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Leseprobe Held, Wolfgang Clara Schumann Ihr Leben mit Robert Schumann Mit zahlreichen Abbildungen © Insel Verlag insel taschenbuch 3354 978-3-458-35054-5 Insel Verlag

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Leseprobe

Held, Wolfgang

Clara Schumann

Ihr Leben mit Robert Schumann

Mit zahlreichen Abbildungen

© Insel Verlag

insel taschenbuch 3354

978-3-458-35054-5

Insel Verlag

Als Robert Schumann die neunjährige Clara Wieck kennenlernt,ist er noch ein unbekannter Musiker und sie bereits ein umjubel-tes, selbstbewußtes Wunderkind. In der Ehe gerät Clara häufig inden Konflikt zwischen ihren eigenen künstlerischen Ambitionenund ihrer Rolle als Gattin und Mutter. Ihre Begabung stellt sie inden Dienst ihres Mannes, spielt seine Konzerte in ganz Europa,ohne dabei ihre Unabhängigkeit als Künstlerin aufzugeben. Auchnach dem frühen Tod Robert Schumanns wird Clara als Konzert-pianistin und als Komponistin gefeiert und hoch geschätzt. Zudem jungen Johannes Brahms entwickelt sie eine tiefe Freund-schaft, bleibt aber ihrem Mann, dessen Werk sie sich weiterhinverpflichtet fühlt, bis an ihr Lebensende treu.Der Schriftsteller und Pianist Wolfgang Held erzählt farbig,detailreich und spannend den Roman einer schicksalhaften Liebeund einer bewegten und tragischen Ehe.

insel taschenbuch

Wolfgang HeldGeliebte Clara

Doppelportrait von Robert und Clara Schumann,Dresden

Wolfgang Held

Geliebte ClaraDie Geschichte

von Clara und Robert Schumann

Mit zahlreichen Abbildungen

Insel Verlag

insel taschenbuch Erste Auflage

Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig Europäische Verlagsanstalt / Rotbuch Verlag, Hamburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Hinweise zu dieser Ausgabe am Schluß des BandesVertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Umschlag nach Entwürfen von Willy FleckhausSatz: Memminger MedienCentrum AGDruck: Druckhaus Nomos, Sinzheim

Printed in GermanyISBN ----

Inhalt

Licht und HöllenträumeSeine Jugendjahre (-)

Im Wünschen unbändigIhre Kindheit (-)

Allerlei grelle GeschichtenSeine Studienzeit (-)

Scherz in dunklen SchleiernIn Leipzig und anderswo (-)

Con fuoco – con graziaSeine und ihre Musik

Ob unterirdisch oder überirdischClara Wiecks Triumphe (-)

Ein Choral von PosaunenNachtstücke ()

Hüte dich, sei wach und munterSein Liederjahr ()

In Sturm und RegenIhre Sonate ()

Es klafft ein SprungReisen und Risse (-)

Wie ein Feind aus dem HinterhaltIn Dresden (-)

Mit den Uhus zusammengesperrtIn Düsseldorf (-)

Irre die Spielleute nichtRobert Schumann in Endenich (-)

Er frug nicht nach mirClara Schumann in Düsseldorf (-)

Am Morgen die Fackeln verrauchtClara Schumann und Brahms (-)

Die Crystallflaschen an der Mauer zerschlagenClara Schumanns Virtuosenleben (-)

Danksagung

Lebensdaten

Literatur

Personenregister

Bildnachweis

Geliebte Clara

Licht und Höllenträume

In einem alten Eckhaus am Marktplatz kam Robert Alexan-der Schumann am . Juni zur Welt. Zwickau im erzge-birgischen Landkreis des Königreichs Sachsen lag »anmu-thig«, wie der Brockhaus von vermerkt, in ländlichfruchtbarer Talsenke. Der Fluß, die Mulde, trieb zahlreicheMühlen und wand sich durch Arbeitervorstädte. TausendHäuser und viertausend Einwohner. Leineweber, Gerberund Wollarbeiter. Farbenfabriken, vier Kirchen (eine besitzteinen unheimlichen hölzernen Schmerzensmann mit ech-tem Haar, so alt wie Schumanns Haus, vierhundert Jahre),ein Spital, die Lateinschule mit Klosterbibliothek und Natu-ralienkabinett, die Schumann besuchen wird, und das durchMauer und Graben von der Stadt düster abgetrennte SchloßOsterstein – ein Zucht- und Arbeitshaus. Seit herrschtauch im Eckhaus am Markt zuchtvoller Arbeitsbetrieb: imSchnellverfahren werden von sprachkundigen Tintenkulisreihenweise die Romane von Scott, später alles von Byron inkleinformatige Bändchen gepackt. Was als Leihbibliothekfür kleinstädtische Bedürfnisse begann, wurde bald zur re-gionalen Buchhandlung und zum Verlagsunternehmen der»Gebrüder Schumann«. Auch Robert, kaum den kurzenHosen entwachsen, liest schon Korrekturen und arbeitet anden Bildnissen der berühmtesten Menschen aller Völker und Zei-ten mit, die der Vater bis zu seinem frühen Tod, , heraus-gibt.

Aufblickend von ihren Schreibpulten, sahen die eilferti-gen Übersetzer und Kontoristen entweder Militärparadenoder Marktbetrieb mit Schubkarren und diebischen El-stern.

Schumanns Kindheit fiel in die bewegte Zeit der napo-

leonischen Kriege. Im Geburtsjahr zog am Markt noch diefrisch begründete »Gensdarmerie« oder die reformierteArmee auf. Nach dem Brand von Moskau und der Zer-sprengung der Grande Armee durch Kosaken war auch dassächsische Kontingent aufgerieben und die Marseillaise einGrabgesang wie in Schumanns Heinelied von den Grena-dieren. Sachsen wurde besetzt, der König floh nach Prag,auf dem Markt exerzierten Davousts Truppen. Die Markt-leute schoben halbleere Schubkarren herum; schlechteErnte führte zur Hungersnot. Nach dem Wiener Kon-greß fiel ein Großteil Sachsens an Preußen, vor allem dieKorngebiete. Leipzig, Dresden und der erzgebirgischeKreis verblieben im Königreich. Der Brockhaus von

vermerkt trocken: »Der sächsische Nationalcharakter,durch geistige Kultur und feine Sitten veredelt, ist mehrfriedlich als kriegerisch, wie das bei einem Staate nicht an-ders sein konnte, der in allen neueren Kriegen verlorenhat.«

Der Knabe Robert kommt in die Pubertät und frönt der»Theaterpassion«, sieht die Stücke von Iffland und Kotze-bue, dem als russischen Spion verdächtigten und von ei-nem patriotischen Wirrkopf erstochenen Kleinstadtsatiri-ker, dessen Ermordung den preußischen, vorläufig nochösterreichisch überwachten Polizeistaat aktivierte, was inSchumann den antiautoritären Widerborst in allen Lebens-phasen wachhielt. Sein Kreislervorbild E. T. A. Hoffmann,der preußische Kammergerichtsrat, wurde noch auf demTotenbett von polizeilichen Invektiven wie von Flöhenzerstochen. War auf der Bühne hochrot die Leidenschaft,Liebe und Lamentation zu sehen, so öffneten die Bücherdie einsame Welt des Ideengewimmels eines Jean Paul. DieMondsucht und Sonnenaufgangsberauschung des Titan –»lies den Titan, oder ich tret dich« – wurden Teil des Le-

bensgefühls, das dann der geniale Jurastudent auf der Ita-lienreise ausagieren wird. Schumann war außerdem er-staunlich sprachbegabt. Schon der Sekundaner übersetztTheokrit, Horaz, Homer, und der Student bereitet sich aufseine Italienreise mit (noch unveröffentlichten) metrischkorrekten, reimbewahrenden, poetisch exquisiten Über-tragungen von fast zwanzig Petrarcasonetten vor. Nachdem Vorbild des Hainbunds gründet der Pennäler einen li-terarischen Verein, der das romantisch wilde Einzelgänger-tum im Freundessymposion einbinden will, wie später derin der Leipziger »Coffeebaum«-Ecke ausgeheckte Da-vidsbund Contre les Philistins dem Klaviertondichter undMusikzeitungskritiker nach dem Vorbild des Novalis-Schlegelschen »Athenäums«verbunds ein Forum schuf,dem der Insichgekehrte allerdings nur gleichsam in effigievorsaß; ein Club immerhin, den Schumann als Keimzelleeiner deutschen Gesellschaft verstand, die den Polizei-staat – preußisch, österreichisch, französisch, russisch –sanftmütig und stürmisch verdrängen sollte. Dabei bewieser bereits damals die programmatisch pedantische Um-sicht und allumfassende Weitsicht, die ihn später zur Lei-tung seiner Zeitschrift, seines Haushalts, seiner Komponi-stenkarriere, seiner Quartettmatineen, eines Orchestersund Chors und seines Biedermeierzirkels befähigen sollte –mit der träumerisch-nachtwandlerischen Unentwegtheit,die nicht gestört, nicht verstört werden durfte; sonstdrohte der Absturz vom schmalen Grat, vom Dach derWelt (er litt unter Höhenangst). Doch täuscht auch dasmythische Bild vom aufgestützten Träumer mit dem Grüb-chenkinn. Viel Berührungsangst erzwang schneckenhaftesZurückzucken. Dahinter staute sich Zornmut und An-griffslust. Im Stil der Zeit hätte er im Duell zum Mörderwerden können. Fast ärgerlich registriert er die Angst des

Backfischs Clara Wieck vor einem schönen Pantertier imZoo; raubtierhaft plagen ihn vor seinem Sturz in den RheinVisionen, in denen Engel zu Hyänen werden wie in gemal-ten Antoniusversuchungen. Verinnerlichte Gewalttätigkeitbei leiser Stimme und schleichendem Gang. Ohne dieswäre die unerhörte Leidenschaft nicht in seine Fantasie op., nicht der Überschwang in seinen Faschingsschwank,seine Rheinische Symphonie eingedrungen. Ohne dies nichtdie abrupten Sprünge und Brüche in seinen Strukturen.Schumann war gefährdet, potentiell war er auch gefährlichwie jeder Künstler, der neue Bahnen bricht, Konventionenverachtet und sprengt, seinem Eigenwillen Ausdruck ver-leiht.

Sechzehn Jahre alt, verliert Robert den Vater, der ihn alsMusensohn gefördert hatte: Er wollte mit ihm zu Carl Ma-ria von Weber reisen; zu spät, Weber starb im selben Jahrwie August Schumann, . Der Streicher-Flügel, den derVater für Robert angeschafft, und die Bibliothek, ein-schließlich der kleinen, von August selbst übersetzten By-ron-Bändchen, erinnerten den Sohn täglich an den frühenHinschied. Testamentarisch hatte August Schumann hell-sichtig bestimmt, daß von den Talern seines Vermö-gens ein Fünftel für die musische Ausbildung Roberts abge-zweigt, der Rest den drei Brüdern Carl, Eduard und Juliuszur Weiterführung des väterlichen Geschäfts bereitgestelltwerden sollte. Robert versetzte den Vater in sein Pantheon;sein jugendliches Bildnis mit den Geniefransen in der Stirnhing neben Jean Paul und Napoleon über dem Pult des Stu-denten. Napoleon, der den Älteren als Tyrann und Vater-landsverhinderer galt, wurde nach seinem Tod auf St. He-lena zum Mythos einer heroisch freiheitlichen Staats- undGesellschaftsutopie. Eine irische Jeanne d’Arc sprang vorder Verbannungsinsel – angeblich – ins Meer, um den Rat-

tenkaiser zu trösten oder zu entführen; sie sorgte unter demNom de Plume Lola Montez auch später noch für Wirbel beiKönigen, Dichtern und Musikern, beförderte die Revolu-tion in Bayern durch Amour Fou mit Ludwig I., nahm beiJustinus Kerner in Weinsberg – angeblich – Zuflucht,schenkte dem Dichter ein schönes Glas, tobte mit Lisztherum und randalierte mit Offizieren des Nachts über demHotelzimmer, wo Clara und Robert Schumann auf ihrerRußlandreise Schlaf suchten. Auch sie, mit Peitsche imReitkostüm, die glutvolle, kreolisch-irische pseudospani-sche Tänzerin, wurde zur mythischen Figur, neben Napo-leon wie eine Paganini-Caprice vis a vis der Eroica.

Auch Justinus Kerner, der dicke Doktor aus Weinsberg,war eine Märchenfigur, verhöhnt von Heine als »ein gro-ßer Narr, welcher Geister und vergiftete Blutwürste sieht,und einmal . . . erzählt hat, daß ein Paar Schuhe ganz allein,ohne menschliche Hilfe, durch das Zimmer gegangen sindbis zum Bette der Seherin von Prevorst. Das fehlt noch,daß man seine Stiefel des Abends festbinden muß, damitsie einem nicht des Nachts, trapp! trapp! vors Bett kom-men und mit lederner Gespensterstimme die Gedichte desHerrn Justinus Kerner vordeklamieren!«

Robert schrieb seine ersten Lieder, noch als Abiturient,auf Texte von Kerner, und die Hochzeitsvision des sterben-den Soldaten übertrug er als Angstmelodie in die»Aria« seiner großen, Clara gewidmeten Sonate op. . Dieseit Bürgers Lenore populäre Horrorvision der Totenhoch-zeit steigt vor Schumann, der »nicht alt« zu werden fürch-tete, in vielerlei Gestalt auf, noch im ersten Ehejahr ausden Eichendorffliedern. Kerner, der mit Storch, revolutio-närem Sohn, dem Atheisten David Strauß und der treuenRike auf der Gartenturmterrasse dem Wein zuspricht,wäre dann neben der Lola Capricciosa und dem Heros Na-

poleon der okkulte Biedermeier. In Jean Paul sah Schu-mann eher die Apotheose des Launigen, Heroischen undHeimlich-Unheimlichen in Hesperus, Titan und Flegeljahreeingewirkt. Als Student besucht er die Witwe und saß aufdes Meisters Kanapee.

Das Jahr war auch das Todesjahr einer SchwesterRobert Schumanns, der neunundzwanzigjährigen Emilie.Sie war schwer depressiv, auch wegen einer entstellendenHautkrankheit, und ertränkte sich im Fluß unterhalb derStadt. Die Folge für Schumanns Nächte: »ein Labyrinth derHöllenträume«. Doch merkwürdig auch die kühle, ver-drängende Selbstbehauptung des Siebzehnjährigen im Jah-resrückblick seines Tagebuchs: »Ich bin mir heller gewor-den. Woher das Licht? Ich habe Ansichten und Ideen überdas Leben bekommen.« Die Reflexion, die Erkenntnisseaus der Erfahrung gewinnt, fällt als Lichtschein vom Aus-gang des Höllenlabyrinths herein. Schumann tastet sichweiter. Immer mahnt er sich zur Besonnenheit; seine Ruheund würdige Haltung in Krisensituationen ist bezeugt.Clara Wieck bewundert seine Standhaftigkeit im Prozeßgegen ihren Vater; Tochter Eugenie hat ihn nur einmalweinen und die Hände ringen sehen – am Krankenbett derMutter. Lebensleitende Maximen, auch wenn sie jetzt stattaus biblischen aus literarischen und philosophischen Quel-len abgeleitet wurden, fingen den Rückfall in Schwermutund Desorientierung immer wieder auf. Auch ein be-trächtliches Maß an Lebenslust und Genußfähigkeit spieltmit: »Ist es nicht schrecklich genug, eines solchen Men-schen, eines . . . lieblichen Dichters, feinen Menschenken-ners, tüchtigen Geschäftsmannes, eines Vaters beraubt zuseyn: warum soll man da den Schmerz nicht in der Lust zuvergessen suchen, warum nicht in heiterer Gesellschaftauch heiter seyn?«

Die Mutter kennt dieses Hellerwerden nicht. Sie sitzt imFenster, wie viele Kleinstadtfrauen, und schaut auf den lee-ren Platz hinaus. Robert tröstet sie mit der Vorstellung,wie aus allen Gassen ihre Schwiegertöchter herbeieilen mitObstkorb und Enkelkind an der Hand; aber sie verharrt inder autoritätsbedürftigen Sorgenhaltung der Witwe, dieden Gatten um zehn Jahre überlebt, die nicht nur den Toddes Mannes, sondern den Tod der Tochter Emilie, desSohns Julius und einer Schwiegertochter verwinden muß;dazu das Sorgenkind, der Musensohn Robert, der ihr instupender Aufrichtigkeit nichts erspart. Seine sporadischeTrunksucht, seine wechselnden Bräute, seine Schuldenund seinen Ekel vor Jurisprudenz – alles gesteht er ihr inseinen Briefen mit rücksichtsloser Offenheit. Sie nimmt esseufzend hin. Sie versteht seine Musik besser, als ihre Be-scheidenheit es wahrhaben will. Den Septakkord amSchluß der Papillons, der sich allmählich, Ton um Ton, hin-weghebt, wie Vult am Ende der Flegeljahre mit seinem Flö-tenspiel – Johanna Christiane Schumann hört aus jedemschwindenden Ton ein verfallendes Lebensjahr heraus. Siehat beim Anhören Tränen in den Augen. Der »Wirbelrei-gen« der Papillons mit den harten Übergängen flegelt nichtnur a la Jean Pauls Maskenfest, sondern schillert auch inden Farben der »Götter Griechenlands«: »Galoppe« und»Cotillon« verknüpft der Poet »Robert von der Mulde«munter mit dem »Gordischen Band«, Sappho und Phaon:»Heiter verschlingt sich das tanzende Räthsel / Schaarenerscheinen und Schaaren entfliehen.«

Die Angst um die verlorene Zeit nimmt bei Robert frühpanikartige Form an – »mir ist oft, als wär ich todt«. DasVergangene sitzt ihm wie ein Alb auf der Brust und ist dochungreifbar. Das Verlorene ist zugleich das Versäumte, dasNichtwiedergutzumachende. Schumann leidet früh an

Schuldkomplexen. Die Entzweiung in Doppelgänger nachdem Vorbild Jean Pauls und Hoffmanns reißt am Selbst-gefühl. In den Elixieren des Teufels wird der Doppelgängerzum würgenden Huckepack, und Schumann schreibtschon in seine Hottentottiana: »Dem Menschen sey esangeboren, das Gute eher zu vergessen, als das Böse.« Und: »Die Vergangenheit ist der Würgengel der Gegen-wart und jede Minute eine Selbstmörderin, aber eineeinzige schöne Minute mordet außer sich noch Millionenihrer künftigen Schwestern.« Diese Art des melancholi-schen Existentialismus dringt auch in Schumanns Musikein, das wehmütige oder auch eigensinnige Bestehen aufeinmal gefundenen Motivformeln, die Abneigung gegenverändernde und entwickelnde Durchführungen, das un-heimliche, unvermittelte Auftauchen emotional beladenerErinnerungsfragmente, das fragende In-der-Luft-Hängenmancher Schlüsse (wie in der Fughette op. ,), alles dasentspricht einem Lebensgefühl, das aus dem Argwohn auf-stieg, die Welt sei bodenlos, abgründig, weglos, böse. Soklingt auch die Eichendorffsche Mahnung des »Hüte dich,sei wach und munter« in Schumanns Vertonung in ihremunbegleiteten Abfall und Aufwärtstasten hohl und hoff-nungslos.

Nach dem mit »omnino dignus« bestandenen Abiturdrängten Vormund, Mutter und ältester Bruder auf einBrotstudium. Auch Goethe hat schließlich Jura studiert,und als Musiker ist Robert Dilettant geblieben, im Gegen-satz zu Fanny und Felix Mendelssohn z. B., den Genera-tionsgenossen, die als Komponisten und Virtuosen jederprofessionellen Anforderung gewachsen waren. In demJahr, als Robert Schumann in Leipzig das Pandektenstu-dium aufnahm, führte Mendelssohn in Berlin die hundertJahre lang vergessen gebliebene Matthäuspassion von Bach

öffentlich auf, und die Matineen seiner Schwester im Gar-tensaal des Elternhauses waren europaweit berühmt. Felix,nur ein Jahr älter als Schumann, hatte bereits zwölf Strei-chersymphonien, Kammer- und Klaviermusik, das hinrei-ßende Oktett und die Sommernachtstraumouverture in seinerWerkliste. Auch Fanny, der als Frau das öffentliche Wirkenerschwert wurde, schrieb, ermutigt von ihrem gänzlichunmusikalischen Mann, dem Maler Wilhelm Hensel, Hun-derte von Klavierstücken (die auch heute noch erst zu ei-nem Bruchteil veröffentlicht sind) schon in den zwanzigerJahren.

Schumann dagegen fühlte sich »hinausgeworfen in dasDasein« und stürzte sich in das Studentenleben in Leipzig,fern der »süßen Heimat«. Sein Kopf »zankt mit seinemunlustigen Herzen, ficht und flucht« – den Freund undZimmernachbarn schimpft er »Klostoffel« und »Schweine-hund« – und findet zugleich Duelle als »Schißproben« ver-werflich sowie auch den Ton, »der an Gemeinheit und Tri-vialität« grenze. Er trinkt sich mit Bier und Champagner indie »Knillität« und mahnt sich zu edler Nüchternheit, zu»Kraft und Milde«. Die »Geldfatalitäten« nehmen zu, undder Vormund trägt am Ende der zwei wilden Jahre einenSchuldenberg ab. Als Burschenschafter läßt er sich portrai-tieren, haßt aber zugleich die »Deutschthümelei« – seinefrühen Kompositionen tragen noch bis Mitte der dreißigerJahre, verlegerischer Konvention entsprechend, französi-sche Titel. Er gibt sich a la Byron, Heine und Grabbe sarka-stisch und zerrissen. Die Kollegien besucht er nicht, erraucht Zigarren – zehn Jahre später wird er als früherDampfwagenpassagier zu seinem Ärger deswegen zu-rechtgewiesen.

Doch inmitten der »burschikosen Studentenextremitä-ten« bewahrt er ein »friedliches Herz«, bangt um »Schmet-

terlingsstaub« und »Psycheflügel«, fürchtet Ermattung undSturz und erwartet Rettung von der »crystallenen Seele derFrauen«.

Er lernt im Haus des Arztes und UniversitätsprofessorsErnst August Carus ein »schönes bleiches Mädchen« ken-nen, Agnes Carus, des Professors Frau, die Beethovens Zy-klus An die ferne Geliebte mit dem jungen Phantasten probt.Schumann verehrt sie träumerisch als »Ewigersehnte«;doch die Beethovenzitate in seiner Fantasie op. geltendann einer anderen Frau. Im Hause Carus lernt Schumannden Klavierhändler und -lehrer Friedrich Wieck kennen,bei dem er auch Unterricht nimmt. Am . Dezember

hört Schumann zu seiner »Bestürzung« von Schuberts Tod;den Tag zuvor spielte er noch den schwierigen Part inSchuberts Es-Dur-Trio, wie auch drei Tage später beiWieck, der sich zur Nacht betrinkt, im Verlauf einer ausge-lassenen Tanzerei. Zuvor aber setzt sich ein Kind mit sei-nem Vater an den Flügel – sie spielen das Rondo mignon vonCzerny. Das neunjährige Mädchen heißt Clara Wieck undwird an diesem Tag zum ersten Mal in Schumanns Tage-buch erwähnt. Erst um drei Uhr früh findet Robert in seineBude zurück: »exaltierte Nacht und das ewige Schubert-sche Trio vor den Ohren – fürchterliche Träume –.«