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JÜRGEN PIRKER Geschichte(n) im Konflikt Der Konsens- und Dialogprozess in Kärnten: Vom nationalen Konflikt zur Friedensregion Alpen-Adria?

JÜRGEN PIRKER Geschichte(n) im Konflikt - Facultas · 2018. 3. 22. · Das österreichische Bundesland Kärnten ist ein Prototyp dieser Entwicklungen. Es gilt zugleich als „Sonderfall“

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www.facultas.at

Die Alpen-Adria Region ist geprägt von den gewaltsamen zentral-europäischen Umwälzungen im „Zeitalter der Extreme“ (Hobsbawm). Das österreichische Bundesland Kärnten ist ein Prototyp dieser Entwicklungen. Es gilt zugleich als „Sonderfall“ der österreichischen Zeitgeschichte. Die Ursache liegt in einem nationalen Konflikt, der die Geschichte des Bundeslandes über mehr als 150 Jahre prägte. Er legt die Basis für öffentliche Diskussionen um Minderheitenrechte. Den sichtbarsten Ausdruck findet die „Kärntner Volksgruppenfrage“ im jahrzehntelangen Streit um zweisprachige topographische Aufschriften. Zu seiner Beilegung initiiert die Politik einen Konsensprozess, um eine Lösung durch lokale Konfliktparteien erarbeiten zu lassen. Aus diesem Prozess entsteht ein Dialog, der auf eine tiefere Aufarbeitung der Konfliktgrundlagen zielt. Das Buch bietet eine Analyse dieser Prozesse, ihrer Entwicklung, Grenzen und Potenziale, sowie zentraler Kritikpunkte. Es widmet sich dem Wechselspiel von Historie, kollektiven Identitäten und Erinnerungen. Dabei beleuchtet das Buch, wie Dialoginitiativen Methoden der Konfliktbearbeitung nutzen, um exklusive Narrative zu hinterfragen, die Aufarbeitung historischer Konfliktlinien zu ermöglichen, Dialoge in der Bevölkerung zu initiieren und ein Umfeld zu schaffen für neue Lösungen in Minderheitenfragen – bis hin zur Errichtung einer „Friedensregion Alpen-Adria“.

ISBN 978-3-7089-1670-5

JÜRGEN PIRKER

Geschichte(n) im KonfliktDer Konsens- und Dialogprozess in Kärnten:Vom nationalen Konflikt zur Friedensregion Alpen-Adria?

DDr. Jürgen Pirker ist Assistenzprofessor am Institut für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz.

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Jürgen Pirker

Geschichte(n) im Konflikt

Der Konsens- und Dialogprozess in Kärnten: Vom nationalen Konflikt

zur Friedensregion Alpen-Adria?

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

Copyright © 2018 Facultas Verlags- und Buchhandels AGfacultas, 1050 Wien, ÖsterreichAlle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und derVerbreitung sowie der Übersetzung, sind vorbehalten.

Umschlagbild: „Wand der Angeklagten“ von Giselbert Hoke© Giselbert Hoke Archiv – Werkhaus Saager Umschlagbild Foto: © 2006 Armin GuerinoSatz: SOLTÉSZ. Die Medienagentur.Druck: Facultas Verlags- und Buchhandels AGPrinted in AustriaISBN 978-3-7089-1670-5

Die Publikation wurde ermöglicht mit Unterstützung von:

Hans-Sima Privatstiftung zur Erforschung der Kärntner Zeitgeschichte und zur Förderung des Alpen-Adria-Gedankens

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Danksagung

Die Erforschung und Begleitung eines Konsens- oder Dialogprozesses sind nur durch die Mitwirkung einer Vielzahl von Personen möglich. Eingangs möchte ich allen Perso-nen und Organisationen danken, die mir wertvolle Einblicke in die Realität der Volks-gruppenfrage in Kärnten geschenkt haben: Ich danke den Mitgliedern der Konsens-gruppe, Univ.-Prof. Dr. Stefan Karner, Bernard Sadovnik (Gemeinschaft der Kärntner Slowenen und Sloweninnen/Skupnost koroških Slovencev in Slovenk), Heinz Stritzl (Plattform Kärnten) und insb. Dr. Josef Feldner (Kärntner Heimatdienst) und Dr. Marjan Sturm (Zentralverband Slowenischer Organisationen/Zveza slovenskih organizacij na Koroškem) für die Möglichkeit der Begleitung des Dialogprozesses und die Einsicht in die Archive ihrer Organisationen. Ich danke des Weiteren vielen Personen für ihre kriti-sche Sicht auf den Prozess, insb. o. Univ.-Prof. i.R. Dr. Peter Gstettner, ao. Univ.-Prof. i.R. Dr. Vladimir Wakounig, sowie L-Abg. a. D. Fritz Schretter (Kärntner Abwehrkämp-ferbund), Dr. Matthäus Grilc, Mag. Rudi Vouk, Karel Smolle, Nanti Olip und Dr. Valen-tin Inzko (Rat der Kärntner Slowenen/Narodni svet koroških Slovencev) und Mag. Vla-dimir Smrtnik (Einheitsliste/Enotna Lista). Dr. Wilfried Graf, Mag. Gudrun Kramer und dem Team des Herbert C. Kelman Institutes, insb. Mag. Dr. Jan Brousek und MMag.a

Linda Schönbauer-Brousek, danke ich für Einblicke in die Methode der Konflikttrans-formation und die Begleitung des Dialogprozesses. Dem Bundeskanzleramt der Repu-blik Österreich danke ich für die Einladung zu drei Arbeitsgruppen im Zuge der Reform des Volksgruppenrechts in Österreich 2009-2012 und dem Katholischen Bildungshaus Sodalitas Tainach/Dom v Tinjah, insb. dem Bildungsreferenten Martin Pandel, für die Möglichkeit zur Teilnahme an und zur Durchführung von zahlreichen Veranstaltungen.

Für die wissenschaftliche Betreuung danke ich Univ.-Doz. Dr. Hellwig Valentin, der mir als Mentor und Experte für die Besonderheiten der Kärntner Zeitgeschichte stets mit Rat und Umsicht zur Seite stand. Ebenso danke ich Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Konrad für die fachliche Begleitung, sowie Förderung und Inspiration. Zudem danke ich Univ.-Prof. Dr. Franz Merli, Univ.-Prof. Dr. Joseph Marko und Univ.-Prof. Dr. Christoph Bezemek, die mich als Vorgesetzte stets dabei unterstützen, meine interdis-ziplinären Ambitionen zu verfolgen. Für viele lehrreiche Gespräche danke ich meinen Kolleginnen und Kollegen an der Karl-Franzens-Universität Graz und der Europäischen Akademie Bozen.

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Inhalt

Danksagung .......................................................................................................... 5Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................... 13

A. Einführung und Grundlagen ...................................................................... 15I. Ausgangspunkt und Gang der Untersuchung ............................................. 15II. Forschungsfrage und Methode ..................................................................... 18III. Parameter der nationalen Frage für Konsens und Dialog ......................... 22

1. Konfliktgeschichte/n ................................................................................... 222. Assimilation und Sprachbewertung ........................................................... 343. Volksgruppenpolitik ................................................................................... 38

a. Volksgruppenorganisationen ................................................................ 38b. Heimatverbände: Kärntner Heimatdienst und Abwehrkämpferbund ... 41c. Politische Parteien ............................................................................... 44d. „Schutzmacht“ Jugoslawien und Slowenien ........................................ 45

4. Minderheitenrechte als Symbole ............................................................... 46

B. Entwicklung des Konsens- und Dialogprozesses ................................... 49I. Der „Runde Tisch“ und das „Ortstafelerkenntnis“ (1997-2001) ............... 49

1. Der „Runde Tisch“ und die nationale Frage (1997-2000) .......................... 50a. Inhaltliche Festlegung .......................................................................... 51b. Dreifache Einigung ............................................................................... 52c. Aufarbeitung der nationalen Frage Kärntens ...................................... 53d. OffeneFragen,ForderungenderVolksgruppeund

der „EU-Weisen-Bericht“..................................................................... 542. Fortsetzung des „Runden Tisches“ und das Ortstafelerkenntnis 2001 ....... 57

a. Ablehnung der slowenischen Forderungen durch die Heimatverbände .................................................................................... 57

b. Ergebnisse des Dialoges am Runden Tisch .......................................... 59c. Neue Dynamik durch das „Ortstafelerkenntnis“.................................. 59d. Kritik durch den Heimatdienst .............................................................. 61e. Polemik gegen das Höchstgericht ........................................................ 62

II. Erste Konsenskonferenzen auf Bundesebene (2002) .................................. 641. Konsenssuche auf Landesebene ................................................................. 65

a. Debatten nach dem Ortstafelerkenntnis ............................................... 65b. Enquete auf Landesebene ..................................................................... 67c. Nicht-Umsetzung des Ortstafelerkenntnisses ....................................... 69

2. Die ersten Konsenskonferenzen auf Bundesebene ..................................... 69a. Erste Ansätze einer Lösung .................................................................. 70

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Inhalt

b. Positionen von Heimatverbänden und Volksgruppenorganisationen ... 70c. Zweite Konferenz: Einsetzen einer Arbeitsgruppe ................................ 73

3. Vorarbeiten zur dritten Konsenskonferenz ................................................. 75a. Runder Tisch in Kärnten ....................................................................... 75b. Arbeiten des Arbeitskreises zur zweisprachigen Topographie ............. 76c. „Klima-Ausschuss“ und Entwurf einer gemeinsamen Erklärung ........ 77

4. Die dritte Konsenskonferenz und ihre Folgen ............................................ 79a. Scheitern der Konferenz........................................................................ 79b. Stillstand nach dem Scheitern ............................................................... 81c. Neue Gespräche trotz alter Positionen ................................................. 82

III. Wiederaufnahme der Konsenskonferenzen und der Konsensprozess (2005) ................................................................................... 851. Vorarbeiten und die erste Konsenskonferenz ............................................. 85

a. Erste Gespräche .................................................................................. 86b. Positionierungen vor den Konsenskonferenzen .................................... 87c. Vorbesprechung und gemeinsame Erklärung an die Konsens-

konferenz ............................................................................................... 90d. Die erste Konsenskonferenz .................................................................. 92

2. Folgen der Konsenskonferenz .................................................................... 94a. Spannungen unter Heimatverbänden und Volksgruppen-

organisationen ...................................................................................... 94b. Positionierungen der Organisationen .................................................. 96c. Vermittlung durch Konsensgespräche .................................................. 98d. Karner-Papier ....................................................................................... 100

3. Ringen um die Einigung ............................................................................. 104a. Neuerliche Konsenskonferenz ............................................................... 104b. Anzeichen einer Kehrtwende ................................................................ 106c. Gespräche in Kärnten und Absage der dritten Konsenskonferenz ....... 108d. Umschwung und neue Bruchlinien ....................................................... 110

IV. Neue Konflikte, Konsenssuche und der Dialogprozess (2006-2009) .......... 1131. Verschärfungen der Ortstafelfrage und Lösungsentwürfe 2006 ................. 113

a. Bevölkerungsumfragen und Ortstafel-Verrückung ............................... 113b. ErsterAnlaufzurLösungundöffentlicheKonsensarbeit ..................... 115c. Zweiter Verordnungsentwurf und Scheitern einer Lösung .................... 120d. Neue Ortstafel-Varianten und Verständigungsarbeit der

Konsensgruppe ..................................................................................... 1242. Enttäuschte Hoffnung auf eine Ortstafelregelung 2007 ............................. 128

a. Fortsetzung der Ortstafeldiskussion ..................................................... 128b. Positionen der Organisationen ............................................................. 129c. Lösungsvorschlag des Bundeskanzlers ................................................. 131d. Der 10. Oktober 2007: „Kärnten neu denken“? .................................. 134

3. Stillstand und „Dialog“ .............................................................................. 136a. Vertiefung der Konsens- und Dialogarbeit 2008 .................................. 138b. Wechsel auf der politischen Bühne Kärntens ....................................... 142

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Inhalt

c. Verbreiterung des Dialoges und der Gräben zwischen den Organisationen 2009 ............................................................................ 143

d. NeueHoffnungzumJahresende2009 .................................................. 150V. Die „Lösung“ der Kärntner Ortstafelfrage (2010-2011) ............................ 151

1. Der Zug nimmt Fahrt auf ........................................................................... 151a. SelbstauflösungdesRatesundKonfliktemitdemHeimatdienst .......... 152b. Lange Schatten der Vergangenheit ....................................................... 156c. Ankündigungen einer bevorstehenden Ortstafelregelung ..................... 157d. Diskussionen um den Heimatdienst und neue Akzente im Dialog ........ 159

2. Weichenstellung zur „Ortstafellösung“ ...................................................... 162a. Vorfeldgespräche und Positionen ......................................................... 162b. „90 Jahre Kärntner Volksabstimmung“ in froher Erwartung ............. 163c. Erste Verhandlungen und erste Turbulenzen ........................................ 165d. Eckpunkte einer Regelung und neuerliche Probleme ........................... 170

3. Zielgerade trotz Turbulenzen...................................................................... 172a. Memorandum zur „Ortstafellösung“ ................................................... 172b. Absage von Rat und Abwehrkämpferbund ............................................ 174c. Einbindung der Bevölkerung ................................................................ 176d. Novelle des Volksgruppengesetzes zur „Lösung“ der

Ortstafelfrage ........................................................................................ 177VI. Ruhe nach dem „Sturm“? (2011-2017) ........................................................ 180

1. Würdigung der Rechtsdurchsetzung .......................................................... 1802. Neue Schritte im Dialog ............................................................................. 1823. Veränderungen in der Landespolitik und neue Symboldebatte .................. 190

VII. Zusammenfassende Analyse und Schlussfolgerungen ................................ 1931. Ortstafeln und andere Minderheitenrechte zwischen Recht und Politik .... 193

a. Politische Verhandlungslösung ............................................................. 194b. Zahlenspektrum .................................................................................... 196c. Paketlösung mit anderen Minderheitenrechten .................................... 198d. BeendigungdesKonfliktes .................................................................... 200e. „Demokratie“ und Rechtsstaat: Wir sind wir? .................................... 200

2. Landes- und Volksgruppenpolitik............................................................... 2013. Konsens und Dialog ................................................................................... 204

C. Akteure und Kritikpositionen .................................................................... 209

I. Konsensgruppe ............................................................................................... 2101. Stefan Karner (Mediator der Konsensgruppe) .......................................... 210

a. Vom Runden Tisch zum Konsensprozess ............................................... 210b. Der Konsensprozess und mehrere Dialoge ........................................... 213c. Veränderung durch persönliche Faktoren und Anerkennung ............... 214d. Kritik an der Legitimation und Perspektiven der Erweiterung ............ 214

2. Josef Feldner (Kärntner Heimatdienst) ...................................................... 215a. Der Heimatdienst als „Abwehrorganisation“ in den 1970er Jahren ... 215b. Dialog-Bekundungen ohne Nachdruck ................................................. 218

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Inhalt

c. Veränderungen der Sichtweise: „Wollen statt Müssen“ und „Aufbau statt Abwehr“ ......................................................................... 218

d. Faktoren für Veränderungen: Persönliche Kontakte und Entwicklung .......................................................................................... 220

e. NeueZielsetzungen:Dialog,Integration,Internationalisierung ......... 220f. Einordnung von Konsens- und Dialogprozess ...................................... 221

3. Marjan Sturm (Zentralverband Slowenischer Organisationen) .................. 223a. Die 1970er Jahre im Aufbruch und Widerstand ................................... 223b. Veränderungen nach dem Zerfall Jugoslawiens ................................... 225c. Situation 2010: Nebeneinander statt Miteinander ............................... 226d. Der Konsens- und Dialogprozess: Gewinn und Fortschritt ................. 227e. Kritik und Widerstände gegen den Konsens- und Dialogprozess ......... 229f. Widersprüche in der Organisation und ihrer Erinnerungskultur ......... 230g. PerspektivenderAusweitungundÖffnung ........................................... 232

4. Heinz Stritzl (Plattform Kärnten) ............................................................... 233a. Sorge um die Grenze und der Wunsch nach Ruhe in Kärnten .............. 233b. Plattform Kärnten als Unterstützerin für Konsens und Frieden ......... 235c. Unwissenheit und Kritiker als Herausforderungen .............................. 237d. Perspektiven im Volksgruppenrecht und der Alpen-Adria Region ....... 238

5. Bernard Sadovnik (Gemeinschaft der Kärntner Slowenen und Sloweninnen) .............................................................................................. 239a. Veränderungenseitden1970erJahren:VomKonfliktund

Sprachverlust zu Europa ....................................................................... 239b. Positionierung der Gemeinschaft in der Minderheitenfrage ................ 240c. Motivation für Mehrsprachigkeit und Vielfalt in Europa ..................... 241d. Ambivalenzen im Konsens- und Dialogprozess:

Zukunft statt Vergangenheit .................................................................. 242e. Vision der zweiten Sprache als Teil der Identität ................................. 245

II. Kritikpositionen ............................................................................................. 2461. Fritz Schretter (Kärntner Abwehrkämpferbund) ........................................ 246

a. Einbindung der Bevölkerung als Lektion der 1970er Jahre ................ 246b. Positionierung für Rechtsstaatlichkeit durch Minderheiten-

ermittlung .............................................................................................. 246c. Konsens- und Dialog für eine „rechtsstaatliche“ Lösung.................... 248

2. Karel Smolle und Rudi Vouk (Rat der Kärntner Slowenen) ...................... 249a. Der Rat als Vertretung der Volksgruppe in Österreich ......................... 249b. Erneuerung und Erweiterung der Volksgruppenpolitik in den

1970er Jahren ....................................................................................... 250c. Positionierung und Zielgruppe ............................................................ 254d. Konsens und Dialog durch Politik und Wiedergutmachung ................. 257e. Perspektiven für eine Lösung ............................................................... 260

3. Vladimir Smrtnik (Einheitsliste) ................................................................ 261a. Selbstständigkeit in den Gemeinden in den 1970er Jahren .................. 261b. ÖffnungderAusrichtung ...................................................................... 262

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Inhalt

c. Konsens-undDialog:breiter,vorOrtundmitEntschuldigung........... 263d. Perspektiven in der Volksgruppenpolitik .............................................. 266

4. Peter Gstettner ............................................................................................ 266a. Konsens und Dialog als Medienpolitik ................................................. 266b. Neue Bedeutung für den Heimatdienst ................................................. 267c. Fehlende Legitimation und Ablenkung ................................................. 267d. Versöhnung durch Aufarbeitung und Schuldeingeständnis .................. 268

5. Vladimir Wakounig .................................................................................... 269a. Der Zentralverband in den 1990er Jahren und der Bruch 2001 .......... 269b. Fehlende Legitimation für einen Konsens ............................................ 270c. Wiedergutmachung und ein neuer Dialog vor Ort ............................... 271d. Beachtung der Zweisprachigkeit .......................................................... 272

III. Vergleich und Zusammenfassung ................................................................. 273a. Positionierungen ................................................................................... 273b. Kritik am Konsensprozess ..................................................................... 275c. Kritik am Dialogprozess ....................................................................... 276

D. Konfliktgeschichte/n und -bearbeitung im Dialog ................................ 279

I. Historisches Gedächtnis und Erinnerungen in Kärnten ............................ 2791. Gedächtnis und Erinnerung ........................................................................ 281

a. Kollektives Gedächtnis ......................................................................... 281b. Erinnerung und Gegenwart .................................................................. 283c. Macht durch Erinnerung ..................................................................... 285d. Soziales Gedächtnis .............................................................................. 286

2. Gedächtnis und Identität ............................................................................. 288a. Kollektive Identität durch Vergangenheit ............................................. 288b. Nationale Identitäten und inter-ethnische Grenzen .............................. 290c. Großgruppenidentitäten und Gruppengrenzen in Kärnten ................... 293

3. Erinnerungen zwischen Generationen ........................................................ 3004. Strukturen subjektiver Erzählungen ........................................................... 3055. Große Erzählungen und Gegenerzählungen in Kärnten ............................. 3086. Der 10. Oktober 1920 als Kristallisationspunkt ......................................... 311

a. Jubiläum,TriumphundTrauma ........................................................... 311b. Botschaften zum 10. Oktober 1990-2010 ............................................. 314c. Vermächtnis und Verständigung? ......................................................... 323

II. Konfliktbearbeitung im Dialog ..................................................................... 3251. Dialog durch Interaktive Konflikttransformation ....................................... 3282. Von „Kärnten neu denken“ zu „Kärnten liegt am Meer“ ........................... 3333. „Friedensregion Alpen-Adria“ und Perspektiven des Dialogs .................. 338

E. Fazit und Ausblick ......................................................................................... 345

Literaturverzeichnis ........................................................................................... 347

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Abkürzungsverzeichnis

Abs AbsatzArt ArtikelBGBl BundesgesetzblattBH BezirkshauptmannschaftB-VG BundesverfassungsgesetzBZÖ Bündnis Zukunft Österreich (ab 2005; zuvor FPÖ)CERD Committee on the Elimination of Racial Discrimination/Ausschuss

zur Beseitigung von RassendiskriminierungEGMR Europäischer Gerichtshof für MenschenrechteEL Enotna lista/EinheitslisteEMRK Europäische MenschenrechtskonventionEU Europäische UnionEuGH Europäischer GerichtshofFPK Freiheitliche Partei Kärntens (Die Freiheitlichen in Kärnten: 2009-

2013; zuvor BZÖ; ab 2013 wieder FPÖ)FPÖ Freiheitliche Partei Österreich NSKS Narodni svet koroških Slovencev/Rat der Kärntner SlowenenKAB Kärntner AbwehrkämpferbundKEL Koroška enotna lista/Kärntner EinheitslisteKHD Kärntner HeimatdienstKPÖ Kommunistische Partei ÖsterreichLH/-StV/LPO Landeshauptmann/-Stellvertreter/LandesparteiobmannÖVP Österreichische VolksparteiRÜ Rahmenkonvention über den Schutz nationaler MinderheitenSHS-Staat Kraljevina Srba Hrvata i Slovenaca/Königreich der Serben Kroaten

und SlowenenSKS Skupnost koroških Slovencev in Slovenk/Gemeinschaft der Kärntner

Slowenen und SloweninnenSPÖ Sozialistische Partei Österreichs (bis 1991), Sozialdemokratische Par-

tei Österreichs (seit 1991)StGG Staatsgrundgesetz 1867StV Wien Staatsvertrag von Wien 1955UN/UNO United Nations Organisation/Vereinte NationenVfGH VerfassungsgerichtshofVfSlg Verfassungsgerichtshof SammlungVoGrG Volksgruppengesetz 1976Z ZifferZSO Zveza slovenskih organizacij na Koroškem/Zentralverband Sloweni-

scher Organisationen

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A. Einführung und Grundlagen

„Der Engel des Vergessensdürftevergessenhaben,die Spuren der Vergangenheitaus meinem Gedächtnis zu tilgen.“(Maja Haderlap)

I. Ausgangspunkt und Gang der Untersuchung

Kärnten gilt als „Sonderfall“1 der österreichischen Zeitgeschichte. Die Ursache liegt in einem nationalen Konflikt, der die Geschichte des Bundeslandes über mehr als 150 Jahre und besonders im „Zeitalter der Extreme“2 prägte. Der Mehrheiten-Minderheiten-konflikt bildet bis heute die Basis für öffentliche Diskussionen um Minderheitenrechte. Den sichtbarsten Ausdruck findet die „Kärntner Volksgruppenfrage“ im jahrzehntelan-gen Streit um zweisprachige topographische Aufschriften. Zu seiner Beilegung initi-iert die Politik einen Konsensprozess, um eine Lösung durch lokale Konfliktparteien erarbeiten zu lassen. Aus diesem Prozess entsteht zwischen einzelnen Beteiligten ein Dialogprozess, der auf eine tiefere Aufarbeitung der Konfliktgrundlagen zielt. Eine Regelung der Ortstafelfrage gelingt der Politik im Jahr 2011, doch noch im Frühjahr 2017 – 150 Jahre nach der Festschreibung von „Minderheitenrechten“3 im Staatsgrund-gesetz über die Rechte der Staatsbürger 1867 (Art 19 StGG) – wird um die Aufnahme der slowenischen Volksgruppe in die Kärntner Landesverfassung gerungen. Es geht um Anerkennung, Erinnerung, Recht und Identität. Diese Faktoren sind in allen Konflikten um die Rechte ethnischer oder sprachlicher Gruppen bedeutsam. Im europäischen Ver-gleich sind solche Mehrheiten-Minderheitenkonflikte keine Besonderheit. Die Situation in Kärnten eröffnet aber wertvolle Lektionen über ihre Dynamik und Interventionen zu ihrer Bewältigung. Vom „Sonderfall“ lässt sich lernen – für die Region und darüber hinaus.

In Kärnten verdichten sich historisch komplexe Konfliktlinien: Von der wechsel-seitigen Nationalisierung ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, die soziale Unterschiede überlagert, über gewaltsame Konflikte, Kriege und Menschenrechtsverbrechen, Bedro-hungen von Leben und Heimat im und nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, über die Grenzen politischer, ökonomischer und ideologischer Systeme und ihre Folgen. Sie prägen die Identitäten des Landes und seiner Bewohner. Das Erbe der Geschichte legt die Basis für einen Widerstreit um Deutungen der Vergangenheit, insb. in der nationalen

1 VALENTIN Hellwig, Der Sonderfall, Kärntens Zeitgeschichte 1918-2004/08, Klagenfurt, ²2009.2 HOBSBAWM Eric, Das Zeitalter der Extreme: Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München,

1998.3 Rechte der „Volksstämme“ (beachte zur Nicht-Anwendbarkeit der Bestimmung VfSlg

2.459/1952).

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Einführung und Grundlagen

Frage und der Auseinandersetzung um Minderheitenrechte, die als Instrumente der An-erkennung oder Bedrohung verstanden werden können. Für einen nachhaltigen Frieden in einer Zeit, in der das Friedensprojekt der Europäischen Union durch Migrations- und Wirtschaftskrise, sowie das Erstarken alter und neuer nationalistischer Bewegungen im Kern bedroht erscheint, bildet die Analyse der Epistemologien lokaler Konfliktparteien einen wertvollen Beitrag, um exklusive Narrative und Bilder der „Anderen“ aufzubre-chen und Friedensarbeit zu ermöglichen.4 Der Konsens- und Dialogprozess in Kärnten versprechen in ihrer Anlage, sich dieser Aufgabe zu widmen und beizutragen zur Aufar-beitung von Konfliktgeschichte/n als Grundlage für die einvernehmliche Regelung und Umsetzung von verfassungs- und völkerrechtlich zugesicherten, jedoch umstrittenen Minderheitenrechten.

Die Arbeit bietet eine Analyse des Konsens- und des Dialogprozesses in Kärn-ten und zeigt ihre Entwicklung, Grenzen und Potenziale auf. Die Prozesse entstehen im Kontext eines Mehrheiten- Minderheitenkonfliktes, der in der jüngeren Vergangen-heit des Bundeslandes symbolisch um zweisprachige topographische Aufschriften und andere Minderheitenrechte geführt wird, um scheinbaren Konzeptionen der Kärntner Identität/en zu entsprechen. Sie bilden eine Grundlage für das Ringen um Minderhei-tenrechte:5 Aus der nationalen Frage erwachsene Stereotype, Ängste und Sehnsüchte können tagespolitisch instrumentalisiert werden und den Konflikt prolongieren – sicht-bar in der Unfähigkeit oder Verweigerung, die Ortstafelfrage in Kärnten einer rechtli-chen Regelung zuzuführen. Unter diesen Vorzeichen entsteht in Kärnten ein Prozess der Aushandlung von Minderheitenrechten unter Akteuren der Zivilgesellschaft im Auftrag der Politik, aus dem ein Dialogprozess hervorgeht, der sich der Bearbeitung der Vergan-genheit und Tiefenstrukturen des Konfliktes verschreibt. Im Zentrum der Untersuchung stehen folgende Themenbereiche, die ihren Gang darlegen:6

(1) Entwicklung des Konsens- und DialogprozessesAusgehend von der Ortstafelfrage als Brennpunkt der jüngeren Auseinandersetzungen in der nationalen Frage und als Initial für das Einsetzen des Konsens- und Dialogpro-zesses in Kärnten betrachtet der erste Abschnitt die Entwicklung ab dem Einsetzen ei-nes „Runden Tisches“ im Jahr 1997 bis 2011: über Initiativen auf Landesebene 2001, Konsenskonferenzen auf Bundesebene 2002 und 2005, politische Ansätze zur Lösung der Ortstafelfrage 2005, 2006 und 2007 bis zur Novelle des Volksgruppengesetzes 2011, sowie nachfolgende Entwicklungen und Bemühungen zur Internationalisierung

4 BEHR Hartmut, Politics of Difference. Epistemologies of peace, New York, 2014, S. 159-165; vgl. BROUSEK Jan/PIRKER Jürgen, Zukunft durch Vergangenheit? Interaktive Konfliktbearbei-tung und Erinnerungspolitik am Beispiel der Alpen-Adria-Region, in: WINTERSTEINER Wer-ner/WOLF Lisa (Hrsg.), Friedensforschung in Österreich. Bilanz und Perspektiven, Klagenfurt, 2016, S. 264-265.

5 Grundlegend schon PIRKER Jürgen, Kärntner Ortstafelstreit – Der Rechtskonflikt als Identitäts-konflikt, Baden-Baden, 2010.

6 Das Konzept und die Ausrichtung der Arbeit konnten bereits vorgestellt werden in PIRKER Jür-gen, Der Konsensprozess in der Kärntner Volksgruppenfrage – Möglichkeiten, Grenzen, Potenzi-ale, in: KARL-FRANZENS-UNIVERSITÄT GRAZ (Hrsg.), ERSTAUSGABE. Veröffentlichun-gen junger WissenschaftlerInnen der Karl-Franzens-Universität Graz, Graz, 2010, S. 77-88.

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Ausgangspunkt und Gang der Untersuchung

des Dialogprozesses (zur Abgrenzung der Prozesse B.VII.3.). Dieser „Dialog“ entsteht aus dem politisch initiierten Konsensprozess, zu dessen Zielen auch vertrauensbildende Maßnahmen in der Bevölkerung gehören, um das Fundament zu legen für eine Lösung der umstrittenen Minderheitenfragen, z. B. durch Publikationen, Veranstaltungen und andere öffentlichkeitswirksame Initiativen. Die Entwicklung dieser Prozesse, ihre Rah-menbedingungen, Erfolge und Rückschläge, bilden den Schwerpunkt des ersten Teils der Untersuchung.

(2) Positionierungen im und Kritik am Konsens- und DialogprozessDen Positionen der am Konsens- und Dialogprozess beteiligten Akteure und ihrer Kri-tiker widmet sich ein auf die Akteurs-Perspektive und „Innensicht“ der Prozesse zen-trierter Abschnitt. Er berücksichtigt die Standpunkte der ausgewählten Organisationen und ihrer Vertreter zu Konsensverhandlungen und Dialogarbeit, um die Sichtweisen der im Konfliktfeld engagierten Akteure zu beleuchten und einander gegenüberzustellen.

(3) Geschichte/n im Widerstreit und ihre Bearbeitung im „Dialog“Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf den Wirkmechanismen des nationalen Konfliktes als Basis für die durch den Dialogprozess intendierte Aufarbeitung der Vergangenheit im Wechselspiel von Historie, kollektiven Erinnerungen und Identitäten, deren Gren-zen entlang vergangener Erfahrungen gezogen werden. In Konfliktpositionen, die sich wechselseitig auf historische Verletzungen berufen, um Argumentationen im Konflikt zu begründen, werden diese Wirkmechanismen zwischen Gedächtnis, Erinnerung, gro-ßen und kleinen Erzählungen im Generationenlauf sichtbar. Einen Kristallisationspunkt des historischen Gedächtnisses in Kärnten und widerstreitender Deutungen bildet der 10. Oktober als Tag der Erinnerung an die Kärntner Volksabstimmung 1920. 2020 jährt sich der Tag zum 100. Mal und seine Deutung befindet sich im Sinne Jan Assmanns im Übergang vom einem „kommunikativen“ zu einem „kulturellen“ Gedächtnis.7 Im Zusammenhang mit dem Dialogprozess wird in der jüngeren Vergangenheit neuerlich deutlich, wie Erinnerungen und Jubiläen durch ein von Aleida Assmann identifiziertes „Funktionsgedächtnis“ politisch instrumentalisiert werden können.8 In diese widerstrei-tenden Deutungen und volksgruppenpolitischen Positionen interveniert der Dialogpro-zess durch Methoden der integrativen Konfliktbearbeitung, die den Gegenstand des letz-ten Abschnittes bilden. Ziel der Ansätze ist es, exklusive Narrative aufzubrechen, Dia-loge in der Bevölkerung zu initiieren und ein Umfeld zu schaffen für neue Lösungen in Minderheitenfragen. Dazu setzt der Dialogprozess bei zivilgesellschaftlichen Akteuren an, die einen Einfluss im Konfliktfeld ausüben, um durch Workshops, Veranstaltungen, Diskussionsrunden oder Veröffentlichungen eine Verständigung und die Bearbeitung historischer Konfliktlinien zu ermöglichen – bis hin zu einer grenzüberschreitenden In-itiative für eine „Friedensregion Alpen-Adria“.

7 ASSMANN Jan, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München, ²1997, S. 30-57.

8 ASSMANN Aleida, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München, 1999, S. 138-139.

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Einführung und Grundlagen

II. Forschungsfrage und Methode

Die Untersuchung beleuchtet einen Prozess zur Aushandlung von Minderheitenrechten, der mit einer Aufarbeitung von Geschichte und Geschichten im Mehrheiten-Minderhei-tenkonflikt verbunden wird. Auslöser und Brennpunkt ist die Ortstafelfrage in Kärnten. Sie steht im Zentrum der Untersuchung, wenngleich sie nur die symbolische Spitze eines Eisberges bildet, der eine Vielzahl weiterer Auseinandersetzungen um Minder-heitenrechte umfasst – z. B. in der Frage der Amts- und Unterrichtssprache oder Volks-gruppenförderung. Unter der Oberfläche verbirgt sich ein tiefer liegender Konflikt um die Identität des Landes Kärnten und seiner Bevölkerung,9 der durch die wechselvolle Geschichte des 20. Jahrhunderts geprägt ist und seinen Ausdruck findet in der Ausein-andersetzung um zweisprachige topographische Aufschriften: als sichtbare Zeichen der „Inbesitznahme“ eines Gebietes für die jeweilige Gruppe,10 die belastet ist durch natio-nalistische Aufladungen. Daher konzentriert sich die Arbeit im Kern auf die Analyse des Konsens- und Dialogprozesses in der jüngeren Phase des „Ortstafelstreits“ bis zu seiner Lösung von 2001 bis 2011.11 Berücksichtigung finden Grundlagen, Grenzen und Pers-pektiven der Prozesse – im Sinne eines Plädoyers des Historikers John Lukacs: „And so a thoughtful historian must direct his attention not only to what ideas have been current

9 PIRKER Jürgen, Kärntner Ortstafelstreit, S. 266-269.10 Näher JORDAN Peter, Zur Bedeutung zweisprachiger geographischer Namen für die kulturelle

Identität, in: PANDEL Martin/HREN Karl (Hrsg.), Ein Jahr danach. Die Ortstafelregelung 2011 und was daraus wurde, Klagenfurt/Ljubljana/Wien, 2012, S. 125; JORDAN Peter, Ortsnamen als Kulturgut – Die symbolische Wirkung von Ortsnamen auf Ortstafeln und in Karten, in: PANDEL Martin/POLZER-SRIENZ Mirjam/POLZER Miroslav/VOSPERNIK Reginald (Hrsg.), Ortsta-felkonflikt in Kärnten – Krise oder Chance?, Wien, 2004, S. 216.

11 Zum Konsensprozess und seiner Entwicklung insb. KARNER Stefan, Die Lösung der Kärntner Ortstafelfrage, in: KHOL Andreas/OFNER Günther/KARNER Stefan/HALPER Dietmar (Hrsg.), Österreichisches Jahrbuch für Politik 2011, Wien/Köln/Weimar, 2012, S. 213; KARNER Ste-fan, Die Ortstafelfrage im Fokus der Kärntner Politik (1976-2011), in: BECLIN Nicole/KARPF Peter/KASSL Thomas/PLATZER Werner (Red.), Ein Kärnten. Die Lösung, Klagenfurt, 2012, S. 50; KARNER Stefan, Der Versuch zur Lösung der Ortstafelfrage 2005/06, in: BOHUNOVS-KY-BÄRNTHALER (Hrsg.), Was ist die Wirklichkeit wirklich? 11. Symposion in der Reihe „Kunst und Gesellschaft“, Klagenfurt/Wien, 2010, S. 145; KARNER Stefan, Die Bemühun-gen zur Lösung der Kärntner Ortstafelfrage 2006, in: KHOL Andreas/OFNER Günther/BUR-KERT-DOTTOLO Günther/KARNER Stefan (Hrsg.), Österreichisches Jahrbuch für Politik 2006, Wien/München, 2007, S. 359; KARNER Stefan, Die Bemühungen zur Lösung des Kärntner Min-derheitenproblems 2005, in: KARPF Peter (Red.)/KASSL Thomas (Red.), Die Ortstafelfrage aus Expertensicht. Eine kritische Beleuchtung, Klagenfurt, 2006, S. 81; KARNER Stefan, Die Bemü-hungen zur Lösung des Kärntner Minderheitenproblems 2005. 50 Jahre nach Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrages, in: KHOL Andreas/OFNER Günther/BURKERT-DOTTOLO Günther/KARNER Stefan (Hrsg.), Österreichisches Jahrbuch für Politik 2005, Wien/München, 2006, S. 643. Zum Konsensprozess und seiner Entwicklung umfassend aus Sicht des Kärntner Heimatdienstes und der Konsensgruppe FELDNER Josef, in: FELDNER Josef/KARNER Stefan/SADOVNIK Bernard/STRITZL Heinz/STURM Marjan (Hrsg.), Der Ortstafelstreit. Dokumenta-tion eines Kärntner Grenzlandkonflikts. Die Kärntner Konsensgruppe. Eisbrecher und Wegberei-ter im Lösungspoker, Klagenfurt, 2011.

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Forschungsfrage und Methode

but to how and why they had arisen and then invaded and even changed the histories of people. And to this he must add the very historical question: when?”12

Dazu verwendet die Arbeit klassische Methoden der zeithistorischen Forschung und Quellenbearbeitung, wie Text-, Dokumenten-13 und Literaturanalyse14 und die Durchführung von Interviews (C.), und greift auch zurück auf qualitative sozialwis-senschaftliche Methoden. Sie verschränkt die Erkenntnisse, um Abläufe, Intentionen und Kritik am Konsens- und Dialogprozess zu beleuchten.15 Im Sinne einer „teilneh-menden Beobachtung“ konnten Teile des Dialogprozesses in Kärnten, viele dazuge-hörige Veranstaltungen im Zeitraum von 2009-2011 und weitere Initiativen bis 2016 begleitet werden.16 Dazu gehören die Einbindung in die redaktionelle Bearbeitung von Interviews zum Buch „Kärnten liegt am Meer“ und das zugrundeliegende Projekt 2010-2012,17 die Teilnahme an drei Arbeitsgruppen des Bundeskanzleramtes der Republik Österreich im Zuge einer Reforminitiative des Volksgruppenrechts parallel zur Lösung der Ortstafelfrage 2009-2012,18 sowie die Mitwirkung an der Initiative „Friedensregion Alpen-Adria“ 2012-2016.19 Diese Begleitung gewährt einen vertieften Einblick in die Prozessdynamik und Positionen der Akteure und Kritiker.20 Durchgeführt wurden zu-dem halbstrukturierte Interviews mit Protagonisten und Kritikern des Konsens- und Dialogprozesses (C.).21 In der Auswertung wurden die Positionen und zentralen Argu-

12 LUKACS John, The Future of History, New Haven/London, 2011, S. 104.13 Ich danke für Öffnung der Archive insb. des Kärntner Heimatdienstes und des Zentralverbandes

slowenischer Organisationen und dem Moderator der Konsensgruppe, Univ.-Prof. Dr. Stefan Kar-ner. Zudem danke ich dem Kärntner Landesarchiv für die Unterstützung bei einigen Materialsu-chen. Keine Einsicht gewährt werden konnte unter Berufung auf geltende Archivsperren in die Akten über die Verhandlungen zur Lösung der Ortstafelfrage.

14 Neben der Forschungsliteratur ist eine Reihe von Publikationen zu berücksichtigen, die von den Akteuren im Konsens- und Dialogprozess als Beitrag zum Prozess und seiner Dokumentation veröffentlicht wurden.

15 Zu Mixed Method-Ansätzen z. B. FLICK Uwe, Qualitative Sozialforschung: Eine Einführung, Reinbek bei Hamburg, 42011, S. 39-55.

16 Ermöglicht wurde diese umfangreiche Begleitung im Sinne der „teilnehmenden Beobachtung“ u. a. der historischen Anthropologie oder politischen Ethnographie (hierzu z. B. AUYERO Javier, Introductory Note to Politics under the Microscope: Special Issue on Political Ethnography I, in: Qualitative Sociology 3/2006, S. 257) durch den Zentralverband Slowenischer Organisationen, insb. Dr. Marjan Sturm, den Kärntner Heimatdienst, insb. Dr. Josef Feldner, und das Herbert C. Kelman Institut (HKI) Wien (urspr. Institute for Interactive Conflict Transformation and Peace Building, IICP), insb. Dr. Wilfried Graf und Mag. Gudrun Kramer.

17 Sie ermöglichte, den gesamten Prozess von der Durchführung der Interviews mit den Betroffenen über die Redaktion bis zur Freigabe der Texte mitzuverfolgen.

18 Die Teilnahme gewährte Einblicke in die Standpunkte der Organisationen und ein tieferes Ver-ständnis des politischen Kontexts, wiewohl keine Inhalte aufgrund der ausstehenden offiziellen Veröffentlichung dieser Prozesse kundgemacht werden.

19 Die Mitwirkung erlaubte ein intensiveres Verständnis für die im Kärntner Prozess angewandten Methoden der Konfliktbearbeitung.

20 Im Zuge dieser Begleitung wurden schriftliche Protokolle erstellt, die aufgrund der subjektiven Wahrnehmung nicht als Quellen dienen. Angefertigt wurden digitale Aufzeichnungen von Reden aller Veranstaltungen, insb. soweit diese nicht schriftlich vorgelegt wurden.

21 Die Datenerhebung erfolgte in halbstrukturierten Interviews auf Grundlage vorab erstellter Frage-bögen; sie bot Raum für weitere und vertiefende Ausführungen der Befragten.

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Einführung und Grundlagen

mentationen zu den Prozessen herausgearbeitet und einander thematisch vergleichend gegenübergestellt.22 Zum bearbeiteten Material gehören, da im Prozess wesentlich mit und über Medien kommuniziert wurde, auch Aussendungen und Veröffentlichungen der beteiligten Organisationen in ihren eigenen Publikationsorganen, in Briefform und in den jeweiligen Internet-Auftritten.23 Berücksichtigung finden zudem wesentliche Dar-stellungen in zumeist in Druckfassung vorliegenden oder aufgezeichneten Reden und Stellungnahmen,24 um zentrale Positionen abzubilden und nachzuvollziehen. Der Mate-rialkorpus gewährt Einsicht in die Perspektive der Akteure parallel zur Bewertung durch Kritiker. Dabei geht es um die Darstellung der von den Akteuren bezogenen Positionen im oder zum Konsens- und Dialogprozess und die damit verbundenen Narrative und Argumentationen.

Das beschriebene Vorgehen birgt zahlreiche Gefahren: in der Beeinflussung des Gegenstandes bei Eintritt in das Forschungsfeld – insb. in einem politisierten und emoti-onalen Diskurs in der Volksgruppenfrage in Kärnten, der z. T. von der Wissenschaft mit geführt wurde – oder in der Beeinflussung der Arbeit durch bewusste oder unbewusste Übernahme von Sichtweisen der Handelnden oder historischen Quellen, sowie in der Instrumentalisierung durch Akteure zur „Rechtfertigung“ der jeweiligen Position. Um diesen Gefahren zu begegnen wurden im Kernforschungszeitraum bis 2012, wie für eine Quellenbearbeitung lege artis erforderlich, bestimmte Grundregeln definiert und einge-halten: So wurden bei der Datengenerierung nur die Materialien von öffentlichen – vom Forschenden oder seiner Teilnahme unabhängigen – Veranstaltungen zur Analyse ver-wendet, strikte Äquidistanz zu allen relevanten Akteuren und beteiligen Organisationen gewahrt, keine Informationen von Akteuren an andere weitergegeben, keine Tätigkeiten in den Organisationen wahrgenommen, wesentliche Kritikpositionen einbezogen, alle Positionen insb. in Form der Interviews in einem formellen Rahmen erhoben, offen und unverändert berücksichtigt, und stets eine Reflexion der Äquidistanz und eine Analyse der Strategien der Akteure für die Dauer der Prozessbegleitung durchgeführt. Die ei-gene Rolle blieb definiert als die eines „Forschenden“, nicht eines Akteurs, wodurch der Zugang zum Feld und zu allen Parteien im Konflikt erheblich erleichtert wurde. Ohne das Einverständnis der betroffenen Akteure und Organisationen wäre die Begleitung der Prozesse zum Zwecke des tieferen Einblicks in die Dynamiken und Methoden der Pro-

22 Orientiert an der zusammenfassenden Inhaltsanalyse, u. a. MAYRING Philipp, Einführung in die Qualitative Sozialforschung, Weinheim/Basel, 52002, S. 114-121; FLICK, Qualitative Sozialfor-schung, S. 408-417.

23 Für einen kostenfreien Forschungszugang zur Mediadatenbank „De-Facto“ danke ich der Austria Presse Agentur (APA). Dem ORF Kärnten, namentlich Herrn Chefredakteur Bernhard Bieche und Frau Redakteurin Petra Haas, danke ich für eine Zusammenstellung der Gesamtberichterstattung zur Ortstafelfrage vor Einstellung des ORF online-Archivs 2011.

24 In der Auswertung wurde entsprechend der Fragestellung der Untersuchung z. T. vorgegangen in Orientierung an die „strukturelle“ Inhaltsanalyse nach MAYRING, Einführung in die Qualitative Sozialforschung, S. 114-121; FLICK, Qualitative Sozialforschung, S. 408-417, oder – zur induk-tiven Erarbeitung von Kategorien und Themen – angelehnt an die Methode der Grounded Theory nach GLASER Barney/STRAUSS Anselm, Die Entdeckung gegenstandsbezogener Theorie: Eine Grundstrategie qualitativer Sozialforschung, in: HOPF Christel/WEINGARTEN Elmar (Hrsg.), Qualitative Sozialforschung, Stuttgart, 1979 und CHARMAZ Kathie, Constructing grounded the-ory: A practical guide through qualitative analysis, Thousand Oaks, 2006.

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Forschungsfrage und Methode

zesse nicht möglich gewesen. In der letzten Phase – nach Abschluss der Kernforschung – erfolgte die Mitwirkung an der Initiative „Friedensregion Alpen-Adria“ in der Rolle eines Begleitforschers, um Dynamik und Methodik des Prozesses nachzuvollziehen. Im gesamten Forschungsprozess wurde auf Äquidistanz, Unparteilichkeit und Wertneut-ralität geachtet. Absolute „Objektivität“ im Sinne einer Nicht-Beeinflussung der For-schung ist selbstverständlich unmöglich, wie auch Lukacs bemerkt:

„(…) perspective is an – inevitable – component of reality. In sum: participation is the – inevitable – inseparability of the knower from the known. (…) The future of history lies there. The knower and the known are not identical: but they are inseparable.”25

Eine Ausleuchtung des gesamten Konfliktfeldes ist weder intendiert noch möglich. Stattdessen sollen Mechanismen des Konfliktes und seiner „Bearbeitung“ aufgezeigt werden. Um die Verständigungsprozesse im Umgang mit widerstreitenden Narrativen nachzuvollziehen, bedarf es der Berücksichtigung von Erkenntnissen zum historischen Gedächtnis und dem Wechselspiel zwischen individueller und kollektiver Erinnerung (D.I.). Die Arbeit berücksichtigt zudem im Kärntner Prozess angewandte Zugänge und Methoden der Friedens- und Konfliktforschung,26 um den Dialogprozess und seine Wei-terentwicklung zu dokumentieren. Dieser verbindet sozialpsychologische Ansätze der interaktiven Konflikttransformation mit der Aufarbeitung der Vergangenheit und macht sie auf der Ebene der Zivilgesellschaft nutzbar (siehe D.II.). In der Analyse kann auf Vorarbeiten zurückgegriffen werden, die parallel zur Arbeit unter Veröffentlichung er-ster Ergebnisse publiziert werden konnten.27 Wesentliche Fragen im Spannungsfeld von

25 LUKACS, The Future of History, S. 99.26 Zum Verständnis der Friedens- und Konfliktforschung als Teil der Politikwissenschaft: PELIN-

KA Anton/VARWICK Johannes, Grundzüge der Politikwissenschaft, Wien/Köln/Weimar, 22010, S. 151-166. Zum Feld der Friedens- und Konfliktforschung und ihrer Perspektive auf innergesell-schaftliche Verhältnisse, interdisziplinäre Zugänge und dem Verständnis eines sozialen Konflikts als Auseinandersetzungen zwischen Individuen oder Gruppen: MEYER Berthold, Entstehung und Austragungsformen von Konflikten, Hindernisse bei ihrer Regelung und Strategien, diese friedlich zu überwinden, in: MEYER Berthold (Hrsg.), Konfliktregelung und Friedenstrategien. Eine Einführung, Wiesbaden, 2011, S. 27; KOPPE Karlheinz, Zur Geschichte der Friedensfor-schung im 20. Jahrhundert, in: IMBUSCH Peter/ZOLL Ralf (Hrsg.), Friedens- und Konfliktfor-schung. Eine Einführung, Wiesbaden, 52010, S. 17; IMBUSCH Peter, Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien – ein Überblick, in: IMBUSCH Peter/ZOLL Ralf (Hrsg.), Friedens- und Kon-fliktforschung. Eine Einführung, Wiesbaden, 52010, S. 143; JABERG Sabine, Friedensforschung, in: GIEßMANN Hans/RINKE Bernhard (Hrsg.), Handbuch Frieden, Wiesbaden, 2011, S. 53.

27 Insb. BROUSEK/PIRKER, Zukunft durch Vergangenheit?; PIRKER Jürgen, Vom (Eigen-)Sinn der Geschichte(n), Große und kleine Erzählungen in Kärnten, in: PETRITSCH Wolfgang/GRAF Wilfried/KRAMER Gudrun (Hrsg.), Kärnten liegt am Meer, Konfliktgeschichte/n über Trauma, Macht und Identität, Klagenfurt, 2012, S. 448; PIRKER Jürgen, Über die „Mitte der Brücke“ – Der Weg zur Lösung der Kärntner Ortstafelfrage 2010-2011, in: ANDERWALD Karl/FILZMAI-ER Peter/HREN Karl (Hrsg.), Kärntner Jahrbuch für Politik 2011, Klagenfurt, 2011, S. 78; PIR-KER Jürgen, Wenn die Eule der Minerva ihren Flug beginnt … – Zur aktuellen Entwicklung der Volksgruppenorganisationen, in: ANDERWALD Karl/FILZMAIER Peter/HREN Karl (Hrsg.), Kärntner Jahrbuch für Politik 2010, Klagenfurt, 2010, S. 111.

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Einführung und Grundlagen

Geschichte, Politik und Recht stellen sich nach dem Umgang mit der Vergangenheit als Konfliktressource, der Position der Akteure in den betroffenen Prozessen und den Interventionen in den Konflikt – Forschungsfragen, die anzusiedeln sind an der Schnitt-stelle von Geschichts-, Rechts- und Politikwissenschaft, sowie Psychologie, Soziologie, Friedens- und Konfliktforschung. Aus jeder dieser Perspektiven könnte eine tiefere Be-arbeitung erfolgen. Die vorliegende Arbeit intendiert eine Gesamtschau auf den Prozess – aufbauend auf der Prämisse:

„Memory brings something from past into a present; it is a function not unique to human beings. But while we are not only responsible for what we think, we are responsible, too, for what we remember – or, more precisely: what we choose to remember.“28

III. Parameter der nationalen Frage für Konsens und Dialog

Als Ausgangspunkt einer Analyse des Konsens- und Dialogprozesses in Kärnten sind einige Parameter der nationalen Frage und des Mehrheiten-Minderheitenkonflikts in Kärnten zu skizzieren, insb. zentrale Stränge der Konfliktgeschichte, Funktionen der Minderheitenrechte, die Stellung der slowenischen Sprache in Kärnten, und die volks-gruppenpolitischen Akteure. Die folgenden Abschnitte basieren auf einigen Vorarbei-ten29 und dienen der Einführung in den Konflikt als Grundlage für ein Verständnis der zu beleuchtenden Prozesse.

1. Konfliktgeschichte/n30

Die Wurzeln der nationalen Frage in Kärnten liegen im aufkommenden Nationalismus ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Er überlagert die ökonomische und soziale Strati-

28 LUKACS, The Future of History, S. 100.29 Insb. PIRKER, Kärntner Ortstafelstreit, S. 38-88; 103-143; 205-263; PIRKER, Wenn die Eule

der Minerva ihren Flug beginnt, S. 111-128; PIRKER Jürgen, Minderheitenschutz und Sprachför-derung. Pluralismustauglicher Minderheitenschutz am Beispiel des zweisprachigen Kärnten und dreisprachigen Südtirol. Perspektiven des Österreichischen Volksgruppenrechts, Wien/Köln/Wei-mar, 2017, S. 50-58; 158-174; 102-122; PIRKER Jürgen, Wir sind Kärnten – Mi smo Koroška. Jugend, Begegnung und Politische Bildung in Volksgruppenfragen, Baden-Baden, 2013, S. 35-46; PIRKER Jürgen, How to Stop a Perpetuum Mobile? Interdisciplinary Insights into the Ongo-ing Issue of the Slovene Ethnic Minority in Austria: The Question of Bilingual Topography, in: ÅKERMARK Sia Spiliopoulou/BLOED Arie/HOFMANN Rainer/MARKO Joseph/MAYALL James/PACKER John/WELLER Marc (Hrsg.), European Yearbook of Minority Issues. Volume 9, 2010, Leiden/Boston, 2012, S. 717-748; PIRKER Jürgen, Kärntner Ortstafelstreit – Eine „(un)endliche“ Geschichte? Juristische und historische Einblicke, in: HAFNER Gerhard/PANDEL Martin (Hrsg.), Volksgruppenfragen. Kooperation statt Konfrontation/Vprašanja manjšin. Koo-peracija namesto konfrontacije, Klagenfurt/Ljubljana/Wien, 2011, S. 127-164.

30 Zur Konfliktgeschichte im Überblick siehe u. a.: HAAS Hanns/STUHLPFARRER Karl, Öster-reich und seine Slowenen, Wien, 1977; BARKER Thomas, The Slovene ethnic minority of Ca-rinthia, New York, 1984; INZKO Valentin, Geschichte der Kärntner Slowenen. Von 1928 bis

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Parameter der nationalen Frage für Konsens und Dialog

fikation der Bevölkerung und damit verbundene ökonomische Assimilationsprozesse: Deutschdominierte Zentren, Städte und Märkte versprechen sozialen Aufstieg, weshalb Teile der Bevölkerung aus einkommensschwachen, ländlichen und traditionell slowe-nischsprachigen Gebieten in die Zentren abwandern. Die Anpassung ist in diesen Phasen überwiegend ökonomisch, sozial oder kulturell, weniger politisch bedingt. Dies ändert sich mit der nationalistischen Aufladung der Unterscheidung nach Sprache und Kultur.31

zur Gegenwart unter Berücksichtigung der gesamtslowenischen Geschichte, Klagenfurt, 1988; ÖSTERREICHISCHE REKTORENKONFERENZ (Hrsg.), Bericht der Arbeitsgruppe „Lage und Perspektiven der Volksgruppen in Österreich“, Wien, 1989; MORITSCH Andreas (Hrsg.), Austria Slovenica, Die Kärntner Slowenen und die Nation Österreich, Koroški Slovenci in austrijska nacija, Klagenfurt/Ljubljana/Wien, 1996; RUMPLER Helmut, Der schwierige Weg aus der Vergangenheit in die Zukunft, in: RUMPLER Helmut (Hrsg.), Geschichte der öster-reichischen Bundesländer seit 1945. Band 6/2 Kärnten, Wien/Köln/Weimar, 1998, S. 48; MO-RITSCH Andreas (Hrsg.), Kärntner Slowenen – Koroški Slovenci 1900-2000, Klagenfurt/Ljubljana/Wien, 2000; FRÄSS-EHRFELD, Geschichte Kärntens Band 3/2 – Kärnten 1918-1920. Abwehrkampf – Volksabstimmung – Identitätssuche, Klagenfurt, 2000; SUPPAN Ar-nold, Zur Geschichte Südkärntens. Aus der Perspektive einer zweisprachigen Region, in: PANDEL Martin/POLZER-SRIENZ Mirjam/POLZER Miroslav/VOSPERNIK Reginald (Hrsg.), Ortstafelkonflikt in Kärnten – Krise oder Chance?, Wien, 2004, S. 128; KARNER Stefan (Hrsg.), Kärnten und die Nationale Frage, 5 Bde., Klagenfurt/Ljubljana/Wien, 2005; FRÄSS-EHRFELD Claudia, Zwischen Bundeskompetenz und Kärntner Realität, in: FRÄSS-EHRFELD Claudia/RUMPLER Helmut (Hrsg.), Kärnten und Wien. Zwischen Staatsidee und Landesbewusstsein, Klagenfurt/Ljubljana/Wien, 2005, S. 83; FRÄSS-EHRFELD Claudia, Zwischen Kärnten und Wien – die Minderheitenproblematik in der Zweiten Republik, in: ANDERWALD Karl/KAR-PF Peter/VALENTIN Hellwig (Hrsg.), Kärntner Jahrbuch für Politik 2002, Klagenfurt, 2002, S. 130; VALENTIN, Der Sonderfall; KLEMENČIČ Matjaž/KLEMENČIČ Vladimir, Die Kärnt-ner Slowenen und die zweite Republik, Klagenfurt/Ljubljana/Wien, 2010; VALENTIN Hellwig, Kärnten, Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, Innsbruck-Wien, 2011; MAIER Johannes, Die Kärntner Ortstafelregelung 2011. Ein Ergebnis des erfolgreichen Regierens auf mehreren Ebe-nen, in: BUßJÄGER Peter/GSODAM Christian (Hrsg.), Multi-Level-Governance im Alpenraum. Die Praxis der Zusammenarbeit im Mehrebenensystem, Innsbruck, 2013, S. 271; VALENTIN Hellwig, Eine konfliktreiche Beziehungsgeschichte. Die Volksgruppenfrage und die Beziehungen zwischen Kärnten und Slowenien, in: PIRKER Jürgen (Hrsg.), Kärnten und Slowenien: Getrennte Wege – Gemeinsame Zukunft. Jugend zwischen Heimat, Nation und Europa/Koroška in Slove-nija: Ločene poti – skupna prihodnost. Mladi o domovini, narodu in Evropi, Baden-Baden, 2015, S. 82. Für einen Überblick über die slowenische Kulturgeschichte siehe STURM-SCHNABL Katja/SCHNABL Bojan-Ilija (Hrsg.), Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärn-ten/Koroška. Von den Anfängen bis 1942, Wien, 2016. Zu diesem grundlegenden Einführungsab-schnitt vgl. die Arbeiten von PIRKER in der vorangehenden Fußnote.

31 HAAS Hanns, Assimilation und politische Kultur, in: BAUBÖCK Rainer (Hrsg.), …Und raus bist du! Ethnische Minderheiten in der Politik, Wien, 1988, S. 29-32; PERCHINIG Bernhard, Wir sind Kärnten und damit hat sich`s. Deutschnationalismus und politische Kultur in Kärnten, Klagenfurt, 1989, S. 18-20; 33-130; VALENTIN Hellwig, Nationalismus oder Internationalis-mus, Arbeiterschaft und nationale Frage mit besonderer Berücksichtigung Kärntens 1918-34, Klagenfurt, 2000, S. 276-298; 318; 352; PIRKER, Kärntner Ortstafelstreit, S. 118-125; PIRKER, How to stop a Perpetuum Mobile?, S. 732-733; PIRKER, Minderheitenschutz, S. 50-51. Zu den Nationalismen und Geschichtsmythen beider Seiten in dieser Phase WADL Wilhelm, Kärnten im Widerstreit zweier Nationalismen (1848-1918), in: BECLIN Nicole/KARPF Peter/KASSL Thomas/PLATZER Werner (Red.), Ein Kärnten. Die Lösung, Klagenfurt, 2012, S. 18.

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Einführung und Grundlagen

Der Deutschnationalismus präsentiert sich als liberal und fortschrittlich und erfasst bürgerliche Schichten in den Städten und Märkten, den grundbesitzenden Adel und die Arbeiterschaft in den deutschdominierten Zentren. Der klerikal-konservative slowe-nische Nationalismus erreicht überwiegend ländlich kleinbäuerliche Schichten, deren Intelligenz der Klerus bildet.32 Politisch erfolgt erstmals 1848 die Forderung nach Ein-führung des Slowenischen als gleichberechtigter Amts- und Unterrichtssprache. Nach dem Reichsvolkschulgesetz 1869, das den Einfluss der Kirche aus dem Schulbereich zurückdrängt und Kirche und Schule trennt, vollzieht sich die nationale Auseinander-setzung insb. um die Frage der Schule und Ausbildung. Landesschulrat und deutsch-dominierte Gemeinden betreiben als Schulerhalter eine frühe Ausbildung in deutscher Sprache. Damit werden Schule und Arbeitsplatz zu Orten gezielter Germanisierung. Nationale Vereinigungen betreiben die öffentliche Verbreitung nationaler Positionen. Im dörflichen Leben wird der nationale Diskurs nach der Neuregelung der Schule von meist deutschgesinnten Lehrern und der slowenisch nationalen Priesterschaft forciert.33 Die Festschreibung und Bedeutung der nationalen Zugehörigkeit wird, wie Judson für das Habsburgerreich ab 1867 demonstriert, durch die Institutionen des Reiches geför-dert. Nationalistische Diskurse verstehen Zugehörigkeit zunehmend umfassender und schließen viele Bereiche des Alltagslebens ein, regulieren Grenzen der Gruppen und das Verhalten ihrer Mitglieder und schließen Personen aus, die sich indifferent verhal-ten.34 Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts stehen sich in Kärnten zwei nationale Lager gegenüber. Der nationale Konflikt wird nun ideologisch, politisch, wirtschaftlich und kulturell geführt.35

Militärisch entzündet sich der Konflikt nach dem Ersten Weltkrieg, als das neu entstandene Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS) Ansprüche stellt und die zweisprachigen Gebiete Südkärntens besetzt, die nun von zwei Seiten national bean-

32 PERCHINIG, Wir sind Kärnten, S. 16-20; BAUMGARTNER Gerhard, 6 x Österreich. Geschich-te und aktuelle Situation der Volksgruppen, Klagenfurt, 1995, S. 31; ÖSTERREICHISCHE REK-TORENKONFERENZ, Bericht der Arbeitsgruppe, S. 63.

33 MORITSCH Andreas, Nationale Ideologien in Kärnten, in: MORITSCH Andreas (Hrsg.), Kärnt-ner Slowenen – Koroški Slovenci 1900-2000, Klagenfurt/Ljubljana/Wien, 2000, S. 9; MORITSCH Andreas, Modernisierung und nationale Differenzierung, in: MORITSCH Andreas (Hrsg.), Aus-tria Slovenica, Klagenfurt/Ljubljana/Wien, 1996, S. 52-53; MORITSCH Andreas, Formen „eth-nischer Säuberung“ in Kärnten, in: MORITSCH Andreas (Hrsg.), Austria Slovenica, Klagenfurt/Ljubljana/Wien, 1996, S. 37; VALENTIN, Nationalismus, S. 44-47; 276-277; MALLE Augustin, Wohin verschwanden die Kärntner Slowenen?, Historicum Koroski Slovenci I/2004-2005, S. 24; PERCHINIG, Wir sind Kärnten, S. 33; 130; MORITSCH Andreas, Volk, Nationalität, Assimila-tion? Forschungseindrücke aus Südkärnten und dem Burgenland, in: BAUBÖCK Rainer (Hrsg.), …Und raus bist du! Ethnische Minderheiten in der Politik, Wien, 1988, S. 257-266; ÖSTER-REICHISCHE REKTORENKONFERENZ, Bericht der Arbeitsgruppe, S. 120; WADL, Kärnten im Widerstreit zweier Nationalismen, S. 18-25; PIRKER, Kärntner Ortstafelstreit, S. 122-123; PIRKER, How to Stop a Perpetuum Mobile?, S. 733; PIRKER, Minderheitenschutz, S. 51.

34 JUDSON Pieter, Nationalism and Indifference, in: FEICHTINGER Johannes/UHL Heidema-rie (Hrsg.), Habsburg neu denken, Wien/Köln/Weimar, 2016, S. 150-160; JUDSON Pieter, The Habsburg Empire. A New History, Cambridge/London, 2016, S. 269-280.

35 KARNER Stefan/MORITSCH Andreas, Zur Einleitung: Der nationale Konflikt, in: KARNER Stefan/MORITSCH Andreas (Hrsg.), Aussiedlung – Verschleppung – nationaler Kampf, Klagen-furt/Ljubljana/ Wien, 2005, S. 8-9; vgl. PIRKER, Minderheitenschutz, S. 51.