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4. Informationsplanung - Methoden der Informations bedarfsanalyse und Wissensakquisition "Der BewuBtseinsgrad von Verhaltensregeln entspricht ungefahr je- nem, den Freud fiir Fehlleistungen postulierte: 1) Sie konnen voll bewuBt sein, so daB Fragebogen oder einfache Interviews verwend- bar sind; 2) man kann ihrer unbewuBt sein, sie aber erkennen, sobald man auf sie hingewiesen wird; 3) sie konnen so weit auBerhalb un- seres BewuBtseins liegen, daf wir sie selbst dann nicht zu erkennen verrnogen, wenn andere uns auf sie verweisen." (Watzlawick et al. (1996), S. 38) In diesem Kapitel wenden wir uns den Methoden und Techniken zu, die in einem engen Zusammenhang mit der Erfassung von Informationsbedarfen und Entscheidungsverhalten stehen und die einer Analyse und zielorientier- ten Strukturierung von Informationsbeschaffungs- und Informationsverarbei- tungsprozessen idealtypisch vorausgehen. Mogliche Themenkomplexe einer solchen (gesamtheitlich) entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre im informationswirtschaftlichen Bereich lassen sich wie folgt angeben (vgl. Link (1982)) : • Der generelle Ablauf von Entscheidungsprozessen (aus informationsverar- beitender Sicht) • Grundsatzliche Moglichkeiten, die impliziten Modelle von Entscheidungs- tragern offenzulegen und zu nutzen sowie explizite Entscheidungsmodelle den Entscheidern zuganglich zu machen 1 • Moglichkeiten der unter Kosten-Nutzen-Aspekten vorzunehmenden Er- mittlung eines objektiven Bedarfs von Entscheidern hinsichtlich informa- tionswirtschaftlicher Leistungen' • Ansatze zur Erklarung und Beeinflussung eines vom objektiven Bedarf ab- weichenden Nachfrageverhaltens der Entscheidungstrager 1 Der erstgenannte Punkt wird oftmals im Rahmen des Wissensmanagements dis- kutiert. Es ist zu bedenken, daf die Offenlegung von impliziten Modellen immer auch in Verbindung mit der Darstellung oder auch Anleitung zur Nutzung be- stehender expliziter Entscheidungsmodelle (die gegebenenfalls bereits implemen- tiert vorliegen) stehen sollte; vgl. Kap .8.l. 2 Hierunter fallen aile Unterstiitzungsleistungen, die das Informationsmanagement zu erbringen hat (Informationen, Modelle und Systeme). S. Voß et al., Informations-management © Springe-Verlag Berlin Heidelberg New York 2001

Informationsmanagement || Informationsplanung — Methoden der Informationsbedarfsanalyse und Wissensakquisition

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Page 1: Informationsmanagement || Informationsplanung — Methoden der Informationsbedarfsanalyse und Wissensakquisition

4. Informationsplanung - Methoden derInformationsbedarfsanalyse undWissensakquisition

"Der BewuBtseinsgrad von Verhaltensregeln entspricht ungefahr je­nem, den Freud fiir Fehlleistungen postulierte: 1) Sie konnen vollbewuBt sein, so daB Fragebogen oder einfache Interviews verwend­bar sind; 2) man kann ihrer unbewuBt sein, sie aber erkennen, sobaldman auf sie hingewiesen wird; 3) sie konnen so weit auBerhalb un­seres BewuBtseins liegen, daf wir sie selbst dann nicht zu erkennenverrnogen, wenn andere uns auf sie verweisen." (Watzlawick et al.(1996), S. 38)

In diesem Kapitel wenden wir uns den Methoden und Techniken zu, diein einem engen Zusammenhang mit der Erfassung von Informationsbedarfenund Entscheidungsverhalten stehen und die einer Analyse und zielorientier­ten Strukturierung von Informationsbeschaffungs- und Informationsverarbei­tungsprozessen idealtypisch vorausgehen. Mogliche Themenkomplexe einersolchen (gesamtheitlich) entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehreim informationswirtschaftlichen Bereich lassen sich wie folgt angeben (vgl.Link (1982)) :

• Der generelle Ablauf von Entscheidungsprozessen (aus informationsverar­beitender Sicht)

• Grundsatzliche Moglichkeiten, die impliziten Modelle von Entscheidungs­tragern offenzulegen und zu nutzen sowie explizite Entscheidungsmodelleden Entscheidern zuganglich zu machen1

• Moglichkeiten der unter Kosten-Nutzen-Aspekten vorzunehmenden Er­mittlung eines objektiven Bedarfs von Entscheidern hinsichtlich informa­tionswirtschaftlicher Leistungen'

• Ansatze zur Erklarung und Beeinflussung eines vom objektiven Bedarf ab­weichenden Nachfrageverhaltens der Entscheidungstrager

1 Der erstgenannte Punkt wird oftmals im Rahmen des Wissensmanagements dis­kutiert. Es ist zu bedenken, daf die Offenlegung von impliziten Modellen immerauch in Verbindung mit der Darstellung oder auch Anleitung zur Nutzung be­stehender expliziter Entscheidungsmodelle (die gegebenenfalls bereits imp lemen­tiert vorliegen) stehen sollte; vgl. Kap. 8.l.

2 Hierunter fallen aile Unterstiitzungsleistungen, die das Informationsmanagementzu erbringen hat (Informationen, Modelle und Systeme) .

S. Voß et al., Informations-management© Springe-Verlag Berlin Heidelberg New York 2001

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130 4. Informationsplanung

• Grundsiitzliche Moglichkeiten der Rationalisierung von Ftihrungsprozessen(hinsichtlich der Problemerkennungsphase beispielsweise Einsatz von Ab­weichungsberichten; hinsichtlich der Problemlosungsphase z.B. Einsatz vonDSS)

• Vorgehensweise bei der Entwicklung und Implementierung von Modellenund Systemen unter verhaltenswissenschaftlichen Aspekten

Im Lichte dieser Themengebiete sind auch die verschiedenen Methodenund Techniken zu betrachten, die in diesem Kapitel vorgestellt werden. Wah­rend einige der genannten Aspekte bereits implizit in Kapitel 2 angesprochenwurden - dies umfaBt z.B. Modelle zum subjektiven Informations- und Ent­scheidungsverhalten von Individuen, die auch als Erkliirungsansatz fiir dieAbweichung der Nachfrage von einem moglichen objektiven Informationsbe­darf herangezogen werden konnen - werden wir uns in diesem Kapitel mitden Moglichkeiten zur Informationsbedarfsermittlung und zur Offenlegungimplizit vorliegender Entscheidungsmodelle auseinandersetzen.P

Die subjektive Informationsnachfrage und das individuelle Entscheidungs­verhalten stehen in einem so engen Zusammenhang, daB aus der Erfragungdes Informationsbedarfs tendenziell auf das Entscheidungsverhalten geschlos­sen werden kann. Informationsbedarfsanalysen, die auch mit dem Ziel ei­ner Quasi-Strukturierung von Entscheidungsprozessen - oder zumindest ei­nes Uberdenkens der Sinnhaftigkeit eines bestimmten Nachfrageverhaltens ­durchgefUhrt werden, sollten sich somit ebenfalls Methoden der Wissensak­quisition bedienen.

Gegenstand der Wissensakquisition ist, das Entscheidungsverhalten zuerfragen und das den Entscheidungen zugrundeliegende Wissen abzubilden.Es handelt sich dabei Ld.R. urn zielgerichtete Verhaltensstrukturen, welcheals Expertenwissen abzufragen sind und anschlieBend nachfrageorientiert be­reitgestellt werden. Neben der Abbildung von Verhaltenstrukturen, die mitdem Ziel einer (Quasi-) Automatisierung von Entscheidungsprozessen er­folgt , kann es in einem erst en Schritt auch hilfreich sein, die Kenntnisse undFiihigkeiten der Mitarbeiter (grob) zu erfragen und z.B. tiber Wissenslandkar­ten anderen Personen bereitzustellen, so daB diese in Entscheidungssituatio­nen tiber enstprechende computergestiitzte Systeme Experten ausfindig rna­chen und kontaktieren konnen, Diese Vorgehensweise entspricht somit einerStrukturierung von Informationsquellen, die nicht explizit oder im direktenZugriff vorliegen.

Die Verfahren und Gestaltungshinweise der Wissensakquisition konnenund sollten aber auch im Rahmen der Informationsbedarfsanalyse genutztwerden , urn das Entscheidungsverhalten von "Nicht-Experten" offenzulegen

3 In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird gemeinhin der Bezug zum Ent­scheidungsverhalten oder zu zugrundeliegenden Modellen der Befragten bei denBefragungstechniken und -methoden nicht beriicksichtigt. Es wird in einigenAnsatzen lediglich versucht, die Informationsbedarfe auf einige Schliisselfaktorenund kritische Erfolgsfaktoren zu konzentrieren; vgl. Abschnitt 4.3.3.

Page 3: Informationsmanagement || Informationsplanung — Methoden der Informationsbedarfsanalyse und Wissensakquisition

4.1. Grundsatzliche Uberlegungen 131

und urn bei diesen gegebenenfalls Veranderungsprozesse im Entscheidungs­verhalten anzustoBen. Da sich die eingesetzten Techniken und Methoden derbeiden Bereiche, z.B. Interviews, prinzipiell entsprechen, wird auch die Wis­sensakquisition bereits in diesem Kapitel angesprochen.

Auf Basis dieser eingehenden Uberlegungen k6nnen dem Inforrnationsma­nagement folgende Analyseaufgaben zugeordnet werden ; vgl. auch Schwarze(1998):

• Informationsbedarfsanalysen• Kommunikationsbedarfsanalysen• Wissensakquisition• Situationsanalysen, Ist-Analysen• Technologiebedarfsanalysen• Analysen im organisatorischen Umfeld (Organisationsanalysen und Pro­

zeBanalysen)

Mit den starker als DV-technisch zu charakterisierenden Themengebie­ten, wie z.B. der Technologiebedarfsanalyse, werden wir uns in spateren Ka­piteln befassen . Im weiteren Verlauf dieses Kapitels beschaftigen wir uns miteinigen grundsatzlichen Uberlegungen zu Informationsbedarfsanalysen undzur Wissensakquisition, urn darauf aufbauend ein einfaches Phasenmodellzur Ermittlung von Informationsbedarfen und zur Wissensextraktion vorzu­stellen . AbschlieBend werden einige wichtige Erhebungstechniken diskutiert(Abschnitt 4.3) .

4.1 Grundsatallche Uberlegungen zuInformationsbedarfsanalysen und zurWissensakquisition

Der Informationsbedarf wird als die Art, Menge und Beschaffenheit von In­formationen verstanden, die ein Individuum oder eine Gruppe zur Erfiillungeiner Aufgabe ben6tigt (Picot (1988), S. 236). In der Literatur findet sicheine Unterscheidung von verschiedenen Informationsbedarfen:

• aus einer Sachaufgabe ableitbarer ("objektiver") Informationsbedarf• subjektiver Informationsbedarf• geauflerter (nachgefragter) Informationsbedarf

Der Zusammenhang zwischen den einzelnen Bedarfen ist in Abb. 4.1 dar­gestellt. Der Darstellung ist zu entnehmen, daB objektiver und subjektiverInformationsbedarf nicht identisch sein miissen. Wie wir bereits festgestellthaben, laBt sich fiir Probleme ein objektiver Informationsbedarf oftmals garnicht bestimmen. Aber auch fiir den Fall, daB dies m6glich ist, kann dersubjektive Informationsbedarf vom objektiven abweichen. Hier besteht einZiel des Informationsmanagements darin, die beiden Bedarfe zur Deckung

Page 4: Informationsmanagement || Informationsplanung — Methoden der Informationsbedarfsanalyse und Wissensakquisition

132 4. Informat ionsplanung

zu bringen und einem adaquaten Inform ationsangebot gegeniiberzustellen,so daf der Inform ationsstand den objekt iven Informationsbedarf vollstandigumfaBt. Generelles Ziel einer Informationsbedarfsanalyse ist dabei die Iden­tifizierung aller fiir eine effiziente AufgabenerfUlIung erforder lichen Informa­t ionen; vgl. auch Schwarze (1998) .

objcktivcrInfonnations­

bcdarf

Informations­angcbot

Abbildung 4.1. Ermit tlung des Informationsstands au s Bedarf, Angeb ot undNachfrage

Je grofer aber die Unbestimmt heit (St ru kt ur, Umfang) und Unvorherbe­st immbarkeit einer betrachteten Aufgabe ist , desto weniger ist der Informa­t ionsbedarf logisch ableitbar, d.h . desto unb estimmter ist der Information s­bedarf. Nach der angegebenen Definition von Problemen in Abgrenzung zuAufgaben ist im Grunde nur fiir Aufgaben aufgru nd ihres repeti tiven Cha­rakters der Informationsbedarf objekt iv ableit bar ." Fur Puzzles ist dieserinnerh alb eines gewissen Rahmens angebbar, aber spatestens fur Messes be­steht das eigent liche Problem des Entscheiders in der Problemdefinition undder Bestimmung des situa t iv auft retenden Informationsbedarfs. Fur den In­form ationsbedarf solcher P robl eme (Pro blems und M esses) bedeutet dies wie­derum, daf unterschiedliche (Kombinationen von) Informationen innerhalbvon Lern- und Experim entierprozessen gete ste t werden , urn Entscheidungenzu treffen (vgl. au ch Schneider (1990) , S. 232). Neben der "Einmaligkeit"der zu t reffenden En ts cheidungen ist auch dieses (notwendige) Informations­verh alten dafiir veran twortlich, daf ein subjekt iver Inform at ionsbedarf vonFiih run gskraft en nur innerh alb sehr grober Grenzen angegeben werd en kann.

Daher t ritt hier die Reduktion der Unbeq uemlichkeit der Erreichbarkeitvon Informationen als Aufgabe des Informationsmanagements in den Vor­dergrund der Betrachtung. Ziel ist dabei die Unterstiitzung des Entscheiders

4 Dies fiihr t zur ProzeBan alyse, die im Kontext der Unternehmensmodellierungtie fergehen der t hematisiert wird (vgl. Kapi t el 5) .

Page 5: Informationsmanagement || Informationsplanung — Methoden der Informationsbedarfsanalyse und Wissensakquisition

4.1. Grundsiitzliche Ub erlegungen 133

beziiglich der Suche und Gewinnung von Informationen - und gerade nichtdie Prasentation von Informationen im Rahmen von Beri cht en ."

Ausgehend von diesen Uberlegungen lassen sich in bezug auf die Bedarfs­ermit tlung zwei gegensiitzli che Ansiitze ableiten: der Nebenprodukt-Ansatzund der Null-Ansatz. Der Nebenprodukt-Ansatz versucht , dem Entscheiderein umfassendes Informationsangebot zur Verfiigung zu ste llen , ind em Be­richte mit verdichtet en Informationen als Nebenprodukt der operativen Sy­ste me erzeugt werden. Ausgangspunkt ist also nicht der individuelle Infor­mationsbedarf eines Entscheiders. Vielmehr wird unterst ellt , daB jedem Ent­scheider durch die erzeugte n Berichte automatisch eine ad iiquate Entschei­dungsgrundlage zur Verfiigung geste llt wird, d .h. daB das Informationsange­bot den gesamten Informationsbedarf deckt . Dieser Ansatz ist bereits in denersten Generationen von Managementunterstiitzungssystemen aufgrund derGefahr einer Informationsproliferation als unzuliinglich erachte t worden undst ellt daher keine wirkliche Alt ernative zu einer (individuellen) Informations­bedarfsanalyse dar.

Der Null-Ansatz st ellt den Gegenpol zum Neb enprodukt-Ansatz dar undgeht von der These aus , daB Fiihrungskriifte nur mit unstrukturierten Ent­scheidungen in Beriihrung kommen und somit jeder Standardbericht seineExistenzbere chtigung verlier t . Nach diesem Ansatz ist der Informationsbe­darf fiir jede Entscheidungssituation in einem Interview zu klaren und somitsituativ festzulegen. Der Null-Ansatz weist eine enge Beziehung zur Idee derindividuellen Bedarfsberichte auf.

Diese Vorgehensweise ist aber ebenfalls nicht au sreichend. StandardisierteBer ichte konnen ein hilfr eiches Mittel zur Problemerkennung sein. Ohne sol­che Berichte wiirde in vielen Situationen der AnstoB fehlen , einen indivi­du ellen Beri cht erstellen zu lassen. Zusiitzlich zu situativ auftret enden Be­darfen exist iert somit ein genereller Informationsb edarf, der den Entschei­der fiir kritische oder (im positiven Sinne) besondere Situationen sensibili­sicrt. Neben den fiir Man ager besonders wichtigen informellen Kontakten sinddies z.B. Standardberichte des Controlling." Die Berichterst attung sollte da­her Abweichungsberichte, die nur in kritischen Situationen generiert werden ,errnoglichen . Zur Festlegung der Inhalte solcher Berichte und der Definition,was eine kritische Situation ausmacht, sind ebenfalls Informationsbedarfe

5 Der Grad, zu dem ein obj ektiver Informationsbedarf bestimmbar ist , ist auch auseiner anderen Blickri chtung int eressant . Fiir Aufgaben , fiir die kein objektiverInformationsbedarf bestimmbar ist , kann keine Automatisierung realisiert wer­den . Dies bedeutet, daB ents prechende Rationalisierungsbestrebungen , z.B . imRahmen von Workflow Management-Anwendungen , nur einen Teil aller Prozesseabdecken konnen .

6 Ein sinnvoller Kompromif zwischen dem Nebe nprodukt- und dem Null-Ansat zfind et sich in der au s der Unternehme nsprax is st amme nde n Devise "soviel in­formelle Kontakte wie moglich und soviel Bericht erst at tung wie no tig" ; Birk(1991), S. 185. Wi e wir obe n bereits angesprochen haben , sind Fiihrungskriift eeher bemiiht, iiber Kommunikation Probleme zu identifizieren und Losungen zuentwickeln (statt einer rein analyt ischen Vorgehensweise) .

Page 6: Informationsmanagement || Informationsplanung — Methoden der Informationsbedarfsanalyse und Wissensakquisition

134 4. Informationsplanung

festzustellen. Die Erhebung entsprechender Situationsmerkmale und -kon­stellationen kann somit ein sinnvolles Ergebnis einer Informationsbedarfs­analyse sein. Der Bedarf iiiBt sich in diesem Zusammenhang dariiber hinausals Funktion der Selektion und Aggregation von Daten aus diesen Bereichen(Quellen) definieren .

Der Informationsbedarf ist dabei grundsatzlich hinsichtlich verschiede­ner Dimensionen festzulegen. Neben dem Informationsinhalt , dem eigentli­chen Kern der Information, ist auch die Darstellungsform fiir den Empfangerwichtig. So kann eine graphische, tabellarische oder andere Form situations­abhangig am geeignetsten sein. Auch der Zeitaspekt ist zu beriicksichtigen:Der Informationsbedarf sollte immer zeitpunktbezogen ermittelt werden, danach einem bestimmten Zeitpunkt ein Bedarf gegebenenfalls nicht mehr exi­stent ist. SchlieBlich ist auch der Kontext und das Rezeptionsniveau des Ent­scheiders als letzte Dimension zu beachten. Hiermit sind auch die Wirkungs­zusammenhange gemeint, die zwischen der Situation (Kontext) und der se­mantischen Interpretation einer Information bestehen; vgl. hierzu Schwarze(1998) .

Diese Uberlegungen machen es erforderlich, die Informationsbedarfsana­lyse nicht auf eine reine Befragung zu reduzieren, sondern stets die Antwor­ten in einen [moglichen) Entscheidungskontext zu stellen - fiir Messes ist dieFrage nach dem gesamten Entscheidungsfeld von groBer Bedeutung, so daBsich die Befragung hierauf entsprechend konzentrieren sollte . Statt Fragennach den benotigten Informationen treten Fragen nach den zu tatigendenEntscheidungen in den Vordergrund der Betrachtung.

Das Entscheidungsumfeld einer Domane und das Entscheidungsverhaltenvon Personen sind Gegenstand der Wissensakquisition. Die Wissensakquisi­tion ist der erste Schritt zum Aufbau eines wissensbasierten Systems; vgl.Abschnitt 8.3. Der ProzeB der Wissensakquisition laBt sich dabei in die Pha­sen der Organisation der Wissensbasis, der Befragung (als "Herauslosen"oder Explizierung des Wissens), die auch als Knowledge Elicitation bezeich­net wird, und der Tests der Wissensbasis untergliedern. Die Organisationder Wissensbasis beinhaltet den Entwurf des Gesamtsystems sowie des Vo­kabulars der Wissensbasis und die Auswahl der einzusetzenden Befragungs­techniken." Die anschlieBende Knowledge Elicitation stellt den EngpaB imGesamtakquisitionsprozeB dar und wird daher auch als Feigenbaum Bottle­neck bezeichnet.f

Als Quellen fiir den Wissenserwerb (und fur Informationsbedarfsanaly­sen) kommen neben einem oder mehreren Experten (bzw. den Entschei­dern) fUr den betrachteten Weltausschnitt (Domiine) auch Bucher, Referenz-

7 Die Wahl und Ausgestaltung der Befragungsmethoden ist hierbei auch von derForm der Wissensrepriisentation in der Wissensbasis abhangig. Moglichkeiten zurStrukturierung des erfaBten Wissens sind z.B. Entscheidungsbiiume und Produk­tionsregeln. Diese werden in Kap. 8.3 tiefergehend diskutiert.

8 Edward Feigenbaum war der erste, der dieses Phanomen beobachtete; vgl. Part­ridge und Hussain (1995), S. 168.

Page 7: Informationsmanagement || Informationsplanung — Methoden der Informationsbedarfsanalyse und Wissensakquisition

4.2 Phasenmodell zur Informationsbedarfsermittlung 135

handbiicher, Forschungsarbeiten und Fallstudien in Betracht. Dariiber hinauskonnen auch andere Organisationseinheiten, die mit dem Gesamtprojekt inVerbindung stehen, befragt werden, wie z.B. Endbenutzer oder Projektspon­sor; vgl. Partridge und Hussain (1995). Die Befragung mehrerer Expertenhat den Vorteil, daf verschiedene Arten des SchlieBens festgestellt und indie Wissensbasis aufgenommen sowie individuelle Eigenheiten im Entschei­dungsverhalten erkannt werden konnen. Auf der anderen Seite sind mit derBefragung mehrerer Experten hohere Kosten und zum Teil erhebliche Re­dundanzen im ermittelten Wissen verbunden.

Die Formalisierung des Wissens wird dabei Ld.R. von einem sogenanntenWissensingenieur (Knowledge Engineer) durchgefiihrt (vgl. Kap . 8.3). Diepersonelle Trennung von Experten und dem Ersteller der Wissensbank liegtin den unterschiedlichen Anforderungen an Experten und Wissensingenieurebegriindet; vgl. Tab . 4.1.

ExperteKennt die Domane- Fakten- Aufgaben- Beziehungen- Know-HowFahigkeit zur ArtikulationWille zur ArtikulationKenntnis und Bereitstellung

von Fallstudien zum TestenGeduld in der TestphaseWissen iiber die Unternehmens­

organisation, -ziele und -kulturausgepragte Kommunikationsfahigkeit

WissensingenieurKennt die Technologie der- Werkzeuge und Methoden

der Wissensreprasentation- Modellierung- Programmierung

Interesse und Kenntnisse in- Psychologie- Informatik

Fahigkeit, schnell zu lernen

ausgepragte Kommunikationsfahigkeit

Tabelle 4 .1. Anforderungen an den Experten und den Wissensingenieur zurWissensakquisition; nach Partridge und Hussain (1995)

Bei der Uberfiihrung des vom Experten erfragten Wissens in die Wissens­basis , d.h. die Abbildung auf formale Strukturen, ist eine Korrektheit nurdurch standige Interaktion zwischen dem Experten und dem Wissensinge­nieur rnoglich. Dies bedeutet, daf Befragungen auch beim Aufbau und beider Implementierung der Wissensbasis weiterhin notwendig sind, urn Fehlin­terpretationen etc . zu vermeiden.

4.2 Phasenmodell zur Informationsbedarfsermittlung

Im Rahmen von Inforrnationsbedarfsanalysen sind zunachst zwei Aspekte zubedenken:

Page 8: Informationsmanagement || Informationsplanung — Methoden der Informationsbedarfsanalyse und Wissensakquisition

136 4. Informationsplanung

• Eine Informationsbedarfsermittlung beginnt meist nicht auf der "griinenWiese" , d.h . in jedem Unternehmen, in dem Entscheidungen getroffen wer­den , gibt es bereits Informationsangebote und -verhalten.

• Aus Grunden der Wirtschaftlichkeit und der Restriktion der Entwicklungs­geschwindigkeit kann und sollte nicht der Informationsbedarf eines jedenOrganisationsmitglieds oder jeder Organisationseinheit gleichzeitig erho­ben werden .

Diese beiden Punkte machen es notwendig, zunachst Einsatzfelder festzu­legen, auf denen eine Informationsbedarfsanalyse oder eine Wissensakquisi­tion durchgefiihrt werden solI. Die Festlegung kann durch eine Priorisierungder Einsatzfelder mittels Portfolio-Techniken und (grober) Ist-Analysen desbestehenden Informationsangebots und -verhaltens erfolgen.

Betrachtet man die Informationsbedarfsermittlung fur ein gesamtes Un­ternehmen, so besteht ein Total-Ansatz (im Gegensatz zu diesen Uberle­gungen) in der Ermittlung und Analyse des Informationsbedarfs von einergroBen Anzahl von Fiihrungskraften des Unternehmens. Die zusammenge­faBten Informationsbedarfe werden mit dem Informationsangebot der beste­henden Informationssysteme verglichen, urn Bedarfsliicken aufzudecken . DasAufdecken solcher Lucken errnoglicht die geeignete Modifikation bestehenderInformationssysteme. Der Total-Ansatz baut auf der Methode des BusinessSystem Planning von IBM auf, in der eine Top Down-Analyse des Informati­onsbedarfs durchgefiihrt wird, urn Informationsdefizite zu identifizieren; vgl.Reichmann (1997).

Der kosten- und personalintensive Total-Ansatz ermittelt einen umfang­reichen Informationsbedarf der Fiihrungskrafte, der sehr viele individuelle Be­darfe beinhaltet. Hier liegt gleichzeitig eine Schwache des Ansatzes. Werdenalle Bedarfe in einem einheitlichen Berichtssystem zu befriedigen versucht, sobesteht die Gefahr, daB letztlich keine wirkliche Unterstiitzung der Entschei­der aufgrund der zwangslaufig auftretenden Informationsproliferation statt­findet . Diese Problematik verdeutlicht erneut die Notwendigkeit, geeigneteMechanismen zur Auswahl aus dem (umfangreichen) Informationsangebotdurch das Informationsmanagement auf der Basis moderner Informationssy­sterne bereitzustellen, die eine bewuBte Trennung von Berichtssystemen undAbfragesystemen zur Deckung individueller Bedarfe unterstiitzen.

Nach Festlegung von Einsatzfeldern ist es bei einer Ermittlung des Infor­mationsbedarfs dariiber hinaus Ld.R. unerlafllich, eine Informationsbedarfs­bewertung vorzunehmen; dies entspricht im wesentlichen einer feiner struk­turierten Ist-Analyse. Aufbauend auf diesen Ergebnissen kann mit der eigent­lichen Erhebung begonnen werden (vgl. Abb. 4.2).

Der Abbildung ist zu entnehmen, daB die eigentliche Erhebung aus meh­reren gegebenenfalls zu wiederholenden Teilschritten besteht, die neben derPlanung der Befragung und der eigentlichen Informationssammlung auch diePhasen der Reflexion und Auswertung sowie eine Phase der TheoriebildungumfaBt. Ergebnisse der eigentlichen Befragung sind in der Reflexions- und

Page 9: Informationsmanagement || Informationsplanung — Methoden der Informationsbedarfsanalyse und Wissensakquisition

4.2 Phasenmodell zur Informationsbedarfsermittlung 137

Prior isicrungder Einsatzfe ldcr, _..grebe"lst-Analyse

Abbildung 4.2. Vorgehensmodell einer Informationsbedarfsanalyse /Wissensakquisition

Auswertungsphase zusammenzufassen und auf ihre Konsistenz und Korrekt­heit hin zu iiberpriifen. Die Theoriebildung ist - als kognitiv anspruchsvollstePhase der Wissensakquisition - von besonderer Bedeutung, da hier die er­fragten Verhaltensweisen als explizites Wissen, z.B. in einem geschlossenenRegelwerk, darzustellen sind . Dies kann auch eine Modellierung der vom Be­fragten (implizit) eingesetzten Entscheidungsmodelle bedeuten. Die einzelnenPhasen werden in den folgenden Unterabschnitten diskutiert .

4.2.1 Priorisierung der Einsatzfelder

Die Entwicklung von Informations- und Kommunikationssystemen ist einkontinuierlicher ProzeB, in dem Informations- und Kommunikationsbedarfs­analysen einen wesentlichen Teil darstellen. Neben der Definition von Funk­tionalitiiten und Inhalten, die durch solche Systeme bereitzustellen sind, die­nen diese Analysen auch zur Bewertung der Notwendigkeit zur (Weiter-) Ent­wicklung der Informationssysteme einzelner Geschiiftsfelder. Da diese Ana­lysen mit erheblichen Kosten verbunden sein konnen, ist es gegebenenfallssinnvoll, zuniichst Geschiiftsfelder zu bestimmen, in denen solche Analysen(und die anschlieBende Systementwicklung) zu priorisieren sind . Es sind dabeieinzelne Teilbereiche des Unternehmens zu betrachten und daraus Vorgabenfiir eine strategieorientierte Entwicklung der Informationssysteme abzuleiten.Die Bedeutung der Informationsfunktion" von Bereichen kann z.B, durch einInformationsintensitiits-Portfolio bestimmt werden (vgl. Abb. 4.3).

Als Injormationsintensitiit einer Leistung wird der Anteil der erforderli­chen Teilleistungen verstanden, die unmittelbar mit Information und Kom­munikation in Verbindung stehen. Die Informationsintensitiit kann sich da-

9 Die Informationsfunktion ist gekennzeichnet durch die Miichtigkeit der Infor­mations- und Kommunikationsaufgaben (gemessen an den Aufgaben des Unter­nehmens insgesamt).

Page 10: Informationsmanagement || Informationsplanung — Methoden der Informationsbedarfsanalyse und Wissensakquisition

138 4. Informationsplanung

bei sowohl auf einzelne Tatigkeiten oder auch auf die Verkniipfung vonTatigkeiten in einem iibergeordneten ProzeB (Wertkette) beziehen.

Hoch

Informations­intensitiit in derWertkette

Niedrig

Feld I Feld 3

Beispiel : mehrstufige, Beispiel: Systemgeschiiftkomplexe Montageprozesse

Feld2 Feld4

Beispiel: einfache Teile- Beispiel: Standardberatungbearbeitung

Niedrig Hoch

Informationsintensitiit in der Leistung

Abbildung 4.3. Informationsintensitiits-Portfolio von Porter und Millar (1985) ;vgl. auch Picot und Reichwald (1991), S. 273

Fiir Vnternehmen bieten gerade informationsintensive Tatigkeiten dieMoglichkeit, durch Investitionen in 1nformationssysteme (und damit verbun­den in Bedarfsanalysen) einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen. Unter Einbe­ziehung der Erfolgsposition einzelner Geschaftsfelder gelangt man zu norma­tiven Gestaltungsvorschlagen beziiglich der Strategie zur Entwicklung vonInforrnationssystemen (vgl. Abb . 4.4). Hier ist der aktuelle Bedarf an Un­terstiitzung durch 1T-Losungen dem zukiinftigen Bedarf und dem momenta­nen Angebot gegeniiberzustellen, urn Handlungsbedarf abzuleiten.

4.2.2 1st-Analyse

Eine Ist-Analyse sollte im Rahmen der Bedarfsbewertung erfolgen . Ein Ver­gleich der objektiv benotigten Informationen fiir Aufgaben, deren objektiverInformationsbedarf weitestgehend bekannt ist, mit den tatsachlich genutztenInformationen kann hier aufzeigen, wie der Entscheider bisher mit dem An­gebot umgeht und welche MaBnahmen eventuell zu ergreifen sind , damit derNutzungsgrad verbessert werden kann - auch im Hinblick auf die Ausgestal­tung des Angebots. Beziiglich des bestehenden Angebots sind demnach zweiAspekte zu beriicksichtigen, der Verwendungszweck und der Wirkungsaspekt.

Der Verwendungszweck fragt nach dem Gebrauch von bestehenden Infor­mationen, d.h. ob diese nur in Empfang genom men (gelesen, gehort , verstan­den) oder ob sie in Entscheidungsprozessen genutzt werden. Der Wirkungs­aspekt behandelt dariiber hinaus Konsequenzen fiir ProzeB und Ergebnis ei­ner Entscheidung. Hier ist weiterhin situativ auch die Vortauschung einerInformationsnachfrage zu priifen.

Page 11: Informationsmanagement || Informationsplanung — Methoden der Informationsbedarfsanalyse und Wissensakquisition

4.2 Phasenmodell zur Informationsbedarfsermittlung 139

Informat ionsintensitiit des Geschiiftsfeldes

Erfolgs­positiondesGeschafts­feldes

Stark

Mittel

Schwach Defensiv-strategie

Modera teEntwicklungs­strategie

Momentum ­strategie

Hoch

Abbildung 4.4. Strategieorientierte Entwicklung und Einsatz von Informations­und Kommunikationssystemen; vgl. Kruger und Pfeiffer (1988) , S. 9

Mit der Ist-Analyse wird der akt uelle Informationsstand der Entschei­der erfaBt, beschrieben, analysiert und bewertet, was mit einer Betrachtungund Evaluation des gegenwiirtigen Informationsangebots eines Unternehmensgleichzusetzen ist . Sie wird meist im Zusammenhang mit einer Systemana­lyse durchgefiihrt. Explizite (und implizit genutzte) Entscheidungsmodellesind dabei eine wesentliche Grundlage zur Bewertung des Informationsstands.Keine Beriicksichtigung findet der zukiinftig zu erwartende Inforrnationsbe­darf bzw. die Entwicklung der Bedarfe bis zum aktuellen Zeitpunkt. Die Ist­Analyse weist daher keine Strategiebezogenheit auf. Die Erhebungstechnikendes Interviews, der Dokumentenanalyse, der Fragebogenmethode und der Be­richtsmethode konnen hier kombiniert Anwendung finden.

4.2.3 Erhebung von Informationsbedarfen und Wissensakquisition

Urn Informationsbedarfe zu ermitteln, kann der in Abb. 4.2 dargestellte Zy­klus aus Planung der Erhebung, Informationssammlung, Reflexion und Aus­wertung sowie Theoriebildung gegebenenfalls mehrfach durchlaufen werden .In der Planung sind die anzuwendenden Methoden auszuwahlen sowie gege­benenfalls Termine und Orte mit Gespriichspartnern festzulegen. Erhebungs­methoden lassen sich in subj ektive, objektive und gemischte Verfahren unter­teilen (vgl. Kap. 4.3). Der Umfang der Erhebung kann es z.B. in einem erstenSchritt wirtschaftlich erscheinen lassen , Fragebogen einzusetzen. SolIten dieAntworten in bestimmten Bereichen dann nicht ausreichend sein, so konnenin einer weiteren Phase Interviews geplant werden . Ein weiteres StufenmodelI,

Page 12: Informationsmanagement || Informationsplanung — Methoden der Informationsbedarfsanalyse und Wissensakquisition

140 4. Informationsplanung

in dem bis zu drei Interviews gefiihrt werden, wird im Kontext der Methodeder kritischen Erfolgsfaktoren in Abschnitt 4.3.3 diskutiert.

In der folgenden Phase der Informationssammlung werden Interviewsgefiihrt, Frageb6gen gesammelt etc. Das so erhobene Material ist dann aus­zuwerten. Hier k6nnen z.B. statistische Methoden zur Auswertung von Fra­geb6gen zum Einsatz kommen. Dariiber hinaus sind Interviews nach derDurchfiihrung zu reflektieren, d.h . der Interviewer sollte den Verlauf des Ge­sprachs noch einmal nachvollziehen und in bezug zu seinen Notizen bzw. Er­gebnissen setzen. Hier ist auch die Konsistenz und Korrektheit der Ergebnissezu iiberpriifen. In der Phase der Theoriebildung wird schlieBlichversucht, diegeiiuBerten Bedarfe oder das geiiuBerte Wissen in einem Modell zueinanderin Beziehung zu setzen.

Die subjektiven Verfahren k6nnen in diesem Zusammenhang auch dazugenutzt werden, den Befragten den tatsiichlichen, gegebenenfalls objektivenInformationsbedarf erkennen zu lassen . Dies kann bereits in der eigentlichenBefragung - durch eine intensive Beschiiftigung mit dem Aufgabenfeld, wiees typischerweise im Rahmen der Wissensakquisition erfolgt - oder in einemspiiteren Gespriich erfolgen.

4.2.4 Nutzung der Ergebnisse

Nach der Bestimmung der Informationsbedarfe bzw. der Wissensakquisi­tion ist iiber die weitere Nutzung der Ergebnisse zu entscheiden. Im Kon­text der Wissensakquisition wird die Analyse Ld.R. in der Konzeption eineswissensbasierten Systems oder einer Wissenslandkarte resultieren. In bezugauf traditionelle Informationsbedarfsanalysen wird meist eine weitreichendereVeriinderung der bestehenden Informationssystemarchitektur angestrebt .

Die Priorisierung der Einsatzfelder erfolgt hier oftmals bereits unter Be­riicksichtigung der bestehenden Systemarchitektur. So sind Untersuchungen ­unter Beachtung der in Kap . 4.2.1 genannten Aspekte - in Geschiiftsfeldern,in denen keine oder nur eine (subjektiv empfunden) unzuliingliche informati­onstechnische Unterstiitzung erfolgt, sinnvoll. Ob, zu welchem Grad und mitwelchen (technischen) Mitteln die geiiuBerten Bedarfe schlieBlich befriedigtwerden k6nnen und sollten , ist idealtypisch erst in weiteren Planungsschrit­ten festzulegen. Hier ist insbesondere die bestehende Systemarchitektur zuberiicksichtigen. So kann eine angestrebte Bedarfsbefriedigung Auswirkun­gen auf die Informations- und Kommunikationssysteme, aber auch auf dieIT-Infrastruktur haben.!? Hier sind Wirtschaftlichkeitsiiberlegungen, wie sie

10 Eine Bedarfsanalyse kann z.B. zu dem Ergebnis fiihren, daB eine zentrale, red un-dante Datenhaltung fur Analyseaufgaben des Managements in einem bestimmtenUmfang notwendig ist . Besteht bereits eine entsprechende Realisierung im Un­ternehmen, so kann es zur Bedarfsbefriedigung ausreichen, entsprechende Ana­lysewerkzeuge fur die bestehende Datenbasis zu erganzen. Existiert eine solcheDatenbasis hingegen noch nicht, so ist eine strategisch ausgerichtete Entschei­dung unter Benicksichtigung der damit verb unden en Investitionen notwendig.

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4.3 Erhebungsmethoden 141

im Kap. 3.3.3 zum IV-Controlling vorgestellt wurden, in die Entscheidungtiber die Entwicklung der Gesamtarchitektur einzubeziehen.

4.3 Erhebungsmethoden

In diesem Abschnitt werden verschiedene Methoden vorgestellt, die zur Er­hebung von Informationsbedarfen oder zur Erfragung von Wissensbestandendienen.l ' Diese werden auf der Basis der im vorigen Abschnitt genanntenKlassifikation in subjektive, objektive und gemischte Verfahren untergliedert .

Eine weitere Klassifikation von Verfahren der Informationsbedarfsermitt­lung findet sich z.B. bei Schneider (1990), S. 232 ff. Sie unterscheidet vierGrundmethoden zur Ermittlung des Informationsbedarfs.P

1. Verfahren zur Ermittlung des subjektiv empfundenen Bedarfs2. Ableitung aus dem Unternehmenszweck und dem auf diesen bezogenen

Beitrag des Entscheiders (objektive und gemischte Verfahren)3. Ableitung aus dem bestehenden Informationssystem4. Inkrementelle und experimentelle Bestimmung der Bedarfe im Rahmen

der (Weiter-) Entwicklung eines Informationssystems

Die Ableitung des Informationsbedarfs aus dem bestehenden Informati­onssystem ist dabei kein eigentliches Verfahren der Bedarfsanalyse, sonderneher der Ist-Analyse. Das betrachtete System stellt zwar idealtypisch das Er­gebnis einer alten Analyse dar, Informationsbedarfe andern sich allerdings imLaufe der Zeit. Dieser Ansatz wird daher im weiteren nicht behandelt.

Die inkrementelle und experimentelle Bestimmung der Bedarfe im Rah­men der (Weiter-) Entwicklung eines Informationssystems kann als Erwei­terung des oben besprochenen Phasenmodells verstanden werden, wobei diePhasen der Systemerstellung und der Bewertung der Nutzung des Angebotsin den Zyklus , der die Erhebung der Informationsbedarfe beschreibt, auf­genommen werden. Eine experimentelle Vorgehensweise der Informationsbe­darfsermittlung kann eingesetzt werden, urn den Entscheidern den eigenenInformationsbedarf wahrend der Nutzung eines Informationssystems trans­parent zu machen. Eine solche Vorgehensweise eignet sich daher insbeson­dere, wenn z.B . in Interviews festgestellt worden ist, daB weitestgehend Un­klarkeit tiber den subjektiven Informationsbedarf besteht, ein objektiver In­formationsbedarf (innerhalb grober Bereiche) aber erkennbar ist. Bei dieser

11 Eine Methode ist als eine detaillierte und systematische Handlungsvorschrift, wienach bestimmten Prinzipien ein gegebenes Ziel erreicht werden kann, definiert .Fiir eine Ubersicht zu Methoden und Werkzeugen der Wissensakquisition wirdauf Boose (1993) sowie Kim und Courtney (1988) verwiesen.

12 Die Methoden konnen dariiber hinaus auch in direkte und indirekte VerfahrengemiiB der Form der Interaktion zwischen dem Befragten und dem " Interviewer"unterschieden werden, wobei das Interview und die Beobachtung des Befragtendann als direkte Verfahren zu bezeichnen sind.

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142 4. Informationsplanung

Methode wird dem Entscheider zunachst eine Ausgangsmenge von Informa­tionen iiber einen Prototypen eines Informationssystems zur Verfiigung ge­stellt . Durch den Umgang mit dieser Ausgangsmenge werden neue Bedarfeund iiberfliissigerweise angebotene Informationen erkannt, und das eigentli­che System in einem LernprozeB angepaBt. Eine solche Vorgehensweise kannzudem die Akzeptanz des aus einer Informationsbedarfsanalyse resultieren­den Informationssystems deutlich erhohen. Bei unreflektierter Anwendungdieser Methode besteht allerdings die Gefahr, daf objektiv notwendige Infor­mationen bei Niehtnutzung aus dem System entfernt werden .

4.3.1 Subjektive Verfahren

Zur Gruppe der subjektiven Verfahren gehoren im wesentlichen das Interview(als Frage-Antwort-Spiel) , das fokussierte Gesprach, Brainstorming, Teach­back, Konstruktgitterverfahren, Sorting, Laddering und Rollenspiele . Bevorwir uns in diesem Abschnitt den einzelnen Techniken zur Befragung zuwen­den, geben wir eine Liste von Verhaltensregeln an , die bei den einzelnenTechniken und Methoden beachtet werden sollten; vgl. Cordingley (1989):

• Bei Befragungen ist zunachst zu bedenken, daB nieht alles geaufert wird(z.B. die Selbstverstandlichkeiten) und daB die Artikulationsfahigkeiten derBefragten ebenso das Ergebnis beeinflussen wie die Struktur der Befragungan sieh, d.h. wie der Interviewer die Befragung lenkt.

• Die Fragen sollten hinreichend (weder hypothetisch noch vage) spezifiziertund an den Verlauf der Befragung sowie das Rezeptionsniveau des Befrag­ten angepaBt sein. Eine "Negativ-Formulierung" der Fragen ist zu vermei­den , die Sprache (Jargon) ist zu beachten, und es ist eine geschlossene ­moglichst nicht aus mehreren Teilen bestehende - Fragestellung anzustre­ben .

• Zur Befragung und zum Festhalten der Ergebnisse empfiehlt sich der Ein­satz verschiedener Mittel zur Aufzeiehnung, wie z.B. zwei Interviewer,Audio- oder Videogerate. Insbesondere ein das Interview unterbrechendesFesthalten von Notizen kann den Verlauf und damit die Ergebnisgiite ne­gativ beeinflussen. Dariiber hinaus konnen Informationskataloge eingesetztwerden. Informationskataloge konnen als Struktur des Informationsange­bots erachtet werden , wobei diese fiir eine Informationsbedarfsanalyse urnzusatzliche Informationen zu erweitern sind, die gegebenenfalls nachgefragtwerden konnen. Informationskataloge sind somit als Liste zu verstehen, diemoglichst alle relevanten Informationen fiir einen Entscheidungsbereich zuumfassen versuchen. Erfolgt keine Erweiterung, so ist ein Informations­katalog ein Ergebnis einer Ist-Analyse. Informationskataloge konnen zurUnterstiitzung der iibrigen Techniken eingesetzt werden, da diese den Be­fragten - durch Vermittlung stimulierender Eindriicke - auf bestimmteThemenbereiehe lenken und auch bei der Artikulation des Informationsbe­darfs quasi als Anleitung dienen konnen; vgl. Schwarze (1998).

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4.3 Erhebungsmethoden 143

• Der Befragte sollte die Moglichkeit hab en, Dinge in der Weise darzust ellen ,wie er es fiir richtig halt .

• Inkonsistenzen in den Antworten sollten nicht direkt angesprochen werden,wenn dadurch die Oesprachsatrnosph are gestort werden konnte.

• Ein Interview ist kein Wettkampf: Der Interviewer sollte " Angriffe" ver­meiden und als Moderator auft reten, weder zum Befragten "aufblicken",noch auf ihn "hina bblicken".

• Ein Interview ist kein Verhor: Es sollten keine herausfordernden oder (di­rekt ) iiberpriifenden Fragen geste llt werden.

• Die Korpersprache des Befragten ist zu beobachten , urn festzustellen, wannder Befragte unsicher , miide oder unkonzentriert wird , und urn geeigneteHilfestellungen anzubieten.

• Der verabredete Zeitrahm en sollte eingehalten werden oder mit dem Be­fragten gegebenenfalls ein neuer Termin oder eine Verlangerung des aktu­ellen Interviews bespro chen werden.

• Es kann sinnvoll sein, daB der Befragte wahrend des Interviews die Ergeb­nisse (Notizen, Zeichnungen) des Fragenden einsehen kann , urn die Distanzzwischen beiden Personen gering zu halten.

• Es sollte die Moglichkeit fiir ein Feedb ack der Sitzung und eine Uberpriifungder Ergebni sse bestehen. Jedes Interv iew sollt e zumindest vom Fragend enreflektiert werden.

1m Interview wird eine mehr oder weniger stru kt ur ierte Befragung derEntscheider durch einen oder mehrere Interviewer durchgefiihr t . Die wichtig­ste n Interviewtypen sind; vgl. z.B. Puppe (1991):

• Unst ruktur iertes (tradit ionelles) Interview: Wahrend der Befragt e iibersein Wissen spricht, seinen Informationsbedarf darlegt oder Test falle lost ,stellt der Interviewer (der Wissensingenieur) mehr oder weniger spont aneFragen.

• Int rospektion: Der Experte beschreibt von sich aus, wie er einen Fall lostoder welche Problemlosungsstrategie er nutz t bzw. welche Informati onener benotigt , wahrend er ein Problem lost.

• Laut-Denken-Protokoll: Der Befragte denkt laut , wahrend er ein Problemlost. Bei der Introspektion wird im Unterschied hierzu eine Zusammen­fassung des Problemlosungsverhalten dargelegt , nachdem der Fall gelostist.

• Strukturiertes Int erview: Protokolle oder fest st ehende Fragen, die z.B. miteiner der anderen Interviewmeth oden erstellt wurden, werden vom Befrag­ten kommentiert , erganzt oder neu beantwortet .

Wie diesen Ausfiihrungen zu ent nehmen ist , ste llen Testfalle eine wich­t ige Basis fiir Interviews - insbesondere fiir Rollenspiele - dar. Von zentralerBedeutung fiir die Auswahl solcher Falle ist neben ihrem Schwierigkeit sgraddie Ahnlichkeit zur realen Problemsituation der Befragten. Es lassen sichfolgende Arten von Test fallen unterscheiden:

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144 4. Informationsplanung

• Typische Falle, die der Befragte routinemafiig lost• Falle mit begrenzter Informationsangabe (Hier werden dem Befragten

bestimmte, normalerweise vorhandene Informationen bewuBt vorenthal­ten, urn die Bedeutung von Einzelinformationen fiir den individuellenLosungsprozef zu bestimmen.)

• Falle mit einer Beschrankung der Verarbeitungskapazitat, z.B. der Zeit,die zur Losung zur Verfiigung gestellt wird, oder Fragestellungen, auf diesich der Experte konzentrieren soll

• Schwierige Falle, die der Befragte routinemafiig nicht losen kann (Zu diesenFallen sollte der Interviewer iibergehen, sobald die Basisproblemlosungs­strategien bzw. Informationsbedarfe geklart sind.)

Es erweist sich meist als sinnvoll , fiir die Informationsbedarfsanalyse Per­sonen einzeln zu befragen, da in einer Gruppendiskussion die Bediirfnisseeinzelner Entscheider nur schwer festzustellen sind. 1m Rahmen der Wis­sensakquisition kann es allerdings von Vorteil sein, mehrere Personen parallelzu befragen. In eine Studie von O'Leary (1998) wirkte sich z.B. die paralleleBefragung mehrerer Experten aufgrund der Kompensation der Fehler einzel­ner - und weiterer Synergieeffekte - als positiv auf die Ergebnisgiite aus.

Das Interview hat dabei den generellen Vorteil, daB Unklarheiten iiberFragen oder Entscheidungsfelder direkt (durch weitergehende Fragen) geklartwerden konnen und das Ergebnis somit vergleichsweise wenig Verstandnis­fehlern unterliegen sollte . Voraussetzung hierfiir ist allerdings, daB der In­terviewer iiber ein groBes Fachwissen verfUgen muB. Dadurch wird er zudemi.d.R. als kompetenter Gesprachspartner akzeptiert .

Eine Brainstorming-Sitzung - bei der bewuBt von der individuellen Be­fragung abgesehen wird - dient der Ideensammlung zu einem festgeleg­ten Thema. Hierbei versucht eine Gruppe von Personen im Rahmen ei­ner konstruktiven Diskussion neue Vorschlage zur Losung eines bestimmtenProblems oder Problemfeldes zu sammeln. Brainstorming-Sitzungen werdenmeist zur Sammlung von Anregungen und Erwartungen, z.B. zur Erarbei­tung eines Konzepts, oder im Rahmen der Wissensakquisition eingesetzt. ZurErmittlung von subjektiven Informationsbedarfen eignet sich diese Methodeweniger, da sie das Individuum zu wenig beriicksichtigt. Zusatzlich zur Fest­stellung von Bereichen, aus denen Informationen zuganglich gemacht werdensollten, konnen mittels dieser Methode aufgrund des offenen Diskussions­charakters auch neue Bedarfe, die mehrere Teilnehmer betreffen, festgestelltwerden . So bietet diese Methode einen geeigneten Einstieg zum Aufbau einesneuen Informationssystems.

Beim Konstruktgitterverfahren handelt es sich urn eine indirekte Technikder Wissensakquisition, d.h. es werden keine gezielten Fragen gestellt, sondernnur (anscheinend) neutrale Fragen, aus deren Beantwortung Riickschliisseauf die eigentlichen Sachverhalte gezogen werden konnen. Zunachst wird derExperte gebeten, einige Begriffe aus der betrachteten Domane aufzuzahlen.Dann werden Tripel dieser Begriffe gebildet, und der Experte soll zu jedem

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4.3 Erhebungsmethoden 145

Tripel ein Attribut nennen, das auf die ersten beiden Begriffe zutrifft, aufden letzten aber nicht. Bei der Methode ist darauf zu achten, daf nicht nachunsinnigen Fallunterscheidungen gefragt wird; vgl. Richter (1989).

Beim Sorting wird versucht, die vom Befragten genutzten Konzepte iibereine Domane zu sortieren. Hierzu werden diese (oder auch Bilder der Kon­zepte) zuniichst auf Karten geschrieben. Der Befragte kann aufgefordert wer­den, die Karten in zwei oder mehr Stapel aufzuteilen und die Stapel mit ei­nem Begriff zu kennzeichnen. Alternativ werden ihm immer Paare der Kartenpriisentiert, und er wird gefragt, ob eine Beziehung zwischen diesen besteht.Ziel dieser Ansiitze ist eine Klassifikation der Begriffe und Konzepte, bzw .auch der Informationsbedarfe, innerhalb einer Domane.

Beim Laddering wird versucht, Konzepte zu hierarchisieren. Hierzu wer-den drei verschiedene Typen von Fragen gezielt eingesetzt:

1. Warum? (urn iibergeordnete Konzepte zu erhalten)2. Wie? (urn untergeordnete Konzepte zu erhalten)3. Weitere Beispiele? (urn Konzepte der gleichen Hierarchieebene zu erhal­

ten)

Bei Cordingley (1989) findet sich ein beispielhafter Verlauf fiir ein Interview,das nach dieser Technik gefiihrt wird .

Speziell in Interviews zur Bestimmung von Wahrscheinlichkeiten iiberWirkungszusammenhiinge konnen (weitere) Strukturierungsmethoden ein­gesetzt werden. Eine wichtige Funktion konnen in diesem Zusammenhanggraphische Repriisentationsformen einnehmen, wie z.B. Entscheidungsbiiumeoder Knowledge Maps13. Diese werden in einem Interview in Zusammenarbeitvon Wissensingenieur und Befragtem erarbeitet. Browne et al. (1997) verglei­chen in einer empirischen Studie verschiedene Ansiitze der Wissensakquisitionund zeigen die fallweise Uberlegenheit strukturierter Methoden, insbesondereder Knowledge Maps, gegeniiber offenen Befragungen auf.

AbschlieBend ist festzuhalten , daf einer Befragung zur Feststellung dessubjektiven Informationsbedarfs oftmals die zusiitzliche Rolle zukommt, demEntscheider das tatsiichlich ben6tigte Informationsverhalten transparent zumachen. Diese Funktion wird in der Technik des Teachback besonders deut­lich. Die Struktur des Interviews kann als Strukturierungsvorschlag fiir daseigene Entscheidungsverhalten iibernommen werden, wenn der Entscheiderjeweils iihnliche Probleme behandelt: Welche Fragen muf ich mir seIber stel­len? In welcher Reihenfolge? Wo liegen Zusammenhiinge?

Ais problematisch kann sich neb en der Artikulation und Spezifizierungvon Bedarfen auch die Festlegung der Gespriichstermine und der groBe zeit­liche Aufwand fiir die Befragungen (und nachtriiglichen Auswertungen) er­weisen. Trotz dieser Nachteile kann das Interview als geeignete Technik zur

13 In einer Knowledge Map werden die mit Wahrscheinlichkeiten bewertetenAbhiingigkeiten zwischen einzelnen EinfluBfaktoren eines Entscheidungsfeldesmodelliert ; vgl. Howard (1989) . Sie entsprechen damit weitestgehend Entschei­dungsbaumen ohne Entscheidungsknoten.

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146 4. Informationsplanung

Ermittlung von Informationsbedarfen bezeichnet werden, wobei die Kombi­nation mit anderen Verfahren zusatzlichen Nutzen bringen kann.

Einen Versuch, zeitaufwendige Gesprache zu umgehen, stellen die Frage­bogenmethode und die Berichtsmethode dar. Die Fragebogenmethode ist eineForm der schriftlichen Erhebung auf Basis eines strukturierten Fragebogens.Der Fragebogen sollte durch gezielte Fragestellungen den Informationsbedarfder einzelnen Entscheider ermitteln. Problematisch ist hierbei die Tatsache,daB durch Fragebogen nur ein bestimmter Informationsbedarf beriicksich­tigt wird , weitere (seltener benotigte) Informationen aber vernachlassigt wer­den . Es gestaltet sich dariiber hinaus Ld.R. schwierig, das Management zumAusfiillen der Bogen zu bewegen, wenn dieses sich durch das Tagesgeschaftausreichend beansprucht fiihlt und dem Fragebogen somit meist keine Prio­ritat einraumen wird (geringe Riicklaufquote). Trotz der vergleichsweise nied­rigen Kosten der Erhebung eignet sich diese Methode nur bedingt fiir dieErmittlung von Informationsbedarfen und sollte in Verbindung mit anderenTechniken eingesetzt werden.

Im Rahmen der Berichtsmethode wird jedem Entscheider aufgetragen, ineiner mehr oder weniger strukturierten Form einen Bericht iiber den jeweili­gen Aufgabenbereich (Entscheidungsprozesse) und (gegebenenfalls auch) diedaraus abgeleiteten Informationsbedarfe zu schreiben. Diese Methode kanndazu fiihren , daB sich der Befragte intensiv mit seinen Entscheidungsprozes­sen auseinandersetzt; es ist aber wahrscheinlicher, daB er aufgrund des da­durch entstehenden Aufwands den Bericht nur oberflachlich behandelt oderdas Erstellen delegiert, wodurch der individuelle Informationsbedarf gegebe­nenfalls unzureichend erfaBt wird.

4.3.2 Objektive Verfahren

Unter objektiven Verfahren konnen analytische Verfahren subsumiert werden.Hierzu zahlen neben der Strategieanalyse und der ProzeBanalyse (vgl. hierzuauch Schneider (1990)) auch die Aufgabenanalyse, die Dokumentenanalyseund die AnalogieschluBmethode.

Im Rahmen der Strategieanalyse (Strategy Set Formulation) werden In­formationserfordernisse aus strategischen Zielsetzungen abgeleitet. Die Pro­zeflanalyse, die auf Unternehmensmodellen aufsetzen kann, geht von den zurRessourcensteuerung erforderlichen Entscheidungsablaufen - auch im Sinneder beteiligten Entscheidungsinstanzen - aus , urn fiir jede Entscheidungs­stufe den notwendigen Input, Output und die notwendigen Funktionen zurInformationsverarbeitung zu spezifizieren.

In der Aufgabenanalyse werden die Informations- und Entscheidungspro­zesse der Entscheider analysiert und der Informationsbedarf aus diesen ab­geleitet. Diese Technik eignet sich fiir repetitive, gut strukturierte Entschei­dungsprozesse. Da sich die Ableitung eines Informationsbedarfs aus einma­ligen Entscheidungsprozessen ex-ante nicht durchfiihren laBt und auch semi­oder unstrukturierte Entscheidungsprozesse nur ansatzweise zur Ableitung

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4.3 Erhebungsmethoden 147

des Informationsbedarfs herangezogen werden konnen, sind durch die Aufga­benanalyse nur Bereiche, aus denen Informationen bezogen werden konnten,zu erfassen.

Den Mittelpunkt der Dokumentenanalyse, die hauptsachlich im Rahmeneiner 1st-Analyse Anwendung findet, stellen das aktuelle Berichtswesen (dieDokumente) des Unternehmens und die Bearbeitungsweise durch die jewei­lige Fiihrungskraft dar. Bei dieser Technik wird hauptsachlich das formaleBerichtswesen analysiert, allerdings werden dabei die informellen Informati­onskanale durch vom Berichtswesen unabhangige Kommunikationsbeziehun­gen nicht beriicksichtigt. Die Dokumentenanalyse gibt in erster Linie Hin­weise darauf, welches (formale) Informationsangebot existiert und wie diesesangenommen wird . Fiir die Veranderung der bestehenden oder den Aufbauneuer Informationssysteme ist diese Analyse somit von groBer Bedeutung.

Bei der sogenannten AnalogieschlujJmethode wird vom Informationsbe­darf eines Entscheiders auf den Informationsbedarf eines anderen Entschei­dungstragers geschlossen, dessen Tatigkeitsfelder und Entscheidungsbereichevergleichbar sind. Diese Technik erweist sich bei gleichen Aufgabenbereichenals kostensparend, vernachlassigt aber die Unterschiede zwischen den indivi­duellen Bedarfen. Eine Abwandlung dieser Vorgehensweise kann auch iiberHierarchiestufen eines Unternehmens hinweg eingesetzt werden, wobei hierin einem Top Down-Ansatz die Bedarfe weiter zu spezifizieren sind, in einemBottom Up-Ansatz hingegen eine Aggregation (und jeweils zu begriindendeSelektion) der Bedarfe durchzufiihren ist.

4.3.3 Gemischte Verfahren

Zu den gemischten Verfahren zahlen die Methode der Schliisselindikatorenund die Methode der kritischen Erfolgsfaktoren (Rockart (1979» . Hier wer­den andere Erhebungsmethoden auf Indikatoren bzw. Faktoren (beziiglicheiner strategischen Ausrichtung) abgestimmt, die fiir die Unternehmensent­wicklung als grundlegend erachtet werden.

Die Methode der SchLUsselindikatoren legt fiir jeden Unternehmensbereichspezifische Kennzahlen (Schliisselindikatoren) und zugehorige Bewertungs­maflstabe fest. Eine solche Festlegung kann durch die Techniken Interview,Fragebogen, Bericht oder Brainstorming-Sitzung unterstiitzt werden . DieSchliisselindikatoren bilden die wesentlichen betriebswirtschaftlichen Sach­verhalte des jeweiligen Unternehmensbereichs ab und definieren somit einenerforderlichen Informationsbedarf (vgl. Janson (1982), S. 64). Fiir jedenSchliisselindikator wird (in weiteren Befragungen) ein Schwellenwert festge­legt , der signifikante Abweichungen sichtbar machen solI. Ziel dieser Methodeist es, die Abweichungen (Uberschreitung oder Unterschreitung des Schwel­lenwerts) dem Entscheider in Ausnahmeberichten darzustellen; vgl. Reich­mann (1997). Die ermittelten GroBen konnen dem Management entweder pe­riodisch berichtet werden, oder es wird eine Ausnahmeberichterstattung rea­lisiert. Die Methode der Schliisselindikatoren vernachlassigt den individuellen

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148 4. Informationsplanung

Informationsbedarf des Entscheidungstragers bewuBt und versucht durch dieDefinition der Schliisselindikatoren, eine kleinste gemeinsame Informations­basis aller Fiihrungskrafte zu bestimmen. Die festgelegten Indikatoren stellensomit eine Grundlage fur die Problemerkennung und die strategischen Auf­gaben dar, bilden jedoch die situativ auftretenden Bedarfe der Entscheidernicht abo

Die Methode der kritischen Erfolgsfaktoren basiert auf der Grundidee, daBfiir jedes Unternehmen einige wenige zentrale Faktoren existieren, von denender Erfolg bzw. der MiBerfolg der Unternehmung abhangen; vgl. Rockart(1979).14 Der Informationsbedarf der Entscheider muB sich demnach vor­nehmlich auf diese Faktoren konzentrieren, bzw. der Bedarf laBt sich ausdiesen ableiten. Die kritischen Erfolgsfaktoren beziehen sich z.B. auf dieBranchenstruktur, die Wettbewerbsstrategie der Unternehmung sowie wei­tere Umweltfaktoren. Die kritischen Erfolgsfaktoren konnen fiir jeden Ent­scheider des Unternehmens mit Hilfe der Interviewtechnik bestimmt werden,wodurch individuelle Informationsbedarfe abgeleitet werden konnen.

Zur Ermittlung sollten zwei bis drei Interviews durchgefiihrt werden. Ineinem ersten Interview werden die kritischen Erfolgsfaktoren eines Entschei­dungstragers erarbeitet. Das zweite Interview legt den daraus resultierendenInformationsbedarf des Entscheiders einschlieBlich moglicher Darstellungsfor­men fest . In einem optionalen dritten Interview wird versucht, eine Einigungtiber die Strukturierung der Informationsversorgung zu erzielen. Der fiir je­den Entscheider individuell ermittelte Informationsbedarf wird abschlieBendzu einem Gesamtinformationsbedarf zusammengefaBt und kann die Basis fiirein allgemeines Informationssystem darstellen.

Die Methode der kritischen Erfolgsfaktoren versucht, den wesentlichenInformationsbedarf zu ermitteln und alle "unwesentlichen" Informationenzu eliminieren, was der Informationsproliferation entgegenwirken soll , Aberauch hier besteht die Notwendigkeit, geeignete Mechanismen zur Auswahlaus dem (umfangreichen) Informationsangebot durch das Informationsma­nagement im Rahmen moderner Informationssysteme bereitzustellen, urn dieindividuell erhobenen Bedarfe auch individuell zu decken.

14 Eine Fallstudie zu der Methode der kritischen Erfolgsfaktoren innerhalb des In­formationsmanagements gibt Heinrich (1999).