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KUNST+UNTERRICHT 376 I 2013 12 KATRIN DROPCZYNSKI I MARCUS NÜMANN I LARS ZUMBANSEN Partnersuche im Gestern und Heute Vergesellschaftungsprozesse visualisieren Das Erkenntnispotenzial von Strukturbil- dern erschließt sich nur in konkreten Un- terrichtszusammenhängen. Insbesondere, wenn die Schülerinnen und Schüler neben dem primären Bildmaterial verschiedene Daten der gesellschaftlich bedingten Bild- produktion und Bildrezeption in einem Gesamtpanorama vereinen sollen, wird die Sinnhaftigkeit von Strukturbildern deutlich. Das Erstellen von Strukturbildern ist nie- mals voraussetzungslos. Deshalb werden im Folgenden auch die exemplarisch vor- zuführenden Visualisierungsstrategien konsequent in eine thematisch spezifi- sche Unterrichtsreihe für die Oberstufe * eingebunden und nicht als isolierte „Me- thodenrezeptur“ dargeboten. Gleichwohl soll der inhaltliche Fokus eindeutig auf der Darstellung, der didak- tischen Begründung und der Reflexion der für die Reihe zentralen Strukturbild- techniken liegen, die künstlerische sowie ästhetische Handlungspraxen in je spezi- fischen Zeiträumen in Beziehung setzen. 1 I Hans Holbein d. J. (1497 / 1498 –1543) Christina von Dänemark (Ausschnitt), 1538, Öl auf Holz, 175 x 82,5 cm, London, National Gallery Inhaltlicher Schwerpunkt: Partnersuche Die Suche nach einem passenden Le- benspartner beschäftigt die Menschen zu allen Zeiten. Dabei spielen die transpor- tablen Abbilder der Suchenden – ob als Miniaturgemälde oder Fotografien – eine zentrale Rolle. Ziel der Unterrichtsreihe war es inso- fern, historische und aktuelle Bildpraxen der Partnersuche in ihren gesellschaft- lichen Zusammenhängen zu erschließen und zu vergleichen – als Ankerpunkt für eine eigene gestalterische Auseinander- 2 I Hans Holbein d. J. (1497 / 1498 –1543) Anna von Kleve, 1539, Tempera auf Holz, 65 x 48 cm, Paris, Louvre

KATRIN DROPCZYNSKI MARCUS NÜMANN LARS ZUMBANSEN ... · zelnen Personen lassen sich mithilfe filmi-scher Analyse und deren Visualisierung gut nutzen, um die Ursachen bzw. Grund-lagen

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KUNST+UNTERRICHT 376 I 201312

KATRIN DROPCZYNSKI I MARCUS NÜMANN I LARS ZUMBANSEN

Partnersuche im Gestern und Heute Vergesellschaftungsprozesse visualisieren

Das Erkenntnispotenzial von Strukturbil-

dern erschließt sich nur in konkreten Un-

terrichtszusammenhängen. Insbesondere,

wenn die Schülerinnen und Schüler neben

dem primären Bildmaterial verschiedene

Daten der gesellschaftlich bedingten Bild-

produktion und Bildrezeption in einem

Gesamtpanorama vereinen sollen, wird die

Sinnhaftigkeit von Strukturbildern deutlich.

Das Erstellen von Strukturbildern ist nie-

mals voraussetzungslos. Deshalb werden

im Folgenden auch die exemplarisch vor-

zuführenden Visualisierungsstrategien

konsequent in eine thematisch spezifi-

sche Unterrichtsreihe für die Oberstufe *

eingebunden und nicht als isolierte „Me-

thodenrezeptur“ dargeboten.

Gleichwohl soll der inhaltliche Fokus

eindeutig auf der Darstellung, der didak-

tischen Begründung und der Reflexion

der für die Reihe zentralen Strukturbild-

techniken liegen, die künstlerische sowie

ästhetische Handlungspraxen in je spezi-

fischen Zeiträumen in Beziehung setzen.

1 I Hans Holbein d. J. (1497 / 1498 –1543) Christina von Dänemark (Ausschnitt), 1538, Öl auf Holz,

175 x 82,5 cm, London, National Gallery

Inhaltlicher Schwerpunkt:

Partnersuche

Die Suche nach einem passenden Le-

benspartner beschäftigt die Menschen zu

allen Zeiten. Dabei spielen die transpor-

tablen Abbilder der Suchenden – ob als

Miniaturgemälde oder Fotografien – eine

zentrale Rolle.

Ziel der Unterrichtsreihe war es inso-

fern, historische und aktuelle Bildpraxen

der Partnersuche in ihren gesellschaft-

lichen Zusammenhängen zu erschließen

und zu vergleichen – als Ankerpunkt für

eine eigene gestalterische Auseinander-

2 I Hans Holbein d. J. (1497 / 1498 –1543) Anna von Kleve, 1539, Tempera auf Holz, 65 x 48 cm,

Paris, Louvre

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KUNST+UNTERRICHT 376 I 2013 13

ZENTRALES UNTERRICHTSBEISPIEL

setzung mit diesem Thema. Aus diesem

Gedanken ergab sich die Konfrontation

der Schülerinnen und Schüler mit den

Werken des Renaissancemalers Hans

Holbein d. J. zur Brautschau Heinrichs VIII.

sowie Partnerschaftsanzeigen in Print-

Medien und Internet.

Sequenz I – Partnersuche

im Gestern

Im Jahr 1538 suchte Heinrich VIII., König

von England – nach dem Tod seiner drit-

ten Frau Jane Seymour – eine neue Frau.

Die Suche erfolgte in damals üblicher Wei-

se über die Diplomatie an den Höfen in Eu-

ropa. Mithilfe der Hofmaler und ihrer ge-

malten Porträts in Miniatur oder größeren

Formaten wurden die Kandidatinnen der

engeren Wahl seiner Majestät ansichtig.

Bildvergleich „Erster und zweiter Blick“

mit tabellarischer Sicherung

Die in diesem Kontext entstandenen Por-

träts der Christina von Dänemark (Abb. 1)

und der Anna von Kleve (Abb. 2) wurden

den Schülerinnen und Schülern zunächst

nacheinander und später in vergleichen-

der Gegenüberstellung präsentiert. Hier-

bei galt es, die Attraktivität und Persön-

lichkeit der abgebildeten Person in ersten

Assoziationen anhand der sichtbaren Er-

scheinung auf einer tabellarischen Gegen-

überstellung zu fixieren. Die Schülerinnen

und Schüler bewerteten auf dieser Grund-

lage, welche der Edeldamen Heinrich VIII.

zu seiner Frau nehmen würde. Nach dieser

ersten Einschätzung wurden die Schüle-

rinnen und Schüler mithilfe der szeni-

schen Methode des Nachstellens, dem

Bau von „Standbildfragmenten“ (s. Kasten

S. 14) erneut mit den beiden Abbildungen

konfrontiert.

In Partnerarbeit stellten sie die Hand-

stellung beider adligen Damen nach

(Abb. 3) und sollten dabei versuchen,

sich in die Situa tion einzufühlen. Hierbei

notierten die Probanden ihre Eigenwahr-

nehmung in der Haltung.

In einem „zweiten Blick“ wurden die

beiden Frauenporträts im Detail unter-

sucht – diesmal bezogen auf die Kopf-

Methodenbaustein: Standbild bauen

(S. 14)

ZENTRALES UNTERRICHTSBEISPIELVergesellschaftungsprozesse

visualisierenSek. II

Sequenz I – Partnersuche im Gestern

Sequenz II – Partnersuche im Heute

Sequenzprotokoll „The Tudors“

(S. 16 f.)

Methodenbaustein:Entwicklung eines Schau-bildes – Beziehungsstruk-turen veranschaulichen

(S. 18)

Methodenbaustein: Hinweise zur Konzeption

eines Schaubildes(S. 21)

„Warum heiratet Heinrich VIII. Anna von

Kleve?“ – Zitatsammlung(S. 22)

Schaubild-Analyse(S. 24)

AufgabenstellungPorträtfotografie

(S. 23)

Bildvergleich

„Erster und zweiter Blick“ mit tabellarischer Sicherung

TV-Serie „The Tudors“ -

Ursachenkette zur Filmsequenz

Schaubild I –

„Beziehungsanalyse“ mit Galeriegang

Schaubild II –

„Zentrales Dilemma“

Charaktercollage

Matrix alltags-

ästhetischer Stile

Selbstporträt als Bewerbungsfoto

BasisartikelStrukturbilder

Erkenntnismittel im Kunstunterricht

(S. 4 ff.)

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Zudem ist eine Vielzahl unterschiedlicher

Materialien notwendig, um schnell einen

Gesamtüberblick über die historische Si-

tuation, ihre Personen und deren histori-

sche Kontexte zu gewinnen.

Ein Umweg zu den historischen Ereig-

nissen dieser Brautschau des englischen

Königs und den involvierten Personen

über aktuelle Bildwelten erschien weitaus

motivierender.

Die britisch-irisch-kanadische Kopro-

duktion „The Tudors“ bot – obschon die

filmische Inszenierung zur historischen

Vergangenheit bzw. Geschichte fiktive

Komponenten enthält – die Möglichkeit

eines angemessenen visuellen Gesamt-

bildes. In diesem ist auch die Brautschau

Heinrichs in ihrer Problematik mit sämt-

lichen Protagonisten vertreten. Gerade

die Beziehungen und Kontexte der ein-

zelnen Personen lassen sich mithilfe filmi-

scher Analyse und deren Visualisierung

gut nutzen, um die Ursachen bzw. Grund-

lagen der Entscheidung Heinrichs nach-

zuvollziehen – insbesondere mit Blick auf

die Bedeutung der Bilder Holbeins für die

Brautentscheidung.

Zur Analyse wurde den Schülerinnen

und Schülern eine 15-minütige Film-

sequenz aus der dritten Staffel dargebo-

ten. Diese stellt ein dramatisches „Patch-

work“ aus historisch-zeitgenössischen

Quellenfragmenten, Anekdoten der Re-

zeptionsgeschichte sowie rein fiktiven

Hinzufügungen dar. Trotz dieses Umstan-

des zeichnet sich die Serie insbesondere

bei der Thematisierung des Braut-Bild-

Verhältnisses durch eine kritisch-reflexive

Haltung aus, verlagert sie doch die Verant-

wortung für das Scheitern der Ehe Hein-

richs mit Anna von Kleve vom Künstler

Holbein hin zu den politischen Einfluss-

faktoren und Entscheidungsträgern um

Thomas Cromwell (vgl. dazu ausführlich

Zumbansen/ Zumbansen 2010, S. 32 ff.).

Die Erstrezeption des Filmes diente

der vordergründigen Aufklärung über

die Wahl Anna von Kleves und deren Kon-

sequenzen, denn Heinrich verabscheut

seine neue Ehefrau bereits nach ihrer

ersten Begegnung und bezeichnet sie als

„fette flandrische Stute“. Diese dargstellten

Ereignisse sollten von den Jugendlichen

Methode: Standbild bauen

Ein Standbild ist eine darstellende Methode, die es ermöglicht, einen ersten Zugang

zu einer Figur oder Figurengruppe in einem Bild durch szenisches Nachstellen zu

erhalten.

Im Standbild wird die im Bild zum Ausdruck gebrachte Haltung, Gestik und Mimik

einer Figur darstellerisch imitiert und eingefroren, um sich in deren Situation ein-

fühlen und eindenken zu können.

Ablauf

Jeder der Teilnehmenden schaut das Bild ca. fünf Minuten lang an.

Ein „Regisseur“, den das Team festgelegt hat, modelliert nun aus dem Körper

(hier Kopf und Hände) seines Mitschülers ein Standbild.

Das „Modell“ nimmt die ihm zugewiesene Haltung ein, einschließlich Mimik

und Gestik. Das Ganze geschieht möglichst nonverbal.

Ist das Bild vollendet, erstarrt das „Modell“ für ca. 30 Sekunden, fühlt sich ein

und gibt dem „Regisseur“ die Gelegenheit, ein Foto zu machen.

Anschließend notiert jedes Teammitglied stichpunktartig die Eigenwahrnehmung

(Modell) bzw. Fremdwahrnehmung (Regisseur) dazu.

3 I Schülerarbeit (Oberstufe) Standbildfragment: Handhaltung der Christina von Dänemark

und Handhaltungen – und die Ergebnisse

wurden wiederum in einer Tabelle notiert.

Die Beurteilung der Attraktivität und Per-

sönlichkeit der beiden Damen kehrte sich

nun um. Auf den ersten Blick erschien das

Porträt der Anna von Kleve in der Attrak-

tivität und Persönlichkeit – und somit als

Wahl Heinrichs – vorne zu liegen. Auf den

zweiten Blick war es dann erstaunlicher-

weise Christina von Dänemark (zu mög-

lichen Gründen s. Zitatsammlung Kasten

S. 22)

Ursachenkette zur Filmsequenz

Die Schülerinnen und Schüler standen vor

einem Dilemma, vor dem auch Heinrich

VIII. gestanden hat und dessen Ausmaß

nun für sie fassbar war. Zugleich kam es

in der Diskussion um die Wahlentschei-

dung Heinrichs auch zu der Feststellung,

dass allein das Aussehen einer adeligen

Dame für einen König wie ihn damals

nicht allein entscheidend gewesen sein

könnte. Zudem gäbe es da ja auch noch

den Charakter oder auch staatspolitische

Überlegungen, die Einfluss gehabt haben

müssten.

An dieser Stelle des Unterrichtsverlaufs

boten die beiden Gemälde für die Schüle-

rinnen und Schüler keine Möglichkeiten,

durch werkimmanente Formalanalyse

als klassisches kunsthistorisches Unter-

suchungswerkzeug Ursachen der histo-

rischen Entscheidung Heinrichs VIII. für

eine der beiden Heiratskandidatinnen zu

erarbeiten. Der nächste Schritt hätte in

die Analyse werk externer Quellen geführt

(historische Quellentexte oder Sekundär-

literatur). Die Motivation, die aus diesem

Material und den dazu notwendigen Ana-

lysemethoden erwächst, ist nicht allein

aufgrund der schwach ansprechenden Äs-

thetik von Textkopien für einen forschen-

den Erkenntnisprozess wenig anspornend.

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in Form einer Ursachenkette strukturiert

erfasst und notiert werden.

Schaubild I „Beziehungsanalyse“

mit Galeriegang

Vor dem Problemhorizont, dass der König

Anna von Kleve ablehnt, galt es in einem

zweiten Schritt das komplexe Beziehungs-

geflecht aller an diesem Ereignis beteilig-

ten Figuren zu erfassen. Die Schülerin-

nen und Schüler fertigten dazu bei einer

nochmaligen Filmrezeption vorbereitend

ein Sequenzprotokoll an (dies kann auch

vorgegeben werden, s. Kasten S. 16 f.), um

sich dann arbeitsteilig mit ausgewählten

„Figurenpärchen“ eingehend zu beschäf-

tigen. Zu diesem Zweck wurden Bildkar-

ten mit den betreffenden Charakteren

ausgeteilt (Details aus den Porträts von

Holbein). Aufgabe war es, die Beziehungs-

struktur des zugelosten Figuren duetts

durch Pfeile, ergänzende Schlagworte

und grafische Symbole anschaulich zu vi-

sualisieren (Abb. 4a u. b). Für Lerngruppen,

die bisher über wenig Erfahrung im Erstel-

len von Schaubildern verfügen, kann an

dieser Stelle ein methodischer Exkurs er-

folgen, der grundlegende Techniken der

Visualisierung vermittelt (s. Kasten S. 18

u. Kasten S. 21). Als prak tikabel erweist

sich in diesem Zusammenhang auch die

Nutzung eines Methoden- bzw. Modera-

torenkoffers, bestückt mit verschieden

großen und unterschiedlich geformten

Farbkarten sowie dicken Filzstiften.

In der nachfolgenden Phase trafen

sich jeweils diejenigen Kursteilnehmer

mit dem gleichen Paar und kontrollier-

ten ihre Ergebnisse gegenseitig, wobei

auch die Prägnanz der Darstellung dis-

kutiert werden sollte. Aus diesen einzel-

nen Schaubildfragmenten sollte dann

in Kleingruppen ein Gesamtbild für alle

fünf handelnden Figuren erstellt werden.

Dazu trafen sich mindestens drei Lerner

mit unterschiedlichen Paaren, sodass jede

Figur in jeder Gruppe mindestens einmal

vertreten war. Um den Schülerinnen und

Schülern Gestaltungsfreiheit anzubieten,

wurde kein spezifisches Plakatformat

vorgegeben, sondern ein Set von DIN-A1-

Pappen lag bereit, die beliebig beschnit-

ten werden konnten.

ZENTRALES UNTERRICHTSBEISPIEL

4 a u. b I Schülerarbeiten (Oberstufe) Schaubild I „Beziehungsanalyse“

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Episode / Zeit Ort:

auftretende Personen

Episode 3:

00 : 02 : 59 – 00 : 05 : 50

Atelier am Hof Heinrich VIII.:

Holbein / Lady Misseldon /

Sir Robert Tavistock

Saal im Palast:

Heinrich VIII. / Holbein / Sir Robert

Episode 6:

00 : 12 : 19 – 00 : 13 : 50

Thronsaal:

Heinrich VIII. / Cromwell

Episode 6:

00 : 13 : 53 – 00 : 15 : 44

Palast in Mailand:

Holbein / Sir John Hutton /

Christina von Dänemark

Episode 6:

00 : 17 : 38 – 00 : 17 : 56

00 : 30 : 23 – 00 : 31 : 11

Königshof in London:

Heinrich VIII. / Cromwell /

Herzog von Suffolk

Episode 7:

00 : 01 : 15 – 00 : 02 : 03

Cromwell / Holbein

Episode 7:

00 : 04 : 18 – 00 : 05 : 15

Heinrich VIII. / Cromwell

Episode 7:

00 : 20 : 28 – 00 : 21 : 25

Heinrich VIII. / Gefolge

Episode 7:

00 : 22 : 09 – 00 : 24 : 50

Schloss in Rochester:

Heinrich VIII./ Anna von Kleve /

Gefolge

Episode 7:

00 : 24 : 51 – 00 : 26 : 20

Palast, Thronsaal:

Heinrich VIII. / Cromwell /

Sir John / Rat

Sequenzprotokoll *

* aus: „The Tudors“ – Dritte Staffel (DVD, Sony Pictures Home Entertainment, 2009), Zeichnungen: Zumbansen

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KUNST+UNTERRICHT 376 I 2013 17

ZENTRALES UNTERRICHTSBEISPIEL

Geschehen / Handlungsverlauf

Mithilfe eines Perspektivrahmens porträtiert Holbein die unbekleidete Mätresse des Königs, Lady Misseldon. Unterbrochen wird

die Szene durch den Verlobten des Modells, der sich – empört über die Tätigkeit seiner Angetrauten – mit Holbein einen kurzen

Kampf liefert.

Holbein entschuldigt sich für den Vorfall, der König bestärkt den Maler, richtig gehandelt zu haben. Die Beschwerde des Verlobten

weist Heinrich entschieden zurück und preist stattdessen das Genie des Malers: „Wenn ich sieben Bauern hätte, könnte ich

sieben Lords aus ihnen machen, aber aus sieben Lords könnte ich nicht einen Holbein machen.“

Cromwell berichtet dem König von den Erkundigungen, die der Gesandte Sir John Hutton über mögliche Heiratskandidatinnen

eingeholt hat: Die Herzogin von Mailand (Christina von Dänemark) sei eine Dame „reich an Schönheit, Bildung und Stand“.

Die an zweiter Stelle vorgestellte Anna von Kleve hat laut Heinrich dem Hörensagen zufolge wenig zu bieten, sei „weder anmutig

noch schön“. Cromwell gibt dennoch den politischen Vorteil zu bedenken, da Kleve Mitglied der protestantischen Liga sei.

Holbein wird vom König jedoch zuerst beauftragt, die Herzogin von Mailand zu porträtieren.

Sir John preist den englischen König an, die frisch verwitwete Christina ist ihm allerdings nicht zugetan, würde ihn nur auf Befehl

ihres Onkels, Kaiser Karl V., heiraten. Heinrich habe schließlich reichen Verschleiß an Frauen und sie habe nur einen Kopf,

hätte sie zwei, würde sie gern dem König einen geben. Unterdessen zeichnet Holbein die Herzogin.

Heinrich sieht sich die Skizzen Holbeins an und lobt die Schönheit der Damen, stellt sich jedoch gleichzeitig die Frage,

wie glaubhaft ein Bild sein kann. Holbein könne, um ihm zu schmeicheln, die Porträtdarstellungen idealisieren.

Cromwell weist nochmals auf die Kleve-Schwestern hin, hebt ihr „einfaches, aber freundliches Gemüt“ hervor und wiederholt

sein politisches Argument. Holbein soll daraufhin Anna malen.

Cromwell erteilt Holbein den Auftrag und insistiert darauf, das Porträt Annas ggf. zu schönen. Auf Holbeins Nachfrage,

im Zweifelsfall also „lügen“ zu müssen, entgegnet der Protestant Cromwell seinerseits mit der rhetorischen Frage, ob nicht

„alle Kunst Lüge“ sei.

Heinrich öffnet eine kleine Dose mit einem Miniaturbildnis der Anna von Kleve und lobt die „angenehme Erscheinung“.

Cromwell zitiert ergänzend Sir John, der über Anna zu berichten weiß: „Sie sticht die Herzogin von Mailand aus so wie die goldene

Sonne den silbernen Mond überstrahlt.“ Cromwell weist nochmals auf die militärische und finanzielle Hilfe der protestantischen

Liga hin, die ein Bündnis mit Kleve einbringe.

Heinrich wartet auf die Ankunft Annas, dabei zweifelt er immer noch an der Glaubwürdigkeit der bildlichen Darstellung

und der Lobpreisungen. Daher macht er sich mit seinem Gefolge auf den Weg nach Rochester, um Anna endlich real sehen

zu können.

Als Heinrich Anna zum ersten Mal sieht, zeigt er sich negativ überrascht und begrüßt sie förmlich.

Daraufhin reitet er ab.

Bei seiner Rückkehr an den Hof ruft Heinrich erbost seinen Rat zusammen, dem er vorwirft, ihn getäuscht zu haben in Bezug

auf Anna von Kleve. Diese sähe aus „wie ein Gaul, eine flandrische Mähre“. Dabei nimmt er insbesondere Cromwell ins Visier,

den er erzürnt fragt, wie man sich denn nun von der neu auserkorenen Königin wieder befreien könne.

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KUNST+UNTERRICHT 376 I 201318

Ausgehend von den Vorarbeiten nah-

men die Jugendlichen dabei zuerst eine

räumliche Anordnung der Abbildungen

vor, versahen das Plakat mit einem Pfeil-

system und zeichneten dann die Bezie-

hungssymbole mit erläuternden Stich-

punkten ein. Die entstandenen Plakate

wurden schließlich in einem Galeriegang

wechselseitig durch die Schülerinnen und

Schüler begutachtet. Mit entsprechend

bereitgestellten Farbkarten erhielten die

Gruppen in dieser Phase die Möglichkeit

der Beurteilung, wobei Zustimmung über

die Beschriftung grüner Karten erfolgen

sollte, während gelbe Karten für die Arti-

kulation von Unklarheiten stand und Rot

für inhaltliche Kritik genutzt werden sollte.

Diese Methode der kartengestütz-

ten Metareflexion über Plakatentwürfe

(Formkritik, s. Einführung S. 4 ff.) erwies

sich als idealer Aufhänger für eine plenare

Anschlussdiskussion, da sie ihrerseits eine

Fragehaltung auf Seiten der Strukturbild-

produzenten anbahnen konnte. So lag z. B.

bei einer Gruppe eine gelbe Karte an der

Abbildung Holbeins mit dem Hinweis „Po-

sition?“. Der Künstler wurde mit dem Staats-

mann Cromwell an den oberen Rand der

Grafik gesetzt, während der König selbst

im Zentrum positioniert wurde. Andere

Gruppen hatten diese Anordnung genau

anders herum vorgenommen (Abb. 4a

u. b). Das Gespräch zeigte hier variable

räumliche Ausdrucksformen für Hier-

archieunterschiede. So operierte eine

Gruppe mit der Idee eines vertikalen Ge-

fälles (oben / unten), eine andere mit dem

Strukturkonzept von Zentrum / Peripherie,

wobei Heinrich die Machtmitte einnahm.

Eine dritte Gruppe ging demgegenüber

pragmatisch vor und rückte Holbein ins

Zentrum, weil dieser die am stärksten ver-

netzte Figur in dem Quintett markiert, die

als Alleinstellungsmerkmal zu allen ande-

ren eine direkte Beziehung unterhält.

Bei den Pfeilanordnungen konnten

hingegen kaum Unterschiede festge-

macht werden. Bevorzugt wurde insge-

samt die Differenzierung zwischen durch-

gezogenen und gestrichelten Linien als

Anzeichen für die Opposition direkter und

indirekter Kontakte. Eine Schülergruppe

löste diese Aufgabe durch eine Abstufung

Entwicklung eines Schaubildes – Beziehungsstrukturen

veranschaulichen

Gute Schaubilder sind nicht dazu da, alle Fragen zu einem Thema zu beantworten,

sondern vielmehr neue Impulse für weiterführende Fragen zu liefern. Vor allem sollen

sie dem Schaubildproduzenten aber dazu dienen, bestimmte Abhängigkeiten sowie

Ursache-/Wirkungszusammenhänge überhaupt erst wahrzunehmen und somit zu

verstehen. Hierzu sind in der praktischen Gestaltung schnell decodierbare Zeichen

und Symbole hilfreich, die in ihrer Bedeutung eindeutig festgelegt sind.

weibliche Figur

männliche Figur

Abstammungslinie

eheliche Beziehung

nicht eheliche Beziehung

Trennung, Scheidung

5 I Otto Neurath (1882 – 1945) Isotype (International System of Typographic Picture Education)

aus:

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6 I Bildsymbole für Figurenkonstellationen

Freundschaft

schwache Verbundenheit

Feindschaft

Stärke der Beziehung

Tod einer Figur in der Geschichte

Reihenfolge von Beziehungen

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KUNST+UNTERRICHT 376 I 2013 19

ZENTRALES UNTERRICHTSBEISPIEL

7 I Schülerarbeit (Oberstufe) Schaubild II „Zentrales Dilemma“

der Linienstärke. Allerdings erlaubt diese

lediglich graduelle Variation keine Abbil-

dung kategorialer Unterschiede. Ein Schü-

ler wies zurecht daraufhin, dass Heinrich

Christiana von Dänemark nicht nur „ein

bisschen, sondern überhaupt nicht“ zu

Gesicht bekäme.

Bei den grafischen Symbolen konnten

Unklarheiten zumeist durch die beigefüg-

ten Texterläuterungen beseitigt werden.

Positiv hervorgehoben wurde hier vor

allem die Kombination eingängiger Icons,

wie die Synthese des „facebook“-typi-

schen „I like“-Daumens mit einer abstrak-

ten Schemazeichnung des Frauenporträts.

Zu dieser Grafik entstand zudem ein inver-

tiertes Pendant mit einer nicht gerahmten

Frauengestalt als Indikator für die „echte“

Anna von Kleve. Die zusätz liche Farb-

kodierung verstärkte diesen Gegensatz

(Abb. 4a).

Diese mehrphasige induktive Gestal-

tungsarbeit mit anschließender Evalua-

tion diente als Diagnose element, um den

Grad der kognitiven Durchdringung be-

zogen auf die Aufgabenstellung anschau-

lich zu erfassen. Falsche oder nicht hinrei-

chend differenzierte Visualisierungen sind

hierbei problematisiert und gleichzeitig

sind bestimmte „best-practice“-Lösungen

exponiert worden.

Ebenso große Bedeutung kam jedoch

dem Umstand zu, dass alternative Bild-

lösungen als gleichwertig in ihrem Er-

kenntnispotenzial erkannt wurden und

dass die Visualisierungsergebnisse insge-

samt nicht als statische Wanddekoration

endeten, sondern permanent in einen

dialogischen Prozess eingebunden wa-

ren, in dem Formfragen immer wieder als

„Türöffner“ für inhalt liche Problematisie-

rungen funktionalisiert werden konnten.

Schaubild II „Zentrales Dilemma“

In einer erweiternden Transferaufgabe,

die häuslich zu bearbeiten war, sollte je-

der Kursteilnehmer eine weitere Grafik an-

fertigen – diesmal jedoch ausschließlich

zu den zentralen Dilemmata des im Film

dargestellten figürlichen Szenarios. Ge-

fordert war demnach eine konsequente

grafische Anwendung der im Plenumsge-

spräch diskutierten Gestaltungsaspekte

sowie ein gewichtendes Umgruppieren

und Neuarrangieren der Strukturgrafik.

Ziel des Arbeitsauftrages war, die Sen-

sibilität der Schülerinnen und Schüler für

die Modellhaftigkeit von Schaubildern

zu erhöhen. Mit dem Wechsel des Wahr-

nehmungsfokus wird stets zugleich auch

immer eine andere, angemessene Visuali-

sierungsform erforderlich. Strukturbilder

sind im Idealfall nicht Endpunkt, sondern

Ausgangspunkt für weiterführende Struk-

turbilder als „Veräußerungen des Denkens“

(vgl. Einführung, S. 4 ff.).

So zeigten sich auf den zweiten Plakat-

bildern denn auch einige neue Raumord-

nungen. Ein Schüler schloss Heinrich in

einen eigenen Raum „Königshof“ ein, der

von der Umwelt getrennt war (Abb. 7). In

der fehlenden Möglichkeit, einen direkten

Kontakt zu seinen potenziellen Bräuten

herzustellen, sah er für den König ein zen-

trales Dilemma. Aus dieser Grundstruktur

ergab sich zugleich die weitere Anlage der

Grafik, die Cromwell und Holbein quasi als

Mediatoren, als „Ohr“ und „Auge“ Hein-

richs zeigt. Genau durch diese Mittlerrol-

le ergaben sich für den Schüler weitere

Konflikte, da eigene Motive der „Berater“

die Informationsübertragung filtern und

die Beurteilung der „Realität“ durch den

König beeinflussen. Sehr überzeugend

wurden die eingehenden Pfeile dabei zu

den passenden Sinnesorganen des Königs

gelenkt.

Dieses Strukturbild ist Ausdruck einer

erhöhten Abstrak tionsfähigkeit und kann

auch für eine fruchtbare Anschlussdiskus-

sion genutzt werden. Die symmetrische

Anlage der Grafik sowie die identische

Linienstärke der Pfeile suggeriert näm-

lich eine relative Gleichgewichtigkeit der

Einflussfaktoren.

Diese Darstellung konnte im nachfol-

genden Plenumsgespräch problemati-

siert werden. War nun von einer „gleich

verteilten Schuld“ der beiden Berater

am Scheitern der Ehe auszugehen? Un-

ter Rückgriff auf die Erkenntnisse des in

der ersten Stunden angestellten Bildver-

gleichs, der Strukturbilder und vor dem

Hintergrund zu beurteilender Zitate aus

Kontaktanzeigen-Beispiele

„Bärchen? Suche etwas größeren, kräftigen, tierlieben Mann, gerne mit Bauch,

zum Reden, Rausgehen, Rumalbern und vielleicht auch Rum-knutschen.

Bin 39, 173 cm, Rubensfrau. Möchte das Leben mit Dir genießen.“

aus: „Zeitmagazin“ (Beilageteil der Wochenzeitschrift „Die Zeit“, Quelle: http://www.heft.de/anzeigeliste.php [abgerufen am 14. 06. 2011]

„Wir leben durch die Lieb´ allein … Prom. Anglophil. Tamino, 43, NR,

sucht Pamina, 28 – 38, NR, schlk., o. Anh., die über sich selbst lachen kann,

m. Neugier u. Sinn f. Zweisamkeit, Loriot, u. Literatur, Kunst u. Klassik,

Leben o. TV – Ziel: so liebe kleine Kinderlein …“

aus: „Zeitmagazin“ (Beilageteil der Wochenzeitschrift „Die Zeit“, Quelle: http://marktplatz.zeit.de/kennenlernen/ [abgerufen am 14. 06. 2011]

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KUNST+UNTERRICHT 376 I 201320

der Sekundärliteratur (s. Kasten S. 22), die

den Schülerinnen und Schülern darge-

boten wurden, sollte diese Frage erörtert

werden und eine eigene Stellungnahme

formuliert werden.

Sequenz II – Partnersuche im Heute

Die gestaltungspraktische Aufgabe bezog

sich – inhaltlich parallel zur Auseinander-

setzung mit der historischen Brautschau

Heinrichs VIII. – auf Kontaktanzeigen.

Da hier Abbilder der Suchenden nicht

vorhanden waren, musste die Erschei-

nung des Äußeren der Person mittelbar

aus dem Wortlaut des Anzeigentextes

entschlüsselt werden (Beispiele s. Kasten

S. 19).

Charaktercollage

Im Einstieg waren die Schülerinnen und

Schüler ausschließlich mit der reinen Text-

form der Kontaktanzeige konfrontiert. Da-

bei sollten sie sich mithilfe eines Schreib-

gesprächs zunächst über die Person ihrer

selbstgewählten Kontaktanzeige ausei-

nandersetzen und in der anschließenden

Diskussion erörtern, was für eine Persön-

lichkeit sich hinter der Anzeige verbergen

könne. Anhand dieser Methode themati-

sierten die Schülerinnen und Schüler im

Plenum sehr schnell die Tatsache, dass

die Anzeigentexte relativ wenig Infor-

mation zum Aussehen der Person oder

ihrer ästhetischen Präferenzen anboten.

Insofern erschien es schwierig, die ästhe-

tische Erscheinung dieser Person und ih-

res Umfeldes genauer zu definieren. Die

Jugendlichen fanden es aber wichtig, ein

umfangreicheres Bild der ästhetischen

Vorlieben der Suchenden zu bekommen,

wollte man sich denn im Ernstfall auf die

Kontaktanzeige bewerben und von Su-

chenden ausgewählt werden.

Genau darin bestand ihre gestaltungs-

praktische Aufgabe. Das Ziel war es für

jeden, anhand einer selbst gewählten An-

zeige ein eigenes Por trätfoto zu gestalten,

das auf die alltagsästhetischen Entschei-

dungen in der Lebensgestaltung der Per-

son der Anzeige passte.

Die Schülerinnen und Schüler defi-

nierten zunächst im Plenum, was sie zur

Lebensgestaltung dazu zählten: Auf der

einen Seite der Definition standen hier

konkrete Alltagsgegenstände, wie z. B.

Kleidung, Einrichtung, Fortbewegungs-

mittel, sogenannte „must have“-Gegen-

stände, aber auch Musikrichtungen. Diese

Sachwerte wurden flankiert von ideellen

Werten wie Familienbild, Lebensziele, Le-

benseinstellungen, Freundeskreis, Sport

usw.

Anhand der Daten im Anzeigetext ent-

wickelten die Schülerinnen und Schüler

eine erste Charakterversion, die neben

den persönlichen Daten die – mutmaß-

liche – gesellschaftliche Orientierung der

suchenden Person enthielt.

Sie bekamen nun die Aufgabe, asso-

ziativ Bildsammlungen in Form collagie-

render Zeitenschriftenrecherchen zur

ersten Charakterversion der / des Suchen-

den anzulegen (Abb. 8). Alternativ war es

auch möglich, eine digitale Collage aus

Webbildern zu erstellen. Als Sammlungs-

bereiche verwendeten sie die Begriffe zu

den Alltagsgegenständen der Lebens-

gestaltung. Diese Bildsammlungen aus

der assoziierten Konsumwelt der/des Su-

chenden dienten dann zur vertiefenden

Auseinandersetzung.

9 I Schaubild: Semantischer Raum der Erlebnismilieus und der Lebensstile nach G. Schulze (1992) mit Beispielen

8 I Schülerarbeit (Oberstufe) Charaktercollage auf Grundlage

eines Anzeigentextes

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KUNST+UNTERRICHT 376 I 2013 21

ZENTRALES UNTERRICHTSBEISPIEL

• Thema benennen:

Die Güte eines jeden Schaubildes lässt sich stets nur anhand

des genauen Inhaltsaspektes bemessen, den es zu veran-

schaulichen gilt. Die Absicht der Darstellung soll bereits in

der Überschrift erkennbar sein.

• Räumliche Anordnung festlegen:

Um eine geeignete räumliche Struktur für das Schaubild

ermitteln zu können, empfiehlt es sich, die zu vergleichen-

den Elemente zuvor bereits als lose Bilder oder beschriftete

Karteikarten vorliegen bzw. angefertigt zu haben. So lassen

sich durch experimentelles Verschieben auf dem Plakat

die geeigneten Positionen als unterschiedliche Nähe- und

Distanzverhältnisse ermitteln. Inhaltsbezogene Rangunter-

schiede sollen dabei bereits durch entsprechende räum-

liche Ordnungen (oben– unten, Zentrum – Peripherie) zum

Ausdruck kommen.

• Eigenschaften und Beziehungen ausweisen:

Im nächsten Schritt ist zu veranschaulichen, durch welche

Rollenmerkmale bzw. Attribute sich die einzelnen Elemente

jeweils auszeichnen und wie diese zueinander in Beziehung

stehen. Über Symbole und Pfeile sollen die Ausrichtung

(einseitig / wechselseitig), Art (z. B. direkt / indirekt, sach-

lich / förmlich oder privat / freundschaftlich), das konkrete

Anliegen sowie die Stärke der Beziehungen erfasst werden.

• Funktionale Bild-Textkombinationen nutzen:

Informationen, die sowohl bildlich als auch schriftlich darge-

boten werden, sind nicht nur leichter zu erfassen, sondern

können im Regelfall auch besser behalten und abgespei-

chert werden. Bilder oder Ikons sind unmittelbar zugänglich

und können eine Fülle an Assoziationen auf einen Schlag

vermitteln. Kurze schriftliche Erläuterungen können die

potenzielle Bildbedeutung präzisieren und die Aufmerksam-

keit auf wesentliche Inhaltsaspekte lenken.

Praktische Tipps:

• Arbeit auf großen Plakaten:

Der Abstand der im Schaubild vernetzten Elemente sollte

inhaltlich und nicht durch die Formatgrenzen des Plakates

(Platzmangel) begründet sein. Es muss hinreichend Platz

für Pfeile, Symbole und Beschriftung vorhanden sein.

Abschließend kann das fertige Plakat immer noch beschnit-

ten werden.

• Gestaltgesetz der Nähe beachten:

Die zusammenhängende Verarbeitung von Bild- und Text-

bausteinen wird erleichtert, wenn beide in unmittelbarer

Nähe zueinander stehen. Erläuternde Begriffe sollten immer

direkt an die Pfeile und Symbole geschrieben werden

(Verzicht auf ausgelagerte Bildlegenden am Plakatrand).

• Formen und Farben variantenreich einsetzen:

Inhaltlich unterschiedliche Beziehungsverhältnisse sollten

sich stets auch in der Form und der Farbwahl niederschla-

gen. Durchgezogene, gestrichelte, gewellte, gerade oder

gebogene Pfeile können bei bewusstem Einsatz somit schon

eine Bedeutungsfunktion erhalten. Verstärken lassen sich

diese Bedeutungen durch eine passende Farbwahl, die sich

an allgemein bekannten Farbsymboliken orientieren sollte.

So lässt sich z. B. Rot verwenden, um eine emotional heftige

Beziehung zu kennzeichnen, negativ (Wut) wie positiv (Liebe).

• Schriftliche Erläuterungen in Stichworten und in Druckschrift

abfassen:

Bei der Kommentierung der Beziehungsverhältnisse sollte

man sich auf bündige Adjektive (z. B. „einflussreich“, „selbst-

sicher“), Verben (z. B. „beauftragt“, „schätzt“) oder elliptische

Formulierungen (z. B. „wünscht mehr Zuneigung“, „ermutigt

zur Heirat mit …“) beschränken. Statt Schreibschrift sollte

Druckschrift verwendet werden, um die Lesbarkeit und

Anschaulichkeit des Plakates nicht zu mindern.

• Einfache und überzeichnete Bildsymbole verwenden:

Bei der Darstellung der Beziehungssymbole sollte man auf

Details verzichten und sich auf das Wesentliche bzw. eine

zentrale Eigenschaft konzentrieren. Diese kann dann in

karikaturhafter oder drastischer Übertreibung gezeichnet

werden. Eine solche Bildstrategie bindet die Aufmerksamkeit

und führt zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit

dem Dargestellten. Beigefügte Texterläuterungen können

die Bedeutung der Bildsymbole präzisieren.

Hinweise zur Konzeption eines Schaubildes

Matrix alltagsästhetischer Stile

Um das Gesamtbild des Lebensstils der/

des Suchenden zu vervollständigen, be-

nötigten die Schülerinnen und Schüler

eine Methode, mithilfe derer sie zusätzlich

verlässlichere Bestandteile des von ihnen

assoziativ angenommenen Wertekosmos

der Person generieren konnten.

Hier bot sich das Zielgruppenmodell

von Helene Karmasin an – als Analyseme-

thode zum alltagsästhetischen (Konsum-)

Verhalten unterschiedlicher Gesellschafts-

milieus und Szenen. Zusammengefasst

geht Karmasin davon aus, dass Konsum-

güter jeweils milieubezogene Konzep-

tionen des Wünschenswerten abbilden,

dass also Produkte über ihre äußere

Erscheinung und ihre kommunizierten

Verwendungskontexte auch Botschaften

über die in einer Gesellschaft konkurrie-

renden Modelle angemessenen Denkens,

Handelns und Fühlens (ästhetische Mo-

delle) zur Anschauung bringen (Karmasin

2004, S. 103 ff.). Um diese Vielfalt der Le-

bensstile in ihren verschiedenen Ausprä-

gungen systematisch zu erfassen, orien-

tiert sich Karmasin u. a. an dem Modell

der Erlebnismilieus, entwickelt von dem

Bamberger Soziologen Gerhard Schulze

(vgl. Schulze, 1992, S. 255).

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Warum heiratet Heinrichs VIII. Anna von Kleve?

„Das Antlitz des Modells wirkt wie ein billiger Stein in prunkvoller Fassung. Er ver-

schwindet unter dem Reichtum der Juwelen. [Holbein] scheint es fast aufgegeben zu

haben, dem Modell etwas Interessantes abzugewinnen, und verwendet seine Kunst

lieber auf eine eindrucksvolle, autonome Komposition. Heinrich ließ sich von der

Rhetorik täuschen und beschloß Anna zu heiraten. Als sie zur Trauung in England

eintraf, war er von ihrem Aussehen tief enttäuscht und nannte sie eine ‚fette flandrische

Stute’. Sechs Monate später wurde die Ehe durch Parlamentsbeschluß aufgelöst, und

Holbein fiel allem Anschein nach beim König in Ungnade. Zum eigenen Nachteil

hatte der König entdecken müssen, daß Konterfei nicht nur Porträt, sondern auch

Täuschung bedeutet.“

aus: Bätschmann, Oskar / Griener, Pascal: Hans Holbein. Köln: DuMont 1997, S. 192

„Immer wieder vermutete man, Heinrich [gemeint ist Henry VIII, LZ] sei durch Holbeins

Portrait bei der Entscheidung für die ihm persönlich nicht bekannte Anne von Cleve

allzu positiv beeinflußt worden: Gleichgültig, ob Holbein die Physiognomie getreu oder

idealisiert wiedergab, sicher ist, daß Heinrich das Bild als der Realität nahekommendes

Abbild akzeptierte. Sicher ist auch, daß Cromwell, der die Heirat vorangetrieben hatte,

nach dem Scheitern der Ehe in Ungnade fiel und am 28. Juli 1540 enthauptet wurde;

Heinrich lastete seine persönliche ‚Niederlage’ dem Drahtzieher Cromwell an, [der

Anna als eine der schönsten Frauen Europas pries]. Holbein dagegen überlebte die

Scheidung unbeschadet; und wenn auch keine königlichen Aufträge nach 1539 über-

liefert sind, so wurde er doch bis [zu seinem Tod] 1543 weiter bezahlt, war also nicht in

Ungnade gefallen.

Für die Reaktion, die sein Werk ausgelöst hatte, wurde Holbein nicht verantwortlich

gemacht. Grund wird einerseits seine hohe Qualität als Maler gewesen sein. Anderer-

seits wurde Holbein von Heinrich […] nur als ‚ausführendes Organ’ angesehen und

letztlich intellektuell geringgeschätzt.“

aus: Buck, Stephanie: Holbein am Hofe Heinrichs VIII. Berlin: Reimer 1997, S. 29 – 30

Schulze entfaltet den Raum der Stile dabei

modellhaft in einem vierseitigen Koordi-

natensystem.

Die eine Vertikalachse bemisst in dieser

Matrix den Grad kognitiver Differenziert-

heit zwischen den Polen Komplexität und

Einfachheit. Gemeint ist damit das jeweils

gewünschte Herausforderungs- bzw. Ent-

spannungsniveau, das jemand durch eine

bestimmte alltagsästhetische Handlung

zu erreichen gedenkt.

Die andere Horizontalachse bildet den

Grad der handlungsbezogenen Reguliert-

heit zwischen den Polen Spontaneität

und Ordnung ab. Ordnung steht dabei für

das Bedürfnis nach Sicherheit durch die

Ausführung berechenbarer Tätigkeiten

oder das Erleben vertrauter, unaufdring-

licher Settings; Spontaneität hingegen für

Selbstverwirklichung und die inszenierte

Brechung sozialer Konventionen.

Bestimmte Merkmalskombinationen

lassen sich nun auf der Grundlage dieser

Dimensionen zu idealtypischen Milieus

bzw. Stilschemata verdichten und im

Koor dinatensystem verorten.

Die didaktische Qualität dieses Struk-

turbildes ergibt sich aus der dimensiona-

len Anlage. So werden die Schülerinnen

und Schüler bei der Verwendung des

Modells nicht zu einer eindeutigen Kate-

gorisierung oder Typologisierung der zu

bebildernden Person genötigt, sondern

10 I Schülerarbeit (Oberstufe) Bewerbungsfoto eines Schülers zum Anzeigentext: „Prom. Akad. (37),

klein, schlank (Gr. 34), dklbl. Locken, sportlich, sonniges Gemüt, kulturell sehr interessiert, sucht Dich für ernst- und dauerhafte Partnerschaft, bis 30 km um Tübingen.“

11 I Schülerarbeit (Oberstufe) Bewerbungsfoto einer Schülerin zum Anzeigentext: „Ich möchte mich

verlieben: attraktiver Südländer, 31, sportlich athletisch, gebildet, niveauvoll, sucht fürsorglichen, väterlichen, finanziell unabhängigen Mann zum Verlieben. Gerne reifer. Ich bin umzugsbereit.“

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KUNST+UNTERRICHT 376 I 2013 23

können durch experimentelles Verschie-

ben auf beiden Achsen variable Nähe-

und Distanzgrade zu allen Polen und

Extrempunkten visualisieren (vgl. Zum-

bansen 2012).

Darüber hinaus erlaubt die räumliche

Ordnung eine synchrone Abbildung he-

terogener Wertewelten. Die Lernenden

können somit erkennen, dass ästhetische

Orientierungen immer auch auf Differen-

zerfahrungen beruhen, d. h. dem, was je-

weils nicht gewünscht oder ausdrücklich

abgelehnt wird.

Die Schülerinnen und Schüler erhiel-

ten neben dem beschreibenden Text

der Autorin ein Strukturbild des Modells

als Koordinatensystem, das allerdings

einzelne Leerstellen auf der vertikalen

und horizontalen Achse besaß. Die erste

Auseinandersetzung erfolgte nun über

die eigenständige Vervollständigung der

im Strukturbild fehlenden Bestandteile.

Hier waren die einzelnen Milieus und die

komplementären Aspekte des Denk- und

Handlungsstils in der Matrix stimmig zu

ergänzen.

In einem nächsten Schritt suchte nun

jeder der Kursteilnehmer aus seinen Bild-

sammlungen die Abbildungen heraus, die

er als am besten passend für den Lebens-

stil des Autors der Anzeige (vgl. Kasten S.

19) empfand. Nachdem sich die Schüle-

rinnen und Schüler in Kleingruppen zu-

sammengefunden hatten, bestand nun

die Aufgabe darin, die einzelnen Gegen-

stände in der Matrix zu verorten, um so

über die Zuschreibungen der Milieus und

Schemata im Analysemodell Karmasins

noch weitere Aussagen über das Lebens-

stilkonzept der / des Suchenden zu erhal-

ten. Damit sollte das Gesamtbild der / des

Suchenden erweitert und vor dem Hinter-

grund der erkennbaren Unterschiede zu

anderen Stilen präzisiert werden.

So wählte eine Schülerin ein Block-

haus aus Holz vor einer Naturkulisse als

Ausdruck von Bodenständigkeit und Ge-

mütlichkeit (Abb. 9). Neben dieser für das

Harmoniemilieu zentralen Werte wurde

jedoch auch noch ein auf den ersten Blick

dazu unpassendes Plastiksofa in Mund-

form und ein rotes Bärchenkissen rechts

davon positioniert. Das „Herumalbern

ZENTRALES UNTERRICHTSBEISPIEL

Für das visuelle Konzept des Porträts: Inszeniere dich selbst als Modell und erstel-le in einer Arbeitsgruppe daraus eine entsprechende Serie von Porträtfotografien.

BEWERBUNGSFOTO

Porträtfotografie:

Erstellung der Fotostrecke

(mind. 30 Aufnahmen), aus der das

bestmögliche Foto ausgewählt wird

Fotoserie – reflexive Notizen

Porträtfotografie Übung II:

Im Licht – Beleuchtung und Belichtung

und ihre Wirkung für die porträtierte Person

Fotoserie – reflexive Notizen

Alltagsästhetische Stile III:

Erarbeitung der alltagsästhetischen

Erscheinung bzw. des Stils des potenziellen

Bewerbers sowie des Fotoshootings

Konzept: Skizzen, Notizen, Text, Bilder, Fotos

Alltagsästhetische Stile II:

Sammlung von Bildbeispielen für einzelne

Lebensbereiche des Bewebers auf den Kontakt-

anzeigentext mithilfe von Zeitschriften

Bildsammlung, beschreibende und reflexive Notizen

Alltagsästhetische Stile I:

Einordung des Verfassers der Kontaktanzeige in die

alltagsästhetischen Stile und Milieus nach dem Konzept

von Helene Karmasin

Text

Porträtfotografien Übung I:

Typen der Porträtdarstellung und ihre spezifische Wirkung

für die porträtierte Person umgesetzt im Medium Fotografie

Fotoserie – reflexive Notizen

Du bist Single, allein – ein Zustand, den du ändern willst.

Wähle eine Kontaktanzeige aus. Lies den Anzeigentext genau und stelle dir

vor, eine Person zu sein, die durch die Aussagen der Anzeige angesprochen

wird.

Du bist nun motiviert, die Autorin bzw. den Autor der Anzeige kennenzu-

lernen und willst dich dem Suchenden mit einem Porträtfoto präsentieren.

Entwickle anhand der Stationen des Arbeitsprozes-ses für dich ein Konzept für eine fiktive Person und deren Por-trätfotografie, die zur Anzeige bestens passt. Statio

nen

des A

rbeitsp

rozesses

Aufgabe: Partnersuche im Heute

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KUNST+UNTERRICHT 376 I 201324

als saturiert-ernstafter Lebenspartner für

eine promovierte Akademikerin mit son-

nigem Gemüt (Abb. 10) oder als gebildeter

homosexueller Mittfünfziger mit fürsorg-

licher Ader (Abb. 11).

LiteraturBouchon, Catherine: Infografiken. Einsatz, Gestal-

tung und Informationsvermittlung. Boizenburg 2007.

Karmasin, Helene: Produkte als Botschaften. Frank-furt / M. 2004.

Karmasin, Helene: The Bovine Ferrari. Normierung – Mehrwert – Distinktion in Stammes- und Indus-triegesellschaften. In: Frank, Gustav / Lukas, Wolfgang (Hg.): Norm, Grenze, Abweichung. Kultursemiotische Studien zu Literatur, Medien u. Wirtschaft. Passau 2004, S. 383 ff.

Schulze, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft. Kulturso-ziologie der Gegenwart. Frankfurt / M. 1992.

Zumbansen, Lars / Zumbansen, Nils: Bildbasierte Brautschau: Hans Holbein d. J. als Hofmaler in der TV-Serie „The Tudors“. In: Impulse Kunstdidaktik 8 / 2010), S. 32 ff.

Zumbansen, Lars: Die Kunst der Grobeinstellung – Review zu Ansgar Schnurr: „Weltsicht im Plural“. Über jugendliche Milieus und das „Wir“ in der Kunstpädagogik. In: Kunst Medien Bildung | zkmb, Review 2012, www.zkmb.de/index.php?id=81 (Zu-griff: 24. 01. 2013).

* AnmerkungDie Unterrichtsreihe wurde in drei verschiedenen Lerngruppen durchgeführt.

Alltagsgestaltung auf ihrem Foto arbeiten

oder ob sie möglicherweise abweichende

Milieus nutzen wollten. „Gleich und gleich

gesellt sich gern“ oder „nur Gegensätze

ziehen sich an“.

Ebenso wie bei den Bildern zur Braut-

schau Holbeins ging es nun darum, so-

wohl die charakterlichen Eigenschaften

und ideellen Wertvorstellungen als auch

die Geschmacksvorstellung und den

mutmaßlich favorisierten Lebensstil des

Porträtierten umzusetzen. Vorbereitende

praktische Übungen zu verschiedenen

Porträttypen und Beleuchtungsmög-

lichkeiten sollten auch hier eine erhöhte

Sensibilität für die sachgerechte Abwä-

gung von Gestaltungsalternativen bei

den Schülern erzeugen. Für die Serie der

Bewerbungsfotos war letztlich zum einen

das Modell zum anderen der Kulissenraum

mit entsprechenden Attributen zu planen.

Die Schülerinnen und Schüler wählten

dabei sowohl Innenräume als auch Au-

ßenräume aus. Sie inszenierten sich z. B.

und Knutschen“, repräsentiert über die-

se beiden Objekte, wies für die Schülerin

bereits tendenziell in den rechten unteren

Quadranten des Unterhaltungsmilieus, da

diese vorgestellten Tätigkeiten den Willen

zur Spontaneität erkennen ließen. Dieses

Beispiel zeigt sehr überzeugend, dass das

Modell immer auch die Möglichkeit bietet,

bestimmte Geschmacksfassetten abzu-

bilden, die sich einer allzu schematischen

Typologie entziehen. Gleichwohl lassen

sich diese Unterscheidungen überhaupt

erst durch die polare, räumliche Struktur

visuell eindeutig ausweisen.

Selbstporträt als Bewerbungsfoto

Die erweiterte Vorstellung über den Ge-

schmack und den Lebensstil des Kon-

taktanzeigenautors sollte nun in die

gestaltungspraktische Arbeit zum Be-

werbungsfoto integriert werden. Dabei

mussten die Schülerinnen und Schüler

abwägen, inwieweit sie deckungsgleich

mit dem Autorenmilieu für die ästhetische

Das vorliegende Schaubild ist nach einem zentralistischen

Organisationsprinzip aufgebaut – mit dem König als Machtmit-

telpunkt. Jeder der fünf Figuren wird ein ikonisches Attribut

zugeordnet. Dabei fällt der unterschiedliche Spezifikations grad

der Bildsymbole auf. Wird Hans Holbein mit einem Pinsel allge-

mein über seine Profession als Maler identifiziert, ist Thomas

Cromwell analog dazu nicht als Berater ausgewiesen, sondern

wird mit einer Denkblase (gefüllt mit Geldscheinen) verknüpft.

Die Schüler erachten damit seine speziellen ökonomischen

Erwägungen in der Heiratsangelegenheit für wichtiger als seine

allgemeine Funktion als Berater. Obwohl die Schüler keinen

direkten Beziehungspfeil zwischen Anna von Kleve und Crom-

well gezeichnet haben – erschwert durch die große räumliche

Schaubild-Analyse

Distanz der beiden auf der diagonalen von Heinrich durchbro-

chenen Achse – gelingt es ihnen, durch eine ähnliche Attribu-

tierung eine indirekte Beziehung zwischen Cromwell und Anna

von Kleve zu installieren. Diese wird nämlich mit einem Geld-

sack mit identischem Währungszeichen abgebildet, als Zeichen

für die finanzielle Potenz des Herzogtums Kleve.

Auch der formalen Differenziertheit der Beziehungspfeile

kommt eine symbolische Funktion zu. Die grünen Pfeile signi-

fizieren das grundlegende Vertrauen des Königs gegenüber

seinen Beratern. Die zusätzliche farbliche Füllung des Pfeils

Richtung Cromwell dokumentiert den stärkeren Einfluss des

Lordsiegelbewahrers auf den König im Vergleich zum Hofmaler.

Andererseits zeigt das Schaubild, dass alle Figuren mit Ausnah-

me von Holbein eine konfliktbehaftete Beziehung zu Heinrich

unterhalten – dargestellt durch gezackte rote Pfeile.

Als besonders bemerkenswert erweist sich zudem die Visua-

lisierung von Unsicherheit in Bezug auf die Manipulations-

vorwürfe gegenüber Hans Holbein, Anna von Kleve geschönt

porträtiert zu haben. Diese Unsicherheit wird einerseits durch

den links nach unten zu Anna von Kleve führenden Pfeil veran-

schaulicht, welcher durch ein Fragezeichen unterbrochen ist.

Andererseits relativiert ein gestrichelter Pfeil den Betrugsvor-

wurf in Bezug auf den König, womit insgesamt eine ungeklärte

Fragehaltung der Schüler gestalterisch veräußert wird, die als

Gesprächsimpuls für die anschließende Erörterungsphase pro-

duktiv genutzt werden konnte.

12 I Schülerarbeit (Oberstufe) Darstellung der Beziehungen

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