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Ausgebufft EU-Agrarpolitik: Minimale Umweltaufla- gen und Kappung bei Zahlungen vorgesehen. Von Jana Frielinghaus Ausgeweitet Äthiopische Truppen besetzen Stadt in Somalia. EU vor Kampfeinsätzen in dem ostafrikanischen Land Aufgestiegen Förderturm besetzt: 600 Anwohner des Atommüllagers Asse bei Wolfen- büttel protestieren am Silvestertag Angesagt Vom Atomausstieg zur Finanzkrise: Campact zieht positive Bilanz ihrer Internetkampagnen. Interview 2 6 5 Rüsten statt verhandeln EU reagiert zurückhaltend auf Teherans Gesprächsaufforderung. US-Rüstungsindustrie macht im Zuge der Kampagne gegen Iran Riesengeschäfte. Von Knut Mellenthin V or dem Hintergrund beispiel- loser US-amerikanischer Mi- litärlieferungen in die Golf- region hat Iran am Wochenende eine Rückkehr an den Verhandlungstisch gefordert. Ein entsprechendes Schrei- ben an Catherine Ashton hat Teherans Chefunterhändler Said Dschalili am Sonnabend angekündigt. Die Verant- wortliche für die EU-Außenpolitik ist von der Sechsergruppe – bestehend aus den USA, Rußland, China, Groß- britannien, Frankreich und Deutsch- land – mit der Aufrechterhaltung der Kontakte zum Iran beauftragt. Das vorerst letzte Treffen zwischen Vertretern der sechs Staaten und Te- herans hatte im Januar 2011 im tür- kischen Istanbul stattgefunden und war ohne Vereinbarung eines neuen Termins ergebnislos verlaufen. EU- Sprecher reagierten jetzt auf die ira- nische Gesprächsaufforderung betont zurückhaltend. Im Einvernehmen mit den USA machen die Europäer ein neues Treffen davon abhängig, daß Iran schon vorher Bereitschaft zu »bedeutenden« Zugeständnissen und »vertrauensbildenden Maßnahmen« signalisiert. Letztlich will der Westen keine Verhandlungen führen, sondern verlangt von Teheran die bedingungs- lose Annahme aller Forderungen. Da- zu gehört an erster Stelle der Verzicht auf zentrale Teile seines zivilen Atom- programms, insbesondere die Anrei- cherung von Uran und alle damit im weitesten Sinn verbundenen Arbeiten sowie Forschungs- und Entwicklungs- tätigkeiten. Gleichzeitig heizt die US-Regie- rung das Wettrüsten in der Golfregion weiter an. Am Donnerstag bestätigte Washington die schon seit einem Jahr bekannte Absicht, an Saudi-Arabien 84 Kampfflugzeuge vom Typ F-15 zu verkaufen. Der Wert des Geschäftes mit der Firma Boeing soll sich auf rund 30 Milliarden Dollar belaufen. Der Beginn der Lieferung der Ma- schinen wird nicht vor 2015 erwartet. Am Freitag gab das Pentagon den Ab- schluß eines Vertrags mit den Vereinig- ten Arabischen Emiraten bekannt, der den Verkauf von 96 Abwehrraketen des von Lockheed Martin produzier- ten Waffensystems THAAD vorsieht. Der Wert des Deals wird mit 3,48 Milliarden Dollar angegeben. Weitere Geschäfte, die ebenfalls mit der »ira- nischen Drohung« gerechtfertigt wer- den, beinhalten eine Modernisierung der saudischen »Patriot«-Abwehrra- keten (1,7 Milliarden Dollar) und die Lieferung von 209 derartiger Waffen an Kuwait (900 Millionen Dollar). Außerdem soll Irak Militärmaterial im Wert von elf Milliarden Dollar erhal- ten. Traditionell sind die Möglichkeiten der US-amerikanischen Rüstungsindu- strie, mit arabischen Staaten große Ge- schäfte zu machen, wegen des Wider- stands der Pro-Israel-Lobby begrenzt. Im Zeichen der Konfrontationspolitik gegen Iran sind die Einwände jedoch sehr viel schwächer als sonst. Darüber hinaus winken zusätzliche Riesenpro- fite, weil automatisch neue Lieferun- gen an Israel fällig werden, um dessen von den USA garantierten »qualitati- ven Vorsprung« vor sämtlichen Staa- ten der Region zu erhalten. Indessen hat Iran am Sonntag be- kanntgegeben, daß zu Testzwecken zum ersten Mal ein selbstproduziertes Brennelement in den Teheraner Reak- tor eingeführt wurde. Dort werden Iso- tope für die Behandlung von Krebspa- tienten hergestellt. Ein militärischer Mißbrauch ist völlig ausgeschlossen. Trotzdem war es Iran durch den Druck Washingtons unmöglich gemacht wor- den, die benötigten Brennelemente auf dem internationalen Markt zu kaufen. Verfassungsschutz kannte Neonaziaufenthalt Spiegel zitiert Geheimbericht zu »Terrortrio«. CSU: Keine Finanzierung für NPD und Linke. Von Markus  Bernhardt D er Verfassungsschutz hätte mehrfach die Möglichkeit ge- habt, dem Terror des neofaschi- stischen Netzwerkes »Nationalsoziali- stischer Untergrund« (NSU) ein Ende zu setzen. So berichtete Der Spiegel am Wochenende vorab aus seiner aktuellen Ausgabe, daß der Inlandsgeheimdienst bereits im Frühjahr 1999 Hinweise auf den Aufenthaltsort der Neonaziterro- risten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, die zum damaligen Zeitpunkt im Raum Chemnitz gelebt haben sollen, hatte. Die Zeitschrift beruft sich auf einen geheimgehaltenen Untersuchungsbe- richt des Bundesamtes für Verfassungs- schutz an die Bundesregierung. Dem- nach soll es auch darüber informiert gewesen sein, daß die Neonazis be- waffnete Raubüberfälle planten. Hätten die Verfassungsschützer seinerzeit der Polizei die ihnen vorliegenden Erkennt- nisse weitergegeben, hätten die vom NSU verübten Morde an neun Migran- ten und der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter wahrscheinlich verhindert werden können. SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann beklagte gegen- über dem Spiegel das systematische Versagen der Sicherheitsbehörden. »Was wir brauchen, ist eine fundamen- tale Veränderung der Arbeit.« Der par- lamentarische Geschäftsführer der Grü- nen, Volker Beck, forderte, der Bun- destag müsse schon im Januar einen Untersuchungsausschuß einrichten, der die Ermittlungspannen im Zusammen- hang mit der sogenannten Zwickauer Zelle aufkläre. Ein Sprecher des Bundesinnen- ministeriums erklärte, zu Details des Berichts des Bundesamtes für Verfas- sungsschutz könne er wegen der Ver- traulichkeit nichts sagen. Gerda Hassel- feldt, Chefin der CSU-Landesgruppe im Bundestag, nutzte die Diskussion um den Ausschluß der neonazistischen NPD aus der staatlichen Parteienfinan- zierung für einen neuerlichen Feldzug gegen die Linkspartei. Diese sei eben- falls von der gesetzlichen Parteienfi- nanzierung auszunehmen. Die Links- partei-Abgeordnete Petra Pau warf der Union erneut vor, an den V-Leuten fest- zuhalten und damit ein NPD-Verbot zu verhindern. u Siehe auch Seiten 3 und 8 4 198625 901300 10001 > junge Welt wird herausgegeben von 1 196 Ge- nossinnen und Genossen  (Stand 21. Dezember 2011).  Informationen: www.jungewelt.de/lpg junge W elt Die Tageszeitung www.jungewelt.de Terroristische Diktatur Bemerkungen zu Typen und Entwick- lungsetappen  des  Faschismus.  Von  Kurt Gossweiler. Vorabdruck aus der  Neuauflage  seines  Buches  »Kapital,  Reichswehr und NSDAP«. Seiten 10/11 Gegründet 1947 · Montag, 2. Januar 2012 · Nr. 1 · 1,30 Euro · PVSt A11002 · Entgelt bezahlt Wulff bewahrte   BW-Bank vor Problem Berlin. Bundespräsident Christian Wulff spielte nach einem Medien- beitrag als niedersächsischer Mi- nisterpräsident eine wichtige Rolle bei Geschäften der BW-Bank, von der er später einen Vorzugskredit erhielt. Nach einem Spiegel-Bericht war Wulff 2009 maßgeblich am Zustandekommen einer Grundla- genvereinbarung zwischen dem Sportwagenbauer Porsche und Volkswagen beteiligt. Damit wurde Porsche von massiven finanziellen Problemen befreit. Die BW-Bank hatte ein großes Interesse an dem Vertrag, da sie nach dem Bericht zu Geldgebern des Sportwagen- herstellers zählte. Die LBBW, der Mutterkonzern der BW-Bank, soll Porsche einen Milliardenkredit gewährt haben. Vier Monate nach Unterzeichnung des Grundlagenver- trages habe sich Wulff wegen seines Privatkredits an die BW-Bank ge- wandt. Dem Spiegel erklärte er, dar- in liege »keine irgendwie geartete Interessenkollision«. (Reuters/jW) Beobachtermission in  Syrien uneinig nikosia. Unter den Beobachtern der Arabischen Liga in Syrien gibt es offenbar Meinungsverschiedenhei- ten. Der die Mission leitende Mo- hammed Ahmed Mustafa Al-Dabi sagte in der BBC, der in einem am Freitag verbreiteten Video zu sehende Mann mit einer Weste der Liga habe über die Präsenz von Heckenschützen nur im Konjunk- tiv gesprochen. Eine von den Me- dien kolportierte Bestätigung von Scharfschützen durch die Mission gibt es demnach nicht. Zwei Oppositiongruppen schlos- sen derweil eine Vereinbarung über die Zeit nach Assad. Das Nationale Koordinierungsgremium für einen Demokratischen Wandel und der Syrische Nationalrat unterzeich- neten in Kairo ein Dokument, das unter anderem die »Gründung eines bürgerlich-demokratischen Staates« vorsieht. (AFP/jW) 9 Gute Geschäfte durch Wettrüsten: USA liefern Kampfflugzeuge und Raketen in Golfregion AP/SHAAM NEWS NETWORK VIA APTN HO NEW/REUTERS

jw-2012-01-02-0

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AusgebufftEU-Agrarpolitik: Minimale Umweltaufla-

gen und Kappung bei Zahlungen vorgesehen. Von Jana Frielinghaus

AusgeweitetÄthiopische Truppen besetzen Stadt in

Somalia. EU vor Kampfeinsätzen in dem ostafrikanischen Land

AufgestiegenFörderturm besetzt: 600 Anwohner des

Atommüllagers Asse bei Wolfen-büttel protestieren am Silvestertag

AngesagtVom Atomausstieg zur Finanzkrise:

Campact zieht positive Bilanz ihrer Internetkampagnen. Interview2 65

 Rüsten statt verhandelnEU reagiert zurückhaltend auf Teherans Gesprächsaufforderung. US-Rüstungsindustrie macht im Zuge der Kampagne gegen Iran Riesengeschäfte. Von Knut Mellenthin

Vor dem Hintergrund beispiel-loser US-amerikanischer Mi-litärlieferungen in die Golf-

region hat Iran am Wochenende eine Rückkehr an den Verhandlungstisch gefordert. Ein entsprechendes Schrei-ben an Catherine Ashton hat Teherans Chefunterhändler Said Dschalili am Sonnabend angekündigt. Die Verant-wortliche für die EU-Außenpolitik ist von der Sechsergruppe – bestehend aus den USA, Rußland, China, Groß-britannien, Frankreich und Deutsch-land – mit der Aufrechterhaltung der Kontakte zum Iran beauftragt.

Das vorerst letzte Treffen zwischen Vertretern der sechs Staaten und Te-herans hatte im Januar 2011 im tür-kischen Istanbul stattgefunden und war ohne Vereinbarung eines neuen Termins ergebnislos verlaufen. EU-Sprecher reagierten jetzt auf die ira-nische Gesprächsaufforderung betont zurückhaltend. Im Einvernehmen mit den USA machen die Europäer ein neues Treffen davon abhängig, daß Iran schon vorher Bereitschaft zu »bedeutenden« Zugeständnissen und »vertrauensbildenden Maßnahmen« signalisiert. Letztlich will der Westen keine Verhandlungen führen, sondern verlangt von Teheran die bedingungs-lose Annahme aller Forderungen. Da-zu gehört an erster Stelle der Verzicht auf zentrale Teile seines zivilen Atom-programms, insbesondere die Anrei-cherung von Uran und alle damit im weitesten Sinn verbundenen Arbeiten sowie Forschungs- und Entwicklungs-tätigkeiten.

Gleichzeitig heizt die US-Regie-rung das Wettrüsten in der Golfregion weiter an. Am Donnerstag bestätigte Washington die schon seit einem Jahr

bekannte Absicht, an Saudi-Arabien 84 Kampfflugzeuge vom Typ F-15 zu verkaufen. Der Wert des Geschäftes mit der Firma Boeing soll sich auf rund 30 Milliarden Dollar belaufen. Der Beginn der Lieferung der Ma-schinen wird nicht vor 2015 erwartet. Am Freitag gab das Pentagon den Ab-schluß eines Vertrags mit den Vereinig-ten Arabischen Emiraten bekannt, der den Verkauf von 96 Abwehrraketen des von Lockheed Martin produzier-ten Waffensystems THAAD vorsieht. Der Wert des Deals wird mit 3,48 Milliarden Dollar angegeben. Weitere Geschäfte, die ebenfalls mit der »ira-nischen Drohung« gerechtfertigt wer-

den, beinhalten eine Modernisierung der saudischen »Patriot«-Abwehrra-keten (1,7 Milliarden Dollar) und die Lieferung von 209 derartiger Waffen an Kuwait (900 Millionen Dollar). Außerdem soll Irak Militärmaterial im Wert von elf Milliarden Dollar erhal-ten.

Traditionell sind die Möglichkeiten der US-amerikanischen Rüstungsindu-strie, mit arabischen Staaten große Ge-schäfte zu machen, wegen des Wider-stands der Pro-Israel-Lobby begrenzt. Im Zeichen der Konfrontationspolitik gegen Iran sind die Einwände jedoch sehr viel schwächer als sonst. Darüber hinaus winken zusätzliche Riesenpro-

fite, weil automatisch neue Lieferun-gen an Israel fällig werden, um dessen von den USA garantierten »qualitati-ven Vorsprung« vor sämtlichen Staa-ten der Region zu erhalten.

Indessen hat Iran am Sonntag be-kanntgegeben, daß zu Testzwecken zum ersten Mal ein selbstproduziertes Brennelement in den Teheraner Reak-tor eingeführt wurde. Dort werden Iso-tope für die Behandlung von Krebspa-tienten hergestellt. Ein militärischer Mißbrauch ist völlig ausgeschlossen. Trotzdem war es Iran durch den Druck Washingtons unmöglich gemacht wor-den, die benötigten Brennelemente auf dem internationalen Markt zu kaufen.

Verfassungsschutz kannte NeonaziaufenthaltSpiegel zitiert Geheimbericht zu »Terrortrio«. CSU: Keine Finanzierung für NPD und Linke. Von Markus Bernhardt

Der Verfassungsschutz hätte mehrfach die Möglichkeit ge-habt, dem Terror des neofaschi-

stischen Netzwerkes »Nationalsoziali-stischer Untergrund« (NSU) ein Ende zu setzen. So berichtete Der Spiegel am Wochenende vorab aus seiner aktuellen Ausgabe, daß der Inlandsgeheimdienst bereits im Frühjahr 1999 Hinweise auf den Aufenthaltsort der Neonaziterro-risten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, die zum damaligen Zeitpunkt im Raum Chemnitz gelebt haben sollen, hatte.

Die Zeitschrift beruft sich auf einen

geheimgehaltenen Untersuchungsbe-richt des Bundesamtes für Verfassungs-schutz an die Bundesregierung. Dem-nach soll es auch darüber informiert gewesen sein, daß die Neonazis be-waffnete Raubüberfälle planten. Hätten die Verfassungsschützer seinerzeit der Polizei die ihnen vorliegenden Erkennt-nisse weitergegeben, hätten die vom NSU verübten Morde an neun Migran-ten und der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter wahrscheinlich verhindert werden können.

SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann beklagte gegen-

über dem Spiegel das systematische Versagen der Sicherheitsbehörden. »Was wir brauchen, ist eine fundamen-tale Veränderung der Arbeit.« Der par-lamentarische Geschäftsführer der Grü-nen, Volker Beck, forderte, der Bun-destag müsse schon im Januar einen Untersuchungsausschuß einrichten, der die Ermittlungspannen im Zusammen-hang mit der sogenannten Zwickauer Zelle aufkläre.

Ein Sprecher des Bundesinnen-ministeriums erklärte, zu Details des Berichts des Bundesamtes für Verfas-sungsschutz könne er wegen der Ver-

traulichkeit nichts sagen. Gerda Hassel-feldt, Chefin der CSU-Landesgruppe im Bundestag, nutzte die Diskussion um den Ausschluß der neonazistischen NPD aus der staatlichen Parteienfinan-zierung für einen neuerlichen Feldzug gegen die Linkspartei. Diese sei eben-falls von der gesetzlichen Parteienfi-nanzierung auszunehmen. Die Links-partei-Abgeordnete Petra Pau warf der Union erneut vor, an den V-Leuten fest-zuhalten und damit ein NPD-Verbot zu verhindern.

u Siehe auch Seiten 3 und 8 4 198625 901300

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junge Welt wird herausgegeben von 1 196 Ge-nossinnen und Genossen (Stand 21. Dezember 2011). Informationen: www.jungewelt.de/lpg

junge WeltDie Tageszeitung

www.jungewelt.de

Terroristische DiktaturBemerkungen zu Typen und Entwick-

lungsetappen  des  Faschismus.  Von 

Kurt Gossweiler. Vorabdruck aus der 

Neuauflage  seines  Buches  »Kapital, 

Reichswehr und NSDAP«.

  Seiten 10/11

Gegründet 1947 · Montag, 2. Januar 2012 · Nr. 1 · 1,30 Euro · PVSt A11002 · Entgelt bezahlt

Wulff bewahrte  BW-Bank vor ProblemBerlin. Bundespräsident Christian Wulff spielte nach einem Medien-beitrag als niedersächsischer Mi-nisterpräsident eine wichtige Rolle bei Geschäften der BW-Bank, von der er später einen Vorzugskredit erhielt. Nach einem Spiegel-Bericht war Wulff 2009 maßgeblich am Zustandekommen einer Grundla-genvereinbarung zwischen dem Sportwagenbauer Porsche und Volkswagen beteiligt. Damit wurde Porsche von massiven finanziellen Problemen befreit. Die BW-Bank hatte ein großes Interesse an dem Vertrag, da sie nach dem Bericht zu Geldgebern des Sportwagen-herstellers zählte. Die LBBW, der Mutterkonzern der BW-Bank, soll Porsche einen Milliardenkredit gewährt haben. Vier Monate nach Unterzeichnung des Grundlagenver-trages habe sich Wulff wegen seines Privatkredits an die BW-Bank ge-wandt. Dem Spiegel erklärte er, dar-in liege »keine irgendwie geartete Interessenkollision«. (Reuters/jW)

Beobachtermission in Syrien uneinig

nikosia. Unter den Beobachtern der Arabischen Liga in Syrien gibt es offenbar Meinungsverschiedenhei-ten. Der die Mission leitende Mo-hammed Ahmed Mustafa Al-Dabi sagte in der BBC, der in einem am Freitag verbreiteten Video zu sehende Mann mit einer Weste der Liga habe über die Präsenz von Heckenschützen nur im Konjunk-tiv gesprochen. Eine von den Me-dien kolportierte Bestätigung von Scharfschützen durch die Mission gibt es demnach nicht.

Zwei Oppositiongruppen schlos-sen derweil eine Vereinbarung über die Zeit nach Assad. Das Nationale Koordinierungsgremium für einen Demokratischen Wandel und der Syrische Nationalrat unterzeich-neten in Kairo ein Dokument, das unter anderem die »Gründung eines bürgerlich-demokratischen Staates« vorsieht. (AFP/jW)

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Gute Geschäfte durch Wettrüsten: USA liefern Kampfflugzeuge und Raketen in Golfregion

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Montag, 2. Januar 2012, Nr. 1 junge Welt2 p o l i t i k

»Ge s p ü r d a f ü r, we l c h e T h emen ange s ag t s i n d«Vom Atomausstieg zur Finanzkrise: Campact zieht positive Bilanz ihrer Internetkampagnen. Ein Gespräch mit Christoph Bautz

Gummigeschosse gegen Trauernde in BahrainManaMa. Nach der Beerdigung eines 15jährigen ist die bahrainische Poli-zei Augenzeugenberichten zufolge am Sonntag mit Tränengas und Gummi-geschossen gegen die Teilnehmer ei-ner Trauerkundgebung vorgegangen. Zuvor hatten die Sicherheitskräfte versucht, den Friedhof im Süden der Hauptstadt Manama abzuriegeln. Sa-jed Haschim Said sei am Samstag von einer Tränengaskartusche an der Brust getroffen worden und später seinen Verletzungen erlegen, teilten Anhän-ger der Opposition mit. Das Innenmi-nisterium erklärte, die Verbrennungen am Körper des Jungen hätten eine an-dere Ursache. (dapd/jW)

Japan entwickelt neue CyberwaffeTokio. Japan hat einen Computervirus entwickelt, mit dem sich der Ursprung einer Cyberattacke zurückverfolgen

und deren Programm neutralisieren läßt. Wie die Zeitung Yomiuri Shimbun am Sonntag berichtete, krönt die Ent-wicklung der Cyberwaffe ein dreijäh-riges Forschungsvorhaben mit Kosten von 179 Millionen Yen (1,79 Millionen Euro), das die Regierung der Technolo-giefirma Fujitsu übertrug. Japan werde Gesetzesänderungen vornehmen müs-sen, weil die Verwendung einer Cyber-waffe gegen japanische Rechtsnormen verstoßen könnte. Im vergangenen Jahr waren offenbar Computer von Parla-mentariern und Botschaftern des Lan-des ausgespäht worden. (AFP/jW)

Hohe Verwaltungskosten im GesundheitswesenBerlin. Die Verwaltungskosten im deut-schen Gesundheitssystem sind deutlich höher als bisher angenommen. Im Jahr 2010 machten sie fast ein Viertel der Ge-samtausgaben der gesetzlichen Kranken-versicherung in Höhe von 176 Milliarden Euro aus, wie der Spiegel unter Berufung auf eine Studie der Unternehmensbera-

tung A. T. Kearney berichtet. Die Exper-ten verweisen unter anderem darauf, daß Krankenhausärzte in 37 Prozent ihrer Ar-beitszeit mit Verwaltungsaufgaben be-lastet sind. Kostentreiber seien auch die komplizierten Abrechnungsverfahren bei den niedergelassenen Ärzten oder die Praxisgebühr. (AFP/jW)

Steuerrückstände von knapp 20 Milliarden EuroBerlin. Die Steuerzahler schulden dem deutschen Fiskus einem Zeitungsbe-richt zufolge mehr Geld als je zuvor. Nach einer aktuellen Auswertung des Bundesfinanzministeriums, die der Frankfurter Rundschau (Wochenend-ausgabe) vorliegt, summierten sich die Steuerrückstände bis Ende 2010 auf einen Rekordwert von 19,6 Milliarden Euro. Das sei ein Anstieg um 2,3 Mil-liarden Euro oder 13,3 Prozent im Ver-gleich zum Vorjahr. Insgesamt wurden 4,6 Prozent der vom Fiskus verlangten Steuersumme dem Bericht zufolge bis-her nicht bezahlt. (AFP/jW)

NachrichteN

Silvester zum Knast. Rund 700 Menschen sind in der Silvesternacht zur Justizvollzugsanstalt in Berlin-Moabit gezogen, um gegen Knäste und Repression zu demonstrieren. Zahlreiche der 1 500 dort Inhaftierten beantworteten den Neujahrsgruß, indem sie an ihren Zellenfenstern mit Tüchern winkten. Immer wieder zogen Polizeibeamte wahllos Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem Demonstrationszug, mitunter weil sie Mitternacht Feuerwerke gestartet hatten. Am Sonntag teilte die Polizei in einer Pressemeldung mit, daß es insgesamt 18 Festnahmen und Freiheitsbeschränkungen gegeben habe. Bereits am frühen Samstag nachmittag hatten sich rund 100 Menschen vor dem Abschiebeknast im Berliner Stadtteil Grünau versammelt und gegen staatlichen Rassismus protestiert. (lb)

Geldgeber orientieren sich umUnternehmen fahren Spenden für CDU und FDP zurück. Grüne profitieren

Deutsche Unternehmen haben den Regierungsparteien CDU und FDP 2011 deutlich weniger

Geld gespendet als im Vorjahr. Bei der CDU gingen im alten Jahr nur halb so viele Großspenden ein wie 2010. Die FDP büßte ein Drittel ihrer Zuwendun-gen ein, wie aus einer von Bundestags-präsident Norbert Lammert (CDU) ver-öffentlichten Aufstellung hervorgeht.

Trotz der Einbußen erhielt die CDU der Auflistung zufolge mit 516 000 Euro die meisten Spenden. Ihre bayerische Schwesterpartei CSU lag mit 512 000 Euro fast gleichauf, während die FDP noch Zuwendungen von 320 000 Euro bekam. Die SPD konnte demnach mit 355 000 Euro ihr Spendenniveau halten, die Grünen erhielten mit 110 000 Euro fast doppelt soviel wie im Vorjahr. Grund für die Mehreinnahmen der Grünen war der Auflistung zufolge eine Spende des

Unternehmerverbands Südwestmetall. Dieser schichtete nach der Kabinetts-bildung von Grünen und SPD in Baden-Württemberg je 60 000 Euro zugunsten der neuen Regierungsparteien im Länd-le um. Bislang hatte Südwestmetall nur die CDU unterstützt.

Größte Geldgeber waren erneut die Metallindustrie, der Versicherungskon-zern Allianz sowie die Autobauer BMW und Daimler. Mehrere langjährige Un-terstützer drehten der CDU den Geld-hahn 2011 ganz oder teilweise zu. Darun-ter war auch der Künzelsauer Werkzeug-hersteller Würth, der 2010 noch 100 000 Euro gespendet hatte.

Die Linke erhielt 2011 keine Groß-spenden. Zwei Privatzuwendungen in Höhe von insgesamt fast 214 000 Euro bekam dagegen die Marxistisch-Lenini-stische Partei Deutschlands (MLPD).

Insgesamt ging das Aufkommen an

Großspenden an die Bundestagsparteien von 2,5 Millionen Euro im Jahr 2010 auf nur noch 1,8 Millionen Euro im alten Jahr zurück. Die Frankfurter Rundschau führte dies am Samstag auch auf die öffentlichen Debatten um Großspenden zurück, welche das Image der Zahlen-den eher schädigten. Als Beispiel nannte das Blatt die sogenannte »Mövenpick-Spende« des Unternehmers August Ba-ron von Finck, der die viel kritisierte Senkung der Mehrwertsteuer für Hotels durch die schwarz-gelbe Koalition folg-te.

Sämtliche Summen berücksichtigen nur Zahlungen über 50 000 Euro, die von den Parteien unverzüglich beim Bundestagspräsidenten angezeigt wer-den müssen. Spenden zwischen 10 000 und 50 000 Euro legen die Parteien erst später in den Rechenschaftsberichten of-fen. (AFP/jW)

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Ihre Organisation Campact hat eine positive Jahresbi-lanz der Internetkampa-

gnen gezogen. Was zählen Sie zu den Erfolgen?

Das Jahr 2011 war von Katastro-phen und Umbrüchen geprägt: zum Beispiel Fukushima, der arabische Frühling, die Unterdrückung der Demokratiebewegungen und die Finanzkrise. Derartige Erschütte-rungen sind aber zu-gleich immer wieder Chancen, politische Veränderungen durch-zusetzen. Ein wich-tiger Erfolg, den wir errungen haben, ist die Wende zum Ausstieg aus der Atomkraft. Natürlich geht uns das nicht schnell genug. Aber immerhin wurde die Laufzeitverlänge-rung zurückgenom-men. Das werten wir als Erfolg für unsere Arbeit, den wir zusammen mit der Umweltbewe-gung erreichen konnten.

In welcher Weise hat Campact sich eingebracht?

Wir kombinieren Proteste, die sich im realen Leben abspielen, mit vir-tuellen Möglichkeiten im Internet. Wenige Stunden nach der Katastro-phe von Fukushima hatten wir ei-nen Appell gestartet, die Atomkraft in Deutschland abzuschalten. Dar-an hatten sich 320 000 Menschen beteiligt. Ein breites Bündnis von Organisationen machte mit – zwei Wochen später gingen noch einmal 250 000 Menschen auf der Straße.

In der zweiten Jahreshälfte, als die Occupy-Bewegung plötzlich hier-zulande eine neue Dynamik entwik-kelte, haben wir uns mit der Finanz-krise beschäftigt. Wir haben uns mit ATTAC zusammengeschlossen und aufgerufen, im November das Ban-kenviertel in Frankfurt am Main und das Regierungsviertel in Ber-lin zu umzingeln. 18 000 Menschen machten mit. Hierbei war unsere Absicht, Druck auf die Bundesre-gierung auszuüben, um die Banken zu regulieren und in ihre Schranken zu weisen.

Welche weiteren Aktivitäten gab es?

Mit einer Eilkampagne haben wir verhindert, daß die Veröffentli-chungspflicht der Nebeneinkünfte von Mitgliedern des Bundestags wieder verwässert wird. Ein weite-res Thema war die Gentechnik. Be-reits 2009 hatten wir als Teil eines Bündnisses ein Verbot des Anbaus von Genmais erzwungen. In diesem Jahr haben wir durchgesetzt, daß Saatgut frei von Gentechnik sein muß.

Wie hat sich der gemeinnützige Verein Campact entwickelt?

Wir haben ihn 2004 gegründet, um zu erreichen, daß Menschen ein politisches Netzwerk bilden und sich über das Internet koordinie-ren und gemeinsam aktiv werden. Mittlerweile beteiligen sich mehr als 500 000 Menschen an unseren Appellen online – immer wieder gehen sie auch auf die Straße, um gemeinsam Druck auf die Bundes-regierung zu machen, wenn aktuelle

politische Entschei-dungen bevorstehen. Wer steht hinter Campact?Wir sind ein Team von 20 Personen, die im Austausch mit den Menschen, die auf unserem Verteiler ste-hen, neue Kampagnen entwickeln. Meist ma-chen wir zuvor Umfra-gen, um zu erfahren, wie eine Kampagne ankommen würde,

bevor wir sie organisieren. Einige kommen aus der Umwelt- oder der Antiatombewegung, waren AT-TAC-Mitbegründer oder im globali-sierungskritischen Netzwerk. Einen Stuttgart-21-Gegner haben wir auch dabei.

Wie finanziert sich der Verein?Rund 8 500 Förderer unterstützen uns regelmäßig, viele tausend wei-tere sind immer wieder unregelmä-ßig mit Spenden dabei. Ab und zu fördern uns diverse Stiftungen. Nä-heres ist in unserem Transparenz-bericht unter www.campact.de zu erfahren.

Es gibt auch kritische Stim-men: 20 Menschen haben gro-ße Macht, Einfluß auszuüben und politische Kampagnen zu steuern – oder Themen zu ignorieren.

Ja, so diskutieren wir das auch. Des-halb bemühen wir uns, mit großen Teilen des Netzwerks in Kontakt zu kommen, um ein Gespür zu be-kommen, welche Themen angesagt sind.

Warum war eigentlich Hartz IV kein Thema?

Wir hatten den Schwerpunkt zu-nächst im Umweltbereich, dann ha-ben wir uns auf andere Themen aus-geweitet. In der ersten Jahreshälfte, als die Erhöhung von Hartz IV zur Entscheidung stand, waren wir auf den Atomausstieg fokussiert. Zum Beispiel hatten wir aber eine Kam-pagne zum Asylbewerberleistungsge-setz: Das muß zumindest insofern verändert werden, daß Flüchtlinge das gleiche Existenzminimum wie Deutsche erhalten. Ursula von der Leyen verschleppt diese Reform in das Jahr 2012 hinein. Wir haben unse-ren Forderungen an sie adressiert und werden auch im nächsten Jahr dran bleiben. Interview: Gitta Düperthal 

Christoph Bautz ist  Geschäftsführer des  Vereins Campact

Seit Bestehen der Bundesrepu-blik gehörten ein aggressiver Antikommunismus und die ge-

gen linke politische Bewegungen ge-richtete Repression zur westdeutschen Staatsdoktrin. Im Jahr 2000 wurden allerdings Nazigegner beim vom dama-ligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ausgerufenen »Aufstand der Anständigen« Opfer der Umarmungs-strategie selbsternannter Demokraten, derzeit aber werden sie wieder einmal per »Extremismustheorie« mit Neo-faschisten gleichgesetzt: Rot gleich Braun.

Eine besonders einflußreiche pres-sure group für die Propagierung dieser Formel ist der »Veldensteiner Kreis zur Geschichte und Gegenwart von Ex-tremismus und Demokratie«, dessen Anhänger sich seit 1990 zweimal im Jahr treffen. Angeblich fühlt man sich dort dem Einsatz für die Demokratie verpflichtet. Organisiert werden die Ta-gungen von den Professoren Eckhard Jesse (Technische Universität Chem-nitz), Uwe Backes (Hannah-Arendt-In-stitut für Totalitarismusforschung Dres-den) und Werner Müller (Universität Rostock). Als »Ort wissenschaftlicher Diskussion« hat sich das unter anderem aus Zeithistorikern, Politik- und Sozial-wissenschaftlern bestehende Netz-werk – eigenen Angaben zufolge – dem Ziel verschrieben, die »vergleichende Extremismusforschung« zu fördern. Dieses Ziel verbinde der »Veldenstei-ner Kreis« mit »dem Engagement für den demokratischen Verfassungsstaat«, heißt es auf der Internetseite der Verei-nigung. Bei ihren Tagungen treten un-ter anderem so prominente Referenten wie der ehemalige Leiter der Stasi-Un-terlagenbehörde Joachim Gauck, der Leiter der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen Hubertus Knabe oder auch der deutsch-französische Parteienforscher Patrick Moreau auf.

Seine wissenschaftliche Reputation litt allerdings etwas, als herauskam, daß er in Pamphleten gegen die damalige PDS in Thüringen eigene Pseudonyme (Peter Christian Segall, Hermann Gleu-mes) nutzte, um sich selbst zu zitieren.

Moreau trat mehrfach auf Veran-staltungen des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) auf und veröffentlichte in der Heron-Verlags-gesellschaft, einem Tarnunternehmen der Spitzelbehörde, die 1997 vom da-maligen Thüringer Verfassungsschutz-präsidenten Helmut Roewer unter dem Decknamen Stephan Seeberg ge-gründet worden war. Roewer gilt als eine der Schlüsselfiguren im größten Geheimdienstskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte. Fest steht: Die Mitglieder des neofaschistischen Ter-

rornetzwerkes »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU), vor allem Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, wurden von den Inlandsge-heimdiensten zum Teil finanziert, beob-achtet, aber nicht behelligt. Sie konnten untertauchen, mehrere Banken ausrau-ben, neun Migranten und die Polizistin Michèle Kiesewetter ermorden sowie 2004 in Köln einen Nagelbombenan-schlag 2004 verüben.

Der ehemalige Bundeswehr-Panzer-offizier Roewer, der heute im als rechts-extrem eingestuften Ares-Verlag Graz publiziert, war von 1994 bis Herbst 2000 Präsident des Thüringer Verfassungs-schutzes. Unter seiner Leitung produ-zierte das Landesamt im Jahr 2000 einen für den Schulunterricht vorgesehenen Film über »jugendlichen Extremismus

in der Mitte Deutschlands«, der im Auf-trag von Heron entstanden ist.

Während autonome Antifaschisten in dem Film als gewaltbereit diffamiert wurden, konnte ausgerechnet der V-Mann Tino Brandt als Kopf des neofa-schistischen »Thüringer Heimatschut-zes«, aus dem die Terrorgruppe NSU hervorging, darin ein Bekennntis zu prinzipieller Gewaltlosigkeit der Rech-ten abgeben.

Auch Helmut Roewer soll bereits als Referent beim »Veldensteiner Kreis« aufgetreten sein. Gelegenheit zu einem neuerlichen Auftritt hätte er bald wie-der: Die Herrschaften tagen vom 13. bis 15. April im Schloß Wendgräben bei Magdeburg, das von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung betrieben wird.

junge Welt Montag, 2. Januar 2012, Nr. 1 3s c h w e r p u n k tDokumeNtiert

Verharmlosung der Rechtenu Auszüge aus der Broschüre »To-tal Extrem – die (neue) Funktion der Totalitarismus- und Extremis-musideologien«:

(…) Der Extremismustheorie liegt die Vorstellung zugrunde, daß sich das politische Spektrum entlang einer Achse gruppiert, die von links über die gemäßigte Mitte bis nach rechts reicht. Die Extrempositionen seien rechts- bzw. linksaußen angesiedelt.(…) Entsprechend dieser Einordnung werden »Extreme« als bedrohlich, polarisierend und kompromißlos empfunden – die Mitte hingegen er-scheint als normal, harmonisch und ausgeglichen. »Extremismus« ist kein Rechtsbegriff, bisher findet er sich in keinem Gesetz. Dennoch wird er immer häufiger von der Exekutive wie z. B. der Polizei verwendet und von Staatsanwälten in Strafverfahren eingeführt, in denen es um politische Delikte geht. Der Begriff entstand als Kategorie zur Aufgabenstrukturie-rung in den bundesdeutschen Verfas-sungsschutzämtern. Aufgegriffen von konservativen Wissenschaftlern und Vertretern der »neuen Rechten«, fand er ab Mitte der 1970er Jahre Eingang in die Politik- und Sozialwissenschaf-ten, wenngleich die zugehörige(n) Theorie(n) umstritten und marginali-siert blieben.(…)

Vor allem Politikwissenschaftler aus dem Umfeld von Uwe Backes (Hannah-Arendt-Institut für Totalita-rismusforschung an der TU Dresden) und Eckhard Jesse (TU Chemnitz) versuchen seit Ende der 1980er Jah-ren, die Extremismustheorie im Wis-senschaftsbetrieb und in der breiten Öffentlichkeit zu etablieren – seit dem Zusammenbruch des Realsozialismus 1989/90 und insbesondere in den letzten Jahren aufgrund eines entspre-chenden Nährbodens in der etablier-ten Politik mit steigendem Erfolg.u Die Broschüre kann im Internet kostenlos unter http://www.antifa.de/cms/content/view/1417/32/ herunter-geladen werden

Alte »Rot-gleich-Braun«-Kämpfer: Uwe Backes (l.) und Eckhard Jesse

 Die WegbereiterWer Neofaschisten und ihre entschiedensten Gegner gleichsetzt, will rechten Terror verharmlosen, z. B. die Referenten des »Veldensteiner Kreises«. Von Markus Bernhardt

Trotz der eindeutig faschi-stisch motivierten Morde und Bombenanschläge des

braunen Terrornetzwerkes »Na-tionalsozialistischer Untergrund« (NSU) propagieren Politiker, Wis-senschaftler und Medien nach wie vor die sogenannte Extremismus-theorie und setzen damit Neonazis und die politische Linke – also die entschiedensten Gegner der Rech-ten – gleich. Behindert die »Extre-mismustheorie« die Aufklärung des rechten Terrors?

Für mich handelt es sich nicht um eine Theorie, sondern um eine ideologisch motivierte Doktrin. Sie wurde in den achtziger Jahren kaum noch ernst ge-nommen und erlebte seit 1990 einen steilen Wiederaufstieg zur Staatsdok-trin. Dieses Konstrukt dürfte kaum die Aufklärung des rechten Terrors behin-dern. Aber es hat sicherlich erheblich dazu beigetragen, daß der rechte Terror und die Tendenzen dazu nicht wahr-genommen wurden. Seit den Anschlä-gen vom 11. September 2001 spielte

das Thema in den Verfassungsschutzbe-richten keinerlei Rolle mehr. An dieser Schwerpunktverlagerung waren an der Extremismusdoktrin orientierte Wis-senschaftler wesentlich beteiligt.

Rund um den »Veldensteiner Kreis« zur Erforschung von Ex-tremismus und Demokratie haben sich unter anderem einflußreiche »Extremismusforscher« zusam-mengefunden, um sich angeblich »für den demokratischen Verfas-sungsstaat zu engagieren«. Neben Hubertus Knabe, dem ehemaligen Mitglied des SED-Politbüros Gün-ter Schabowski und dem ehema-ligen SDS-Mitglied Bernd Rabehl soll auch der frühere Chef des Thüringer Landesamtes für Ver-fassungsschutz, Helmut Roewer, an den Treffen dieses illustren Kreises teilgenommen haben. Wie bewer-ten Sie den »Veldensteiner Kreis«?

Über Vorträge wie »Das Kabarett in der DDR im Visier der Stasi«, so bei der letzten Tagung des »Veldensteiner Kreises«, dürfte sich kaum politischer Einfluß entwickeln lassen. Entschei-dender als die offiziell behandelten Themen dürfte die Herausbildung eines Netzwerkes aus Wissenschaft und Re-präsentanten der Inlandsgeheimdienste sein. Die Wissenschaftler dienen sich dabei als Politikberater an und binden gleichzeitig Nachwuchskräfte in ihre Arbeit ein, machen sie zum Teil eines Zitierkartells. Man gibt sich nach au-ßen pluralistisch, eine Orientierung am rechten Rand des Konservatismus dürf-te allerdings Konsens sein.

Für wie einflußreich halten Sie diese »Denkfabrik«?

Den Ausdruck »Denkfabrik« halte ich für maßlos übertrieben. Wissenschaft-liche Denkleistung wird hier kaum er-bracht. Der Einfluß, über den der Kreis verfügt, entspringt vielmehr seiner Er-arbeitung strategischer und taktischer Optionen zur Zurückdrängung und De-legitimierung der Linken. Gerade bei

uns in Sachsen zeigt sich, daß dieses Netzwerk erhebliche Bedeutung für universitäre Karrieren hat. Es ist also vor allem an Nachhaltigkeit gedacht worden, an die Besetzung der Lehr-körper mit den eigenen Gefolgsleuten. Bereits mittelfristig führt ein solches konzertiertes Vorgehen zu einer konser-vativen Hegemonie in den Geisteswis-senschaften.

Hat der »Veldensteiner Kreis« durch seine Verharmlosung rech-ter Aktivitäten und seinen ent-schiedenen Kampf gegen die po-litische Linke dem rechten Terror ideologisch zugearbeitet?

Der »Veldensteiner Kreis« konnte nur deshalb seinen Einfluß erringen, weil seine Thesen bei den etablierten Par-teien weit geöffnete Ohren fanden. Sie entsprachen dem dort vorherrschenden Denken und konnten als theoretische Legitimation für das ohnehin geplante Handeln dienen. Man sollte genau un-terscheiden, wer der Puppenspieler und wer die Marionette ist. Backes, Jesse und Co. sind nur letztere und bekom-

men ihr Geld dafür, daß sie ihre Rolle weisungsgemäß ausfüllen. Wenn die Puppenspieler sagen, daß die Linke und der Islamismus die entschieden größere Gefahr sind, müssen die Marionetten eben die Fakten so zurechtbiegen, daß sie diese Behauptung belegen.

Was können Antifaschisten tun, um den Einfluß von Organisa-tionen wie dem »Veldensteiner Kreis« zu verringern?

Wir sollten sein wissenschaftliches Fundament angreifen und immer wie-der aufzeigen, daß es sich dabei um ein konservatives Konstrukt handelt. Daneben ist unverzichtbar, daß das hin-ter verschlossenen Türen stattfindende Treiben transparent gemacht wird. Wir sollten bei Personalentscheidungen an den Universitäten genau darauf achten, wer aus diesem Netzwerk kommt. Und wir sollten überprüfen, ob und aus wel-chen staatlichen Töpfen es finanzielle Mittel für den Kreis gibt – und dann den Geldhahn zudrehen.  Interview: Markus Bernhardtu Siehe auch Seite 8

»W i s s e n s c h a f t l i c h e L e i s t u n g w i rd kaum e r b ra c h t«Der »Veldensteiner Kreis« arbeitet vor allem an der Delegitimierung der Linken. Ein Gespräch mit Kerstin Köditz

Kerstin Köditz ist Sprecherin  für antifaschistische Politik der 

 sächsischen Linksfraktion

DPA

DPA

Zum Jahreswechsel 2010/2011 sah es für die Kritiker von »Stuttgart 21« noch gut aus. Die anhalten-

den Massenproteste hatten die Befür-worter des Tiefbahnhofs in die Defensi-ve gedrängt. Der Versuch der CDU-Lan-desregierung unter Ministerpräsident Stefan Mappus, den Widerstand gegen das milliardenschwere Prestigeprojekt mit roher Gewalt zu brechen, war nach hinten losgegangen. Nie hatte die Be-wegung derartige Sympathien und so großen Zulauf wie nach den Polizei-übergriffen im Stuttgarter Schloßgarten vom 30. September 2010. Doch das Establishment hat aus diesen Fehlern gelernt. Statt auf offene Konfrontation und Einschüchterung setzt es seither vor allem auf Einbindung und Demokratie-simulation – vorläufig mit Erfolg.

Schon die sogenannte Fakten-schlichtung unter der Leitung des CDU-Politikers Heiner Geißler im November 2011 hatte einige Verwirrung gestiftet. War das endlich die Beteiligung der Be-völkerung, deren Interessen und Mei-nungen zuvor schlicht ignoriert worden waren? Bei genauerem Hinsehen war das nicht der Fall. Denn die grundlegen-de Frage, ob der Bahnhof gebaut wer-den soll oder nicht, stand dabei offiziell gar nicht zur Debatte. Zwar schlugen sich die Vertreter der Projektgegner in der vom Fernsehen live übertragenen, 60stündigen Debatte teilweise beacht-lich und brachten die hoch bezahlten Bahn- und Regierungsfunktionäre in einige peinliche Situationen. Das ein-zige greifbare Ergebnis war jedoch der »Streßtest«, dessen Resultate im Juli 2011 gleichfalls öffentlich disku-tiert wurden. Dieser sollte lediglich die Leistungsfähigkeit des neuen Bahnhofs – auf Grundlage von der Bahn vorge-legter Daten – »beweisen«. Die Aus-wirkungen des Prestigebaus auf Bäu-me, Luft und Mineralquellen spielten ebenso wie das zentrale Argument der Kosten plötzlich keine Rolle mehr.

Zuvor konnte die Bewegung aber noch einen großen Sieg feiern: die Abwahl der Mappus-Regierung am 27. März 2011 nach jahrzehntelanger Dominanz und Arroganz der CDU im Südwesten. Andere Themen, wie die kurz vor der Fukushima-Katastrophe beschlossene Verlängerung der AKW-Laufzeiten und die Bildungspolitik, spielten zwar eine Rolle. Entscheidend

war aber wohl die Auseinandersetzung um »Stuttgart 21«, in der die Union ebenso wie die Bahn AG in den Au-gen breiter Teile der Bevölkerung als »Lügenpack« entlarvt worden war. Al-lerdings profitierten ausschließlich die Grünen von dem Massenprotest – wohl auch wegen der sozialen Zusammen-setzung von dessen Teilnehmern. Die Linke konnte trotz ihrer klaren Positio-nierung und Aktivitäten gegen »S 21« mit 2,8 Prozent nicht in den Landtag einziehen.

Seither sind ein Teil der Projekt-gegner desillusioniert, was die Rolle der Grünen angeht. Denn diese hätten

nach ihrem Wahlsieg alle Möglichkei-ten gehabt, den Bahnhofsbau endgültig zu beerdigen. Formale und inhaltliche Gründe – wie die verschwiegenen Re-alkosten, Tricksereien beim »Streßtest« sowie nicht genehmigte Planänderun-gen beim Grundwassermanagement – hätte es dafür reichlich gegeben. Doch den Grünen war ihre erste Ministerprä-sidentschaft wichtiger als die Verhinde-rung von »Stuttgart 21«. Um trotz des Wahlkampfgetöses in eine Regierung mit den »S 21«-Befürwortern von der SPD einsteigen zu können, setzte die einstige Protestpartei auf das Mittel der Volksabstimmung – in vollem Bewußt-

sein, daß es sich unter den gegebenen Bedingungen nicht um eine Erweite-rung von Demokratie, sondern um de-ren Simulation handelte. Die These des Stuttgarter Stadtrats Tom Adler (Die Linke), daß die Volksabstimmung und ihr Ergebnis von der Grünen-Spitze »von Anfang an strategisch als Legiti-mation eines Ausstiegs aus dem Wider-stand gegen ›Stuttgart 21‹ gedacht« war (siehe jW vom 7. Dezember), trifft wohl des Pudels Kern.

Viele Leser dieser Zeitung dürfte die Volte der Grünen in Baden-Württem-berg nicht überrascht haben. Hatte doch die einstige öko- und Friedenspartei ihre Grundsätze beim Eintritt in die Schröder-Regierung 1998 in Rekordzeit über Bord geworfen und Kriegseinsät-ze ebenso mitgetragen wie die faktische Verlängerung der Laufzeiten von Atom-kraftwerken. Ihre Prinzipienlosigkeit haben die Grünen im Südwesten erneut bestätigt, wenn auch kaschiert mit einer Abstimmung, die vermeintlich Volkes Wille ausdrückt.

Für den Widerstand gegen »Stuttgart 21« war das Votum der Baden-Württem-berger eine Niederlage. Noch ist unklar, in welchem Ausmaß die Proteste im neuen Jahr fortgesetzt werden. Geht es nach Grünen und Umweltverbänden wie dem BUND, sollen sie weitgehend ein-gestellt, das Projekt nur noch »kritisch begleitet« werden. Doch viele Aktivi-sten wollen nicht aufgeben. Das haben zwei Aktionskonferenzen mit mehreren hundert Teilnehmern in den vergange-nen Wochen gezeigt. Bereits ab dem 9. Januar, wenn die Bahn die Baum-fällungen im Stuttgarter Schloßgarten fortsetzt und den Südflügel des alten Kopfbahnhofs abreißt, stehen wieder größere Proteste auf der Tagesordnung. Die Perspektiven des auf mindestens zehn Jahre geplanten Bahnhofsbaus sind angesichts der Euro- und Staatsschul-denkrise ohnehin ungewiß. Wichtig ist aber, daß die Bewegung aus den Er-fahrungen des vergangenen Jahres lernt. Weniger Hoffnungen in Grüne, BUND und Co. zu setzen und ein stärkeres Auf-greifen sozialer Fragen könnte ihr vor dem Hintergrund der kapitalistischen Krise neuen Schwung verleihen.

u Neujahrsempfang der »Parkschüt-zer«, Montag, 18 Uhr, Hauptbahnhof Stuttgart, Südflügel

Der Vorsitzende des Sach-verständigenrates zur Be-gutachtung der gesamtwirt-

schaftlichen Entwicklung, Wolfgang Franz, for-

dert von der Bun-desregierung den »Abbau nicht gerechtfertigter Steuervergün-s t i g u n g e n « . Franz sagte der Nachr ichten-agentur dapd,

die beschlossene Abmilderung der

sogenannten kal-ten Progression müsse

»nachhaltig gegenfinanziert

werden«. Denkbar sei zum Beispiel die Streichung der Pendlerpauscha-le.

Auch auf die Steuerfreiheit von Lohnzuschlägen für Nacht-, Sonn-tags- und Feiertagsarbeit könne verzichtet werden. Der Chef der »Wirtschaftsweisen« und Präsident des Zentrums für Europäische Wirt-schaftsforschung (ZEW) in Mann-heim fügte hinzu: »Der ermäßigte Umsatzsteuersatz von sieben Prozent sollte ebenfalls auf den Prüfstand ge-stellt werden.«

Der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), Thomas Straubhaar, sieht ebenfalls »Konsolidierungsbedarf«. Er mahn-te in einem dapd-Interview: »Um

im Fall konjunktureller Rückschlä-ge finanziellen Handlungsspielraum zu haben, aber auch im Hinblick auf die ab 2016 geltende Schulden-bremse sollten in wirtschaftlich gün-stigeren Zeiten eher Überschüsse erzielt werden.« Straubhaar fügte hinzu, die Staatsausgaben müßten immer wieder auf ihre Notwendig-keit überprüft werden. Dies gelte insbesondere für die Subventionen. Der HWWI-Direktor forderte: »Die geplante Steuersenkung zum Abbau der kalten Progression sollte durch Ausgabenkürzungen gegenfinanziert werden.«

Auch der Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirt-schaftsforschung (RWI) in Essen,

Christoph M. Schmidt, rät zur Kür-zung von Subventionen. Die Bun-desregierung komme zwar bei der Rückführung des Defizits gut voran. Ein großer Teil davon sei aber eher der guten Konjunktur zu verdanken. Dies führe jedoch »bekanntlich nicht zu einem dauerhaften Abbau des strukturellen Defizits«.

Der »Wirtschaftsweise« kritisierte zudem, in der Steuerpolitik der Bun-desregierung sei »vieles nicht über Ankündigungen im Koalitionsver-trag hinausgekommen – weder gab es Reformen bei der Gewerbesteuer, noch wurden Vereinfachungen bei der Mehrwertsteuer konkretisiert«.

(dapd/jW)

Montag, 2. Januar 2012, Nr. 1 junge Welt4 p o l i t i kZitat Des tages

Ich halte den dritten Weg nicht nur für Diakonie und Kirche, sondern für weite Teile der Sozial­wirtschaft für wegwei­send. Er ist als Diskurs vernünftiger Menschen dem lauten Straßen­kampf um Lohnerhöhun­gen haushoch überlegen.

Markus Rückert, scheidender Vorsitzender des Verbands diakonischer Dienstgeber in Deutschland, im Evangelischen Sonntagsblatt für Bayern, zur Weigerung kirchlicher Unter-nehmen, das Streikrecht ihrer Mitarbeiter zu respektieren

Zuwenig Asyle für ObdachloseBielefeld. Viele Obdachlose müssen den Winter nach Ein-schätzung der Bundesarbeitsge-meinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) auf der Straße ver-bringen. »Die Zahl der Notun-terkünfte in Deutschland reicht nach unseren Informationen nicht aus«, sagte der BAGW-Ge-schäftsführer Thomas Specht der Nachrichtenagentur dapd. Die Gesamtzahl der Wohnungslosen habe in den vergangenen zwei Jahren stark zugenommen. Von 2008 bis 2010 habe der Dachver-band sozialer Dienste und Ein-richtungen für solche Menschen einen Anstieg der Wohnungslo-senzahlen um rund zehn Prozent verzeichnet, erklärte Specht. Insgesamt seien derzeit rund 250 000 Menschen ohne Heim. 106 000 Haushalte sind nach Schätzungen der BAGW zudem von Wohnungslosigkeit bedroht.

Als Grund für die wachsende Menge Obdachloser nannte Specht vor allem die massiven Mietpreissteigerungen in vielen Regionen, »sowohl bei den Kaltmieten als auch bei den Nebenkosten«. Zudem öffne sich die Schere weit zwischen Angebot und Nachfrage, sie werde von der Politik nicht ge-schlossen. Die schwarz-gelbe Regierung habe dem sozialen Wohnungsbau den »Todesstoß« versetzt, sagte Specht.

(dapd/jW)

Polizisten mit  Flaschen angegriffenleipzig. Etwa 40 größtenteils Betrunkene haben in der Neujahrsnacht im Leipziger Stadtteil Connewitz Polizisten mit Flaschen und Steinen an-gegriffen. Dabei wurden zwei Beamte verletzt, wie die Polizei am Sonntag mitteilte. Schon zuvor seien Beamte ge-zielt mit Feuerwerks-körpern beschos-sen worden. Die setzt daraufhin Tränengas ein. Elf Personen wurden den An-gaben zufolge in Gewahrsam genommen. Es wurden mehrere Strafverfahren einge-leitet. (dapd/jW)

Aus Fehlern lernenJahresrückblick 2011 u Heute: Bewegung gegen »Stuttgart 21«. Bürgerinitiativen gegen Millardenprojekt der Deutschen Bahn verloren. Aber sie kämpfen weiter. Von Daniel Behruzi

Angriff auf Preise und PendlerpauschaleChef der »Wirtschaftsweisen« fordert höhere Steuern für Lohnabhängige

Montagsdemo von Projektgegnern, 28. November in Stuttgart

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junge Welt Montag, 2. Januar 2012, Nr. 1 5p o l i t i k

An einem Stand bieten Frauen heißen Tee, Glühwein, Kin-derpunsch und selbstgebacke-

ne Kekse an. Am Straßenrand steht ei-ne Feuertonne zum Händewärmen. Ein paar Jugendliche verteilen Fackeln und Wunderkerzen. Rund 600 Anwohner aus den umliegenden Dörfern drängen sich am späten Silvesternachmittag vor dem Tor zum Atommüllager Asse bei Wolfenbüttel. Sie wurden durch die Meldungen aufgeschreckt, wonach die angekündigte Rückholung der ra-dioaktiven Abfälle aus dem Bergwerk abgeblasen werden könnte, bevor sie überhaupt begonnen hat.

Seit 2009 trägt das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) die Verantwor-tung für das marode Bergwerk, in dem rund 126 000 Fässer mit Atommüll la-gern. Ein Jahr später präsentierte die Behörde nach einem Vergleich ver-schiedener Varianten die Bergung der Abfälle als einzig sichere Möglichkeit für die Sanierung der Asse. Vor weni-gen Tagen wurde ein interner Vermerk aus dem AMt bekannt, in dem BfS-Ex-perten die Rückholung aus Zeitgrün-den als unwahrscheinlich einschätzen (jW berichtete).

Am versperrten Tor zum Schachtge-lände haben Aktivisten Transparente aufgehängt. »Die Asse bringt es an den Tag – die Endlagerung ist gescheitert«, steht auf einem. »Mit der Rückholung jetzt anfangen«, lautet die Forderung auf einem anderen. Vor dem Zaun sor-gen Samba-Trommler für Stimmung. Der Beifall für die Band ebbt grade ab, als vier Leute mit weißen Helmen und grünen Robin-Wood-Westen über die Umzäunung springen und auf den stählernen Förderturm zurennen, der das Areal wie ein Wahrzeichen über-ragt. Einige Werkschützer und Polizi-sten hasten hinterher, sie bekommen die Umweltschützer aber nicht mehr zu fassen.

Unter dem Jubel und den Anfeue-

rungsrufen der Demonstranten klet-tern die Aktivisten das Gerüst hinauf. Oben angekommen, entrollen sie ein riesiges Banner: »Auslaufmodell As-se. Rückholung sofort. Raus kommt es – so oder so«.

»Sowohl das Bundesumweltmini-sterium als auch das niedersächsische Umweltministerium hintertreiben die Rückholung des Atommülls«, sagt Udo Sorgatz, einer der Robin-Wood-Kletterer nach der Aktion gegenüber jW. »Unter dem Vorwand der Gründ-lichkeit werden immer neue Auflagen erteilt und der Prozeß im bürokrati-schen Schneckentempo betrieben.« So verzögere sich der Bau des zwei-ten Förderturms immer weiter, weil

er womöglich in einem Naturschutz-gebiet errichtet werden müsse. »Aber was nützt es den eventuell betroffenen Tieren und Pflanzen, wenn sie statt dessen in einigen Jahrzehnten atomar verseucht werden, weil die Asse abge-soffen ist und kontaminierte Salzlauge ausgespreßt wird?«

Unten am Mikrofon schlägt Hei-ke Wiegel, Sprecherin der Initiative »Aufpassen« in dieselbe Kerbe. In allen beteiligten Ministerien und Be-hörden gebe es starke Fraktionen, die keine Rückholung des Atommülls wollten. Eine Verfüllung oder Flutung des Bergwerks dürfe es nicht geben. 102 Tonnen radioaktives Uran, 87 Tonnen strahlendes Thorium, 28 Ki-

logramm Plutonium, 500 Kilogramm hochgiftiges Arsen: »Solche Stoffe dürfen niemals ins Grundwasser ge-langen!«

Udo Dettmann vom Asse-Koordina-tionskreis attestiert den Gegnern einer Rückholung gutes Timing. Sie hätten die ruhige Zeit vor Weihnachen dazu genutzt, ihre Vorstellungen »unter Vor-gaukeln einer Gefahrenlage« an die öffentlichkeit zu bringen. Doch wenn man die rund 126 000 Fässer nicht zu-rückhole, werde sich »ein Brei aus Atommüll, chemotoxischen Abfällen, Behälterresten und Salz« bilden. Das Grundwasser in der Region bis hin zu Weser und Elbe könnte kontanimiert werden, warnt Dettmann.

 Förderturm besetztAnwohner und Umweltschützer fordern Rückholung radioaktiver Abfälle aus Salzbergwerk Asse. Aktivisten von Robin Wood nutzen Silvesterkundgebung für Kletteraktion. Von Max Eckart

Wenn Sozialverbände wie jüngst der Deutsche Pari-tätische Wohlfahrtsverband

ihre jährlichen Armutsberichte veröf-fentlichen, dann springen als »Armen-häuser« der Republik vor allem ost- und nordwestdeutsche Regionen ins Auge. Doch bei näherer Betrachtung wird klar: Auch im Südwesten nimmt das Armutsrisiko zu. Im seit 20 Jahren SPD-regierten Rheinland-Pfalz gelten 14,8 Prozent der Bevölkerung, also je-der siebte Einwohner, als »armutsge-fährdet«. Die kritische Schwelle hier-für ist ein monatliches Einkommen von 826 Euro für Alleinstehende bzw. 1 735 Euro für eine Familie mit zwei Kindern. Im Vier-Millionen-Land an Rhein und Mosel ist die Quote gegen-über dem Vorjahr um 0,6 Prozent ge-stiegen. Besonders stark zugenommen hat die Armutsgefährdung in der südli-chen Region Rheinpfalz. Hier stieg die Quote nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbands innerhalb eines Jahres um über zwei Prozentpunkte von zwölf auf 14,1 Prozent.

Hinter den Armutsstatistiken ver-

bergen sich Schicksale von Menschen. So etwa das der Familie Zimmermann aus der Rheinpfalz. Der 66jährige Re-ginald Zimmermann hatte jahrzehn-telang als Lkw-Fahrer gearbeitet und bezieht eine Altersrente in Höhe von derzeit 1 176 Euro. Seine 50jährige Frau Petra Zimmermann ist ebenso wie ihr Mann gesundheitlich ange-schlagen und daher nicht arbeitsfähig und ohne Einkommen. Die Tochter ist noch in der Ausbildung zur Bäckerei-fachverkäuferin.

Auch über Weihnachten und Neu-jahr konnten die Zimmermanns nicht abschalten, weil sie nicht wissen, ob sie in diesem Jahr noch in ihrem Ei-genheim wohnen bleiben können. Sie hatten es in den 1990er Jahren auf eigene Kosten für ihren schwerstkran-ken Sohn Jan behindertengerecht aus-gebaut. Der junge Mann starb 2010 im Alter von 22 Jahren. Er litt seit seiner Geburt an einer vererbbaren und seltenen Erkrankung der Skelettmus-kulatur. Zwei Jahrzehnte lang pflegten die Eltern ihn ausschließlich in Eigen-leistung Tag und Nacht. Das wurde

zunehmend aufwendiger. So war ihr Sohn in seinen letzten Lebensjahren an ein Atemgerät angeschlossen, das hohe Stromkosten verursachte. Die-se familiäre Pflege hinterließ Spuren, kostete Kraft, Nerven, Lebensqualität und steigerte die Verschuldung. Da-zu beigetragen haben offensichtlich auch schwer recherchierbare jahrelan-ge Kommunikationsschwierigkeiten zwischen der Familie, Behörden und Sozialversicherungsträgern. So haben sich die Schulden der Familie auf rund 180 000 Euro summiert.

Die Reserven sind aufgebraucht und die Zimmermanns können seit Som-mer Monatsraten und Zinsen für den Hauskauf nicht mehr begleichen. Sie fühlen sich »gedemütigt und dafür be-straft, daß wir unseren Jan nicht in ein Pflegeheim abschieben wollten«, so Reginald Zimmermann. Durch die jahrelange Pflege habe die Familie den öffentlichen und Sozialkassen Ausga-ben in sechsstelliger Höhe erspart, ar-gumentiert er. Doch Landes- und Bun-desregierung hätten auf entsprechen-de Anschreiben bisher nicht reagiert.

Zimmermann hofft, daß ihm eine süd-deutsche Bausparkasse, bei der er in der Kreide steht, einen Ausweg ohne Zwangsräumung aufzeigen kann.

Auf das Schicksal seiner Familie machte der 66jährige Anfang 2011 auch bei einer Wahlkampfveranstaltung der rheinland-pfälzischen Linkspartei aufmerksam. Deren Bundestagsabge-ordnete Kathrin Senger-Schäfer regte auf der Suche nach unbürokratischer Hilfe vor Ort einen runden Tisch mit Fachleuten und Kommunalpolitikern an, der vor wenigen Wochen stattfand. Doch ein Durchbruch war zum Jah-reswechsel noch nicht in Sicht. »Die-ses Schicksal ist vor allem auch ein gesellschaftliches Versagen«, kritisiert James Hermann vom Kreisverband der Linkspartei in Bad Dürkheim: »Im Gegensatz zu den Bänkern haben die Zimmermanns nicht gezockt, sondern sich zwei Jahrzehnte lang aufopfe-rungsvoll um ihren Sohn gekümmert.« Darum dürfe die Gesellschaft sie jetzt nicht im Stich lassen und müsse »einen Rettungsschirm für sie spannen«.   Katrin Maja Küfer 

Absturz in die ArmutFamilie in Rheinpfalz verschuldet sich durch Pflegefall. Runder Tisch soll Rettungsschirm spannen

Jahreswechsel vor der Asse bei Wolfenbüttel

Ab 11 Uhr Vorträge

»Wir verändern die Welt«

Mit Beiträgen von:

Agostinho LopesMitglied des ZK und der Kommission für ökonomische Angele-genheiten der KP Portugals, Mitglied der Parlamentsfraktion des Linksbündnisses Coligação Democrática Unitária (Koalition Demokratische Einheit)

sAmi Ben ghAziMitglied der Direktion der Union de la jeunesse communiste de Tunisie (Union der Kommunistischen Jugend Tunesiens)

Grußbotschaft von

mumiA ABu-JAmAL Journalist und politischer Gefangener, USA

JohAnnA FernAndez Historikerin und Sprecherin des Verteidigungsteams von Mumia Abu-Jamal, USA

gerALdo gAspArin Mitglied der Bundesdirektion der Landlosenbewegung »Movi-mento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra« (MST) in Brasilien, Beiratsmitglied der Bundesschule »Escola Nacional Florestan Fernandes«

pedro noeL CArriLLo ALFonso Mitglied des Ressorts Internationale Beziehungen im ZK der KP Kubas

Moderation:

dr. seLtsAm

Ab 13 Uhr Parallelprogramm»Jugend aus dem schußfeld! strate gien gegen den einfluß der Bundeswehr im Bildungsbereich«Eine Veranstaltung der Jugendverbände Linksjugend ['solid], SDAJ, LandeschülerInnenvertretung NRW und GEW-Jugend (angefragt)

14.30 Uhr Kulturprogramm

»Farewell Karratsch«

roLF BeCKerSchauspieler

KAi degenhArdt Liedermacher

16 Uhr Kulturprogramm

solikonzert für die Cuban Five

BotsChAFt von rené gonzáLez freigelassener kubanischer Kundschafter (Cuban Five)

pABLo miró Songwriter, Sänger, Gitarrist und Multiinstrumentalist der argentinischen Volksmusik. Seine Musik wird von verschiedenen argentinischen Rhythmen wie die Chaca-Rera, den Chamamé oder die Bahuala beeinflußt.

18 Uhr Podiumsdiskussion

»sozialismus oder Barbarei – Welche rolle spielt die Linke?«

georg FüLBerth emeritierter Professor für Politikwissenschaft

JuttA ditFurth Publizistin, Buchautorin und Stadtverordnete von ÖkoLinX-ARL im Frankfurter Römer

dietmAr dAthJournalist, Autor

heinz BierBAumstellvertretender Vorsitzender der Partei Die Linke, Professor für Betriebswirtschaft an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes und Leiter des hochschulansässigen INFO-Instituts

Moderation:

ArnoLd sChöLzeL Chefredakteur junge Welt

20 Uhr Ausklangtrio pALmerALateinamerikanische Musik zum Mojito im Foyer

Konferenzsprachen: Englisch, Spanisch, Deutsch (Simultanübersetzung)Änderungen vorbehalten.

Informationen, Kartenverkauf und Reservierung: Aktionsbüro junge Welt, Telefon 0 30/53 63 55 10, www.rosa-luxemburg-konferenz.de.

Kartenbestellungen, die bis zum 5. Januar 2012 eingehen, werden gegen eine zusätzliche Bearbei-tungsgebühr von 2 € zugesandt (nur mit Einzugser-mächtigung). Reservierte Karten können von 10 bis 12 Uhr an der Tageskasse abgeholt werden.

eine veranstaltung der tageszeitung junge Welt mit unterstützung von linken medien, gewerkschaften, soligruppen und initiativen.

www.rosa-luxemburg-konferenz.de

Rosa Luxemburg XVII. Internationale

Konferenz

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Montag, 2. Januar 2012, Nr. 1 junge Welt6 p o l i t i kZahlreiche Tote bei Gewalt in Nigerialagos. Verfeindete Gruppen ha-ben sich in Nigeria wegen eines Streits um Land gewaltsame Auseinandersetzungen gelie-fert. Dabei wurden im südöst-lichen Bundesstaat Ebonyi am Samstag mehr als 50 Menschen getötet, wie Regierungssprecher Onyekachi Eni sagte. Er beton-te, daß die Gewalttaten nicht in Verbindung mit den jüngsten Anschlägen der Sekte Boko Ha-ram stünden. Zu Weihnachten waren bei mehreren Anschlägen auf Christen in Nigeria minde-stens 49 Menschen getötet wor-den. Boko Haram bekannte sich zu den Attentaten. Staatschef Goodluck Jonathan verhängte am Samstag in mehreren Unru-heregionen den Ausnahmezu-stand und ließ in diesen Gegen-den die Landesgrenzen schlie-ßen. Die Maßnahme sei notwen-dig, »um grenzüberschreitende terroristische Aktivitäten« zu verhindern, so Jonathan in einer Rundfunkansprache. (AFP/jW)

Starkes Erdbeben vor Japans KüsteTokio. Starke Erdstöße haben am Neujahrstag die japanische Hauptstadt Tokio erschüttert. Das Beben der Stärke 7,0 ereig-nete sich um 14.28 Uhr Ortszeit, wie das japanische seismologi-sche Observatorium mitteilte. Eine Tsunamiwarnung wurde demnach nicht ausgegeben. Zu-nächst lagen auch keine Berichte über Schäden oder Verletzte vor. Das Epizentrum lag den Angaben zufolge nahe der Insel Torischima, etwa 560 Kilometer südlich von Tokio, in einer Tiefe von 370 Kilometern. Zahlrei-che Gebäude in der Hauptstadt schwankten. Im Norden und in der Mitte des Landes wurden die Schnellzüge für Sicherheitsüber-prüfungen aus dem Fahrplan genommen. Die Kraftwerke der Region meldeten keine außerge-wöhnlichen Vorkommnisse, wie der Fernsehsender NHK berich-tete. (AFP/dapd/jW)

Ultraorthodoxe  Juden demonstrierenJerusaleM. Mehrere hundert ul-traorthodoxe Juden haben am Samstag im Jerusalemer Stadtteil Mea Schearim gegen die ihrer Meinung nach feindselige Be-richterstattung über sie in den Medien demonstriert. Um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen, trugen einige der Kundgebungs-teilnehmer den gelben Judenstern aus der Nazizeit und Anzüge von Insassen der Konzentrationslager.

Verteidigungsminister Ehud Barak bezeichnete die Aktion nach Angaben des israelischen Hörfunks am Sonntag als »er-schütternd und erschreckend«. Der Leiter der Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem, Avner Schalev, sagte im Radio, eine derartige »Verwendung von Symbolen der Schoah« sei »unerträglich«. »Das schadet der Erinnerung an die Schoah und den grundlegenden Werten des Judentums«, fügte er hinzu.

(AFP/jW)u Siehe Kommentar Seite 8

Truppen aus dem Nachbarland Äthiopien haben am Sonn-abend die somalische Stadt

Beledweyne besetzt, die zuvor von der islamistischen Organisation Al-Schabab kontrolliert wurde. Der Ort, Hauptstadt der Region Hiran, ist in Deutschland bekannter unter dem Na-men Belet Huen, seit dort während einer UN-Mission von 1993 bis 1995 Bundeswehrsoldaten stationiert wa-ren. Die Stadt liegt in Zentralsomalia, nur etwa 50 Kilometer von der Grenze zu Äthiopien entfernt, an einer strate-gisch bedeutenden Nord-Süd-Straße und ist ein Handelszentrum.

Die Eroberung Beledweynes ist die erste große Operation der äthio-pischen Streitkräfte auf somalischem Boden seit ihrem Abzug im Januar 2009. Mit ihrem Rückzug beende-ten sie damals einen zweieinhalb Jahre dauernden Interventionskrieg, an dem zeitweise mehr als 10 000 Soldaten beteiligt waren. Bereits am

19. November des zu Ende gegange-nen Jahres war berichtet worden, daß äthiopische Einheiten in der Stärke von mehreren hundert Mann erneut nach Zentralsomalia einmarschiert seien. Das Regimes in Addis Abeba hatte die Meldungen zunächst demen-tiert und behauptet, es handele sich lediglich um eine kleine Aufklärungs-mission von kurzer Dauer.

Die zwar international anerkannte, aber demokratisch nicht legitimierte somalische Übergangsregierung hat am Wochenende die Einnahme Beled-weynes als Sieg ihrer eigenen Truppen dargestellt und zugleich den Beginn ei-ner landesweiten »Operation zur Wie-derherstellung von Frieden und Stabi-lität« verkündet. In Wirklichkeit reicht ihr Machtbereich nicht wesentlich über Mogadischu hinaus. Bei ihrem Krieg gegen das eigene Volk stützt sie sich mittlerweile auf Interventionstruppen aus fünf afrikanischen Staaten: Solda-ten aus Uganda, Burundi und Dschibu-

ti im Rahmen der rund 10 000 Mann starken »Friedensmission« AMISOM, die ausschließlich in der Hauptstadt stationiert ist, sowie mehrere tausend Mann aus dem Nachbarland Kenia, die seit Oktober erfolglos in Südsomalia operieren, und nun auch äthiopische Truppen im Westen des Landes.

Augenzeugenberichten zufolge ha-ben die Äthiopier am Sonntag damit begonnen, Häuser in Beledweyne zu durchsuchen und Verdächtige festzu-nehmen. Sie werden dabei von Ange-hörigen einer örtlichen Miliz unter-stützt, die schon länger mit dem Re-gime in Addis Abeba kooperiert und von diesem finanziert und ausgerüstet ist. Es wird damit gerechnet, daß die äthiopischen Truppen als nächstes ver-suchen könnten, die ebenfalls nahe der Grenze liegende Stadt Baidoa zu er-obern. Äthiopien besitzt nach Ägypten die zweitstärksten Streitkräfte Afrikas. Da diese im Gegensatz zu allen so-malischen Bürgerkriegsparteien über

Panzer und schwere Artillerie ver-fügen, fällt ihnen die Einnahme von Städten relativ leicht. Als erheblich schwieriger haben sich während der Intervention von 2006 bis 2009 die Aufrechterhaltung der Besetzung und die Versorgung der Truppen mit Nach-schub erwiesen.

Indessen bereitet sich die EU auf Kampfeinsätze in Somalia vor, die im Rahmen der sogenannten Piratenbe-kämpfung stattfinden sollen. Die Euro-päische Union hat das Oberkommando der Mission »Atalanta« am 20. De-zember beauftragt, die Einsatzregeln so zu überarbeiten, daß künftig auch Operationen an Land oder – wie die Bundesregierung beschönigend und irreführend formuliert – »am Strand« möglich werden. Tatsächlich sind sol-che Operationen grundsätzlich schon seit mehreren Jahren durch Resolutio-nen des UN-Sicherheitsrats gedeckt, auch wenn davon bisher kaum Ge-brauch gemacht wurde.

Äthiopische OffensiveBereits fünf afrikanische Staaten beteiligen sich an Intervention in Somalia. Von Knut Mellenthin

Während die belgischen Ge-werkschaften zu Protesten gegen das neue Kabinett

mobilisieren, unterstützen ihre Funk-tionäre das Regierungsprogramm. Nach Informationen der belgischen Presse haben Vertreter der größten Ge-werkschaften des Landes aktiv beim Entwurf des neuen Rentengesetzes und des Sozialabbauprogrammes des Kabinetts von Ministerpräsident Elio Di Rupo mitgewirkt. Die Regierungs-parteien haben demnach die gesamte Sozialpolitik mit ihnen sowie mit Ver-antwortlichen der Krankenkassen ab-gestimmt. Rentenreform und Kürzun-gen der Arbeitslosenhilfe für Jugend-liche wurden in Zusammenarbeit mit sozialdemokratischen und christlichen Gewerkschaftsvertretern geprüft und

verfeinert, berichteten De Standaard und Le Soir.

Dabei hatten deren Organisationen noch vor einer Woche den Mangel an »sozialem Konsens« der Regierung beklagt und einen Streik im öffent-lichen Dienst organisiert. Die jetzt bekanntgewordene Zusammenar-beit läßt vermuten, daß die Gewerk-schaftsführung mit dem Aufruf zur Mobilisierung am 22. Dezember ihre Beteiligung an den Rentenkürzungen vertuschen wollte. Der Generalse-kretär des Verbandes FGTB, Thierry Bodson, räumte bereits ein, daß er in die Regierungstexte Änderungen ein-gebracht hat. Auch der Vorsitzende des Christlichen Gewerkschaftsbun-des ACV, Luc Cortebeeck, erklärte im Radio, daß es »Kontakte« zu Re-

gierungsparteien gab. Er bestritt aber Presseberichte, wonach die Vertreter der Beschäftigtenorgansisationen beim Verfassen der Koalitionsverein-barung mitgewirkt hätten.

In einem Versuch zur Schadensbe-grenzung erklärte Cortebeeck, man wollte vor dem Hintergrund von stei-genden belgischen Zinsen verhindern, daß das unter extremem Zeitdruck ste-hende Kabinett »große Fehler« beim Entwurf seiner Maßnahmen begeht. Ob jene Gewerkschafter, die derzeit einen Generalstreik für den 30. Januar vorbereiten, diese Meinung teilen, ist zu bezweifeln. Noch immer sind nicht alle Details der »Sparpläne« der neuen Regierung bekannt.

Die Zusammenarbeit zwischen ihr und Gewerkschaftsfunktionären be-

schränkt sich indessen nicht auf die Sozialpolitik. Am Mittwoch wurde bekannt, daß die Regierung die In-solvenz der eng mit dem Sozialde-mokratischen Gewerkschaftsverband verbundenen Ethias-Bank mit einer Garantie von 385 Millionen Euro verhindern will. Nach der staatlichen Rettung der Dexia-Bank, wo sich das gesamte Vermögen des ACV befindet, verstärkt sich der Eindruck, daß Ka-binett und Gewerkschaften einander gegenseitig helfen: Während letztere das Know-how für den Sozialabbau liefern, bereinigt erstere durch ge-scheiterte Investment-Banking-Expe-rimente der Funktionäre entstandene Schäden. In beiden Fällen zahlt das Volk die Rechnung.

Arne Baillière

Eine Hand wäscht die andereBelgien: Gewerkschaftsfunktionäre formulieren Kürzungsprogramm der Regierung

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sanaa. Zehntausende Menschen haben am Wochenende in mehreren Städten Jemens gegen Präsident Ali Abdullah Saleh prote-stiert und gefordert, den Machthaber vor Gericht zu stellen. Ein Sprecher der Regie-rungspartei hatte am Samstag mitgeteilt, daß Saleh nicht wie angekündigt in die USA ausreisen werde. Grund dafür sei, daß er die jüngste Ausbreitung der Protestbewegung auf Mitarbeiter der Behörden sowie auf die Sicherheitskräfte als zu große Bedrohung für die gesamte Regierung ansehe.

Nach monatelangen Demonstrationen gegen das Regime hatte Saleh im November ein von den arabischen Golfstaaten vermit-teltes Abkommen unterzeichnet, das einen Rücktritt im Gegenzug für einen Schutz vor Strafverfolgung vorsieht. Daraufhin gingen die Proteste weiter, die Menschen fordern, Untersuchungen wegen des Todes Hunder-ter Demonstranten gegen Saleh einzuleiten. Inzwischen haben sich auch Regierungsange-stellte und Mitglieder der Sicherheitskräfte den Protesten angeschlossen. In Tais gingen am Samstag Hunderte Männer in Militäruni-formen auf die Straße und forderten, daß wegen der Tötung von unbewaffneten De-monstranten ranghohen Kommandeuren der Prozeß gemacht werde. (dapd/jW) R

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junge Welt Montag, 2. Januar 2012, Nr. 1 7p o l i t i k

Am 31. Dezember 1991 hörte die UdSSR völkerrechtlich auf zu existieren. Bereits am

25. Dezember war die auf dem Mos-kauer Kreml wehende rote Fahne der Sowjetunion zum letzten Mal eingeholt worden. Das Ende des sozialistischen Imperiums wurde am 6. Dezember von den drei »Slawenfürsten« Boris Jelzin (Russische Föderation), Leonid Krawtschuk (Ukraine) und Stanislaw Schuschkewitsch (Belarus) in einem Wald nahe der belorussischen Haupt-stadt Minsk mit der Ausrufung einer dann nicht vollzogenen »Slawischen Union« faktisch besiegelt. Die ande-ren Sowjetrepubliken – mit Ausnahme der baltischen und Georgiens, die sich als bereits aus der UdSSR ausgetre-ten betrachteten – wollten sich nicht ungefragt ihrer sowjetischen Heimat enteignen lassen und erzwangen eine Konferenz in der damaligen kasachi-schen Hauptstadt Alma-Ata, auf der am 21. Dezember die Auflösung der Union der Sozialistischen Sowjetrepu-bliken beschlossen wurde.

Aufgebrachte BürgerZwanzig Jahre nach dem Ende der UdSSR als Staat und als politisches System finden im kapitalistisch restau-rierten Rußland Großdemonstrationen statt, die stark an die antikommunisti-sche Mobilisierung in der Endphase der Sowjetmacht erinnern. Es ist annähernd das gleiche Protestmilieu wie in den Jahren 1989–1991, das sich gegenwär-tig in russischen Großstädten sammelt: Angehörige der gebildeten, politisierten Schichten. Damals mobilisierte die Be-wegung Demokratisches Rußland zum Sturz der »Partokratie«, das Gros der Demonstranten von heute sieht in Pu-tins Langzeitherrschaft eine strukturelle Fortsetzung des KPdSU-Regimes. Doch es ist kein reines Deja-vu-Erlebnis. Im Protest gegen den Putinismus sind die Antagonisten von damals – Liberale und Kommunisten – vereint. Laut einer Umfrage treten 70 Prozent der Demon-stranten für eher liberale Werte ein, 20 Prozent folgen linken Vorstellungen, und fünf Prozent vertreten extrem natio-nalistische, xenophobe Ansichten.

Es ist eine Bewegung aufgebrachter Bürger, keine des Volks. Die Sorgen und Nöte der einfachen Menschen lassen den russischen »Wutbürger« weitgehend kalt. Dessen Streben nach politischer Emanzipation wiederum interessiert die Masse der Subalternen nicht. Soziale Forderungen waren bei den Dezemberkundgebungen so gut wie nicht zu vernehmen. Sie zu erhe-ben würde bedeuten, die Massenbasis des Protestes einzuengen, argumen-tieren die liberalen Veranstalter der Kundgebungen. Der linke Publizist Boris Kagarlitzki hält dem entgegen, daß an den beiden Protesttagen im Dezember landesweit jeweils an die 250 000 Menschen teilgenommen haben, während es 2005 zweieinhalb Millionen gewesen seien, die gegen den Sozialabbau auf die Straße gegan-gen waren.

Der russische Liberalismus ist auch als Sachwalter der Demokratie äußerst unglaubwürdig. In der liberalen Jelzin-Ära wurde der authentische russische Parlamentarismus in Gestalt des Ober-sten Sowjets, der das Widerstandszen-trum gegen die wilde Privatisierung

gebildet hatte, zerschlagen und durch die Staatsduma, ein Parlament ohne Machtbefugnisse, ersetzt. Die präsidi-ale Selbstherrschaft setzte die Bereiche-rungsanarchie frei, die alle Grundlagen einer zivilisierten Staatlichkeit zersetzte. Während der Präsidentschaft Wladimir Putins, der die autoritären Elemente der Jelzinschen Verfassung zur »Machtverti-kale« perfektionierte, konnte der Staats-zerfall immerhin aufgehalten werden.

Die Proteste gegen die Wahlmani-pulationen erfolgen nicht aus Jux und Tollerei. Sie sind Ausdruck einer Un-zufriedenheit, die sich über Jahre in der Gesellschaft angesammelt hat, was sich dann auch im Abstimmungser-gebnis niederschlug. Die Parlaments-wahlen, denen man eigentlich nur eine Testfunktion für die des Präsidenten zumaß, hatten den Ansehensverlust der Regierungspartei Einiges Rußland deutlich gemacht. Daß sie in breiten Bevölkerungskreisen als »Partei der Diebe und Betrüger« wahrgenommen wird, zeugt von einem dramatischen Stimmungsumschwung. Beruhte doch Putins Popularität vor allem auf sei-nem Ruf als Rächer der Korruptions-geschädigten, der der Herrschaft des Rechts Geltung verschafft habe.

Dazu kommt, daß die mit Putin in Verbindung gebrachte Stabilisierung die Hierarchie der Wertigkeiten nicht mehr unangefochten anführt – zumal die erreichte Festigung zunehmend mit Stagnation in Verbindung gebracht wird. In diesem Zusammenhang ist es interessant, daß der als Kreml-Ideologe gehandelte Wladislaw Sur-kow kürzlich ein Hohelied auf die Breschnew-Ära anstimmte, die zwar als Stagnationsperiode unrühmlich in

die Geschichte eingegangen ist, in der kollektiven Erinnerung aber auch als eine Zeit relativen Wohlstands gilt.

Soziale RegressionBei aller Wertschätzung, die der Faktor Stabilität in der russischen Gesellschaft nach wie vor genießt, wird der Still-stand, ja die Regression in der sozialen Entwicklung zunehmend als drückend empfunden. 2011 betrug der Einkom-menszuwachs der Bevölkerung nur ein bis zwei Prozent – bei einer Inflation von über sechs Prozent. Die Schere zwi-schen Arm und Reich ist noch weiter auf-gegangen. Vor allem die Rentner fristen ein Dasein knapp am und oft unter dem Existenzminimum. Auf dem Gebiet der Gesundheitsvorsorge und der Bildung hat die Privatisierungsoffensive einen Zivilisationsbruch bewirkt. So ist ge-plant, Schulfächer wie Mathematik oder Literatur aus dem normalen Lehrplan herauszunehmen und sie gegen Zahlung einer Sondergebühr anzubieten.

Daß auf den Plätzen Moskaus und St. Peterburgs nicht mehr nur die übli-chen Verdächtigen die Staatsmacht her-ausfordern, sondern Zehntausende ihren Wunsch nach Veränderungen äußern, läßt auf tiefere Ursachen des gesell-schaftlichen Unmuts schließen. Auch wenn sich bei den Kundgebungen der soziale Protest noch nicht unmittelbar bemerkbar macht, dürfte er die eigent-liche Triebkraft des Aufbegehrens wer-den. Ein Wendepunkt in der Geschich-te des postkommunistischen Rußlands könnte der 24. September 2011 gewesen sein, als auf dem Parteitag von Eini-ges Rußland die Personalrochade an der Staatsspitze verkündet wurde. Präsident Dmitri Medwedew soll den Premiermi-nisterposten übernehmen, Premier Putin wieder als Präsident kandidieren. Nichts hat die Mechanismen der gelenkten De-mokratie, in der »demokratische Proze-duren« zu bestätigen haben, was längst entschieden ist, mehr bloßgestellt als dieser clowneske Parteitagsauftritt des Führungsduos. Damit war das Spiel mit verteilten Rollen aufgeflogen und Med-wedew als Hoffnungsträger der Moder-nisierung und Liberalisierung demon-tiert. Das löste in den liberalen Salons Enttäuschung aus.

Die großen Stimmenverluste, die die herrschende Partei bei den Parlaments-wahlen hinnehmen mußte, zeigen aber auch, daß der Konsens zwischen den Machteliten und der Bevölkerung be-reits äußerst brüchig ist. So groß die Ver-dienste Putins bei der Eingrenzung der politischen Macht der Oligarchen auch gewesen sein mögen, am Wesen des bü-rokratischen Kapitalismus po russki hat sich nichts geändert. Er ist ein Kapitalis-mus der ganz besonders unsozialen Art geblieben.

Auch wenn die Führer der liberalen Opposition die soziale Frage ausklam-mern wollen, wird sich an ihr entschei-den, ob die Demokratiebewegung eine Zukunft hat. Eine wirkliche Demokra-tisierung kann nicht an den Basisschich-ten der Gesellschaft vorbei erfolgen. So wie die liberale Konterrevolution der 1990er Jahre in der gewaltsamen Aus-schaltung der russischen Volksvertre-tung kulminierte, kann die Rückgewin-nung der Demokratie nur über die sozi-ale Emanzipation erfolgen. Das schließt ein Revival der liberalen Totengräber der Demokratie aus.

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JESSICA RINALDI / REUTERS

AP/PABLO MARTINEZ MONSIVAIS

Verfassungsschutz:

Kein Hinweis auf Verbindungen zu

rechter Terrorzelle

Heinz-Jürgen Voß: Geschlecht – Wider die Natürlichkeit Schmetterling Verlag, 2. Auflage 2011, 180 S.Heinz-Jürgen Voß bereitet aktuelle Ergebnisse der Biologie anschaulich auf und zeigt, wie diese in Richtung vieler Geschlechter weisen. Indem er an Gedanken der Entwicklung anknüpft, rückt er den Menschen selbst in den Mittelpunkt, wo bisher die Kategorie und Institution »Geschlecht« fetischisiert wurden. Von hier aus ergeben sich gesellschaftskriti-sche Forderungen im Anschluß an Karl Marx.

Michael Schwandt: Kritische Theorie – Eine EinführungSchmetterling Verlag, 2009, 240 S.Michael Schwandt liefert eine knappe Einführung in die Kritische Theorie und unternimmt den Versuch einer Bilanz – das Dilemma politischen Engage-ments in der Gegenwart immer im Blick. Wie soll, wie kann sich politisch verhalten, wer diese Welt aus tiefstem Herzen ändern will, aber erkennen muß, daß die Chancen dazu verschwindend gering sind?

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Am Wendepunkt Jahresrückblick 2011 u Heute: Rußland. Massenproteste machen Brüchigkeit des politischen Systems deutlich. Von Werner Pirker 

Protest gegen den künftigen  Präsidenten in Stavropol (24.12.2011)

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Montag, 2. Januar 2012, Nr. 1 junge Welt 8 a n s i c h t e n

Kerstin Köditz, Sprecherin der Links-fraktion im sächsischen Landtag für Antifaschistische Politik, erklärte am Sonntag zum Bericht »Das Desaster von Chemnitz« des Spiegel (1/2012, Sei-ten 16–22):Es gleicht einem Stück aus dem Toll-haus, daß ich als Mitglied der Parlamen-tarischen Kontrollkommission (PKK) für das Landesamt für Verfassungs-schutz Hintergründe und Ermittlungs-ergebnisse zum Terrornetzwerk NSU aus den Medien erfahre, die ich bisher in der PKK immer nur scheibchenweise und auf Nachfrage erhalten habe. Ich nehme mit Befremden zur Kenntnis, daß zwar ein Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit der Zusam-menfassung seines Kenntnisstandes der Staatsregierung seit über einer Woche vorliegt, wir als Mitglieder der PKK darüber aber weder informiert worden sind noch die Gelegenheit erhalten ha-ben, die Aussagen des sächsischen Ver-fassungsschutzes mit der Darstellung des Bundesamtes abzugleichen. So sind wir über die im Spiegel beschrie-bene »Operation Terzett« eher bei-läufig informiert worden. Aufklärung und Transparenz sehen anders aus! Ich habe deshalb die Erwartung, daß uns

zur nächsten Sitzung der PKK am 5. Januar auch der Untersuchungsbericht des Bundesamtes vorgelegt wird. Die Kontrollfunktion dieses Gremiums, die sich auch auf die Arbeitsweise des Lan-desamtes bezieht, darf nicht länger ad absurdum geführt werden.

Wenn die Informationen des Spiegel zutreffen, dann ist endgültig unüber-sehbar, daß es bei Verfassungsschutz und Landeskriminalamt in Sachsen über Jahre ein erhebliches Versagen gegeben hat. Hier wird auch die Not-wendigkeit personeller Konsequenzen zu prüfen sein. Wenn das Chemnit-zer Umfeld des Terrornetzwerkes, also »Blood & Honour« und dessen Nachfolgestrukturen sowie »Chem-nitz Concerts 88«, vom Verfassungs-schutz systematisch ausgeblendet oder zumindest unterschätzt worden sind, stimmt die gesamte Ausrichtung des Amtes nicht. Unverständlich ist jetzt erst recht, weshalb mutmaßliche Ter-rorhelfer aus Chemnitz wie Antje P. oder Jan W. bis heute unbehelligt ge-blieben sind. (...)

Die Stuttgarter »Parkschützer« rich-teten am Freitag einen offenen Brief zum neuen Jahr an den Ministerpräsi-

denten Baden-Württembergs Winfried Kretschmann (Grüne): In den letzten Monaten und gerade im Vorfeld der Volksabstimmung haben Sie immer wieder geäußert, daß Sie sich von der Bahn nicht erpressen lassen wollen – genau diesen Vorsatz müssen Sie nun der Bahn gegenüber durchset-zen. Dafür sind Sie Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg.

Verhandlungen mit der Bahn sind ge-wiß kein Sonntagsspaziergang, das ist uns allen bewußt. Gerade deshalb dür-fen Sie nicht zulassen, daß die Bahn – einfach nur, um Fakten zu schaffen – Bäume und historische Gebäude zer-stört. Sie dürfen nicht zulassen, daß die Bahn so die Verhandlungsposition des Landes weiter schwächt, während Bahn-Chef Grube die Offenlegung der wahren Kosten und tatsächlichen Risi-ken des Tunnelprojekts Stuttgart 21 ver-weigert. Die Bahn hat großes Interesse, Tatsachen zu schaffen, solange weder die Finanzierung noch die offenen Fra-gen zum Schutz des Mineralwassers oder des Artenschutzes geklärt sind. Dieser Aktionismus richtet sich gegen unser aller Interessen, diesen Aktionis-mus dürfen Sie, Herr Ministerpräsident, nicht protegieren. (…)

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Sie gehören zu den Initia-torinnen einer Erklärung, in der die Beteiligung von

Linke-Politikerinnen wie Gesine Lötzsch und Cornelia Möhring an der »Berliner Erklärung« von Vertreterinnen aller Bundes-tagsparteien für eine gesetzliche Frauenquote in Vorständen und Aufsichtsräten der DAX-Konzer-ne kritisiert wird. Wurde in den Frauengremien der Linkspartei nicht diskutiert, ob diese Initiati-ve unterstützenswert ist?

Das wäre mir neu. Es gab natürlich in der Linken Diskussionen über die Frauenaufsichtsratsquote. Aber die »Berliner Erklärung« hat uns über-rascht, zumindest die Unterzeichnerin-nen unserer Stellungnahme, und viele von uns sind ja gerade in den Frau-engremien der Partei aktiv. Es dürfte allen bekannt gewesen sein, daß viele Genossinnen das Aufspringen auf die-sen Zug sehr kritisch sehen – zumal es nur um eine 30-Prozent-Quote geht. Dieses Bündnis wurde im Juli von SPD, Grünen und Teilen der CDU in-itiiert, die dann dafür warben, daß sich auch FDP und Linke beteiligen.

Kersten Artus kritisiert in ihrem Blog wiederum Ihre Gegenerklä-rung, wirft Ihnen indirekt vor, dogmatisch zu sein – und fragt, ob Linke nicht auch mitmachen sollten, wenn CDU-Frauen wie Arbeitsministerin Ursula von der Leyen oder Friede Springer einen Friedensaufruf unterzeichnen …

Das ist eine abwegige Vorstellung. Im Kern kritisieren wir zwei Punkte. Der erste ist relativ banal: Die losgelöste Forderung nach einer 30-Prozent-Frauenquote entspricht ganz einfach

nicht unserem Programm: Wir fordern eine Frauenquote von 50 Prozent, da Frauen auch 50 Prozent der Gesell-schaft ausmachen. Uns – ich spreche hier für einen Teil von LISA, aber auch für viele andere Genossinnen – ist nicht klar, welche Argumente es für diese 30 Prozent gibt. Das kommt mir vor wie auf dem Basar. Der zweite Kri-tikpunkt ist, daß sich hier ein Bündnis gefunden hat, daß sich ausschließlich auf der Ebene der Führungskräfte in der Wirtschaft engagiert.

In Ihrer Erklärung, die mit »Ein Schritt in die falsche Richtung« überschrieben ist, kritisieren Sie das sogar an erster Stelle.

Es soll ja kein Ranking sein. Ich finde persönlich die 50-Prozent-Quote für Leitungs- und Entscheidungsgremien, die wir ja auch in unserer eigenen Par-tei immer wieder durchsetzen müssen, genauso wichtig wie die Frage: Um welche Frauen geht es uns eigentlich? Natürlich um die Mehrheit der Frauen. Und die sitzt eben nicht in Aufsichts-räten, sondern arbeitet zum Beispiel an der Kasse, wird mit 400-Euro-Jobs abgespeist oder bekommt für die Ar-beit in der Kita viel zu wenig Geld. Uns in NRW ist das »Setting« die-

ser 30-Prozent-Kampagne erstmalig bei einem Empfang im Landtag zum 100. Weltfrauentag aufgestoßen: Die frühere Landesministerin Ilse Ridder von der SPD hielt eine gute, histori-sche Rede und sagte zum Schluß völlig unvermittelt, heute käme es auf eine 30-Prozent-Quote in Aufsichtsräten an. SPD und Grüne gaben Erklärun-gen ab, die sich ausschließlich dar-auf fokussierten. Aus meiner Sicht ist das deren Kampagne. Sie gehen – fast schon im Namen von Clara Zetkin – ein Bündnis mit Ursula von der Leyen für mehr Frauen in Aufsichtsräten ein. Dabei haben sie sich von den Kernzie-len der Frauenbewegung entfernt, die bisher immer auch eine Arbeiterinnen- und Friedensbewegung war.

Gibt es heute in diesem Sinn überhaupt eine Frauenbewegung in Deutschland?

Diese Bewegung ist nicht strotzend stark und aktiv, das ist die Friedensbe-wegung aber leider auch nicht. Aber die Frauenbewegung hat ihre Traditio-nen und Initiativen, es gibt zum Bei-spiel die Zeitschrift Wir Frauen, es gibt linke, feministische Autorinnen wie Florence Hervé, die den Clara-Zetkin-Preis bekommen hat …

Wie kann eine linke Frauenbewe-gung wieder sichtbar werden?

Das ist die spannende Frage nach die-sem kleinen Streit in der Linken, bei dem es auch um viel Symbolisches geht. Ich denke, es ist an der Zeit, daß sich linke Frauen und Feministinnen mit oder ohne Parteibuch treffen, um ein eigenes Projekt zu benennen, daß sie dem elitären Projekt von SPD, Grü-nen und CDU-Frauen gegenüberstel-len können. Interview: Claudia Wangerin

»Von d en Ke r n z i e le n d e r F ra u enb ewegung e n t fe r n t«SPD und Grüne konzentrieren sich auf Vorstandsposten. Feministische Politik braucht ein eigenes Profil. Ein Gespräch mit Irina Neszeri

In Israel ist man empört. Daß orthodoxe Juden den jüdischen Staat mit Hitlerdeutschland

vergleichen, widerspricht – nicht nur in Israel – so ziemlich allen Anstandsregeln der politischen Korrektheit. Die zur Zeit in Jeru-salem stattfindenden Manifestatio-nen der Ultra-Orthodoxen richten sich gegen die, wie sie behaupten, Einmischungen des Staates in ih-ren religiösen Lebensstil. Doch es ist wohl eher nicht die Trennung von Synagoge und Staat, die den frommen Eiferern vorschwebt. Vielmehr geht es ihnen um die Reglementierung des gesamten ge-sellschaftlichen Lebens im Sinne ihrer archaischen Religionsausle-gung.

Vor allem fordern sie die Ge-schlechtertrennung in der öffent-lichkeit. Frauen sollen in öffentli-chen Verkehrsmitteln hinten sitzen, in den Supermärkten soll es ge-trennte Schlangen vor den Kassen geben, und bei den Wahlen seien verschiedene Wahlurnen zu benut-zen. Allein die Verkündung solcher Ideen empfindet die überwiegend säkular gesinnte und auf westlich-liberale Werte eingeschworene Mehrheit der Israelis als unerträg-liche religiöse Belästigung. Doch obwohl das zionistische Projekt hauptsächlich auf säkularen Vor-stellungen basiert, trägt es stets auch eine Tendenz zur Theokratie in sich. Israel definiert sich als jü-discher Staat – und ein von seinem religiösen Ursprung abstrahiertes Judentum gibt es nicht. Zumal es sich um eine genetisch definierte – Jude ist, wer eine jüdische Mutter hat – Religion handelt.

Doch trägt das ultra-orthodoxe Judentum auch eine Tendenz zur Negation des Zionismus in sich. Auf den jüngsten Demonstra-tionen waren Transparente wie »Zionisten sind keine Juden« oder »Zionismus ist Rassismus« zu sehen. Besonders strenggläubige Juden betrachten den Staat Israel als Gotteslästerung, da den Juden die Diaspora auferlegt sei und sie mit der Gründung ihres Staates bis zur Ankunft des Messias zu warten hätten. Viele dieser orthodox-jüdi-schen Antizionisten bekennen sich statt zum Staat zum Land (Eretz) Israel, weshalb sich ihre religiösen Vorstellungen mit dem zionisti-schen Siedler-Expansionismus durchaus vereinbaren lassen. Es gibt in Israel aber auch religiös motivierte Antizionisten, die sich mit der palästinensischen Sache solidarisieren und oft sogar identi-fizieren.

Zu den Demonstrationen der Ultra-Orthodoxen kamen viele in schwarz-weißer Häftlingsklei-dung, auf der der gelbe Juden-stern geheftet war. Das wurde von Mainstream-Politikern wie der Oppositionsführerin Tzipi Livni als »große Beleidigung des Holocaust-Gedenkens« verurteilt. Der Vergleich der israelischen Re-ligionspolitik mit der nazistischen Vernichtungspolitik ist tatsächlich völlig unangemessen. Nicht ange-messen ist aber auch die Selbst-gerechtigkeit der zionistischen »Hüter des Holocaust-Vermächt-nisses«, die zur Durchsetzung ih-res Staatsgründungsprojekts zu so manch schmutzigem Deal mit den Nazis bereit waren.

Orthodoxes Paradoxisraels rechtgläubige iN aufruhr

Gerda HasselfeldtNeoNaZiförDeriN Des tages

Am Sonnabend veröffent-lichte die Chefin der CSU-Landesgruppe im

Bundestag, Gerda Hasselfeldt, in der FAZ ein großdeutsches Pam-phlet, das mit den Sätzen beginnt: »Die deutsche Stabilitätskultur muß Vorbild sein für Europa. Wir brau-chen nicht weniger Europa, sondern mehr Deutschland in Europa.« Wer wieder einmal Europa am deutschen Wesen genesen lassen möchte, hat nichts vergessen und nichts gelernt. Die 61jährige dekretierte daher gleich noch den Rauswurf aus dem Euro: »Es braucht Regeln, die das Ausscheiden aus der Euro-Zone möglich machen und die über den freiwilligen Austritt hinausreichen.« In der heutigen Welt drängt sie außerdem darauf, eine Grundge-setzänderung vorzunehmen, um

verfassungsfeindliche Parteien von der gesetzlichen Finanzierung aus-zuschließen – ein Ansinnen, das der Präsident des Bundesverfassungsge-richts Andreas Voßkuhle bereits als juristisch unhaltbar verworfen hat. Wer EU-Verträge nach rechtsextre-men Grundsätzen ändern möchte, hat allerdings auch sonst keine Hemmungen. Hasselfeldt will laut Welt ausdrücklich die Linkspartei von der staatlichen Finanzierung ausschließen. Unter dem Dach der Linken sammelten sich Elemente und Gruppierungen, die verfas-sungsfeindlich seien. Die Linke werde aus gutem Grund vom Ver-fassungsschutz beobachtet: »Wenn sich die Verfassungsfeindlichkeit der gesamten Partei belegen ließe, wäre dies in der Tat ein Grund, sie von der Parteienfinanzierung auszu-schließen.« Linke-Parteichef Klaus Ernst konterte, mit solchen Vorstö-ßen werde ein Klima geschaffen, »in dem sich rechte Gewaltbanden erst recht ermutigt fühlen, unsere Büros zu demolieren und unsere Mitglieder zu bedrohen«. Das ist bei einer politischen Brandstifterin wie Hasselfeldt allerdings auch be-absichtigt. Wozu hält sich die Union den Verfassungsschutz und der eine eigene Neonazipartei? (asc)

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Irina Neszeri 

gehört dem Spreche-r innenrat der Frauen-arbeitsge-meinschaft LISA der Partei Die Linke in NRW an

junge Welt Montag, 2. Januar 2012, Nr. 1 9k a p i t a l & a r b e i tSchiedsspruch nach ÖlverstaatlichungCaraCas. Ein internationales Schiedsgericht hat dem US-Energiekonzern Exxon Mobil im Streit um die Verstaatlichung von Erdölfeldern in Venezuela 908 Millionen Dollar zugespro-chen. Die Kompensationssum-me liegt deutlich unter den von dem Energieriesen eingeforder-ten zehn Milliarden Dollar. Der venezolanische Präsident Hugo Chavez dürfte das Urteil der In-ternationalen Handelskammer als Etappensieg im Konflikt mit internationalen ölkonzernen be-grüßen. Exxon hatte die Klage 2007 eingereicht.

Damals hatte Chavez mehrere ölfelder verstaatlicht. Neben Ex-xon bemühen sich auch andere große Konzerne wie Chevron um eine Beteiligung an milliar-denschweren ölförderprojekten in Venezuela.

(Reuters/jW)

Fonds klagen  gegen PorschefrankfurT/M. Eine Gruppe von Investmentfonds hat mit einer Klage gegen den Stuttgarter Sportwagenbauer Porsche SE Schadenersatz in Höhe von knapp zwei Milliarden Euro geltend gemacht. Schäden in dieser Höhe hätten die Kläger bei dem gescheiterten Über-nahmeversuch des Autobauers Volkswagen durch Porsche im Jahr 2008 erlitten, teilte am Samstag eine Frankfurter Anwaltskanzlei mit. Die Klage wurde beim Landgericht Stutt-gart eingereicht. Den Angaben zufolge werfen die Kläger Porsche vor, im Jahr 2008 heimlich erworbene Optionen auf »nahezu die gesamten han-delbaren VW-Stammaktien« bewußt verspätet öffentlich gemacht und dadurch eine ex-treme Kurssteigerung ausgelöst zu haben. Porsche habe durch diese Manipulation mehrere Milliarden Euro Gewinn erzielt. Porsche war vor drei Jahren mit dem Plan einer Übernahme von VW gescheitert und konnte schließlich selbst nur durch den Einstieg des niedersächsischen Autobauers gerettet werden. VW hält derzeit 49,9 Prozent der Anteile an Porsche. (AFP/jW)

China steigert ProduktionsChanghai. Die Produktion in der verarbeitenden Industrie in China ist im Dezember wieder leicht gewachsen. Wie die chi-nesische Vereinigung für Logi-stik und Einkauf am Sonntag mitteilte, stieg der monatliche Einkaufsmanager-Index (PMI) um 1,3 Prozentpunkte auf 50,3. Er überstieg damit wieder die 50er-Marke, die für Wachstum steht. Im November war der Index zum ersten Mal ge-schrumpft und auf 49 gefallen. Ein Analyst der Vereinigung, Zhang Liqun, erklärte, der An-stieg signalisiere, daß China 2012 nicht mit einem deutlichen Rückgang des Wirtschafts-wachstums rechnen müsse. (dapd/jW)

Ein »Greening« der Gemeinsa-men Agrarpolitik (GAP) der Eu-ropäischen Union hatte Agrar-

kommissar Dacian Ciolos Anfang des Jahres 2011 angekündigt – eine stärkere Verknüpfung der EU-Subventionen für die Landwirtschaft mit ökologischen Kriterien. Am 12. Oktober stellte er die Vorschläge der EU-Kommission für eine GAP-Reform im Europaparlament vor. Was sie ab 2014 plant, ist jedoch zumindest für Umwelt- und ökoland-bauverbände eine herbe Enttäuschung. Vorgesehen ist, einen Teil der bisheri-gen Direktzahlungen an die Erfüllung bestimmter Auflagen zu koppeln. 70 Prozent sollen ohne neue Bedingungen gezahlt werden. Hier ist jedoch zu be-rücksichtigen, daß Landwirte bereits seit 2005 regelmäßig von Prüfern auf-gesucht werden, die die »Cross-Com-pliance« (sinngemäß »Überkreuz-Ein-haltung von Verpflichtungen«) kontrol-lieren, also zahlreicher Auflagen, was z. B. umweltgerechte Güllelagerung, Menge der eingesetzten Düngemittel und Tiergesundheit betrifft. Die Teil-nahme am entsprechenden Monitoring ist Voraussetzung für den Erhalt der Prämien. Ciolos zufolge sollen zur Ver-einfachung immerhin fünf von 18 bis-her geltenden »Grundanforderungen« gestrichen werden, die Zahl der wei-teren Vorschriften zur »Erhaltung der Flächen in einem guten landwirtschaft-lichen und ökologischen Zustand« soll von 15 auf acht verringert werden. Kleinbetriebe will der Rumäne gar von allen Auflagen freistellen.

Untaugliche Kriterien30 Prozent der bisherigen Prämien sollen nach den Vorstellungen der Kommissi-on nur noch bei Einhaltung dreier neuer Vorschriften gezahlt werden: Erhaltung von Dauergrünland, eine Mindestzahl von Kulturen und Ausweisung von min-destens sieben Prozent der Flächen als »im Umweltinteresse genutzt«.

Was das Grünland betrifft, wird jedoch der Status quo kurz vor Inkrafttreten der Reform, also Ende 2013, erfaßt. Aufla-ge zwei bedeutet, daß gerade mal drei verschiedene Kulturen angebaut wer-den müssen, von denen die erste höch-stens 70 und auch die dritte mindestens fünf Prozent der Flächen einnehmen darf – eine geradezu lächerliche Vor-schrift, die nichts an der »Vermaisung« der europäischen Felder zugunsten der »Bio«energieerzeugung ändern wird. Die härteste Vorschrift ist da noch die Ausweisung der »ökologischen Schutz-zonen«. Dauergrünland wird hier nicht mitgerechnet, dafür Hecken, Gehölze,

Brachen, Aufforstungsflächen. Nicht nur der Deutsche Bauernverband warnt vor einer mit dieser Quasistillegung ein-hergehenden weiteren Flächenverknap-pung für die Nahrungsmittelproduktion.

Der zusätzliche Kontrollaufwand dürfte in keinem Verhältnis zum öko-logischen Nutzen dieser Maßnahmen stehen. Selbst die EU-Kommission habe eingeräumt, daß die geplanten Regeln »mit bis zu 15 Prozent mehr Bürokra-tie verbunden sein könnten«, kritisierte Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) am Dienstag in Berlin.

Die zweite wichtige Neuerung: Es soll eine Obergrenze von 300 000 Eu-ro pro Betrieb im Jahr eingeführt wer-den, bereits ab 150 000 Euro wird es Kürzungen der Direktzahlungen geben. Dennoch dürfte es nur für wenige gro-ße Unternehmen gravierende Verluste geben. Denn die gesamten Lohnkosten können von der bisherigen Prämiensum-me abgezogen werden, erst dann kommt die »Degression« zum Tragen. Dies ist jedoch ein Fortschritt gegenüber der bisherigen Praxis. Denn im Vorteil wä-ren damit erstmals jene Unternehmen, die allen Widrigkeiten zum Trotz an der arbeitsintensiven Milch- und Fleischer-zeugung festgehalten haben. Die Kap-pung haben vor allem jene zu fürchten, die – bisher mit erheblichen Profiten – mit einem Minimum an Beschäftigten reinen Marktfruchtbau betreiben. Die von immer mehr Landwirten vollzogene Trennung von der Viehhaltung ist ein wesentlicher Grund für einen drama-

tischen Verlust an Bodenfruchtbarkeit, verbunden mit einem enormen Mehr-aufwand für Mineraldünger.

Nach Schätzung der Kampagne »Mei-ne Landwirtschaft« wären bei Umset-zung der Kommissionsvorschläge von Prämienkürzungen EU-weit lediglich etwa 9 000, in Deutschland 900 Unter-nehmen betroffen. Insgesamt erhalten in der EU 7,9 Millionen Betriebe Sub-ventionen aus dem 60 Milliarden Euro schweren Agraretat.

Konzerne ausgeschlossenSinnvoll dürfte die von der Kommission vorgesehene Neudefinition des Begriffs »aktiver Landwirt« sein. Damit würden künftig zumindest Konzerne wie Nestlé und Südzucker, Verarbeitungs- und Han-delsfirmen wie Nordmilch (neun Mil-lionen Euro EU-Agrarprämien im Jahr 2010) und BayWa (13 Millionen) sowie Betreiber von Golf- und Flugplätzen keine Direktzahlungen mehr erhalten. Denn laut Reformentwurf müssen die Subventionen mindestens fünf Prozent der Einkünfte aus außerlandwirtschaft-licher Tätigkeit ausmachen. Das Abgrei-fen von Millionenbeträgen durch Kon-zerne wie die börsennotierte KTG Agrar wird dadurch allerdings nicht begrenzt, da die Aktiengesellschaft in viele Ein-zelunternehmen aufgeteilt ist. So war für die KTG in der Datenbank der Subventi-onsempfänger in der BRD für 2010 nur mit 142 000 Euro aufgeführt. Eigenen Angaben zufolge bewirtschaftet sie je-

doch 35 000 Hektar Ackerland und kas-siert nach Berechnungen des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) jährlich mindestens acht Mil-lionen Euro an EU-Direktzahlungen.

Kommissar Ciolos hat sich auch für die Schaffung einer Krisenreserve von 3,5 Milliarden Euro ausgesprochen, »um direkt und nicht erst mit mehreren Mo-naten Verspätung« auf außergewöhnli-che Ereignisse wie die EHEC-Epidemie reagieren zu können.

Mehr Geld ist für Landwirte in geo-graphisch und klimatisch benachtei-ligten Regionen wie etwa im Gebirge eingeplant. Mit der Reform soll zudem eine unbürokratische Pauschalförderung für Kleinstbetriebe und eine fünfjährige Anschubfinanzierung für unter 40jähri-ge, die in die Landwirtschaft einsteigen wollen, eingeführt werden – ein kleiner Versuch, das Betriebssterben zu verlang-samen, denn attraktiv finden den Beruf des Bauern nur noch ganz wenige. Da-gegen stellen immer mehr Bürger stän-dig neue Forderungen an eine Branche, in der trotz Förderung im Durchschnitt nur geringe Einkommen erwirtschaftet werden können – und das auch nur mit enormem Kraftaufwand.

Die Kommissionsvorschläge werden im EU-Parlament und in den Mitglieds-staaten weiter diskutiert werden. Was da-von 2013 tatsächlich beschlossen wird, bleibt abzuwarten.

u Mehr Informationen: www. meine-landwirtschaft.de

»Greening« ultralightDebatte um künftige EU-Agrarpolitik. Kommissionsvorschläge sehen minimale Umweltauflagen und Kappungsgrenze bei Direktzahlungen vor. Von Jana Frielinghaus

Aktivist der Umweltschutzorganisation »Friends of the Earth Europe« bei Protestaktion gegen EU-Agrarreform GAP

Kannegiesser bietet nur EinmalzahlungMetalltarifrunde 2012: Unternehmer lehnen dauerhafte Lohnzuwächse ab

Die rund 3,6 Millionen Be-schäftigten der Metall- und Elektroindustrie sollen trotz

günstiger Konjunkturprognosen nach dem Willen der Unternehmer keine dauerhaften Lohnzuwächse erhalten. »Die Reallöhne in unserer Industrie sind trotz zurückliegender Krise ge-stiegen, zumindest gehalten worden. Jetzt einen Nachholbedarf zu konstru-ieren, ist objektiv falsch und unfair«,

sagte Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser laut aktuellem Spiegel. Anstatt einer Lohnerhöhung solle es Einmalzahlungen geben.

Seine Branche habe im Jahr 2009 einen tiefen Absturz erlebt, einige Un-ternehmen hätten mit Auftragseinbrü-chen von bis zu 50 Prozent zu kämp-fen gehabt, sagte Kannegiesser. »Wir haben damals mit der Gewerkschaft ganz auf Beschäftigungssicherung

gesetzt. Und die war teuer.« Für das Jahr 2012 müsse eine Verstetigung der Lohnentwicklung stattfinden. »Wenn es eine gute Konjunktur gibt, dann muß die einmalig honoriert werden, aber die Löhne dürfen nicht dauer-haft auf einem hohen Niveau verewigt werden.«

Mit Blick auf die Aussichten der Branche sagte Kannegiesser, an den Kredit- und Kapitalmärkten gebe es

»immer noch große Risiken«. Die Ei-nigung der Euro-Staaten auf Schulden-bremsen und automatische Sanktionen bei Verstößen habe aber das Vertrauen der Anleger gestärkt. Falls es dennoch zu einer Konjunktureinbruch kom-men sollte, hofft Kannegiesser auf den erneuten Einsatz eines verlänger-ten Kurzarbeitergeldes als einem von mehreren Mitteln zur Beschäftigungs-sicherung. (Reuters/dapd/jW)

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Montag, 2. Januar 2012, Nr. 1 junge Welt 1 0 t h e m au 1982 erschien erstmals Kurt Gossweilers »Kapital, Reichswehr und NSDAP. Die Früh-geschichte – 1929 bis 1924«. Der Historiker, damals am Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR tätig, geht darin dem Charakter, der Gene-se und den sozialen wie gesellschaftlichen Ursprüngen des Faschismus im Allgemei-nen und seiner »nationalsozialistischen« Variante im Besonderen nach. Der Kölner PapyRossa-Verlag gab in diesen Tagen eine Neuauflage des Buches heraus. jW veröffentlicht einen um Fußnoten gekürz-ten Auszug aus zwei Abschnitten (»Zwei Grundtypen faschistischer Diktaturen« und »Überlegungen zu Entwicklungsetappen des Faschismus«) vorab.

Auf dem VII. Weltkongreß der Kom-munistischen Internationale 1935 wurde im Referat Georgi Dimit-roffs und in der Diskussion zu die-sem eine umfassende, tiefgründige

Analyse des Faschismus gegeben, in deren Mit-telpunkt die Kennzeichnung der Klassennatur des Faschismus an der Macht als »offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvini-stischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals« stand. Diese Wesensbestim-mung des Faschismus hat allen Prüfungen durch die Geschichte standgehalten.

Das bedeutet jedoch nicht, daß mit ihr alle Fra-gen der Faschismusproblematik ein für allemal ge-löst wurden. Gegen eine solche dogmatische Auf-fassung wandte sich Georgi Dimitroff ausdrücklich

in seinem Schlußwort zur Diskussion über sein Referat, indem er folgenden wichtigen Hinweis für das richtige Herangehen an die konkrete Analyse des Faschismus gab: Keinerlei allgemeine Cha-rakteristik des Faschismus, so sagte er, sie möge an sich noch so richtig sein, enthebe die Kommu-nisten der Pflicht, »die Eigenart der Entwicklung des Faschismus und der verschiedenen Formen der faschistischen Diktatur in einzelnen Ländern und in verschiedenen Etappen konkret zu studieren und zu berücksichtigen«.

Dimitroff verwies darauf, daß der Faschismus ungeachtet seines gleichbleibenden Wesens zum ei-nen in verschiedenen nationalen Spielarten auftritt und zum anderen eine geschichtliche Entwicklung durchläuft, bei der auf jeder Entwicklungsstufe neue Besonderheiten auftreten. Dies nicht zu be-rücksichtigen und statt dessen irgendein allgemei-nes Entwicklungsschema für alle Länder und alle Völker aufstellen zu wollen, würde uns nicht hel-fen, sondern uns hindern, den Kampf gegen den Faschismus in richtiger Weise zu führen. (…)

Es sei hier darauf verwiesen, daß bereits in den ersten Jahren seines Erscheinens der Faschismus an der Macht in zwei Spielarten auftrat, die bis zum heutigen Tag die beiden Hauptformen faschisti-scher Diktaturen geblieben sind: 1919/20 in Ungarn als eine durch die Armee errichtete und sich vor-wiegend auf die Armee stützende Diktatur, 1922 in Italien als ein mit Hilfe einer faschistischen Massenpartei installiertes und sich auf diese Partei neben dem staatlichen Gewaltapparat stützendes Diktaturregime.

Gesamtnationale Krise Auf die Existenz dieser beiden Spielarten des Fa-schismus an der Macht und die Besonderheiten der erstgenannten ging Georgi Dimitroff im Jahre 1928 ein. Im Hinblick auf Ungarn und Bulgarien führte er aus, die Eigentümlichkeit des Faschismus in den Ländern Südosteuropas bestehe darin, daß er sich dort »zum Unterschied vom Faschismus in Italien zum Beispiel, vorwiegend nicht von unten, durch eine Massenbewegung (…) durchsetzt, sondern im Gegenteil von oben. Sich auf die usurpierte Staats-

macht, die militärischen Kräfte der Bourgeoisie und die Finanzmacht des Bankkapitals stützend, versucht der Faschismus, in die Massen einzudrin-gen und sich unter ihnen eine ideologische, politi-sche und organisatorische Stütze zu schaffen«.

Die weitere Geschichte hat gezeigt, daß dieser Typ des Faschismus nicht auf Südosteuropa be-schränkt blieb, sondern überhaupt für den Faschis-mus in Ländern mit ähnlicher Wirtschaftsstruktur und ungefähr gleichem Entwicklungsgrad des Ka-pitalismus charakteristisch ist (Portugal, Latein-amerika).

Die Geschichte hat weiter gezeigt, daß der Weg der Errichtung der faschistischen Diktatur »von oben«, mit Hilfe eines Militärputsches, viel häufi-ger ist als der pseudolegale Weg über eine faschi-stische Massenbewegung. Für den letztgenannten gibt es bis jetzt nur zwei Beispiele, Italien und Deutschland (…).

Es stellt sich also heraus, daß der »klassische Weg« zur faschistischen Diktatur und ihr »klassi-scher« Typ gar nicht die Regel, sondern die Aus-nahme war. Das hat seinen Grund darin, daß die Entwicklung faschistischer Parteien zu Massen-parteien Bedingungen zur Voraussetzung hat, die man als Ausnahmebedingungen bezeichnen muß. In Italien wie in Deutschland wurden diese Parteien zu Massenparteien in der Situation einer über Jahre andauernden und sich verschärfenden gesamtnatio-nalen Krise, aus der die herrschende Klasse mit den Mitteln des bürgerlichen Parlamentarismus nicht mehr herauskommen konnte (Italien) oder die sie vorsätzlich mit anderen als den Mitteln des bürger-lichen Parlamentarismus überwinden wollte, um ihre imperialistischen Expansionsziele nicht preis-geben zu müssen (Deutschland); eine gesamtnatio-nale Krise auch deshalb, weil die Unterschichten nicht mehr wie bisher leben wollten.

Aus einer solchen Situation kann, wie Lenin lehrt, die Revolution hervorgehen, sofern die Mehr-heit der Arbeiter oder wenigstens – wie Lenin präzisierte – »die Mehrheit der klassenbewußten, denkenden, politisch aktiven Arbeiter« die Not-wendigkeit des Umsturzes völlig begreift »und be-reit ist, seinetwegen in den Tod zu gehen«, und wenn es den Arbeitern darüber hinaus gelingt, die

nichtproletarischen Massen – wenigstens zu bedeu-tenden Teilen – in den Kampf zum Sturz der beste-henden Ordnung mitzureißen. Eine solche Lösung hatten die italienischen Kommunisten 1921/22, die deutschen Kommunisten 1932/33 erwartet, auf eine solche Lösung hatten sie mit allen Kräften hinge-arbeitet.

Revolution oder ReaktionAus einer solchen gesamtnationalen Krise kann die Bourgeoisie aber auch einen extrem reaktionären Ausweg finden, wenn die Mehrheit der Arbeiter, gelähmt vom Einfluß des Opportunismus, sich nicht zur revolutionären Tat zu erheben vermag. Dann kann die Stunde faschistischer Putsche oder auch faschistischer Massenparteien schlagen; dann erhalten diese Parteien die Chance, sich den von der Arbeiterklasse enttäuschten, verzweifelt nach einem Ausweg Ausschau haltenden kleinbürger-lichen Massen als entschlossene, tatkräftige, zur Rettung der Nation berufene Partei vorzustellen.

Wir können somit für die Entwicklung faschi-stischer Parteien zu Massenparteien zunächst fol-gende Bedingungen auf seiten der herrschenden Klasse namhaft machen:1. Die Existenz einer gesamtnationalen Krise; 2. Die Entschlossenheit der maßgeblichen Kreise der herrschenden Klasse zur Beseitigung des Par-lamentarismus, zur Vernichtung der Arbeiterbewe-gung durch Errichtung einer offenen, terroristischen Diktatur; 3. Ein Klassenkräfteverhältnis, das es der herrschenden Klasse unmöglich oder für sie außer-ordentlich riskant macht, die Diktatur auf dem We-ge des Staatsstreiches errichten zu wollen, wodurch sie veranlaßt wird, nach einem »legalen« Weg der Beseitigung des bürgerlichen Parlamentarismus zu suchen; 4. Eine starke materielle und politische Unterstützung der faschistischen Bewegung durch Vertreter und Organisationen (Verbände, Parteien usw.) der herrschenden Klasse (Monopolkapitali-sten und Großgrundbesitzer); 5. Eine massive Be-günstigung der faschistischen Bewegung und ihres Terrors gegen die Arbeiterorganisationen durch die Staatsorgane (Armee, Polizei, Justiz, Bürokratie).

Ohne Unterstützung durch die Kapitalistenklas-

se und wohlwollende Duldung durch den kapitali-stischen Staat kann eine faschistische Partei nicht einmal zu einer gesamtnationalen, geschweige denn zu einer Massenpartei werden. Die Punkte 2, 4 und 5 sind deshalb Voraussetzungen, ohne die es auch noch so begabten faschistischen Demagogen und Organisatoren unmöglich ist, eine faschisti-sche Massenpartei aufzuziehen. (…)

Aber obwohl dem Imperialismus durchgängig der Drang nach Reaktion und Gewalt eigen ist, und obwohl der Anbruch der allgemeinen Krise des Ka-pitalismus und insbesondere der Sieg der proletari-schen Revolution in Rußland von der Bourgeoisie aller imperialistischen Länder als eine potentielle Bedrohung ihrer Herrschaft empfunden wurde, hat die Monopolbourgeoisie in solchen Hochburgen des Imperialismus wie den Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien bisher noch keinen Versuch unternommen, ein faschistisches Regime zu installieren. Dies und die Tatsache, daß die Mehrzahl faschistischer Regime in kapitalistisch schwächer entwickelten Ländern errichtet wurde, wird von bürgerlicher Seite immer wieder als Wi-derlegung der marxistischen Erkenntnis von der imperialistischen Natur des Faschismus ins Feld geführt.

Ziehen wir jedoch in Betracht, daß nicht nur Deutschland, sondern auch Japan in den 1930er Jahren ein Regime erhielt, das von namhaften japanischen Historikern und Soziologen als eine spezifisch japanische Ausprägung des Faschis-mus betrachtet wird; daß ferner einflußreiche Kreise der französischen Finanzoligarchie in den dreißiger Jahren den Faschismus auch in Frank-reich an die Herrschaft bringen wollten, was jedoch 1934 durch die einheitliche Abwehrfront der beiden Arbeiterparteien verhindert wurde, dann ergibt sich bereits ein ganz anderes, nämlich das folgende Bild: Von den sechs führenden im-perialistischen Staaten USA, Deutschland, Groß-britannien, Frankreich, Italien und Japan waren in den 30er Jahren drei faschistisch, in einem – Frankreich – fand ein gescheiterter faschistischer Putschversuch statt, und nur in zwei Ländern hatte es keinen ernsthaften Versuch seitens der herrschenden Klasse gegeben, den bürgerlichen

Terroristische Diktatur Vorabdruck u Bemerkungen zu Typen und Entwicklungsetappen des Faschismus. Von Kurt Gossweiler 

Zwei Arten von Faschismus: Während der ungarische unter Miklós Horthy (hier auf der Donaubrücke von Komárom an der Grenze zwischen Ungarn und der Slowakei, 5. November 1938) sich vorwiegend auf die Armee stützte, … 

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Parlamentarismus durch ein faschistisches Re-gime abzulösen.

Es liegt auf der Hand, daß die »Enthaltsamkeit« der US-amerikanischen und englischen Monopol-bourgeoisie darauf zurückzuführen ist, daß es in ihren Ländern bislang noch keine gesamtnationale Krise von annähernd gleicher Tiefe und Schwere wie in Italien und Deutschland gab. Dies wiederum ist dem Umstand verdankt, daß diese beiden impe-rialistischen Mächte über größere Ressourcen und Einflußgebiete außerhalb ihrer Landesgrenzen ver-fügten als jede andere imperialistische Macht. Hier ist daran zu erinnern, was Marx und Engels seiner-zeit über die Ursachen der Verbürgerlichung großer Teile der englischen Arbeiterklasse ausführten und was Lenin über den Zusammenhang von Imperia-lismus und Opportunismus schrieb. Besonders auf die USA und England trafen die Worte Lenins aus dem Jahre 1916 zu: »England, Frankreich, die Verei-nigten Staaten und Deutschland –, dieses Häuflein Länder hat Monopole in unermeßlichen Ausmaßen entwickelt, bezieht einen Extraprofit in Höhe von Hunderten Millionen, wenn nicht von Milliarden, saugt die anderen Länder, deren Bevölkerung nach Hunderten und aber Hunderten Millionen zählt, erbarmungslos aus.«

Nach dem Ersten Weltkrieg traf diese Schilde-rung, soweit sie das Aussaugen fremder Völker betraf, in vollem und uneingeschränktem Maße nur noch auf die USA, und nächst ihnen auf Eng-land zu. Das gab der Monopolbourgeoisie dieser Länder die Möglichkeit, die Auswirkungen der allgemeinen Krise des Kapitalismus und auch der Weltwirtschaftskrise zu einem guten Teil auf die beherrschten und ausgepowerten Völker außerhalb der Landesgrenzen abzuwälzen, wodurch die Kri-senerscheinungen im Lande selbst nicht in voller Schärfe zutage traten und der bürgerliche Parla-mentarismus nicht der gleichen Belastungsprobe ausgesetzt wurde wie etwa in Italien und Deutsch-land. Außerdem entfiel für die imperialistische Bourgeoisie dieser Länder jenes Motiv, das für den Entschluß der deutschen Monopolbourgeoisie zur Errichtung der faschistischen Diktatur eine Haupt-rolle spielte: Die wilde Gier nach kriegerischer Neuaufteilung der Welt zu ihren Gunsten. Für sie galt es vielmehr in erster Linie, den Besitz zu ver-teidigen und die eigene Position mit vorwiegend ökonomischen Mitteln weiter auszubauen.

Demokratische TraditionenVon bürgerlicher Seite wird demgegenüber be-hauptet, es sei vor allem den demokratischen Tra-ditionen der Länder des Westens zu verdanken, wenn dort der Faschismus zu keiner bedrohlichen Gefahr anwuchs. In Anerkennung der Bedeutung demokratischer Traditionen als Hemmnis für den

Vormarsch des Faschismus nahm Georgi Dimitroff gegen eine derartige Auffassung bereits auf dem VII. Weltkongreß sowohl in seinem Referat wie in seinem Schlußwort Stellung. Er wandte sich entschieden gegen die Ansicht, »der Faschismus habe in den Ländern der ›klassischen‹ bürgerlichen Demokratie keinen Boden«. Im Schlußwort ging er auf diese Frage mit Blick auf Frankreich aus-führlicher ein. »Manche Genossen sind der Mei-nung«, führte er aus, »daß sich der Faschismus in Frankreich überhaupt nicht so leicht entwickeln kann wie in Deutschland. Was ist daran richtig und was unrichtig? Richtig ist, daß es in Deutschland keine so tief eingewurzelten demokratischen Tradi-tionen gab wie in Frankreich (…). Richtig ist, daß die Hauptmassen der Bauernschaft in Frankreich republikanisch, antifaschistisch gestimmt sind …« Aber, fuhr Dimitroff fort, es sei kurzsichtig zu übersehen, daß viele Umstände in Frankreich die Entwicklung des Faschismus begünstigten; daß z. B. die Wirtschaftskrise sich in Frankreich weiter vertiefe, daß der französische Faschismus im Offi-zierskorps der Armee stärkere Positionen habe, als sie der Nationalsozialismus in der Reichswehr vor 1933 hatte, und daß die französische Bourgeoisie im Faschismus eine Möglichkeit sähe, ihre poli-tische und militärische Hegemonie in Europa zu bewahren. (…)

Aber das Streben der herrschenden Klasse nach Errichtung einer faschistischen Diktatur, die Un-terstützung der faschistischen Partei durch Mono-polkapital und Großgrundbesitz sowie durch den imperialistischen Staat – das ist nur eine Seite der Angelegenheit. Ohne entsprechende Voraussetzun-gen in der Bewußtseinslage breiter Massen kann auch die massivste Unterstützung aus faschisti-schen Parteien keine Massenparteien machen. Eine solche, für die Aufnahme der faschistischen Propa-ganda günstige Bewußtseinslage ist aber ebenfalls von der Existenz einer gesamtnationalen Krise und weiteren Bedingungen abhängig, von denen oben bereits die Rede war und die in den folgenden Punkten zusammengefaßt werden können:1. Eine akute ökonomische und politische Krise, die zum massenhaften Ruin und zur Deklassierung zahlreicher Angehöriger der Mittelschichten, zu deren Abwendung von den alten bürgerlichen Par-teien und zur Suche nach Rettung aus der ausweg-losen Situation führt.2. Eine Arbeiterbewegung, die dem Faschismus nicht einheitlich und entschlossen entgegentritt, so-mit dem Kleinbürgertum kein Vertrauen einflößen und ihm gegenüber keine oder nur geringe Anzie-hungskraft als Bundesgenosse gegen die Strangu-lierungspolitik des Finanzkapitals ausüben kann.3. Die den Faschismus begünstigenden Wirkungen solcher Bedingungen werden noch erheblich ver-stärkt, wenn zu ihnen auch noch nationale Proble-

me hinzukommen, die sich auf die Lebenslage der Massen negativ auswirken und die von den Faschi-sten in demagogischer Weise zur Verleumdung des proletarischen Internationalismus, zur Schürung von Chauvinismus und Rassenhaß ausgenutzt wer-den können.

Die gesamte Geschichte des Faschismus beweist, daß die für die Hinwendung breiter Massen zum Fa-schismus erforderliche Massenstimmung nicht von der faschistischen Propaganda, sondern von den objektiven Verhältnissen geschaffen wird. In Italien wurden Mussolinis Schwarzhemden jahrelang – von 1918 bis 1920 – in der öffentlichkeit kaum be-achtet. Erst nachdem die revolutionäre Bewegung der italienischen Arbeiterklasse mit dem Scheitern der Fabrikbesetzungen im Herbst 1920 ihren Höhe-punkt überschritten hatte, begannen große Teile des Kleinbürgertums und auch Arbeiter, sich der faschi-stischen Partei zuzuwenden. In Deutschland blieb die NSDAP nach ihrer Neugründung im Jahre 1925 lange Zeit – während der Jahre der relativen Stabi-lisierung 1924 bis 1928 – eine völkische Sekte. Erst mit dem Einbruch der Weltwirtschaftskrise began-nen ihre Propaganda und ihr Auftreten eine bisher unbekannte Massenwirkung zu entfalten. (…)

Entwicklungsetappen Die Entwicklung der kapitalistischen Welt zwi-schen 1918 und 1945 stellt einen Zyklus vom Krieg über Krisen zu neuem Krieg dar, wobei sie die bekannten Etappen durchlief: revolutionäre Nach-kriegskrise (bis 1923), relative Stabilisierung des Kapitalismus (1924–1928), Weltwirtschaftskrise (1929–1933), Kriegsvorbereitung durch die faschi-stischen Mächte (1933–1939), Zweiter Weltkrieg (1939–1945).

In diesem Ablauf stellte das Jahr 1929 eine Art Wasserscheide dar: Was davor lag, war noch Nach-kriegszeit, was darauf folgte, gehörte schon der neuen Vorkriegszeit an oder bildete zumindest den Übergang zu ihr.

Der Verlauf der Etappe von 1918 bis 1929 war zunächst (bis 1923) bestimmt durch das, was der Erste Weltkrieg an Zerrüttung und revolutionärem Sprengstoff hinterlassen hatte, sodann (1924 bis 1929) vom Einpendeln der interimperialistischen Beziehungen auf ein kurzzeitiges, äußerst labiles Gleichgewicht auf der Grundlage der durch den Kriegsausgang und die ersten Nachkriegsjahre ge-schaffenen Kräfteverhältnisse zwischen Siegern und Besiegten und zwischen den Siegermächten untereinander, wobei die Existenz der Sowjet-union auf diese heikle Balance nicht ohne Einfluß war.

Spätestens mit dem Einbruch der Weltwirt-schaftskrise 1929 nahm der deutsche Imperialis-mus als räuberischster, aggressivster und zugleich

stärkster Imperialismus in Europa erneut – der erste Versuch war schon 1923 unternommen worden und gescheitert – Kurs auf die Revision des Versailler Vertrages, als erste Stufe zur beabsichtigten Eröff-nung der zweiten Runde im Kampf um die Neuauf-teilung der Welt. Deshalb liegt hier die Grenze zwi-schen Nachkriegs- und neuer Vorkriegs- (besser: Kriegsvorbereitungs-)zeit.

Als Geschöpf des Imperialismus wurde der Fa-schismus damals wie heute entscheidend geprägt von den Entwicklungsetappen des Imperialismus und von der Rolle, die ihm von der Monopol-bourgeoisie, insbesondere von deren reaktionär-sten Kräften, in den einzelnen Etappen zugedacht war und ist. Diese Rolle war allerdings in den ver-schiedenen Ländern recht unterschiedlich. Um die für die jeweilige Etappe zutreffende Charak-teristik des Faschismus zu finden, kann nicht ein-fach ein Durchschnittswert gesucht werden. Die faschistischen Bewegungen der verschiedenen Länder orientierten sich jedoch in den Jahren von 1922 bis Anfang der dreißiger Jahre vorwiegend am italienischen, danach, besonders seit 1933, zunehmend am deutschen Faschismus. Vom ita-lienischen und deutschen Faschismus und ihren Führern war das faschistische »Leitbild« geprägt, beide stellten – der eine in den zwanziger Jahren, der andere danach – eine Art »Leitbildfaschis-mus« dar. (…)

Unter Berücksichtigung des Gesagten können folgende große Entwicklungsetappen des Faschis-mus unterschieden werden, deren jede sich wieder-um in verschiedene Phasen unterteilt:1) Etappe des Nachkriegsfaschismus (1919–1929), mit den Phasen a) des Frühfaschismus (1919–1923/24), der zugleich auch ein Nachrevolutions-faschismus war; b) des sich konsolidierenden Fa-schismus (1924–1929). Es konsolidierten sich die faschistischen Regime in Italien, Ungarn und Bul-garien; es konsolidierte sich der Nazifaschismus nach der Neugründung der NSDAP im Jahre 1925; es erweiterte sich sogar der Kreis der faschistischen Staaten durch den Hinzutritt Polens (Staatsstreich Pilsudskis am 12. Mai 1926), Portugals (Staats-streich Marschall Gomes da Costas vom 28. Mai 1926), und Litauens (faschistischer Umsturz am 17. Dezember 1926). »Leitbildfaschismus« ist in dieser Etappe der italienische Faschismus.2) Etappe des Vorkriegsfaschismus, richtiger: des Kriegsvorbereitungsfaschismus (1929–1939), mit den Phasen a) des »Übergangsfaschismus«, (1929–1933) was im einzelnen bedeutet: Übergang vom Nachkriegs- zum Kriegsvorbereitungsfaschismus; Überführung des Faschismus aus der Reservestel-lung in die vorderste Linie der Kapitaloffensive gegen die Arbeiterklasse; Beginn der Orientierung der aggressivsten Elemente des Weltimperialismus auf den deutschen Faschismus als Hauptstoßkraft des geplanten Krieges gegen die Sowjetunion; beginnender Übergang der Rolle des »Leitbildfa-schismus« vom italienischen auf den deutschen Faschismus; b) Phase der direkten Kriegsvorberei-tung (1933–1939).3) Etappe des Kriegsfaschismus (1939–1945), mit den Phasen a) des vollentfalteten, seinem Kul-minationspunkt zustrebenden Faschismus (1939–1942/43); b) des zerfallenden, unter den Schlägen der Völker und der Antihitlerkoalition zusammen-brechenden Faschismus.

Mit der Zertrümmerung der faschistischen Mäch-te – Spanien und Portugal ausgenommen – endete nicht nur eine Entwicklungsetappe, sondern ein ganzer Zyklus der Geschichte des Faschismus. Die nach 1945 folgende Geschichte des Faschismus war nicht einfach eine Fortsetzung des Vorhergehen-den und konnte dies auch nicht sein, sondern ein Neubeginn, der Beginn eines neuen Zyklus unter einem gänzlich neuen Kräfteverhältnis zwischen Sozialismus und Imperialismus. Der erste Zyklus hatte den Faschismus von seiner Entstehung und Entwicklung als schärfste Waffe des Imperialismus gegen Arbeiterbewegung und Sozialismus über die volle Entfaltung seines barbarischen, menschheits-bedrohenden Charakters zum gesetzmäßigen Zu-sammenbruch geführt.

Aber dieser Zusammenbruch bedeutete noch nicht das Ende, weil der imperialistische Mutterbo-den, aus dem der Faschismus hervorwuchs, vieler-orts noch erhalten blieb.

u Kurt Gossweiler: Kapital, Reichswehr und NSDAP. Die Frühgeschichte – 1929 bis 1924, PapyRossa Verlag, Köln 2011, 471 Seiten, Sub-skriptionspreis (bis 15. Januar 2012) zirka 22,40 Euro, danach zirka 28 Euro

… entwickelte sich in Deutschland mit der NSDAP eine faschistische Massenpartei (SA-Formation bei einem Aufmarsch der »nationalen Opposition« in Bad Harzburg, 11. Oktober 1931)

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Und dann war es plötzlich da, nur ganz klein angepriesen, dieses Werk aus dem musika-

lischen Zauberwald. Das 1967 immer wieder angekündigte und dann doch vom genialen Wirrkopf Brian Wilson in den ganz persönlichen Giftschrank gesperrte Beach-Boys-Album »Smile« liegt seit Ende 2011 unschuldig zum Kauf bereit.

Obwohl die Lobpreisungen dieses über die Jahrzehnte zum bloßen Ge-rücht herabgesunkenen Kulturguts immer blumiger wurden, ging seine Veröffentlichung erstaunlich dezent vonstatten. Als Brian Wilson 2004 eine orchestrale Neueinspielung des »Smile«-Albums vorlegte, war medial mehr los gewesen.

Bekanntlich haßte Wilson, der auf einem Ohr taube Kopf der Beach Boys, das von seiner Band bis heute propa-gierte Strandleben, gesurft ist er nie-mals. Auch die von seinem Manager-Vater diktierten Tourneen machten ihm schwer zu schaffen: 1964, nach drei Nervenzusammenbrüchen, arbeitete er ausschließlich als Komponist, Arran-geur und Produzent. Er entwickelte im Alleingang »Pet Sounds«, ein Werk, das 1966 die Rockmusik revolutionier-te, von der Plattenfirma Capitol al-lerdings nur widerwillig veröffentlicht wurde und zunächst als meisterlicher Flop in die Geschichte einging. Hier liefen die Beach Boys nicht grienend und nur mit einer Badehose bekleidet über den weißen Strand, vielmehr stan-den sie im Streichelzoo und irritierten damit Fans und wohl auch Tiere. Die Musiker schufen einen komplexen Sound, gleichermaßen an klassischer Musik wie am Rhythm & Blues orien-tiert, wie es auch parallel die Beatles mit »Revolver« versuchten.

In den USA konnte kaum jemand etwas damit anfangen, doch der drogi-stisch befeuerte Wilson arbeitete wei-ter am absoluten Werk. Hierfür ging er nicht mehr ganze Songs an, sondern bastelte an einzelnen Sektionen, die irgendwann zu einem Ganzen zusam-men gefügt werden sollten. Mit ins Studio nahm Wilson einen Meister des Wortes, einen »Baumeister der Lyrik«, wie er auf einer späteren Pressekon-ferenz leise verriet, Mister Van Dyke Parks. Da saßen also zwei Geniale der Popmusik zusammen und verar-beiteten das freie Amerika in einem ungewöhnlichen Album. Nichts wu-

de ausgelassen, weder die gigantische Landschaft, noch die oft unrühmliche Geschichte. Erzählt wird über India-ner, Helden, Gangster, die Schöpfung, die Liebe, über die vier Elemente und über »Good Vibrations«. Man hört sie endlich, die großen Songs, die die populäre Musik verändern sollten, al-lerdings zeitlich zu früh auftauchten, so daß sie schließlich wieder im Tre-sor verschwanden. Vor allem Wilsons manisch-depressive Art – mal blieb er wochenlang im Bett oder entwickelte Platten, die nie erschienen – ließ ein fertiges Album, mit Pressekonferenzen und anschließender Welttournee, nicht zu. Statt dessen wurden über »Smi-le« die abenteuerlichsten Geschichten erzählt: Van Dyke Parks und Wilson hätten sich nicht nur LSD ins Studio bringen lassen, sondern auch Sand, in den sie ihre Füße steckten, um den

Strand zu fühlen. Paul McCartney soll auf einem Stück zu hören sein, wie er herzhaft in eine Sellerie beißt. Und ein Orchester hätte in den Swimmingpool geschickt werden müssen, während die Studiomusiker mit Feuerwehrhelmen bestückt worden wären, um die Ele-mente Feuer, Wasser, Luft und Erde authentisch nachspielen zu können.

Da einige fertige Songs auf ande-ren Alben zu hören waren, machten sich die Fans ihr eigenes Bild: Viele Anhänger der Surfmusikzeit wende-ten sich ab, und Progressive Rock-fans faselten etwas von Doris Day auf Wellenbrettern, wie Sänger und Baßgitarrist Bruce Johnston einmal berichtete.

Vor allem sollte das 1967er Werk der Beatles, »Sgt. Pepper«, das Duo Van Dyke Parks und Wilson eingeschüch-tert haben, was man aber heute beim

Durchhören der fertigen Songs (»He-roes And Villains«, »Cabin Essence«, »Wonderful, »Good Vibrations«) und des ungewöhnlichen, aber unfertigen, »Holiday« nicht mehr nachvollziehen kann. Während einiger weniger öffent-licher Auftritte erklärte Brian Wilson, der 2004 »Smile« bereits als Neuein-spielung veröffentlichte, daß die Welt nun bereit ist, das Orignialwerk zu hören und die richtigen Schlüsse dar-aus zu ziehen. Er nennt sein Werk »A teenage symphony to God«. Kann man in der Dämmerung auf sich wirken lassen zwischen Kerzen, Weingläsern und wärmenden Decken. Zuvor kurz in die »Sgt. Pepper« reinhören und danach sich lieben oder über den Sinn des Lebens flüstern.

u The Beach Boys: »Smile« (Capitol/EMI)

Montag, 2. Januar 2012, Nr. 1 junge Welt 1 2 f e u i l l e t o nAm KatzentischDie neu gegründete Arbeits-

gemeinschaft Animations-film klagt über fehlendes Geld und Ansehen ihrer Branche in Deutschland. »Wir haben vor al-lem damit zu kämpfen, ordentli-che Budgets zu bekommen und damit Geschichten gut erzählen zu können – egal ob in 2D oder 3D«, sagte AG-Vorstand Ralf Kukula der Nachrichtenagentur dapd. Zudem trete bei großen Festivals wie der Berlinale deutlich zutage, daß Trickfilme im Allgemeinen nicht sonder-lich hoch angesehen seien: »Kinder- und Animationsfilme sitzen dort immer noch am Kat-zentisch.« Laut Kukula haben Animationsfilme das Vermark-tungsproblem, daß sie anders als Spielfilme über »keine menschlichen Stars«, die dann über den roten Teppich laufen können, verfügten.« In Deutsch-land kämen derzeit ein Prozent der Gebührengelder und drei Prozent der Filmfördermittel der Animationsfilmbranche zugute. (dapd/jW)

Bulletin JamesDie Blues- und Soul-Sänge-

rin Etta James muß nicht mehr künstlich beatmet werden, vorerst aber im Krankenhaus bleiben. Wie ihr Manager Lupe De Leon am Freitag mitteilte, atmet die 73jährige wieder selbständig ohne technische Hilfsmittel. James war am 21. Dezember mit Atemproblemen in eine Klinik im kalifornischen Riverside östlich von Los An-geles eingeliefert worden. Sie leidet an Leukämie, Hepatitis C und Altersdemenz. (AFP/jW)

Im KäfigZum Auftakt des Jubiläums-

jahrs der Kunstrichtung »Fluxus« zeigt das Staatstheater Wiesbaden Katharina Schmitts Stück »Sam« über den Künstler Tehching Hsieh aus Taiwan. Die Premiere ist am 29. März im Museum Wiesbaden, wie das Theater am Donnerstag mitteil-te. In dem Museum fand im Juni 1962 mit der öffentlichen Zer-teilung eines Konzertflügels die erste Fluxus-Aktion überhaupt statt. »Sam« beschäftigt sich mit der ersten Kunstaktion von Hsieh, der 1978 ein Jahr frei-willig in einem Käfig in seinem Studio verbrachte. (dapd/jW)

ÜbergangsgeldDie »Stiftung Tanz-Transi-

tion Zentrum« erhält aus dem Kulturetat der Bundesre-gierung 2012 bis zu 100 000 Euro für ihre Arbeit, erklärte die Vorstandsvorsitzende Sabri-na Sadowska am Freitag. 2011 war die Stiftung, die Tänzer an ihrem Karriereende berät, be-reits mit 50 000 Euro gefördert worden. Seit August 2010 hät-ten sich mehr als 150 Tänzer aus dem gesamten Bundesgebiet beraten lassen, sagte Sadowska. (dapd/jW)

Das große GanzeDas interessanteste Album des letzten Jahres wurde 1967 von den Beach Boys aufgenommen: »Smile«. Von Thomas Behlert 

Man muß sich die Königin von Dänemark als schöne Frau vorstellen. Vielleicht

sogar als schönste Frau der westlichen Hemisphäre – eine hellblonde, kalk-weißhäutige Frau mit wasserblauen Augen, einem bestimmten Blick und der Unsicherheit einer Protestantin. Sie muß ja nicht gleich Gertrude hei-ßen, wie die Mutter des Prinzen Ham-let, oder Margrethe, wie einerseits das reale Vorbild für Shakespeares Stück und andererseits die tatsächliche, ak-tuelle Königin von Dänemark, denn ja, es gibt nämlich eine: Margrethe II. Die leider eher nicht so die übermä-ßige Schönheit ist. Aber man kann ja nicht alles haben.

Vielleicht hat sich der Popmonar-chist und Ex-The-Czars-Sänger John Grant auch eher eine andere Art Frau vorgestellt, als er das Stück »Queen of Denmark« für die gleichnamige Platte aufnahm, zusammen mit der Band Midlake, einer der führenden Emo-Bands der Jetztzeit. Das Album jedenfalls, das 2010 bei Bella Union erschienen ist und als meine eigene heimliche Lieblingsplatte der letzten

Monate durchgeht, schließt er eben mit dieser Haßballade auf die nächste Königin von Dänemark ab; »Queen of Denmark« ist ein perfides kleines verdrehtes Liebeslied, schön defensiv aggressiv, anklagend und bewundernd zugleich, ein bewaffneter Schrei nach Liebe. »I wanted to change the world/ But I couldn’t even change my under-wear« fängt es larmoyant und zynisch an, was sich nach und nach in eine verbitterte Klage steigert: »It was this ›us and them‹ shit that did me in/ You tell me that my life is based upon a lie/ I casually mention that I pissed in your coffee/ I hope you know that all I want from you is sex/ To be with so-meone that looks smashing in athletic wear«, und so weiter. Vermutlich hat sich John Grant eine Rothaarige aus-gedacht, oder eine Brünette, vermut-lich war die Haarfarbe aber auch egal. Es geht um enttäuschte Erwartungen, und zwar um solche, die man selbst eigentlich gar nicht haben wollte. Also schickt man sie zurück, an die Emp-fängerin: ein neurotisches Paradoxon, irgendwie, aber die Liebe in den Zeiten des Kapitalismus funktioniert

manchmal so. Man könnte darüber glatt zum Monarchisten werden.

Schauen wir auf ein anderes Stück mit anderen popkulturellen Verwei-sen, das eine ähnliche Ausgangslage aus einer anderen Perspektive schil-dert. Die Magnetic Fields aus Boston, Massachusetts, die sich nach der Ur-Surrealistensuppe »Les Champs Ma-gnétiques« von Breton und Soupault benannt haben, brachten 1999 mit »69 Lovesongs« die vertonte Mundorgel zum Thema heraus. In meinem Favo-riten »I Think I Need A New Heart« heißt es: »’cause I always say I love you/ When I mean turn out the light./ And I say let’s run away/ When I just mean stay the night./ But the words you want to hear/ You will never hear from me./ I’ll never say ›Happy anni-versary‹.« Und niemand stört nieman-des Feiern. Die Krönung geht ohne Gäste vonstatten.

Daß es auch anders geht, sogar anders gehen muß, zeigt wieder-um der alte Charmebolzen und Gentleman Jonathan Richman, der ebenfalls aus Boston, Massachusetts stammt, aber bereits einer anderen

Generation angehört, nämlich der Knapp-Prä-Punk-Generation. Sein Spätwerk ist indes fast noch char-manter als sein Frühwerk, das noch deutlich bemühter war, irgendeinem subversiven Zeitgeist zu entsprechen. Inzwischen präsentiert sich Richman gern als antimoderner Barde (wo seine erste Band doch ausgerechnet »The Modern Lovers« hieß) mit romantischer Klampfe, der Schmäh-gesänge auf Mobiltelefone und den anderen Schnickschnack abliefert und sich auch mal multilingual gibt. Eine seiner anti-modernen Hym-nen wiederum paßt hervorragend zum Thema: »When We Refuse To Suffer« vom Album »Her Beauty is Raw and Wild« aus dem Jahr 2008. Überlassen wir ihm das Wort: »When we refuse to suffer, when we refuse to feel/ We’re suffering more and our life gets boring and crazy/ … It’s like airconditionin’ when we should be out in the summertime// When we re-fuse to suffer/ that’s when the prozac wins/ and your body feeling loses.«

Leiden also hilft. In diesem Sinne: ein frohes neues.

musik Zur uNZeit. Die Neue moNarchie Des leiDeNs. VoN reNé hamaNN

Gibst du mir Töne, geb ich dir Sand: Aufräumarbeiten im Brian-Wilson-Kosmos

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Matthias Mergl hat den Be-griff erfunden und den »Neo-Individualliberalis-

mus« vor geraumer Zeit den Lesern der jungen Welt vorgestellt. Jetzt gibt es das Buch dazu, einen Hundertseiter, mit Witz geschrieben, gut lesbar und gut einzustecken, zum Preis von einer Kinokarte: »Der Terror der Selbstver-ständlichkeit, Widerstand und Utopien im Neo-Individualliberalismus«. – Ja, mir gefällt das Buch. Ich werbe dafür. Ich kann auf ungeahnten Feldern da-mit was anfangen.

Mergl gibt zunächst eine kompakte Übersicht. Auf 15 Seiten. Was ist das für eine Bewegung, die alle Emanzi-pationsutopien für verwirklicht erklärt und damit alle kollektiven Aktionen für substanzlos? Der Autor verweist in Fußnoten auf eine Fülle von Quel-len und erfreulicherweise auch auf die drei W’s. Wem der Text nun sehr dicht vorkommt, wird es begrüßen, daß Mer-gl unversehens von der akademischen Objektivität in die Ich-Form wechselt, seiner persönlichen Beteiligung Raum gebend. Wer nach diesen 15 Seiten denkt, daß jetzt aber Butter an die Fische muß, denkt richtig. Denn im folgenden, langen und lebhaften Ge-spräch mit Wolfgang Müller werden wir mit einer Flut gut plazierter Anek-doten versorgt.

»Wie kann der aktuellen Anästhe-sie gegenüber struktureller Gewalt und wachsender sozioökonomischer Ungleichheit Widerstand geboten wer-den«? Strategien, Doppelstrategien, die überaffirmative Strategien, – sie werden im Schlußkapitel vorgestellt, nachdem »Ideologie und Körperpoli-tik« und queere Rassifizierungspolitik erörtert sin d.

Mergl streitet sich nicht mit anderen Autoren. Er beobachtet. Er sammelt Fakten. Er nimmt wahr. Diese Wahr-nehmungsstrategie ist in der Lage, das zu fassen, was von der politischen und medialen Tagesordnung mit Fleiß ab-gesetzt ist und abgesetzt bleibt, eben die aktuelle Anästhesie gegenüber per-sonenübergreifenden Zusammenhän-gen. Letztlich hat in den Medien, in den Zeitungen die Seite »Leute« alles andere verdrängt.

Ging der Neoliberalismus noch von einem System aus (»Der Markt reguliert sich selbst«), versteht sich der Neoindivi---- Neineinein, eben daran hapert’s bei mir. Der Begriff ist total richtig, aber ich muß stottern, und in meinem Kopf rappelt’s. Wie wäre es mit einer fiesen Abkürzung? Indilib? Nä, das klingt wie ein Kosmetikla-bel. Seufz, und tschuldigung für die Unterbrechung. Also noch mal: Ging der Neoliberalismus noch von einem System aus, versteht sich der Neo-Indi-vidualliberalismus als systemlos. Freie Menschen sind ungebunden. Es geht nur darum, der Erste, der Beste, der Fitteste, der Engagierteste, der Perfek-teste zu sein, alle Konkurrenten über-holt und ausgebootet zu haben und auf den Charts ganz oben zu stehen. Das ist das Ziel. Diesen Menschen, der seine »Freiheit« auf Kosten aller ande-ren erringt, hat man den nicht früher Schmarotzer genannt?

Aber ich bin jetzt völlig bei mir und meinen Worten. Mergls Buch hab ich in der Tasche. Es ist mir bei

der Wahrnehmung von allem Mögli-chen zuverlässig zur Hand. Beispiele: Ich spielte Anfang 2011 Theater auf Off-Bühnen in Wien und München. Philipp Hauß hat Millers Theaterstück »Der Tod des Handlungsreisenden« in »Das Überleben des Handlungsreisen-den« umgeschrieben. Überleben dank des Einsatzes aktueller Hilfsangebote, individuelle Defizite und Störungen zu regulieren. »Du schaffst es!« Wie coacht man ein Individuum? Wie be-wegt man die Bank, ein Darlehen zu gewähren? Wie hebt man sich von der grauen Masse der Mitbewerber ab, lie-ber Herr Therapeut? – Wir haben das alles durchgespielt und schließlich die Frage gestellt, ob nicht das Individu-um, sondern das Einer-gegen-alle das Problem ist. Die Antwort hat die Mu-sik- und Performancegruppe HGich.T gefunden: »Das System ist das Pro-blem«. Aber damit bin ich schon wo-anders.

Ich wollte bei meiner individuallibe-ralistischen Wahrnehmung auf Brigitte kommen. Ihr Arzt hat diagnostiziert: »leidet an erheblichen Dekompensa-tionen«. Ich hab’s nachgeschlagen: das Körper-System kann zwar Störun-gen weitgehend selbst kompensieren, es kann aber auch die Fähigkeit zur Selbstregulation generell verlieren.

Dann ist der Kollaps unvermeidbar, wenn nicht eingegriffen wird. Zwar sind Vergleiche vom kranken Indivi-duum mit der kranken Marktwirtschaft unstatthaft. Ich weiß. Aber Mergls Buch juckte in der Tasche.

Drittens und letztens. Im Novem-ber 2011 performte ich im HAU3 das Stück »Das Grundgesetz« von Boris Nikitin. Ich wurde dort als authenti-scher Staatsanwalt vorgestellt, – ein Outing, das ich nicht liebe. Also gut. Meine Doktorarbeit hatte ich um 1960 rum über »Die Behandlung des Rechts der DDR in der Rechtsprechung der Bundesrepublik« geschrieben. In der Zeitschrift Recht in Ost und West wur-de sie nicht abgedruckt, weil ich mich geweigert hatte, die Buchstaben DDR durch SBZ zu ersetzen. – Ach, Gott, wo ist jetzt der rote Faden? Aja, die Rechtsprechung und das Grundgesetz. Die westdeutsche Rechtsprechung hat-te die DDR-Gesetze für fehlerhaft be-funden, weil sie nicht in die Grundsät-ze des westdeutschen Grundgesetzes einzubetten gewesen waren. Und heu-te, fünfzig Jahre später? Da gibt’s im Grundgesetz Grundrechtsartikel, die heute noch gelten, aber beileibe nicht in das vom »Markt«-System zurecht-gebogene Rechts-System einzubetten sind. Ein Beispiel: Artikel 15, Über-schrift » Sozialisierung, Überführung in Gemeineigentum«: »Grund und Bo-den, Naturschätze und Produktionsmit-tel können zum Zwecke der Vergesell-schaftung in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.«. Jeder, dem man es vorliest, nimmt an, es werde aus der DDR-Verfassung zitiert.

Oder Artikel 14: »Eigentum ver-pflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit die-nen.« – Aber hallo, sag das mal den Bankern. Artikel 20: »Die Bundesre-publik Deutschland ist ein demokrati-scher und sozialer Bundesstaat«. Aus

diesen Artikeln wird der oberste Ver-fassungsgrundsatz der Sozialbindung hergeleitet.

Und nun die Widerstandsstrategie. Das Grundgesetz liefert sie selbst: Wird der Staat okkupiert von Krimi-nellen, etwa der Bankenmafia, »haben alle Deutschen das Recht zum Wi-derstand« (Art.20). Der schleichende Staatsstreich durch die Banken, die mit Gewährsleuten alle entscheiden-den staatlichen Positionen besetzt hal-ten, ist heute bis in die bürgerliche Presse hinein nachgewiesen worden. Den Staat, das Grundgesetz zu ret-ten, ist verfassungsrechtlich gebo-ten. Die Besatzer, die Banken, sind die kriminelle Vereinigung, die den Staat vereinnahmt hat. Diese Verfas-sungsfeinde anzugreifen, ist staats-bürgerliche Pflicht. Und sich dabei auf die Grundrechte des Grundgeset-zes zu berufen, ist so etwas wie die von Matthias Mergl (und Wolfgang Müller) geschilderte Doppelstrate-gie. Die überaffirmative Berufung auf das Grundgesetz. Mergls Buch hat mich motiviert, im Berliner Theater HAU3 alle Grundgesetztreuen aufzu-rufen, aktiv zu werden. Ich selbst sitze schon an der Anklageschrift gegen Ackermann u. a. – Klar, daß die dem Neo-Individualliberalismus inhärente Amnesie kollektive Aktivitäten, das Erkennen von Zusammenhängen und Strukturen und damit auch das Poten-tial des Grundgesetzes lahmlegt. Wer sich dennoch darauf beruft, wird in die Querulantenecke gestellt werden. Ist mir egal. Mergls »Widerstand und Utopien im Neo-Individualliberalis-mus« hat mich motiviert, den Mund aufzumachen. Danke fürs Zuhören.

u Matthias Mergl: Der Terror der Selbstverständlichkeit. Widerstand und Utopien im Neo-Individuallibe-ralismus, Unrast, Münster 2011, 108 S., 9,80 Euro

junge Welt Montag, 2. Januar 2012, Nr. 1 1 3f e u i l l e t o nGraSS und BrechtVon Wiglaf Droste

Den Forschungen des Leip-ziger Autors und Verlegers

Joachim Jahns (die ich in dieser Zeitung sehr bald ausführlich würdigen werde) verdanke ich Kenntnis vom Titel eines Vor-trags, den Günter Grass 1964 in der Akademie der Künste Berlin (West) hielt: »Vor- und Nachgeschichte der Tragödie des Coriolanus von Livius und Plutarch über Shakespeare bis zu Brecht und mir.«

»Über Shakespeare bis zu Brecht und mir« – so formulier-te schon 1964 einer, der Scheiße aus Neigung mit SS schrieb, wie er ja auch seinen Nachna-men von Graß zu Grass verän-derte. Man hätte es also wissen können, zumal Grass in seinem Stück »Die Plebejer proben den Aufstand«, das den 17. Juni 1953 zum Thema hat, als der Denun-ziant auftritt, der er war und ist. Der ehemalige SS-Richtschütze Grass legte Brecht Worte in den Mund, die Brechts Haltung ins Gegenteil verfälschen. »Es wer-den die Revolutionäre gebeten, den städtischen Rasen nicht zu betreten.« Dabei hatte Brecht der DDR-Führung ja im Gegen-teil sarkastisch vorgeschlagen, das Volk aufzulösen und ein neues zu wählen.

In einem offenen Brief an Anna Seghers bezeichnete Grass am 14. August 1961 Walter Ul-bricht als »Kommandanten eines Konzentrationslagers«; dabei war es Grass, der freiwillig der Waffen-SS beitrat, die in den Konzentrationslagern wütete. Immer mit dem Füllfederfinger auf die anderen zeigen, denun-zieren, lügen, abkassieren, das war und ist Grass, ein Leben lang bis heute. Daß dieser alte Drecksack geehrt durchs Land läuft und von seinen zumindest im Anödungspotential vollrohr legitimen Nachfolgern Juli Zeh, Feridun Zaimoglu usw. gestützt wird, ist ein dickes Stück rechts-radikaler als alles Verfassungs-schutzgemurkse um die NPD.

Das EmotionaleDie Geschichte der DDR

soll im Deutschen Histori-schen Museum (DHM) in Berlin ab 2018 völlig neu präsentiert werden. Es solle diesbezüglich »viel stärker auf Vermittlung gesetzt werden«, sagte der neue DHM-Präsident Alexander Koch der Nachrichtenagentur dapd. Er kündigte an, die gesamte Dauerausstellung zu überar-beiten, allerdings erst ab 2018. Hierzu würden bestimmte Teile geschlossen, andere offengehal-ten. »Wir werden Ausstellungs-module entwickeln, sodaß wir in der Lage sein werden, die Ausstellung rascher zu aktuali-sieren und weiterzuentwickeln», sagte Koch. Besonders wichtig sei für die Vermittlung »das Emotionale«, sonst würde es »knochentrocken«. Die Leute müßten Spaß daran haben, sich mit der Geschichte auseinander-zusetzen. Es gehe »um Sinne, um Schauen, Hören, Riechen, Schmecken, Berühren – und das verbinden wir mit Geschichte«, erklärte Koch. (dapd/jW)

Sag das mal den BankernNeo-Individualliberalismus 2011: Matthias Mergl hat ein Buch über den »Terror der Selbstverständlichkeit« vorgelegt. Von Dietrich Kuhlbrodt

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»Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung in Gemeineigen-tum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden« – nein, das ist nicht die DDR-Verfassung, sondern das Grundgesetz der BRD

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Montag, 2. Januar 2012, Nr. 1 junge Welt 1 4 r a t & t a t

ferNseheN

Nachschlag Hommage an Marius Petipa |Sa., 18.30, Arte

Vorschlag

SilvesterschmankerlWer je Zweifel hatte, ob im Peters-burger Mariinsky Theater noch immer weltführend klassisches Ballett getanzt wird, den konnte Arte beruhigen. Man zeigte Gala-Ausschnitte aus »La Ba-yadère«, worin es um die Liebe einer indischen Tempeltänzerin geht, und »Paquita«, das in Spanien zur Zeit der Besetzung durch Napoleon spielt. Das »Reich der Schatten« aus »La Baya-dère« entzückt: Eine Schar Ballerinen in weißen Teller-Tutus – voller paradie-sischer Harmonie – machte fast mond-süchtig. So akkurat und seelenvoll sieht man das wohl nur an der Newa. In »Paquita« tanzte, neben berauschen-den Solisten, der kindliche Nachwuchs von der Waganowa-Akademie auf: niedlich, graziös – und hervorragend im echten Petersburger Stil trainiert. Legendär. (gis)

VeraNstaltuNgeN

u Die Adresse für Termine: [email protected]

»Die Kinder von Diyarbakir«: Gulistan freundet sich mit der jungen Dilara an

Insel aus einer anderen ZeitKuba-Dokumenation, die immer zu überzeugen weiß – durch die Bilder. Gezeigt wird die Lebensrealität der Menschen: aktuell und doch historisch, romantisch und ungeschönt. u ZDF, 19.25 

Ein einsamer OrtUSA 1949. Schwarze Serie. Eine jun-ge Frau wird tot aufgefunden. Weil sie am Abend zuvor bei dem cholerischen Drehbuchautor Dixon Steele (Hum-phrey Bogart) zu Besuch war, gerät die-ser unter Tatverdacht. Seine Nachbarin Laurel (Gloria Grahame) verschafft ihm ein Alibi. Sie beginnen eine Affäre. Eines Abends hat Steele einen Gewalt-ausbruch und schlägt einen Autofahrer zusammen. Dadurch beginnt Laurel an Steeles Unschuld zu zweifeln. Bogart in Topform, Dorothy B. Hughes Roman lieferte die Vorlage. u Arte, 20.15

Min Dît – Die Kinder von DiyarbakirDas zehnjährige Mädchen Gulistan und ihr kleiner Bruder Firat leben mit ihren Eltern in Diyarbakir, im Herzen des kurdischen Teils der Türkei. Auf dem Rückweg von einer Hochzeit müssen beide Kinder vom Rücksitz des Autos mit ansehen, wie ihre Eltern bei einer nächtlichen Straßenkontrolle von türki-schen Paramilitärs erschossen werden. Gulistan und Firat werden von ihrer politisch aktiven Tante Yekbun aufge-nommen, die über ihre Kontakte zum kurdischen Widerstand versucht, für die ganze Familie Flugtickets zu ihren Verwandten in Schweden zu organi-sieren. Doch eines Tages verschwindet auch Yekbun spurlos. Von nun an sind die beiden Geschwister auf sich allein gestellt. Ihr Weg führt unweigerlich in Armut und soziales Elend. Da sie Strom und Miete nicht mehr bezahlen können, müssen sie die Wohnung ihrer Tante räumen und finden sich auf der Straße wieder. Als Gulistan in der Stadt dem Mörder ihrer Eltern zufällig wie-

derbegegnet, weiß sie, daß der Tod ihrer Eltern nicht ungestraft bleiben darf.

u Einsfestival, 20.15

Gegenwelt RauschgiftIn den 1960er Jahren propagierten die Hippies die Vorzüge von Cannabis. Doch sie wurde nicht von ihnen erfun-den. Im Film werden Fakten und Daten dieser Cannabis-Chronik wieder leben-dig. Und auch die ganze Absurdität des Antidrogenkriegs wird einigermaßen deutlich. u ZDFkultur, 22.10

Brügge sehen ... und sterben?Existentialistische Stimmung und lako-nische Dialoge gemahnen an die Filme der Coen-Brüder (naja – fast). Nach einem verpfuschten Auftragsmord wer-den die Killer Ray und Ken von ihrem Boß nach Brügge geschickt, um dort auszuspannen. Als endlich ein neuer Auftrag kommt, sorgt er für mächtigen Wirbel. Denn der eine Killer soll den anderen umbringen. Mit Colin Farrell und Ralph Fiennes. u RBB, 23.45

Film »Cries in beton« und Diskussion. Der Film beschreibt den größten »Gefangenen-streik bzw. -aufstand« Griechenlands im Jahre 2008/2009 und die Solidaritätswelle, welche danach entstanden ist. Nach dem Film gibt es eine kurze Diskussionsrunde und neueste Infos. Heute, 2.1., 19 Uhr, Café Morgenrot, Kastanienallee 85, Berlin. Ein-tritt frei

Politisches Katerfrühstück. Laß Deine Kröten wandern – von der einen Bank zur andern! Saure Gurken, Brothappen mit Schmalz, süße Kröten zum Reinbeißen sowie Informationen zum Bankenwechsel gibt es am Dienstag, 3.1., von 10 bis 12 Uhr von der ATTAC-Gruppe Cottbus an der Sonnenuhr vorm Neuen Rathaus, Berliner Str. in Cottbus. Damit soll mit den eigenen Mäusen der politischen Katerstimmung von Bankenkrise, Euro- und Staatenkrise der Garaus gemacht werden.

Infoveranstaltung »Menschenrechte«. Wir wollen auf der Veranstaltung weniger diskutieren, was Staaten alles könnten, wenn sie sich nicht auf die Menschenrechte verpflichten, sondern fragen, was für ein gesellschaftliches Verhältnis durchgesetzt wird, wenn die Menschenrechte Gültigkeit haben. Sind die Menschenrechte wirklich unveräußerlich in dem Sinne, daß sie jeder Mensch einfach durch seine Geburt be-sitzt? Wenn nicht, was heißt dann eigentlich »unveräußerlich«? Dienstag, 3.1., 19 Uhr, Er-reichbar, Reichenberger Str. 63a HH, Berlin

Vortrag »Mythos und Wirklichkeit der ›Me-dienrevolution‹ im Nahen Osten« mit Dr. Carola Richter (FU Berlin). Mittwoch, 4.1., 19–21 Uhr, Uni Leipzig, Hörsaal 11, Hörsaal-gebäude der Uni, Universitätsstr. 3, Leipzig. Veranstalter: eurint e.V.

Herausgeberin: Linke Presse Verlags- Förderungs- und Beteiligungsgenossenschaft junge Welt e. G. junge Welt erscheint in der Verlag 8. Mai GmbH. Gesellschafter Verlag 8. Mai GmbH: 1. Linke Presse Verlags- Förderungs- und Beteiligungsgenossenschaft junge Welt eG (kurz: LPG junge Welt e G): 52 Prozent. Vorstand der Genossenschaft: Roland Dörre, Herstellungsleiter junge Welt (Berlin); Stefan Huth, Redakteur junge Welt (Berlin); Dietmar Ko-schmieder, Geschäftsführer Verlag 8. Mai GmbH (Berlin), Katja Zöllig, Angestellte (Düsseldorf). Aufsichtsrat der Genossenschaft: Heinzjürgen Hagemüller, Rentner (Dresden); Andreas Siegmund-Schultze, Studierender (Berlin); Eckehard Schlauß, Altenpfleger, Vorsitzender des Aufsichtsrates (Berlin). – 2. Dietmar Koschmieder, Geschäftsführer Verlag 8. Mai GmbH (Berlin): 48 Prozent. Adresse von Genossenschaft, Verlag und Redaktion: Torstraße 6, 10119 Berlin. Geschäftsführung: Dietmar Koschmieder. Chefredaktion: Arnold Schölzel (V. i. S. d. P.), Rüdiger Göbel (stellv.). Redaktion  (Ressortleitung, Durchwahl): Innenpolitik: Jörn Boewe (-27); Wirtschaft: Klaus Fischer (-20); Außenpolitik: André Scheer (-70); Interview/Reportage: Peter Wolter (-35); Feuilleton und Sport: Christof Meueler (-12); Thema: Stefan Huth (-65); Bildredaktion: Sabine Koschmieder-Peters (-40); Lay-out: (-45); Internet: Peter Steiniger (-32); Verlagsleiter: Andreas Hüllinghorst (-49); Marketing/Kommunikation: Katja Klüßendorf, Nora Krause (-10); Aktionsbüro: Carsten Töpfer (-10); Archiv: Stefan Nitzsche (-37); Schreib-büro/Sekretariat: Eveline Pfeil (-0); Aufnahme: (-88); Herstellungsleitung: Roland Dörre (-45); Anzeigen: Silke Schubert (-38); Leserpost: (-0); Vertrieb/Aboservice: Jonas Pohle (-82). Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos übernimmt die Redaktion keine Verantwortung. Abon ne ments, Adreßänderungen und Reklamatio-nen: Verlag 8. Mai GmbH, Torstraße 6, 10119 Berlin, Tel.: 030/53 63 55-81/82, Fax: -48. E-Mail: [email protected]

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Zunehmende Armut»Das Interesse denkt nicht, es rechnet. Die Mo-tive sind seine Zahlen.« Dieses Zitat stammt nicht etwa von Gerhard Schröder, als er im Rah-men seiner Gerd-Show in der Regierungserklä-rung vom 14.3.2003 die »Agenda 2010« feierlich ankündigte, sondern von Karl Marx. Mit der »Agenda 2010« wollte Schröder mehr Wachstum, mehr Beschäftigung und weniger Sozialstaat ver-wirklichen. Die nackten Zahlen geben ihm an-scheinend recht. Die Schattenseite der »Agenda 2010« sind jedoch die zunehmende Armut in Deutschland und die Schicksale der betroffenen Menschen: Immer mehr arbeitslose Menschen fallen sofort in Hartz IV und ab dem 1.1.2012 wird für die arbeitenden Menschen schrittweise die Minirente mit 67 bittere Realität. Unsere Arbeits-welt ist seitdem geprägt von Lohndumping, Leih-arbeit, prekären Beschäftigungsverhältnissen, befristeter und staatlich subventionierter Arbeit z. B. durch Hartz-IV-Aufstockung. Die Arbeit-nehmer und Rentner sind dabei zu Tagelöhnern, zu Leidtragenden und Spardosen der Schröder-schen Agenda-2010-Politik des Grauens verkom-men. Roland Klose, Bad Fredeburg

Nachweis schuldig gebliebenZu jW vom 29. Dezember: »Glaube ist immer fundamentalistisch«Für seine provokative Behauptung, daß religiö-ser Glaube immer fundamentalistisch sei, bleibt Kilian jeden Nachweis schuldig. Es ist eine un-nötige und dogmatische Polemik. So pauschal trifft sie sicher nicht zu. Es gibt zum Beispiel in Lateinamerika sehr viele Menschen und soziale Bewegungen, die man als »fortschrittlich« oder »aufgeklärt« bezeichnen kann und die gleich-wohl christlichen Glaubens sind.

Auch wenn man selber nicht glaubt, muß man nicht jeden Glauben »verteufeln«. Wissenschaft

und Logik haben zwar vieles erklärt, aber für einige wesentliche Dinge wie die Entstehung des Lebens, des Bewußtseins, oder den Ursprung des Universums haben sie bislang keine umfassen-den, schlüssigen Antworten, und es ist auch nicht sicher, daß sie diese jemals haben werden.  Markus Harder, per E-Mail

UmverteilenZu jW vom 28. Dezember: »Schuldenberg so hoch wie nie«Auch das Nettoprivatvermögen in Deutschland ist so hoch wie nie! Insgesamt 7,3 Billionen Eu-

ro. Allein das oberste Zehntel besitzt 4,6 Billio-nen Euro. Darüber sollten wir uns mal Gedanken machen. Nicht über die hohen Schuldenberge, sondern um die hohen Reichtumsgebirge – und wie man das alles umverteilt.  Daniel Deutsch, per E-Mail

Moralisch verkommenHerr Gabriel, Sie haben formuliert, es wäre na-he einer Staatskrise, wenn Wulff zurücktreten würde. Nahe einer Staatskrise in einer selbst-behaupteten Demokratie ist es, wenn der Chef der größten Oppositionspartei einen Präsidenten

stützt, dessen Verhalten seit Jahren in nahezu jeder Hinsicht ein Maß an moralischer (ein Wort, welches Sie selbst in diesem Zusammenhang ebenfalls benutzt haben) Verkommenheit offen-bart, daß abstoßend und ekelhaft ist, gleichwohl aber von Ihnen durch Verzicht auf Rücktritts-forderungen toleriert wird. Es verdeutlicht, wie weit die politische und tatsächliche moralische Verkommenheit der politischen Kaste gediehen ist. Die einzig einzunehmende Haltung hierzu ist Verachtung.   Klaus Scholz, per E-Mail 

Zur Rechenschaft ziehenZu jW vom 30. Dezember: »Massaker im Grenzgebiet«Die türkische Luftwaffe hat wieder ein Massaker angerichtet. Die am 28.12.2011 ermordeten 36 kurdischen Zivilisten an der irakisch-türkischen Grenze sind meistens zwischen 15 und 20 Jahre alt. Die Leichen der Ermordeten sind bis zur Un-kenntlichkeit verbrannt. Das sind Menschen, die ihr Leben riskieren, um überleben können. Unter den Ermordeten sind auch einige Studenten, die sich für die Hochschule vorbereitet hatten, sie wollten mit Schmuggeleien ihr Studium finan-zieren. Das Brot in der Region zu verdienen ist, wie im Mund eines Löwen zu sein. Dazu kommt der türkische Barbarismus. Die Schmuggeleien in der Region werden seit Hunderten Jahren betrie-ben. Laut kurdischen Quellen haben die Offiziere der türkischen Militärstation zirka 50 kurdische Schmuggler bewußt getäuscht, damit sie einen anderen Weg nehmen. Kurz darauf wurden sie von der türkischen Luftwaffe bombardiert.

Der türkische Generalstab ist in Erklärungsnot und behauptet, daß mittels Drohnen eine Gruppe der PKK identifiziert worden sei. Die türkische Luftwaffe bombardiert permanent Kurdistan. Die Weltöffentlichkeit darf die Augen vor dem türki-schen Barbarismus nicht mehr verschließen. Erdo-gan und Co. müssen jetzt deswegen zur Rechen-schaft gezogen werden. Robin Fermann, per E-Mail 

leserbriefe »Unsere Arbeitswelt ist seitdem geprägt von Lohndumping, Leiharbeit, prekären Beschäftigungsverhältnissen, befristeter und staatlich subventionierter Arbeit.«

j u n geWe l t • L a d enga le r i eDie Tageszeitung

Tina ModoTTi

FoTograFien aussTellung voM 5. Januar bis 16. März 2012

5.1. 2012, 19 uhr, Ausstellungs eröffnung mit buchvorstellung: christiAne bArckhAusen, »tinA modotti – den mond in drei teile teilen« (verlAg Wiljo heinen)

Torstraße 6, 10119 berlin (nähe rosa-luxemburg-Platz) Öffnungszeiten: Mo.–Do.: 11–18 Uhr; Fr.: 10–14 Uhr, Eintritt: frei. www.jungewelt.de/ladengalerie

Neu erschieNeN

Wissenschaft Thematischer Schwerpunkt der Vierteljahreszeitschrift Forum Wissenschaft sind die gesellschaftlichen Implikatio-nen von Umweltpolitik: die Konsequenzen des Ölförder-maximums (»Peak Oil«) für die Weltwirtschaft, der Klima-wandel als Genderproblematik und ein »grüner« Sozialismus als Gegenmodell zum »green new deal«.Weitere Themen sind Gleichstellungsmodelle an Hochschulen, konservative und neoliberale Interpretationen des OECD-Berichts »Bildung auf einen Blick 2011«, der evan-gelikale Vormarsch im Bildungs-bereich und Beiträge zu dem Pädagogen Hans-Jochen Gamm sowie dem Staatstheoretiker Nicos Poulantzas. (ad)u Forum Wissenschaft, Heft 4/2011, 68 Seiten, 8 Euro (Jah-resabo 28 Euro). Bezug: BdWi, Gisselberger Str. 7, 35037 Mar-burg. Tel.: 0 64 21 / 2 13 95, Fax: 0 64 21 / 16 32 66, E-Mail: [email protected]

ArbeiterstimmeDie vierteljährlich erscheinende »Zeitschrift für marxistische Theorie und Praxis« enthält schwerpunktmäßig Bericht und Referate der Jahreskonferenz 2011 der Gruppe »Arbeiter-stimme« zu deren 40jähriger Geschichte und zur gegenwär-tigen Krise des Kapitalismus. Außerdem: Die Auswirkungen der Krise in Spanien und Groß-britannien sowie Gegenwehr von Teilen der Bevölkerung. Das »Modell Ungarn« eines autori-tären Kapitalismus im Rahmen der EU mit einem Frontalangriff auf Bürger- und Gewerkschafts-rechte. Kurt Schneider erinnert an den 120. Geburtstag des Mit-glieds der »Kommunistischen Partei Opposition« (KPO) Al-fred Schmidt. (ad)u Arbeiterstimme, Nr. 174, 32 Seiten, 3 Euro (Jahresabo 13 Eu-ro). Bezug: Thomas Gradl, Post-fach 910307, 90261 Nürnberg, E-Mail: redaktion(@) arbeiterstimme.org

Hamburg DebatteUnter dem Titel Hamburg De-batte gibt der Landesverband Die Linke in der Hansestadt seit kurzem eine Zeitschrift heraus, die auch als pdf-Datei per E-Mail bezogen werden kann. Die Ausgabe November 2011 trägt den Titel »Umbrüche und Aufbrüche« und enthält Artikel zur Krise, zu internatio-nalen Entwicklungen wie dem Libyen-Krieg, Nahost und Kuba, zum Hamburger Piratenprozeß und zur Lage in der Stadt. Au-toren sind u. a. Herbert Schui, Wolfgang Mix, Norman Paech, Uli Ludwig, Christin Bernhold, Almut Hielscher und Rolf-Hen-ning Hintze, Anita Friedetzky, Dora Heyenn, Till Petersen und Olaf Walther, Ellen Brombacher, Jan van Aken und Moshe Zuk-kermann.

u Hamburg Debatte, Novem-ber 2011, 32 Seiten, Spende erbeten. Bezug: Landesvorstand Die Linke, Wendenstr. 6, 20097 Hamburg, E-Mail: [email protected]

junge Welt Montag, 2. Januar 2012, Nr. 1 1 5p o l i t i s c h e s b u c h

 Lebendiger EinstiegRalf Hoffrogge hat eine kleine Geschichte der sozialistischen Arbeiterbewegung in Deutschland geschrieben. Von Wladek Flakin

So ziemlich jede Strömung, die die Emanzipation der Mensch-heit anstrebt, hält sich für völ-

lig neuartig. So verhält es sich mit der »Occupy«-Bewegung, die die er-ste »ohne Sprecher« und »ohne Pro-gramm« sein will – doch in Wirklich-keit stammen die besten Kritiken an dieser Idee aus den frühen 1970ern.

Laut dem jungen Berliner Histo-riker Ralf Hoffrogge kann man »mit Erstaunen oder auch Entsetzen fest-stellen, daß alles schon mal dagewesen ist«. Linke Debatten über Arbeitsmi-granten und Prekarisierung, über Ge-neralstreiks und die Machtfrage gab es bereits vor mehr als hundert Jahren. Selbst die Drohung der Arbeiter ei-ner französischen Renault-Fabrik im Jahr 2009, die Anlage in die Luft zu sprengen, könnte als leises Echo der Maschinenstürmerbewegung aus dem frühen Kapitalismus gesehen werden.

Alkohol und SPDDoch die Geschichte der sozialistischen Arbeiterbewegung ist unter jungen lin-ken Aktivisten heute weitgehend unbe-kannt – weil das Thema komplett aus den Lehrplänen verschwunden ist oder weil Gewerkschaften nicht gerade In-teresse wecken. Das war Grund genug für Hoffrogge, eine kurze Geschichte der sozialistischen Arbeiterbewegung, angefangen von den ersten Arbeiter-vereinen während der Revolution von 1848 bis zum politischen Kollaps der SPD beim Kriegsausbruch 1914, zu ver-fassen. Hoffrogge forschte bereits als AStA-Referent an der Berliner Freien Universität zu Studentenprotesten in den 60ern und veröffentlichte eine Bio-graphie über den Arbeiterführer aus der Novemberrevolution Richard Müller.

Bei Anticastorprotesten und Bil-dungsstreiks gilt die Arbeiterbewe-gung als bestenfalls anachronistisch, schlimmstenfalls als ein reaktionärer Haufen weißer, männlicher Facharbei-ter, die ihren stumpfsinnigen Job auf Kosten der allgemeinen menschlichen Emanzipation verteidigen. Hoffrogge bemüht sich dagegen zu zeigen, wie die frühe Sozialdemokratie sich nicht nur für den Lohngroschen, sondern für die Gleichheit der Frau, für die Lega-lisierung der Homosexualität und ge-

gen den wachsenden Antisemitismus einsetzte – kurz: für jene Themen, die die autonome Linke als erste entdeckt haben will. Deswegen wirkt der vorlie-gende Band wie eine Einführung.

In einem Exkurs widmet Hoffrogge sich dem Thema Alkohol und SPD: Zu Beginn des Kapitalismus wurde der massive Schnapskonsum von seiten der Unternehmer gefördert, um 16-Stun-den-Arbeitstage unter verheerenden Bedingungen durchzusetzen. Die So-zialdemokraten erklärte den Schnaps zum Feind, entdeckten aber später beim Bier in der Kneipe eine Möglichkeit, dieses »proletarische Wohnzimmer« für

Treffen und Versammlungen zu nutzen. Das wiederum schloß Arbeiterfrauen aus den politischen Räumen aus. Die Frage der sozialen Normen im Umgang mit Drogen wird jedem linken Aktivi-sten heute bekannt vorkommen – auch wenn die Drogen andere sind.

Zentrale FrageSelbst für Kenner der Geschichte sind diese Exkurse immer wieder interes-sant: Wilhelm Liebknecht reist als jun-ger Student Anfang 1848 nach Paris, um an den Barrikadenkämpfen teilzu-nehmen (gleichsam als Vorläufer des

heutigen »Krawalltouristen«); Richard Wagner kämpft Seite an Seite mit Michail Bakunin im Mai 1849 auf den Barrikaden in Dresden. Oppositionelle Strömungen, die aus der SPD heraus-gedrängt wurden, bekommen viel Auf-merksamkeit – auch wenn die starke Konzentration auf kleine, in der Ar-beiterbewegung weitgehend erfolglose Gruppen etwas zwanghaft wirkt.

Leider wird die eigentlich zentrale Frage dieses Buches – die Erklärung für die Katastrophe von 1914 – nur in einer kurzen Schlußfolgerung behan-delt. Hoffrogge scheint sich auf eine Bürokratietheorie à la Max Weber zu beziehen, wonach jede größere Organi-sation zwangsläufig konservativ wird, während er Lenins Thesen über die Herausbildung einer Arbeiteraristokra-tie im Zeitalter des Imperialismus mit einem Halbsatz wegwischt.

Die zehnseitige Einleitung ist sicher am interessantesten: Sie versucht, eine Erklärung dafür zu liefern, daß sichin Deutschland eine derart breite Kluft zwischen der Arbeiterbewegung (»alte Linke«) und den sozialen Strömungen (»neue Linke«) aufgetan hat wie in kaum einem anderen Land der Welt. Wie dieser Widerspruch aufgelöst wer-den kann, beantwortet der Autor aber nur sehr vage. Sein Ziel war es, wie er im jW-Gespräch beschreibt, ein Buch für Menschen aus einem möglichst breiten Spektrum zu schreiben.

Im Resultat liefert er einen leben-digen Einstieg ins Thema und auch eine willkommene Erweiterung der »theorie.org«-Reihe, die bisher stark vom erfolgreichsten Band von Michael Heinrich zur politischen ökonomie dominiert wurde. Der argumentierte, der gesamte »Arbeiterbewegungsmar-xismus« müssen übersprungen werden. Hoffrogge zeigt dagegen, daß die Ge-schichte dessen für jedes linke Projekt heute unverzichtbar ist.

u Ralf Hoffrogge: Sozialismus und Arbeiterbewegung in Deutschland. Von den Anfängen bis 1914. Schmetter-ling-Verlag, Stuttgart 2011, 216 Seiten, 10 Euro.

u Buchvorstellung: Mittwoch, 4. Januar 2012, 20 Uhr, Zielona Gora, Grünber-ger Straße 73, Berlin

In guter politischer Tradition: Der Biergarten

Der soZiale krieg hiNter Dem DrogeNkrieg: eiNe reportage aus mexiko

Der Drogenkrieg im Norden Mexikos macht längst kei-ne Schlagzeilen mehr; nur

gelegentlich schafft es ein besonders blutiges Massaker der Narcos in die Nachrichtenspalten. Die deutsch-ecua-dorianische Journalistin Jeanette Erazo Heufelder hat das Land im Januar und Februar 2011 bereist. In ihrer nun erschienenen Reportage »Drogenkor-ridor Mexiko« dokumentiert sie den Einfluß dieser Branche auf die mexika-nische Gesellschaft.

Die Autorin hat die Schauplätze von Massenmorden und Friedhöfe, auf de-nen die Opfer liegen, besucht. Sie hat Interviews mit zahlreichen Menschen geführt: Taxifahrer, Bäuerin, Sozial-wissenschaftlerin, Künstlerin, Bürger-meister. Aus den Aussagen kristallisiert sich das Bild einer Gesellschaft heraus, in der das organisierte Verbrechen fak-

tisch die Staatsgewalt übernommen hat und dem Land seine eigenen Gesetze aufzwingt.

Gewalt ist Alltag – es herrscht eine permanenter Krieg der Drogenkartelle um Einflußsphären und Gewinnan-teile, um Umschlagplätze und andere strategische Knotenpunkte des Trans-ports der Narkotika. Allein in der Stadt Ciudad Juarez zählte man im Oktober 2010 350 Tote. Eine örtliche Polizei existiert zwar, aber die begnügt sich mit der Rolle, eine nicht mehr vorhan-dene Rechtsstaatlichkeit zu simulieren. Jeder Polizist, der seinen Beruf ernst nimmt und sich nicht korrumpieren läßt, verurteilt sich damit zum Tod.

Wenig bekannt ist ein sozialer Konflikt, der im Hintergrund des Drogenkrieges tobt: Die Abwesenheit eines funktionierenden Rechtssystems ermöglicht den mit den Kartellen

mehr oder weniger verflochtenen Großgrundbesitzern die Enteignung von Gemeindeland und von Agrarge-nossenschaften mit brutalsten Mitteln. In den wenigen verbliebenen Indu-striebetrieben der Region drängen die Unternehmer zeitgleich den Einfluß der Gewerkschaften zurück und setzen prekäre Arbeitsbedingungen durch. Es ist ein Krieg gegen die Armen: Wer sich zur Wehr setzt, riskiert sein Leben. Bauernführer, sozial engagierte Rechtsanwälte, Menschenrechtsakti-visten und Gewerkschafter fallen den Kugeln der ungestört wütenden Todes-schwadronen und denen der angeblich die Narcos bekämpfenden Bundespoli-zei zum Opfer.

Im Buch wird ausführlich doku-mentiert, daß der Drogenkrieg kein spezifisch mexikanisches Phänomen ist. In Kolumbien erhält ein Bauer für

das Kilo Kokablätter 300 US-Dollar. Nach Verarbeitung zu Kokain kostet dieses Kilo 15 000 US-Dollar. Nach dem Transport über Mexiko in die USA zahlt der Endverbraucher dort 100 000 Dollar. Die verfehlte Dro-genpolitik der US-Regierung erzeugt auch im südlichen Nachbarland eine irrwitzige Gewinnspanne und frißt im »Drogenkorridor« jeden Ansatz einer halbwegs funktionierenden ökonomie auf. Was bleibt, ist Kapitalismus in seiner barbarischsten Ausprägung. Wie zitierte Marx im »Kapital«: »300 Prozent, und es existiert kein Verbre-chen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.« Gerd Bedszent

u Jeanette Erazo Heufelder: Dro-genkorridor Mexiko. Eine Reportage. Transit Verlag, Berlin 2011, 240 Seiten, 19,80 Euro

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Montag : po l i t i s ches buch | D iens tag : bet r ieb & gewerkscha f t | M i t twoch : ant i fa | Donners tag : w i s senscha f t & umwel t | Fre i tag : f emin i smus | Samstag : ges c h i c h t e

Montag, 2. Januar 2012, Nr. 1 junge Welt 1 6 s p o r tleichtathletik

Familie Bekelesao paulo. Der 24jährige Tariku Bekele, jüngerer Bruder des äthiopischen Langlaufidols Kene-nisa Bekele, hat den »87. Sao Sil-vestre« in Sao Paulo gewonnen, der als »Mutter aller Silvesterläu-fe« gilt. Tariku Bekele brauchte für die 15 Kilometer in der bra-silianischen Metropole 43:35 Minuten und verpaßte damit den 16 Jahre alten Streckenrekord des Kenianers Paul Tergat nur um 23 Sekunden. Eine neue Bestzeit glückte dafür bei den Damen der Kenianerin Priscah Jeptoo. Die Marathon-Vizeweltmeisterin lag in 48:48 Minuten 1:31 Minu-ten unter der alten Marke ihrer Landsfrau Alice Timbilili aus dem Vorjahr. (sid/jW)

Volleyball

Team DynamoMoskau. Drei Wochen nach ihrem Wechsel zu Dynamo Moskau ist Angelina Grün mit dem Klub russischer Pokalsieger geworden. Dynamo gewann das Finale gegen den Favoriten Kasan um Superstar Jekateri-na Gamowa souverän mit 3:1. Grün wurde zur wertvollsten Spielerin des Pokalturniers gewählt. »Wir sind ein Team«, erklärte die 281malige deutsche Nationalspielerin nach dem Triumph. »So gut, daß wir nicht nur kämpfen, sondern auch gut spielen.« (sid/jW)

fussball

Gute Presse für  Neymar 

MonTevideo. Brasiliens Neymar ist Südamerikas Fußballer des Jah-res 2011. Der 19jährige vom FC Santos gewann die von der uru-guayischen Zeitung El Pais unter 247 Journalisten des Kontinents durchgeführte Abstimmung mit 130 Stimmen vor dem Chilenen Eduardo Vargas (70 Stimmen) von Universidad de Chile. Übungsleiter des Jahres wurde Uruguays Nationalcoach Oscar Tabarez, der den WM-Vierten bei der Copa America in Argen-tinien zum Titelgewinn geführt hatte. (sid/jW)

basketball

»Ein Leader sein«dallas. Dirk Nowitzki hat mit den Dallas Mavericks im vierten Spiel der wegen eines Tarifstreits verkürzten NBA-Saison den ersten Sieg eingefahren (99:86 gegen die Toronto Raptors). Die Neujahrsbotschaft, die er anschließend twitterte, war von martialischem Optimismus: »Ich werde hart arbeiten, treffen, bis die Körbe brennen, ein Leader sein und mit dem Team den Titel verteidigen.« (sid/jW)

teNNis

Lendl coacht MurrayedinBurgh. Der 24jährige Schotte Andy Murray, aktuell Nummer vier der Tennis-Weltrangliste, hat einen neuen Trainer. Es ist Ivan Lendl, gebürtiger Tsche-choslowake und mit 94 Turnier-siegen einer der erfolgreichsten Spieler der Tennisgeschichte. (sid/jW)

garMisCh-parTenkirChen. Der Norweger Tom Hilde verfolgte das Neujahrsspringen der 60. Vierschanzentournee am Sonntag in Garmisch-Partenkirchen im Mannschaftsho-tel – glücklicherweise. Beim Auftaktspringen am Freitag in Oberstdorf hatte der Tournee-Dritte von 2010/11 »zuviel riskiert, um noch die Extrameter herauszuholen«. Unmittel-bar nach der Landung war er gestrauchelt und mit dem Kopf vorneweg 30 Meter den Hang hinuntergerutscht (Foto). »Ich habe viel Schnee in den Mund bekommen«, sagte der Norweger, der benommen liegengeblie-ben war, mit Schürfwunden am ganzen Kör-per und einem gebrochenen Rückenwirbel.

»Ich kann mich an fast alles erinnern, aber ein paar Sekunden fehlen mir«, erklärte Hilde am Neujahrstag, an dem wieder Welt-meister Gregor Schlierenzauer gewann. Daß Hilde mit dem Skisprungzirkus von Schwa-ben nach Oberbayern gezogen war, war Grund zur Freude: »Die erste Ansage der Ärzte war, daß ich mich nicht bewegen darf. Da wird alles ganz düster. Aber es gab dann nur noch gute Neuigkeiten. Eine Operati-on war nicht nötig, und ich konnte sogar noch am Silvesteressen mit der Mannschaft teilnehmen.« Diese Teilnahme wurde von Norwegens Sportdirektor Clas Brede Braa-then als besondere Leistung gewürdigt: »Das zeigt, was für ein Teamplayer er ist.«

Heute fliegt Hilde zurück nach Norwegen, wo er weiter untersucht wird. »Vor allem

Rücken und Knie werden durchgecheckt«, sagte der viermalige Vizeweltmeister. »Der momentane Stand ist, daß ich in diesem Winter nicht mehr springe. Ich bereite mich nun auf die kommende Saison vor.«

Wie es in Oberstdorf dazu kam, daß er auf einem Schlitten aus dem Stadion gezogen

werden mußte, mag in seinem Gedächtnis gelöscht bleiben. Die Fernsehbilder von der Bruchlandung aber hat Hilde sich ganz ge-nau angesehen. »Ein Anfängerfehler«, sagte er: »Geht auf meine Kappe.« Das »miese Gefühl« vor dem Fall veranschaulichte er so: »Das war, als ob ein Fußballer einen Elf-

meter verschießt und sich dabei den Rücken bricht.«

Dauerhafte Schäden am Nervenkostüm befürchtet er nicht: »Ich werde mich sicher immer daran erinnern, aber deswegen nicht schlechter springen. Mental wird das keinen Einfluß haben.« (sid/jW)

Fußball-Italien zittert sich ins neue Jahr. Weitere mutmaßliche Wettbetrüger wurden kurz vor

Silvester verhört. Inzwischen gibt es Verdachtsmomente gegen insgesamt 43 Fußballprofis. Mehrere Dutzend Be-gegnungen sollen verschoben worden sein, 22 davon in der obersten Spielklas-se. Die »Operazione ›Last Bet‹« der Staatsanwaltschaft Cremona erbrachte Hinweise auf Manipulationen seit der Saison 2008/09. Sie beziehen sich auch auf die Spielzeit, die gerade in die Win-terpause gegangen ist.

Angesichts des gigantischen Ausma-ßes der Wettbewerbsverzerrung kündig-te Verbandspräsident Giancarlo Abete ein neues Sportgerichtsverfahren an. »Wir studieren jetzt die Akten. Es gibt ein Gesetz, nach dem die Sportjustiz nur mit Genehmigung der Strafjustiz aktiv werden darf. Aber der Kontakt unseres Richters Stefano Palazzi zu Staatsanwalt Roberto Di Martino ist optimal. Das hat schon der erste Teil der Ermittlungen gezeigt«, sagte Abete am vorletzten Tag des alten Jahres.

Bangen müssen in der Ersten Liga vor allem Atalanta Bergamo, CFC Ge-nua und Lazio Rom. Beim Aufsteiger aus Bergamo haben sich nicht nur die Hinweise auf Betrugsversuche des Ex-Kapitäns Cristiano Doni erhärtet. Abgehörte Telefonate eines Mitglieds des Aufsichtsrats lassen die Ermittler vermuten, daß der Verein von Donis Manipulationen wußte. Zur Zeit will der Klub in einer Berufungsverhand-lung die im Sommer verhängte Strafe von sechs Minuspunkten reduzieren. Von seinem einstigen Kapitän und Aus-hängeschild hat er sich vorsorglich ge-trennt. Unterstützungstransparente für Doni sind aus dem Stadion verschwun-den. Eine Facebook-Solidaritätsgruppe für ihn hat ihre Aktivitäten eingestellt.

Wahrscheinlich wird ein neues Ver-fahren weitere Minuspunkte aufs Kon-to der kleinen Nerazzurri bringen. Das Lokalblatt Eco di Bergamo übte sich bereits in einer eher düsteren Variante von Optimismus. »Der Direktabstieg in die Zweite Liga ist nur zu befürch-ten, wenn der Vereinpräsident oder sein

Sohn in die Manipulationen verwickelt sind. Doch davon ist bislang nichts be-kannt«, beruhigte die wichtigste Zei-tung der Stadt ihre Leser.

Der CFC Genua und Lazio sind durch Carlo Gervasoni, eine Schlüssel-figur des Betrugsgeschehens, ins Gere-de gekommen. Gervasoni erzählte den Ermittlern, daß sowohl Lazio-Profi Ste-fano Mauri als auch CFC-Crack Omar Milanetto von der »Gruppe der Zigeu-ner« kontaktiert und als verläßlich ein-gestuft worden seien. Beide standen auch bei der Begegnung ihrer Vereine am vorletzten Spieltag der vergangenen Saison auf dem Platz. Das Spiel galt schon vor Bekanntwerden der Details um Mauri und Milanetto als manipu-liert. Nationalspieler Mauri ließ ein Kommuniqué verbreiten, in dem er »je-de Beteiligung an Betrugsversuchen« empört zurückwies. Milanetto, im Som-mer zu Zweitligist Padua abgeschoben, hüllt sich bislang in Schweigen.

Für Überraschung sorgte in dem an Kriminalfällen wahrlich nicht armen Italien die Tatsache, daß sich die Be-

trüger nicht einmal durch die erste Er-mittlungswelle im Juni stoppen ließen. Exprofi Alessandro Zamperini, der vor zwei Sommern wegen eines Flirts mit Silvio Berlusconis Zahnhygienikerin – und späterer Politkarrierefrau – Nicole Minetti für Schlagzeilen sorgte, ver-suchte noch im November 2011, einen Spieler des Zweitligisten AS Gubbio mit 150 000 bis 200 000 Euro zu über-zeugen, das Pokalspiel gegen den Serie-A-Vertreter AC Cesena zu »arrangie-ren«. Zamperini handelte nach Aussage des Kronzeugen Gervasoni im Auftrag der »Gruppe der Zigeuner«. Der kon-taktierte Profi aus Gubbio lehnte ab und erstattete bei der Polizei Anzeige. So kam die winterliche Verhaftungswelle ins Rollen. Sie förderte Geldflüsse aus der Schweiz zutage: Exnationalstürmer Giuseppe Signori soll seine Anteile an Wettgewinnen von einem Luganoer Konto überwiesen bekommen haben, führte zu Zockermasterminds in Sin-gapur und trug Dutzenden ehemaligen und aktiven Kickern auf dem Stiefel unruhige Nächte ein.

Operazione »Last Bet«Ermittlungen hin oder her: In Italien wurden bis November wohl Dutzende Fußballspiele verschoben. Von Tom Mustroph

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