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Onkologe 2012 · 18:536–542 DOI 10.1007/s00761-012-2212-3 Online publiziert: 2. Juni 2012 © Springer-Verlag 2012 A. Buchali 1  · A. Tillack 2  · B. Kindt 3  · C. Schneider 1  · C.-C. von Braunmühl 4 1  Ruppiner Kliniken GmbH, Tumorzentrum Land Brandenburg e.V.,  Onkologischer Schwerpunkt Brandenburg Nordwest e.V., Neuruppin 2  Tumorzentrum Land Brandenburg e.V., Onkologischer Schwerpunkt Frankfurt (Oder) e.V., Frankfurt 3  Tumorzentrum Land Brandenburg e.V., Nordbrandenburgischer Onkologischer Schwerpunkt e.V.,  Brandenburg 4  MUGV, Ministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, Brandenburg Klinische Krebsregister Qualitätsmanagement in der Onkologie am  Beispiel des Krebsregisters Brandenburg Die Krebsregistrierung in Deutsch- land kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Die Daten des klini- schen Krebsregisters ermöglichen eine detaillierte Darstellung verschie- dener Parameter der Prozess- und Er- gebnisqualität. Entstehung des klinischen Krebsregisters Land Brandenburg Bereits im Jahr 1900 veranlasste Prof. Ernst von Leyden eine Stichtagszählung von Krebskranken in Preußen. 1926 wur- de im Rahmen des Krebsfürsorgediensts in Hamburg ein Meldesystem für bös- artige Erkrankungen eingerichtet, was bis heute Bestand hat. Im Jahre 1952 wurde in der DDR ein einheitliches Geschwulst- meldewesen auf gesetzlicher Basis einge- führt verbunden mit einer Meldepflicht für Krebserkrankungen. Bis zum Jahr 1989 war das Krebsregister der DDR fester Be- standteil des onkologischen Betreuungs- systems. Die Datenbestände des DDR- Krebsregisters wurden 1992 durch ein Verwaltungsabkommen zwischen dem Bund und den neuen Ländern und Ber- lin gesichert. Die neuen Bundesländer be- schlossen das Register als „Gemeinsames Krebsregister der Länder Berlin, Branden- burg, Mecklenburg-Vorpommern, Sach- sen-Anhalt und der Freistaaten Sachsen und Thüringen“ (GKR) mit Sitz in Ber- lin auf Grundlage des Krebsregistersiche- rungsgesetzes weiterzuführen [1]. 1997 wurde ein Staatsvertrag [2, 3] zwischen den am GKR beteiligten Bundeslän- dern und Berlin geschlossen, der nun die Grundlage für das Gemeinsame Krebsre- gister der neuen Bundesländer und Ber- lin bildete [4]. In den Jahren 1981 bis 1998 wurde von der Bundesregierung ein „Modell- programm zur besseren Versorgung von Krebskranken“ initiiert, welches ab 1992 auch für die neuen Bundesländer gültig war. Ziel dieses Programms war es, die Behandlung aller Krebskranken nach dem allgemein anerkannten, fortschritt- lichen Stand der medizinischen Erkennt- nisse zu sichern, wohnortnah und regel- mäßig. Außerdem sollte die interdiszipli- näre Zusammenarbeit in und zwischen den Krankenhäusern sowie eine enge Verzahnung zwischen dem stationären und ambulanten Bereich gefördert wer- den. Im Rahmen dieser Fördermaßnah- men wurde von der Brandenburger Lan- desregierung im Jahr 1991 die Gründung von 3 Onkologischen Schwerpunkten in Cottbus, Frankfurt (Oder) und Pots- dam und 2 onkologischen Arbeitskrei- sen in Neuruppin und Schwedt ange- regt und zusätzlich noch aus Landesmit- teln großzügig gefördert. Diese onkologi- schen Zentren wurden zum regelhaften Teil der Gesundheitsstruktur des Landes Brandenburg. Das Budget dieser Einrich- tungen wurde durch einen Vertrag nach § 115 SGB V gesichert. Dieser Vertrag, die „Vereinbarung zur Regelung der onkologi- schen Nachsorge im Land Brandenburg“ zwischen den gesetzlichen Krankenkas- sen, der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg, der Landeskrankenhaus- gesellschaft und dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen des Landes Brandenburg wurde erarbei- tet und im Dezember 1994 unterzeichnet [5]. Hauptanliegen dieser noch heute gül- tigen Vereinbarung ist die Sicherstellung der Behandlung onkologischer Patienten nach den anerkannten Regeln der medi- zinischen Wissenschaft, ähnlich wie bei dem oben erwähnten Modellprogramm der Bundesregierung. Nach dem Wegfall der onkologischen Dispensairebetreuung in der DDR wurde besonderer Wert auf eine qualifizierte onkologische Nachsorge gelegt. Diese sollte nicht dem Engagement von Einzelpersonen überlassen, sondern durch die an den Onkologischen Schwer- punkten und Arbeitskreisen angesiedel- ten Nachsorgeleitstellen koordiniert und organisatorisch unterstützt werden. An den Standorten der 5 Schwerpunkt- krankenhäuser des Landes Brandenburg wurden Onkologische Schwerpunkte und Arbeitskreise in der Rechtsform ein- getragener Vereine etabliert, die jeweils eine Nachsorgeleitstelle führen. Jede Nachsorgeleitstelle gewährleistet mit einem klinischen Krebsregister eine ver- laufsbegleitende Tumordokumentation nach den Vorgaben der Arbeitsgemein- schaft Deutscher Tumorzentren (ADT) 536 | Der Onkologe 6 · 2012 Leitthema

Klinische Krebsregister; Clinical cancer register;

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Page 1: Klinische Krebsregister; Clinical cancer register;

Onkologe 2012 · 18:536–542DOI 10.1007/s00761-012-2212-3Online publiziert: 2. Juni 2012© Springer-Verlag 2012

A. Buchali1 · A. Tillack2 · B. Kindt3 · C. Schneider1 · C.-C. von Braunmühl4

1 Ruppiner Kliniken GmbH, Tumorzentrum Land Brandenburg e.V., 

Onkologischer Schwerpunkt Brandenburg Nordwest e.V., Neuruppin2 Tumorzentrum Land Brandenburg e.V., Onkologischer Schwerpunkt Frankfurt (Oder) e.V., Frankfurt3 Tumorzentrum Land Brandenburg e.V., Nordbrandenburgischer Onkologischer Schwerpunkt e.V., 

Brandenburg4 MUGV, Ministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, Brandenburg

Klinische KrebsregisterQualitätsmanagement in der Onkologie am Beispiel des Krebsregisters Brandenburg

Die Krebsregistrierung in Deutsch-land kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Die Daten des klini-schen Krebsregisters ermöglichen eine detaillierte Darstellung verschie-dener Parameter der Prozess- und Er-gebnisqualität.

Entstehung des klinischen Krebsregisters Land Brandenburg

Bereits im Jahr 1900 veranlasste Prof. Ernst von Leyden eine Stichtagszählung von Krebskranken in Preußen. 1926 wur-de im Rahmen des Krebsfürsorgediensts in Hamburg ein Meldesystem für bös-artige Erkrankungen eingerichtet, was bis heute Bestand hat. Im Jahre 1952 wurde in der DDR ein einheitliches Geschwulst-meldewesen auf gesetzlicher Basis einge-führt verbunden mit einer Melde pflicht für Krebserkrankungen. Bis zum Jahr 1989 war das Krebsregister der DDR fester Be-standteil des onkologischen Betreuungs-systems. Die Datenbestände des DDR-Krebsregisters wurden 1992 durch ein Verwaltungsabkommen zwischen dem Bund und den neuen Ländern und Ber-lin gesichert. Die neuen Bundesländer be-schlossen das Register als „Gemeinsames Krebsregister der Länder Berlin, Branden-burg, Mecklenburg-Vorpommern, Sach-sen-Anhalt und der Freistaaten Sachsen und Thüringen“ (GKR) mit Sitz in Ber-lin auf Grundlage des Krebsregistersiche-

rungsgesetzes weiterzuführen [1]. 1997 wurde ein Staatsvertrag [2, 3] zwischen den am GKR beteiligten Bundeslän-dern und Berlin geschlossen, der nun die Grundlage für das Gemeinsame Krebsre-gister der neuen Bundesländer und Ber-lin bildete [4].

In den Jahren 1981 bis 1998 wurde von der Bundesregierung ein „Modell-programm zur besseren Versorgung von Krebskranken“ initiiert, welches ab 1992 auch für die neuen Bundesländer gültig war. Ziel dieses Programms war es, die Behandlung aller Krebskranken nach dem allgemein anerkannten, fortschritt-lichen Stand der medizinischen Erkennt-nisse zu sichern, wohnortnah und regel-mäßig. Außerdem sollte die interdiszipli-näre Zusammenarbeit in und zwischen den Krankenhäusern sowie eine enge Verzahnung zwischen dem stationären und ambulanten Bereich gefördert wer-den. Im Rahmen dieser Fördermaßnah-men wurde von der Brandenburger Lan-desregierung im Jahr 1991 die Gründung von 3 Onkologischen Schwerpunkten in Cottbus, Frankfurt (Oder) und Pots-dam und 2 onkologischen Arbeitskrei-sen in Neuruppin und Schwedt ange-regt und zusätzlich noch aus Landesmit-teln großzügig gefördert. Diese onkologi-schen Zentren wurden zum regelhaften Teil der Gesundheitsstruktur des Landes Brandenburg. Das Budget dieser Einrich-tungen wurde durch einen Vertrag nach § 115 SGB V gesichert. Dieser Vertrag, die

„Vereinbarung zur Regelung der onkologi-schen Nachsorge im Land Brandenburg“ zwischen den gesetzlichen Krankenkas-sen, der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg, der Landeskrankenhaus-gesellschaft und dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen des Landes Brandenburg wurde erarbei-tet und im Dezember 1994 unterzeichnet [5]. Hauptanliegen dieser noch heute gül-tigen Vereinbarung ist die Sicherstellung der Behandlung onkologischer Patienten nach den anerkannten Regeln der medi-zinischen Wissenschaft, ähnlich wie bei dem oben erwähnten Modellprogramm der Bundesregierung. Nach dem Wegfall der onkologischen Dispensairebetreuung in der DDR wurde besonderer Wert auf eine qualifizierte onko logische Nachsorge gelegt. Diese sollte nicht dem Engagement von Einzelpersonen überlassen, sondern durch die an den Onkologischen Schwer-punkten und Arbeitskreisen angesiedel-ten Nachsorgeleitstellen koordiniert und organisatorisch unterstützt werden.

An den Standorten der 5 Schwerpunkt-krankenhäuser des Landes Branden burg wurden Onkologische Schwerpunkte und Arbeitskreise in der Rechtsform ein-getragener Vereine etabliert, die jeweils eine Nachsorgeleitstelle führen. Jede Nachsorge leitstelle gewährleistet mit einem klinischen Krebsregister eine ver-laufsbegleitende Tumordokumentation nach den Vorgaben der Arbeitsgemein-schaft Deutscher Tumorzentren (ADT)

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Leitthema

Page 2: Klinische Krebsregister; Clinical cancer register;

sowie eine organisierte Tumornachsor-ge mittels eines EDV-gestützten Erin-nerungssystems. Außerdem sichern die Nachsorgeleitstellen die Weitergabe der epidemiologischen Daten gemäß Krebs-registergesetz vom 04.11.1994 an das Ge-meinsame Krebsregister der neuen Bun-desländer und Berlin. Die Organisation von interdisziplinären Tumorkonsilen ge-hört ebenfalls zu den Aufgaben der Nach-sorgeleitstellen.

Seit 1995 finanzieren die gesetzlichen Krankenkassen die Betriebskosten dieser Nachsorgeleitstellen in Form einer Fall-pauschale pro Neuaufnahme in das kli-nische Krebsregister als freiwillige Leis-tung. Das Land Brandenburg übernimmt jährlich die notwendigen Investitionskos-ten. Die beteiligten Schwerpunktkranken-häuser stellen die materiell-technischen Grundlagen (Räume, Raumnebenkosten, technische Ausstattung) kostenfrei zur Verfügung.

Die Onkologischen Schwerpunkte und Arbeitskreise haben sich im Jahr 1997 zur Arbeitsgemeinschaft Brandenburgischer Tumorzentren, Onkologischer Schwer-punkte und Onkologischer Arbeitskrei-se (ABTOSA) e. V. zusammengeschlos-sen. Im Jahr 2000 erfolgte die Umbenen-nung in Tumorzentrum Land Branden-burg (TZBB) e. V.

Struktur des klinischen Krebsregisters Land Brandenburg

Das Einzugsgebiet des klinischen Krebs-registers des Landes Brandenburg umfasst 2,56 Mio Einwohner. Es werden jährlich ca. 15.000 Neuerkrankungen erfasst. Im Diagnosejahr 2009 wurden beispielswei-se 14.810 invasive und 1589 In-situ-Kar-zinome dokumentiert [6]. Nach aktuel-len Schätzungen des Robert Koch-Insti-tuts lag die Vollzähligkeit der Erfassung im klinischen Krebsregister Brandenburg mit Stand 09/11 bei 97%.

Die klinische Krebsregistrierung im Land Brandenburg erfolgt flächen-deckend für das ganze Bundesland, sek-torenübergreifend und verlaufsbeglei-tend mit einem einheitlichen EDV-Sys-tem: dem Gießener Tumordokumenta-tionssystem (GTDS) an 5 Standorten des Landes. Momentan erfolgt die Mehrzahl

der Meldungen noch in Papierform mit einem seit Jahren etablierten System von Meldebögen. Aber auch Arztbriefe, Epi-krisen und Befundberichte werden ver-arbeitet. Eine Softwarelösung für papier-arme bzw. -lose Dokumentation befin-det sich derzeit in der Entwicklung und Erprobung. Das Einverständnis bzw. die Unterrichtung des Patienten zur klini-schen Tumormeldung und -dokumenta-tion sind zwingend notwendig.

Die ärztlichen Leistungen im Rah-men der Berichterstattung der einheit-lichen Tumorbasisdokumentation wer-den von den gesetzlichen Krankenkassen mit Vergütungssätzen zwischen 9 und 11 EUR vergütet (Meldevergütung). Hin-zu kommt der epidemiologische Doku-mentationsanteil in Höhe von 1–3 EUR, sodass die Vergütung je nach Berichtsart (Diagnosebericht, Behandlungsbericht, Nachsorgebericht) zwischen 10,23 EUR und 12,25 EUR liegt.

Das klinische Krebsregister des Lan-des Brandenburg besteht derzeit noch aus 5 dezentral geführten Registern, die die Daten von Tumorpatienten nach Post-leitzahl des Wohnorts erfassen. Die Daten wurden bisher in anonymisierter Form monatlich zu einer für Auswertungszwe-cke genutzten Landesdatenbank zusam-mengeführt. Einmal im Jahr erfolgt dann eine umfangreiche Datenauswertung zu den 20 häufigsten Tumorentitäten, die dann in Form eines Berichts veröffentlicht wird. Dieser Sachbericht Onkologie wur-de erstmalig im Jahr 1997 mit Datenaus-wertungen aus den Diagnosejahren 1994 bis 1996 verfasst.

Auf Einladung des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frau-en des Landes Brandenburg fand am 08.12.2000 die erste Sitzung der Qualitäts-konferenz Onkologie statt. Grundgedan-ke dieser Konferenz war die Nutzung der in den klinischen Krebsregistern erfass-ten Daten zur Darstellung und Optimie-rung der Qualität der onkologischen Ver-sorgung in Brandenburg. Im Rahmen der Qualitätskonferenz Onkologie erfolgt die Übergabe des Berichts zur Datenlage im klinischen Krebsregister an den für Ge-sundheit zuständigen Minister. Die Qua-litätskonferenz Onkologie des Landes Brandenburg ist mittlerweile eine feste

Instanz der Brandenburger Gesundheits-politik und findet jährlich statt.

»  Das Potenzial des klinischen Krebsregisters als Qualitätssicherungsinstrument wurde frühzeitig erkannt

Das Potenzial des klinischen Krebsregis-ters als Qualitätssicherungsinstrument wurde frühzeitig erkannt, sollte aber durch den Beschluss der 6. Qualitätskon-ferenz Onkologie des Landes Branden-burg noch verbessert werden. Die Um-setzung des Projekts „Weiterentwick-lung und Zentralisierung der klinischen Krebsregister in Brandenburg“ wurde be-gonnen. Nach einer Machbarkeitsstudie und der Ausschreibung der IT-Ressour-cen für das zentrale System werden nun die 5 dezentral geführten Datenbanken in einer Serverlandschaft bei der Kassen-ärztlichen Vereinigung Brandenburg zu-sammengeführt. Das Vorhaben ist von hoher Komplexität gekennzeichnet und zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Nach Abschluss des Pro-jekts werden die Daten des Krebsregisters noch effektiver im System der onkologi-schen Qualitätssicherung zu nutzen sein.

Epidemiologisches und klinisches Krebsregister

Das Krebsregister des Tumorzentrums Land Brandenburg ist ein landeswei-tes, flächendeckendes klinisches Krebs-register. In einem klinischen Krebsregis-ter werden neben relevanten Informatio-nen zur Diagnose auch Daten zur Thera-pie und zum Verlauf der Tumorerkran-kung dokumentiert. Dies ermöglicht eine valide Beurteilung der Behandlungsqua-lität zum Beispiel durch Überprüfung der Leitlinien der Deutschen Krebsgesell-schaft (DKG). Die Daten werden im klini-schen Krebsregister patientenbezogen re-gistriert, Auswertungen erfolgen jedoch entsprechend der Datenschutzrichtlinien anonymisiert.

Von den klinischen Krebsregistern zu unterscheiden sind epidemiologi-sche Krebsregister, die eine Teilmenge der Daten der Klinischen Krebsregister, nämlich die epidemiologischen Daten

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Leitthema

Page 3: Klinische Krebsregister; Clinical cancer register;

Onkologe 2012 · 18:536–542   DOI 10.1007/s00761-012-2212-3© Springer-Verlag 2012

A. Buchali · A. Tillack · B. Kindt · C. Schneider · C.-C. von Braunmühl

Klinische Krebsregister. Qualitätsmanagement in der Onkologie am Beispiel des Krebsregisters Brandenburg

ZusammenfassungDas klinische Krebsregister Land Branden-burg erfasst flächendeckend alle relevanten Daten zur Diagnose, Therapie und dem Ver-lauf von Patienten mit bösartigen Erkrankun-gen. Die Datenerfassung erfolgt sektoren-übergreifend, d. h. unabhängig aus der am-bulanten und stationären medizinischen Versorgung. Die Datenerfassung und -aus-wertung kann sich flexibel an aktuelle me-dizinische Entwicklungen anpassen und so-wohl wohnort-, einrichtungs- oder organzen-trumsbezogen erfolgen. Seit vielen Jahren sind onkologische Qualitätsberichterstattun-gen und Rückmeldungen an die Leistungser-bringer etabliert. Darüber hinaus unterstützt das klinische Krebsregister Zertifizierungen von Organzentren durch Bereitstellung von 

Kennzahlen ohne zusätzliche ärztliche Doku-mentation. Das klinische Krebsregister kann des Weiteren Daten an andere qualitätssi-chernde Programme liefern, z. B. Disease-Ma-nagement-Programme, Richtlinie des ge-meinsamen Bundesausschusses über die ein-richtungs- und sektorenübergreifenden Maß-nahmen der Qualitätssicherung (Quesü-RL), Bundesmantelvertrag: Anlage 7 Onkologie-vereinbarung und sollte die zentrale Rolle in der onkologischen Qualitätssicherung ein-nehmen.

SchlüsselwörterKlinisches Krebsregister · Qualitätsbericht-erstattung · Zertifizierung · Disease-Manage-ment-Programme · Qualitätssicherung

The Brandenburg clinical cancer registry re-cords relevant data concerning diagnosis, therapy and follow-up of patients with ma-lignant diseases. Data are collected both from inpatient and outpatient medical care. The collection and evaluation of data can be adjusted to current medical developments. Analyses are possible for single districts, hos-pitals or tumor centers. Reports on oncolo-gical quality data have been established for many years and provide feedback to phy-sicians or clinics. The Brandenburg clinical cancer registry supports certification of tu-mor centers by supplying necessary indica-

tors sparing additional documentation of the evaluated centers. The registry is able to sup-ply data to other quality assurance programs, such as disease management programs, guidelines and surveys of German federal health service boards. The clinical cancer re-gistry is designed to play the leading role in oncological quality assurance.

KeywordsClinical cancer registry · Report on oncologi-cal quality data · Certification · Disease ma-nagement programs · Quality assurance

der Tumorerkrankungen erfassen. In Deutschland ist die Basis der epidemiolo-gischen Register das Krebsregistergesetz [7], welches am 01.01.1995 in Kraft trat. Als Zweck wird hierin in § 1 „das Auftre-ten und die Trendentwicklung aller For-men von Krebserkrankungen zu beobach-ten, insbesondere statistisch-epidemiolo-gisch auszuwerten, Grundlagen der Ge-sundheitsplanung sowie der epidemiolo-gischen Forschung einschließlich Ursa-chenforschung bereitzustellen und zu einer Bewertung präventiver und kura-tiver Maßnahmen beizutragen“ genannt. Das heißt, ein Hauptziel ist die Überwa-chung der Inzidenz und Mortalität der Krebserkrankungen. Der Umfang der Datenregistrierung ist per Gesetz festge-legt. Neben Daten zur Tumordiagnose, der Histologie und dem Tumorstadium sind dies Patientenname, Geburtsdatum, Geschlecht, Adresse, Staatsangehörigkeit, Geburtenstatus, berufliche Tätigkeit und Lebendstatus des Patienten sowie eine allgemeine Angabe zur Therapie (Ope-ration, Strahlentherapie, Chemotherapie). Die personalisierten Daten verbleiben in den Vertrauensstellen, in die Registerstel-len gelangen anonymisierte, mit Kontroll-nummern versehene Datensätze.

In Brandenburg besteht für alle im Land tätigen Ärzte seit April 2006 eine Meldepflicht für Krebserkrankungen von Patienten mit Wohnsitz in Brandenburg an das epidemiologische Krebsregister [8]. Gegenüber dem Patienten besteht eine In-formationspflicht über die Meldung, dem Patienten ist ein Widerspruchsrecht ein-geräumt. Das zuständige epidemiologi-sche Krebsregister für Brandenburg ist das bereits erwähnte Gemeinsame Krebs-register der neuen Bundesländer und Ber-lin (GKR). Der bevorzugte Meldeweg an das GKR ist in Brandenburg die Daten-weiterleitung durch das klinische Krebs-register (. Abb. 1). Quartalsweise er-folgt der Export eines gesetzlich festge-legten epidemiologischen Teildatensatzes vom klinischen Krebsregister des Landes Brandenburg an das GKR in Berlin. Den Ärzten wird somit eine sonst notwendige Doppeldokumentation abgenommen.

Entsprechend Krebsregistergesetz ha-ben alle Gesundheitsämter zum Erreichen einer hohen Vollzähligkeit die Pflicht, dem zuständigen epidemiologischen

Zusammenfassung · Abstract

Clinical cancer register. Quality management in oncology exemplified by the Brandenburg cancer register

Abstract

Krebsregister die Kopien aller Leichen-schauscheine bzw. entsprechende Daten elektronisch zu übermitteln. Im Rahmen des Mortalitätsabgleichs erfolgt dann die Rückübermittlung der Sterbedaten an das klinische Register (. Abb. 1). Durch die-ses Prozedere, aber auch durch die Nach-sorgeunterstützung, wird eine sehr gute Follow-up-Rate erreicht.

Nutzung der Daten als Qualitätssicherungsinstrument

Mit dem Start des klinischen Krebsregis-ters im Jahre 1993 wurden zunächst für die

Diagnose und Behandlung wesentliche Eckdaten erhoben. Aufgrund der Zielstel-lung der Nachsorgeunterstützung für die behandelnden Ärzte wurden außerdem an die betreuenden Ärzte engmaschig Nachsorgebögen versendet, die den Sta-tus der Tumorerkrankung nach den Kri-terien lokoregionäre Kontrolle und syste-mische Kontrolle abgefragt hat. Bereits im Jahre 1997 hat das klinische Krebsregis-ter aus den Daten der Jahre 1994 bis 1996 einen Jahresbericht (. Abb. 2) veröffent-licht [9]. In diesem 65-seitigen ersten Jah-resbericht wurden die inzidenz- und ge-schlechtsspezifischen Altersverteilungen

538 |  Der Onkologe 6 · 2012

Page 4: Klinische Krebsregister; Clinical cancer register;

aller erfassten Krebserkrankungen im Land Brandenburg dargestellt.

Die Qualitätskonferenz Onkologie des Landes Brandenburg hat im Jahre 2000 zwei Organarbeitsgruppen zu den The-men „Kolorektale Karzinome und Mam-makarzinom“ initiiert, in denen Spezialis-ten des Landes die Daten des klinischen Krebsregisters auswerten sowie konkrete Gesundheitsziele und Maßnahmen zur Verbesserung entwickeln. Im Jahr 2002 wurden 2 weitere Projektgruppen zu den Tumorentitäten Prostata- und Lungen-krebs mit gleicher Intention gegründet. Die Organarbeitsgruppen können durch wohnort- und einrichtungsbezogene ent-anonymisierte Daten regionale Versor-gungsunterschiede und Defizite erkennen und verbessern. So hat beispielsweise eine unterschiedliche R0-Resektionsrate bei Patienten mit einem Prostatakarzinom, die sich nicht in differenten rezidivfreien Überlebensraten widerspiegelte, dazu ge-führt, dass die Projektgruppe Prostatakar-zinom einen möglichen Einfluss in einer differenten Aufarbeitung der Operations-präparate herausarbeiten konnte und die-ses Thema mit den Pathologen kommu-nizierte. Die Projektgruppen haben auch

EpidemiologischesRegister

Befunde/Epikrisen Mortalitätsabgleich Export des epidemiologischen Teildatensatzes

Klinisches KrebsregisterNachsorgeleitstelleDatenerfassung

Auswertung undRückmeldung der

erfassten Daten

Erstbericht

Behandlungs-bericht

Nachsorge-bericht

Konsil-bericht

Diverse statistischeAuswertungen

Nachsorgebögen

Übersichtsberichte

Rückmeldung derErgebnisse im Vergleich

zum gesamtenLand Brandenburg

JährlicherQualitätsberichtOnkologieQualitätskonferenz

Onkologie des LandesBrandenburg

Auswertung und Diskussion der Daten

Tumorspezi�scheArbeitsgruppen

niedergelassener ArztKrankenhausarzt

Organzentren

Abb. 1 9 Struktur der klini-schen Krebsregistrierung

Onkologische Schwerpunkte und Arbeitskreisedes Landes Brandenburg

SACHBERICHT 1994 - 96

Abb. 2 9 Erster Sach-bericht des klinischen Krebsregisters Land Brandenburg. (Nach [9])

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Page 5: Klinische Krebsregister; Clinical cancer register;

Rückmeldesysteme initiiert, die den ein-zelnen Leistungserbringern die Daten der eigenen Versorgung im Vergleich zu den anonymisierten Daten der anderen Leis-tungserbrinder des Landes widerspiegeln.

Die Organarbeitsgruppen hatten einen entscheidenden Einfluss auf die Wand-lung des Jahresberichts des Tumorzent-rums Land Brandenburg zum Qualitäts-bericht. Im Jahre 2003 wurden im Jahres-bericht erstmals einrichtungsbezogene Fallzahlen (. Abb. 3) und 2006 erste ein-richtungsbezogene Daten der Prozessqua-lität dargestellt (. Abb. 4, [10, 11]).

Bei vielen Tumorerkrankungen stan-den im Verlauf der Zeit neue Erkran-kungs- und Behandlungsparameter (u. a. Tumormarker) zur Verfügung, um die die Datenbank des klinischen Krebsregisters stetig erweitert wurde. Die DKG begann in ihren S3-Leitlinien über Behandlungs-empfehlungen hinaus auch Kennzahlen der Prozessqualität für Tumorbehand-lungen zu empfehlen. Die Erhebungsbö-

gen und Datenerfassung des klinischen Krebsregisters wurden unter Mitwirkung der 4 Projektgruppen nicht nur dahin-gehend verfeinert, dass es in der Lage ist, auch die von der DKG bzw. OnkoZert für Zertifizierungen geforderten Kennzahlen der Prozessqualität darzustellen. Darü-ber hinaus sind erste Projektgruppen ak-tiv dabei, das klinische Krebsregister auf die zusätzliche Erfassung von Daten der Lebensqualität vorzubereiten.

Über die derzeit geforderten Kriterien zur Zertifizierung hinausgehend wäre das klinische Krebsregister im Falle einer et-waigen Kriterienerweiterung bezüglich des lokoregionär rezidivfreien Überle-bens, des metastasenfreien Überlebens und Gesamtüberlebens aufgrund der dif-ferenzierten Nachsorgeabfragung der be-handelnden Ärzte schon gerüstet.

Klinisches Krebsregister als zentrales Element onkologischer Dokumentation

Die Dokumentation der Prozess- und Ergebnisqualität hat auch bei onkologi-schen Erkrankungen in den letzten Jah-ren einen zunehmend hohen Stellenwert bekommen. So gab es zahlreiche verschie-dene Initiativen, bei denen die Ärzte auf-gefordert wurden, Daten zu erheben. In einigen Bundesländern bestehen nur epidemio logische, in anderen Bundeslän-dern sowohl klinische als auch epidemio-logische Krebsregister.

Im Jahre 2003 wurde im Rahmen der Disease-Management-Programme u. a. das DMP-Programm Mammakarzinom aufgelegt. Dies führte dazu, dass in den Bundesländern, in denen ein klinisches Krebsregister existierte, für die Ärzte eine Doppeldokumentation im Rahmen des DMP-Programms erforderlich wurde, da es verabsäumt worden war, datenschutz-rechtliche Regelungen zu schaffen, die es erlauben, die in klinischen Krebsregis-ter ohnehin vorhandenen Daten an das DMP-Programm zu nutzen.

Im Rahmen der 2010 verabschiedeten Richtlinie über die einrichtungs- und sek-torenübergreifende Qualitätssicherung (Qesü-RL) kann der gemeinsame Bun-desausschuss auch onkologische Erkran-kungen zum Thema wählen. Hier ist es vorgesehen, dass die zu gründenden Lan-desarbeitsgemeinschaften zentrale Daten-annahmestellen einrichten. Auch hierfür wären die klinischen Krebsregister gerüs-tet und könnten die Daten an die Daten-annahmestellen für onkologische Erkran-kungen weiterleiten um den Leistungser-bringern auch diesbezüglich eine Doppel-dokumentation zu ersparen.

Niedergelassene Ärzte haben im Rah-men der Onkologievereinbarung des Bundesmantelvertrags, Anlage 7, die Pflicht zur Dokumentation bei onkolo-gischen Erkrankungen. Auch diesbezüg-lich könnte das klinische Krebsregister bei einmaliger Meldung Daten ggf. wei-terleiten.

Das klinische Krebsregister Branden-burg ist in der Lage, alle von den Organ-zentren für Zertifizierungen notwendi-gen Parameter darzustellen, ohne dass die Organzentren eine über das klinische

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KH3

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Qualitätsziel:100 Mammakarzinomoperatio-nen/Jahr und Klinik

Abb. 3 8 Sachbericht Onkologie des Tumorzentrums Land Brandenburg 2002: einrichtungsbezogene Fallzahlen. (Nach [10])

100%90%80%70%60%50%40%30%20%10%

0%KH 1

(n=277)KH 8

(n=97)KH 11(n=85)

KH 10(n=85)

KH 9(n=95)

KH 7(n=111)

KH 6(n=111)

KH 5(n=120)

KH 4(n=148)

KH 3(n=174)

KH 2(n=251)

Chirurgische Abteilungen ab 80 Operationen / 2 Jahre

RX R2 R1 R0

Abb. 4 8 Sachbericht Onkologie des Tumorzentrums Land Brandenburg 2004/2005: einrichtungsbe-zogene Daten der Prozessqualität. (Nach [11])

540 |  Der Onkologe 6 · 2012

Leitthema

Page 6: Klinische Krebsregister; Clinical cancer register;

Krebsregister hinausgehende Dokumen-tation benötigen. Durch die Nachsorge-unterstützung können darüber hinaus auch Daten zur Ergebnisqualität bereitge-stellt werden. Demzufolge lassen fast alle Organzentren des Landes ihre Datenerhe-bungen, Kennzahlenanalysen und Audit-betreuungen durch die regionalen Nach-sorgeleitstellen des klinischen Krebsregis-ters ausführen und benötigen somit we-der eigene zusätzliche Datenerfassungs- und Datenauswertungssysteme noch eine doppelte Dokumentation.

Da die klinischen Krebsregister so-wohl die Diagnose-, als auch die Behand-lungsdaten und das Follow-up im Land Brandenburg flächendeckend durch das Wohnortprinzip sowie einrichtungs- und sektorenübergreifend dokumentiert, wäre es sinnvoll, dass die klinischen Krebsre-gister in der Dokumentation onkologi-scher Erkrankungen die zentrale Rolle einnehmen und die klinischen Krebsre-gister im Sinne einer Dokumentations-sparsamkeit den Datenexport in die ent-sprechenden parallelen Programme zur Qualitätssicherung bewerkstelligen.

Problematik der Qualitätstransparenz

Die Daten des klinischen Krebsregisters ermöglichen eine detaillierte Darstellung verschiedener Parameter der Prozess- und Ergebnisqualität. Diese Parameter können einrichtungs-, wohnortbezogen, für Organ- oder Tumorzentren sowie für das gesamte Bundesland dargestellt wer-den. Gemäß den Empfehlungen des Na-

tionalen Krebsplans (NKP) soll auf der Basis klinischer Krebsregister bundesweit eine aussagekräftige onkologische Quali-tätsberichterstattung entwickelt werden.

Für die onkologische Qualitätsbe-richterstattung gibt es verschiedene In-teressensgruppen. Patienten, Angehörige und Beratungsorganisationen wünschen sich aus der Qualitätsberichterstattung Informationen und Entscheidungshilfen im Vorfeld einer Krebsbehandlung. Leis-tungserbringer in der ambulanten Ver-sorgung und Krankenversicherer erhof-fen sich eine Orientierungshilfe für die Einweisung und Weiterbetreuung ihrer Patienten und Versicherten. Leistungs-erbringer in der stationären und ambu-lanten spezialisierten onkologischen Ver-sorgung sind zu einer Qualitätsbericht-erstattung verpflichtet und möchten die-se außerdem für die Darstellung in der Öffentlichkeit und im Wettbewerb unter-einander nutzen. Kostenträger (Kranken-kassen) und Politik erwarten Instrumente für die Steuerung der Versorgungsstruk-turen.

»  Die Qualitäts-berichterstattung ist eine notwendige Grundlage für landesweite onkologische Qualitätskonferenzen

Die Qualitätsberichterstattung ist nach dem NKP auch eine notwendige Grund-lage für landesweite onkologische Quali-tätskonferenzen, die bundesweit als Steue-rungsinstrumente für Kostenträger und Politik eingerichtet werden sollten. In onkologischen Qualitätskonferenzen er-örtern – wie z. B. in Brandenburg – Leis-tungserbringer, Kostenträger, Politik und Patientenvertreter auf der Grundlage der Daten klinischer Krebsregister Defizite, vereinbaren Ziele und Maßnahmen und bewerten deren Erfolge.

Der informierte Entscheidungen tref-fende mündige Patient ist der wichtigs-te und zugleich schwierigste Adressat für Qualitätsberichterstattung. Einerseits gibt es ein wachsendes „Transparenzbedürfnis“ in dem Sinn, dass Patienten zunehmend nach Informationen verlangen, die ihnen sagen, wo sie am besten behandelt werden. Der Gesetzgeber trägt diesem Verlangen

des mündigen Patienten Rechnung, in-dem er die Darstellung der Ergebnisqua-lität von Behandlungseinrichtungen in allgemein verständlicher Form ins Ge-setz geschrieben hat (§ 137a SGB V). An-dererseits zeigen Studien zur öffentlichen Gesundheitsberichterstattung (public re-ports), dass vielen Patienten die gesetz-lichen Qualitätsberichte nicht bekannt sind, dass weniger als die Hälfte der Ärz-te diese Berichte kannte und nur 10% sie als Orientierungshilfe für die Einwei-sung und Weiterbetreuung von Patienten nutzte und dass Krankenhäuser diese Be-richte nutzen um das Krankenhaus vor-zustellen, aber nicht um seine Qualität zu zeigen [12, 13, 14].

Tatsächlich ist Qualitätsberichterstat-tung, die Patienten und einweisenden Ärzten fundierte Entscheidungshilfen gibt, eine schwierige Sache. Die Interpre-tation einzelner Qualitätsparameter ist sehr schwierig, da diese auch Sekundär-einflüssen unterliegen können (z. B. hängt die R0-Resektionsrate einer Tumoropera-tion nicht nur von der Qualität der Opera-tion, sondern auch der Qualität der patho-histologischen Aufarbeitung ab). Bei vie-len Parametern ist nicht klar, ob die Be-handlungseinrichtung mit der höchsten Rate eines Parameters der Prozessqualität wirklich für den individuellen Patienten die optimale Therapie entscheidet (z. B. Rate brusterhaltender Operationen). Be-handlungseinrichtungen mit kleiner Fall-zahl unterliegen größeren Schwankungen vermeintlicher Qualitätsparameter, wenn mehrere ungünstige Einzelfälle behandelt werden. Die Patientenselektion zwischen

„großen“ und „kleinen“ sowie zwischen zertifizierten und nicht zertifizierten Be-handlungseinrichtungen könnte differie-ren und somit Qualitätsparameter indi-rekt beeinflussen.

Patienten profitieren von einer onko-logischen Behandlung v. a. dann, wenn sich diese Behandlung in einer vergleichs-weise hohen lokoregionären und systemi-schen Tumorkontrolle widerspiegelt und trotz der onkologischen Behandlung die Lebensqualität der Patienten hoch ist. Der jeweilige Nachweis, dass ein hoher Erfül-lungsgrad eines selektiven Behandlungs-parameters (z. B. Anzahl der Lymphkno-ten im Tumorpräparat) für den Patienten einen der o. g. günstigen Effekte abbil-

Mehr Informationen zum Thema Krebsregister

Internetlinks und KontaktadressenTumorzentrum Land Brandenburg e. V. http://www.tumorzentrum-brandenburg.de.  Müllroser Chaussee 7, 15236 Frankfurt (Oder), Tel.: 0335-5482026, Fax: 0335-5482029,  [email protected] Deutscher Tumorzentren e. V. http://www.tumorzentren.de. Straße des 17. Juni 106–108, 10623 Berlin,  Tel.: 030-322932982, Fax: 030-322932983, [email protected] Qualitätssicherung durch klinische Krebsregister. http://www.koqk.de, Josef-Strauss-Allee 11, 93053 Regensburg, Tel.: 0941-9446601, Fax: 0941-9446602,  [email protected]

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det, steht jedoch für viele Parameter aus. Auch in der Balance Tumorheilung vs. Le-bensqualität ist die Frage, ob die Erfüllung eines maximalen oder hohen Maßes eines selektiven Tumorbehandlungsparameters günstiger ist, unklar.

Transparenz ermöglichen Qualitäts-berichte vor allem dann, wenn die Daten entanonymisiert dargestellt werden. Be-handlungseinrichtungen ist es in die-sem Fall möglich, Leistungs- und Versor-gungsdefizite, Dokumentationsmängel und sekundäre Einflussparameter auf die Versorgungsqualität zu analysieren und zu verbessern. In den Projektgruppen der Qualitätskonferenz Onkologie des Lan-des Brandenburg für kolorektale Karzi-nome, Mammakarzinome, Bronchial-karzinome und Prostatakarzinome wer-den entanonymisierte Daten im Rahmen der Diskussion der Arbeitsgruppen ge-nutzt und den einzelnen Leistungserbrin-gern im Vergleich zu den anonymisierten Daten der anderer Leistungserbringer als Rückmelde instrument zugesendet.

Allerdings ist es ganz etwas anderes, ob Ärzte in vertrauensvollem kollegialem Dialog die von ihnen erbrachten Leistun-gen, untereinander vergleichen oder ob ihre Leistungen von Patienten oder mit Sanktionsmöglichkeiten ausgestatteten Institutionen wie Ministerien oder Kran-kenkassen auf der Grundlage von Veröf-fentlichungen vergleichen. Im letzteren Fall könnte entanonymisierte Qualitäts-berichterstattung leicht dazu führen, dass die Meldungen an das klinische Krebsre-gister selektiver erfolgen und nicht mehr die reale Versorgungssituation abbil-den bzw. Behandlungseinrichtungen die onko logischen Patienten selektionieren.

»  Darstellung von Ergebnisqualität in allgemein-verständlicher Form ist eine richtige und wichtige Forderung

Darstellung von Ergebnisqualität in allge-meinverständlicher Form ist eine richtige und wichtige Forderung und gesetzliche Bestimmung – aber selbstverständlich nur dann, wenn diese Darstellung nicht irre-führend ist, wenn sie methodischen An-forderungen genügt, vertrauenswürdig und praxistauglich ist. Deshalb wird mit

Recht gefordert, dass Daten vor ihrer Ver-öffentlichung durch ein Fachgremium ad-justiert werden. Qualitätstransparenz ist eine wichtige Zukunftsaufgabe und eine große Herausforderung. Noch sind längst nicht alle Voraussetzungen für eine zuver-lässige öffentliche Qualitätsberichterstat-tung erfüllt.

Aber Anfänge sind gemacht. Im Land Brandenburg wurde eine Arbeitsgruppe unter dem Dach der Qualitätskonferenz Onkologie, moderiert durch das Minis-terium für Umwelt, Gesundheit und Ver-braucherschutz unter Mitwirkung des Tumorzentrums Land Brandenburg, der Landesärztekammer, der kassenärztli-chen Vereinigung, der Landeskranken-hausgesellschaft, der Krankenkassen und der 4 Projektgruppen Mammakarzinom, kolo rektale Karzinome, Prostatakarzinom und Bronchialkarzinom eingerichtet. Ihre Aufgabe ist es, breiten Konsens für die onko logische Qualitätsberichterstattung mit den Daten des klinischen Krebsregis-ters herzustellen. Die Arbeitsgruppe plant, im 1. Quartal 2012 erste konkrete Ergeb-nisse vorzustellen.

Fazit für die Praxis

Das klinische Krebsregister Land Bran-denburgF  erfasst flächendeckend alle relevan-

ten Daten zur Diagnose, zur Therapie und dem Verlauf von Patienten mit bösartigen Erkrankungen,

F  erstellt onkologische Qualitätsbe-richterstattungen und Rückmeldun-gen an die Leistungserbringer,

F  unterstützt Zertifizierungen von Organzentren durch Bereitstellung von Kennzahlen,

F  sollte die zentrale Rolle in der onko-logischen Qualitätssicherung einneh-men.

Korrespondenzadresse

Dr. A. BuchaliRuppiner Kliniken GmbH, Tumorzentrum Land Brandenburg e.V., Onkologischer Schwerpunkt Brandenburg Nordwest e.V.Fehrbelliner Straße 38, 16816 [email protected]

Interessenkonflikt.  Der korrespondierende Autor gibt für sich und seine Koautoren an, dass kein Interes-senkonflikt besteht.

Literatur

  1.  Gesetz zur Sicherung und vorläufigen Fortführung der Datensammlung des „Nationalen Krebsregis-ters“ der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Krebsregistersicherungsgesetz) vom 21.12.1992

  2.  Staatsvertrag über das Gemeinsame Krebsregis-ter der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und der Freistaaten Sachsen und Thüringen vom 24.11.1997

  3.  Gesetz zu dem Staatsvertrag über das Gemein-same Krebsregister der Länder Berlin, Branden-burg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und der Freistaaten Sachsen und Thüringen vom 14.5.1998

  4.  Festschrift, 50 Jahre Krebsregistrierung, Gemeinsa-mes Krebsregister der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und der Freistaaten Sachsen und Thüringen, http://www.berlin.de/gkr

  5.  Vereinbarung zur Regelung der onkologischen Nachsorge im Land Brandenburg, 1995

  6.  Qualitätsbericht Onkologie 2010 des Tumorzent-rums Land Brandenburg, http://www.tumorzent-rum-brandenburg.de

  7.  Gesetz über Krebsregister vom 4.11.1994 (Bundes-gesetz)

  8.  Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Bran-denburg – Gesetz zur Umsetzung des Brustkrebs-Früherkennungsprogramm und zur Einführung einer Meldepflicht für Krebserkrankungen vom 27.4.2006

  9.  Sachbericht 1994–1996 der onkologischen Schwerpunkte und Arbeitskreise des Landes Bran-denburg

10.  Sachbericht Onkologie 2002 des Tumorzentrums Land Brandenburg

11.  Sachbericht Onkologie 2004/2005 des Tumorzent-rums Land Brandenburg

12.  Cruppé W, Geraedts M (2011) Wie wählen Patien-ten ein Krankenhaus für elektive operative Eingrif-fe. Bundesgesundheitsbl 54:951–957

13.  Geraedts M, Selbmann HK (2011) Benchmarking in der Gesundheitsversorgung: Fazit und Emp-fehlungen. Z Evid Fortbild Qual Gesundh wesen 105:412–416

14.  Kastenholz H, Geraedts M, Selbmann HK (2011) Benchmarking im Gesundheitswesen: Ein Instru-ment zur Qualitätsverbesserung setzt sich durch.  Z Evid Fortbild Qual Gesundh wesen 105:329–330

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