21
Leseprobe Buddha, Lebenslust mit Buddha © Insel Verlag insel taschenbuch 3631 978-3-458-35331-7 Insel Verlag

Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen

  • Upload
    vudieu

  • View
    214

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen

Leseprobe

Buddha,

Lebenslust mit Buddha

© Insel Verlag

insel taschenbuch 3631

978-3-458-35331-7

Insel Verlag

Page 2: Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen
Page 3: Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen

Sake, Sex und Nichtstun – wer h�tte das gedacht – stehen auf dem Pro-gramm der lebenslustigen Anh�nger Buddhas. Gl�ck dem Biertrinkerund Gl�ck dem Fleischesser! ruft uns ein tibetischer Heiliger entge-gen. Etwas feinsinniger schw�rmt der japanische Dichter Issa f�r einwarmes Bad neben dem Gebet, w�hrend Zenmeister Ikkyu einem Be-cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji r�t davon ab, sich um Essenund Kleidung zu sorgen, und Han Shan vom Kalten Berg empfiehltmit viel Witz, sich den Bauch vollzuschlagen, »bevor erst Unkrautdurch den Sch�del sprießt«. Daß der Dalai Lama ein Vertreter desgl�cklichen Lebens ist, braucht nicht besonders ausgef�hrt zu wer-den. Gelacht wird in diesem Buch auch noch, wenn es weh tut, wiein der Geschichte, die der englische Buddhist Ajahn Brahm erz�hlt.

Gemeinsam ist dem Buddha und seinen Anh�ngern, die hier zu Wortkommen, die unb�ndige Freude am Augenblick, die sie befreit vonder Sorge um Vergangenheit oder Zukunft genießen.

Page 4: Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen

insel taschenbuch 3631Lebenslust mit Buddha

Page 5: Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen
Page 6: Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen

Lebenslust mitBuddha

Ausgew�hlt von Ursula Gr�fe

Insel Verlag

Page 7: Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen

insel taschenbuch 3631Originalausgabe

Erste Auflage 2010� Insel Verlag Berlin 2010

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der �bersetzung,des çffentlichen Vortrags sowie der �bertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielf�ltigt oder verbreitet werden.

Quellenverzeichnis am Schluß des BandesVertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Umschlag nach Entw�rfen von Willy FleckhausSatz: H�mmer GmbH,Waldb�ttelbrunn

Druck: CPI – Ebner & Spiegel, UlmPrinted in Germany

ISBN 978-3-458-35331-7

1 2 3 4 5 6 – 15 14 13 12 11 10

Page 8: Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen

Lebenslust mitBuddha

Page 9: Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen
Page 10: Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen

an alle, die gl�cklich sind

Man kann auf unterschiedliche Weise gl�cklich sein. Man-che Menschen leben aufgrund einer geistigen Stçrung ineinem Zustand naiven Gl�cks. F�r sie ist immer alles inOrdnung. Dieses Gl�ck ist aber nicht das Gl�ck, um dases uns hier geht.

F�r andere gr�ndet das Gl�ck auf dem Besitz materiel-ler G�ter und auf sinnlicher Befriedigung. Wir haben be-reits auf die Fragw�rdigkeit dieser Einstellung hingewie-sen. Auch wenn Sie sich aus diesem Grund f�r wirklichgl�cklich halten – Sie werden doppelt leiden, wenn Ihnendie Umst�nde nicht mehr wohlgesinnt sind.

Andere wiederum sind gl�cklich,weil sie moralisch den-ken und handeln. Das ist das Gl�ck, das wir brauchen,denn dieses Gl�ck hat tiefere Wurzeln und h�ngt nichtvon den Umst�nden ab.

Um dauerhaft gl�cklich sein zu kçnnen, m�ssen wir zu-allererst erkennen, daß auch Leid zum Leben gehçrt. Dasist vielleicht anfangs deprimierend, aber auf lange Sichtkçnnen wir mit dieser Einstellung nur gewinnen. Wer esvorzieht, die Wirklichkeit zu leugnen, indem er Drogennimmt, das falsche Gl�ck in einer blinden Spiritualit�tsucht oder ungez�gelt lebt, nur um nicht nachdenken zum�ssen, erwirkt dadurch bloß einen kurzen Aufschub.Wenn dann die Probleme akut werden, sind diese Men-schen oft nicht gegen Schwierigkeiten gefeit und »erf�l-len das Land mit ihren Klagen«, wie man in Tibet sagt.Zorn oder Verzweiflung �berkommen sie, und zu den an-f�nglichen Schwierigkeiten gesellt sich der Schmerz.

Versuchen wir herauszufinden, woher unser Leiden

9

Page 11: Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen

kommt. Wie jedes andere Ph�nomen ist es das Ergebnisunendlich vieler Ursachen und Umst�nde. Hingen unsereGef�hle jeweils nur von einer einzigen Ursache ab, dannm�ßten wir nur einer einzigen »Gl�cksursache« ausgesetztsein, und wir w�ren hundertprozentig gl�cklich. Wir wis-sen aber genau, daß dem nicht so ist. Geben wir also dieVorstellung auf, daß uns nur etwas Bestimmtes fehlt zumGl�ck, das wir nur finden m�ßten, um nicht mehr zuleiden. Anerkennen wir, daß das Leiden Teil des Lebensoder, buddhistisch gesprochen, des Samsara, des Kreis-laufs der bedingten Existenzen, ist. Wenn wir Leiden alsetwas Negatives oder Abnormales betrachten, dann f�h-ren wir ein erb�rmliches Leben, denn dann werden wirOpfer unserer Einstellung. Gl�ck ist nur dann mçglich,wenn selbst das, was wir als Leid ansehen, uns nicht un-gl�cklich macht.

Nach buddhistischer Auffassung f�hrt die Besch�fti-gung mit der Existenz des Leids nie zu Pessimismus oderVerzweiflung. Sie l�ßt uns die eigentlichen Gr�nde f�r un-ser Ungl�cklichsein erkennen, n�mlich Begierde, Haß undNichtwissen, und durch dieses Erkennen kçnnen wir unsdavon befreien. Mit Nichtwissen ist hier das Unverst�nd-nis f�r die wahre Natur der Wesen und Dinge gemeint. Esist die Ursache der beiden anderen Gifte. Sobald das Nicht-wissen sich auflçst, haben Haß und Begierde keine Grund-lage mehr, und die Quelle des Leids ist erschçpft. Darausergibt sich ein spontan altruistisches Gl�ck,das nicht mehrder Spielball negativer Gef�hle ist.

[Dalai Lama XIV]

10

Page 12: Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen

zehntausend jahre freude

Die einzigartige Flçte in die Hand nehmen, die keine Lç-cher hat –

Und m�ßig das Lied einer Freude spielen, die zehntau-send Jahre w�hrt.

[Zen]

wie herrlich

Wie herrlich muß es sein, wenn ein Mensch ein schlich-tes Leben f�hrt, sich allen Aufwands enth�lt, kein Vermç-gen aufgespeichert hat und in dieser Welt nichts mehr be-gehrt. Es ist seit alten Zeiten kaum geschehen, daß einWeiser �ber Reichtum verf�gte.

In China lebte einst ein Mann namens Hs� Yu. Er besaßnicht das Geringste. Jemand, der ihm eines Tages zusah,wie er mit der bloßen Hand Wasser schçpfte und trank,schenkte ihm einen getrockneten K�rbis. Als Hs� Yu die-sen K�rbis einmal an einen Baumzweig geh�ngt hatte,schaukelte dieser im Winde tçnend hin und her. Da warfihn Hs� Yu weg,weil ihn das stçrte, und er schçpfte beimTrinken wieder das Wasser mit der Hand. – Wie rein undweise muß dieses Mannes Herz gewesen sein!

Sung Ch’en besaß f�r die Wintermonate nicht einmalDecken, um sich nachts warm zu halten, nur einen Stroh-bund, auf dem er schlief und den er am Morgen wiederbeiseite legte.

Chinesen haben dies voll Bewunderung aufgeschrieben,es der Nachwelt zu �berliefern, aber in unserem Lande

11

Page 13: Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen

k�me keiner auf den Gedanken, dergleichen auch nur wei-terzuerz�hlen.

[Yoshida Kenko]

Jeder stirbt, aber keiner ist tot.[Buddhistisches Sprichwort]

der wurm und sein

wunderschçner misthaufen

Einige Menschen mçchten einfach nicht sorgenfrei leben.Wenn ihnen ihre eigenen Probleme schon nicht reichen,stellen sie den Fernseher an und regen sich �ber das Schick-sal erfundener Gestalten auf. Viele Leute halten Angst f�retwas ungeheuer Anregendes und konsumieren Leid alsgute Unterhaltung. Diese Menschen wollen nicht wirk-lich gl�cklich sein, denn sie h�ngen an ihrer B�rde.

Zwei Mçnche, die ihr ganzes Leben lang befreundet ge-wesen waren, starben und wurden bald darauf wiederge-boren. Der erste fand sich als »Deva« – ein gçttliches We-sen – in einer himmlischen Welt wieder, doch sein Freundbegann das neue Leben als Wurm in einem Misthaufen.

Der Deva wußte das noch nicht. Er sehnte sich nachseinem alten Freund und fragte sich, wo der wohl seineWiedergeburt erlebt hatte. In seiner eigenen himmlischenWelt konnte er ihn nicht entdecken, also suchte er dieanderen himmlischen Reiche ab. Doch auch hier fand erkeine Spur seines lieben alten Freundes. Unter Zuhilfe-nahme seiner himmlischen Kr�fte weitete er seine Suche

12

Page 14: Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen

auf die Menschenwelt aus, doch auch das war vergeblich.Er konnte sich nicht vorstellen, daß sein Freund als einTier wiedergeboren worden sein sollte, aber sicherheits-halber fahndete er auch in der Tierwelt nach ihm. Da erihn auch hier nicht fand, gab er sich einen Ruck und stiegin die unterste Welt hinab, in die der Kriechtiere. Zu sei-ner großen �berraschung entdeckte er, daß sein Freundals Wurm in einem widerlich stinkenden Misthaufen einneues Leben begonnen hatte!

Das Band der Freundschaft ist so stark, daß es oftmalsden Tod �berwindet. Der Deva f�hlte sich verpflichtet, sei-nen Freund aus einer so ungl�ckseligen Wiedergeburt zubefreien – ganz gleich, welches Karma ihm dieses Los be-stimmt hatte.

Also tauchte er vor dem ekelhaften Misthaufen auf undrief »Hallo, Wurm! Erinnerst du dich an mich? In unse-rem fr�heren Leben waren wir beide Mçnche und sehreng miteinander befreundet. Ich bin in eine wunderschç-ne himmlische Welt wiedergeboren worden und sehe zumeinem Entsetzen, daß du in diesem widerlichen Mist-haufen lebst. Aber sorge dich nicht, denn ich kann dichin mein herrliches himmlisches Reich mitnehmen. Kommmit mir, mein lieber alter Freund!«

Der Wurm steckte das Kçpfchen aus dem Misthaufenund begutachtete den Deva mißtrauisch. »Moment mal«,sagte er m�rrisch. »Was ist denn so großartig an dieser›himmlischen Welt‹, von der du da schnatterst? Ich f�hlemich sehr wohl in meinem duftenden, warmen, leckerenMisthaufen und habe keine Lust, ihn zu verlassen, vielenDank.«

»Du hast ja keine Ahnung!« rief der Deva und beschrieb

13

Page 15: Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen

dem Wurm in allen Details die Schçnheiten und Freudendes Himmels.

»Gibt es denn da auch Mist?« fragte der Wurm, dergenau wissen wollte, woran er war.

»Nat�rlich nicht!« versetzte der Deva empçrt.»Dann bleibe ich hier«, erkl�rte der Wurm mit Be-

stimmtheit. »Hau ab!«Und er grub sich tief in den Misthaufen ein.Der Deva �berlegte, daß der Wurm die ganze Sache bes-

ser begreifen w�rde, wenn er den Himmel selbst erlebenkçnnte. Also �berwand er sich, steckte seine weiche Handtief in den widerw�rtigen Misthaufen und fahndete nachdem Wurm. Als er ihn gefunden hatte, zog er das wider-strebende Kriechtier sanft heraus.

»He, laß mich in Ruhe!« br�llte der Wurm. »Hilfe! SOS!Ich werde entf�hrt!« Und der kleine schleimige Wurm rin-gelte und wehrte sich, bis er sich dem Griff des Deva ent-wunden hatte und wieder auf seinen Misthaufen gefallenwar. Schnell buddelte er sich so tief wie mçglich ein, umnicht wieder gefangen zu werden.

Der warmherzige Deva tauchte seine H�nde abermalsin den stinkenden Dung, ergriff den Wurm ein zweitesMal und versuchte ihn herauszuziehen. Er hatte es beinahgeschafft, doch da der Wurm mit schleimigem Dreck �ber-zogen war und sich heftig wehrte, gelang ihm die Fluchtein zweites Mal, und diesmal zog er sich noch tiefer in sei-nen Misthaufen zur�ck.

Der Deva versuchte einhundertachtmal, den armen Wurmaus seinem gr�ßlichen Misthaufen herauszuf�hren, dochder Wurm war nicht willens, von dem ekelhaften Dung,

14

Page 16: Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen

in dem er lebte, abzulassen, und k�mpfte sich immer wie-der in die Scheiße zur�ck.

Letztendlich gab der Deva auf. Er kehrte in seine himm-lische Welt zur�ck und �berließ den Wurm seinem »herr-lich duftenden Misthaufen«.

[Ajahn Brahm]

tempeleinsamkeit

Nichts tut so wohl, wie in der Einsamkeit eines TempelsBuddha zu verehren. Man hat keine Langeweile dabei,und alles Tr�be im Herzen scheint sich zu kl�ren.

[Yoshida Kenko]

joshus zen

Joshu begann mit dem Studium des Zen, als er sechzehnJahre alt war, und setzte es bis zu seinem achtzigsten Le-bensjahr, in welchem er Zen verwirklichte, fort.

Er lehrte vom achtzigsten Lebensjahr an, bis er das Al-ter von hundertzwanzig Jahren erreicht hatte.

Einst fragte ihn ein Sch�ler: »Wenn ich nichts in mei-nem Geist habe, was soll ich dann tun?« Joshu antwor-tete: »Wirf es hinaus.«

»Aber wenn ich gar nichts habe, wie kann ich es dannhinauswerfen?« fuhr der Frager fort. »Nun«, sagte Joshu,»dann trage es hinaus.«

[Meister Joshu]

15

Page 17: Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen

in einem buddhistischen tempel

Wenn ich mich im Januar f�r mehrere Tage in einen Tem-pel zur�ckziehe, muß große K�lte herrschen, viel Schneegefallen und alles gefroren sein; denn wenn es regnet, istes schrecklich.

Eines Tages unternahmen wir eine Pilgerfahrt zu dember�hmten Tempel Hase in der Yamato-Provinz.W�hrendman unsere Unterkunft vorbereitete, fuhr unser Wagendicht bis zur großen Haupttreppe, die aus Bambusst�m-men zurechtgezimmert worden war und die steil zum Tem-pel hinauff�hrte.

Einige junge Priester, die keine Mçnchskutte trugen undnur an der besonderen Sch�rpe ihres Kimonos erkennt-lich waren, kletterten mit ihren hohen Holzschuhen sorg-los die steile Treppe hinauf und hinunter, w�hrend sieeinige Stellen aus den Heiligen Sutren vor sich hin mur-melten, die ihnen gerade in den Sinn kamen. Das schienzu einem solchen Ort zu passen, und ich fand es sehr reiz-voll.

Auf der steilen Treppe, die wir �ngstlich hinaufkletter-ten, indem wir uns seitlich an das Gel�nder klammerten,bewegten sich die jungen Priester mit einer Selbstverst�nd-lichkeit, die mir Eindruck machte. Vorher war uns mitge-teilt worden, daß unsere R�ume inzwischen hergerichtetseien, und sofort hatte man uns hilfreich aus dem Wagengeholfen.

Von den Damen,die mich begleiteten, hatten sich einigedamit begn�gt, ihre gewçhnlichen Gew�nder anzulegen,andere jedoch trugen ihre offizielle Hoftracht mit dem far-benpr�chtigen chinesischen �berwurf. Sie zogen alle ent-

16

Page 18: Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen

weder hohe Lederschuhe oder lackierte Halbschuhe anund bewegten sich in den G�ngen mit zeremoniell schlei-fenden Schritten. Dies alles erinnerte mich etwas an dasLeben im Palast.

Junge M�nner, die �berall im Tempel Zutritt hatten, be-gleiteten uns und erleichterten uns den Weg, indem sie jenachdem erkl�rten: »Hier herauf« oder »Hier hinunter«.Andere wiederum folgten uns,und einige unter diesen woll-ten uns zur Seite dr�ngen, um bei uns vorbeizukommen.Doch unsere F�hrer griffen sofort ein: »Einen Augenblick!Das ist eine gesonderte Gesellschaft, der ihr euch nichtanschließen d�rft!« Manche dieser Stçrenfriede sahen dasein und ließen uns in Ruhe; aber es gab auch andere, diedem, was man ihnen sagte, keine Beachtung schenktenund sich in einer Weise vordr�ngten, als ob sie als erstevor dem Antlitz Buddhas erscheinen m�ßten. Endlich er-reichten wir die Barriere vor dem Altar, und ich wurdevon Ehrfurcht ergriffen. Ich fragte mich in meinem Inne-ren, warum ich Monate hatte vergehen lassen, ohne zumTempel zu gehen, und mit einem Mal erwachte in mir wie-der meine urspr�ngliche Frçmmigkeit.

Im Heiligtum sah man nicht die Lampen, die sich ge-wçhnlich dort befinden. Sie waren durch andere ersetzt,die von Gl�ubigen als Opfergaben mitgebracht wordenwaren. Sie brannten mit solcher Helligkeit, daß man leichtin Schrecken versetzt wurde, und inmitten des Heiligtumsleuchtete das Antlitz Buddhas.

Ein hoher Priester nach dem anderen erschien mit ehr-f�rchtiger Miene, und jeder sagte mit laut vernehmlicherStimme ein Stoßgebet vor sich hin. Es herrschte daher einsolches Gemurmel in der Halle, daß es einem weder mçg-

17

Page 19: Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen

lich war, zu verstehen,was sie erkl�rten, noch,was sie ver-sprachen und in Aussicht stellten. Alles, was ich hçrte,war die Stimme eines Bonzen: »Tausend Lichter werdendargebracht, in der Absicht . . .«; doch das, was folgte,entging mir leider.

Ich hatte mein Gewand etwas zusammengerafft undkniete nieder, um Buddha anzubeten, als ein Priester, dereinen Aniszweig in der Hand hielt, auf mich zukam undmit feierlicher Miene erkl�rte: »Ich bin gekommen, umEuch diesen Zweig zu �berreichen.« Ich war davon ent-z�ckt. Ein anderer Priester, der an der Barriere stand, n�-herte sich mir und versicherte, daß er die Gebete, die er inunserem Auftrag sprechen sollte, ganz besonders inbr�n-stig vorgetragen habe; dann fragte er uns, wieviel Tagewir im Tempel verweilen w�rden, und teilte uns mit, daßdieser und jener gleichfalls anwesend sei, um sich zu l�u-tern, und danach entfernte er sich wieder.

Als wir schließlich in unseren R�umen angelangt wa-ren, brachte man uns sofort das Kohlenbecken herein,reichte uns Fr�chte dar und versah uns mit allem,was not-wendig war. Der Priester teilte uns mit, in welchen Zel-len unser Gefolge untergebracht sei, und verließ uns einenAugenblick, um dort nach dem Rechten zu schauen. EineGlocke k�ndigte die Lesung der Heiligen Sutren an, undich wußte bereits, daß diese Glocke in meinem Auftrag er-klang, und so hçrte ich voller Hoffnung auf ihren Ton.

Im Nebenzimmer befand sich ein Mann,der,wie es hieß,ein hoher W�rdentr�ger sei, und der sich fortgesetzt biszum Boden verneigte und dabei seine frommen �bungenverrichtete. Als ich auf ihn aufmerksam wurde, glaubteich zun�chst, er w�rde sich so benehmen, weil er wußte,

18

Page 20: Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen

daß man ihn im Nebenzimmer hçren konnte. Doch baldsah ich ein, daß er tats�chlich in seine Meditationen voll-kommen versunken war und, ohne auch nur einmal auszu-ruhen, seine Gebete fortsetzte. Dieser Mann beeindrucktemich sehr. Es dauerte nicht lange, da fing er an, mit In-brunst und lauter Stimme in den heiligen Schriften zu le-sen; doch sprach er leider nicht so laut, daß wir seineWorte auch wirklich verstehen konnten. Als wir plçtzlichglaubten, er wolle etwas deutlicher sprechen, hielt er einenAugenblick inne, um sich zu schneuzen; doch tat er es sodiskret und ohne das �bliche Trompeten, so daß ich ganzerleichtert aufatmete. Ich fragte mich nur, was er sichwohl in seinem Inneren w�nschte und was er durch seinfrommes Beten herbeibeschwçren wollte. Ich h�tte esgern gewußt; doch hoffte ich auch so, daß seine W�nschein Erf�llung gehen mçchten.

An einem Tage ertçnte die Glocke des Tempels beson-ders laut und vernehmlich, und aufhorchend fragten wiruns, wer wohl jetzt f�r sich Gebete hersagen ließ. Manteilte uns mit, daß es sich um eine vornehme Familie hand-le und daß man f�r die gl�ckliche Niederkunft der Haus-herrin bete. Ganz ungewollt wurden wir neugierig, undgar zu gern h�tten wir den Namen der Betreffenden ge-wußt. Die Nachricht von dem bevorstehenden freudigenEreignis in jener Familie hatte uns so tief ger�hrt, daß wiruns sofort im Stillen den Gebeten der Priester und der an-deren anschlossen.

Alles, was ich hier vom Leben im Tempel erz�hle, be-zieht sich nur auf die normalen Zeiten, wenn keine beson-deren Feste stattfinden. Am Neujahrstag, zum Beispiel,herrscht ein ganz anderer Eindruck; denn durch das st�n-

19

Page 21: Insel Verlag - suhrkamp.de · cher Sake oder einem Besuch im Freudenhaus durchaus nicht abge-neigt ist. Der chinesische Meister Linji rt davon ab, sich um Essen

dige Kommen und Gehen der vielen Pilger und Neugieri-gen ist der Tempel von Unruhe erf�llt, und dann mag eswohl vorkommen, daß man sich interessiert die Gesichterder Besucher beschaut, anstatt sich ehrfurchtsvoll nur aufdas Antlitz Buddhas zu konzentrieren.

Diejenigen,die gegen Abend imTempel ankommen, sindmeistens solche Pilger, die die Absicht haben, hier mehre-re Tage zu verweilen. So haben die jungen Bonzen und dieNovizen des Tempels am Abend sehr viel zu tun. Ich be-obachtete interessiert, wie die kleinen Meßgehilfen hoheWandschirme herbeischleppten,die in den G�stezimmernzur Unterteilung des Raumes aufgestellt werden sollten.Diese Wandschirme erschienen jedoch so schwer, daß wirgar nicht begriffen, wie diese kleinen B�rschchen sie tra-gen konnten. Sie entledigten sich aber ihrer Aufgabe mitgroßem Geschick. Auch das Aufh�ngen der Bambusvor-h�nge auf die Barriere taten sie mit solch graziçser Miene,daß ich sie wirklich bewunderte.

Im gleichen Augenblick hçrte ich das vornehme Ra-scheln von Seidengew�ndern, und eine Schar junger Da-men kam eine schmale Stiege herunter. Sie wurden voneiner Matrone gef�hrt, die, stets geistesgegenw�rtig, al-lerlei Anweisungen erteilte und Fragen stellte, wie etwa»Habt ihr das Feuer im Zimmer vollkommen gelçscht?«.Sie waren offensichtlich im Begriff, den Tempel zu ver-lassen. Ein Knabe von sieben bis acht Jahren rief seinenDiener mit lieblicher, doch stolzer Stimme. Ein Kind vondrei Jahren hustete und wurde verdrießlich, weil es nichtschlafen konnte. Dies alles fand ich interessant.

Der Kult im Tempel dauerte die ganze Nacht hindurch;wir hçrten einen unbeschreiblichen L�rm und konnten

20