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1 3 ANGEWANDTE GEOGRAPHIE Online publiziert: 21. Februar 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 KMU als Global Players? Wie trägt ihre Internationalisierung zur regionalen Standortsicherung bei und welche Unterstützung kann die Wirtschaftsförderung gewähren? Birgit Leick · Grit Leßmann · Jens Nußbaum STANDORT (2014) 38:8–13 DOI 10.1007/s00548-014-0311-7 und Osteuropas (MOE) in den 2000er Jahren ein wichtiger Anlass, Auslandsaktivitäten zu initiieren oder zu verstär- ken. Vor allem multinationale Unternehmen (MNU) bau- ten zunächst ihre Geschäftstätigkeiten in diesen Regionen aus. Für MNU ist eine Standortentscheidung zugunsten von Handels- und Produktionsaktivitäten in MOE aller- dings eine strategische Entscheidung unter vielen, da sie typischerweise mit ausreichenden Ressourcen für die Inter- nationalisierung ausgestattet sind und über intensive Aus- landserfahrungen verfügen. Hingegen ist für klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) die Expansion in Auslandsmärkte aufgrund ihrer strukturellen Eigenschaften mit einem erheblichen unternehmerischen Risiko verbunden (vgl. Haas und Neumair 2006, S. 669). Allerdings werden KMU aufgrund aktueller Entwicklungen wie langsameres Wachstum, Sättigungstendenzen und zunehmender Konkur- renzdruck auf angestammten in- und ausländischen Märkten in verstärktem Maße mit der Notwendigkeit einer interna- tionalen Ausrichtung ihrer Geschäftstätigkeit konfrontiert (vgl. Geyer und Uriep 2012; Köhler 1999, S. 4). Ein direk- ter Internationalisierungsdruck ergibt sich für KMU aus der Globalisierung ihrer Absatz- und Beschaffungsmärkte und den sich damit ändernden Wettbewerbsbedingungen. Sie können aber auch indirekt über ihre bestehenden Kun- den- und Zulieferernetzwerke, die Veränderungen in den globalen Wettbewerbsbedingungen unterliegen, betroffen sein (vgl. Weber 1999, S. 70 f.). Neben dem Push-Faktor Internationalisierungsdruck bietet die Internationalisierung für KMU einen Anreiz, langfristig Gewinnchancen zu rea- lisieren, die Wertschöpfungspotenziale neuer Märkte zu erschließen und gleichzeitig etablierte einheimische und regionale Märkte zu sichern. Die Internationalisierung von KMU wirft aus wirt- schaftsgeographischer Sicht die Frage auf, welche räumli- chen Effekte die Auslandsaktivitäten im Heimat- bzw. im Globalisierungsprozesse und die zunehmende internatio- nale Arbeitsteilung zwischen Unternehmen, Regionen und Standorten lassen sich anhand der Auslandsaktivitäten und Standortentscheidungen von multinationalen Unternehmen (MNU) beobachten. Gleichzeitig sind auch regionale klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) mit weniger als 500 Mitarbeitern (vgl. www.ifm-bonn.de) auf interna- tionalen Märkten aktiv. Zwar birgt für sie ein Auslandsen- gagement erhebliche Risiken, aber es ergeben sich dadurch auch betriebswirtschaftliche Chancen sowie wirtschaftliche Vorteile für die (Heimat-)Region der KMU. Der folgende Beitrag diskutiert auf der Basis einer Fallstudienanalyse, wie KMU Internationalisierungschancen in der Zielregion Mittelosteuropa nutzen, um den heimischen Standort zu sichern. Außerdem wird erörtert, welche Unterstützung die regionale Wirtschaftsförderung dabei leisten kann. Zunehmende Internationalisierungstendenzen bei KMU Für viele Unternehmen in Westeuropa war die Erweiterung der Europäischen Union seit Beginn der 1990er Jahre und die damit verbundene EU-Integration der Länder Mittel- Dr. B. Leick () Geographisches Institut, Universität Bayreuth, Bayreuth, Deutschland E-Mail: [email protected] Prof. Dr. G. Leßmann · J. Nußbaum, M.A. Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Karl-Scharfenberg-Straße 55/57, 38228 Salzgitter, Deutschland E-Mail: [email protected] J. Nußbaum, M.A. E-Mail: [email protected]

KMU als Global Players?

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AngewAndte geogrAphie

Online publiziert: 21. Februar 2014© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

KMU als Global Players?Wie trägt ihre Internationalisierung zur regionalen Standortsicherung bei und welche Unterstützung kann die Wirtschaftsförderung gewähren?

Birgit Leick · Grit Leßmann · Jens Nußbaum

STANDORT (2014) 38:8–13DOI 10.1007/s00548-014-0311-7

und Osteuropas (MOE) in den 2000er Jahren ein wichtiger Anlass, Auslandsaktivitäten zu initiieren oder zu verstär-ken. Vor allem multinationale Unternehmen (MNU) bau-ten zunächst ihre Geschäftstätigkeiten in diesen Regionen aus. Für MNU ist eine Standortentscheidung zugunsten von Handels- und Produktionsaktivitäten in MOE aller-dings eine strategische Entscheidung unter vielen, da sie typischerweise mit ausreichenden Ressourcen für die Inter-nationalisierung ausgestattet sind und über intensive Aus-landserfahrungen verfügen. Hingegen ist für klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) die Expansion in Auslandsmärkte aufgrund ihrer strukturellen Eigenschaften mit einem erheblichen unternehmerischen Risiko verbunden (vgl. Haas und Neumair 2006, S. 669). Allerdings werden KMU aufgrund aktueller Entwicklungen wie langsameres Wachstum, Sättigungstendenzen und zunehmender Konkur-renzdruck auf angestammten in- und ausländischen Märkten in verstärktem Maße mit der Notwendigkeit einer interna-tionalen Ausrichtung ihrer Geschäftstätigkeit konfrontiert (vgl. Geyer und Uriep 2012; Köhler 1999, S. 4). Ein direk-ter Internationalisierungsdruck ergibt sich für KMU aus der Globalisierung ihrer Absatz- und Beschaffungsmärkte und den sich damit ändernden Wettbewerbsbedingungen. Sie können aber auch indirekt über ihre bestehenden Kun-den- und Zulieferernetzwerke, die Veränderungen in den globalen Wettbewerbsbedingungen unterliegen, betroffen sein (vgl. Weber 1999, S. 70 f.). Neben dem Push-Faktor Internationalisierungsdruck bietet die Internationalisierung für KMU einen Anreiz, langfristig Gewinnchancen zu rea-lisieren, die Wertschöpfungspotenziale neuer Märkte zu erschließen und gleichzeitig etablierte einheimische und regionale Märkte zu sichern.

Die Internationalisierung von KMU wirft aus wirt-schaftsgeographischer Sicht die Frage auf, welche räumli-chen Effekte die Auslandsaktivitäten im Heimat- bzw. im

Globalisierungsprozesse und die zunehmende internatio-nale Arbeitsteilung zwischen Unternehmen, Regionen und Standorten lassen sich anhand der Auslandsaktivitäten und Standortentscheidungen von multinationalen Unternehmen (MNU) beobachten. Gleichzeitig sind auch regionale klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) mit weniger als 500 Mitarbeitern (vgl. www.ifm-bonn.de) auf interna-tionalen Märkten aktiv. Zwar birgt für sie ein Auslandsen-gagement erhebliche Risiken, aber es ergeben sich dadurch auch betriebswirtschaftliche Chancen sowie wirtschaftliche Vorteile für die (Heimat-)Region der KMU. Der folgende Beitrag diskutiert auf der Basis einer Fallstudienanalyse, wie KMU Internationalisierungschancen in der Zielregion Mittelosteuropa nutzen, um den heimischen Standort zu sichern. Außerdem wird erörtert, welche Unterstützung die regionale Wirtschaftsförderung dabei leisten kann.

Zunehmende Internationalisierungstendenzen bei KMU

Für viele Unternehmen in Westeuropa war die Erweiterung der Europäischen Union seit Beginn der 1990er Jahre und die damit verbundene EU-Integration der Länder Mittel-

Dr. B. Leick ()Geographisches Institut, Universität Bayreuth,Bayreuth, DeutschlandE-Mail: [email protected]

Prof. Dr. G. Leßmann · J. Nußbaum, M.A.Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften,Karl-Scharfenberg-Straße 55/57, 38228 Salzgitter, DeutschlandE-Mail: [email protected]

J. Nußbaum, M.A.E-Mail: [email protected]

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Zielmarkt mit sich bringen. Welche Auswirkungen haben beispielsweise Produktions- und Absatzbeziehungen im Ausland auf die Beschäftigung in der Heimatregion oder auf etablierte Zuliefer- oder Kooperationsnetzwerke am deutschen Standort? Vor allem über den reinen Export hin-ausgehende Aktivitäten wie Auslandsniederlassungen oder andere Direktinvestitionen wurden in der Vergangenheit von großen Konzernen und MNU, aber auch von KMU genutzt, um Produktionskapazitäten und damit Beschäftigung ins Ausland zu verlagern. Vor welche Herausforderungen wird damit die hiesige regionale Wirtschaftsförderung im Zuge der Internationalisierungsaktivitäten gestellt?

Besonderheiten der Internationalisierung von KMU

Für KMU ist der Gang ins Ausland ein großer Schritt. Sie müssen mit begrenzten Ressourcen marktbezogene, kultu-relle oder politisch-technische Barrieren überwinden, die aus der Sicht von Großunternehmen und MNU als deutlich schwächer wahrgenommen werden.

KMU nehmen vor allem Wissens- und Informationsdefi-zite sowie Ressourcenengpässe als Hindernisse für Auslands-aktivitäten wahr (vgl. Buckley 1993, S. 85). Dazu zählen unzureichende Kenntnisse über die Zielmärkte, die Möglich-keiten zur Einschätzung der Wettbewerbssituation sowie die Beurteilung politischer und institutioneller Rahmenbedin-gungen (vgl. z. B. Hollenstein 2005). Insbesondere im Ver-gleich zu MNU sind KMU schon deshalb schlechter gestellt, weil das in den MNU angehäufte Internationalisierungswis-sen die Bearbeitung neuer Märkte erheblich vereinfacht und damit einen nicht zu unterschätzenden strategischen Vorteil darstellt. Darüber hinaus führt die Multinationalität dieser Unternehmen zu einer Risikodiversifikation. KMU, die im Vergleich dazu nur auf einem oder wenigen ausländischen Märkten gleichzeitig aktiv sind, stehen vor einem wesentlich höheren Risiko beispielweise aufgrund der politischen Insta-bilitäten in einzelnen Ländern. Die größenbedingte Ressour-cenknappheit an Finanz-, Sach- und Humankapital bedingt ein grundsätzliches Hindernis für die Internationalisierung (vgl. Maaß und Wallau 2003). So können große Unternehmen etwa die Vorteile der Massenproduktion oder Skalenerträge nutzen, um die (Transaktions-)Kosten der Auslandsgeschäfte leichter tragen zu können.

Die in der Fachliteratur herausgestellten Nachteile von KMU gegenüber Großunternehmen und besonders gegen-über MNU haben Unterschiede bei der Art von Auslandsak-tivitäten zur Folge. Aufgrund ihrer begrenzten Ressourcen wählen KMU seltener eigentums- und beteiligungsbasierte Formen des Markteintritts wie Direktinvestitionen. Stattdes-sen entscheiden sie sich verstärkt für Exporte und vertrags-basierte Formen der Zusammenarbeit mit ausländischen Unternehmen. Diese Internationalisierungsstrategie erfor-

dert einen vergleichsweise geringen Kapitaleinsatz. Wenn KMU eigentumsbasierte Formen des Markteintritts wählen, so beschränkt sich dies in der Regel auf Minderheitsbeteili-gungen an ausländischen Unternehmen.

KMU bringen aber auch spezifische Vorteile für die Internationalisierung mit, die im Vergleich zu Großunter-nehmen strategische Wettbewerbsvorteile ausmachen. Sie zeichnen sich oftmals durch eine spezifische Wissensbasis aus, die sie auf den zahlreichen und durchaus interessanten Nischenmärkten konkurrenzfähig macht und Kundenbe-dürfnisse leichter bedienen lässt. Auch die zumeist kürzeren Entscheidungswege in der Unternehmensorganisation von KMU ermöglichen ein flexibleres und schnelleres Handeln. (vgl. Geyer und Uriep 2012).

Gute Performance international agierender KMU

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht zeigt sich eine deutliche Überlegenheit international ausgerichteter KMU gegen-über denjenigen Unternehmen, die sämtliche Aktivitäten auf den einheimischen Markt konzentrieren. Eine im Jahr 2009 europaweit durchgeführte Untersuchung von über 9.000 KMU (vgl. Europäische Kommission 2010) macht deutlich, dass vor allem in Bezug auf Umsatz- und Beschäf-tigtenwachstum erhebliche Differenzen bestehen. Mehr als 50 % der international agierenden KMU wiesen im Jahres-zeitraum 2007 bis 2008 ein Umsatzwachstum auf, bezogen auf die gesamte Stichprobe waren es nur 35 % der Unterneh-men. Im gleichen Zeitraum konnte für die exportierenden Unternehmen ein Beschäftigungswachstum von durch-schnittlich sieben Prozent ermittelt werden, bei den nicht exportierenden Unternehmen waren es lediglich drei Pro-zent. Bei KMU mit Auslandsdirektinvestitionen wuchs die Anzahl der Beschäftigten sogar um 14 Prozent. Ein ebenso deutlicher Zusammenhang zeigt sich zwischen der Inter-nationalisierung und dem Innovationsverhalten der KMU. 26 % der international aktiven KMU führten im Untersu-chungszeitraum neue Produkte oder Dienstleistungen ein, bei allen anderen KMU waren es nur acht Prozent. Der glei-che Zusammenhang zeigt sich bei den Prozessinnovationen (vgl. Europäische Kommission 2010, S. 8 f).

Aus regionalökonomischer Sicht bleibt zu prüfen, inwie-weit diese betriebswirtschaftlichen Erfolge sich nachhaltig auf die Entwicklung des Heimatmarktes und -standorts aus-wirken, oder ob diese Wachstumseffekte gerade bei ver-stärktem Auslandsengagement überwiegend den Zielmarkt im Ausland betreffen. Dazu gibt die Fachliteratur kaum Hinweise. Um erste Einblicke in diese Thematik zu erhal-ten, wurden 2011 auf Basis eines qualitativen Fallstudienan-satzes teilstandardisierte Interviews mit zehn international aktiven KMU in Niedersachsen geführt (vgl. Leick et al. 2012). Die Untersuchung konzentrierte sich auf das wachs-

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nengebundene Veränderungen – beispielsweise eine nun bewusste Entscheidung zugunsten einer gezielten Marktbe-arbeitung in MOE. Ein wichtiger Auslöser der Internationa-lisierung in MOE ist auch die Expansion westeuropäischer Schlüsselkunden. Die befragten KMU begleiten diese häufig als spezialisierte Zulieferer in MOE-Märkte. Die Kunden sind oft nationale Großkonzerne oder westeuropäische MNU, die die Großregion bereits systematisch erschlossen haben und die nun die KMU im Rahmen einer vertragsbasierten oder Netzwerkzusammenarbeit bei der Markterschließung unter-stützen. In diesen Fällen wirkt die Integration der niedersäch-sischen KMU in internationale Unternehmensnetzwerke mit global orientierten Partnern darauf hin, dass sie ihre eigene Markterschließung und -bearbeitung in MOE und anderen Zielregionen forcieren. Einige der befragten Unternehmen können über solche Netzwerkbeziehungen fehlende Erfah-rungen auf Auslandsmärkten ausgleichen.

tumsstarke Segment des niedersächsischen Maschinenbaus und die Aktivitäten der befragten KMU in der Großregion MOE, die in einer frühen Phase der Marktöffnung nach Westeuropa eine beliebte und räumlich nahe Zielregion für Auslandsdirektinvestitionen und Produktionsverlagerungen darstellte. Zentrale Themen, die in den Gesprächen tief-ergehend erörtert wurden, waren die individuellen Inter-nationalisierungsverläufe, die veränderte Bedeutung von Markteintrittsbarrieren durch die EU-Integration und die regionalökonomischen Auswirkungen des Auslandsengage-ments auf den Heimat- bzw. Auslandsstandort.

Motive und Strategien des Markteintritts

Fast durchweg verfolgen die befragten Unternehmen als wichtigstes und oft einziges Internationalisierungsmotiv das Ziel, neue Märkte in MOE zu erschließen. Für einige Unternehmen ist dieses Motiv direkt an die Expansion und geografische Nähe zu deutschen bzw. westeuropäischen Großunternehmen gekoppelt. Nur noch selten geht es Unter-nehmen darum, (kostengünstiger) an Ressourcen zu kom-men (vgl. Abb. 1). Als Eintrittsmodus in die MOE-Märkte wählen die Unternehmen fast immer Außenhandelsbezie-hungen, überwiegend als direkte oder indirekte Exporte. Nur wenige der befragten Unternehmen tätigen Importe, verfügen über eigene Produktionsstätten oder Tochter-gesellschaften in MOE. Die befragten Unternehmen, die Auslandsdirektinvestitionen getätigt haben, zielen auf eine Markterschließung oder Kapazitätserweiterung, was auf eine horizontale Integration der in- und ausländischen Pro-duktionsstätten hindeutet.

Die Ergebnisse bzgl. der jeweiligen Form des Marktein-tritts legen also nahe, dass die befragten Unternehmen in der Regel den „klassischen“ Einstieg in die Auslandsmärkte der MOE wählen. Er entspricht dem für KMU typischen Kon-zept einer stufenweisen Internationalisierung. Häufig bilden Vertrags- und Netzwerkbeziehungen mit einem (Vertriebs-)Partner aus Deutschland (bei der indirekten Internationali-sierung) oder in MOE (bei direkten Exporten) den Anlass, in MOE-Märkte einzutreten. Weitaus seltener nutzen die Unternehmen beim Markteintritt Unternehmensnetzwerke mit eigenen lokalen Partnern.

Obwohl sich die Motivstrukturen der Unternehmen ähneln, unterscheiden sich die Anlässe für eine Aufnahme von Auslandsaktivitäten im Detail. Ein wichtiger Anlass, sich zu internationalisieren, ist ein eingeleiteter Generationen-wechsel auf Ebene der Geschäftsleitung. Zwar sind bei eini-gen dieser Fälle die ersten Internationalisierungsschritte nach dem Übergang noch nicht aktiv gesteuert (etwa über eine bewusste Strategie zum Markteintritt in Auslandsmärkte). Gleichwohl zeigen sich im weiteren Verlauf der Auslands-engagements aufgrund der Unternehmensnachfolge perso-

Abb. 1 Art der Auslandsaktivitäten der befragten Unternehmen nach Ländern in MOE. (Quelle: Eigene Darstellung)

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ten gestiegen. Tendenziell haben die Unternehmen, wenn sie Standorte im Ausland unterhalten, sowohl für den deutschen Firmensitz als auch für die ausländische Tochtergesellschaft Personal eingestellt. Dabei spielen Lohnkostenvorteile ent-gegen den gängigen Vermutungen in der Region MOE als Anreiz zum Beschäftigungsaufbau im Auslandsmarkt keine Rolle (mehr). Ein Erklärungsansatz bietet die Motivstruktur der Unternehmen, die hier überwiegend marktorientiert ist.

Auch für Unternehmen, die beschäftigungswirksame Direktinvestitionen oder Lohnfertigungen in MOE betrei-ben, ist der Marktzugang in MOE mittlerweile der wich-tigste Grund ihres Engagements, entweder um politische Vorgaben zu erfüllen oder um Transportkostenvorteile zu realisieren. Eine für den Heimatstandort nachteilige (Lohn-)Kostensenkung oder Produktionsverlagerung über ein Engagement in MOE kann damit als Ziel der befrag-ten Unternehmen größtenteils verworfen werden. Insgesamt tragen die beschriebenen Auslandsengagements tendenziell zur Standortsicherung im Inland bei.

Mit Blick auf die Anzahl der Zulieferer bzw. Kunden las-sen sich bei den meisten Unternehmen kaum Veränderun-gen im Verlauf der Auslandsaktivitäten feststellen. Nur in Ausnahmefällen fanden die Unternehmen über lokale Netz-werke neue Zulieferer. Häufiger ist die Konstellation, dass vom Heimatmarkt bekannte Zulieferer in MOE tätig sind

Effekte am Heimatstandort durchweg positiv

In der Analyse der ausgewählten KMU bestätigen sich bei wesentlichen betriebswirtschaftlichen Kennziffern zunächst die positiven Entwicklungstendenzen international ausge-richteter KMU (siehe Tab. 1). Alle befragten Unternehmen verzeichneten nach eigenen Angaben seit Beginn der Aus-landsaktivitäten eine Umsatzsteigerung. Zugleich konnte die Mehrheit der Unternehmen Marktanteile hinzugewin-nen, die Anzahl der Beschäftigten erhöhen und insgesamt den Gewinn steigern. Positive Tendenzen sind auch für die räumlichen Effekte am Heimatstandort zu erkennen. Obwohl solche Effekte über qualitative Forschungsmetho-den nicht quantifiziert werden können, wird versucht, sub-jektive Grundtendenzen abzuleiten anhand der Parameter:

● Arbeitsplatz- bzw. Produktionsverlagerungen, ● Veränderungen bei der Anzahl der Zulieferer bzw. Kun-

den und ● Veränderungen bei der Anzahl der Kooperationspartner.

Bei keinem der befragten Unternehmen ist es zu Arbeitsplatz- oder Produktionsverlagerungen im Zuge der Auslandsakti-vitäten in MOE gekommen. Die Zahl der Beschäftigten am Heimatstandort ist – soweit sich dies zuordnen lässt – bei den meisten KMU durch ihr Engagement in den Zielmärk-

Tab. 1 Unternehmens- und standortbezogene Entwicklungstendenzen der Auslandsengagements. (Quelle: Eigene Zusammenstellung)Merkmale U1a U2 U3 U4b U5 U6 U7c U8d U9 U10Beschäftigte, gesamt (Inland) – ● ● Beschäftigte, gesamt (Ausland) – – – – – – – Beschäftigte, hochqualifiziert (Inland) ● – ● – k.A. ● Beschäftigte, hochqualifiziert (Ausland) – – – – – – – k.A. ●Beschäftigte, gering qualifiziert (Inland) – ● ● – ● – k.A. – Beschäftigte, gering qualifiziert (Ausland) – – – – – – – k.A. – Investitionen (Inland) ● – ● ● Investitionen (Ausland) – – – – – – – ● Anzahl der Zulieferer (Inland) ● – ● k.A. k.A. ● ●Anzahl der Zulieferer (Ausland) – – – – – – – – ●Anzahl der Kunden (Inland) ● – ● Anzahl der Kunden (Ausland) – – – – – – – Anzahl der Kooperationspartner (Inland) ● – – ● k.A. – – –Anzahl der Kooperationspartner (Ausland) – – – – – k.A. – – – –Umsatz Gewinn k.A. ● k.A. F&E-Ausgaben ● ● ● k.A. – ●Eigenkapitalquote k.A. ● k.A. Exportquote ● k.A. Marktanteile k.A. k.A. ●

Zunahme, Abnahme, ● keine Veränderung, – keine Aussagen möglich, k.A. Keine AngabeaNicht auf Basis von MOE alleinebAuslandsaktivitäten in MOE haben keine räumlichen Auswirkungen; Kundenzahl nur marginal gestiegencViele Stammkunden durch Aktivitäten in Polen hinzugewonnen; bei Herstellern eher Spezialisierung (mit weniger Fabrikaten besserer Service) und speziell auf diese Modelle geschultdNicht explizit auf MOE-Geschäfte zurückzuführen; Wachstumszahlen in MOE deutlich schwächer als in Asien

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gefragten Beratungsangebote zur Unternehmensnachfolge eingebunden werden. Wie die Untersuchungsergebnisse gezeigt haben, stellen gerade ein sich vollziehender Gene-rationenwechsel und die strategische Neuausrichtung eines etablierten Unternehmens wichtige Anlässe dar, über Inter-nationalisierungsschritte nachzudenken. Auch die gezielte Unterstützung der Personalentwicklung im Unternehmen kann ein Weg sein, um Internationalisierungsbarrieren ab- und spezifisches Know-how aufzubauen. Unterneh-mensübergreifende Seminare, Traineeprogramme oder Coa-chingangebote können den Outgoing-Prozess unterstützen. Erste Schritte in Richtung Auslandsgeschäft können aber auch von klassischen Instrumenten wie der (Teil-)Finanzie-rung einer Messeteilnahme zur Anbahnung und Ausweitung von Geschäftskontakten begleitet werden.

Internationalisierung bedeutet immer zunächst auch eine zusätzliche finanzielle Belastung für die Unternehmen. Zudem können Risiken durch schwankende Wechselkurse, Unsicherheiten im Zahlungsverkehr oder eine erschwerte Einschätzung der Bonität neuer, ausländischer Partner ent-stehen. Da der Markteintritt der untersuchten Unternehmen in allen Fällen über Exporte erfolgte, sind exportstützende Instrumente das Mittel der Wahl, um gerade KMU im Rah-men ihrer Internationalisierung zu fördern. So kann bei-spielsweise die Absicherung des Ausfuhrrisikos hilfreich sein – betreffend in erster Linie den Zahlungsverzug oder den For-derungsausfall (Hermesdeckungen bei Kunden- und Länder-risiken). Auch die Exportfinanzierung, wie sie etwa von der Kreditanstalt für Wiederaufbau gewährt wird, kann die Über-brückung langer Zahlungsfristen bei Auslandsgeschäften erleichtern und Liquiditätsengpässe exportierender Unter-nehmen vermeiden. Bürokratische Hemmnisse für KMU im Heimatmarkt und EU-weit abzubauen, unterstützt den Inter-nationalisierungsverlauf der Unternehmen zusätzlich.

Nicht zuletzt sind funktionierende Netzwerke besonders zweckmäßig für den Auf- und Ausbau internationaler Akti-vitäten. Diese Partnerschaften mit gemeinsamen Zielen und Interessen können Synergien nach sich ziehen, die sich in Kostenersparnissen oder einem leichteren Zugang zu poten-ziellen Geschäftspartnern bemerkbar machen. Netzwerke können regional oder national organisiert werden und neben KMU auch große Unternehmen (MNU) mit breitem Inter-nationalisierungswissen als Partner aufnehmen. Sowohl der Aufbau als auch die eigentliche Netzwerkarbeit kann sei-tens der Wirtschaftsförderung unterstützt werden.

Literatur

Buckley PJ (1993) Barriers to internationalization. In: Zan L, Zambon S, Pettigrew AM (Hrsg) Perspectives on strategic change, Kluwer, Boston, S 79–106

Europäische Kommission (2010) Internationalisation of European SMEs, Final Report, Brüssel

und dass die KMU auf diese Weise etablierte Geschäftsbe-ziehungen im Ausland ausbauen. Durch das Engagement in MOE wächst nach Bekunden der befragten Unternehmen größtenteils die Anzahl der Kunden. Auch hier erkennen wir die Tendenz, dass immer mehr Bestandskunden vom Hei-matmarkt ins Ausland expandieren und die Unternehmen bei der Internationalisierung auf bestehende Netzwerke zurückgreifen können. Davon profitieren vor allem Unter-nehmen, deren Produkte nicht für den Endkunden bestimmt sind. Insgesamt kann man bei der überwiegenden Anzahl der befragten Unternehmen feststellen, dass sowohl die Anzahl der Kunden als auch der Anzahl der Zulieferer im Heimatmarkt zunehmen (siehe Tab. 1).

Handlungsempfehlungen für die Wirtschaftsförderung

Die vielfach vorhandenen Befürchtungen, dass sich mit einer zunehmenden Internationalisierung von KMU auch die regionalen unternehmerischen Aktivitäten verschieben, verbunden mit Arbeitsplatz- und Einkommensverlusten für die Heimatregion, bestätigt die vorliegende Untersuchung nicht. Im Gegenteil: Häufig bildet die internationale Aus-richtung die Basis für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens am Heimatstandort. Wenn die Internationalisierung von KMU mit einer höheren Wettbe-werbsfähigkeit und langfristig einem Umsatz- und Gewinn-wachstum am deutschen Firmensitz einhergeht, so ist aus Sicht der regionalen Wirtschaftsförderung eine proaktive Unterstützung von Auslandsaktivitäten dringend zu empfeh-len. In den betrachteten Fällen konnten die KMU über ein langfristiges Engagement in wachstumsstarken Auslands-märkten ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern und zum Teil selbst zu global players aufrücken. Das Potenzial scheint hier bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Die genannten Schwierigkeiten bei der Internationalisierung von KMU machen diesen Schritt allerdings zu einer enormen Heraus-forderung für die Unternehmen.

Zunächst sollte die Wirtschaftsförderung das Thema ver-stärkt in die Region tragen und die KMU für dieses Thema sensibilisieren – für mehr Internationalisierung muss gewor-ben werden. Die internationale Ausweitung der Geschäfte wird häufig noch als unnötig und zu teuer erachtet. Darüber hinaus benötigen die Unternehmen eine zentrale Anlauf-stelle, die ihnen hilft, sich im vielfach existierenden För-derwirrwarr zu orientieren. Die Fülle an Regelungen zu Ausfuhrbestimmungen, spezielle Marktanforderungen in den Ländern sowie ausländische Geschäftspraktiken stellen für viele KMU unüberwindbare Hindernisse dar. Hierbei kann die Wirtschaftsförderung durch eine erste Informa-tionsselektion und eine maßgeschneiderte Beratung vor Ort unterstützen. Diese Angebote sollten insbesondere in die vielfach bereits existierenden und aktuell stark nach-

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Dr. Birgit Leick, 1998–2002 Studium der Wirtschaftswissenschaf-ten an der FernUniversität Hagen und der TU Freiberg, 2006 Pro-motion an der TU Freiberg. Seit 2009 Akademische Rätin auf Zeit an der Universität Bayreuth, Geographisches Institut, Lehrstuhl Wirtschaftsgeographie.

Prof. Dr. Grit Leßmann, 1994–1999 Studium der Volkswirt-schaftslehre an der Universität Potsdam; 2006 Promotion an der TU Freiberg. Seit 2010 Professorin für Allgemeine Betriebswirtschafts-lehre mit Schwerpunkt Wirtschaftsförderung an der Ostfalia Hoch-schule für angewandte Wissenschaften, Institut für Tourismus- und Regionalforschung.

Jens Nußbaum, M.A., 2002–2010 Studium der Wirtschaftsgeogra-phie, Volkswirtschaftslehre und des Stadtbauwesens an der RWTH Aachen. Seit 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Institut für Tourismus- und Regionalforschung in Salzgitter.

Geyer G, Uriep A (2012) Strategien der Internationalisierung von KMU. HWWI Policy Paper 65

Haas H-D, Neumair S-M (2006) Internationale Wirtschaft: Rahmen-bedingungen, Akteure, räumliche Prozesse, München

Hollenstein H (2005) Determinants of international activities: are SMEs different? Small Bus Econ, 24(5):431–450

Köhler R (1999) Internationale Kooperationsstrategien kleinerer Unternehmen. In: Meiler RC (Hrsg) Mittelstand und Betriebswirt-schaft: Beiträge aus Wissenschaft und Praxis. Gabler, Wiesbaden, S 1–27

Leick B, Leßmann G, Nussbaum J (2012) Internationalisierungspfade mittelständischer Unternehmen in Osteuropa: Internationalisie-rungsprozess und Standorteffekte am Beispiel niedersächsischer KMU. IfM-Materialien Nr. 218, Bonn

Maaß F, Wallau F (2003) Internationale Kooperationen kleiner und mittlerer Unternehmen – unter besonderer Berücksichtigung der neuen Bundesländer. IfM-Materialien Nr. 158, Bonn

Weber P (1999) Internationalisierungsdruck mittelständischer Unter-nehmen. In: Meiler RC (Hrsg) Mittelstand und Betriebswirt-schaft: Beiträge aus Wissenschaft und Praxis. Gabler, Wiesbaden, S 241–266