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Retina Suisse Journal - Giornale erscheint 3 Mal jährlich Die Selbsthilfeorganisation von Menschen mit Retinitis pigmentosa (RP), Makuladegeneration, Usher-Syndrom und anderen degenerativen Netzhauterkrankungen /201 1 6

Journal - Giornale - Retina Suisse · 2020. 5. 27. · 4 Retina-Suisse-Journal 1 -2016 Lieber Leser, liebe Leserin Wenn Sie dieses Journal lesen, ist es bereits Sommer, die Abende

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  • Retina Suisse

    Journal - Giornale erscheint 3 Mal jährlich

    Die Selbsthilfeorganisation von Menschen mit Retinitis pigmentosa (RP), Makuladegeneration, Usher-Syndrom und anderen degenerativen Netzhauterkrankungen

    Umschlag-DE.indd 2 3.5.2012 11:56:01 Uhr

    /2011 6

  • Impressum

    Redaktion: Christina Fasser, Renata Martinoni, Uta BuhRetina Suisse, Ausstellungsstrasse 36, 8005 Zürich

    Tel. 044 444 10 77, Fax 044 444 10 70 E-mail [email protected], www.retina.ch

    Satz:

    Druck: Roda Fratelli SA, Taverne (TI)

    Hörzeitschrift: CAB, Landschlacht

    Jahresabo: Der Bezugspreis ist im Mitgliederbeitrag enthalten

    Erscheinungsform: Deutsch, Französisch, Italienisch gedruckt und ge-

    sprochen

    Postkonto 80-1620-2 IBAN CH42 0900 0000 8000 1620 2

    Wir sind für jede Spende dankbar!

    Nr. 12 ,

    Umschlag-DE.indd 3 3.5.2012 11:56:01 Uhr

    Werner Schrumpf AG, 8123 Ebmatingen

    8 Juni 2016

  • Retina-Suisse-Journal1-2016 1

    08. Juli 2016 – 10. Juli 201619. Retina International-Weltkongress in Taipeh, Taiwan

    31. August 2016Die altersbedingte Makuladegeneration AMD - Öffentlicher Informationsabend in Basel

    01. September 2016Die altersbedingte Makuladegeneration AMD - Öffentlicher Informationsabend in Schaffhausen

    22. Oktober 2016Treffen der Neumitglieder der Retina Suisse

    29. Oktober 2016Regionaltreffen Deutschschweiz der Retina Suisse

    Journal1-2016

    Agenda

  • 2 Retina-Suisse-Journal1-2016

    Inhalt

    Editorial (Ch. Fasser) ................................................. 4

    Aus Medizin und Forschung ........................... 6 Studie findet weitere Risiko-Gene für die Altersbedingte Makuladegeneration ....................... 6 Nahrungsergänzungsmittel bei AMD ....................... 10 Urweizensorten produzieren mehr «Augen- schutzstoff» Lutein .................................................... 13 Autofluoreszenz-Lebzeiten-Messung der Retina: Erste Resultate dieser neuartigen Bildgebung der Netzhaut (Ch. Dysli) ................................................... 16 Licht und Schatten von LED-Lampen (A. Hirstein) ... 19 Zur Gabe von Vitamin A bei erblichen Netzhaut- dystrophien (Stellungnahme 2016 AKF) ................... 23 AKF-Empfehlungen zur Einnahme von Vitamin A .. 32

    Leben mit ................................................................. 38 Vom Reiz der Nadel – über die Akupunktur-Angebote (F. Brunsmann / C. Gehrig) ........................................ 38 Drei Länder – ein Ziel: Tandem-Tour 2016 erneut auf Kurs (Uta Buhl) .............................................................. 43 Digital Natives und Ich (S. Trudel) ............................. 49 Lormen lernen leicht gemacht (N. Schmuck) ............ 52 Mein Freund Charly (R.-M. Morger) .......................... 54 Tablets eignen sich als Sehhilfe (Ch. Birkenstock) ... 56

  • Retina-Suisse-Journal1-2016 3

    Sozialpolitik ........................................................... 59 7. IVG-Revision – Weiterentwicklung wohin? (U. Schaffner) ............................................................. 59 Zwischenhalt auf dem Weg zur Inklusion (St. Hüsler) .................................................................. 62

    Tipps und Tricks .................................................... 65 Sprechender Fernseher - ein neues barrierefreies Fernseherlebnis (P. Schmutz) .................................... 65 Selbständig unterwegs dank App «My Way» (S. Gasser) .................................................................. 67 Aipoly Vision - eine App, die Bilder erkennen kann (U. Kaiser) .................................................................. 68 Der elektronische Kiosk für iPhone, iPad etc. (Ch. Fasser) ................................................................. 71

    Hilfsmittel ............................................................... 72 Härtefallregelung für hörsehbehinderte Menschen ... 72 Mix- und Messbecher mit Eidottertrenner .............. 72 DianaTalks Armbanduhr sprechend ......................... 73 Traveller HD – ein leichter aber starker Begleiter! .. 74

  • 4 Retina-Suisse-Journal1-2016

    Lieber Leser, liebe Leserin

    Wenn Sie dieses Journal lesen, ist es bereits Sommer, die Abende sind hell und (hoffentlich) warm: ideale Zeiten für Menschen mit einer Nachtblindheit, Freunde und Familien zu treffen, auszugehen, kurz das Leben zu geniessen.

    Daneben gib es aber auch immer wieder Momente für nachdenkliches: Wie bringen wir unser Leben mit einer Sehbehinderung, respektive unser Leben mit einem seh-behinderten Familienangehörigen, mit all seinen Anfor-derungen unter einen Hut. Der Beruf verlangt von allen, aber insbesonders von behinderten Menschen alles. Die richtige Balance zu finden, dass beides befriedigend Platz hat, ist eine grosse Herausforderung. Die IV stellt viele Möglichkeiten zur Integration am Arbeitsplatz zur Verfügung. Auch im neuen Vorschlag für die nächste IV-Revision ist dies enthalten. Hingegen gibt es keine Verpflichtung für Arbeitgeber, behinderte Menschen anzustellen. Hier hat Selbsthilfe noch ungeahnte Mög-lichkeiten: Wir wissen, dass einige unserer Mitglieder, die noch im Berufsleben stehen, bald einmal pensioniert werden. Wie wäre es, wenn Sie frühzeitig informell nach einem sehbehinderten Nachfolger/Nachfolgerin Ausschau halten würden? Ein erster Anstoss in diese Richtung: Wir würden gerne in Zukunft mehr Porträts von Menschen mit einer Sehbehinderung veröffentlichen. Falls Sie Lust haben, über Ihre Berufssituation zu sprechen, würde uns dies freuen!

    Editorial

  • Retina-Suisse-Journal1-2016 5

    Nun wünschen wir Ihnen von Herzen eine schöne, erhol-same und spannende Sommerzeit mit viel Sonnenschein, guten Begegnungen und tollen Erlebnissen.

    Mit lieben Grüssen

    Christina Fasser, Uta Buhl und Renata Martinoni

    Prof. Dr. Botond Roska mit dem Cogan Award aus-gezeichnetProf. Botond Roska vom Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research in Basel wurde an der ARVO 2016 mit dem Cogan Award ausgezeichnet. Dieser Preis ehrt junge Forscher, die in ihrem Fachgebiet ausserordent-liches geleistet haben. Wir gratulieren Herrn Prof. Bo-tond Roska ganz herzlich!

    Dr. Barbara Müller in den Thurgauer Grossen Rat gewähltUnser Mitglied Dr. Barbara Müller wurde erfolgreich in den Grossen Rat des Kantons Thurgau wieder gewählt. Wir gratulieren Frau Dr. Barbara Müller ganz herzlich zu diesem Erfolg. Es ist toll, wenn sich selber betroffene Menschen in der Politik engagieren!

    Wir gratulieren

  • 6 Retina-Suisse-Journal1-2016

    Aus Medizin und Forschung

    Das Deutsche Ärzteblatt berichtet aktuell über eine neue Studie im Zusammenhang mit der altersbeding-ten Makuladegeneration (AMD). In der bisher grössten genomweiten Assoziationsstudie wurden 52 Genvari-anten an 34 Stellen des menschlichen Erbguts gefun-den, die zusammen mehr als die Hälfte der genetischen Prädisposition (erblich bedingte Anlage oder Empfäng-lichkeit) bei der altersbedingten Makuladegeneration erklären. Einige Genvarianten lieferten dabei laut der Publikation in «Nature Genetics» wichtige Hinweise für das Verständnis dieser häufigen Erkrankung. Genomweite Assoziationsstudien (GWAS) sind ein Mit-tel in der Wissenschaft, um Abschnitte auf der DNA mit einer Krankheit in Verbindung zu bringen. Das Prinzip: Man nimmt die Genomdaten von tausenden gesunden und kranken Menschen und vergleicht sie miteinan-der. Als Ergebnis erhält man Zahlenverhältnisse, die beschreiben ob eine bestimmte Stelle im Genom öfter bei Kranken im Vergleich zu Gesunden vorkommt oder nicht. Ist ersteres der Fall, so spielen diese Stellen in der DNA möglicherweise eine Rolle in der Krankheitsent-stehung und -förderung. Auf diese Art und Weise kann man Abschnitte im Erbgut identifizieren und sie durch weitere Forschung auf ihre genaue Krankheitsrelevanz prüfen.

    Studie findet weitere Risiko-Gene für die altersbedingte Makuladegeneration

  • Retina-Suisse-Journal1-2016 7

    Verlauf der AMDBei etwa 5 Prozent aller Menschen europäischer Her-kunft kommt es im höheren Alter zu einer Störung der Netzhaut im Bereich des schärfsten Sehens, das für viele Tätigkeiten des Alltags von Lesen bis Autofahren benötigt wird. Diese altersbedingte Makuladegenera-tion (AMD) ist gekennzeichnet durch eine Funktions-störung des sogenannten retinalen Pigmentepithels (RPE) mit einem darauf folgenden Verlust von Photore-zeptoren. Es kommt zunächst zu einer trockenen AMD und bei einigen Patienten infolge einer pathologischen Gefässneubildung auch zur feuchten AMD. Die Ursache ist unbekannt und bei der trockenen AMD gibt es zur Zeit auch keine Therapie. Das Fortschreiten der feuch-ten AMD kann durch Lasertherapie oder Angiogenese-Hemmer begrenzt werden.

    Studie bringt neue EinblickeFrühere genetische Studien hatten bereits Genvarian-ten in 21 Regionen des Erbguts mit einer erhöhten An-fälligkeit der Erkrankung in Verbindung gebracht. Um weitere zu finden, hat das «International AMD Geno-mics Consortium» jetzt bei über 43’000 Menschen mit überwiegend europäischer Abstammung einen Gen-vergleich zwischen Patienten mit AMD und Gesunden durchgeführt.

    Neue Auswirkungen von Defekten erkannt Dabei wurde das Erbgut an nicht weniger als 12 Milli-onen Stellen verglichen. Das Forscherteam um Sudha Iyengar von der Case Western Reserve University,

  • 8 Retina-Suisse-Journal1-2016

    Gonçalo Abecasis von der Universität von Michigan und Iris Heid von der Universität Regensburg konnte die Rolle von zwei Genen, CFH und TIMP3, bestätigen und neue Assoziationen beschreiben. Die Rolle des Gens CFH (complement factor H), das einen Bestandteil des Immunsystems kodiert, ist unklar. Einige Forscher vermuten, dass es an der Entwicklung der Drusen (Ablagerungen unterhalb der Netzhaut) be-teiligt ist, die sich bei der trockenen AMD bilden. TIMP3 kodiert eine Peptidase (Enzym, das Proteine spalten kann), die am Abbau der extrazellulären Matrix beteiligt ist. Die extrazelluläre Matrix besteht aus der Gesamtheit aller Makromoleküle im Interzellularraum. Vereinfacht gesprochen ist sie aus den Strukturbestand-teilen eines Gewebes zusammengesetzt, die sich aus-serhalb der Zellen befinden. Mutationen im TIMP3-Gen wurden in früheren Studien bereits mit der Fundus-Dystrophie vom Typ Sorsby in Verbindung gebracht. Dieses autosomal dominante Erbleiden führt bereits vor dem 45. Lebensjahr zu einer Atrophie der Netzhaut, die der AMD ähnelt.

    Zusätzliche neue Defekte gefundenDie Forscher entdeckten noch neun weitere Genvari-anten, die im Stoffwechsel der extrazellulären Matrix von Bedeutung sind. Störungen in diesem Bereich sind möglicherweise für einen Subtyp der AMD verantwort-lich, der ohne Vorwarnung zu einer Verschlechterung der Sehkraft führt. Sollte sich aus diesen Varianten ein Gentest konstruieren lassen, könnte dies eine Früher-kennung möglich machen.

  • Retina-Suisse-Journal1-2016 9

    Eines der Gene, MMP9, war nur mit der feuchten Vari-ante der AMD assoziiert. Sein Genprodukt könnte für die Integrität der sogenannten Bruch-Membran wichtig sein, die die Netzhaut gegenüber der Aderhaut abdich-tet. Eine Störung an dieser Stelle könnte das Einspros-sen von Blutgefässen in die Netzhaut ermöglichen, die für die feuchte AMD kennzeichnend sind.

    Weitere Informationen in englischer Sprache zum The-ma: * Abstract der Studie in Nature Genetics [1], * Pres-semitteilung des National Eye Institute [2], * Pressemit-teilung der Boston University School of Medicine [3], * International AMD Genomics Consortium, * Deutsches Ärzteblatt [4]

    Links aus diesem Beitrag: [1] http://www.nature.com/ng/journal/vaop/ncurrent/full/ng.3448.html

    [2] https://nei.nih.gov/news/pressrelease/new_gene-tic_clues_amd

    [3] http://www.eurekalert.org/pub_releases/2015-12/bumc-iso122215.php

    [4] http://mobile.aerzteblatt.de/news/65222.htm Mit

    Quelle: Pro-Retina News 2016

  • 10 Retina-Suisse-Journal1-2016

    Für Patienten mit einer altersbedingten Makuladege-neration (AMD) bieten viele Hersteller Nahrungsergän-zungsmittel an, die versprechen das Fortschreiten der AMD zu verzögern. Welche Substanzen haben einen Einfluss?

    Die ARED1-Studie (Age-Related Eye Disease Study) zeigte, dass eine Kombination aus Antioxidantien, wie Vitamin A und Vitamin E, sowie Carotinoiden und Zink das Risiko eine AMD-Spätform zu entwickeln um 25% reduzieren kann. In der nachfolgenden ARED2-Studie wurde eine Reduktion der Zinkdosis vorgenommen und der Effekt von Lutein und Zeaxanthin als Alterna-tive zu beta-Carotin geprüft. Auch Omega-3-Fettsäuren wurden hinsichtlich eines möglichen Einflusses auf den Verlauf der AMD untersucht.

    Wem nützen Nahrungsergänzungsmittel?Ein positiver Einfluss von Nahrungsergänzungsmitteln konnte in der ARED1-Studie für bestimmte intermedi-äre (mittelgradige) und fortgeschrittene Formen der AMD belegt werden. In der AMD-Klassifikation nach AREDS sind dies die Kategorien 3 und 4. Eine Einord-nung erfolgt durch die Untersuchung beim Augenarzt. Daher ist es unerlässlich mit dem Augenarzt zu be-sprechen, ob der Patient von der Einnahme profitieren kann. Ebenso muss geprüft werden, ob Risiken vorlie-gen, so dass eventuell von einer Einnahme abzuraten

    Nahrungsergänzungsmittel bei AMD

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    ist. So sollten zum Beispiel Raucher und ehemalige Raucher laut ARED1-Studie keine beta-Carotinoide zu sich nehmen, da diese das Risiko erhöhen an Lungen-krebs zu erkranken. Ausserdem sollte die Einnahme mit dem Hausarzt abgesprochen werden, um Wechselwir-kungen mit anderen Medikamenten auszuschliessen.

    Als vorbeugende Massnahme eignen sich Nah-rungsergänzungsmittel in der allgemeinen Bevöl-kerung nicht. Allerdings ist es für AMD-Patienten und die allgemeine Bevölkerung ratsam auf das Rauchen zu verzichten, da dies einen Hochrisikofaktor für die AMD darstellt.

    Die empfohlene Kombination und Dosierung Folgende Zusammensetzung (der täglichen Dosierung. Anm. der Red.) verzögerte in den Studien das Fortschrei-ten der AMD:Vitamin A: 500 mgVitamin E: 400 IE (≈ 268 a-TE)Zink: 25 mgKupfer: 2 mg Lutein: 15 mgZeaxanthin: 2 mg

    Im Vergleich zu früheren Untersuchungen konnte die Zinkdosis reduziert werden. Lutein und Zeaxanthin ersetzen das beta-Carotin. Die Einnahme von Omega-3--Fettsäuren (insbesondere DHA (DHA = Docosahexaen-säure) und EPA (EPA = Eicosapentaensäure) brachte in

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    der ARED2-Studie keinen Vorteil, in kleineren Studien konnte jedoch ein positiver Effekt festgestellt werden. Abweichende Zusammensetzungen wurden in den ARED-Studien nicht untersucht, so dass hier eine Wirk-samkeit nicht nachgewiesen ist.

    Welche Nahrungsergänzungsmittel gibt es?Das Angebot an Nahrungsergänzungsmitteln ist gross. Es stehen viele Produkte mit unterschiedlichen Zusam-mensetzungen zur Verfügung.

    Die Stellungnahme der Deutschen Opthalmologischen Gesellschaft, der Retinologischen Gesellschaft und des Berufsverbandes der Augenärzte in Deutschland zu Nahrungsergänzungsmitteln bei altersabhängiger Makuladegeneration finden Sie unter: http://www.pro-retina.de/forschungsfoerderung/wissenschaftliche-beratungsgremien/ empfehlungen

    Diese Stellungnahme kann bei Retina Suisse in Deutsch, Französisch und Italienisch bezogen werden.

    Quelle: Retina Aktuell, Nr. 137 (Pro Retina Deutschland e.V.)

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    Ernährung, Nahrungsergänzungsmittel und Vitamin-präparate sind immer ein interessantes Thema. Jetzt gibt es neue Studienergebnisse zum Luteingehalt alter Weizensorten. Gesund für die Augen: Im menschli-chen Auge wird das Carotinoid Lutein als UV- und Blaulicht-Filter sowie als hochwirksames Antioxidans benötigt, um die Netzhaut vor energiereicher Strah-lung zu schützen. Weil der Körper Carotinoide nicht selbst bilden kann, müssen sie über die Nahrung, vor allem Gemüse, aufgenommen werden. Eine kürzlich im «Journal of Agricultural and Food Chemistry» ver-öffentlichte Studie der Universität Hohenheim be-legt nun, dass die alte Weizenart Einkorn in erhöhter Konzentration Lutein enthält. Das Ergebnis: Brot aus Urgetreide regelmässig gegessen, könnte einen er-heblichen Beitrag für eine verbesserte Augenfunktion leisten.

    Viel Lutein in alten WeizensortenNicht nur Spinat und Grünkohl enthalten Lutein, auch in den alten Weizenarten Emmer, Dinkel und vor allem Einkorn kommt Lutein in erhöhter Konzentration vor. «Lutein ist ein Schutzstoff, der für den gelben Fleck im Auge – dem Bereich des scharfen Sehens – benötigt wird», erklärt Jochen Ziegler, Lebensmitteltechnologe an der Universität Hohenheim.

    Urweizensorten produzieren mehr vom «Augen-schutzstoff» Lutein

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    Einkorn: 10-mal mehr Lutein als Weich- und Hart-weizenDie Landessaatzuchtanstalt der Universität Hohen-heim pflanzte von den fünf Weizenarten – Hartweizen, Weichweizen, Einkorn, Emmer und Dinkel – je 15 ver-schiedene Sorten an fünf verschiedenen Standorten an, welche im Anschluss am Lehrstuhl für Technologie und Analytik pflanzlicher Lebensmittel analysiert wurden.«Im Unterschied zum Reis (Golden Rice), wo Caroti-noide durch Gentechnik in ein Grundnahrungsmittel eingebracht wurden, nutzten wir hier das natürliche Vorkommen von Lutein in Urweizensorten», erklärt Prof. Dr. Reinhold Carle, Leiter der analytischen Studie. «Um die Erblichkeit des Luteingehalts zu prüfen, war es wichtig, Vertreter dieser Arten an verschiedenen Stand-orten anzubauen.»

    Die Ergebnisse sind eindeutig: Während die moderne Weizenart Weichweizen (Brot) zwar eine gewisse Men-ge an Lutein enthält, ist in der Urweizenart Einkorn das sechs- bis zehnfache an Lutein enthalten. «Jede der Einkornsorten enthält mehr Lutein als alle Brotweizen-sorten», so das Fazit des Wissenschaftlers.«Der hohe Luteingehalt in Einkorn gibt auch den Men-schen die Möglichkeit, sich gesund zu ernähren, die nicht ausreichend luteinreiches Gemüse zu sich neh-men», sagt Ziegler. «Die Menschen könnten sich ge-sünder ernähren, indem sie anstelle von modernen Brotweizensorten zu den lange vernachlässigten Ur-weizensorten wechseln würden.»

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    Einfach im Anbau – geringer im ErtragWarum jedoch sind die alten Weizenarten nicht mas-sentauglich? «Sie sind zwar einfach anzubauen, da man sie weniger spritzen und weniger düngen muss», erklärt Dr. Friedrich Longin, Experte für Einkorn, Emmer und Dinkel an der Universität Hohenheim. Die alten Sorten seien so gesehen eine attraktive Kulturart. Doch es gibt auch Nachteile, vor allem bei der Ernte. Dr. Lon-gin: «Alte Weizenarten sind bepelzt, das heisst, die Körner besitzen noch ihre Hülle. Moderne Weizenarten dagegen nicht. Hier fällt der Arbeitsschritt, die Körner von der Hülle zu befreien, weg.» Hinzu kommt, dass Einkorn einen geringeren Ertrag hat als Brotweizen. Und das Mehl ist nicht rein weiss, sondern eher gelb-lich gefärbt. «Vor allem der Weichweizen hat sich bei uns aufgrund seiner Ertragsstärke etabliert», erklärt Dr. Longin. «Dementsprechend haben sich die Züchter auch hauptsächlich mit Weichweizen befasst. Gezüch-tet wurde auf Ertrag und gute Backeigenschaften nicht jedoch auf den Nährstoffgehalt.»

    Zwei Jahre dauerte die gemeinsame Studie, deren erste Ergebnisse nun im «Journal of Agricultural and Food Chemistry» veröffentlicht wurden. Der Trend ist eindeu-tig, so Ziegler, «Die Menschen wollen sich bewusster und gesünder ernähren. Und sie wollen auch wieder zurück zu den traditionellen und regionalen Lebensmit-teln.»

    Quelle: Universität Hohenheim

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    Autofluoreszenz-Lebzeiten-Messung der Retina: Erste Resultate dieser neuartigen Bildgebung der Netzhaut

    Chantal Dysli, Dr. med. und MD-PhD Doktorandin, Universitätsklinik für Augenheilkunde , Inselspital, 3010 Bern, [email protected]

    Nach meinem Medizin-Studium habe ich mich im Rahmen eines dreijährigen MD-PhD-Forschungsprojektes an der Universitätsklinik für Augenheilkunde in Bern mit Fluores-zenz-Lebzeitenmessung der Netzhaut beschäftigt. Hiermit möchte ich einen kurzen Überblick über diese Technik und die aktuellsten Forschungsresultate geben.

    ZielAutofluoreszenz-Lebzeitenmessung der Netzhaut, oder kurz «FLIO», ist ein neuartiges bildgebendes Verfahren für Abbildungen der Netzhaut. Ziel der Messung ist es, be-reits kleine Veränderungen im Stoffwechsel der Netzhaut aufzeichnen zu können. Dies könnte hilfreich sein zur Grundlagenforschung retinaler Erkrankungen, zur Früh-Diagnostik, für Verlaufsuntersuchungen und eventuell so-gar zur Verlaufs-Dokumentation bei zukünftigen Studien.

    Die FLIO-MessungDer Vorteil an dieser Methode ist, dass die Aufnahmen relativ einfach gemacht werden können, ohne Kontrast-mittel und Nebenwirkungen. Zur FLIO-Messung wird ein «Fluoreszenz Lifetime Imaging Ophthalmoskop» von Hei-delberg Engineering aus Deutschland verwendet. Nach

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    Pupillendilatation dauert die Messung ungefähr 90 Se-kunden pro Auge. Während dieser Zeit wird die Netzhaut mit blauem Licht beleuchtet. Dabei wird die Autofluores-zenz der verschiedenen Stoffwechselkomponenten der Netzhaut angeregt. Das aufgenommene Licht wird kurze Zeit später wieder abgegeben, was als Autofluoreszenz gemessen werden kann. Genau diese Zeitverzögerung von der Anregung bis zur Abgabe des Autofluoreszenz-Lichtes wird mit dem FLIO als Fluoreszenz-Lebzeit gemes-sen. Sie liegt im Bereich von Pico-Sekunden. Je nach Stoff-wechsel-Vorgängen und -Komponenten in der Netzhaut kann diese sich verändern.

    FLIO bei NetzhauterkrankungenJe nach Krankheitsbild und Erkrankungs-Stadium wer-den andere FLIO-Netzhaut-Karten gemessen. Gewon-nene Messwerte können mit gleichaltrigen gesunden Personen verglichen werden. Die Messmethode ist gut reproduzierbar und eignet sich daher besonders auch für Verlaufsuntersuchungen. FLIO-Messungen bei retinalen Arterienverschlüssen zeigen eindeutig, dass Stoffwech-selveränderungen sich deutlich abzeichnen. Analysen von geographischen Atrophien bei trockener AMD ergaben, ähnlich wie bei der Autofluoreszenz-Intensität-Messung, verschiedene morphologische Gruppierungen. Zudem konnten die Rand-Zonen der Atrophie separat gut darge-stellt werden. Bei erblichen Netzhauterkrankungen wie Retinitis pigmentosa, Stargardt, Choroideremie, Best, Ma-lattia Leventinese und Bietti-Dystrophie konnten krank-heitsspezifische FLIO-Daten gewonnen werden. Am Beispiel des Morbus Stargardt wurden in einem Früh-

  • 18 Retina-Suisse-Journal1-2016

    stadium Flecken mit kürzeren Fluoreszenz-Zeiten gemes-sen als in der umgebenden Netzhaut. Im Verlauf wurden diese Stellen als Flecken mit erhöhter Autofluoreszenz-Intensität in der herkömmlichen Messung erkennbar und weisen zunehmend verlängerte Fluoreszenz-Lebzeiten auf. Damit lassen sich Netzhautveränderungen in einem Frühstadium mit FLIO darstellen, bevor sie in anderen bildgebenden Verfahren erkennbar sind. Zudem kön-nen mit dieser Technik möglicherweise Rückschlüsse auf vorhandene Stoffwechsel-Produkte gezogen und deren Umbau dokumentiert werden.

    Dank und AuskunftZum Schluss möchte ich mich herzlich bei allen Betei-ligten bedanken, insbesondere bei allen Probanden und Patienten welche an der Studie teilgenommen haben, bei der Retina Suisse, dem Team von Heidelberg Engineering und den Mitarbeitern der Augenklinik in Bern. Ein ganz besonderer Dank geht dabei an meine Supervisor PD Dr. M. Zinkernagel und Prof. S. Wolf, welche mich während meiner Arbeit unterstützt haben.Für Fragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.

    Literatur: (1-3)1. Dysli C, Quellec G, Abegg M, Menke MN, Wolf- Schnurrbusch U, Kowal J, et al. Quantitative ana- lysis of fluorescence lifetime measurements of the macula using the fluorescence lifetime imaging ophthalmoscope in healthy subjects. Investigative ophthalmology & visual science. 2014;55(4):2106-13.

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    2. Dysli C, Wolf S, Zinkernagel MS. Fluorescence life- time imaging in retinal artery occlusion. Investigative ophthalmology & visual science. 2015;56(5):3329-36.

    3. Dysli C, Wolf S, Hatz K, Zinkernagel MS. Fluores- cence Lifetime Imaging in Stargardt Disease: potential marker for disease progression. Investigative ophthalmology & visual science. 2015.

    Licht und Schatten von LED-Lampen

    Andreas Hirstein, NZZ am Sonntag, Zürich

    Die LED-Technik verdrängt Glühbirne und Energie-sparlampe. Ob blaue Lichtanteile die Netzhaut schä-digen, hat jetzt der Bund untersuchen lassen.

    Leuchtdioden (LED) sind sparsam, langlebig und er-zeugen auch in Wohnräumen ein angenehmes Licht. In Zukunft wird ihr Wirkungsgrad noch weiter stei-gen. Doch dieser Fortschritt in der Beleuchtungstech-nik könnte eine Schattenseite haben. Denn je effizi-enter die Umwandlung der elektrischen Energie in Licht funktioniert, desto grösser wird auch das Risiko von Augenschäden. Wie hoch diese Gefahr wirklich ist und ob handelsübliche LED-Lampen zu fotobio-

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    logischen Verletzungen der Augennetzhaut führen können, haben die Bundesämter für Gesundheit und Energie untersucht und die Ergebnisse Anfang des Monats Februar publiziert. Demnach sind LED-Lam-pen, wie man sie in Wohnräumen und Büros oder als Scheinwerfer einsetzt, generell unbedenklich. Bei unsachgemässer Verwendung allerdings kann es bei einigen Produkten zu Augenschäden kommen vor allem bei Kindern, deren Auge noch eine sehr hohe Transparenz aufweist, und bei Personen, denen eine künstliche Augenlinse eingesetzt wurde. Leucht-dioden sind Halbleiterbauteile, die Lichtwellen in einem eng begrenzten Frequenzbereich emittieren im Unterschied zu Glühlampen, deren Licht das ge-samte sichtbare Spektrum vom langwelligen Rot bis zum kurzwelligen Blau umfasst. Durch Überlagerung der verschiedenen Anteile entsteht in der Glühbirne weisses Licht.

    Der Halbleiterchip einer LED erzeugt zunächst blaues Licht, das von einer dünnen Phosphorschicht zum Teil in gelbes Licht umgewandelt wird. In der Summe ergibt sich so ebenfalls weisses Licht, das systembe-dingt einen relativ hohen Blauanteil enthalten kann.

    Chemische ReaktionenBlaues Licht jedoch ist energiereich. Es ist daher in der Lage, chemische Reaktionen zwischen biologi-schen Molekülen auszulösen. Dabei entstehen hoch-reaktive Verbindungen, die das Gewebe der Netzhaut

  • Retina-Suisse-Journal1-2016 21

    irreversibel schädigen. Neben diesen fotochemischen Wirkungen kann intensives Licht (jeder Wellenlänge) auch thermische Wirkungen auf die Netzhaut haben. Wenn sich das Gewebe dort lokal um mindestens 10 Grad erhöht, kann die Netzhaut zerstört werden. Dieser Effekt ist jedoch nur mit stark gebündeltem Laserlicht zu erwarten und nicht mit handelsüblichen LED-Lampen. Für die Sicherheit einer LED-Lampe ist deshalb nur die sogenannte Blaulichtbelastung ent-scheidend.

    Die internationale Lampennorm IEC 62471 beschreibt ein Messverfahren, mit dem sich Lampen einer von vier verschiedenen Risikogruppen zuordnen lassen. In der «freien Gruppe» besteht für das menschliche Auge keine Gefahr, selbst bei langer Exposition. Ein geringes Risiko besteht bei Lampen der Risikogrup-pe 1, wenn man sehr lange direkt in die Lichtquelle schaut. Produkte der Risikogruppe 2 sind ungefähr-lich, wenn man den Blick in die Lampe innerhalb weniger Sekunden abwendet. Bei Lampen der Ri-sikogruppe 3 dagegen kann schon eine sehr kurze Bestrahlung unterhalb des Reaktionsvermögens eines Menschen zu Augenschäden führen. Im Auftrag der Bundesämter hat das Eidgenössische Institut für Metrologie (Metas) handelsübliche LED-Lampen untersucht. Die Messkriterien waren dabei strenger als in der internationalen Norm vorgesehen. So wurde die Blaulichtbelastung in nur 10 und 20 Zentimetern Entfernung von der Lampe bestimmt.

  • 22 Retina-Suisse-Journal1-2016

    Diese Werte entsprechen den kürzesten Distanzen, auf die das Auge eines Kindes oder eines Erwachse-nen fokussieren kann; sie führen daher zur höchst-möglichen Beleuchtungsstärke auf der Netzhaut.

    «Direkter Blick» Die Messungen von Metas zeigen, dass alle unter-suchten LED-Lampen zur freien Gruppe oder zur Risi-kogruppe 1 gehören, wenn man einen Abstand von 20 Zentimetern zugrunde legt. Nur bei einer für Kin-der massgeblichen Messdistanz von 10 Zentimetern können bei einigen LED-Spots Belastungen auftre-ten, die der Risikogruppe 2 entsprechen. Aber selbst dann müsste man über eine Minute direkt ins Licht schauen, um Augenschäden hervorzurufen. Die Ge-fahr durch heutige LED-Lampen ist demnach äusserst gering und deutlich kleiner als das Risiko, das von Laserpointern ausgeht.

    Die Messungen von Metas zeigen aber auch, dass die Wattzahl einer LED für ihre Sicherheit weniger bedeutend ist als die Abstrahlcharakteristik: Ein klei-ner engstrahlender LED-Spot führt auf der Netzhaut zu einer höheren Belastung als ein leistungsstarker Flächenstrahler, effizientere und hellere LED-Lampen müssen also auch in Zukunft kein Problem sein, so-lange die Lichtstrahlen nicht gebündelt ins Auge treffen.

    Quelle: NZZ am Sonntag, 28.2.2016

  • Retina-Suisse-Journal1-2016 23

    Stellungnahme zur Gabe von Vitamin A bei erblichen Netzhautdystrophien

    Stellungnahme des AKF der Pro Retina e.V. und Retina SuisseStand 11. März 2016

    VorbemerkungenVitamin A ist essentiell für den Sehprozess. Als Teil des Sehpigmentes in den lichtempfindlichen Sinneszellen der Netzhaut des menschlichen Auges, den sogenann-ten Zapfen und Stäbchen, nimmt es unmittelbar an der Lichtverarbeitung teil. Bei einem Mangel an Vitamin A oder einer Störung des Vitamin A-Stoffwechsels in der Netzhaut kommt es zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens, wie z.B. ein gestörtes Sehen bei Dun-kelheit.

    Die Empfehlung einer zusätzlichen Einnahme von hoch dosiertem Vitamin A bei dem Vorliegen der erblichen Netzhautdystrophie Retinitis pigmentosa mit dem Ziel einer Verlangsamung des Krankheitsprozes-ses geht auf die seit 1993 vorliegenden Ergebnisse ei-ner Studie zurück. Berson und Kollegen hatten damals in einer grossangelegten, 6 Jahre dauernden Studie untersucht, ob eine zur üblichen Tagesdosis zusätzliche Einnahme von Vitamin A oder E, alleine oder in Kombi-nation, den natürlichen progredienten Verlauf der Reti-nitis pigmentosa stoppen bzw. verlangsamen könnte. Es wurden 601 Patienten mit einer klassischen Retinitis pigmentosa eingeschlossen. Als Hauptkriterium eines

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    möglicherweise positiven Effektes von der Vitamin-Behandlung wurde festgelegt, ob es über die Jahre zu einer Verlangsamung der Amplitudenreduktion im Elektroretinogramm (ERG), speziell in der Zapfenant-wort im 30Hz ERG, kommt oder nicht. Sehschärfe und Gesichtsfeld wurden auch bestimmt. Die Auswertung der Daten ergab, dass die Progression der Amplitu-denreduktion im ERG als Zeichen der Funktionsabnah-me der Sinneszellen in der Netzhaut, zwar bei allen Testpersonen nicht gestoppt werden konnte, aber in der Gruppe mit einer täglichen Einnahme von 15.000 Internationalen Einheiten (IE) Vitamin-A-Palmitat am langsamsten war (jährliche Rate der Amplitudenreduk-tion im ERG: 6,1%), und in der Gruppe mit einer täg-lichen Einnahme von 400 IE Vitamin E am schnellsten war (jährliche Rate der Amplitudenreduktion im ERG: 7,9%). Einen signifikanten Unterschied in der Progres-sion der Visusminderung bzw. der fortschreitenden Ge-sichtsfeldeinengung über die Jahre fand sich zwischen den Gruppen dagegen nicht. Aus den Studienergebnis-sen ableitend entstand die Empfehlung der zusätzli-chen Gabe von 15.000 IE Vitamin-A-Palmitat bei Patien-ten mit Retinitis pigmentosa. Einschränkungen wurden jedoch gemacht: Schwangeren wurde die zusätzliche Einnahme wegen möglicher schädigender Wirkung auf das Ungeborene nicht empfohlen, ebenso gibt es keine Daten zu Kindern, da die Studie nur Patienten ab dem Alter von 18 Jahren eingeschlossen hatte.

    Sibulesky und Kollegen veröffentlichten 1999 eine Stu-die bezüglich möglicher Nebenwirkungen einer lang-

  • Retina-Suisse-Journal1-2016 25

    jährigen hochdosierten Einnahme von Vitamin A. 146 Patienten mit Retinitis pigmentosa im Alter von 18-54 Jahren und mit einer täglichen Einnahme von 15.000 IE Vitamin-A-Palmitat wurden eingeschlossen und ca. 12 Jahre lang beobachtet. In diesem Zeitraum wurden keine negativen Nebenwirkungen der Vitamin-A-Be-handlung festgestellt.

    Bereits kurz nach Erscheinen der Studienergebnisse von Berson und Kollegen im Jahre 1993 (u.a. Norton 1993, Marmor 1993) und erneut vor einigen Jahren (Massof und Fishman 2010) gab es kritische Stimmen zu den Studiendaten und der daraus abgeleiteten Empfehlung einer hochdosierten Vitamin-A-Gabe bei Retinitis pigmentosa. Die Kritiker bemängeln die Art und Weise der statistischen Auswertung der Daten und sehen selber keinen signifikanten Unterschied zwischen den Daten der Vitamin-A-Gruppe und der Kontrollgruppe.

    Des weiteren sei zu der Studie von Berson und Kolle-gen angemerkt, dass die Gruppe der 601 Betroffenen mit Retinitis pigmentosa aus genetischer Sicht sehr heterogen war, d.h. dass die krankheitsauslösenden Mutationen sehr vielfältig waren, diesbezüglich ein genetisch sehr inhomogenes Patientenkollektiv un-tersucht wurde. Die Frage nach einer vermutlich un-terschiedlich starken Wirkung von Vitamin A auf die Progression der Retinitis pigmentosa je nach zugrun-deliegender Mutation lag daher nahe. Li und Kollegen gingen 1998 dieser Fragestellung nach und unternahmen

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    Fütterungsversuche an Mäusen mit unterschiedlichen Rhodopsin-Mutationen, d.h. genetischen Defekte, die auch bei Menschen eine häufige Ursache für eine auto-somal dominant verlaufende Retinitis pigmentosa ist. Eine Mäusegruppe wies die Mutation T17M und eine andere Gruppe die Mutation P347S auf. Beide Grup-pen wurden in Untergruppen separiert und erhielten jeweils niedrig oder hochdosiertes Vitamin A über mehrere Monate. Die Untersuchungen zeigten, dass die Mäuse mit der T17M Mutation und der gleichzeitig hochdosierten Vitamin-A-Gabe im Verlauf eine gerin-gere Progression in der Amplitudenreduktion im ERG aufwiesen und die Photorezeptoren in der Netzhaut besser erhalten waren als bei den T17M-Mäusen mit der niedrigen Vitamin-A-Dosis. Des weiteren wurde festgestellt, dass bei allen Mäusen mit der P347S Mu-tation die zusätzliche Vitamin-A-Gabe keinerlei Effekt auf das ERG oder die Netzhautstruktur hatte. Dies bedeutet, dass die zusätzliche Gabe von Vitamin A nur beim Vorliegen von bestimmten Mutationen einen po-sitiven Effekt erzielt, bei anderen Mutationen dagegen wohl keinen Nutzen erzielt.

    Eine weitere tierexperimentelle Studie zeigte sogar die Tendenz einer möglicherweise negativen Wirkung von einer zusätzlichen Gabe von Vitamin A bei dem Vorlie-gen einer Mutation im ABCA4-Gen auf. ABCA4-Mutatio-nen, die autosomal rezessiv vererbt werden, liegen dem Morbus Stargardt zugrunde, finden sich bei Zapfen-Stäbchen-Dystrophien und in ca. 3% der Fälle der auto-somal rezessiv vererbten Retinitis pigmentosa. Radu

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    und Kollegen führten 2008 Untersuchungen mit Mäu-sen durch, die Mutationen im ABCA4-Gen aufwiesen und hochdosiert Vitamin A erhielten. In der Netzhaut der Mäuse, speziell im retinalen Pigmentepithel, kam es zu einer signifikanten Zunahme des Lipofuszins. Bei dem Lipofuszin handelt es sich um ein Abbauprodukt, welches u.a. A2E, eine toxische Unterform des Vitamin A enthält und, in grossen Mengen vorkommend, am Augenhintergrund sichtbar wird in Form von gelbli-chen Ablagerungen. Eine vermehrte Ansammlung von Lipofuszin kann zu einer Störung bzw. zu einem Ver-lust der Zapfen und Stäbchen in der Netzhaut führen und somit den Sehverlust beschleunigen. Anzumerken sei, dass es bisher zu diesem Thema (Vitamin A und ABCA4-Mutationen) nur tierexperimentelle Untersu-chungen und keine Daten von Patienten mit ABCA4-Mutationen gibt.

    Das zu diesem Thema weitere klärende Untersuchun-gen erforderlich sind, zeigen die Ergebnisse neuerer Studien, die 2011 und 2015 veröffentlicht wurden. Ma und Kollegen (2011) sowie Charbel Issa und Kollegen (2015) untersuchten in Mäusen mit Morbus Stargardt den Effekt von C20-D3-Vitamin A auf die Ansammlung von Lipofuszin im retinalen Pigmentepithel. Bei dieser speziellen Vitamin-A-Form handelt es sich um Vitamin A, welches im Molekül an der Kohlenstoffposition 20 mit Deuterium angereichert wurde und bestimmte Abbauprozesse im eigentlichen Vitamin-A-Abbau in der Netzhaut verlangsamt. Die Mäuse mit dieser spe-ziellen Vitamin-A-Diät wiesen eine deutlich geringere

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    Ansammlung von Lipofuszin im retinalen Pigmente-pithel auf im Vergleich zur Kontrollgruppe und zeig-ten auch im ERG eine positive Wirkung auf im Sinne einer verbesserten Zellfunktion. Diese Studien liefern demnach Hinweise auf eine möglicherweise positive Wirkung auf die Netzhaut bei Gabe von Deuterium-angereichertem Vitamin A bei Vorliegen von ABCA4-Mutationen. Doch auch hierbei handelt es sich um tierexperimentelle Daten und es liegen bisher noch keine Daten von Patienten vor.

    In den letzten Jahren wurden weitere Nahrungsergän-zungsmittel hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Progres-sion bei vorliegender Retinitis pigmentosa untersucht, vor allem hinsichtlich Sehschärfe, Gesichtsfeld und ERG-Amplituden. Berson und Kollegen (2012) berich-teten von einer langsameren Sehminderung in der Patientengruppe, welche zusätzlich zu hochdosiertem Vitamin A auch Omega-3 (Docosahexaensäure (DHA) (>0,20 g/d) einnahmen. Durchführung und Datenaus-wertung dieser Studie wurden jedoch recht bald von anderen Wissenschaftlern scharf kritisiert und die Er-gebnisse in Frage gestellt. In Studien anderer Autoren wurde kein signifikanter Benefit auf Sehschärfe, Ge-sichtsfeld und ERG-Amplituden bei Patienten mit Reti-nitis pigmentosa bei Einnahme von Docosahexaensäu-re gefunden (Übersichten bei Rayapudi und Kollegen 2014; Sacchetti und Kollegen 2015).

  • Retina-Suisse-Journal1-2016 29

    Referenzen

    Berson EL, Rosner B, Sandberg MA, Hayes KC, Nicholson BW, Weigel-DiFranco C, Willet WC. A randomized trial of vitamin A and vitamin A sup-plementation for retinitis pigmentosa. Arch Oph-thalmol 1993;111:671-772

    Berson EL, Rosner B, Sandberg MA, Weigel-DiF-ranco C, Willet WC. w-3 intake and visual acuity in patients with retinitis pigmentosa receiving vita-min A. Arch Ophthalmol 2012;130:707-711

    Charbel Issa P, Barnard AR, Herrmann P, Washing-ton I, MacLaren RE. Rescue of the Stargardt phe-notype in Abca4 knockout mice through inhibiti-on of vitamin A dimerization. Proc Natl Acad Sci USA 2015;112:8415-8420

    Li T, Sandberg MA, Pawlyk BS, Rosner B, Hayes KC, Dryja TP, Berson EL. Effect of vitamin A sup-plementation on rhodopsin mutants threonine-17 → methionine and proline-347 → serine in trans-genic mice and in cell culture. Proc Natl Acad Sci 1998;95:11933-11938

    Ma L, Kaufman Y, Zhang J, Washington I. C20-D3-vitamin A slows lipofuscin accumulatrion and electrophysiological retinal degeneration in a mouse model of Stargardt disease. J Bio Chem 2011;286:7966-7974

  • 30 Retina-Suisse-Journal1-2016

    Marmor MF. A randomized trial of vitamin A and vitamin E supplementation for retinitis pig-mentosa [letter to the editor]. Arch Ophthalmol 1993;111:1460-1461

    Massof RW, Fishman GA. How strong is the evi-dence that nutritional supplements slow the pro-gression of retinitis pigmentosa?. Arch Ophthal-mol 2010;128:493-495

    Norton EWD. A randomized trial of vitamin A and vitamin E supplementation for retinitis pig-mentosa [letter to the editor]. Arch Ophthalmol 1993;111:1460

    Radu RA, Yuan Q, Hu J, Peng JH, Lloyd M, Nusino-witz S, Bok D, Travis GH. Accelerated accumulati-on of lipofuscin pigments in the RPE of a mouse model for ABCA4-mediated retinal dystrophies following vitamin A supplementation. Invest Ophthalmol Vis Sci 2008;49:3821-3829

    Rayapudi S, Schwartz SG, Wang X, Chavis P. Vitamin A and fish oils for retinitis pigmen-tosa. Cochrane Database Syst Rev. 2013 Dec 19;12:CD008428. doi: 10.1002/14651858.CD008428.pub2

    Sacchetti M, Mantelli F, Merlo D, Lambiase A. Sys-tematic review of randomized clinical trials on safety and efficacy of pharmacological and non-pharmacological

  • Retina-Suisse-Journal1-2016 31

    treatments for retinitis pigmentosa. J Ophthal-mol 2015; 2015:737053. Epub 2015 Aug 3

    Sibulesky L, Hayes KC, Pronczuk A, Weigel-DiFran-co C, Rosner B, Berson EL. Safety of

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    AKF-Empfehlungen zur Einnahme von Vitamin A

    Basierend auf den derzeit vorliegenden wissenschaft-lichen Daten zu Vitamin A- Gabe bei erblichen Netz-hautdystrophien hat der AKF-Arbeitskreis Klinische Fragen des Wissenschaftlich-Medizinischen Beirats der Pro Retina Deutschland und Retina Suisse seine zuletzt von Zrenner und Kollegen im Jahre 2009 aktualisierten Empfehlungen erneut überarbeitet. Markante Ände-rungen gibt es nicht. Die Empfehlungen sind in der aktuellen Form hier aufgeführt:

    Die vorliegenden Daten zur Wirkung und Sicherheit der Vitamin-A-Einnahme bei Retinitis pigmentosa er-lauben die Einschätzung, dass der Krankheitsverlauf durch die tägliche Einnahme von 15.000 IE Vitamin-A-Palmitat möglicherweise bei einigen Formen der Reti-nitis pigmentosa günstig beeinflusst wird, ohne dass mit negativen Nebenwirkungen gerechnet werden muss. Allerdings bestehen Kontraindikationen wie Schwangerschaft und Leberschäden, bei denen keine zusätzliche Vitamin A-Einnahme erfolgen sollte. Eben-so sollte bei Vorliegen von ABCA4-Mutationen (bei Morbus Stargardt, oft bei autosomal rezessiven Zap-fen-Stäbchendystrophien und seltener bei autosomal rezessiver Retinitis pigmentosa) kein hochdosiertes Vitamin A eingenommen werden, d.h. die Betroffenen sollten nicht mehr als die allgemein empfohlene täg-liche Menge an Vitamin A zu sich nehmen. Des weite-ren muss darauf hingewiesen werden, dass für Kinder bisher keine entsprechenden Studiendaten vorliegen.

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    Es ist hervorzuheben, dass bei der jetzigen Erkenntnis-lage Patienten mit Retinitis pigmentosa, die kein zu-sätzliches Vitamin A einnehmen, nicht fürchten müs-sen, etwas zu verpassen. Aufgrund der genetischen Vielfältigkeit der Retinitis pigmentosa kann nicht ge-sagt werden, bei welcher Retinitis pigmentosa-Form eine bestimmte Wirkung von Vitamin A zu erwarten ist.

    • Patienten mit Retinitis pigmentosa sollten sich zu- nächst mit ihrem Augenarzt beraten, ob die Be- handlung mit Vitamin-A-Palmitat im Einzelfall sinnvoll erscheint. Dabei ist insbesondere zu be- achten, dass in der Studie von Berson und Kolle- gen (1993) die häufigen Formen der Retinitis pigmentosa und des Usher-Syndroms Typ II unter- sucht wurden, nicht jedoch untypische Formen, Makuladystrophien oder die altersabhängige Makuladegeneration.• Wird die Behandlung durchgeführt, sollte zunächst der Blutspiegel von Vitamin A und die Leberfunk- tion geprüft werden. Es sollte nicht allein das Reti- nol im Serum bestimmt werden, sondern das Ver- hältnis des Retinols zum Retinol-bindenden Pro- tein (RBP) beachtet werden. Grundsätzlich wäre die Bestimmung der Retinylester im Serum am sinnvollsten; die Untersuchung ist jedoch bisher nur an wenigen Spezialinstituten durchführbar. Patienten mit besonders hohem Retinol-Blut- spiegel (>1mg/l) oder Lebererkrankungen sollten die Vitamin-A-Einnahme unterlassen oder in

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    Absprache mit dem behandelnden Internisten oder Hausarzt entsprechend reduzieren.• Die tägliche Dosis sollte grundsätzlich höchstens 15.000 IE Vitamin A (in der Retinyl-Palmitat-Form) betragen, da nur hierfür die Studienergebnisse von Berson und Kollegen (1993) und Sibulesky und Kollegen (1999) herangezogen werden können.• Bei der täglichen Verabreichung von über 10.000 IE Vitamin A an Kinder ist Zurückhaltung geboten, da mögliche schädliche Nebenwirkungen in die- ser Altersgruppe noch nicht hinreichend geklärt sind. Sollte man sich zu einer Vitamin-A-Gabe an Kindern dennoch entschliessen, so sollte die Dosis entsprechend dem Gewicht reduziert werden.• Vitamin E in höheren Dosen von z.B. 400 IE sollte vermieden werden. Gegen die Einnahme geringer Mengen ist jedoch nichts einzuwenden, da das Vitamin E die Verstoffwechselung des Vitamin A begünstigt. Denkbar ist z.B. die international empfohlene tägliche Einnahme von 36 mg (54 IE) als Ergänzungsgabe.• Nimmt der Retinitis pigmentosa-Patient noch andere Arzneimittel ein, soll dies dem Haus- oder Augen- arzt mitgeteilt werden, weil sich die Wirkungen gegenseitig beeinflussen können. Da es Wechsel- wirkungen zwischen Vitamin A und Alkohol gibt, sollte man übermässigen Alkoholkonsum meiden. Völlige Alkoholabstinenz ist aber nicht notwendig.• Es sollten keine anderen Vitamin-A-Formen, wie z.B. Beta-Carotin (wie es in Möhren vorkommt), verwendet werden. Beta-Carotin ist keine geeig-

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    nete Alternative, da es nicht in der gleichen Weise wie Vitamin-A-Palmitat im Körper metabolisiert wird. Deshalb sollten nicht einfach die in den Drogerien, Reformhäusern und Selbstbedienungs- läden erhältlichen Formen von Vitamin A benutzt werden, da es sich dabei in der Regel nicht um die Palmitat-Form handelt.• Nicht nur bei Beginn der Vitamin-A-Einnahme, sondern auch während der Einnahme ist mindes- tens einmal jährlich der Vitamin-A-Spiegel im Blut zu bestimmen. Darüber hinaus sollten die Leber- und die Nierenwerte untersucht werden. Auch wenn alles in Ordnung ist, ist bei Auftreten unge- wöhnlicher Erscheinungen, die mit der Einnahme des Vitamin A zeitlich verbunden sind, der behan- delnde Arzt um Rat zu fragen.• Sollte bei der regelmässigen Kontrolle des Vita- min-A-Spiegels (Retinol/RBP- Verhältnis oder Retinylester im Blut) ein erhöhter Wert gemessen werden, so ist eine Einnahmepause angebracht. Der Patient sollte im Falle der Überdosis das wei- tere Vorgehen mit seinem Haus- und Augenarzt besprechen.• Als wichtig wird bei der Vitamin A-Einnahme an- gesehen, dass es sich um Retinol-Palmitat handelt. Als Präparat steht das VITADRAL zur Verfügung, von dem 7 Tropfen täglich eingenommen werden sollten. (VITADRAL Tropfen zum Einnehmen, Anbieter: Aristo Pharma GmbH, Wirkstoff: Retinolpalmitat 30,2 mg/ml). • Sollte jemand mit den Tropfen nicht zurechtkom-

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    men, so wären Vitamin A 30.000 i.E. JENAPHARM Kapseln alle 2 Tage denkbar, was jedoch im enge- ren Sinne nicht den Studienkriterien entspricht. In der Schweiz kann 15.000 IE Vitamin-A-Palmitat mit ärztlichem Rezept bezogen werden beim Apotheker Romano Daldini, farmacista dipl. fed., Farmacia Bozzoreda, via Ceresio 43, 6963 Pregas- sona TI, Tel. 091 / 942 68 21, Fax 091 / 940 45 46, [email protected].• Vitamin A sollte keinesfalls während der Schwan- gerschaft eingenommen werden. Bei Frauen im gebährfähigen Alter ist gegen eine Kombination von Vitamin A mit Antikonzeptiva u. E. nichts ein- zuwenden. Auf dem Hintergrund der nicht ab- schliessend gesicherten Wirksamkeit des Vitamin A raten wir allerdings allen Retinitis pigmentosa- Patientinnen mit jetzt oder in Zukunft evtl. beste- hendem Kinderwunsch von der Einnahme ab. Über eine Einnahme von Vitamin A während der Stillzeit sollte mit dem betreuenden Arzt beraten werden.• Basierend auf tierexperimentellen Daten sollten alle Patienten mit autosomal-rezessivem Morbus Stargardt oder Zapfen-Stäbchen-Dystrophie, verursacht durch Mutationen im ABCA4-Gen, daraufhin gewiesen werden, dass eine zusätzliche Einnahme von Vitamin A über der empfohlenen allgemeinen Tagesdosis hinaus möglicherweise die Sehfähigkeit schädigen kann.• Patienten mit Morbus Stargardt oder Zapfen- Stäbchen-Dystrophien, die noch nicht molekular-

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    genetisch untersucht wurden, sollten in Erwägung ziehen, durch einen genetischen Test klären zu lassen, ob bei ihnen Mutationen im ABCA4-Gen vorliegen. Kann keine ABCA4-Mutation identi- fiziert werden, empfehlen wir dennoch, von einer Vitamin-A-Einnahme abzusehen, da eine vollstän- dige Aufdeckung aller ABCA4-Mutationen tech- nisch derzeit nicht möglich ist.• Patienten mit Morbus Stargardt oder Zapfen- Stäbchen-Dystrophien sollten darauf achten, ihre Augen mit einem effektiven Lichtschutz vor exzes- sivem Sonnenlicht zu schützen.

    Für den Arbeitskreis Klinische Fragen des Wissenschaft-lich-Medizinischen Beirats der Pro Retina Deutschland e.V. und der Retina SuisseProf. Dr. med. U. Kellner, Vorsitzender

    Diese Empfehlungen sind in Deutsch, Französisch und Italienisch bei Retina Suisse erhältlich.

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    Vom Reiz der Nadel – über die Akupunktur-Angebote

    Leben mit ....

    Dr. med. Frank Brunsmann und Dr. med. Claus Gehrig, Deutschland

    Seit vielen Jahrzehnten wird eine Behandlung mit Aku-punktur bei Netzhauterkrankungen angeboten. Lothar Hahn, Mitglied der PRO RETINA e.V., erfuhr von dieser Behandlungsform 1992 am Rande einer Mitgliederver-sammlung. Seitdem beschäftigt er sich intensiv mit den existierenden Angeboten. Der Arbeitskreis klinische Fra-gen (AKF) der PRO RETINA Deutschland und Retina Suisse hat sich jüngst mit der wissenschaftlichen Erkenntnislage zu dieser Thematik befasst und eine Stellungnahme ver-öffentlicht. In diesem Beitrag fassen wir sowohl die Erfah-rungen von Lothar Hahn, wie auch die Ergebnisse wissen-schaftlicher Betrachtung zusammen. Selbstverständlich bedeutet dies einen Einstieg ins Thema, keineswegs kann und soll es erschöpfend abgehandelt werden.

    Wer bietet Akupunktur an?Lothar Hahn sind 200 Ärzte namentlich bekannt, die in Deutschland eine Akupunkturbehandlung bei Netzhau-terkrankungen anbieten, hierunter 60 Augenärzte. Dane-ben sind ihm 50 weitere nicht-ärztliche Anbieter bekannt. Er hatte in den vergangenen 21 Jahren mit über 1200 von

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    Netzhauterkrankungen betroffenen Personen gespro-chen, die sich für eine Akupunkturbehandlung interes-sierten. Viele von ihnen haben eine solche durchführen lassen. Er erfuhr, dass eine Behandlung oft zwei Zyklen im Jahr mit je 10 Sitzungen umfasst, und jede Sitzung heute mit ca. 30 bis 60 Euro berechnet wird. Einzelne Anbieter verlangen ein deutlich höheres Honorar. Dies ist von den Betroffenen zu zahlen, die Behandlung gehört nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (in der Schweiz wird Akupunktur unter gewissen Bedin-gungen ganz oder teilweise von der Krankenkasse über-nommen. Anm. der Redaktion). Eine einheitliche, geregel-te Ausbildung für die Akupunkturbehandlung existiert nicht.

    AkupunkturbehandlungWelchen Nutzen hat die Behandlung? Lothar Hahn, der ein überzeugter Anhänger der Akupunktur ist, kennt mehrere Betroffene, die von positiven Effekten berich-ten. Er kennt allerdings auch andere, die – wiederum gemäss ihrer subjektiven Einschätzung – keine positive Wirkung erfahren haben. Einen Zusammenhang von Zufriedenheit der Behandelten und Honorarhöhe konn-te Lothar Hahn in seinen Gesprächen nicht feststellen. Als Behandlungsziel wird oft die Stagnation des Erkran-kungsverlaufs angesehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der natürliche Verlauf erblicher Netzhauterkrankun-gen durchaus Phasen der Stagnation kennt.Eine Besserung nach Behandlung wurde bislang durch keinen unbeteiligten Arzt auf der Basis augenärztlicher Befunde zweifelsfrei festgestellt, zumindest liegt dem

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    AKF keine solche Information vor. Auf Wunsch der Mitglieder hat sich der AKF eingehend mit der Frage der Wirkung der Akupunktur bei Netzhauterkran-kungen befasst. Hierzu wertete er die weltweit vorlie-genden wissenschaftlichen Veröffentlichungen aus. In der veröffentlichten Stellungnahme des AKF heisst es: «Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass eine Akupunkturbehandlung bei den genannten Netzhau-terkrankungen nicht ohne weiteres empfohlen werden kann und in jedem Fall noch weitere Studien abgewartet werden müssen. (…). Allerdings ist festzustellen, dass der Methode ein Potenzial nicht abzusprechen ist.» Dies bedeutet, dass ein Nutzen weder belegt noch ausge-schlossen ist.

    Möglicher SchadenDer AKF stellt auch fest: «Wie bei allen nicht durch ange-messene klinische Studien belegten Therapieverfahren muss darauf hingewiesen werden, dass bei Anwendung nicht nur ein fehlender Nutzen möglich sein könnte, sondern potenziell auch ein Schaden bewirkt werden könnte, daher sollte eine Akupunktur unbedingt von erfahrenen Anwendern und unter Kontrolle des Seh-vermögens durchgeführt werden». Auch Lothar Hahn gibt zu bedenken, dass unerfahrene Behandler durchaus Verletzungen verursachen können, und einige besonders kritische Akupunkturpunkte ausgelassen werden sollten. Auch könne bei einigen Netzhauterkrankungen selbst nach der Theorie der Akupunktur ein gegenteiliger Effekt eintreten, etwa bei Zuständen der feuchten AMD. Lothar Hahn sieht aus diesen Gründen hinsichtlich der

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    Wahl des Behandlers eine Akupunkturbehandlung durch einen Augenarzt als die sicherere Wahl an.

    Was kann der interessierte Betroffene tun?Wenn eine Akupunkturbehandlung in Betracht gezogen wird, sollte hierüber zunächst das Gespräch mit dem Augenarzt des Vertrauens gesucht werden. Sofern Inte-resse daran besteht, eine augenärztliche Rückmeldung zur Entwicklung der Sehfunktion mit einem Vergleich des Zustandes vor und nach der Behandlung zu erhalten, sollte diese Untersuchung von einem unbeteiligten Arzt durchgeführt werden. In Deutschland ist unter Umstän-den diese Untersuchung privat zu bezahlen, da es sich um die Kontrolle einer nicht durch die Krankenkasse bezahlte Behandlung handelt. Vereinbaren Sie dabei, dass Sie den schriftlichen Befund erhalten. Dies kann sowohl für Ihre persönliche Beurteilung, wie auch für andere Betroffene von Bedeutung sein.

    Neben der Möglichkeit der augenärztlichen Untersuchung ist in jedem Fall wichtig, die Gefahr der Selbsttäuschung zu reduzieren. Hierzu hat sich nach Erfahrung von Lothar Hahn bewährt, das Fernsehgerät zu nutzen und bei gleichbleibendem Abstand, Beleuchtung und Bild-schirmeinstellung die Aufmerksamkeit auf ein wieder-kehrendes Element zu richten, z.B. die Bildunterschrift der Tagesschau. Hieraus kann dann durchaus abgeleitet werden, ob eine Wirkung festzustellen ist. Dabei sollte unbedingt bedacht werden, dass natürlich die Hoffnung auf eine Stabilisierung oder Besserung einen nicht uner-heblichen Effekt auf die Wahrnehmung haben kann, und

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    daher eine besonders sachliche Grundhaltung die ehrliche Bewertung unterstützt.

    Lothar Hahn rät zu einer solchen Ehrlichkeit und weist da-rauf hin, dass ein Ausbleiben des gewünschten Effekts die Beendigung der Behandlung zur Folge haben sollte. An-ders verhält es sich natürlich, wenn andere gewünschte Wirkungen als die Verbesserung der Sehfunktion im Vor-dergrund stehen. Allgemeines Wohlbefinden, Aufmerk-samkeit und Zuwendung des Behandlers sind schliesslich auch oft wertgeschätzte Aspekte.

    «Die Angaben zu den Anbietern der Akupunkturbehand-lung basieren auf Unterlagen, die Lothar Hahn bereitge-stellt hat, sowie auf zwei Gesprächen der Autoren mit ihm. Ein telefonisches Gespräch kann unter seiner Ruf-nummer (0 37 1) 22 97 01 mit ihm vereinbart werden.»

    Anmerkung der Redaktion:Die Stellungnahme zu Akupunktur ist bei Retina Suisse in Deutsch, Französisch und Italienisch erhältlich.

    Quelle: Retina-Aktuell Nr. 128 (2016)

  • Retina-Suisse-Journal1-2016 43

    Drei Länder – ein Ziel: Tandem-Tour 2016 erneut auf Kurs

    Die Gruppe der Tandem-Fahrer ist auf einer asphaltierten Strasse mit-ten im Wald schnell unterwegs.

    Motiviert und sportlich unterwegs.

    «Niemand darf wegen einer Behinderung benachteiligt werden», fordert die UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. In diesem Sinne widmet sich der nachfolgende Bericht einer ausserge-wöhnlichen Velotour mit Teilnehmern, deren Sinnes-wahrnehmung aufgrund einer Netzhauterkrankung stark beeinträchtigt und teilweise bis hin zur Blindheit fortgeschritten ist.

    Uta Buhl, 8123 Ebmatingen

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    Bereits zum 11. Mal findet im Sommer 2016 die fast schon zur Tradition gewordene Euro Tandem-Tour statt, eine Velotour der ganz besonderen Art, speziell ausgerichtet auf Blinde und Sehbehinderte. Die Idee, die dahinter steckt, ist einfach: Den Menschen mit einer solchen Behinderung zumindest einige Tage die Möglichkeit zu bieten, sich in freier Natur sportlich zu betätigen – viele der Teilnehmer waren ehemals leidenschaftliche Radfahrer – und nicht zuletzt auch die Herausforderung anzunehmen, die vorgegebenen Kilometer bis zum Ende «abzustrampeln». In der Ver-gangenheit gab es unterschiedlich lange Routen, die kürzeste lag bei 700 km, die längste bei 1’620 km (Ber-lin-London). Eine Tour war jedoch besonders herausra-gend, führte sie doch von Mainz bis Rom, wo die ganze Mannschaft sogar vom Papst empfangen wurde.

    Abgesehen von diesen ideellen Ambitionen will man mit dieser Tour aber auch auf die Beeinträchtigungen, die eine solche Krank-heit mit sich bringt, aufmerksam machen. So wird sicherlich schon alleine der un-gewohnte Tandem-tross auf den Strassen beachtet werden und Fragen aufwerfen, auf

    Rom: Einmalige Begegnung mit Papst Benedikt XVI (2008).Der Papst unterhält sich auf dem Petersplatz mit drei Tandem-Tour-Teil-nehmende.

  • Retina-Suisse-Journal1-2016 45

    die an einzelnen Stationen durch kompetente Vertreter von Selbsthilfeorganisationen und der Organisation selbst vor Ort eine Antwort gegeben werden kann. Dabei geht es natürlich in erster Linie darum, wie und in welcher Form gesunde Menschen helfen und gleich-zeitig wie die unermüdlichen und notwendigen For-schungsarbeiten an Kliniken, Universitäten und Labors weitergeführt und unterstützt werden können. HintergrundInitiator dieser Tandem-Tour ist Horst Schwerger. Selbst von einer (noch) unheilbaren Netzhautdegene-ration betroffen, erhielt er 1963 die Diagnose Retinitis pigmentosa (RP). Deren Folge ist ein unaufhaltsam fortschreitender Verlust des Sehvermögens, der meist bis zur völligen Erblindung führen kann. Das anfäng-liche Ignorieren seiner Krankheit wich schon bald der Gewissheit, dass er nicht länger sein Umfeld im «Dunkeln» lassen durfte und ihm nichts anderes übrig blieb, als die Sehbehinderung in seinen Alltag zu in-tegrieren. Autofahren stand nicht mehr auf dem Pro-gramm, auch die Führung seines etablierten Bauunter-nehmens musste abgegeben und eine neue Lebensform gefunden werden. Schwerger entschied sich für den Verkauf seines Unternehmens und gründete eine Stif-tung, die HEM-Schwerger-Stiftung, welche sich auf die Unterstützung von Forschungsarbeiten im Bereich Netzhautdegenerationen konzentriert. Neben diesem Hauptengagement unterstützt die Stiftung auch regi-onale Schul- und Sportprojekte.

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    Die IdeeIn den 90er Jahren traf Schwerger den Retina France Geschäftsführer, welcher ihm seine Frankreich-Tan-dem-Touren vorstellte. Tief beeindruckt entschied sich Schwerger kurzerhand, diese Idee auch in Deutschland zu realisieren und organisierte 1998 die erste Euro-Tandem-Tour, die von Berlin über Köln bis Mainz führte. Gross waren die Akzeptanz und die Begeisterung für diese erste Tour, die von nun an alle zwei Jahre wie-derholt werden sollte. In diesem Jahr wird die 11. Tour auch die Schweiz im Programm haben, ausgehend von Tübingen wird in Basel und Schaffhausen Halt gemacht, bis man in Esslingen schliesslich das Ziel erreicht haben wird. Insgesamt sollen 1010 km absol-viert werden.

    Engagement«Gemeinsam eigenständig sein», so lautet das Motto des Unternehmens. Und doch, dass für einen solchen Velo-Event unzählige Vorbereitungen und logistische Abklärungen notwendig sind, versteht sich von selbst. Da muss die Route abgefahren, die Hotelzimmer reser-viert, Essen und Trinken für unterwegs bereitgestellt werden und vor allem müssen die Betreuer und Beglei-ter dieser rund 11-tägigen Tour gefunden werden. Was die Organisation bei der Planung jedoch besonders freut ist einerseits die Bereitschaft vieler Mitmenschen, eine solche Tour zu begleiten und dafür sogar ihre Ferien zu opfern, andererseits auch die Zufriedenheit der Betroffenen, ein solches Ereignis miterleben zu dür-fen. Und dass die diesjährige Tour gar unter der Schirm-

  • Retina-Suisse-Journal1-2016 47

    herrschaft des Europäischen Parlaments mit Präsident Martin Schulz radeln wird, ist für alle Beteiligten natür-lich besonders erfreulich.

    Christina Fasser, Präsidentin Retina International, und Horst Schwer-ger, Initiator der Euro Tandem-Tour.

    Termine und RouteGestartet wird in Tübingen und zwar am 29. August 2016. Die 20 Tandems werden über Offenburg und Col-mar am 31. August in Basel Station machen. Selbstver-ständlich wird auf allen Strecken für die verkehrstech-nische Sicherheit gesorgt sein. Danach geht es am 1. September über Schaffhausen (die genauen An-kunfts- und Abfahrtzeiten sowie die genaue Adresse der beiden Schweizer Städte, in welchen die Tour Halt machen wird, sind nachfolgend im Detail aufgelistet),

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    weiter nach Bregenz und nach zusätzlichen 6 Statio-nen haben die Radler dann am 8. September ihr Ziel in Esslingen erreicht. Gefahrene Kilometer: 1010, eine reife Leistung!!! Über Sympathisanten, welche die Teil-nehmer persönlich begrüssen oder beglückwünschen möchten, freut man sich natürlich immer.

    • Mittwoch 31.08.2016: 15.00 Uhr: Ankunft Basel, Jugendherberge, St. Alban-Kirchrain 10• Donnerstag 01.9.2016: 07.55 Uhr: Abfahrt von der Jugendherberge zum Gesundheitsdepartement, St. Alban-Vorstadt 25 (8.00 – 8.30 Uhr)• Donnerstag 01.9.2016, 16.45 Uhr: Ankunft Schaff- hausen, Kronenhof AG, Kirchhofplatz 7• Freitag 02.9.2016, 07.50 Uhr: Abfahrt ab Kronenhof AG zur Staatskanzlei, Beckenstube 7 (8.00 – 8.30 Uhr)

    Und zum Schluss noch dies: An den Ankunftstagen in Basel und Schaffhausen organisiert die Retina Suis-se eine AMD-Informationsveranstaltung. Die Details können der Internetseite www.retina.ch entnommen werden.

    Weitere Informationen zur Tour, zur Stiftung oder zu anderen Details können unter www.hem-stiftung.de oder www.tandem-pro-retina.de und www.retina.ch eingeholt werden.

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    Digital Natives und ich

    Susanne Trudel; [email protected]

    Es gibt Menschen, die gehen selbstverständlich mit neuen Technologien um und andere zeigen mehr Zurückhaltung.«Digital Natives» gehören zu den erst erwähnten. Sie sind in die Welt und das Zeitalter der digitalen Evolution hineingeboren worden. Diese Generation erlebt im Heranwachsen einen selbstver-ständlichen Umgang mit den neuen Medien. Neue Entwicklungen werden ausprobiert, beurteilt und angewendet. Das Telefon ist sicher eines der Geräte welches sich in den letzten Jahrzehnten am stärksten entwickelt hat.

    Ich bin knapp vor der Generation der Digital Nati-ves geboren und erinnere mich noch sehr gut an die analoge Welt. Deshalb zähle ich mich nicht zu der Generation Digital Natives. Bereits meine kritische und hinterfragende Haltung gegenüber dem Nutzen und Sinnhaftigkeit neuer digitalen Technologien un-terscheidet mich von der Generation Digital Natives. Wirkt es doch immer noch befremdlich auf mich, wenn im Gespräch mit Freunden das Smartphone gezückt wird, um die gewünschten Informationen sofort zu erhalten.

    Zu Fuss unterwegs muss ich mit meinen vorhandenen Sinnen die Umgebung wahrnehmen. Die geteilte Auf-merksamkeit ist nun mal mit einer Sehbehinderung

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    eingeschränkt und verlangt von einem eine gewisse Konzentration ab. Zum Beispiel das Bedienen des Smartphones beim Durchqueren einer belebten Bahn-hofshalle, kann ich mir schlichtweg nicht leisten. Wie mit einem Gerät umgegangen wird ist der eine Aspekt und ist sehr persönlich. Eine wichtige Überlegung bei der Anschaffung eines neuen Gerätes ist immer, wie bedienerfreundlich es mit einer Sehbehinderung ist.

    Das sind unter anderem Gründe, weshalb ich lange Zeit die Anschaffung eines Smartphones herausge-zögert habe. Mit dem alten Handy glaubte ich meine Ansprüche an ein mobiles Gerät, wie telefonieren und SMS schreiben, abzudecken. Was ja zu diesem Zeit-punkt auch der Fall war. Auch konnte ich das Handy mit den taktilen Tasten mit einer Sehbehinderung komfortabel bedienen. Nun ist es einmal eine Tatsache, dass die Lebensdauer von elektronischen Geräten be-schränkt ist. Auch mein Gerät verabschiedete sich mit einem kurzen aufflackern im Bildschirm.

    Seit mehr als einem Jahr bin ich nun Besitzerin eines Smartphones. Das multifunktionale Gerät begleitet mich täglich. Ich befasste mich mit dem mir noch unbe-kannten Betriebssystem und stellte fest, dass es viele Funktionen hat, die gerade für eine sehbehinderte oder blinde Person von grossem Nutzen sein können. So kann ich mit der Farbumkehrung und erhöhtem Kontrast mit meiner Lesebrille Nachrichten lesen und verfassen, diverse Apps benutzen, telefonieren und noch vieles mehr. Auch das Einsetzen der im Smart-

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    phone vorhandenen Sprachausgabe VoiceOver hat für mich den Benutzungskomfort erhöht. Ist die Lesebrille gerade zuunterst in der Tasche, kann ich mit den erlernten Gesten zu den gewünschten Informationen auf dem Bildschirm navigieren. Heute würde ich mein Smartphone nicht mehr missen wollen. Viele nützliche Funktionen erleichtern meinen Alltag zu Hause und unterwegs.

    Der Titel «Digital Natives und ich» kann auf den ers-ten Blick etwas befremdlich wirken. Ich möchte damit aufzeigen, dass neue technische Errungenschaften oft auch Vorteile und Nutzen für sehbehinderte und blinde Menschen mit sich bringen können. Ein Alltagsgerät, wie ein Smartphone, kann bei einem handelsüblichen Anbieter erworben werden. Es bleibt unumstritten, dass nicht alle Funktionen gleichwertig genutzt wer-den können. Wenn nur ein Bruchteil der Funktionen zur Erleichterung unseres Alltags und Selbständigkeit beitragen, ist dies ein grosser Gewinn. Der Nutzungs-bereich des Gerätes im öffentlichen Raum ist eine per-sönliche Sache.

    Eigenschaften wie Offenheit, Neugier, Leichtigkeit und spielerischer Umgang im Lernen von neuen Mög-lichkeiten ist für die Generation der Digital Natives typisch. Diese Eigenschaften lasse ich gerne auf mich übertragen, wenn ich wieder mal vor einer technischen Herausforderung stehe.

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    Lormen lernen - leicht gemacht

    «Lorm» ist ein Alphabet, das in die Hand geschrie-ben wird: Ist das Sehen und Hören so stark einge-schränkt, dass Worte weder akustisch noch über das Ablesen von den Lippen verstanden werden können, ist das Kommunizieren dank Lormen trotzdem mög-lich. Dank einer neuen Lorm-App für Tablets, das der SZB entwickelt hat, kann Lormen jetzt überall ge-lernt und geübt werden.

    Die Selbsthilfeorganisation tactile hat hörsehbehin-derte und taubblinde Personen zu Lormlehrerinnen ausgebildet. Diese bieten im Rahmen des SZB-Schu-lungsprogramms Lormkurse an. Sie stehen für alle offen und werden vor allem von den freiwilligen Mitarbeitenden rege besucht. Doch mit dem Lormen ist es wie mit vielen anderen Dingen auch: Was man nicht so oft braucht, verlernt man schnell wieder. Das Lormen ist ein System, bei dem Buchstaben mit-tels Strichen und Punkten in die Handfläche getippt, gestrichen und getrommelt werden. Auf diese Weise werden Buchstaben zu Worten aneinander gereiht und diese dann zu einem Satz geformt. Der Vorteil ist, dass man in seiner gewohnten Sprache kommu-nizieren kann. Man muss lediglich lernen, wo genau auf der Handfläche die einzelnen Buchstaben plat-ziert sind. Dies zu lernen erfordert Konzentration und Übung.

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    Lernen und nicht wieder verlernen Nicht selten erzählen Kursbesuchende, dass sie im Alltag nur wenige Möglichkeiten haben, das Lormen zu üben, das Wissen zu festigen und schneller zu werden im «Schreiben». Hier setzt die neue Lorm-App des SZB an. Mit ihren zwei Funktionen kann man das Lormen lernen und üben. Um das Hand-alphabet in kleinen Schritten zu lernen, wurde die App nach dem bewährten Prinzip der Buchstaben-gruppen aus den Lormkursen aufgebaut. Auf diese Weise wird der Unterricht optimal mit der App ergänzt. Neben dem Schreiben von Wörtern und Sätzen kann man sich auch mit zwei Buchstabierspielen vergnü-gen. Schliesslich soll Lernen und Üben auch Spass machen.

    Technisch anspruchsvoll Über ein Jahr dauerte die Entwicklung der Lorm App, die nun auf Deutsch und Französisch zur Verfügung steht. Eine besondere Herausforderung bei der Pro-grammierung war, einzelne Buchstaben korrekt auf der virtuellen Hand zu platzieren. Buchstaben-Zei-chen wie K (ein Punkt mit vier Fingerspitzen auf dem Handteller) oder R (ein leichtes Trommeln der Finger auf dem Handteller) sowie der Leerschlag zwischen den Wörtern und der Punkt als Satzende sind sehr ähnlich. Die Unterschiede mussten entsprechend programmiert werden. Wir freuen uns, dass dies nun gelungen ist! Die Lorm-App wurde für Android und Apple Tablets konzipiert und kann im Google Play Store und App

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    Store gratis heruntergeladen werden: www.szb.ch/lormapp.

    Kontakt für weitere Auskünfte: Norbert Schmuck, Leiter Ressort Öffentlichkeitsar-beit und Mittelbeschaffung, Telefon 071 228 57 60, E-Mail: [email protected]

    Rose-Marie Morger, Schaffhausen, [email protected]

    Ich bin Charly, Rose-Maries ruhiger und sehr diszipli-nierter Freund und Begleiter. Wenn sie mich braucht, versehe ich stillschweigend meinen Dienst. Wenn wir nach Hause kommen, stellt sie mich wortlos in die Ecke hinter der Haustüre. Ich murre nie. Ich warte geduldig bis sie wieder Hut und Mantel anzieht, würde ihr gerne zuflüstern, gell du vergisst mich nicht. Fällt die Türe hinter ihr ins Schloss, seufze ich leise. Ich weiss, gleich wird sie mit den Worten: «Au min Stock» mich holen kommen. Ohne mich getraut sie sich nicht mehr auf die Strasse.

    Früher war das anders, da hat sie mich immer zusam-mengeklappt und in ihrer Handtasche verstaut, besser gesagt, versteckt. Sie hat extra grosse Taschen gekauft. Oft fühlte ich mich wie ein heimlicher Liebhaber von dessen Existenz niemand wissen durfte. Ich kann war-

    Mein Freund Charly

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    ten, dachte ich. Eines Tages wird sie merken, dass das Leben im öffentlichen Raum soviel einfacher mit mei-ner Unterstützung ist.

    Nach einem Treppensturz am Flughafen Zürich waren wir endlich soweit. Obwohl sie immer schlechter sieht, sah sie ein: Charly ich brauche dich. Wir vereinbarten einige Trainingsstunden zu dritt, mit dem Orientie-rungs- und Mobilitätstrainer Köbi (Köbi Hirzel aus Schaffhausen. Anm. der Red.). Sie musste zuerst lernen, wie man mich richtig handhabt, d.h. in der Fachsprache einsetzt. Jetzt begleite ich Rose-Marie auf allen ihren Wegen. Ich mache sie auf Unebenheiten aufmerksam, erkenne Randsteine und Treppenstufen. Gemeinsam unterwegs, pendeln wir richtig flott, rechts, links, rechts, die meisten Leute treten zur Seite und machen uns Platz. Stehen wir zwei an einer schwierigen Kreu-zung, dann überqueren wir die Strasse mit dem rollen-den Verkehr. Zur Sicherheit hält sie mich, ihren Stock, vor sich in die Höhe und nennt mich zärtlich «ma can-ne magique». Hin und wieder kommt ein hilfsbereiter Mensch, bietet ihr seinen Arm. Dann geht's zu dritt weiter, und ich kann mich etwas ausruhen.

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    Tablets eignen sich als Sehhilfe

    Christian Birkenstock, Low Vision-Berater fsz Luzern

    Zeitung lesen, nähen und Einzahlungsscheine ausfüllen: Mal ist eine Lupenbrille, eine Lupe oder ein Lesegerät ide-al, mal sind Tablet und Smartphone eine gute Lösung. Die Low Vision-Fachpersonen helfen, die richtige Kombina-tion zu finden und begleiten beim Üben, wie die Hilfsmit-tel optimal eingesetzt werden. Marta Müller (Name geändert) möchte auch mit Maku-ladegeneration Zeitung lesen und Einzahlungsscheine selbständig ausfüllen. Der Kontrast der Tageszeitung reicht ihr bei gutem Licht aus; den Text braucht sie jedoch vierfach vergrössert, um ihn leicht lesen zu können. Sie hat eine gute Tischleuchte und als klassische Hilfsmittel eine Lupe, eine verstärkte Lesebrille und eine Lupenbrille. Die Lupe ist mittlerweile etwas schwach geworden und ausserdem hat die 72-Jährige seit einiger Zeit ein iPad und ein iPhone. Sie möchte herausfinden, wie weit diese Geräte ihr noch besser helfen, selbständig zu sein. Dafür vereinbart sie einen Termin bei der Beratungsstelle. «Möglichkeit von Smartphones entdeckt» Der Berater stellt fest, dass sie schon recht geübt ist in der Grundbedienung von iPad und iPhone und sie sich viele Texte vorlesen lässt. Hören fällt ihr leichter als selbst zu lesen. Dank der Beratung entdeckt sie die Funktion «Bild-schirm vorlesen»: Mit zwei Fingern vom oberen Bildschirm-rand nach unten streichen und der Text auf dem Bildschirm

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    Eine Person sitzt vor einem Tisch, von ihr sind der rechte Arm und die linke Hand sichtbar; links im Bild ist eine Schreib-tischlampe. In der rechten Hand hält die Frau einen Schreibstift. Das Formular, das sie ausfüllt, liegt auf einer schrägen Schreib-fläche. An deren unte-ren Längskante ist eine Leiste angebracht, damit das Formular nicht weg-rutscht. An der Schreibflä-che ist eine Halterung für ein Tablet befestigt. Auf dem Tablet ist ein Ausschnitt des Formulars vergrössert sichtbar; Dank einem Spezial-Ständer kann man das iPad benutzen, um Formu-lare und Einzahlungsscheine auszufüllen.

    (Foto: Christian Birkenstock)

    wird ihr vorgelesen. Die «Neue Luzerner Zeitung» liest sie seither mit dem iPad über die App des Verlages mit der integrierten «Lesehilfe». Mit «Lesehilfe» kann sie die Text-grösse so wählen, dass sie die Texte mit ihrer verstärkten Lesebrille flüssig lesen kann. Damit sie weniger geblendet wird, aktiviert sie die Funk-tion «Farben Umkehren», damit sie weisse Schrift auf schwarzem Hintergrund sieht.

    «Spezial-Ständer macht Tablet zur Lupe.» Der Berater hat ihr auch gezeigt, dass sie die Kamera des iPads einsetzen kann, um von Hand zu Schreiben und Ein-zahlungsscheine auszufüllen. Dazu stellt sie das iPad auf

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    einen Spezial-Ständer. Auf dem Bildschirm vergrössert sie das Formular so, dass sie es ausfüllen kann. Ferner nimmt sie den Tipp mit, den Abfahrtsplan am Bahnhof mit dem iPhone oder iPad zu fotografieren und das Foto zu ver-grössern um die Informationen zu lesen. Es könnte auch ein Monokular oder eine digitale Fotokamera eingesetzt werden.

    Lange hat Marta Müller keine SMS mehr geschrieben, weil es ihr trotz vergrösserter Anzeige zu mühsam war diese zu tippen. Jetzt nutzt sie die Diktierfunktion. In einem Telefonat zwei Wochen nach der Beratung er-zählte sie: «Ich bin überglücklich. Meine Freundinnen haben mich gefragt, ob ich wieder besser sehe, weil ich so schnell eine SMS Antwort sendete.»

    Quelle: Der Weg - Mitgliedermagazin des SBV, Nr. 1 - 2016

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    7. IVG-Revision – Weiterentwicklung wohin?

    Sozialpolitik

    Ursula Schaffner Bereichsleiterin Sozialpolitik und Interessenvertretung, AGILE.CH Die Organisationen von Menschen mit Behinderung

    Anfang Dezember 2015 eröffnete der Bundesrat das Ver-nehmlassungsverfahren zur 7. IVG-Revision. Trotz einem – zumindest wortreichen – Ausbau der Eingliederungsmass-nahmen soll die Revision kostenneutral ausfallen. Geht das auf?

    Der Bundesrat benennt die neueste IVG-Revision nicht mit der Glückszahl sieben. Stattdessen spricht er von «Wei-terentwicklung der IV». Bei der Durchsicht der umfangrei-chen Vorlage, die vor allem in Sachen Kosten nicht immer ganz transparent ist, zeigt sich, dass die Weiterentwick-lung für verschiedene Gruppen von Versicherten in ganz unterschiedliche Richtungen führt.

    Weiterentwicklung Begleitmassnahmen Laut Statistik nimmt die Anzahl Personen, die aufgrund von psychischen Krankheiten eine IV-Rente beziehen, nicht ab, sondern zu. Besonders junge Menschen fallen dabei auf. Die Rezepte gegen diese unerwünschte Ent-wicklung lauten: Die Früherfassung soll unter bestimmten Umständen für Jugendliche ab 14 Jahren geöffnet wer-den. Zudem sollen sie von Fachleuten der IV beim Über-

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    gang von der Schule ins Berufsleben früher und länger beraten und begleitet werden. Die bereits bestehenden Integrationsmassnahmen sollen flexibler und länger eingesetzt werden können. Die ausgebauten Eingliede-rungsmassnahmen sollen zu einer Arbeitsstelle im ersten Arbeitsmarkt führen. Die weiterentwickelten Massnahmen für Kinder und Jugendliche kosten im Jahr 2030 rund CHF 58 Millionen, für Erwachsene CHF 31 Millionen. Damit will man auf der Rentenseite insgesamt CHF 45 Millionen einsparen. Weiterentwicklung Taggelder In Zukunft sollen Taggelder während der erstmaligen be-ruflichen Ausbildung gewährt werden, wenn die jungen Menschen an gewissen Massnahmen der IV teilnehmen. Nicht mehr erforderlich ist eine krankheits- oder behin-derungsbedingte eingeschränkte Erwerbsfähigkeit. Die Höhe der Taggelder soll herabgesetzt werden, und der Anspruch darauf soll ab Ausbildungsbeginn entstehen und nicht erst ab 18 Jahren. Gemäss Bundesrat sollen Jugendliche mit Behinderungen lohnmässig jenen ohne Behinderungen gleichgestellt werden, indem sie weniger als bisher erhalten. Tatsächlich liegt bei einigen wenigen Jugendlichen ein Korrekturbedarf bei den Taggeldern vor. Wir sehen das Hauptproblem allerdings eher bei fehlenden Lehrstellen für Jugendliche mit Schwierigkeiten. Diesbezüglich sind offenbar noch keine weiteren Ideen entwickelt worden. Mit der Neukonzeption der Taggelder sollen 2030 CHF 51 Millionen eingespart werden.

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    Liste der Geburtsgebrechen modernisieren Die IV gewährt für Geburtsgebrechen gewisse medizini-sche Behandlungen, wenn sie in der entsprechenden Liste aufgeführt sind. Diese Liste wurde letztmals 1985 aktuali-siert. Eine Überarbeitung ist deshalb zu begrüssen. In der Revisionsvorlage werden neu fünf Kriterien de-finiert, anhand derer eine Expertengruppe entscheidet, welche «angeborenen Missbildungen, genetischen Krank-heiten und prä- oder perinatal aufgetretenen Leiden» anerkannt werden. Zwei der Kriterien fallen auf und sind äusserst delikat: «invalidisierend» und einen «bestimmten Schweregrad» aufweisend. Als ob am Anfang des Lebens bereits klar wäre, wie sich ein Kind etwa mit einer Cerebralparese oder mit einer Muskelkrankheit entwickeln wird. Lang-wierige Beschwerdeverfahren sind vorprogrammiert. Ob Eltern in einer oft bereits belastenden Situation für die Übernahme der Behandlungskosten ihres Kindes mit Behinderung kämpfen mögen, bleibe dahin gestellt. Das Sparvolumen beträgt rund CHF 30 Millionen..

    Weiterentwicklung heisst sparenDie fast 200-seitige Vorlage enthält weitere Vorschläge, so namentlich wieder die Einführung eines linearen Ren-tensystems, wie wir es aus der IVG-Revision 6b kennen. Insgesamt rechnet der Bundesrat im Jahr 2030 mit CHF 78 Millionen Mehrausgaben und CHF 96 Millionen Einspa-rungen, was nach unserer Rechnung zu einem Abbau-saldo von CHF 18 Millionen führt, zu vielen zusätzlichen Stellen bei der IV und zu vielen Menschen, die trotz we-niger Geld im Portemonnaie keine Arbeitsstelle haben.

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    Denn einmal mehr fehlen verpflichtende Vorgaben für Unternehmen. Aber ja, der Titel der neuesten IVG-Revision lautet ja schliesslich: «Weiterentwicklung der IV», und nicht «Wege der IV in den 7. Himmel der sozialen Sicher-heit». Wer sich selber kundig machen möchte, findet via den folgenden Link zur Vorlage: https://www.admin.ch/ch/d/gg/pc/documents/2667/Invalidenversicherung_Erl.-Bericht_de.pdf

    Quelle: «Behinderung und Politik» Nr. 1- 2016. Die Zeitschrift der AGILE.CH, erscheint vierteljährlich in elektronischer Form in Deutsch, Französisch und neu auch Italienisch. http://www.agile.ch/zeitschrift

    Zwischenhalt auf dem Weg zur Inklusion

    Stephan Hüsler, Präsident Agile und Geschäftsleiter Retina Suisse

    Im Mai muss die Schweiz aufzeigen, wie weit sie die UNO Behindertenrechtskonvention schon umgesetzt hat. Menschen mit Behinderung können ihre Erfahrun-gen zum Stand der Gleichstellung über den sogenann-ten Schattenbericht einbringen. Mit der UNO Konven-tion über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention) haben Menschen mit Behinderung einen Leitfaden für den Weg zur wirkli-chen Gleichstellung, auch Inklusion genannt. Eine inklu-sive Gesellschaft kann man sich wie eine Magerwiese

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    vorstellen. Eine Magerwiese ist voll von unterschied-lichen Pflanzen und Lebewesen. Es gibt kein Unkraut und kein Ungeziefer. Alle leben hier zusammen und sind voneinander abhängig. Alle beeinflussen dieses einzigartige Ökosystem. Entsprechend ist eine inklusive Gesellschaft eine bunte Gesellschaft mit vielen unter-schiedlichen Menschen; Menschen aus unterschiedli-chen Kulturen, mit unterschiedlichen Religionen, Bil-dungsniveaus, finanzieller Ausstattung und politischer Überzeugung. Alle leben friedlich zusammen und inspi-rieren sich gegenseitig.

    Regelmässige Kontrolle, auch vor Ort Die Behindertenrechtskonvention ist deshalb ein Leit-faden, weil die Unterzeichnerstaaten regelmässig über die Umsetzung der Konvention Rechenschaft ablegen müssen. Kontrollinstanz ist der Ausschuss über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Als erstes muss zwei Jahre nach der Unterzeichnung der Initial-staatenbericht vorgelegt werden. Darauf informiert sich eine Delegation des Ausschusses vor Ort über die erzielten Fortschritte und kritischen Punkte. Anschlies-send wird der Staatenbericht vom Ausschuss in einer öffentlichen Sitzung mit einer Delegation des betrof-fenen Landes diskutiert. Daraus folgt ein Bericht, der allen Mitgliedstaaten der UNO zugänglich gemacht wird. Alle vier Jahre muss erneut über die erzielten Fortschritte berichtet werden. Dank dieser Kontrolle wird sich die Gesetzgebung der Schweiz über die Zeit verändern. Auf gerichtlichem Weg können die Inhalte der Konvention nicht durchgesetzt werden, denn die

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    Schweiz hat das Zusatzprotokoll nicht unterzeichnet, gleich wie bei allen anderen Konventionen der Verein-ten Nationen.

    Mitreden dank Schattenbericht Die Schweiz muss Mitte Mai 2016 ihren Initialstaaten-bericht einreichen. Parallel dazu ist die sogenannte Zivilgesellschaft also Organisationen der Menschen mit Behinderungen und diese selber aufgefordert, ihre Beobachtungen in einem eigenen Bericht festzuhalten. Der Schattenbericht wird von «Inclusion Handicap» erarbeitet. Der Dachverband hat dafür eine eigene Arbeitsgruppe zusammengestellt bestehend aus Vertre-terinnen und Vertretern verschiedener Organisationen von und für Menschen mit Behinderungen. Menschen mit Behinderungen konnten sich auch direkt äussern. Dafür lancierte Inclusion Handicap eine Inter-netplattform. Die Kommentare flossen in den Schatten-bericht ein. Das sagt die UNO-Behindertenrechtskonvention Am 15. Mai 2014 reichte die Schweiz die unterzeichnete Behindertenrechtskonvention bei den Vereinten Nati-onen in New York ein. Damit erklärte sich die Schweiz einverstanden mit deren Zielen: Menschen mit Behin-derungen sollen gleichberechtigt mit allen anderen Bewohnern des Landes am gesellschaftlichen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben teilnehmen und teilhaben, also partizipieren können. Das bedeutet, dass Arbeitsplätze, Theater und Restaurants barriere-frei zugänglich sind und Menschen mit Behinderung in

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    Tipps und Tricks

    Sprechender Fernseher - ein neues barrierefreies Fernseherlebnis

    allen Lebensbereichen mitbestimmen und ihren Alltag selbständig gestalten können. Nur wenn Teilnehmen und Teilhaben möglich sind, wird Inklusion Wirklichkeit.

    Quelle: Der Weg - Mitgliedermagazin des SBV, Nr. 1 - 2016

    Peter Schmutz, Bern; [email protected]

    Nun steht der sprechende TV Fernseher Samsung in meinem Wohnzimmer. Eigentlich wäre ein neues Gerät noch lange nicht nötig gewesen, als ich aber von die-sen Modellen gehört habe, war ich nicht mehr zu brem-sen. Es ist kaum zu glauben, aber dieser TV spricht die ganzen Menüs die zum einstellen, programmieren und abspielen nötig sind.Ich liess mir das Gerät von einem grossen Elektronik-Händler nach Hause liefern und installieren, die Fr. 60.00 für die Lieferung kann ich noch akzeptieren, die 80.00 Franken für das Einrichten ist aber weggeworfenes Geld. Der «Fernsehtechniker» hat einen Sendersuch-lauf gestartet und mir danach kurz die Fernbedienung erklärt. Er hat keinen Internetzugang hergestellt und auch meine externe Festplatte für Aufnahmen nicht eingerichtet, aber mehrmals darauf Hingewiesen, dass damit auch Radio gehört werden kann!

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    Dank der Sprachausgabe Voice Guide konnte ich dies problemlos selber einrichten. Im Menü gibt es einen Punkt zum Kennenlernen der Fernbedienung, einge-schaltet sagt mir der TV jede gedrückte Taste an. Beim Umschalten der Sender, werden der Sendername und die laufende Sendung angesagt. Weiter kann Audiode-skription fest eingeschaltet werden und sobald ein Hör-film ausgestrahlt wird, wird der AD-Ton automatisch eingeschaltet, also kein Tastengefummel mehr. Das trifft für die meisten Sender zu, ausgenommen natür-lich wieder einmal unser Heimatsender SRF! Dort steht die Tonspur Standartmässig auf der Tonspur 3 und muss manuell mit der Fernbedienung auf Tonspur 2 umgestellt werden. Das ist natürlich mit der Sprachfüh-rung kein Problem, zeigt aber, dass wir in der Schweiz doch etwas Besonderes sind.

    Übrigens habe ich noch eine Spielerei entdeckt.Mit der App MyTV kann der Samsung TV auch über das iPhone und sogar via Apple Watch bedient werden. Eine kleine Spinnerei aber sehr lustig !

    Sollte ich jemanden «gluschtig» gemacht haben, schau-en Sie einmal auf die Seite http://hoerfilm.info/akti-vierung-am-tv-geraet.html. Inzwischen sind bestimmt wieder neue Geräte mit Voice Guide auf den Markt gekommen, die in der Liste noch nicht aufgeführt sind. Lassen Sie sich beim Kauf eines Gerätes unbedingt im Fachgeschäft vorführen, ob Voice Guide integriert ist!

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    Selbständig unterwegs dank der App «My Way»

    Susanne Gasser, Glarus

    Über 50 Spaziergänge an verschiedensten Orten von kur-zen Strecken bis zu stundenlangen Runden: Die App «My Way» macht es mir möglich. Ferner kann ich die Routen kombinieren und unterwegs auch mal improvisieren. Es macht Spass, so frei zu sein. Eine neue Route erstelle ich meist zusam