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Knorpelfische als Modell für die Evolution von Knochen und Immunsystem

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Page 1: Knorpelfische als Modell für die Evolution von Knochen und Immunsystem

T R E F F P U N K T FO R SC H U N G |

362 | Biol. Unserer Zeit | 6/2014 (44) www.biuz.de © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Stellt man die Evolution der Lebe-wesen in einem Stammbaum dar,bedeutet jede Abzweigung einneues Merkmal, das alle Arten aufdiesem Zweig von denen auf vor-hergehenden und benachbartenZweigen unterscheidet. In derphylogenetischen Systematiknennt man solche gemeinsamenabgeleiteten Merkmale Synapo-morphien – ein Betriebswirtwürde von einem „Alleinstellungs-merkmal“ sprechen. Eine Synapo-morphie der Wirbeltiere (Unter-stamm Vertebrata) ist beispiels-weise die Wirbelsäule. Innerhalbder Wirbeltiere kennzeichnet dasKiefergelenk zwischen Ober- undUnterkiefer die Kiefermünder(Überklasse Gnathostamata) undtrennt sie von den Kieferlosen(Überklasse Agnatha), zu denenviele fossile Fischformen und dierezenten Neunaugen gehören.

Innerhalb der Kiefermünder istdas verknöcherte Innenskeletteine Synapomorphie, welche Kno-chenfische (Klasse Osteichthyes)und Landwirbeltiere (Tetrapoda)auszeichnet und von den Knorpel-fischen (Klasse Chondrichthyes)unterscheidet, denn auch bei denausgestorbenen Vorfahren derKnorpelfische (Klasse Placodermiund Klasse Acanthodi) kommen allenfalls Hautknochen vor. EinMerkmal wie die Verknöcherungdes Innenskeletts stellt nicht nureine morphologische Neuerungda, sondern bedeutet auch eineVeränderung der zugehörigenDNA-Sequenz. Auf der Suche nach

der genetischen Verankerung derKnochenbildung und anderer „Er-findungen“ von Landwirbeltierenist also ein Genomvergleich mitKnorpelfischen besonders aus-sichtsreich.

Zu den rezenten Knorpel -fischen zählen Haie und Rochen,sowie die eher auf der Südhalb -kugel verbreiteten Seekatzen oderChimären. Anders als Haie und Rochen haben Seekatzen nur eineeinzige Kiemenöffnung nach au-ßen und kein Revolvergebiss. Ana-lysiert wurde das Genom der Ele-fantennasenchimäre (Callorhin-chos milii, engl. elephant shark),die ihren Namen der rüsselartigverlängerten Schnauze verdankt.Sie lebt in Meerestiefen von 200bis 500 m im südlichen Australienund Neuseeland. Das Genom vonC. milii ist mit etwa einer MilliardeDNA-Basenpaaren relativ klein, esenthält rund 19.000 proteincodie-rende Gene. Im Laufe der Evolu-

tion hat sich ihre DNA nur wenigverändert, das erkennt man an dergeringen molekularen Evolutions-rate, den wenigen Intronverände-rungen und seltenen chromosoma-len Umordnungen. In C. milii sindzwar alle Gene für die Skelettele-mente vorhanden, es fehlen aberGene, die für spezifische kalzium-bindende Phosphoproteine codie-ren und so die Verknöcherung ein-leiten. Verwandte Gene bei Land-wirbeltieren spielen auch eineRolle bei der Zahnschmelzbildungund bei der Ausscheidung vonMilch, Tränen und Schleim.

Eine weitere wichtige Neue-rung auf dem evolutiven Weg zuden Landwirbeltieren ist die Ent-wicklung des Immunsystems. Dieunspezifische (angeborene) Im-munabwehr von Knorpelfischenähnelt der von Säugetieren: Bei C. milii lassen sich vielfältige Mole-küle des Haupthistokompatibili-tätskomplexes (MHC Klasse II)nachweisen. Sie sind verantwort-lich für die immunologische Indivi-dualität, für Immunerkennung undGewebeverträglichkeit. Das adap-tive Immunsystem unterscheidetsich jedoch deutlich: Bei C. miliifehlen die T4-Helferzellen, also dieAntigen präsentierenden Zellen,die bei höheren Säugetieren fürdie erworbene Abwehr sorgen.Entsprechend fehlen Gene, die mitder CD4-Linie zu tun haben, wieder kanonische CD4-Co-Rezeptor,die meisten Transkriptionsfakto-ren, Cytokine und Cytokin-Rezep-toren. Hier scheint also die Basisdes adaptiven Immunsystems zuliegen und C. milii könnte Hin-weise auf die Ursprünge der er-worbenen Immunabwehr bieten.Mit ihrem stark konservierten Ge-nom ist C. milii ein besonders ge-eignetes Modell für die Evolutionder Landwirbeltiere.

[1] B. Venkatesh et al., Nature, 2014, 505,174–179.

Inge Kronberg, Büsum,www.naturverstehen.de

E VO LU T I O N

Knorpelfische als Modell für die Evolutionvon Knochen und ImmunsystemBiologen gruppieren Arten und höhere Taxa traditionell nach morpho-logischen Kriterien. Ausgehend von diesen Unterscheidungsmerkmalenwerden heute die zugrundeliegenden Gene aufgespürt. Die in denSchelfmeeren der Südhalbkugel vorkommende Elefantennasenchimäre(Callorhinchos milii ) gehört wie Hai und Rochen zu den Knorpelfischen,in ihrem Genom lassen sich die genetischen Ursprünge von Knochen-bildung und adaptivem Immunsystem orten.

A B B . Gilt als ursprünglichstes Wir-beltier mit Kiefer: Elefantennasen-chimäre im Aquarium von Mel-bourne. Bild: Fir0002/Flagstaffotos,http://en.wikipedia.org/wiki/GNU_Free_Documentation_License.