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Available online at www.sciencedirect.com Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) 105 (2011) 585–589 Schwerpunkt Integrierte regionale Versorgung in der Praxis: Ein Werkstattbericht aus dem ,,Gesunden Kinzigtal‘‘ Helmut Hildebrandt 1 , Gwendolyn Schmitt 1,, Dr. Monika Roth 1 , Dr. Brigitte Stunder 2 1 Gesundes Kinzigtal GmbH, Haslach 2 Arztpraxis Dres. Stunder, Zell a.H Zusammenfassung Das integrierte regionale Versorgungsmodell ,,Gesundes Kinzigtal‘‘ verfolgt die Idee einer integrierten Versorgung mit der Ausrichtung auf die Ver- mehrung des Gesundheitsnutzens der betroffenen Population: Ärzte und Psychotherapeuten, Physiotherapeuten, Kliniken und Krankenhäuser, Pfle- gedienste, Vereine, Fitnessstudios und Krankenkassen arbeiten dazu eng mit einer regionalen Managementgesellschaft und deren Präventions- und Versorgungsmanagementprogrammen zusammen. Die Gesundes Kinzigtal GmbH ist eine Gemeinschaftsgründung des Me- dizinischen Qualitätsnetzes Ärzteinitiative Kinzigtal (MQNK) e.V. und der auf integrierte Versorgung spezialisierten OptiMedis AG. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, Gesundheitskosten zu senken, Prävention zu fördern und gleichzeitig die medizinische Versorgung regional nachhaltig zu verbessern. Dieser ,,Werkstattbericht‘‘ beschreibt die besondere Form der Finanzierung, die Einbindung der Patienten und die Präventions- und Gesundheitsange- bote im Kinzigtal. Die Gesundes Kinzigtal GmbH übernimmt dabei die Op- timierung der Versorgungssteuerung. Programme und Projekte werden in interdisziplinären Teams entwickelt, umgesetzt und evaluiert. Schlüsselwörter: integrierte Vollversorgungssysteme, populationsbezogene Versorgung, Nutzenbewertung der Gesundheitsversorgung, chronische Erkrankung, Gesundheitsförderung, Programmevaluation Implementing population-based integrated care for a region: A work-in-progress report on the project ‘‘Gesundes Kinzigtal’’ Abstract The regional integrated care model ‘‘Gesundes Kinzigtal’’ pursues the idea of integrated health care with special focus on increasing the health gain of the served population. Physicians (general practitio- ners) and psychotherapists, physiotherapists, hospitals, nursing ser- vices, non-profit associations, fitness centers, and health insurance companies work closely together with a regional management com- pany and its programs on prevention and care coordination and enhancement. The 10 year-project is run by a company that was founded by the physician network ‘‘MQNK’’ and ‘‘OptiMedis AG’’, a corporation with Korrespondenzadresse. Gwendolyn Schmitt, Gesundes Kinzigtal GmbH, Strickerweg 3d, 77716 Haslach, Tel.: +07832-974 89-0 oder -29. E-Mail: [email protected] (G. Schmitt). Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) doi:10.1016/j.zefq.2011.09.003 585

Integrierte regionale Versorgung in der Praxis: Ein ... · Starkes Herz Hausärztlich geführtes Programm mit geschulten Case ... Psycho akut Kurzfristige ... ein Gesundheitsnutzen

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Available online at www.sciencedirect.com

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) 105 (2011) 585–589

Schwerpunkt

Integrierte regionale Versorgung inder Praxis: Ein Werkstattberichtaus dem ,,Gesunden Kinzigtal‘‘Helmut Hildebrandt1, Gwendolyn Schmitt1,∗, Dr. Monika Roth1, Dr. Brigitte Stunder2

1Gesundes Kinzigtal GmbH, Haslach2Arztpraxis Dres. Stunder, Zell a.H

ZusammenfassungDas integrierte regionale Versorgungsmodell ,,Gesundes Kinzigtal‘‘ verfolgtdie Idee einer integrierten Versorgung mit der Ausrichtung auf die Ver-mehrung des Gesundheitsnutzens der betroffenen Population: Ärzte undPsychotherapeuten, Physiotherapeuten, Kliniken und Krankenhäuser, Pfle-gedienste, Vereine, Fitnessstudios und Krankenkassen arbeiten dazu engmit einer regionalen Managementgesellschaft und deren Präventions- undVersorgungsmanagementprogrammen zusammen.Die Gesundes Kinzigtal GmbH ist eine Gemeinschaftsgründung des Me-dizinischen Qualitätsnetzes Ärzteinitiative Kinzigtal (MQNK) e.V. und der

auf integrierte Versorgung spezialisierten OptiMedis AG. Sie hat sichzum Ziel gesetzt, Gesundheitskosten zu senken, Prävention zu fördernund gleichzeitig die medizinische Versorgung regional nachhaltig zuverbessern.Dieser ,,Werkstattbericht‘‘ beschreibt die besondere Form der Finanzierung,die Einbindung der Patienten und die Präventions- und Gesundheitsange-bote im Kinzigtal. Die Gesundes Kinzigtal GmbH übernimmt dabei die Op-timierung der Versorgungssteuerung. Programme und Projekte werden ininterdisziplinären Teams entwickelt, umgesetzt und evaluiert.

Schlüsselwörter: integrierte Vollversorgungssysteme, populationsbezogene Versorgung, Nutzenbewertung der Gesundheitsversorgung, chronischeErkrankung, Gesundheitsförderung, Programmevaluation

Implementing population-based integrated care for a region: A work-in-progress reporton the project ‘‘Gesundes Kinzigtal’’

AbstractThe regional integrated care model ‘‘Gesundes Kinzigtal’’ pursues theidea of integrated health care with special focus on increasing thehealth gain of the served population. Physicians (general practitio-ners) and psychotherapists, physiotherapists, hospitals, nursing ser-vices, non-profit associations, fitness centers, and health insurance

companies work closely together with a regional management com-pany and its programs on prevention and care coordination andenhancement.The 10 year-project is run by a company that was founded by thephysician network ‘‘MQNK’’ and ‘‘OptiMedis AG’’, a corporation with

∗Korrespondenzadresse. Gwendolyn Schmitt, Gesundes Kinzigtal GmbH, Strickerweg 3d, 77716 Haslach, Tel.: +07832-974 89-0 oder -29.E-Mail: [email protected] (G. Schmitt).

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public health background specializing in integrated health care. Theaim of this project is to enhance prevention and quality of health carefor a whole region in a sustainable way, and to decrease costs ofcare.

The article describes the special funding model of the project, the enga-gement of patients, and the different health and prevention programmes.The programmes and projects are developed, implemented, and evaluatedby multidisciplinary teams.

Key words: Integrated health care systems, population-based care, outcome assessment (health care), chronic disease, health promotion, programmeevaluation

EinleitungIm Rahmen des regionalen Versor-gungsmodells ,,Gesundes Kinzigtal‘‘wird seit Anfang 2006 bezogen aufeine definierte Region in Südbaden eineintegrierte Vollversorgung entwickelt.Integrierte Vollversorgung meint da-bei die Übernahme der vertraglich in§ 140b SGB V geregelten Versor-gungsverantwortung für alle ca. 31.000Versicherten von zurzeit zwei Kran-kenkassen (AOK Baden-Württembergund LKK Baden-Württemberg). DieManagement- und Trägergesellschaftist die ,,Gesundes Kinzigtal GmbH‘‘,eine Gemeinschaftsgründung des Me-dizinischen Qualitätsnetzes Ärzteinitia-tive Kinzigtal (MQNK1) e.V. und derauf integrierte Versorgung spezialisier-ten OptiMedis AG2 aus Hamburg mitspezieller Expertise in Public Health.

Konzept und Organisationdes VersorgungsmodellsDie Managementgesellschaft trägt dieOrganisationsverantwortung für denAufbau und den Ablauf des Projekts,die Reorganisation der Versorgungs-abläufe und für die Optimierung derVersorgungssteuerung der eingeschrie-benen Versicherten. Sie verhandeltmit den regionalen Leistungspartnern,schließt Leistungserbringerverträge abund arbeitet an der Weiterentwicklungder beteiligten Praxen. Auch plant siedie einzelnen Projekte, wie z.B. die di-versen Präventions- und Gesundheits-förderungsangebote, und organisiertdazu Kooperationen mit Dritten, wieVereinen, Kommunen, Stiftungen oderauch Unternehmen. Sie überwachtden Aufbau und die reibungslose

1 Vgl. www.mqnk.de.2 Vgl. www.optimedis.de.

Funktionalität der elektronischen Kom-munikation und vereinbart die not-wendige wissenschaftliche Begleitung.Dabei ist sie Bindeglied und Puffer zwi-schen den verschiedenen Berufsgrup-pen genauso wie zwischen Patient,Leistungserbringer und Kassen.Die Managementgesellschaft Gesun-des Kinzigtal GmbH übernimmt jedochnicht die Funktion der Krankenkassenals Kostenträger. Die klassischen Ab-rechnungswege werden nicht verlassen,sondern ergänzt: Die beteiligten Ärz-ten erhalten Zusatzvergütungen für ge-nau definierte Leistungen, um die am-bulante vor der stationären Leistungser-bringung zu begünstigen.

Finanzierung desVersorgungsmodellsDer Versorgungsvertrag des ,,GesundenKinzigtals‘‘ beinhaltet eine Reihe vonInnovationen; die außergewöhnlichsteist das Finanzierungsmodell. Der wirt-schaftliche Ertrag der GmbH entstehtnicht aus der Anzahl der erbrachtenLeistungen, sondern aus dem erziel-ten Gesundheitsnutzen für die Bevöl-kerung der Region; entscheidend istdie Entwicklung des Deltas der Versor-gungskosten der beteiligten Kranken-kassen für alle Versicherten der Re-gion gegenüber den Einnahmen derKrankenkassen für diese (Zuweisun-gen aus dem Gesundheitsfonds ent-sprechend der Populationszusammen-setzung). Dieses Delta wird verglichenzu der Zeit vor der Intervention. Derwirtschaftliche Antrieb für Leistungser-bringer und Trägergesellschaft bestehtinsofern in der Entwicklung geringe-rer Gesundheitsversorgungskosten (z.B.weniger stationär zu behandelnde Ent-gleisungen) als sie deutschlandtypischsich entwickeln. Investitionen in die

Verbesserung der Gesundheit der Be-völkerung, sei es durch medizinischeoder soziale Aktivitäten, durch Auf-klärung, Bewegungskampagnen oderProgramme für besonders benachtei-ligte Bevölkerungsgruppen, werden da-mit zu lohnenden Maßnahmen [1]. Ent-scheidend ist, möglichst treffsicher undpreiswert in Primär- und v.a. Sekun-därprävention zu investieren, um einenlangfristigen Nutzen zu erreichen. Einewesentliche Voraussetzung dafür ist dielange (zehnjährige) Laufzeit des Ver-trags zwischen der Gesundes KinzigtalGmbH und den Krankenkassen. Durchdie langfristige Ausrichtung des Ver-tragsschlusses ist ein Anreiz gegeben, indie Nachhaltigkeit des Gesundheitsnut-zens zu investieren und nicht nur einekurzsichtige Kostensenkungspolitik zubetreiben.

Evaluation desVersorgungsmodellsDie Gesundes Kinzigtal GmbH erhältvon den beteiligten Krankenkassen dieGKV-Routinedaten in pseudonymisier-ter Form versichertenbezogen zur Aus-wertung und Analyse zugestellt. Aufdiese Weise können Fehlversorgungenaufgedeckt, Priorisierungen vorgenom-men und (Erfolgs-)kontrollen der Pro-gramme durchgeführt werden. Dafürwurde ein eigenes Rechenzentrum auf-gebaut. In Ergänzung zum laufendeninternen Controlling wurde auch eineexterne wissenschaftliche Evaluation inAuftrag gegeben [2].

Versorgungeingeschriebener PatientenPatienten, die sich in das Versor-gungsmodell ,,Gesundes Kinzigtal‘‘einschreiben, können einen von 53

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www.elsevier.de/zefq

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teilnehmenden Ärzten und Psycho-therapeuten auswählen, der für sieals Arzt des Vertrauens die Behand-lung koordiniert. Nach dem salutoge-netischen Prinzip [3] werden die Pa-tienten bei der Einschreibung zu ih-ren gesundheitlichen Zielvorstellungenund ihren Erfahrungen mit der Be-wältigung von Einschränkungen be-fragt. Zusätzlich erfolgt eine erweiterteCheck-Up-Untersuchung, um schließ-lich gemeinsam das individuelle Ent-wicklungspotenzial und entsprechendeBehandlungsziele herauszuarbeiten.Die teilnehmenden Ärzte wurdendazu in der Shared-Decision-Making(SDM)-Methode [4,5] geschult. ZumErreichen dieser (Ziel)-Vereinbarungenzwischen Arzt und Patient werden u. a.die in den bisher knapp fünf Jahre Lauf-zeit für die Teilnehmer entwickeltenGesundheitsprogramme der GesundesKinzigtal GmbH genutzt (siehe Tabelle1). Durch die spezifische Auswahl derangebotenen Programme fühlten sichanfänglich vor allem von chronischenErkrankungen betroffene Patienten an-gesprochen, inzwischen hat sich durchdie Ausweitung der Angebote der Kreisder Mitglieder vergrößert.Das medizinische Gesamtkonzept ori-entiert sich am ,,Chronic Care-Modell‘‘(CCM), das eine gezielte Aktivierungund Kompetenzsteigerung des Patien-ten bezüglich seiner Erkrankung mit ei-nem Organisationsentwicklungsprozessin den Arztpraxen, einer Kompetenz-entwicklung für das medizinische Fach-personal und einer Einwirkung auf dasUmfeld verbindet [6,7].Inzwischen nehmen insgesamt über250 Partner - Ärzte und Psycho-therapeuten, Kliniken, Physiotherapeu-ten, ambulante Pflegedienste, Pflege-heime, Apotheken, sozialpsychiatrischeEinrichtungen, Sportvereine und Fit-nessstudios und Selbsthilfegruppen – andem Versorgungsmodell teil, mit demgemeinsamen Interesse, die Gesund-heitsversorgung im Kinzigtal zu verbes-sern [9].Mehr als 8.200 Versicherte der AOKBaden-Württemberg und der LKKBaden-Württemberg sind als Mit-glieder mit definierten Mitbestim-mungsrechten eingeschrieben. DieEinschreibung der Patienten in das

Versorgungsmodell durch die Arztpra-xen wird dabei nicht forciert. Den Pa-tienten wird das kostenfreie Angebotder Mitgliedschaft gemacht, aber nichtaufgedrängt. Auf jegliche Einschrän-kung der Wahlfreiheit des Patientenwird verzichtet. Ob er Mitglied wirdund zu welchem Arzt bzw. in welchesKrankenhaus er geht, bleibt ihm frei-gestellt. Die Initiatoren des Modells er-warten, dass die Patienten aufgrundder erlebten Verbesserungen der Ver-sorgungsqualität zunehmend die Ver-bundpartner nutzen werden. Die Wahl-freiheit wird als ein produktiver Anreizund Ansporn für die teilnehmendenÄrzte betrachtet, in die eigene Qualitätzu investieren und den Patienten eineoptimale Versorgung zu bieten. DieseSichtweise wird von Erfahrungen inden USA bestätigt, wo restriktive Mo-delle von Managed Care inzwischenauf erhebliche Ablehnung stoßen [10].

Erste Erfahrungen mit derImplementierung desVersorgungsmodells: Ziele,Voraussetzungen undHerausforderungenVier zentrale Probleme der heutigenForm der Gesundheitsversorgung wer-den mit dem Projekt adressiert:

1. Entgegen der heute herrschendenParzellierung der Versorgungsver-antwortung (begründet durch diesektorale Finanzierung) wurde eineneue regionale Verantwortungs-ebene geschaffen, die aufgrund ei-nes integrierten Versorgungsvertra-ges ein ökonomisches Interesse aneiner Optimierung der Gesamtver-sorgung über alle Sektoren hinwegschafft.

2. Entgegen dem heutigen Interessean einer Leistungsmaximierung imSinne einer einzelwirtschaftlichen Er-tragsoptimierung hat diese neue Ver-antwortungsebene Interesse an ei-ner Maximierung von Gesundheits-ergebnissen und einer langfristigenrelativen Kostensenkung.

3. Entgegen dem heutigen Medikali-sierungsinteresse in der Leistungser-bringung legt diese neue regionale

Verantwortungsebene den Fokus aufdie Unterstützung der Selbstmana-gementfähigkeiten der Betroffenenund die Gesundheitsförderung.

4. Entgegen der heutigen eher aufkurzzeitige Effekte angelegten Ver-sorgung hat diese neue regionaleVerantwortungsebene aufgrund ih-res vertraglich auf lange Zeit (10Jahre) ausgerichteten Vertragswerksein Interesse an gezielten nachhalti-gen Investitionen in Prävention undVersorgungsoptimierung für die re-gionale Bevölkerung.

Die Herausforderungen eines solchenProjekts sind immens. Die Beteilig-ten sind sich bewusst, dass einumfassender Entwicklungsprozess not-wendig ist, der sowohl eine Ände-rung der Praxiskultur als auch eineReorganisation umfasst. Naturgemäßsind dabei das Entwicklungstempo inden Arztpraxen, wie auch der Nut-zungsgrad der zur Verfügung gestell-ten Instrumente und Schulungen sehrunterschiedlich.Die Managementgesellschaft unterhältfür die Unterstützung und Umsetzungihrer Aufgaben und Ziele eine eigeneGeschäftsstelle mit inzwischen ca. 12Vollkraftstellen, die ein breites Qualifi-kationsprofil umfassen (Public Health,Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft,Sportwissenschaft, Pflege, Home Care,Ergotherapie, medizinisches und kauf-männisches Assistenzpersonal). Die Mit-arbeiter der Geschäftsstelle stellen dasBindeglied und den Motor des Entwick-lungsprozesses dar und gewährleis-ten durch die stetige Kommunikationmit allen Beteiligten die Entwicklungeiner interprofessionellen Kooperation,,auf Augenhöhe‘‘. Das Aufgabenspek-trum reicht von der Datenanalyse und–auswertung, Planung und Strukturie-rung der Gesundheitsprogramme, Öf-fentlichkeitsarbeit, IT-Synchronisation,Qualitätsmanagement in Praxen undGeschäftsstelle, Erhebung von Qua-litätsindikatoren über die Arbeit mitKommunen, Vereinen und Selbsthil-fegruppen bis hin zur Sicherung desmedizinischen Nachwuchses für dieRegion.Seit Ende 2009 sind 95% der teilneh-menden Ärzte über eine elektronische

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Tabelle 1. Angebot an Gesundheits- und Präventionsprogrammen im Versorgungsmodell ,,Gesundes Kinzigtal‘‘.

Programm Inhalt Zielgruppe Ziele

Starkes Herz Hausärztlich geführtes Programm mit geschulten Case Managerinnen odertelemedizinisch unterstütztes Programm mit Telecoaches

Patienten mit Herz-insuffizienz Reduktion von Klinikeinweisungenund Mortalität, Erhöhung vonLebensqualität

Gesundes Gewicht Quartalsweise ärztliche Untersuchungen, Bewegungsförderung,Ernährungsberatung, Verhaltenstherapie.

Patienten mit Übergewicht Diabetes-Präventionsangebot

Rauchfreies Kinzigtal 8 ärztliche Beratungstermine über ein Jahr plus Auswahl einer geeignetenEntwöhnungsmethode (Verhaltenstherapie, Akupunktur, Hypnose, Medikation)

Aufhörwillige Raucher Raucherentwöhnung

AGiL– AktiveGesundheits-förderung imAlter [8]

Gruppenschulung, individueller Informationsteil (Bewegungs-förderung,Ernährungsberatung, Organisation von sozialen Kontakten, Arzneimittelrisiken)durch geriatrisches Fachpersonal, Sozialpädagogen, Ernährungs- undBewegungstherapeuten

Ältere Patienten Prävention altersbedingterGesundheitsrisiken

Psycho akut Kurzfristige Vorstellung außerhalb des normalen KV-Verfahrens beiärztlichen/psychologischen Psychotherapeuten (max. 7 Therapiestunden/Patient)

Patienten in akuten psychischenKrisen

schnelle Hilfe bei Angststörungen,Depressionen, posttraumatischeStörungen, etc.

Starke Muskeln – FesteKnochen

Bewegungsförderung, Ernährung, leitliniengemäße Medikation, Training fürAngehörige, Knochendichte-Messung (DXA)

Osteoporose-patienten und ihreAngehörigen

Prävention von Frakturen beiOsteoporose

Amblyopie Früherkennungsuntersuchung auf Sehschwächen (in Abstimmung mit denKinderärzten durch Augenärzte durchgeführt)

Kinder Früherkennung und Prävention vonSehschwächen

Ärzte plus Pflege Absprachen zwischen Pflegepersonal und Hausarzt, regelmäßige Visiten nachLeitlinie, erweiterte Rufbereitschaft

Pflegeheim-bewohner Optimierung der Versorgung

Gut verbunden – WundnetzKinzigtal

Fachübergreifendes Vorgehen durch behandelnden Arzt, Pflegeteam undexternen Wundexperten

Patienten mit chronischen Wunden Unterstützung beiDurchblutungsstörungen in denBeinen und Dekubitus

Besser gestimmt - dieDepression im Griff

Regelmäßige Kontaktaufnahme durch geschulte Praxismitarbeiterinnen,festgelegte Assessments, mehr Zeit für Betreuung

Patienten mit Depression depressive Episoden schnellererkennen und behandeln

Starker Rückhalt – Meingesunder Rücken

Gruppenangebot nach bio-psycho-sozialem Ansatz mit Edukation, Training undpraktischen Übungen über ein halbes Jahr

Patienten mit wiederkehrendenRückenschmerzen

Weitergehende Progression undChronifizierung desRückenschmerzes vermeiden

Rationale Antibiotikatherapie Focusierung des Antibiotikaeinsatzes auf die Patienten, bei denen dadurch auchein Gesundheitsnutzen zu erwarten ist insb. bei Otitis media, Harnwegsinfekt,Bronchitis, COPD, Pharyngitis/Tonsillitis

Infekte bei Kindern undJugendlichen sowie Erwachsenen

Vermeidung vonAntibiotikaresistenzen

Im Gleichgewicht – MeinenBlutdruck im Griff

Optimierung der Hypertonie und frühzeitige Einbeziehung der nephrologischenKompetenz zur besseren Bewältigung der Chronic Kidney Disease

Bluthochdruckpatienten,CKD-Patienten

Prävention der Dialysepflichtigkeit

Beweglich bleiben – Rheumafrühzeitig behandeln

Früharthritissprechstunde in enger Zusammenarbeit zwischen Hausärzten,Orthopäden und Rheumatologen

Patienten mit Verdacht aufrheumatoide Arthritis

Frühzeitiger Therapiebeginn mitChance auf Remission

Befreiende Töne - ImEinklang durch Musik

musiktherapeutische Optimierung der Selbstmanagementfähigkeit beichronischen Schmerzen – als Teststudie

Chronische Schmerzpatienten Wiederherstellung der körperlichen,psychischen, sozialen undberuflichen Funktionsfähigkeit

TigerKids, PowerKidsScienceKids

Präventionsangebote gemeinsam mit den Krankenkassen Kinder und Jugendliche Altersgerechte Bewegungsangebotefür adipöse Kinder u. Jugendliche

Sozialer Dienst Beratung, Informationen, Gesprächsvermittlung etwa mit Arbeitgebern oderstaatlichen Behörden.

Mitglieder in sozialenKonflikt-situationen

Unterstützung nach Erkrankung, beiSuchterkrankung Angehöriger, etc.

Disease ManagementProgramme (DMP)

Diabetes mellitus, Koronare Herzkrankheit (KHK), Brustkrebs, Asthma/COPD Patienten mit DMP-Erkrankungen Strukturierte Behandlung

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Gesundheitsakte technisch miteinan-der vernetzt, in die die Behandlungs-daten aus allen Praxisverwaltungspro-grammen integriert sind. Die Ärzte kön-nen die Akte mit Erlaubnis des Patienteneinsehen, indem dieser ihnen seine miteinem elektronischen ,,Schlüssel‘‘ verse-hene Karte gibt. Die Vorbereitungsar-beiten für dieses Projekt haben runddrei Jahre gedauert, und dennoch be-ginnt jetzt erst die wirkliche Heraus-forderung: Zusätzlich zur technischenRealisation ist nun einerseits die Ein-bindung in die Ablaufprozesse der Pra-xen erforderlich und andererseits eine,,kulturelle Entwicklung‘‘: Die gemein-same Patientenakte macht Diagnostik,Verordnungsweise und Therapiemaß-nahmen untereinander einsehbar undsetzt damit ein erhebliches Vertrauens-verhältnis zwischen den Teilnehmernvoraus.

Literaturverzeichnis[1] Hildebrandt H, Hermann C, Knittel R,

Richter-Reichhelm M, Witzenrath W. Ge-sundes Kinzigtal Integrated Care: Impro-ving population health by a shared healthgain approach and a shared savings con-tract. International Journal of IntegratedCare 2010;10:1–15.

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[3] Antonovsky A, Franke A. Salutogenese: ZurEntmystifizierung der Gesundheit. Tübin-gen: dgvt- Verlag; 1997.

[4] Härter M, Loh A, Spies C (Hrsg.). Gemein-sam entscheiden, erfolgreich behandeln.Neue Wege für Ärzte und Patienten im Ge-sundheitswesen. Köln: Deutscher Ärztever-lag; 2005.

[5] Scheibler F, Pfaff H (Hrsg.). SharedDecison-Making. Der Patient als Partnerim medizinischen Entscheidungsprozess.Weinheim: Juventa; 2003.

[6] Wagner EH. Chronic disease management:What will it take to improve care for chronicillness? Eff Clin Pract 1998;1(1):2–4.

[7] Gensichen J, et al. Die Zukunft ist chro-nisch:Das Chronic Care Modell in der deut-schen Primärversorgung. Übergreifende Be-handlungsprinzipien einer proaktiven Ver-sorgung für chronisch Kranke. Z ärztl Fort-bild Qual Gesundh wes 2006;100:365–74.

[8] Albertinen-Diakoniewerk e. V. Gesund-heitsförderung im Alter. Deutscher Präven-tionspreis 2005; 24-29. Verfügbar unterhttp://www.bertelsmann-stiftung.de/bst/en/media/albertinen.pdf [10/2010].

[9] Hermann C, Hildebrandt H,Richter-Reichhelm M, Schwartz FW,Witzenrath W. Das Modell ,,Gesundes Kin-zigtal‘‘. Managementgesellschaft organi-siert Integrierte Versorgung einer definier-ten Population auf Basis eines Einsparcon-tractings. Gesundheits- und Sozialpolitik2006;60:1–29.

[10] Amelung VE, Deimel D, Reuter W et al(Hrsg.). Managed Care in Europa. Berlin:MWV Medizinisch Wissenschaftliche Ver-lagsgesellschaft; 2009.

MagazinS3 Leitlinie/NVL Unipolare Depression: Kurzfassung auch aufEnglisch

Die Kurzfassung der S3 Leitlinie/NVL UnipolareDepression ist Mitte August auf Englisch er-schienen. Damit werden die Empfehlungen ei-nem internationalen Publikum zur Verfügunggestellt.Im November 2009 war die S3-Leitlinie/NVLUnipolare Depression veröffentlicht worden.Seit 2005 hatten Experten aus 28 Fachgesell-schaften und Organisationen sowie Vertretervon zwei Patientenorganisationen unter Fe-derführung der Deutschen Gesellschaft fürPsychiatrie, Psychotherapie und Nervenheil-kunde (DGPPN) die Handlungsempfehlungenerarbeitet.

Meilenstein in der Versorgung

Depressive Störungen gehören zu den häu-figsten Beratungsanlässen und Erkrankun-gen. Die S3-Leitlinie/NVL Unipolare Depres-sion formuliert in 107 Empfehlungen Behand-

lungsstandards, die dem besten derzeit ver-fügbaren medizinischen Wissen entsprechen.Darüber hinaus legt sie einen Schwerpunktauf die Vernetzung der Behandlung, indemsie die Schnittstellen der interprofessionellenVersorgung definiert.

Das Programm für NationaleVersorgungsLeitlinienDas Programm für Nationale Versorgungs-Leitlinien steht unter der Trägerschaft vonBundesärztekammer, Kassenärztlicher Bun-desvereinigung und der Arbeitsgemeinschaftder Wissenschaftlichen Medizinischen Fach-gesellschaften. Mit der Durchführung wurdedas Ärztliche Zentrum für Qualität in der Me-dizin beauftragt. Zu ausgewählten Krank-heitsbildern arbeiten Experten verschiede-ner Organisationen zusammen, um im Rah-men der strukturierten Versorgung chro-

nisch kranker Menschen die angemesseneund evidenzbasierte ärztliche Versorgungdarzustellen.

Zusätzlich erscheinen dieKurz- und die Langfassung derS3-Leitlinie/NVL UnipolareDepression nach Änderungen zuReboxetin in neuer Version.

Weiterführende Informationen:Englische Kurzfassung der S3 Leitli-nie/NVL Unipolare Depression <http://www.versorgungsleitlinien.de/themen/depression/pdf/s3-nvl-depression-kurz-engl.pdf>S3 Leitlinie/NVL Unipolare Depression – Über-sichtsseite aller verfügbaren Dokumente<http://www.versorgungsleitlinien.de/themen/depression/index html>

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