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n einer frühen Rezension hat der Philosoph und Pädagoge Hermann Mörchen das Werk als „missing link “ zwischen zwei Zeittendenzen charakterisiert: „nämlich zwischen den ‚ambitiösen Entwürfen deutscher Philosophie aus der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre‘ (JdE 138/525) und einem ideologischen ‚Jargon‘, der, auf ältere Modelle rekurrierend, nach dem Krieg ‚allgegenwärtig geworden‘ ist, ‚als die NS-Sprache unerwünscht ward‘ (JdE 19/425)“. [4] Gleichwohl will Adorno im Jargon der Eigentlichkeit weiterhin Affinitäten zum nationalsozialistischen Denken aufdecken und führt dazu verschiedene Beispiele an. Seiner Meinung nach gewähre die Sprache dem „fortschwelenden Unheil“ Asyl (JdE 9/416). Erster und zweiter Teil[Bearbeiten ] In den beiden ersten Teilen beschreibt Adorno den Jargon der Eigentlichkeit als die bestimmende Ideologie in der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft. In der lang andauernden Konjunktur verkenne sich die Gesellschaft „als einiges Volk von Mittelständlern“ und lasse „das von einer Einheitssprache sich bestätigen“ (JdE 20/426). Als die „zur reinen Form erstarrte Sprache des philosophischen Existentialismus [5] habe sie in den 1920er Jahren dem Nationalsozialismus zugearbeitet [6] und sich während der 1950er Jahre, die NS-Sprache gleichsam ersetzend, in nahezu allen öffentlichen Verlautbarungen behauptet. [7] Der Jargon fungiere als „Kennmarke vergesellschafteter Erwähltheit, edel und anheimelnd in eins; Untersprache als Obersprache. Er erstreckt sich von der Philosophie und Theologie nicht bloß Evangelischer Akademien über die Pädagogik, über Volkshochschulen und Jugendbünde bis zur gehobenen Redeweise von Deputierten aus Wirtschaft und Verwaltung“ (JdE 9/416). Charakteristisch für ihn seien „signalhaft einschnappende Wörter“ (JdE 9/417), die Adorno auf Heideggers Leitkategorie der Eigentlichkeit zurückführt. Eigentlichkeit steht bei Heidegger für Wahrheitsorientierung und authentisches Leben , im Gegensatz zur Uneigentlichkeit, worunter er Erscheinungsformen der Selbsttäuschung wie das „Verfallen-sein“ an „das Man“ und „das Gerede“ begreift. Heidegger dominierte zu Beginn der 1960er Jahre die Sprache der Geisteswissenschaften an den deutschen Universitäten, [8] unbeschadet seines Engagements für den Nationalsozialismus (Parteizugehörigkeit zurNSDAP seit 1933, Freiburger Rektoratsrede von 1933). Als Signalwörter des Jargons sieht Adorno die von ihm so bezeichneten „Edelsubstantive“; hierzu zählt er „Auftrag“, „Anruf“, „Begegnung“, „echtes Gespräch“, „Anliegen“ und „Bindung“ (JdE 9/417). Er kritisiert, dass diese durch ihren metaphysischen Gestus einen emphatischen

Jargon Der Eigentlichkeit

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Theodor Adorno

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n einer frhen Rezension hat der Philosoph und PdagogeHermann Mrchendas Werk als missing link zwischen zwei Zeittendenzen charakterisiert: nmlich zwischen den ambitisen Entwrfen deutscher Philosophie aus der zweiten Hlfte der zwanziger Jahre (JdE 138/525) und einem ideologischen Jargon, der, auf ltere Modelle rekurrierend, nach dem Krieg allgegenwrtig geworden ist, als die NS-Sprache unerwnscht ward (JdE 19/425).[4]Gleichwohl will Adorno im Jargon der Eigentlichkeit weiterhinAffinittenzum nationalsozialistischen Denken aufdecken und fhrt dazu verschiedene Beispiele an. Seiner Meinung nach gewhre die Sprache dem fortschwelenden Unheil Asyl (JdE 9/416).Erster und zweiter Teil[Bearbeiten]In den beiden ersten Teilen beschreibt Adorno den Jargon der Eigentlichkeit als die bestimmende Ideologie in der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft. In der lang andauernden Konjunktur verkenne sich die Gesellschaft als einiges Volk von Mittelstndlern und lasse das von einer Einheitssprache sich besttigen (JdE 20/426). Als die zur reinen Form erstarrte Sprache des philosophischenExistentialismus[5]habe sie in den 1920er Jahren dem Nationalsozialismus zugearbeitet[6]und sich whrend der 1950er Jahre, die NS-Sprache gleichsam ersetzend, in nahezu allen ffentlichen Verlautbarungen behauptet.[7]Der Jargon fungiere als Kennmarke vergesellschafteter Erwhltheit, edel und anheimelnd in eins; Untersprache als Obersprache. Er erstreckt sich von der Philosophie und Theologie nicht blo Evangelischer Akademien ber die Pdagogik, ber Volkshochschulen und Jugendbnde bis zur gehobenen Redeweise von Deputierten aus Wirtschaft und Verwaltung (JdE 9/416). Charakteristisch fr ihn seien signalhaft einschnappende Wrter (JdE 9/417), die Adorno auf Heideggers Leitkategorie derEigentlichkeitzurckfhrt. Eigentlichkeit steht bei Heidegger fr Wahrheitsorientierung undauthentisches Leben, im Gegensatz zur Uneigentlichkeit, worunter er Erscheinungsformen der Selbsttuschung wie das Verfallen-sein an das Man und das Gerede begreift. Heidegger dominierte zu Beginn der 1960er Jahre die Sprache der Geisteswissenschaften an den deutschen Universitten,[8]unbeschadet seinesEngagements fr den Nationalsozialismus(Parteizugehrigkeit zurNSDAPseit 1933, Freiburger Rektoratsrede von 1933).Als Signalwrter des Jargons sieht Adorno die von ihm so bezeichneten Edelsubstantive; hierzu zhlt er Auftrag, Anruf, Begegnung, echtes Gesprch, Anliegen und Bindung (JdE 9/417). Er kritisiert, dass diese durch ihren metaphysischen Gestus einen emphatischen Wahrheitsanspruch erheben, der sich so nicht einlsen lsst. Sie sind Kernbegriffe einer jngeren deutschen Ideologie. Heidegger habe mit seiner zentralen Kategorie der Eigentlichkeit inSein und Zeitden Resonanzboden geschaffen und die meisten anderen Siglen [] ber seinen bekanntesten Text ausgestreut (JdE 44/446). Fr den Jargon der Eigentlichkeit und die dahinter stehende Ideologie ist Heidegger nach Adorno stilistisches Vorbild. Eigentlichkeit beleuchte den ther, in dem der Jargon gedeiht, und die Gesinnung, die latent ihn speist (JdE 9/417). Zum festen Bestandteil des Jargons gehrt auch die LiturgievonInnerlichkeit, die die wachsende Ohnmacht des Subjekts und seinen Verlust an Welt und Gegenstndlichkeit ideologisch verbrme (JdE 61f./460f.). Heidegger bernahm den Begriff der Innerlichkeit vonSren Kierkegaard, dem Urvater aller Existenzialphilosophie (JdE 107/498).Als formalen Charakter des Jargons bezeichnet Adorno einerhetorischePraxis, die durch Kontext, Wortwahl und Tonfall die Worte als das Eigentliche, existentiell nicht mehr Hinterfragbare, erscheinen lassen und die die kritische Prfung ihres Gehalts verhindert. Worte werden wie Orangen in Seidenpapier gepackt (JdE 39/442). Die Sprache zerfllt dabei in einzelne Worte, deren Sinn nicht mehr durch den Zusammenhang bestimmt wird. Vielmehr blieben die Worte bei einer uerung im Jargon unbestimmt: Indem der Jargon behauptet, die Worte ihrem eigentlichen Sinn, dem Ursinn nach zu verwenden, entzieht er sie dem Kontext und jedem angebbaren begrifflichen Inhalt, sie sind austauschbare Spielmarken, [] unberhrt von der Geschichte (JdE 11/418), und so klingen die Jargonworte wie wenn sie ein Hheres sagten, als was sie bedeuten. Als sakral ohne sakralen Inhalt, [] sind die Stichwrter des Jargons der Eigentlichkeit Verfallsprodukte der Aura (JdE 12/419). Gemeint ist dieAura im Sinne von Walter Benjamin, der mit ihr Unnahbarkeit, Echtheit und Einmaligkeitkonnotiert. Praktikabel ist der Jargon auf der ganzen Skala von der Predigt bis zur Reklame (JdE 39/442). Die verselbstndigte Verwaltung, die davon berzeugen mchte, dass sie um des verwalteten Ganzen willen da sei, liebugele ebenso mit dem Jargon, wie dieser mit ihr, der bereits irrationalen, sich selbst gengenden Autoritt (JdE 68/466). Der Ideologie dient der Jargon als Werkzeug zur Tuschung ber den Verlust von Inhalten, die Individualitt begrnden knnten und der Trstung ber die in der Anonymitt der Tauschgesellschaft verloren gegangene menschliche Wrde. Die sprachliche Verlogenheit geht so weit, dass schn gekleidete Worte auch ein aufscheinendes Unheil umkehren und als Heil verklren, das Nichts als Etwas bezeichnen (JdE 134/522).Strker als gegen Heidegger polemisiert Adorno gegen den Philosophen Karl Jaspers und den Philosophen und PdagogenOtto Friedrich Bollnow, deren Schlsselbegriffe er dem Bedeutungsfeld der Eigentlichkeit zuschlgt. Bei Jaspers kritisiert er dessen von Adorno als ungeniert charakterisiertes Lob der Positivitt (JdE 22/427) aus dessen verbreiteter PublikationDie geistige Situation der Zeit(1931 erstmals erschienen und 1947 in 5. Auflage wieder aufgelegt) sowie die triebfeindlichen Tabus der Innerlichen, die sich in seinen Bchern austobten (JdE 64/462). Bollnows SchriftNeue Geborgenheit(1956) stt bei ihm auf uneingeschrnkte Ablehnung. Sie unterstelle in einer heillosen Welt, mit einem Gefhl dankbarer Zustimmung zum Dasein (JdE 23/428), Geborgenheit als etwas Gegebenes. Bollnows Begriff der Seinsglubigkeit (bei dem Adorno ironisch vermerkt: Zufall sei sicherlich der Anklang an Deutschglubigkeit) erscheint ihm als eine pseudo-religise Haltung ohne religisen Inhalt.[9]Dritter und vierter Teil[Bearbeiten]In den beiden letzten Teilen befasst sich Adorno eingehend mit Heideggers Sprache und Philosophie. Er behandelt Heidegger zunchst als Sprecher des Jargons, indem er dessen Lyrik und einige seiner von der akademischen Welt als unwichtig angesehenen Texte sprechen lsst. Nicht anders als seine Epigonen habe Heidegger noch den trivialsten Begriff mit einer religisen Aura ausgestattet.[10]Erst danach unterzieht er Heidegger einer ausfhrlichen philosophischen Kritik.[11]Bei dieser Kritik werden das Begriffspaar Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit ausSein und Zeitsowie die zur Uneigentlichkeit geschlagenen Kategorien des Man und des Gerede sowie seine Konzeptionen von Sorge, Geborgenheit, Jemeinigkeit, Dasein und Tod kritisch hinterfragt. Adorno unterzieht sie einer sprachlichen und soziologischen Analyse, indem er sie auf ihre gesellschaftlichen Gehalte hin analysiert und ihren Bezug zum Jargon der Eigentlichkeit herstellt. Heideggers Begriff des uneigentlichen Man, mit der er eine von der ffentlichkeit bestimmte Existenz bezeichnet, beurteilt Adorno als abstrakte Gesellschafts- und Kulturkritik.[12]Seine Behandlung des Todes sei die Theodizeedes Todes, die den Kern der Heideggerschen Philosophie ausmache.[13]Sein wichtigster Einwand gegen Heideggers Philosophie besteht fr den Philosophen und Literaturwissenschaftler Romano Pocai darin, dass sie aus der schlechtenEmpirieTranszendenzmacht (JdE 97/490).[14]In der nachgestelltenNotizverweist Adorno nochmal auf den Zusammenhang des Jargons mit seinem philosophischen Ursprung: Was an der schlechten Sprachgestalt sthetisch wahrgenommen, soziologisch gedeutet ist, wird abgeleitet aus der Unwahrheit des mit ihr gesetzten Gehalts, der impliziten Philosophie (JdE 138/524 f.), nmlich der heideggerschen.