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Jenseits von Eden Hier lasst uns Hütten bauen: Wie uns die Documenta mit intuitivem Wissen vor dem Zusammenbruch retten will Eine der beklemmendsten Stätten Pompejis ist die sogenannte „Villa von Boscoreale“, ein mittelgroßes antikes Weingut mit eigener Kelter, das 1900 wiederentdeckt und ausgegraben wurde. Die Archäologen stießen auf Öffnungen, die vermoderte Obst-, Oliven- und Nussbäume rings um das Gutshaus in der Verschüttungsschicht zurückgelassen hatten. Sie füllten sie mit flüssigem Gips und gewannen so eine Art versteinerten Hain, eine Zwitternatur aus Leben und Tod, die man nie ohne leises Schaudern betrachtet. Auf dem Schlängelpfad des Hüttendorfs, das der junge Kanadier Gareth Moore seit zwei Jahren im Aue-Park für die Documenta errichtet, assoziiert man plötzlich diese nicht von Künstlern, sondern von Forschern geschaffene Natura morte am Rand des Vesuvs: Moore, der ausschließlich den Abfall Kassels verwandte, hat abgestorbene, von den Aue-Gärtnern ausgesonderte Gehölze an den Wegrand gepflanzt; ein dezenter, aber eindringlicher Kontrast zum üppig grünenden Park ringsum. Nicht dass der junge, auf dem Land aufgewachsene Künstler sein ganzes Refugium als Memento mori gestaltet hätte. Im Gegenteil – auf einem Miniaturhügel treibt ein Oleander, den der Gartenbetrieb gleichfalls ausschied, neues Grün, und vor den Hütten blühen Kräuter. Wildkräuter. Denn Moores Kunstdorf ist ja ein Reservat der Dinge, die unsere Zivilisation als unbrauchbar von sich schiebt; nicht zufällig hat er das Ganze neben einem Bauhof und Schuttabladeplatz errichtet. Nach Müll aber sehen seine Hütten nicht aus. Spanplatten, teils holzfarben, teils bunt, Vierkanthölzer, Latten, Fensterflügel verschiedenster Größe, Blech, Eternit, geborstener Kunststein, bröckelnder Waschbeton, historische Sandsteinquader – alles ist sorgsam und ansprechend zusammengefügt zu Häuschen, wie sie Kinder zeichnen; zeit- und ortlose „Urhütten“ also. Ortlos? Alle Hütten, ob Gareth Moores Wohnatelier, sein Gästehaus für zwei Personen oder sein Meditationshaus mit „heilenden Steinen“, haben Veranden, die an kanadische Farmhäuser denken lassen. Und auf Moores Tempel mit einer maroden Barockfigur des Vulcanus, die aus Kachelsplittern gefertigte Mosaiksäulen umrahmen, fallen die Schatten von Gaudí und Palladio. Wenn auch archaisierend, greift der Kanadier doch auf Bau- und Kunsttraditionen zurück. So wie auch Giuseppe Penones „Idee de Pietra“, ein 2010 aufgestellter Bronzebaum mit einem Steinbrocken im kahlen Wipfel, der in seiner kapriziösen Eleganz nicht an Boscoreale, sondern an das Natur imitierende Beiwerk antiker Statuen erinnert. Moore sagt Dorf. Kunst antwortet die auf Documenta gepolte Vernunft des Besuchers. Überall stellt sie Vergleiche an. Am hartnäckigsten sind die mit Literatur und Film: Ständig fallen einem die (unterschätzten) Epen Stephen Kings ein, die beklemmende Abfallwelten nach der universalen Atomkatastrophe beschwören; unentwegt schieben sich Bilder aus „Star Wars“, „When the Wind blows“ oder „Blade Runner“ über Moores kratzbürstige Idylle. Kratzbürstig, aber nicht bedrohlich: Es weckt allenfalls Wehmut, wenn der Künstler erzählt, dass die quergelegten Sprossenflügel seiner Bleibe ausrangierte Fenster des barocken Grimm-Museums sind. Oder wenn sich die Frage aufdrängt, aus welchem abgerissenen historischen Gebäude ein besonders schön behauener Sandsteinblock stammen mag. Friedfertig bis zur Infantilität wirken auch die vorfabrizierten und nach frischem Holz duftenden Hütten in anderen Teilen der Karlsaue, wo Zeit als Ersatz für Geld oder Muße statt Hektik angeboten werden. Selbst die Atombunker-Betonröhre mit Panoramafenster oder das theatralisch riesige Galgenpodest, das Sam Durant in die barocke Park-Achse gestellt hat, strahlen die Selbstzufriedenheit einer Kunst aus, die mit sich selbst und der Documenta-Losung „Zusammenbruch und Wiederaufbau“ im Reinen ist. Alarm? Doch nicht hier – die Architekturkunst dieser Documenta reagiert wie Petrus, der, außer sich über den verklärten Jesus, welcher auf einem windumtosten Gipfel mit Elia und Moses spricht, sein „Hier ist für uns gut sein. Wir wollen Hütten bauen“ ausrief. Kronzeuge dafür ist ausgerechnet Stephan Balkenhols Turmheiliger der Elisabethkirche nahe dem Fridericianum, den Carolyn Christov-Bakargiev zum Störenfried ihrer Documenta erklärt hat. Was dieser Segensakrobat nur auf Zeit verkündet, bietet ein laienhaftes Außenfresko der zerbombten Garnisonkirche auf Dauer. In die Barockruine nisteten sich in den fünfziger Jahren kleine Gewerbebetriebe ein, jüngst kam ein italienisches Restaurant hinzu. Überall im wirr

Jenseits%20von%20eden

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Jenseits von Eden Hier lasst uns Hütten bauen: Wie uns die Documenta mit intuitivem Wissen vor dem Zusammenbruch retten will Eine der beklemmendsten Stätten Pompejis ist die sogenannte „Villa von Boscoreale“, ein mittelgroßes antikes Weingut mit eigener Kelter, das 1900 wiederentdeckt und ausgegraben wurde. Die Archäologen stießen auf Öffnungen, die vermoderte Obst-, Oliven- und Nussbäume rings um das Gutshaus in der Verschüttungsschicht zurückgelassen hatten. Sie füllten sie mit flüssigem Gips und gewannen so eine Art versteinerten Hain, eine Zwitternatur aus Leben und Tod, die man nie ohne leises Schaudern betrachtet. Auf dem Schlängelpfad des Hüttendorfs, das der junge Kanadier Gareth Moore seit zwei Jahren im Aue-Park für die Documenta errichtet, assoziiert man plötzlich diese nicht von Künstlern, sondern von Forschern geschaffene Natura morte am Rand des Vesuvs: Moore, der ausschließlich den Abfall Kassels verwandte, hat abgestorbene, von den Aue-Gärtnern ausgesonderte Gehölze an den Wegrand gepflanzt; ein dezenter, aber eindringlicher Kontrast zum üppig grünenden Park ringsum. Nicht dass der junge, auf dem Land aufgewachsene Künstler sein ganzes Refugium als Memento mori gestaltet hätte. Im Gegenteil – auf einem Miniaturhügel treibt ein Oleander, den der Gartenbetrieb gleichfalls ausschied, neues Grün, und vor den Hütten blühen Kräuter. Wildkräuter. Denn Moores Kunstdorf ist ja ein Reservat der Dinge, die unsere Zivilisation als unbrauchbar von sich schiebt; nicht zufällig hat er das Ganze neben einem Bauhof und Schuttabladeplatz errichtet. Nach Müll aber sehen seine Hütten nicht aus. Spanplatten, teils holzfarben, teils bunt, Vierkanthölzer, Latten, Fensterflügel verschiedenster Größe, Blech, Eternit, geborstener Kunststein, bröckelnder Waschbeton, historische Sandsteinquader – alles ist sorgsam und ansprechend zusammengefügt zu Häuschen, wie sie Kinder zeichnen; zeit- und ortlose „Urhütten“ also. Ortlos? Alle Hütten, ob Gareth Moores Wohnatelier, sein Gästehaus für zwei Personen oder sein Meditationshaus mit „heilenden Steinen“, haben Veranden, die an kanadische Farmhäuser denken lassen. Und auf Moores Tempel mit einer maroden Barockfigur des Vulcanus, die aus Kachelsplittern gefertigte Mosaiksäulen umrahmen, fallen die Schatten von Gaudí und Palladio. Wenn auch archaisierend, greift der Kanadier doch auf Bau- und Kunsttraditionen zurück. So wie auch Giuseppe Penones „Idee de Pietra“, ein 2010 aufgestellter Bronzebaum mit einem Steinbrocken im kahlen Wipfel, der in seiner kapriziösen Eleganz nicht an Boscoreale, sondern an das Natur imitierende Beiwerk antiker Statuen erinnert. Moore sagt Dorf. Kunst antwortet die auf Documenta gepolte Vernunft des Besuchers. Überall stellt sie Vergleiche an. Am hartnäckigsten sind die mit Literatur und Film: Ständig fallen einem die (unterschätzten) Epen Stephen Kings ein, die beklemmende Abfallwelten nach der universalen Atomkatastrophe beschwören; unentwegt schieben sich Bilder aus „Star Wars“, „When the Wind blows“ oder „Blade Runner“ über Moores kratzbürstige Idylle. Kratzbürstig, aber nicht bedrohlich: Es weckt allenfalls Wehmut, wenn der Künstler erzählt, dass die quergelegten Sprossenflügel seiner Bleibe ausrangierte Fenster des barocken Grimm-Museums sind. Oder wenn sich die Frage aufdrängt, aus welchem abgerissenen historischen Gebäude ein besonders schön behauener Sandsteinblock stammen mag. Friedfertig bis zur Infantilität wirken auch die vorfabrizierten und nach frischem Holz duftenden Hütten in anderen Teilen der Karlsaue, wo Zeit als Ersatz für Geld oder Muße statt Hektik angeboten werden. Selbst die Atombunker-Betonröhre mit Panoramafenster oder das theatralisch riesige Galgenpodest, das Sam Durant in die barocke Park-Achse gestellt hat, strahlen die Selbstzufriedenheit einer Kunst aus, die mit sich selbst und der Documenta-Losung „Zusammenbruch und Wiederaufbau“ im Reinen ist. Alarm? Doch nicht hier – die Architekturkunst dieser Documenta reagiert wie Petrus, der, außer sich über den verklärten Jesus, welcher auf einem windumtosten Gipfel mit Elia und Moses spricht, sein „Hier ist für uns gut sein. Wir wollen Hütten bauen“ ausrief. Kronzeuge dafür ist ausgerechnet Stephan Balkenhols Turmheiliger der Elisabethkirche nahe dem Fridericianum, den Carolyn Christov-Bakargiev zum Störenfried ihrer Documenta erklärt hat. Was dieser Segensakrobat nur auf Zeit verkündet, bietet ein laienhaftes Außenfresko der zerbombten Garnisonkirche auf Dauer. In die Barockruine nisteten sich in den fünfziger Jahren kleine Gewerbebetriebe ein, jüngst kam ein italienisches Restaurant hinzu. Überall im wirr

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wiederaufgebauten Stadtkern gibt es solche kuriosen Orte, wo historische Reste und halbfertiges Neues, Vergessenes und Liegengelassenes miteinander verwachsen sind – Abfall des Städtebaus, in dem das blinde Leben vorweggenommen hat, was nun die sehende Kunst im Documenta-Park nachbildet. Sieht sie? Oder ist sie so naiv wie jener Kneipier, der seine Bierbar bei der Garnisonkirche „Jenseits von Eden“ nennt? „Unser Ökosystem ist aus den Fugen, weil der Mensch den ganzen Planeten zerstören kann“, sagt Carolyn Christov-Bakargiev. Sie stellt der schleichenden Apokalypse das „intuitive Wissen“ der Künstler entgegen. Das des Gareth Moore zum Beispiel. Ihn hat der Bericht über die Steinbäume in Boscoreale, von denen er noch nie hörte, fasziniert. Wenn der Rummel vorüber ist, will er dorthin, will die vom Zufall geschaffene Mahnstätte einer Zivilisation sehen, die unterging, weil sie bis zum bitteren Ende alle Warnzeichen der Natur ignorierte. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv". Erstveröffentlichung am 5. Juni 2012 (Seite 28 & 29), Autor: Dieter Bartetzko