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Charlotte Klein Theologie und Anti-Judaismus

Klein, Charlotte - Theologie Und Anti-Judaismus. Eine Studie Zur Deutschen Theolog. Literatur Der Gegenwart (Chr. Kaiser, 1975, 152pp)_OS

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Antijudaismus, Theologoe

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  • Charlotte Klein Theologie und Anti-Judaismus

  • Abhandlungen zum christlich-jdischen Dialog

    Herausgegeben von Helmut Gollwitzer

    BAND 6

  • CHARLOTTE KLEIN

    Theologie und Anti-Judaismus Eine Studie zur deutschen theologischen Literatur der Gegenwart

    CHR. KAISER VERLAG MNCHEN

    1975

  • Dem Andenken meiner Eltern und meines Bruders

    CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Biblithek Klein, Charlotte Theologie und Anti-Judaismus: eine Studie z. dt. theolog. Literatur d. Gegenwart. (Abhandlungen zum christlich-jdischen Dialog; Bd. 6) ISBN 3-459-01026-6 1975 Chr. Kaiser Verlag Mnchen Alle Rechte vorbehalten, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der bersetzung. -Umschlag von Reinhart Braun. - Satz: Schreibsatz-Studio Gerda Tibbe, Mnchen. - Druck: Sulzberg-Druck GmbH, Sulzberg im Allgu. Bindung: Hans Klotz KG, Augsburg. - Printed in Germany.

  • INHALT

    Geleitwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

    I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 II. "Sptjudentum" und "Jdische Kultgemeinde" . . . . . . . 23 III. Gesetz und Gesetzesfrmmigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 IV. Phariser und Schriftgelehrte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 V. Schuld der JudenamTode Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 VI. "Von Generation zu Generation" .................. 124

    Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 8

    Literatur ......................................... 147

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  • GELEITWORT

    o Heute mu man nicht mehr fragen, von wem wir eigentlich ge-lernt haben, da Religion und Kultur - neben ihren offenbaren Zielen - auch verborgene Tendenzen in sich tragen, die einen star-ken Einflu auf die Gesellschaft ausben und die herrschenden In-stitutionen legitimieren. Wir wissen heute alle, da Religion, also auch das Christentum, Trger von Ideologien sein kann und es auch ist. Die ideologischen Zge der Religion aber sind so tief mit ihrem eigentlichen Inhalt verwoben und haben oft unser ererbtes Bewut-sein so mitbestimmt, da es nicht leicht ist, die ideologische Ent-stellung unserer eigenen Religion zu entdecken. Intelligenz und gu-ter Wille allein gengen da nicht. Erst ein groes und furchtbares historisches Ereignis, in dem die verborgene Ideologie in einer sol-chen Zerstrung zum Ausdruck kommt, an der man nicht mehr vor-bergehen kann, ermglicht es einem weiten Kreis von Menschen, die ideologischen Zge in ihrer Religion zu entdecken. o Der Judenha und die Judenverfolgungen im Hitler-Deutschland, die zu den Vernichtungslagern im Osten fhrten, waren ein rassi-stisch-heidnisches Schreckensphnomen, das direkt nichts mit Reli-gion zu tun hatte. Zugleich aber steht fest, da dieses furchtbare, die Phantasie bersteigende Ereignis nicht mglich gewesen wre ohne die geistige Vorbereitung des Judenhasses durch die ~hristli

    c:b~P_r~ilig!, die beinahe von Anfang an Juden und Judentum nur unter dem Zeichen der Verwerfung erwhnte. Einige Christen er-kannten dies sofort, als Hitler zur Macht gelangte. Wir denken hier an Erich Petersens "Die Kirche aus Juden und Heiden" (19 33) und James Parkers "The Conflict Between the Church and the Synago-gue" (1934). Diese Autoren versuchten, den in der christlichen Pre-digt verborgenen Judenha bewuter zu machen und zugleich, als Korrektiv, die Juden vom christlichen Glauben her in einem positi-veren Lichte darzustellen. o Nach dem Kriege und der Ausrottung von sechs Millionen Juden studierten christliche Arbeitsgruppen in vielen Lndern den Juden-ha in der christlichen Literatur. Dabei stellte sich heraus, da die anti-jdische Ideologie viel tiefer in der christlichen Predigt und so-gar in einigen Teilen des Neuen Testamentes verankert ist, als man

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  • zuerst meinte. Papst Johannes XXIII. verlangte vom Vatikanischen Konzil eine Erklrung ber die jdisch-christlichen Beziehungen, die Richtlinien fr Predigt und Religionsunterricht geben sollte, die es den Christen ermglichten, sich von der judenfeindlichen Ideolo-gie zu lsen. Die vatikanische Erklrung war nur ein Anfang. Seit-dem sind in vielen Lndern Katechismen und Schulbcher neu be-arbeitet und theologische Abhandlungen anders geschrieben wor-den. Christen wollen das Judentum nicht mehr als entartete Reli-gion darstellen, nicht mehr die Phariser als Legali~_en und Heuch-ler kennzeichnen, nicht mehr das jdische Volldr die Kreuzigung verantwortlich machen, nicht mehr die jdische Herkunft J esu, Ma-riens, der Jnger und der ganzen Frhkirche vertuschen, nicht mehr die Synagoge als von Gott verlassen darstellen, nicht mehr von den Juden als dem von Gott verfluchten Volke sprechen. Christen ge-statten es nicht mehr, da die Predigt der Frohen Botschaft eine Karikatur des Judentums entwirft, die zur Verachtung der Juden fhrt und die ungerechte Behandlung der Juden zu legitimieren scheint. o Trotz dieser Bemhungen seitens kirchlicher Behrden und eini-ger Theologen hat sich eigentlich nicht viel in der Kirche gendert. Dies ist jedenfalls die Meinung der Theologen, die sich mit diesem Problem befat haben. Das hier vorgelegte Buch fragt nun auch, wie man heute in der christlichen Kirche ber Juden denkt und spricht. Hat nach Auschwitz eine Ideologie-Kritik stattgefunden? Oder spricht man noch immer so wie frher? Sind sich wenigstens die Theologen und die Theologiestudenten darber im klaren, da sie von den Juden nur verantwortlich sprechen drfen und jeden Ausdruck vermeiden sollten, der die Verachtung des jdischen Vol-kes frdert? Oder denken heute christliche Lehrer gar nicht mehr an Auschwitz, wenn sie von Juden sprechen? Ist Auschwitz etwas, was die christliche Kirche in Deutschland nichts angeht? o Der anti-jdische Zug ist tiefer im Christentum verwurzelt, als man zunchst meinte. Deswegen haben die Anstrengungen des Va-tikanischen Konzils und anderer kirchlicher Behrden so wenig Er-

    - folg gehabt. Es ist nmlich sehr schwer, die Verkndigung des Evan-~ geliums von der Negierung des jdischen Volkes zu trennen. Denn wenn wir J esus als den Messias verkndigen, in dem alle gttlichen Verheiungen in Erfllung gegangen sind, dann lassen wir keinen geistigen Raum fr eine Religion, die es nicht glaubwrdig findet, in einer haerfllten und gewaltttigen Welt von der Gegenwart des Messias zu sprechen und die nun noch weiter auf das messianische Zeitalter warten will. Es ist daher nicht leicht, J esus Christus zu

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  • verkndigen, ohne da dies zugleich eine Negierung der Juden be-inhaltet. Als Kirche verstehen wir uns als das auserwhlte Volk, welches das jdische Volk abgelst hat, denn durch seine Untreue habe sich dieses Volk auerhalb des gttlichen Bundes gestellt. So heit es ja schon im Matthusevangelium. Darf man sich wundern, da diese geistige Negierung der jdischen Existenz sich in eine rechtliche und politische Negierung umsetzte, sobald die Kirche zum siegreichen Kulturkreis der antiken Welt gehrte? o Mu nun die christliche Botschaft immer judenfeindlich bleiben? Oder ist die Negierung jdischer Existenz eine ideologische Verzer-rung der Heilswahrheit, die zu entdecken der Kirche erst nach Ausch-witz gelungen ist? Hier gehen die Meinungen auseinander. Es gibt jedoch heute Theologen, die behaupten, der anti-jdische Zug im Christentum sei nicht zu berwinden, solange die Kirche nicht die biblische Eschatologie ernst nimmt, sich nach der Wiederkunft des Herrn sehnt und so das Unheil der gegenwrtigen Zeit klarer erkennt. Erst wenn wir uns konsequent weigern, in unseren religisen Aussa-gen J esus von seinem kommenden Reich zu trennen und nicht fr die Jetztzeit beanspruchen, was erst fr die Vollendung versprochen wurde, lassen wir einen geistigen Raum fr die Wartenden, fr die Juden und andere Vlker, und kommen nicht in die Versuchung, Herrschaftstitel fr die heutige Kirche in Anspruch zu nehmen, die ihr nur im Lichte der Endzeit zukommen.

    GREGORY BAUM Professor of Theology St. Michael's College in The University of Toronto

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  • I. EINLEITUNG

    o Vor fnfzig Jahren verffentlichte George F. Moore, der bekann-te amerikanische Spezialist der Judaistik, einen Artikel in der Har-vard Theological Review!, den er "Christliche Autoren ber das Ju-dentum" nannte. In dieser mehr als fnfzig Seiten langen Untersu-chung, die keinen Anspruch auf Vollstndigkeit erhebt, stellt Moore fest, da das christliche Interesse an der jdischen Literatur immer apologetischer oder polemischer Natur war. Die christlichen Auto-ren wollten beweisen, da Jesus der in der jdischen Bibel erwartete Messias und der Sohn Gottes war. Weitere wichtige Themen dieser Schriften betreffen "die Emanzipation der Christen vom mosai-schen Gesetz, die Aufhebung der gesetzlichen Vorschriften ber-haupt, oder auch die Substitution des neuen Gesetzes Christi an die Stelle des alten; die Verstoung des jdischen Volkes von Gott, weil sie Christus verworfen haben. Ihre Nachfolge wurde dann von der Kirche, dem wahren Israel, angetreten, dem Gottesvolk, das nun al-le Verheiungen und Vorrechte, die den Juden gegeben waren, ber-nimmt."2 o Im zweiten Teil seines Artikels- der erste behandelt Werke vom 2. bis zum 18. Jahrhundert- befat sich der Autor mit zeitgenssi-schen Schriften. "Diese jngeren Autoren wrden ihre Absicht als historisch bezeichnen. Sie haben vor, Glaube und Lehre des Juden-tums zur Zeit des Neuen Testaments und in der Frhzeit der Kir-che zu beschreiben. Dabei bedienen sie sich jedoch zum allergr-ten Teil des Materials, das ihre Vorgnger gesammelt haben, ohne darauf zu achten, da dieses Material ganz anderen Zwecken diente als der einer historisch-objektiven Darstellung. Eine Auswahl von Zitaten fr polemische Zwecke ist die allerletzte Quelle, die ein Histo-rikerbenutzen darf, um eine zutreffende Vorstellung davon zu gewin-nen, was eine Religion fr ihre Anhnger wirklich bedeutet." 3 o Ein halbes Jahrhundert trennt uns von den Ausfhrungen G.F. Moores. Die letzten Autoren, deren Werke er erwhnte, waren Emil Schrerund Wilhelm Bousset, beides Deutsche, deren Bcher, im-.mer wieder neu aufge"fegi; einen fast unbersehbaren Einflu auf Generationen von Neutestamentlern ausgebt haben. Hier soll nun die Frage gestellt werden, wie weit sich in den Verffentlichungen

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  • seit 1921 bis zur heutigen Zeit die von Moore anhand der damali-gen Schriften kritisierte Darstellung des Judentums verndert hat oder ob sie vielleicht die gleiche geblieben ist. o Zuerst mu etwas ber die J:..i!_er-_:g_ur gesagt werden, um die es sich hier handelt: whrend Moore seinen Artikel noch "Christli-che Autoren ber das Judentum" nennen konnte, mu heute ein Unterschied gemacht werden: ~s gibt eine Reihe von sachgemen christlichen Darstellungen des Judentums in wohl allen westlichen Sprachen und auf allen Ebenen, die ehrlich versuchen, ihrem The-ma gerecht zu werden4. Diese Werke, die sich direkt eine Darstel-lung des Judentums zur Aufgabe gemacht haben, scheiden aus. Es sollen h~rausschlielich jene Autoren zu Worte kommen, die sich mit dem Judentum deshalb befassen, weil sie ber das Christentum, seine Ursprnge und Theologie, sein Verhltnis zum sogenannten Alten Testament, sprechen und daher eine Auseinandersetzung mit den jdischen Ideen, Parteien und Zustnden der frhen christli-chen Jahrhunderte nicht umgehen knnen. In Deutschland werden Werke dieser Art oft ,,~eut~_g_:~,l!l~_l1_tli_c:l1e_~~_g~ss:l:~.ll_!e" genannt, aber sie sind nicht die einzigen, die ein Eingehen auf das Judentum nicht vermeiden knnen. So gehren in die folgende Untersuchung alle jene Schriften, die Judentum, jdisches Leben und Gedanken-gut in den Jahrhunderten vor und nach Beginn der christlichen ra behandeln; entweder weil sie zeitgeschichtlich, exegetisch oder theo-logisch den Leser in das Alte oder Neue Testament einfhren oder ihm einen Einblick in die Entstehung der Evangelien und damit auch in das zeitgenssische jdische Milieu geben wollen. o ~~sonde~e~_w_c:~t wurde auf jene Schriften gelegt, -~ie illl_letz~~~ (o Jahrzehnt verffentlicht oder neu aufgelegt wurden und die daher wohlzu den meist gelesenen gehren. Es war allerdings unmglich, von den Werken frherer Autoren abzusehen. Erstens, weil diese Werke weiterhin eine kaum geminderte Autoritt genieen, teils weil sie von namhaften Gelehrten stammen, teils weil sich das darin enthaltene Material (zB. Strack/Billerbeck) tatschlich nirgendwo anders in einer solchen Flle und handlichen bersieht findet. Ein anderer Grund, warum auf frhere Autoren zurckgegriffen werden mu, ist der, da auch die heutigen Verfasser dies selbst immer wie-der tun, dh. da bei vielen kein neues, selbstndig aus jdischen Quellen erarbeitetes Material vorgelegt wird, sondern da die Werke der sechziger Jahre sich auf die Arbeiten ihrer Vorgnger der frhe-ren Jahrzehnte berufen und diese auch weiter als magebend auf-fhren. o Es sei noch betont, da es sich im folgenden um ~er~ handelt,

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  • die in erster Linie fr Theologiestucienten an Universitten und Hochschulen bestimmt sind. So wurden im allgemeinen Schriften populrer Art ebensowenig bercksichtigt wie jene Bcher, die un-mittelbar fr den Religionsunterricht an Schulen gedacht sind. Es wre sicher eine wichtige Aufgabe, eine Untersuchung des kateche-tischen Materials in Deutschland zu unternehmen. Anstze dazu gibt es wohl5, es ist aber zu keiner sorgfltig wissenschaftlichen Oberprfung gekommen, wie dies in Frankreich, England, Belgien, den Vereinigten Staaten und sogar in Italien und Spanien der Fall war. Die Ergebnisse einer oberflchlichen Analyse in Deutschland schienen zu zeigen, da dieses Material keinen "Antisemitismus" enthalte, und damit gab man sich zufrieden. o Die folgende Untersuchung befat sich hauptschlich mit Wer-ken in deutscher Sprache, doch wurden einige einschlgige Schrif-ten in fran-zosiScn zum-Vergleich mitherangezogen. Da es sich meist um deutschsprachige Werke handelt, hat mehrere Grnde: es war kein Zufall, da bereits 1921 G.F. Moore in dem oben erwhn-ten Artikel von den zeitgenssischen Autoren fast ausschlielich Deutsche zitierte und ihre Darstellung des Judentums scharf kriti-sierte. Er warf ihnen eine ungengende, einseitige Auswahl der jdi-schen Quellen vor, eine apriorivorurteilsvolle Haltung diesen Quel-len gegenber und beanstandete ihre durchgehende Methode des Vergleiches, die darauf hinauslief, alles Jdische herabzusetzen und alles Christliche auf Kosten des Jdischen aufzuwerten. Es kann nun behauptet werden, da dies im angelschsischen Raum allgemein nicht der Fall ist, auch wenn aus Zeit- und Platzmangel der Beweis hier nicht geliefert werden kann. Es handelt sich um fundamentale und nicht quantitative Unterschiede. Eine vergleichende Studie w-re hier angebracht und aufschlureich. Sie wrde die Ursachen die-ser unterschiedlichen Behandlung der gleichen Themen ermitteln, Unterschiede, die zB. von Lightfoot und Wagenseil im achtzehnten Jahrhundert bis zu W.D. Davies und Martin Nothin unserer Zeit festgestellt werden knnen. Es ist wahrscheinlich, da man unter den

    Ursach~I1 fr die negative Beurteilung des Judentums in Deutsch-land einmal die Feindseligkeit Luthers dem "Gesetz" und den "Wer-ken" gegenber finden wrdeiber auch die"aifgemeine kulturelle und politische Einstellung dem zeitgenssischen Judentum gegen-ber hat hier mitgespielt, eine Einstellung, die auf dem Kontinent bis in die Neuzeit recht verschieden von der anglo-amerikanischen war. o Die hier angefhrten Autoren sind sowohl evangelisch als auch !

  • seinen Grund: bis vor ungefhr dreiig Jahren gab es kaum eine un-abhngige katholische Bibelwissenschaft, und die katholischen Ge-lehrten sind daher weit weniger zahlreich als ihre evangelischen Kol-legen. Seit einiger Zeit wird auch, zumindest auf Universittsebene, kaum ein Unterschied gemacht in der Benutzung von Werken katho-lischer oder evangelischer Gelehrter. So sind denn hier auch beide unterschiedslos zitiert, obwohl hier und da eine gewisse Tendenz auf den einen oder den anderen Ursprung verweist: bei einem evan-gelischen Schriftsteller wird diese oder jene geistesgeschichtliche Strmung der Kirche seiner Zeit deutlich; bei dem Katholiken sei-ne Abhngigkeit von dogmatischen Schulmeinungen, die seine Sicht von vornherein bestimmen und verengen. o Obwohl im Hauptteil dieser Arbeit noch fter darauf zurckzu-kommen sein wird, scheint es hier am Platze, etwas ber den direk-ten Anla dieser Arbeit zu sagen: Im Laufe einer Vorlesungsreihe an einer--deutschen Hochschule in den Jahren 1970-71, "Einlei-tung in das Neue Testament" genannt, versuchte die Dozentin, den Hrern einen objektiven Einblick in das Judentum der Zwischente-stamentlichen Zeit zu vermitteln. Es war beabsichtigt, ihnen das j-dische Schrifttum jener Jahrhunderte und seine traditionelle Exege-se, die Begriffe von Midrasch, Halachah und Haggadah, die messia-nischen Erwartungen zur Zeit J esu im spezifisch jdischen Selbst-verstndnis klar zu machen, ohne in die frhere vergleichende und abwertende Methode zu verfallen. Die Studenten gehrten im Durchschnitt dem ersten bis vierten Semester an, ihr Alter schwank-te zwischen zwanzig und dreiig Jahren. Vielleicht war es etwas ris-kant, ihnen als Freiarbeit, unter anderen, das folgende Thema zu stellen: "Wie erklren Sie das allgemeine Unverstndnis seiner Um-welt J esu gegenber?" Die Dozentin war allerdings nicht darauf ge-fat, da alle Studenten, die dieses Thema whlten, es vllig nega-tiv behandelten. Sie lieferten formell durchaus sorgfltig aufgebau-te Arbeiten. Der Inhalt hingegen, mit genauer Angabe der Quellen und Zitate, so wie ihre Schlufolgerungen, entsprachen einer Dar-stellung des Judentums, wie sie sie nicht in der allgemein gut be-suchten Vorlesung gehrt hatten, sondern wie es seit eh und je bei Schrer6 und seinen Nachfolgern beschrieben wird. Die Studenten waren grndlich vorgegangen, sie hatten die ihnen reichlich zur Ver-fgung stehenden einschlgigen Werke der verschiedensten Autorit-ten zu Rate gezogen und keinen Unterschied zwischen evangelischen und katholischen Autoren gemacht. o Das Resultat dieser Arbeiten war so unerwart~~11_e_g3:tiy, da es die Bestrzung nicht nur der Dozentin selbst, sondern auch der an-

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  • deren Professoren und Assistenten hervorrief, die Altes und Neues Testament an dieser Hochschule lesen. Es mu sofort betont wer-den, da es sich hier keinesfalls um eine Erscheinung von Antisemi-tismus im blichen Sinne handelt. Keiner der Studenten und kein Mitglied des Lehrkrpers war sozusagen "vorbelastet". Die Ursa-chen fr die antijudaistische Behandlung dieses - es sei zugegeben-schwierigen Themas, liegen auf einer anderen und bis heute zu we-nig erforschten Ebene. Sie scheinen die direkte Folge der Art und Weise, wie Hochschulprofessoren im allgemeinen von Juden und Judentum sprechen und schreiben, wenn es ihnen darum geht, das Christentum in seinen Ursprngen und frhen Lehren darzustellen. Die Aufstze der Studenten sind insofern wichtig und aufschlu-reich, als sie, in ihren Bibliographien, Anmerkungen und Zitaten, darauf hindeuten, welche Bcher heute zu Rate gezogen werden, was ihnen darin ber das Judentum gesagt wird, und da der durch-schnittliche Theologiestudent heute die ihm angebotene Informa-tion weiterhin unkritisch aufnimmt - trotz der geschichtlichen Er-eignisse der letzten vierzig Jahre. Er scheint sich in keiner Weise be-wut zu sein, da dieses Material etwa unexakt sein knnte- die Na-men der Verfasser besitzen eine fr ihn unbestreitbare Autoritt-, noch kann er ermessen, inwieweit er nun selber fr die Zukunft durch das Gelesene in seiner eigenen Haltung beeinflut wird. Dies stimmt umso bedenklicher, als die meisten dieser Theologiestuden-ten in wenigen Jahren als Pastoren oder Religionslehrer ttig sein werden und ihre ungengende und vorurteilsvolle Information ber Juden und Judentum so in weite, noch sprlicher informierte Krei-se gelangen wird. o So ausgezeichnet daher die bereits in verschiedenen Lndern durchgefhrten Untersuchungen des Schulmaterials sind, solange der Lehrer selbst im Laufe seines Studiums ein unzulngliches oder verzerrtes Bild vom Judentum erhlt, solange bewegen sich alle Ver-suche, eine objektive und verstndnisvolle Haltung zu erzeugen, in einem circulus vitiosus. Es scheint bemerkenswert, wie wenig Ein-druck die geschichtlichen Ereignisse der letzten Jahrzehnte auf Hochschullehrern hinterlassen haben; sie haben wohl nur in sehr wenigen Fllen zum Versuch einerneuen Deutung des Verhltnis-ses zwischen der jdischen Gemeinde und der jungen christlichen Kirche und ihrem theologischen Verstndnis von der Rolle des J u-dentums gefhrt. o Kurz vor Abschlu dieser bersieht erhielt die Verfasserin das eben erschienene Buch "Judentum im Christlichen Religionsunter-richt", das die folgenden wichtigen uerungen enthlt: "Man kann

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  • sich wahrlich ber die Menge der Bcher und Zeitschriftenaufstze zur neutestamentlichen Exegese in den letzten Jahren in Deutsch-land nicht beklagen ... aber eine Untersuchung vermisse ich seit ln-gerer Zeit: ein Buch ber den ,Antijudaismus in den Verffentli-chungen deutscher Neutestamentler seit 1945 '. Allein die statisti-sche Basis dieser Untersuchung wrde viel Kraft und Zeit kosten, aber vor allem mu man fragen, wer von uns deutschen Theologen denn das Judentum so gut kennt, da er alle unsachgemen Aus-sagen ber das Judentum und sein Verhltnis zum Christentum berhaupt finden kann. Und last not least: Wer von uns hat den Mut, ein solches Buch zu schreiben? - Er mu befrchten, sich zwischen alle theologischen Sthle bzw. Schulen zu setzen!"7 Heinz Kremers, der Autor dieses Beitrages, macht dann darauf auf-merksam, wie sehr cieutsc:he Studenten schockiert sind, wenn sie j-dische Forschungen amerikanischer Autoren lesen und dann feststel-len mssen, wie sehr diese von deutschen Gelehrten ignori~rt _ od_er ~!!!_gellt w!~
  • zitiert, ohne da man sich um die jdische Quelleninterpretation kmmert und ohne da man das jdische Selbstverstndnis befragt. 6) Man findet oft einen auffallenden Unterschied bei demselben Autoren, wenn er ausdrcklich in einem kumenischen Zusammen-hang vom Judentum spricht oder wenn er von der christlichen Reli-gion handelt und dabei das Judentum wie nebenbei erwhnt. o Bevor in den weiteren Kapiteln eine eingehende Untersuchung des relevanten Materials unternommen wird, sei hier kurz zu jeder der obigen Thesen ein Beispiel angefhrt:

    o Zu 1) "An ihm [J esus] fand die Geschichte Israels vielmehr ihr eigentliches Ende. Wohl aber gehren zur Geschichte Israels der Vorgang seiner Ablehnung und Verurteilung durch die Jerusalemer Kultgemeinde. Sie hatte in ihm nicht das Ziel erkannt, auf das verborgen die Geschichte Israels hinfhrte ... Nur we-nige hatten sich seinem Weg angeschlossen, und von ihnen ging nun etwas Neues aus. Die Jerusalemer Kultgemeinde ... verschlo sich diesem Neuen. Die Geschichte Israels eilte danach schnell ihrem Ende zu."8 o Zu 2) "Mit der Ankunft des Neuen Bundes ist der Alte Bund veraltet. Die christliche Offenbarung hingegen ist ewig jung. Diejenigen aber, welche sie vor-bereiten, haben mit ihrem Kommen den eigentlichen Sinn ihres Daseins verlo-ren ... Es ist in einem gewissen Sinne paradox, da das alttestamentliche Got-tesvolktrotz dieser beralterung gleichzeitig mit dem neutestamentlichen noch weiter besteht. "9 o Zu 3) "Selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit finden." Das alttestamentliche ,Wer nach Gerechtigkeit und Gte strebt, findet Leben, Gerechtigkeit und Ehre' Spr. 21,21, klingt zu sehr nach spt-jdischer Gesetzes-frmmigkeit, als msse Gott schon in diesem Leben vergelten, worauf man sich durch Almosen etwa rechtlich einen Anspruch erworben habe. Wenn Jesus den Barmherzigen selig preist, dann in dem ,endzeitlichen' ... Sinn, wie er der Ge-meinde gelufig war."10 o Zu 4) "Damit wird es zugleich Sache der Kirche, das Judentum auf seine Aufgabe aufmerksam zu machen, vor der es bisher versagt hat, ohne es missio-nieren zu wollen; es die Propheten als vollgltige Verknder seiner Aufgabe und Jesus als ihren Fortsetzer verstehen zu lehren, der den einzelnen Juden in die Entscheidung ruft." 11 o Zu 5) "Das Kind. Mit der neuen Stellung, die Jesus im Bereich der anbre-chenden Basileia der Frau zuweist, hngt engstens eine neue Sicht des Kindes zusammen. Die Kinder gehren in Jesu Umwelt ... zu den Geringgeschtzten. Jesus dagegen spricht den Kindern als solchen das Heil zu, so da "er die Kin-der in grere Gottesnhe rckt als die Erwachsenen." 12 (] eremias zitiert in seiner Funote verschiedene rechtliche Bestimmungen aus dem Talmud, die Kinder nicht "geringschtzen", wohl aber betonen, da sie besonderer Vor-mundschaft bentigen. Jeremias folgt hier u.a. dem Kommentar zum Markus-evangelium im "Regensburger Neuern Testament", Regensburg 1963, 188, ohne die rabbinische Sicht des Kindes richtig verstanden zu haben. Man denke

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  • nur an die Erklrung de~ Rabbi Juda, der sagte: "Sieh wie Gott die kleinen Kinder liebt. Als das Synedrin in die Gefangenschaft zog, folgte ihm die Sehechina nicht; noch folgte sie den Wchtern der Priester. Aber als die klei-nen Kinder in die Gefangenschaft abgefhrt wurden, da ging die Sehechina mit ihnen" (Lam. Rabba, 1,33, zu 1,6].) o Zu 6) In seinem Hauptwerk "Herrlichkeit" sagt Hans Urs von Balthasar in dem Kapitel "Die Trmmer des Alten Bundes": "Der vom Volk immer wieder verletzte Bund wurde von Gottes handelndem Wort eines Tages endgltig zer-brochen, aufgelst und als nicht wieder herstellbar erachtet, die Snde ber-stieg(. .. ) die durch Menschen mgliche Shne, die groe Hure Jerusalem wur-de mit Glut aus Gottes Herrlichkeit angezndet und zerstrt." 13

    o Anders allerdings in seinem Buch "Wer ist ein Christ?": "Und erst recht klein fhlt sie (die Kirche] sich in ihrem ersten, noch stammelnden Gesprch mit den Juden. Wie soll sie nur ihre Worte whlen, nach all dem, was seit bald zweitausend Jahren vorgefallen ist? ... Wie steht sie vor ihren jdischen Brdern? Sie kann vielleicht ein umfassendes Schuldbekenntnis ablegen, ausgehend vom Nichtbe-achten vieler Aussagen der Schrift: da Gott sich das Gericht vorbe-hlt ... An keiner Stelle wird die Kirche so in ihre Niedrigkeit verwie-sen wie hier. Das Wort Blamage liegt nah."14 Es ist nicht leicht, die-se beiden Aussagen desselben Autors in Einklang zu bringen. In der ersten wird Gottes Gericht ber Israel als endgltig vollzogen be-schrieben; in der zweiten wird, weit vorsichtiger, nicht Israel, son-dern das Verhalten der Kirche gegenber Israel verurteilt. o Diese Zitate machen den Hinweis auf eine besondere, nicht im-mer zu vermeidende Gefahr der vorliegenden Untersuchung not-wendig: es ist fast unmglich, jedem zitierten Autoren vllig Ge-rechtigkeit widerfahren zu lassen. Mangel an Zeit und Platz erlau-ben es nicht, einen Verfasser anders als in kurzen Auszgen zu zi-tieren. Auf seine methodologischen, philosophischen, kulturellen Voraussetzungen kann hier kaum eingegangen werden. In jedem Fall, vielleicht bis auf eine gleich zu erwhnende Ausnahme, soll anerkannt werden, da ein jeder nach bestem Wissen und Gewis-sen geforscht, gelehrt und geschrieben hat. Dies aber entzieht ihn nicht der kritischen Fragestellung jener, die die Worte des Zweiten Vatikanischen Konzils im Kap. 4 der Erkli:irung des Verhltnisses der katholischen Kirche zu den nichtchristliehen Religionen als ver-bindlich betrachten und deren Aufgabe es ist, den Text dieser Er-klrung in die lebendige Praxis der Kirche umzusetzen. Es heit dort in der endgltigen Fassung: "Darum sollen alle dafr Sorge tra-gen, da niemand in Katechese und Predigt des Gotteswortes etwas lehrt, das mit der evangelischen Wahrheit und dem Geiste Christi

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  • nicht im Einklang steht." Es ist, im Lichte der Ergebnisse dieser Untersuchung, bedauernswert, da es zu dieser endgltigen For-mulierung kam, denn es bleibt weiter diskutabel, was eigentlich die "evangelische Wahrheit" den Juden gegenber aussagt, und wie es mit dem "Geiste Christi" steht, mit dem doch sehr abschtzige, vor-urteilsvolle und verdammende Aussagen der Christen ber die Juden sich scheinbar vereinbaren lassen. Es wre fr die christliche Theo-logie, die vom Judentum sprechen mu, eindeutiger gewesen, wenn die vorletzte Fassung dieses Satzes stehen geblieben wre: "Darum sollen alle dafr Sorge tragen, da niemand in der Katechese und in der Predigt des Gotteswortes etwas lehre, was in den Herzen der Glubigen Ha oder Verachtung gegen die Juden erwecken knn-te."15 o Die eben erwhnten Ausdrcke "Ha" und "Verachtung" sind wohl zu stark fr die folgenden Ausfhrungen ber die christlichen Lehren von Juden und Judentum in der einschlgigen Literatur. Be-wut liegt beides den Autoren fern; aber Urteile ohne gengende Sachkenntnis, ein bergroes Vertrauen in ihre Vorgnger auf dem Gebiet der Judaistik, Geringschtzung, ein gewisser Mangel an Ein-fhlungsgabe, wie man sie heute oft anderen nicht-christlichen Reli-gionen entgegenbringt, dies findet sich zur Genge bei allen Autoren, deren Meinungen hier gesichtet wurden. Und die gleichen Tendenzen werden wohl bei den meisten unkritischen Lesern geweckt oder be-strkt, eben weil die Autoritt der Verfasser so unangetastet ist und ihr Wissen auf so vielen Gebieten ihnen mit Recht Weltruf verschafft hat. o Es wurde oben erwhnt, da jedem der eben angefhrten Gelehr-ten eine zumindest bewut angestrebte Gutglubigkeit nicht abge-sprochen werden soll, mit einer Ausnahme: jene Theologen, die in den Jahren der Hitlerherrschaft sich bemhten, das Christentum von seinen jdischen Wurzeln zu lsen und als "arisch" zu verklei-den. Wenn es sich bei diesen Versuchen um Pseudo-Wissenschaftler handelt, die mit dem Naziregime kamen und wieder verschwanden, lohnt es nicht, hier ihren Spuren nachzugehen. Sie gehren allen-falls in die Geschichte des kulturpolitischen Antisemitismus. Es gibt aber einige, die das, was sie in den dreiiger Jahren lehrten, entweder noch heute vertreten, oder deren Schriften in den sechzi-ger Jahren neu aufgelegt wurden. So verffentlichte Walter Grund-mann im Rahmen der "Verffentlichungen des Instituts zur Erfor-schung des jdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben" im Jahre 1940 sein "J esus der Galiler und das Judentum". Er ver-sucht dort aufzuzeigen, da Jesus, da er geistig und psychologisch

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  • vllig unjdisch war, es auch biologisch und physisch gewesen sein mute. Er sucht dies zu beweisen durch die galilische Abstam-mung J esu durch Maria und mit Hilfe der spt-jdischen Legende, vllig ungeschichtlich und rein polemischen Ursprungs, da Jesus anscheinend einen nichtjdischen Vater, einenrmischen Soldaten namens Panthera, gehabt hben--sfit:e:-Die Kindheitsevangelien, be-sonders das des Matthus mit seinem Stammbaum, waren entstan-den und zirkulierten, um diese Gerchte zu entkrften. Nun ist es wohl wahr, da kaum jemand heute, auer den aus anderen Grn-den an dieser Zeit Interessierten, dieses Buch oder andere hnliche ernst nehmen wird. o Andererseits aber ist Grundmann, trotz dieser sicherlich vergesse-nen Schrift, ein bekannter Autor auf dem Gebiete des Neuen Testa-mentes geblieben: zusammen mit Johannes Leipoldt brachte er 1965 ein oft zitiertes und von Studenten allgemein benutztes drei-bndiges Werk heraus: "Die Umwelt des Urchristentums", und man wird zu Recht fragen, ob er der jdischen Umwelt des Urchristen-tums so vorurteilsfrei gegenbersteht, wie man dies erwarten drfte. Vom gleichen Verfasser erschien 1961 in dritter Auflage "Die Ge-schichte Jesu Christi". Dieses Werk wird unten zitiert; es sei hier nur darauf hingewiesen, da der Autor zwar nicht auf seine 1940 geuerten Meinungen zurckkommt, da er aber weiter den kul-turellen und religisen Unterschied von J erusalem und Galila ber-trieben darstellt und da im allgemeinen sein Bild des Judentums einseitig und negativ geblieben ist. o Grundmann steht mit seiner Meinung der nicht-jdischen Ab-stammung J esu nicht allein, und zwar nicht nur unter den hier wei-ter nicht bercksichtigten Anhngern der "Deutschen Christen". Kein geringerer als Martin Dibelius stimmte._ihr-bereits 1939 zu. Sein Buch "J esus" ist wichtiger als das oben genannte von Grund-mann. Erstens, weil der Verfasser als einer der Pioniere der formge-schichtlichen Schule eine weltweite Autoritt geniet. Zweitens wurde dieses Buch 1960 wieder aufgelegt, und zwar in einer sehr leicht zugnglichen, billigen Ausgabe der Sammlung Gschen. In seiner Einleitung dazu sagt der Herausgeber, der bekannte Marbur-ger Theologe W.G. Kmmel, da diese meisterhafte Darstellung im Laufe der Jahre nichts von ihrem Wert verloren habe. In 'diesem Buch wird nun, so als wre dies ein Nachteil, die jdische Herkunft J esu ernsthaft in Frage gestellt. Selbst wenn J esus aus Davids Ge-schlecht war, "so ist damit weder Jesu reine jdische Abstammung gesichert noch die Herkunft aus Galila ausgeschlossen". Weiter heit es: "Sollte seine Familie ... seit Generationen in Galila behei-

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  • matet gewesen sein, so wre ein Zweifel an ihrer rein jdischen Art erlaubt."16 Eine derartige Argumentation lt bereits darauf schlie-en, da man im folgenden eine abwertende Einstellung allem Jdi-schen gegenber erwarten kann, eine Erwartung, die sich dann auch erfllt. o Auch Gerhard Kittel, der 1948 verstorbene ursprngliche Heraus-geber des flirden Exegeten und Theologen unersetzlichen ,,Theolo-gischen Wrterbuchs zum Neuen Testament", mu hier genannt werden. Er verffentlichte 19 33 sein Buch "Die J udenfrage", in dem er den Juden seiner Zeit gegenber eine ziemlich eindeutige Stellung bezieht und sie vom christlichen Standpunkt her definiert. So sind echt religise Juden nur solche, die weder liberal noch ritua-listisch sind und die zur "Geschichte Gottes ein gehorsames Ja sa-gen; das Leid der Zerstreuung ... in Gehorsam auf sich nehmen"17. Assimilation und Zionismus sind beide Verrat am Judentum, und wie lange es auch dauern mge, "das echte Judentum bleibt bei dem Symbol des ruhe- und heimatlos ber die Erde wandernden Fremdlings" 18. o Die Haltung des Herausgebers dieses wichtigen Werkes hat dann auch die seiner Mitarbeiter geprgt, so da es mglich ist, Spuren einer voreingenommenen und geringschtzenden oder zumindest wenig sympathisierenden Einstellung zum Judentum in einer An-zahl der Artikel des ThWNT zu finden, und zwar nicht nur in den Bnden, die vor 1945 erschienen sind. Auf dieses Werk wird noch zurckzukommen sein. Es sei nur hinzugefgt, da die erwhnte Idee vom "echten Judentum" als einem "ruhe- und heimatlos ber die Erde wandernden Fremdling" keineswegs nur historisches oder kulturpolitisches Interesse fr die dreiiger Jahre in Deutschland be-sitzt. Die in unseren Tagen in gewissen, sowohl rechten wie linken kirchlichen Kreisen verbreitete antizionistische Anschauung ist eng mit dieser Idee des Gehorsams gegen Gottes Geschichte mit seinem Volk Israel verbunden. Hier ist einer der Punkte, wo ersichtlich wird, da theologische Lehre und politisches Verhalten auch heute noch voneinander abhngen knnen. o Wie wenig die konkrete Situation menschlicher Beziehungen be-rcksichtigt wird, kommt auch in der Tatsache zum Ausdruck, da die christliche Theologie, wenn sie vom Judentum spricht, sich in den Jahren 1945-1971 nicht anders ausdrckt, als sie es in der Zeit vor 1945 und auch vor 19 3 3 getan hat. Dies scheint darauf hinzu-deuten, da sie sich kaum bewut ist, wie weit ihre Lehren, Ansich-ten und Haltungen die Christen den heute lebenden Juden gegen-ber beeinflut haben und noch weiter beeinflussen. Es sei noch

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  • einmal betont, da dies in den Schriften, die direkt vom jdisch-christlichen Verhltnis handeln, heute anders ist. Dort wird in ob-jektiver Weise, manchmal sogar mit von Schuld- und Shnebedrf-nis bestimmten bertreibungen auf die christliche Verantwortung auch gegenber dem sogenannten weltlichen, soziologischen Anti-semitismus gesprochen und ein gewisser, oft nicht sehr anziehender Philosemitismus getrieben. Wenn man aber die rein theologisch-exegetischen Werke untersucht, so wird nach wie vor von Juden und Judentum gehandelt, als handelte es sich um ein in einem Va-kuum bestehendes Abstraktum und nicht um eine noch heute le-bendige Gre, dh. als sprche man nicht von Millionen von Men-schen, die mitten unter uns leben. o Die in den folgenden Kapiteln aufgefhrten Autoren haben es nicht fr ntig erachtet, sich mit dem Judentum als einer noch nach neunzehnhundert Jahren weiterlebenden Religion und Lebens-form auseinanderzusetzen, sondern haben a priori gewisse Aussagen des Neuen Testaments als letztes verurteilendes Wort darber ausge-legt. o Hier liegt nun der Kern des Problems, das in dieser Arbeit nur auf-gezeigt, aber nicht gelst werden kann: Ist die traditionelle Interpre-tation der neutestamentlichen Aussagen ber das Judentum die ein-zig mgliche? Oder leidet die exegetisch-theologische Arbeit der letzten Jahre, zumindest auf dem europischen Kontinent, unter der Abwesenheit einer Theologie Israels, die, ohne die Verbindlich-keit des Neuen Testaments fr den Christen aufzuheben, es doch er-mglicht, dieses so zu interpretieren, da Israel und Judentum nicht mehr nur als paidagogos, als Wegbereiter fr das Christentum, be-trachtet werden, sondern als eine Glaubensweise, die weiter ihre Gltigkeit hat und die dazu bestimmt ist, sich Seite an Seite mit der Kirche dynamisch weiterzuentwickeln, weil in ihr der Geist Gottes am Werke ist auch in der christlichen ra. Alles, was man vom Ju-dentum der letzten zweitausend Jahre heute kennt, weist darauf hin, da es weiter eine positive Rolle in der Welt spielt, da es kein anachronistisches berbleibsel einer vergangenen Epoche ist. Aus ihm entstand die Kirche, aber mit und trotz der Existenz der Kirche hat das lebendige Judentum nicht zu bestehen aufgehrt.19 o Die Verfasserin dieser Schrift mchte selbst darauf hinweisen, da es mglich, ja vielleicht ntig gewesen wre, die zitierten Aussa-gen ausfhrlicher zu kommentieren. Sie ist sich bewut, da dies - und wohl auch die rapide gezogenen Schlsse - sie der Kritik mancher Theologen aussetzen werden. Aber es mute einmal ein Anfang gemacht werden. Auf englisch wrde man dieses Buch ein

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  • pilg_fl!!!Jiect nennen, etwa eine Pionierarbeit, die dazu dienen soll, andere, tiefer schrfende Studien herauszufordern, mit Antworten auf die hier erhobenen Vorwrfe. Sollte es auch nur gelungen sein, eine Diskussion zu entfachen, die zu weiteren Verffentlichungen zu den hier berhrten Themen fhrt, ist die Verfasserin sicher, da sich die Arbeit, trotz aller mglichen Mngel, gelohnt hat.

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  • 11. "SPTJUDENTUM" UND "JDISCHE KULTGEMEINDE"

    o Die in der folgenden bersieht angewandte Methode schien sich von selbst zu ergeben: sie ist sowohl thematisch als auch chronolo-gisch. Die Themen sind die von den Autoren selbst am hufigsten behandelten und in denen die jahrhundertalte vorurteilsvolle Hal-tung am deutlichsten zum Ausdruck kommt. Es sind auch gerade jene Themen, mit denen sich ein jeder Forscher der frhchristli-chen Zeit unbedingt auseinandersetzen mu. Die chronologische Methode dient dem Zweck, aufzuzeigen, wie sehr der heutige Au-tor von seinen Vorgngern abhngig bleibt und da er deren Zitate aus jdischen Quellen mitsamt den daraus gezogenen Schlssen bernimmt, gewhnlich ohne sie einer neuen, sachlichen Prfung zu unterziehen. Die zeitgenssischen Schriftsteller sind fr diese Un-tersuchung von grter Wichtigkeit, da es immerhin mglich er-schien, da sich hier neue Anstze zu einer dem Judentum gerech-teren und verstndnisvolleren Exegese finden. Die chronologische bersieht beginnt jedesmal mit den Bchern neuesten Datums und geht dann auf ihre Vorgnger zurck. Diese Methode erlaubt es, festzustellen, inwieweit der heutige Wissenschaftler von seinen Leh-rern abhngig bleibt und sich auf ihre Meinungen und Schlufolge-rungen sttzt. o Dieses Kapitel befat sich mit dem auch von den zitierten Auto-ren zeitlich und logisch zuerst behandelten Thema, das ihnen den unerllichen Rahmen fr die Darstellung des Judentums in der so-genannten zwischentestamentliehen Periode liefert, geht allerdings hier und da noch weiter, vom babylonischen Exil bis zum Bar-kochbaaufstand. Schon die angewandte Terminologie gibt die-sem geschichtlichen Rahmen von vornherein eine pejorative Ten-denz. o Das den hier angefhrten Autoren Gemeinsame ist ihre Auffas-sung von der nachexilischen jdischen Religion. Fr sie handelt es sich dabei um einen !3ruch _mit dem wahren Jah\Yeg~~-l1p~n des alten Israels. Es entstand etwas Neues, eine Art ethische Weltanschauung, ~ieman kaum noch Religion nennen ~:l_:r:t!! Die frhere, gegrndet auf Vertrauen und Liebe zu dem Gott, der Israel aus der Knecht-schaft erlst und zu seinem Bundesvolk gemacht hatte, gert in

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  • Vergessenheit, und es kommt zu einem fortschreitenden Verfall, der von "Israel" hinweg zum "Judentum" fhrt. o Georg Fahrer, der u.a. der Herausgeber der "Beihefte zur Wissen-schaft des Alten Testaments" ist, gibt dazu folgende Erklrung: "Tatschlich hat er [Esra] das Frhjudentum geschaffen und ihm im Pentateuch seine religise Grundlage gegeben. Ethisches und kul-tisch-rituelles Handeln wurden gleich bewertet ... Die Reform Esras leitete den Hauptstrom der J ahwereligion endgltig auf einen Weg, der von den bisher geltenden Einsichten und Grundstzen und erst recht von der prophetischen Botschaft wegfhrte. Darin handelt es sich um mehr als um eine Neuformung der Israelitischen Jahwereli-gion- es wurde der Weg zu einerneuen Religion. "1 Nur im Buche Hiob findet man eine Ausnahme, eine Vorwegnahme des "christli-chen" Gottvertrauens dem neuen "jdischen" System gegenber, und seiner "rational berechnenden Art, mit der die [postexilische] Vergeltungslehre auf die Frage nach dem Rtsel des Daseins und dem Sinn des Leidens antwortet ... er [Hiob] entscheidet sich zur Absage an das bequeme Herkommen und sichere Rechnen und zum Aufbruch ins Neue und Unbekannte. "2 Nur im Buche Hiob findet man den echt prophetischen Glauben. o Was das Judentum im allgemeinen anbetrifft, so bricht es mit der Tradition der Vergangenheit, und die nachexilische Zukunft versteht die prophetische Botschaft nicht mehr und bewegt sich daher auf ei-ner falschen Linie, einem Irrweg. Hier setzt die Entwicklung von der israelitischen Religion zum "Judentum" ein. Es wurde vergessen oder miverstanden, da die Propheten "die national-religise Da-seinshaltung berwunden" haben. "Denn der Gott, den sie verkn-den, lt sich nicht zugunsten eines Volkes oder Staates verfgen und ist nicht der Garant der nationalen Macht oder der vlkischen Kultur."3 Dem Verfasser zufolge hat somit das "J~dentum" mit dem echten, durch die Propheten verkndeten Glauben gebrochen und ihn, nach ~em Exil,- durch Kult- und Gesetzesfrmmigkeit er~ setzt. -o In seinen, im gleichenJahreerschienen "Studien" vertritt Fohrer mit noch grerem Nachdruck die Meinung von dem Gegensatz zwischen dem prophetischen Glauben "Israels" und der Absage des "Judentums" an eben diesen Glauben: "Angesichts dieses Gottes [der prophetischen Verkndigung] mu der ganze Kultus zerbre-chen und seinen Untergang finden."4 Das sogenannte "Judentum", in den folgenden Jahrhunderten "Sptjudentum'', grndet sich auf diesen Kultus. Dies ist sein Irrweg, denn "Priestertum und Tempel

    ~i!!~.f~r ~i(!Y~_r_!lj~hnmg r~_!: .. Der ganze -kultische Betrieb dient 24

  • letztlich nur der Snde, ja ist irn Grunde selber schon die Sn-d "5 e. o Wie kommt Fohrer zu dieser Schlufolgerung? Das jdische Volk - nicht mehr das erwhlte Israel Gottes - glaubt, durch den Kult alles Gott Schuldige abgeleistet zu haben, und somit im tgli-chen Leben freie Hand zu haben, seinem eigenen launischen Willen zu folgen. "Es lt Gott nicht die bestimmende Macht des Daseins sein und nimmt seine sittlichen Forderungen nicht mehr ernst."6 o Es scheint schwer verstndlich, das eben Gesagte mit der Weis-heitsliteratur dieser Zeit und mit allem, was man von der Entwick-lung und Verinnerlichung der jdischen Bibelinterpretation und li-turgischen Frmmigkeit jener Jahre wei, in Einklang zu bringen. Die biblischen Schriftsteller wie die Taralehrer haben ohne Ausnah-me den grten Wert auf den Gehorsam des Herzens gelegt, der al-lerdings seinen konkreten Ausdruck in der Erfllung aller Forderun-gen auch des tglichen Lebens finden mute. Israel hielt mit Recht nie viel von einer rein inneren Religion! Aber Fohrer geht in seiner Kritik der Abkehr des Judentums von Gott noch weiter: es war die Aufgabe Israels, "sein Dasein nicht aus eigenem Willen und mit ei-genen Zielen zu fhren, sondern ein durch Gottes Willen geformtes Dasein vorzuleben ... so ist Israel und in seiner Nachfolge das Juden-tum an dieser seiner gttlichen Aufgabe schuldig geworden, inso-fern es immer wieder aus der ihm auferlegten Daseinsform heraus-gefallen ist und Gott nur als metaphysische Sicherung fr sein eige-nes Leben hat benutzen wollen. "7 o Fr Fohrer besteht eine logische Bezieht111g zwischen dem !frweg des nache:xilischen Judentums, das seinen gttlichen Auftrag ver-kannte, und allen spteren von ihm erlittenen Kat(lS~t~ophen~1lll:d y~rfolgu.rlgen, auch in den europischen Lndern der Neuzeit, denn "es darf freilich nicht bersehen werden, da dies alles weitgehend durch den Mibrauch der in jdischer Hand liegenden Machtbefug-nisse hervorgerufen wurde - ein Mibrauch, der seine Ursache wie-derum in dem alten Abfall von der Aufgabe Israels und dem typisch menschlichen Streben nach Lebensgenu- und Sicherung hatte. "8 Das, was hier .~ypisch f!le_J:l~chlicq" genannt wird, _ig~~h_g_em Ju- den nicht gestattet, es pat nicht in die Daseinsform und Aufgabe, die -der Au tor-dem jdischen Volke vorschreibt. o Was in den Jahrhunderten nach dem Exil begann, entwickelte sich logisch weiter bis hinein in die Neuzeit: das ludenturn versteht sich als Konfession, nicht als Volk, aber es schafft nichts N eues in den Reformbestrebungen des neunzehnten J ahrhllnderts. "Es~ war lediglich die Vernein\lng des eigentlich J~dische_n zugunsten der

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  • politisch-rechtlichen Sicherung und darum die Verneinung der Auf-gabe des Judentums. Hatte es bisher die Aufgabe falsch verstanden und vor ihr versagt, so wurde sie nun berhaupt nicht mehr er-kannt. "9 Aus dem Zitierten wird bereits deutlich, wie hier Zionis-mus und Staat Israel nur ein weiteres Versagen Israels bedeuten; doch davon spter-:--o Den obigen Aussagen verwandt sind zwei von Hans Werner Bartsch 1970 in Frankfurt gehaltene Referate. Er erklrt darin, warum die Bibel auch von Juden im Staate Israel, die sich "aufkl-rerisch liberal oder atheistisch gebrden, mehr denn je gelesen wird" 10. "Um dies zu verstehen, mu man sich vergegenwrtigen, da die Religion Israels weder in der Antike noch heute streng ge-nommen eine Religion ist." 11 Israels Glaube ist keine Religion, son-dern geschichtliche Reflexion. Magebend fr dieses Geschichtsbe-wutsein ist "der Auszug aus dem Sklavenhaus gyptens in die Freiheit des Nomadendaseins bis zur Ansiedlung im gelobten Land Kanaan. Die dann folgende Geschichte ... wird daran gemessen, wie weit jene Freiheit, die Israel als die eigene Existenz bestimmend in den vierzig Wstenjahren erfuhr, in dem Lande sich erhalten und be-whrt hat. Der Untergang des eigenen Staates 587 v.Chr." und das folgende Exil "wird als die Folge der Nichteinhaltung der Freiheit im eigenen Volke ... verstanden" 12. Dies scheint eine recht willkr-liche Beurteilung der uns bekannten geschichtlich-religisen Ereig-nisse: erstens ist der Exodus aus gypten nur verstndlich als Teil eines greren Geschehens, nmlich des Sinaibundes Gottes mit sei-nem Volk mit Hinblick auf die Besitznahme des versprochenen Lan-des. Zweitens, die Befreiung, bzw. Nicht-Freilassung der jdischen Sklaven ist nur eine der Ursachen und keineswegs die hauptschliche fr die Verbannung im sechsten Jahrhundert. Sie wird nur einmal in J er 34,8-17 erwhnt. o Fr Bartsch allerdings ist diese einseitige und eigenwillige Empha-se notwendig zum Beweis seiner These, da es sich bei Israel im we-sentlichen nicht um die Sehaftigkeit eines Volkes in einem bestimm-ten Lande handelt, sondern um die Erfllung eines besonderes Ideals, fr das die Ansiedlung in einem eigenen Land nicht notwendig ist, denn Israel hat die Aufgabe, ein ethisches Ideal zu verwirklichen: "J erusalem erhielt eine Art Symbolwert fr eine soziale Ordnung, die im Gegensatz zur bestehenden Sklavenhaltergesellschaft jedem Freiheit gewhrte"l3. Diese These erscheint umso willkrlicher, als in Palstina wie in der Diaspora Juden den fr den Ackerbau allge-mein als selbstverstndlich erachteten Besitz von Sklaven durchaus annahmen, wenn auch ihre Gesetze - das Sabbathgebot, die Bestim-

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  • mungen ber das Jubeljahr - immer wieder die menschliche Be-handlung der Sklaven und auch ihre evtl. Freilassung forderten. Er jedoch fhrt seine These weiter aus: "Die Bedeutung J erusalems ist darum im Grunde nicht religiser Art. "14 o Bartschs These ist es, da die Bindung der)_~d~n an das Land Is-rael und an die Stadt J erusalem im besonderen nichts mit Religion Zll: t\l_~habe. Das ist fr ihn deshalb von hchster Wichtigkeit, weil er beweisen will, da die Staatsgrndung zu der eigentlichen Aufga-be der Juden in der Welt im Widerspruch steht. Er betrachtet es als seine Aufgabe, ihnen ihre wirkliche Sendung wieder zum Bewut-sein zu bringen. Wenn Israel auf den Besitz dieser Stadt verzichtet, dann wird "die Stadt Jerusalem ... ihre Bedeutung zurckerhalten, die sie jenseits aller nationalistischen Bestrebungen hat. Sie wird Ausdruck des Sehnens nach Freiheit, das das jdische Volk in den Ghettos erfllte."15 Die Nomadenzeit in der Wste und der Aufent-halt in den Ghettos werden hier als Idealzustand betrachtet, da da-mals die Sehnsucht nach Freiheit sich am klarsten ausdrcken konn-ten. Nur unter der Bedingung des Nicht-Gebundenseins an ein Land oder an eine Stadt kann Israel seine eigentliche Aufgabe, die es seit dem babylonischen Exil vernachlssigt hat, erfllen: frei von jeder nationalistischen Bindung zu sein und dieses Ideal inmitten anderer Vlker diesen beispielhaft vorzuleben. Wenn man an die letzten zwei-tausend Jahre jdischer Existenz unter den Vlkern denkt, ist man geneigt, Bartsch eines gewissenunbewuten Zyni_~gtus zuJ)e_:t;!_c:_~tigen, denn die jdische Geschichte dieser zwanzig Jahrhunderte ist alles andere als ein Beispiel fr ein Leben in Freiheit, o Auch fr Werner Frster ist, seit dem sechsten vorchristlichen __ J ahrhundert~asFehlen der staatlichen Selbstndigkeit nicht nur eine historische Tatsache des Judentums, sondern-zugleich eines sei-ner \V_27

  • Heilszeit, die Gott herbeifhren wird, wenn er ... das Gefngnis Israels wenden wird, unterwegs unter der Wolke des Gerichts und der Gna-de Gottes. So ist das Leben in der Fremde ein Wesensmerkmal des Judentums."17 o Dieser Ansicht nach ist die Wiederentstehung eines Staates als Fol-ge des Cyrusdekrets im sechsten Jahrhundert vChr. ein Miverstnd-nis des Willens Gottes fr Israel, eine Fehlhandlung, die notwendiger-weise zu einem falschen Verstndnis seiner Religion in den folgen-den Jahrhunderten fhren mute und in der Katastrph~yoii1 Jahr~ 70 endete. Wenn das "Leben in der Fremde'' tatschlich ein "We-sensmerkmal" des Judentums ist, so ist auch die Staatsgrndungvon 1948 nur eine Wiederholung der vor 2500 Jahren begangenen Auf-ld1nung gegen die Fgung Gottes, der nun einmal die Diasporaexi-stenz ber Israel verhngt hat. Daher stammen auch alle seit damals begangenen Irrtmer ihres eigenen Glaubensverstndnisses und ihrer eigentlichen Aufgabe: "Der aus dem Alten Testament seine Kraft ziehende Glaube, da Gott Israel aus ursachloser Liebe erwhlt hat, wird berlagert und unwirksam gemacht von der anderen Anschau-ung, da Israel erwhlt ist, weil es besser ist als die anderen Vl-ker." 18 Der Verfasser kann aus jdischen Quellen keinen Beweis anfhren, da dies je eine in Israel geltende Anschauung seiner Er-whlung war oder heute ist. Im Gegenteil, diese Erwhlung wurde immer als Aufgabe, nie als ein Vorzug und von Pflichten befreien-des Privileg aufgefat. o Das Bucltvon Ma.rtin Metzger ist deshalb besonders wichtig, weil es dem Studenten eine kurze, leicht bersichtliche Einfhrung in die Geschichte Israels bis in die neutestamentliche Zeit vermitteln will. Es kann darum aber umso leichter zu Vorurteilen fhren, weil es, um so konzis wie mglich zu sein, dem Studenten nur einige we-nige, dem Autoren charakteristisch erscheinende Beispiele anfhrt, die allerdings fr die jdische Glaubenslehre durchaus peripheral sind, was der Student natrlich selbst nicht kontrollieren kann. So wird gesagt, da "die rabbinische Schriftgelehrsamkeit im ersten Jahrhundert zu hoher li!Q~e" kam. Dies sind die_Beispiele dieser Blte: "Man errterte alle nur mglichen Flle und suchte binden-de Regeln fr alle Lebensbereiche abzuleiten. Darf man ein Ei, das ein Huhn am Sabbath legte, essen? Darf man am Sabbath einem in den Brunnen gefallenen Esel Hilfe leisten? "l? _ _'Yen!l_ge~a_dediese Beispiele als die "hohe Blte" der rabbinischen Bibelinterpreta-tion vorgelegt werden, so ist es kein Wunder, da dem christlichen Leser diese Auslegung, die ohne die dahinterstehende tiefe Vereh-rung des Gotteswortes und seiner sittlichen Forderungen als klas-

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  • sisch bezeichnet wird, als Auswuchs einer dekadenten Buchstaben-gelehrsamkeit erscheint, und er sie bertrieben und absurd findet -typisch fr das "Sptjudentum". o Es mu noch darauf hingewiesen werden, da Metzger, wie auch Fohrer, ~~_rts~h und viele andere, nicht von einem jdischenJ'q~k in seinem Land sprechen, sondern von einer "jdischen Kultgemein-de"20. Dies ist eine subtile Art, eine a priori-Haltung zu erzielen, die Nation, Religion und Land Israel voneinander trennt. Eine "Kultgemeinde" versammelt sich zu bestimmten Riten und zur Li-turgie, sie ist nicht an eine Nation oder an ein Land gebunden. Der Gebrauch des Ausdrucks "Kultgemeinde" dient eben diesem Zweck, darauf hinzuweisen, da Israel, das durch und nach der Landnahme zwlf bis zehn Jahrhunderte lang zu einer Nation zusammenge-schweit worden war, sich nach dem Exil nur mehr als eine Glau-bensgemeinschaft um den Tempel konstituierte, deren Bindeglied das kultische "Gesetz" war. Das Konzept von der Existenz einer "Kultgemeinde", die im Sptjudentum nicht mehr Volk ist, hat sei-nen politischen Einflu bis auf die jngste Zeit, denn eine "Kultge-meinde" hat als solche weder ein Anrecht auf ein Land, noch kann der Besitz eines Staates fr sie einen besonderen Sinn und Zweck ha-ben. Eine Kultgemeinde ist kein Volk mehr, sondern nur eine durch eine gemeinsame Religion verbundene Glaubensgemeinschaft. Daher auch heute die anti-zionistische Einstellung vieler christlicher Theo-logen, die gerade aus diesem - falschen - Verstndnis der jdischen Existenz nach dem Exil stammt. o Gnther Schiwy schrieb mit seinen populren, in billige_r_!\_1:1~_:: __ be-erschienenen Einfhrungen ein von Studenten viel gelesenes Werk. Fr ihn ist das Sptjudentum nur eine Vorbereitung fr das Christentum und diesem in seinen religisen Konzepten weit unter-legen. So spricht er (wie auch andere) zB. von der in zwischentesta-mentlieber Zeit viel gebrauchten Anrede Gottes als "Vater". "In die-sem hebrischen ab ... schwingt sich das religise Bewutsein des Judentums zwar bis zur Vateranrede auf, um Gott an seine Verhei-ungen zu erinnern, aber das ist noch nicht das intim-klingende, die persnliche Zuneigung und Geborgenheit des einzelnen ausdrcken-de abba der aramischen Umgangssprache, mit dem Jesus seine Ge-bete beginnt, und das diesem Vaterunser seinen eigenen, neuen Klang gibt. "21 So werden die de:r]J:t:t4en und spter_ den Christen ~_einsamen Ausdrcke verglichen und ohne guten Grun4_~_~_1!_1_1~ gunsten des]udentums abgewertet, um die berlegenheit der neu-en Religionsgemeinschaft zu beweisen, als tte es dem Christentum Abbruch, wenn es die der jdischen Gebetssprache schon lange ver-

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  • traute und Vertrauen ausdrckende Anrede "Vater" fr den immer-hin gleichen Gott einfach bernommen htte. o In dem dreibndigen Werk Leipoldt/Grundmanns, einem sehr ntzlichen Handbuch, finden sich - da die Autoren das Sptjuden-tun grndlicher studiert und dargestellt haben als die beiden letzt-genannten Verfasser- wohl Zugestndnisse an die religise Tiefe der damaligen jdischen Religion. Sie geschehen allerdings wie wi-derwillig, und positive Zugestndnisse sind gewhnlich von negati-ven Einschrnkungen begleitet, wie im folgenden, wo vom Gebet die Rede ist: "Der Glaube an den Gott, der die Geschichte seines Volkes lenkt und sein Auge auf jeden Einzelnen richtet ... kommt in solcher Gestaltung und Fhrung des Lebens in wahrhaft groarti-ger Weise zum Ausdruck", aber der Satz geht weiter: "die durch die Gefahr der Veruerlichung und Zurschaustellung der frommen Ruhmsucht und Werkgerechtigkeit nicht verdunkelt werden kann. "22 Leider wird durch die Terminologie selbst die "Verdun-kelung" bereits erreicht. o Eduard Lohse, ein wirklicher Kenner des zwischentestamentli--ehen und-spateren Judentums, geht noch einen Schritt weiter und spricht sogar der "Kultgemeinde" ihr Anrecht auf den Tempel selbst ab: "Durch den Tempel, die heilige Sttte Israels, ist die Ge-meinde der Jnger [Jesu] mit dem Gottesvolk des alten Bundes zu-sammengeschlossen.Dieser (der Tempel] ist nun aber nicht die den _Juden rechtmig gehrende Sttte, sondern er ist der Ort, an dem die Jnger Jesu, die die Erfllung der alttestamentlichen Verheiun-gen erfahren haben, das Lob Gottes erklingen lassen. Die Wende vom Alten zum Neuen vollzieht sich eben in der Geschichte Jesu: Er macht zusammen mit seinen Jngern den Tempel wieder zur

    ~ti!!t_

  • haben Gott und seinen Willen als Garanten der Gesetzesherrlich-keit des Volkes festgelegt. Je tiefer die uere Macht sank, desto grer wurde ihr Stolz und desto fanatischer ihre Hoffnung ... So ist aus dem Bunde, der in Glaube und Gnade wurzelt; der Treue ge-gen Treue, Herzenshingabe gegen Gottesgnade setzte, ein verbrief-ter Vertrag mit Recht und Anspruch geworden. "24 Dies war der groe Irrtum des Sptjudentums, dem wir im Kapitel ber das "Ge-setz" noch ausfhrlicher begegnen werden. Guardini sieht, an ande-rer Stelle, ganz richtig: "Israels Geschichte war durch seinen Glau-ben an Gott bestimmt. "25 Durch diesen Glauben konnte es sich ge-gen die umgebenden Weltmchte und ihre Kultur tausend Jahre lang behaupten. "Im Glauben an den einen Gott hatte es ber de-ren geistig-religise Krfte gesiegt - in diesem Glauben an den blo-einen Gott war es aber auch erstarrt. "26 Dies ist der Vorwurf par l excellence, der, in der einen oder anderen Form, dem nach-exili-schen Judentum immer wieder gemacht wird, ja, der glubiges Ju- : denturn zum "Sptjudentum" stempelt: es war in seinem Glauben J. erstarrt. Da einschneidende und tief-religise Entwicklungen ganz im Gegenteil seit dem Exil und Esra im Volk vor sich gegangen wa-ren - die Entstehung der Synagogen, der Gebetszeiten auch fern vom Tempel, die Reue und Shneidee, die aus diesen Jahrhunderten stammen - das wird von diesen Autoren ignoriert oder als falsche, erstarrte Gesetzesfrmmigkeit angesehen. o Von allen hier genannten Bibelwissenschaftlern darf man wohl Martin Nothals einen der bekanntesten und meistgelesenen betrach-

    ten~-Erl.st es auch, der die Existenz Israels als Volk, ja sein tatschli-ches Weiterbestehen nach dem Exil und besonders nach dem Jahre 70aJs el__l

  • des Bundes geforderte Treue nicht gehalten, die Ausschlielichkeit der einer Gottesverehrung mit allen ihren Konsequenzen nicht ge-wahrt hatte, darum sollte die damit gegebene tatschliche Kndi-gung des Bundesverhltnisses nun in groen geschichtlichen Kata-strophen ihre gttliche Verurteilung finden und dadurch zugleich von Gott aus der ,Bund' als nunmehr aufgelst erwiesen werden."27 Die Geschichte selbst beweist, da Gott dem alten Bund sein Ende bereitet hatte. o "Dadurch erhielt die Gegenwart (die Jahrhunderte zwischen dem babylonischen Exil und dem Jahre 70] das Signum einer vorberge-henden Zwischenzeit; die erfolgte Auflsung der alten Ordnung wurde gar nicht als endgltig und entscheidend betrachtet ... Daher lie man in Theorie und Praxis die Geltung der alten Gesetze beste-hen ... Das bedeutet freilich, da die Aussage der klassischen Prophe-tie ber den Sinn der geschehenen Ereignisse als einer Besiegelung des Endes des Bundes mit Gott und Volk nicht in ihrem ganzen Ernste und ihrer ganzen Endgltigkeit hingenommen wurde. "28 Noth erwhnt wohl die Bun~
  • bestehen auf, und die Geschichte Israels fand ihr Ende"31. Mit dem Barkochbaaufstand "ist es im Lande noch zu einem Nachspiel ge-kommen ... und dieses Nachspiel gehrt daher noch anhangsweise mit zur Geschichte Israels, obwohl sie eigentlich schon zu Ende war"32. Diese heroische Episode der jdischen Geschichte nennt er "ein langsames und qualvolles Sterben, in dem das noch einmal zum Leben erwachte ,Israel' zugrunde ging"33. Und "so waren die Nach-kommen des alten Israels in ihrem eigenen Heimatlande zu Fremd-lingen geworden, wie sie es sonst in der Diaspora auch waren; und ihre heilige Stadt war ihnen verschlossen. Damit endete das schauer-liche Nachspiel der Geschichte Israels."34 o Zu diesem "schauerlichen Nachspiel" gehrt allerdings noch eins, was den a priori-Standpunkt des Verfassers zwar nicht richtig stellt, ihn aber zumindest erklrt, denn die folgenden Zeilen zeigen deut-lich, aus welcher durch und durch christlichen Sicht M. Noth die gan-ze Geschichte Israels betrachtet - sie erreicht Hhepunkt und Ende im Kommen Jesu: "Jesus selbst mit seinem Wort und Werk gehrte nicht mehr zur Geschichte Israels. An ihm fand die Geschichte Israels vielmehr ihr eigentliches Ende. Wohl aber gehrt zur Geschichte Is-raels der Vorgang seiner Ablehnung und Verurteilung durch die Je-rusalemer Kultgemeinde. Sie hatte in ihm nicht das Ziel erkannt, auf das verborgen die Geschichte Israels hinfhrte; sie hat in ihm den ihr verheienen Messias von sich gewiesen. Nur wenige hatten sich seinem Wege angeschlossen, und von ihnen ging nun etwas Neu-es aus. Die J erusalemer Kultgemeinde glaubte, wichtigere Sorgen zu haben, und verschlo sich diesem Neuen. Die Geschichte Israels eil-te danach schnell ihrem Ende zu." 3 5 o Es bleibt allerdings im Grunde unerklrlich, wie Martin Noth, der auch das Judentum der folgenden Jahrhunderte kannte- er selbst starb 1969 in Israel und wurde dort begraben- nicht sehen konn-te, da diese Geschichte im Jahre 70 mit der teilweisen politischen Vertreibung aus Palstina nicht nur nicht zu Ende kam, sondern da sie ihre Entwicklung, in vlliger Obereinstimmung mit der vor-ausgegangenen biblischen und postbiblischen Vergangenheit fort-setzte, ja da in den folgenden Jahrhunderten wieder und wieder, auch unter den schwierigsten politischen Verhltnissen, die Exi-stenz des Judentums als Religion und Kultur und der Juden als Volk unter den Vlkern, Zeiten der hchsten Blte erreichte. Da -nach der Vernichtung e'lnes"l5riitds-der-judischen-Bevlkerung- ---

    !JE_f!erz_e~ ~~r~pa~_i_r1 u~~ere!Tl_l ahrhunderJ - Isr~~l di~ __ !f~ft be" sa, wieder einen eigenen Staa~ zu gr~nden, ist wohl d~r ~inqr\}cl\.svollste Beweis, da "die Geschichte Israels !l:i~-1-1_~ i_Il1l:J:~~~?Q _ _Q_g_~r

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  • 13 5 nChr. schnell ihrem Ende zueilte". o Wohl kaum ein anderer Bibelwissenschaftler hat das Verstnd-nis des Neuen Testaments so nachhaltig beeinflut wie~B_y_qQ{{Bultmann, der mit I)_ip__!:)!us der Grnder der formgeschichtlichen Schule

    _{!;t. bwohl heute oft :merk_a.J]_!l!_~_ird, da seine Auffassung des Al-ten Testaments und des Judentums einseitig und oft falsch ist, ge-nieen seine Schriften weiter eine einzigartige Autoritt. Auch fr ihn gibt es bereits in der zwischentestamentliehen Periode kein j-disches Volk mehr. "Aber kann", so fragt er, "im Ernst die jdische ,Kirche' [Kirche wie Kultgemeinde schlieen die Idee von ,Volk' aus] der persischen und rmischen Zeit als Realisierung des Gottes-volkes bezeichnet werden? Sie ist einerseits eine Gemeinschaft, die nicht durch die Krfte und Formen eines Volkslebens zusammenge-halten und gestalten wird, sondern durch die Gesetze eines theore-tisch ausgedachten Kultus und Ritus, der seine s~yolle Bedeutung fr das wirkliche Leben mehr und mehr verliert .. '36 'In seiner epoche-machenden" Theologiedes l\l~_u~!l }'eS!lJ:fil~~!s" uert er die gleiche Meinung von der eigentlichen Nicht-Existenz eines jdischen Volkes: "Er [Jesus] erhebt nicht wie die Propheten die Forderung von Recht und Gerechtigkeit, denn diese, einst fr das israelitische Volksleben entscheidende Predigt hat jetzt, da es ~io eigentlichesVolksleben kaum mehr gibt, ihren Sinn verloren."37 Es wre interessant, zu fra-gen, worin denn fr ihn ein "eigentliches Volksleben" besteht. Gab es zB. in dem von den Alliierten besetzten Deutschland der spteren vierziger Jahre kein "eigentliches Volksleben" mehr, weil es seine politische Selbstndigkeit verloren hatte? o Auch die _Religion des Judentums dieser Zeit isten~(l~~~t: "Fr das Judentum ist Gott entgeschichtlich als der in die Ferne gerck-te, im Himmel thronende Gott, dessen Weltregiment durch Engel ausgebt wird, und dessen Bezug zum Menschen durch das Gesetz-buch vermittelt ist. Und fr das Judentum ist der Mensch entge-schichtlich, indem er durch den Ritus aus der Welt ausgegrenzt wird und innerhalb der rituellen reinen Gemeinde seine Sicherung findet. "~8 o Bultmann kann dies nur aus den, dem normativen Judentum fremden apokalyptischen und gnostischen Schriften gelernt haben; da Gott in die Ferne gerckt ist und die Welt durch Engel regiert ist ein vllig unjdischer Gedanke, den wir allerdings noch in dem Buch von Bousset/Gressmann, das seine Ideen vom Judentum fast nur aus apokalyptischen Schriften bezieht, wiederfinden werden. !3ultmann wei wenig oder J]ichts von den eigentlichen jQ.9j~~b:ei1 _9uel!en jener Zeit, wie sie spter im Talmud und Midrasch schrift-

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  • lieh niedergelegt wurden. Im Zeitalter Christi, in der die jdische Li-turgie in ihren Grundzgen geschaffen wurde, ist Gott durchaus nicht in "in die Ferne gerckt", sondern gerade in der nachexili-schen Frmmigkeit ist er, wie nie zuvor, ein Gott der Nhe gewor-den, dessen Dienst, in Gebet und tglichem Leben, alle Formen des menschlichen Handeins durchdringt und bestimmt. Er ist berall und in allem gegenwrtig, weit mehr als dies vor dem babylonischen Exil der Fall war. Bultmanns hauptschliches IJ:l~(!~~~se_geht dahin, den Gegensatz zwischen dem christlichen, in J esus nahegerckteJ:l Gott-und dem in der Ferne thronenden jdischen Gott herauszuar-beiten. Um dieser These willen deutet er die jdische Glaubenswei--se willkrlich und interpretiert die Quellen, so weit er sie berhaupt kennt, auf eine Art, da sie mit seiner vorgefaten These berein-stimmen. o hnlich uert sich !!Jqltt:_! G_r'fln_d_rnann. Whrend die Propheter1_ die Einheit von Gotteswillen und der Beziehung zum Mitmenschen vertraten, ist es schon im alten Israel, nicht "zu einer inneren Ein-heit der Beziehung des Menschen zu Gott und zum anderen Men-schen"39 gekommen. So ist es dann selbstverstndlich, da das "Ju-dentum", immer als _EntartuEK_des "alten Israel" gesehen, sich von dieser Auffassung, da Gottesglaube und Mitmenschlichkeit nicht voneinander zu trennen sind, noch weiter entfernt hat. Obwohl Grundmann sicherlich den berhmten Ausspruch Hillels an einen Heiden kennt, der wissen wollte, worin das Eigentliche des Juden-tums bestand: "Was du selber nicht liebst, das tue auch keinem an-deren an" (vgl. Tobias 4,15),- ein Ausspruch, der fast wrtlich von Jesus bernommen wurde in Mt 7,12- bleibt er bei seiner Auffas-sung. Grundmann will die These herausarbeiten, da der Ruf zur Brderlichkeit erst durch J esus erging, whrend das Judentum nur "harter, freudloser Dienst"40 eines strengen Gottes war. o Es ist fast langweilig, dieselben Gedanken immer aufs Neue in den ungefhr gleichen Ausdrcken wiederzufinden. Aber da es sich hier darum handelt, die Geschichte einer ununterbrochenen christli-chen Tradition aufzuzeigen, mu die Wiederholung mit in Kauf ge-nommen werden. Martin Dibelius "J esus" ist ein von S!_l19:ent(!!lY_i_~L benutztes Buch. Auch hier handelt es sich um die post-babylonische

    De_~~d~E_~__!_den ~~~~i

  • Das Volk stand nicht mehr inmitten selbstgestalteter Geschichte und hatte darum kein Ohr mehr fr den Herrn, der durch Vlker und an Vlkern handelt."41 o Das Buch erschien zuerst im Jahre 1939. Man geht daher wohl kaum fehl, wenn man hier gewisse nationalsozialistische Gedanken und sogar Ausdrcke (Parteioberhaupt!) wiederfindet. Dibelius kommt auf das Fehlen des geschichtlichen Handeins des jdischen Volkes zurck: "Die groe Welt, aber auch die Gemeinschaft des jdischen Volkes mit ihren Aufgaben und Sorgen, entschwindet den Blicken dessen, der sich auf das Studium des Gesetzes und auf seine Anwendung im engsten Lebenskreis beschrnkt. "42 Wie er-klrt er die groen politischen Ereignisse der Jahre 66-7 3, 13 2-13 5, an denen auch die Frmmsten des jdischen Volkes teilneh-men? Wo bleibt da der vllige Mangel an geschichtlichem Interesse, an der selbstndigen Existenz des Volkes in jenen heroischen, mili-trischen Aufstnden, die eigentlich gerade einen deutschen Theo-logen um diese Zeit htten beeindrucken sollen? o Wren die hier genannten Verfasser nicht bedeutende Wissen-schaftler, von denen ein jeder seinen eigenen Beitrag zu den ver-schiedenen Zweigen der Bibelwissenschaft geleistet htte, wre man versucht, sie des Plagiats zu bezichtigen, so sehr hneln sich ihre An-sichten und sogar ihre Ausdrucksformen, wenn sie auf das Sptju-dentum zu sprechen kommen. So auch der bekannte Bultmann-Schler Gnther Bornkamm, der allerdings in der Leben J esu-For-schung seirieeigenen Wege-gegangen ist. ber das Judentum spricht er in seinem berhmten "Jesus von Nazareth": "Ohne Zweifel hat die Religion des alten Israels im Judentum nach dem Exil eine un-geheuere Versteinigung und Verengung erfahren. "43 Er zitiert Di-belius, da Gott zu einem "Parteioberhaupt" geworden war. Israel ist zum Judentum herabgesunken, es lebt sozusagen archaisierend, in der Vergangenheit und in der Erwartung der Zukunft, ohne ge-genwrtige - zur Zeit J esu - gltige eigenstndige Existenz: "Die Zeit dieser sich immer strker ausprgenden Enderwartung ist die Zeit seiner Verbannung und der nachfolgenden Jahrhunderte bis zu seinem geschichtlichen Ende. "44 Wie bei Nothund anderen wird dies wie nebenbei erwhnt: im Jahre 70 hrt das jdische Volk auf, zu existieren. o Von hchster Bedeutung ist das Werk Leonharfl_Goppelt~1 4as ... sich die religise Geschichte und den Zustand des Judentums im er-sten Jahrhundert zur besonderen Aufgabe seines Studiums gemacht hat. In diesem Buch vergleicht er das Werden des Judentums mit dem der katholischen Kirche: "Beide Male konserviert eine Gottes-

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  • gemeinde die Oberlieferung ber die Gottesgeschichte ihrer An-fangszeit von Prinzipien her, die dieser Oberlieferung nicht voll ge-recht werden und sichert dadurch ihren Bestand in der Geschich-te"45, obwohl beide die von ihnen bewahrten Oberlieferungen we-der recht verstehen, noch treu befolgen. Was das Sptjudentum an-betrifft, so "entsteht [es] zugleich mit der BezeichnungJude [als der Bezeichnung ,Israel' entgegengesetzt] durch das Exil und seinen Ausgang. Voraussetzung fr seine Entstehung ist der Verlust der vl-kischen Eigenstaatlichkeit und die ihr folgende Diasporaexistenz des Volkes." Er folgert: "Die Diasporaexistenz [ist] bis heute ein We-sensmerkmal des Judentums geblieben."46 Wohl wurde dieses ,Ju-dentum' auch durch die prophetische Botschaft beeinflut, aber nur an der Oberflche, Judentum steht der Prophetie im Grunde gegenstzlich gegenber, es entsteht "erst dort, wo die Erwhlung zum Heil ... durch das Gesetz ergangen gilt"47. Zum Beweis hierzu fhrt der Verfasser den Rmerbrief 4,13 an, mit der bekannten Theologie des Paulus von Glaube versus Gesetz. Er argumentiert da-her offensichtlich a priori, ohne das Judentum jener Zeitinseinem Selbstverstndnis und seinen eigenen Zeugnissen zu befragen. So auch hier: "Die Volksgemeinde um Jerusalem ... ist nie der Heimat-staat des unter die Vlker verstreuten erwhlten Volkes, sondern nur, kraft des Tempels, sein ideeller Mittelpunkt. "48 Konsequenter-weise ist mit dem Verlust des Tempels auch die letzte Bindung an die Heimsttte verloren, die Existenz der Juden als Volk hat somit aufgehrt. Wenn aber das jdische Volk doch als Nation handelt und in seine Geschichte gestaltend eingreifen will, wie im Krieg gegen die Seleuziden, so qualifiziert dies der Autor folgendermaen: "Das Vertrauen auf das Werk schiebt sich gegenber dem glaubenden War-ten auf Gottes Gnade in den Vordergrund"49, und dadurch wird "die Ausrichtung auf Glaube und Gnade"50 aufgehoben. Der Widerspruch ist offensichtlich: Das postexiiisehe Judentum ist "ungeschichtlich", handelt es aber als Volk und greift in die Geschichte ein, so beweist es damit nur seinen Mangel an Gottvertrauen -was es auch tut, es kann nichts recht tun! Nur J esus knpft , ,an den Kern der von der Schrift bezeugten Offenbarung an, durch deren Sicherung und Ver-gewaltigung das Judentum geworden war"51. Der Vergleich von frhchristlicher und "sptjdischer" Gemeinde mu unter allen Um-stnden zu Ungunsten der letzteren ausfallen. o Das Gleichnis der bsen Winzer kndigt "die heilsgeschichtliche Realisierung der durch die Propheten angedrohten Verwerfung des Bundesvolkes als solchen"52 an. Er wiederholt: "der Tempel oder das Gemeinwesen Israel [warum soll der Tempel allein das "Ge-

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  • meinwesen" Israels sein?] wird von Gott verlassen; es ist nicht mehr sein Haus. Das Wstewerden des Tempels ... ist nur der Aus-druck dieser Entleerung von der Gnadengegenwart Gottes." 53 Und so zieht er amEndeseines Buches den Schlu: "Tatschlich ist die Ab-lehnung des Evangeliums durch Israel als Volksgemeinde die letzte ent-scheidende Wende seiner Geschichte."54 o Von nun an gibt es zwei verschiedene Arten von Judentum: "das alttestamentliche Judentum, die von der Verheiung umschlossene Existenz unter dem Gesetz, und das nachchristliche Judentum" 55, das sich durch eigenwillige Selbstbehauptung konstituiert. Man mu daher einen Unterschied machen zwischen dem legitimen Judentum des Alten Testaments und "dem sptjdischen Gut, von dem nur bleibt, was der Herr reinigend durchdrungen hat"S6 und das nun das Erbe der Kirche wird. o In der achtbndigen katholischen Dogmatik von Michael chmaus gibt es fr Israel "von nun an ,nur noch die Mglichkeit, entweder als unterdrckte Nation zu leben oder aberfr Barrabas, als Typ des politischen Aufrhrers, sich zu entscheiden' "57. Fr den "oberflchli-chen Beobachter" scheint Israel "veraltet und ohne Daseinssinn"58, doch bleibt ihm die eschatologische Hoffnung der einstigen Errettung durch Christus. o Obwohl Et~e_lbert_~~q_~r heute aus Grnden, die nichts mit dem Judentum zu tun haben, von mehreren seiner Kollegen angegriffen wird, bleibt seine "Theologie des Neuen Testaments" weiter ein viel gelesenes und verbreitetes Werk, worin er feststellt, da das Juden-tum "Ja gesagt hat zu der Tradition der Prophetenmrder, ein selbst-herrliches, ein dmonisches Ja ... Zion ist die Hochburg der Gottes-feinde geworden." 59 o Sogar fr einen so gelehrten und sympathischen Kenner des Ju-dentums wie den Marburger Theologen Werner Georg Km1Jl!_Lhat~ das Sptjudentum dem alttestamentlichen Israel gegenber eine Fehlentwicklung durchgemacht. Wohl dient das Judentum keinem anderen Gott als dem Gotte Israels, es ist aber doch so, "da fr die Frmmigkeit des Sptjudentums der gegenwrtig wirkende Gott verdeckt wurde durch die Erinnerung an Gottes Gnadenhandlung in der Vergangenheit und durch die Hoffnung auf die Heilserwar-tung in der Zukunft"60. Was fr eine merkwrdige Argumentation: wird, im Gegenteil, Gott nicht immer gegenwrtig durch die Erinne-rung an seine Gnadentaten in der Vergangenheit? Man denke nur an das christliche Abendmahl, das eben das gegenwrtige Gottver-trauen erweckt und verstrkt, durch die Erinnerung an die Vergan-genheit und durch die Hoffnung auf das, was er noch knftig wirken

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  • wird? Warum soll dann fr das Judentum Erinnerung und Zu-kunftshoffnung "heilsleer" sein? Jesus hat keinen neuen Gottes-begriff gebracht, wohl aber eine neue "Wirklichkeit Gottes"61, die es im Judentum nicht gab oder gibt. Es bliebe zu fragen, ob jdi-sche Gegenwart, damals und seither "heilsleer" sein konnte, wenn ein ganzes Volk fr seinen Glauben und seine Existenz zu sterben bereit war, eher als da es seine Beziehung zu Gott - oder sein "Heil" -je aufzugeben bereit gewesen wre. o Endlich kommen nun jene Autoren zu Wort, die man als die Alt-meister aller bisher zitierten Verfasser bezeichnen knnte. Es ist un-mglich, sich in dieser Obersicht auf die Autoren der letzten zwan-zig bis dreiig Jahre zu beschrnken, weil die ursprnglichen Haltun-gen und Aussagen ber das zeitgenssische Judentum Jesu von die-sen mageblich gebliebenen Autoren des ersten Viertel des zwanzig-sten Jahrhunderts stammen. Man knnte sie bis auf die Kirchenv-ter zurckverfolgen, aber dies wrde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Sie sind Bousset/Gressmann, Eduard Meyer und Emil Schrer. Hier findet man die Quelle aller bisher zitierten Behaup-tungen, da man sich kaum wundert, sie als autoritativ von allen ihren Nachfolgern an den theologischen Fakultten bernommen zu finden. o Bousset/Gressmann argumentieren, wie man es bereits oft auch spter ausgesprochen fand, da Israel als Nation im sechsten vor-christlichen Jahrhundert zu existieren aufhrte: Nach dem Exil ge-schieht die Loslsung vom Nationalen, Staatlichen. Das Judentum wird "Kirche", dh. "Tempelgemeinde". Auch in der Makkaberzeit kann man nicht von einer wirklichen nationalen Existenz sprechen, sondern hchstens von einem Nebeneinander von "kirchlicher" und "nationaler" Strmung. Endlich, nach dem Barkochbakrieg "blieb nunmehr das Gebilde der erstarrten jdischen Religionsgemeinschaft ganz ohne ueren volksmigen Zusammenhang stehen"62. Das Werk ist nicht ganz logisch, zumindest nicht in seiner Terminologie, denn auf einmal wird wieder vom "Volk" gesprochen: "In den wil-den Kmpfen, (70 und 135) ... bildete sich das Judentum auch hier ganz zu dem alles hassenden und von allen gehaten Volke heraus, als das Tacitus es bereits schildert. "63 Dies ist ein typisches Beispiel dafr, da die Verfasser nicht jdische Quellen befragt, sondern heidnische und christliche benutzt haben; dies ist ebenso gerecht, als wollte man die Christen danach beurteilen, was die heidnischen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte von ihnen aussagten, und was ebenso wenig schmeichelhaft und der Wahrheit entsprechend ist. Obwohl Bousset/Gressmann dem Judentum die Existenz als

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  • "Nation" absprechen, gebrauchen sie den Ausdruck spter erneut, wenn es fr das eigene Urteil passend erscheint: "In bitterem Groll zog sich das Judentum vor der Welt zurck, eine Nation, die nicht leben und nicht sterben konnte, eine Kirche, die sich vom nationa-len Leben nicht lste und deshalb Sekte blieb. "64 Dies ist sowohl unlogisch als falsch: erstens, wenn sich das Judentum nicht vom "nationalen Leben" lste, warum sollte daraus folgern, da es "Sek-te" blieb? Zweitens beweisen jdische als auch nichtjdische Quel-len, da sich das Judentum der ersten drei bis vier nachchristlichen Jahrhunderte durchaus nicht von der Welt zurckzog; es fhrte in Palstina mit seinem Zentrum in Javne ein auerordentliches reges religis-nationales Leben, und der Patriarch der J avne-Akademie wurde sogar von den rmischen Autoritten als Oberhaupt aller im Imperium lebenden Juden anerkannt und geehrt. Auerdem lebten jdische Gemeinden in vielen rmischen Stdten und in Babylonien, und nahmen, soweit es ihnen ihre Religion erlaubte, Anteil an ihrer Kultur und ihrem sozialem Leben. Ihre Religion bte weiter eine groe Anziehungskraft auf die heidnische Bevlkerung und auch nach Konstantin auf gewisse christliche Kreise aus. Dies war eine der Ursachen des Konfliktes mit der christlichen Kirche. o In einem anderen Zusammenhang - es ist hier von der Situation in Juda und Galila vor 70 die Rede- wird den Juden wieder vor-geworfen, zu viel Nachdruck auf das religise Leben gelegt und ihre Pflichten im "organisierten Gemeindewesen" vernachlssigt zu ha-ben. Sie waren zu sehr am "bernatrlichen" interessiert: "Die welt-lichen Sorgen um das Gemeindewohl berlie man den Frsten und der Aristokratie. Die Frommen wurden zu Verrtern an ihren Fr-sten, nationale Pflichten kennt ihr Katechismus nicht. "65 Damit wird vielleicht eine preuische Situation - der unbedingte Gehor-sam dem Frsten gegenber - auf das Judentum der Zeit J esu und kurz vorher bertragen. Da die spteren hasmonischen Knige und Herades sowie die rmischen Prokuratoren nach ihnen beim Volke sehr unbeliebt waren, hatte durchaus nicht nur religise Grnde. Jeder, der mit der jdischen Geschichte jener Jahre ver-traut ist, mu wissen, da diese Herrscher blutige Tyrannen waren und da sie ohne Grund ganze Bevlkerungsgruppen vernichteten, wenn sie ihnen gefhrlich schienen. Ohne hier auf Details einzuge-hen, sei nur auf Flavius J osephus verwiesen, der die vielen grausa-men Taten der Regierenden jener Periode zur Genge schildert. Die "Frommen" waren durchaus nicht "Verrter" an ihren Frsten, sondern tadelten mit Recht ihre unbefugten, willkrlichen Eingrif-fe in das nationale und religise Leben des Volkes. Bousset/Gress-

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  • mannscheinen auch die Tatsache zu ignorieren, da es im Juden-tum schwierig ist, das nationale Element vom Religisen zu trennen, und da kein Herrscher vom jdischen Volke als Ganzem Gehorsam erwarten konnte, wenn er gegen ihre religisen Gebruche verstie oder diese vllig miachtete. Anscheinend haben Bousset/Gressmann hier ein typisch deutsches Ideal von strenger Zucht und Sitte vor Au-gen, demzufolge der Brger seinem Herrscher unbedingten Gehorsam schuldig ist- ein Ideal, das schon im 16. Jahrhundert zu dem einem Juden mit Recht vllig unverstndlichen cuius regio eius religio ge-fhrt hatte - daher wird immer wieder von jenen Zeiten als "ver-worren" und "ungeordnet" gesprochen. Von dieser Unkenntnis des wirklich jdischen Wesens wird noch zu sprechen sein. Hier sei nur als Letztes zitiert, da fr Bousset/Gressmann "der Grundcharakter des spthellenistischen Judentums ... durchaus epigonenhaftund un-schpferisch"66 ist. Von der fast revolutionren Erneuerung eben dieses Judentums durch die pharisische Interpretation der bibli-schen Religion ist offensichtlich keine Kenntnis vorhanden. _C}_dlf!!_rd Ai~I urteilt wie Bousset/Gressmann. Da er noch in an-deren Zusammenhngen zu zitieren sein wird, gengt hier die Er-whnung eines schon oft angetroffenen Themas. Es handelt sich um die Anrede Gottes als Vater. Hier bringt er ein neues und merk-wrdig anmutendes Argument: wenn in diesem Sptjudentum Gott so genannt wird, "so bedeutet das nichts anderes, als da die auser-lesenen Frommen allein das wahre Israel bilden"67. Es gab eine ein-zige Gruppe im Judentum, von der E. Meyer allerdings 1921 nicht viel wissen konnte, nmlich die Sekte vom Toten Meer, die sich als "auserlesen" betrachtete, und gerade diese hat diesen Titel nicht ge-braucht. Wohl aber war der Titel Vater in der jdischen Liturgie ein-gebrgert und nicht auf die "auserlesenen Frommen" beschrnkt. o Um ungefhr die gleiche Zeite schrieb Alfred Bertholet seine noch immer viel zitierte "Kulturgeschichte Israels'-',-in de-r-er .:....: wie E. Meyer- behauptet, da sich das Judentum jener Zeit "wie nie zuvor als Adel der Menschheit ... fhlte", weil es "Gesetzbuch und Tempel"68 besa. Diese Charakteristik geht bereits auf den Prophe-ten Hosea zurck, demzufolge zwischen Gott und Israel ein "eheli-ches Sonderverhltnis"69 besteht, aber Hosea hat sich geirrt oder bertrieben. Da dieses "eheliche Verhltnis" auch als ,Ehebruch' beschrieben wird, auf den Israel wahrlich nicht stolz sein konnte, davon sagt Bertholet nichts. o Zum Schlu kommen wir auf den Autor, dem man wohl die gr~_!~-Y:~~_ant~9!:tung der f~ls~~~-~-J:3~~E~~U~.!!K_~~I~dentums in der neueren Forschung zuschreiben mu, auf E'frl_i{~!__hrer. N_()~ll

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  • immer ist er die Autoritt, auf den sich auch die heutigen Forscher und Studenten mit Vorliebe sttzen, obwohl bereits 1921 G.F. Moore in dem anfangs zitierten Artikel auf die vielen grundstzli-chen Fehler und Irrtmer seines Werkes aufmerksam machte. Fr ihn "hat der religise Vorstellungskreis Israels im Zeitalter Christi einerseits den Charakter des Phantastischen, andererseits den des Schulmigen erhalten. "70 Die religise Entwicklung des Juden-tums dieser Periode folgt nicht den Propheten, sondern wird be-stimmt "teils durch das Walten einer zgellosen nicht wahrhaft reli-gisen ... Phantasie, teils durch die schulmige Reflexion der Ge-lehrten. Beides beherrschte in dem Mae die Entwicklung, als das wahrhaft religise Leben an innerer Kraft verlor. "71 o Spter zitiert er Moses Mendelssohns These, da das Judentum keine Dogmen htte, und bemerkt dazu: "Es ist sehr interessant zu sehen, wie hier Rahbinismus und Aufklrung sich die Hand reichen. Beiden ist gemeinsam, da sie das Wesen und den Wert des wirklich religisen Glaubens nicht kennen. "72 Auch in den Entscheidungen der groen Rabbinen, die das Judentum zur Zeit J esu wie auch sp-ter an neue Verhltnisse anpate, findet er nichts Neues: "Von re-formatorischen Ideen, welche uns jdische Eigenliebe so gerne glau-ben machen mchte, ist hier ... nirgends die Rede."73 o Dies ist also das Sptjudentum, wie es von deutschen Theologen dargestellt wird. Zum Beweis, da sie damit nicht allein stehen, sei- . en hier einige wenige Zitate franzsischer Autoren angefhrt, zuerst l_.'!'! __ !:q_grang(!, der Grnder der Ecole Biblique in J erusalem, den man auch den Vater der modernen katholischen Bibelwissensch:1.ft nennen kann. Hier bringt er ein Argument, an das merkwrdigerwei-se--kernanderer dachte: "Sie [die Juden] hatten damals, wie heute, ohne Zweifel, das Monopol gewisser geschftlicher Unternehmun-gen, ohne auch nur von ihrer Manipulation des Finanzwesens zu sprechen. "74 Wie kommt er zu dieser Behauptung, fr die jede Quel-le fehlt? Hier mu man wohl annehmen, da er die antisemitischen Argumente seiner eigenen Umwelt ohne weiteres auf die neunzehn Jahrhunderte zurckliegende Zeit bertragen hat. Interessant ist das recht unwissenschaftliche "ohne Zweifel" (sans doute), mit dem die Diskussion von vornherein abgedrosselt werden soll. In seinem ande-ren Hauptwerk beginnt der Autor mit einer warmherzigen Einla-dung an die Juden, doch endlich "die Isolation einer nationalisti-schen Religion aufzugeben, um in die katholische Kirche einzutre-ten"75. o Er spricht dann ber die vor den seinen erschienen Werke zum gleichen Thema und hat fr die bereits hier erwhnten Autoren,

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  • ganz besonders aber fr Schrer und den spter noch zu erwhnen-den Wellhausen, nichts als Lob und Bewunderung. Was G.F. Moore anbetrifft, so ist er ihm zu pro-jdisch, als da er mit ihm berein-stimmen knnte. Er wirft ihm vor, nur jene jdischen Quellen zi-tiert zu haben, die seine Thesen beweisen. Als ob nicht alle christli-chen Autoren eine ihren vorgefaten Meinungen entsprechende Aus-wahl getroffen htten, allerdings ohne die Objektivitt und das Wis-sen eines G.F. Moore. o Lagrange verurteilt die rabbinische Exegese in ihrer Totalitt nach dem blichen Vergleich mit dem Christentum: "Wir stellen fest, da das Judentum sich vllig in einem Legalismus eingeschlos-sen hat. "76 Da es auch eine Hagaddah und eine jdische Mystik gab, davon scheint er nichts zu wissen. So behauptet er am Ende: "Es ist zumindest leicht, zu beweisen, da die Tendenz des Juden-tums, besonders des pharisischen Judentums, nicht auf eine innere, oder anders ausgedrckt, geistige Glaubensweise ausgerichtet war. "77 o Auch ]oseph Bonsirven verffentlichte ein klassisch gewordenes Werk ber jene Zeit, in dem er von vornherein die Haltung eines Richters einnimmt, der ohne Unterla das dekadente Judentum mit dem ihm weit berlegenen Christentum vergleicht. Es sei nur er-whnt, da er den Vers in Mt 5,43 "Du sollst deinen Nchsten lie-ben und deinen Feind hassen" fr die wahre Auffassung der jdi-schen Nchstenliebe hlt, die nur dem Mitglied des eigenen Volkes gilt. Nun hat es sich aber mittlerweile herausgestellt, da es keine derartige Regel im Judentum gab, auch nicht in der mndlichen Lehre, sondern da sich dieser Satz auf die Qumransekte beziehen mu, wo man tatschlich eine derartige Vorschrift findet. Fr ihn aber "bleibt der Ha der Feinde die bliche Haltung [des Judentums] seinen Feinden gegenber, eine Haltung, die man noch hrter und schrfer in der nachbiblischen Literatur Jindet"78. Er endet mit der Verallgemeinerung, da man die folgenden Schlsse aus seiner Dar-stellung ziehen mu: Es handelt sich hier "um einen in sich ver-schlossenen und feindlichen Partikularismus, um ein Mitrauen ge-gen die Mystik und gegen alle bernatrlichen Ideen oder Erfahrun-gen. Man hat es hier mit einer Art Anthropozentrismus zu tun, der die Wrde des Menschen bertreibt und ihn sogar in seinem intim-sten Wesen gegen den Einflu der gttlichen Gnade verschliet; man findet hier einen Hang zum Ritualismus, eine Vorliebe fr das Kon-krete und Materielle in der Religion und die Tendenz, aus Moral ei-ne Sektion der Jurisprudenz zu machen. "79 o Leider gehren diese Meinungen nicht nur der Vergangenheit an, auch nicht in Frankreich. Einer der bekanntesten franzsischen Bi-

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  • belwissenschaftler unserer Tage, Pierre Benoit, Rektor der Ecole Biblique und Herausgeber der Revue Biblique, teilt sie vllig. Aber au_f ihn wird in den folgenden Kapiteln noch zurckzukommen

    ~m. -o Kurz zusamme11gefat l_t sich_sag~n, da die Jahrhunderte zwi- 1 sehen dem babylonischen Exil und dem Entstehen des Christentums eine Zeit der Dekadenz des inneren und ueren Verfalls fr das