIRECT Ergänzende Dokumente stehen zum Down-load bereit: Schematische Darstellung der GMP-Risikobetrachtung , Formular für die Ri-sikoklassifizierung, Beispiel für eine FMEA-Ri-sikoanalyse. www.plastverarbeiter.de Suche: MedPlast07Gempex