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Wissen ist der einzige Produktionsfaktor, dessen Wert bei Gebrauch steigt. In der neuen Ökonomie wird der Anteil des in Produkten und Dienstleistungen enthaltenen Wissens immer größer und der Materialanteil immer kleiner. Gleichzeitig ist man von Informa- tionen überflutet, und es wird immer schwieriger, im Meer an Information das benö- tigte Wissen zu finden. Es stellt sich daher die Frage, wie Unternehmen mit neuen Wissensinfrastrukturen ihren Wert steigern können. Den Ausgangspunkt bildet eine Beschreibung des metho- dischen Rahmens einer wissensorientierten Unternehmensführung. Hierauf aufbauend skizzieren wir Entwicklungstendenzen im Markt der sogenannten Knowledge Manage- ment-Software. Anschließend behandeln wir neue Ansätze zur Messung des intellektuel- len Vermögens und erläutern Implikationen für die Wertsteigerung von Unternehmen. Wir gehen von der These aus, dass der bewußtere Umgang mit dem ›Potential in den Köpfen‹ die Unternehmensführung in den nächsten Jahren nachhaltig verändern wird. Eine Vorbildfunktion haben dabei die Gewinner des diesjährigen Most Admired Knowledge Enterprises (MAKE™)-Awards. Die Spitzenreiter bei den bewerteten Kriterien sind in Abb. 1 zusammengefasst. Abb. 1: Führende Unternehmen

Knowledge Enterprises (MAKE™)-Awards · 36 DGI-Online-Tagung ’99 – Eröffnungsveranstaltung Die physische Wertschöpfung wird durch material- und datenintensive Prozesse geprägt,

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  • Wissen ist der einzige Produktionsfaktor, dessen Wert bei Gebrauch steigt. In der neuenÖkonomie wird der Anteil des in Produkten und Dienstleistungen enthaltenen Wissensimmer größer und der Materialanteil immer kleiner. Gleichzeitig ist man von Informa-tionen überflutet, und es wird immer schwieriger, im Meer an Information das benö-tigte Wissen zu finden.

    Es stellt sich daher die Frage, wie Unternehmen mit neuen Wissensinfrastrukturenihren Wert steigern können. Den Ausgangspunkt bildet eine Beschreibung des metho-dischen Rahmens einer wissensorientierten Unternehmensführung. Hierauf aufbauendskizzieren wir Entwicklungstendenzen im Markt der sogenannten Knowledge Manage-ment-Software. Anschließend behandeln wir neue Ansätze zur Messung des intellektuel-len Vermögens und erläutern Implikationen für die Wertsteigerung von Unternehmen.

    Wir gehen von der These aus, dass der bewußtere Umgang mit dem ›Potential in denKöpfen‹ die Unternehmensführung in den nächsten Jahren nachhaltig verändern wird.Eine Vorbildfunktion haben dabei die Gewinner des diesjährigen Most AdmiredKnowledge Enterprises (MAKE™)-Awards. Die Spitzenreiter bei den bewerteten Kriteriensind in Abb. 1 zusammengefasst.

    Abb. 1: Führende Unternehmen

  • Hans-Gerd Servatius: Wertsteigerung durch neue Wissensinfrastrukturen 35

    Das Thema Wissensmanagement hat in den letzten Jahren weiter an Bedeutung gewon-nen. Eine Internet-Recherche führte kürzlich zu knapp 38.000 Web Sites und 266Büchern. Daneben gibt es eine Vielzahl von Konferenzen, Zeitschriften und Artikeln, diesich mit dem Thema beschäftigen. In einer aktuellen Befragung der Zeitschrift Informa-tion Management & Consulting rangiert das Thema auf Rang 2 hinter ElectronicCommerce und vor Customer Care (Abb. 2).

    Abb. 2: Führungsthemen

    Wir vertreten die Auffassung, dass es sich hierbei nicht um eine kurzfristige Mode-welle handelt, sondern um eine grundlegende Neuorientierung der betriebswirt-schaftlichen Führungslehre und Management-Praxis. Eine verbesserte Nutzung derRessource Wissen verspricht Wettbewerbsvorteile, erfolgreiches Wachstum und eineWertsteigerung des Unternehmens. Es stellt sich daher die Frage, wie eine wissens-orientierte Unternehmensführung in der Praxis umgesetzt werden kann.

    Wir betrachten die wissensorientierte Unternehmensführung als Prozess und alsSystem. Die Prozess-Perspektive bedeutet, dass das Unternehmen seine Wertschöpfungneu definieren muss. Stand in der Industriegesellschaft die physische Wertschöpfung imVordergrund, so entscheidet in der entstehenden Wissensgesellschaft die intellektuelleWertschöpfung immer mehr über den Markterfolg.

  • 36 DGI-Online-Tagung ’99 – Eröffnungsveranstaltung

    Die physische Wertschöpfung wird durch material- und datenintensive Prozessegeprägt, wie z. B. Produktion, Logistik, Vertrieb oder Rechnungswesen. Die erste Welleder Prozessneugestaltung und Software-Implementation war in erster Linie auf diesephysische Wertschöpfung fokussiert. In dieser ersten Welle entstand Anfang der neun-ziger Jahre der Begriff Reengineering.

    Bei der intellektuellen Wertschöpfung hingegen spielen wissensintensive Prozesse dieentscheidende Rolle. Hierzu zählen Planung und Controlling, Forschung und Entwick-lung oder die Gestaltung der Kundenbeziehungen. Gegenwärtig befinden wir uns ineiner zweiten Welle der Prozessinnovation und Weiterentwicklung der Wissensinfra-strukturen. Insofern besteht zwischen dem Reengineering und der Prozess-Perspektiveeiner wissensorientierten Unternehmensführung ein fließender Übergang.

    Für die Zukunft ist zu erwarten, dass der Anteil der intellektuellen Wertschöpfungnicht nur bei typischen Wissensunternehmen wie z. B. Consultants, sondern auch inIndustrieunternehmen weiter zunehmen und die physische Wertschöpfungdurchdringen wird (Abb. 3).

    Abb. 3: Intellektuelle Wertschöpfung

    Die System-Perspektive betrachtet die wissensorientierte Unternehmensführung als einBündel vernetzter Aufgabenfelder, die ein Unternehmen zu bewältigen hat. DieseAufgabenfelder beschäftigen sich mit den Grundfunktionen• Wissensidentifikation,• Wissensbewahrung,• Wissensbewertung,

  • Hans-Gerd Servatius: Wertsteigerung durch neue Wissensinfrastrukturen 37

    • Wissenserwerb,• Wissensnutzung,• Wissensaustausch und• Wissensentstehung.In der Praxis stellt sich die Aufgabe, die Prozess-Perspektive und die System-

    Perspektive zu verknüpfen. Dabei steht das Wissensmanagement ideengeschichtlich inder Tradition einer ressourcenorientierten, evolutionären Führungslehre.

    Deloitte Consulting hat ausgehend von seinem Enterprise Transformation-Konzept ineiner Vielzahl von Beratungsprojekten und einem begleitenden Forschungsprogrammeinen methodischen Rahmen für die wissensorientierte Unternehmensführung ent-wickelt. Dieser gliedert die zu bewältigenden Aufgabenfelder in die Phasen• Zielsetzung und Analyse (Knowledge Audit),• Konzeption (Design) und • Umsetzung (Realization) sowiein die Dimensionen • Programm-Management,• Informations- und Kommunikationssysteme,• Organisation,• Wandel des Verhaltens,• Marketing,• Controlling und• Strategie.Erfolgreiche wissensorientierte Unternehmensführung erfordet eine ganzheitliche Per-

    spektive, die die verschiedenen Dimensionen integriert. Wissen entsteht aus Informationinnerhalb eines individuellen Kontextes. Menschen und Technik sind daher gleich wich-tig. Keine der Dimensionen sollte dominieren. Vielmehr kommt es darauf an, die unter-schiedlichen Dimensionen in ein dynamisches Gleichgewicht zu bringen.

    Das Vorgehen bei der Gestaltung einer wissensorientierten Unternehmensführung istin der Regel evolutionär. Angesichts der Komplexität der Aufgabe muss der Versuch,diese neue Führungsphilosophie in einem Rundumschlag umzusetzen, in der Praxisscheitern. Erfolgreicher sind Programme, die mit überschaubaren Pilotprojektenbeginnen, einen klar definierten Nutzen stiften und dann zu umfassenderen Aufgabenfortschreiten.

    Auf keinen Fall darf ein Unternehmen dabei die spezifischen Widerstände unter-schätzen. In vielen Unternehmen herrscht immer noch die Einstellung vor: »Wissen istMacht«. Es verwundert daher nicht, dass eine Studie des Stuttgarter Fraunhofer-Institutszu dem Ergebnis kommt, die wichtigsten Barrieren für das Wissensmanagement seien(Abb. 4):• Zeitknappheit,• fehlendes Bewußtsein und• Unkenntnis über den Wissensbedarf.

  • 38 DGI-Online-Tagung ’99 – Eröffnungsveranstaltung

    Abb. 4: Barrieren

    Insofern muss der von uns entwickelte methodische Rahmen einer wissensorien-tierten Unternehmensführung an die spezifische Situation angepaßt werden. Die inAbb. 5 dargestellten Aufgabenfelder bilden ein wirtschaftliches Ökosystem mit vielfälti-gen Vernetzungen. Bei der Einflussnahme in diesem Ökosystem kommt es entscheidendauf die Gestaltung der Rahmenbedingungen an. Ein Schlüsselbegriff der Wissensökolo-gie ist Emergenz. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, entstehen selbstorganisierteLernprozesse und Wissensmarktplätze quasi wie von Geisterhand. Der Austausch vonWissen ist mehr als reine Informationsübertragung. Da Wissen Information innerhalbeines Kontextes ist, kommt einer Annäherung der Kontexte entscheidende Bedeutungzu. Mindestens ebenso wichtig wie die rationale Intelligenz ist in der Wissensökologiedaher die emotionale Kompetenz.

  • Hans-Gerd Servatius: Wertsteigerung durch neue Wissensinfrastrukturen 39

    Abb. 5: Methodischer Rahmen

    Im folgenden wollen wir die Aufgabenfelder kurz skizzieren. In der Phase derZielsetzung und Analyse geht es zunächst darum, die Bedeutung des Themas klarherauszuarbeiten und für ein Programm das entsprechende Commitment zu gewinnen.Angesichts der häufig genannten Barriere »Zeitknappheit« ist es sehr wichtig, einenachhaltige Unterstützung durch die Führung zu erreichen.

    Anschließend sollte sich das Unternehmen einen Überblick verschaffen, wo es in denverschiedenen Dimensionen einer wissensorientierten Unternehmensführung steht. ImRahmen eines Knowledge Audits erfolgt dabei• eine Analyse der im Unternehmen vorhandenen Informations- und Kommunika-

    tions-Systeme;• eine Identifikation des für das Unternehmen relevanten expliziten und impliziten

    Wissens;• eine Analyse von Wissensbarrieren und Widerständen;• eine Analyse der Ansätze zur Erfassung von Kundenwissen;• eine Analyse der eingesetzten Controlling-Instrumente sowie• eine Analyse der strategischen Bedeutung des Themas.Parallel dazu kann eine Benchmarking-Analyse von Pionier-Unternehmen durch-

    geführt werden.Auf dieser Grundlage erfolgt dann die evolutionäre Planung und Organisation des

    unternehmenspezifischen Programms zur Konzeption und Umsetzung eines verbesser-ten Wissensmanagements.

  • 40 DGI-Online-Tagung ’99 – Eröffnungsveranstaltung

    In der Konzeptionsphase wird häufig zunächst versucht, die Frage zu beantworten,wie das Unternehmen seine vorhandenen Wissensinfrastrukturen weiterentwickelnsollte. Parallel dazu stellt sich die Aufgabe, den globalen Wissensaustausch zwischenProzessen und Organisationseinheiten zu verbessern. Im Mittelpunkt steht dabei eineGestaltung der Rahmenbedingungen und der Wandel zu einer neuen Lernkultur in derbeweglichen Organisation.

    Von besonderer Bedeutung ist dabei die Realisierung eines wissensbasierten CustomerRelationship Managements (CRM). Ein verbessertes Kundenwissen bildet die Grundlagefür ein leistungsfähiges Beziehungs-Marketing. Daher gehören CRM-Software undInternet-Software gegenwärtig zu den am schnellsten wachsenden Segmenten desSoftware-Marktes.

    Eine solche Organisation legt großen Wert auf die Messung ihres intellektuellenVermögens, das als wichtiger Treiber für eine Wertsteigerung des Unternehmensangesehen wird. Insgesamt zielen diese Aktivitäten darauf ab, durch neues Wissen undInnovation erfolgreich zu wachsen.

    Verbesserte Wissensinfrastrukturen sind demnach ein wichtiges Mittel zur Steigerungdes Unternehmenswertes. Im folgenden behandeln wir die Aufgabenfelder ›Wissens-infrastrukturen‹ sowie ›Messung des intellektuellen Vermögens und Wertsteigerung‹ausführlicher. Dabei gehen wir von der These aus, dass Unternehmen ihre traditionellen,aus der Industriegesellschaft stammenden Controlling-Instrumente weiterentwickelnmüssen, wenn sie auch in der Wissensgesellschaft noch erfolgreich sein wollen.

    Die Weiterentwicklung der Wissensinfrastrukturen erfolgt vor dem Hintergrund einerkomplexer werdenden Software-Landschaft in den Unternehmen. Stand in den letztenJahren die Implementation von Enterprise Ressource Planning (ERP)-Software im Mittel-punkt des Interesses, so sind inzwischen weitere Software-Segmente hinzugekommen,die möglicherweise in Zukunft wieder mit erweiterten ERP-Systemen verschmelzenwerden. Hierzu zählen (Abb. 6):• Supply Chain Management (SCM)-Software;• Customer Relationship Management (CRM)-Software;• Internet-Software und Content Management (CM)-Systeme;• Strategic Enterprise Management (SEM)-Software für Planungs- und Controlling-

    prozesse sowie• die sogenannten Knowledge Management (KM)-Systeme.

  • Hans-Gerd Servatius: Wertsteigerung durch neue Wissensinfrastrukturen 41

    Abb. 6: Software-Segmente

    Das Marktforschungsunternehmen Ovum prognostiziert für das Knowledge Manage-ment in den nächsten vier Jahren ein jährliches Wachstum von rund 60 %. Wenn diesePrognose zutrifft, wird der Markt von 1,8 Mrd. Dollar im Jahre 1998 auf 11,6 Mrd. Dollarim Jahre 2002 »explodieren«. Dabei läge das Wachstum im Software-Segment bei 119 %und im Beratungs- und Service-Segment bei 35 % (Abb. 7).

    Abb. 7: Marktwachstum

  • 42 DGI-Online-Tagung ’99 – Eröffnungsveranstaltung

    Der Markt für Knowledge Management (KM)-Systeme lässt sich heute im wesent-lichen in die folgenden Segmente gliedern:• Informations- und Wissens-Retrieval;• Groupware und Intranets / Extranets;• Dokumenten-Management sowie• Datenbank-Management mit Datawarehouses, Data Mining und Online Analytical

    Processing (OLAP).Für die Zukunft ist mit einer Konvergenz dieser Segmente zu rechnen. Das Ziel der

    Hersteller ist die Entwicklung integrierter Systeme, die alle Funktionalitäten dereinzelnen Segmente erfüllen. So hat z. B. IBM-Lotus eine solche integrierte KM-Softwarefür 1999 angekündigt. In Abb. 8 sind wichtige Hersteller in den einzelnen Segmentenzusammengefasst. Es ist damit zu rechnen, dass einige dieser Unternehmen Allianzeneingehen werden, um die Anforderungen des Marktes zu erfüllen.

    Abb. 8: Hersteller von Knowledge Management (KM)-Software

    So streben z. B. die Knowledge Retrival-Anbieter eine Erweiterung um Groupware-Funktionen an, indem sie die Erstellung von Fähigkeitsprofilen und Wissenslandkartenunterstützen. Anbieter von Internet-Suchmaschinen müssen ihr Angebot auf Intranets

  • Hans-Gerd Servatius: Wertsteigerung durch neue Wissensinfrastrukturen 43

    ausweiten. Groupware muss um Knowledge Retrival- und Content Management-Funk-tionen erweitert werden, um ihre Rolle als Unternehmensgedächtnis zu erfüllen.Umgekehrt streben die Dokumenten Management-Anbieter Groupware-Funktionenan. Dies alles schließlich müsste mit den Produkten der Datenbank-Anbieter verschmel-zen, die sich auf Data Warehouses und Data Mining konzentrieren.

    Die Weiterentwicklung der Wissensinfrastrukturen ist daher eng mit dem Angebot derSoftware-Hersteller verknüpft. In der Vergangenheit glaubten viele Unternehmen, mitder Implementation eines Intranets sei bereits eine leistungsfähige Wissensinfrastrukturentstanden. Sie mussten dann aber enttäuscht feststellen, dass z. B. ohne eine Struktu-rierung der Wissensinhalte der Nutzen des Intranets geringer ist als erwartet. DieHersteller wären daher gut beraten, bei ihrer nächsten Generation der KM-Software dieBedürfnisse ihrer Nutzer stärker zu berücksichtigen. Wir gehen davon aus, dass dies derFall sein wird und Software-Innovationen dem Wissensmanagement in den nächstenJahren zu einem Durchbruch auf breiter Basis verhelfen werden.

    Die zukünftige Entwicklung der Wissensinfrastrukturen ist durch eine noch stärkereKoevolution der Systeme, des Mitarbeiter- und Kundenverhaltens, der Organisationsowie der Strategie und des Marketings gekennzeichnet. Neue Systeme eröffnen neueMöglichkeiten für Wissensanbieter und Kunden, dies verändert die Organisation und dieStrategie. Dieser Prozess schreitet spiralförmig fort. Ein Controlling des Prozesses mussdaher ganzheitlich-evolutionären Prinzipien folgen. Im Idealfall existiert ein optimalerFit zwischen den informationstechnischen Potentialen und den Potentialen des Geschäfts-systems. Dieser Herausforderung müssen sich die Anbieter und Anwender vonKnowledge Management-Systemen stellen.

    Technologische Innovationen sind in den Feldern Semantik, Visualisierung und Zusam-menarbeit von Interessengruppen erkennbar. Semantische Innovationen ermöglicheneine bessere Strukturierung von Wissensinhalten entsprechend ihrer logischen Bedeu-tung. Dabei helfen Visualisierungstechniken, wie z. B. 3D Interfaces. Bei der Zusam-menarbeit von Practice Communities orientieren sich intelligente Agenten stärker anden spezifischen Interessen ihrer Kunden und bieten maßgeschneiderte Services an.Dabei hilft ein Case-based Reasoning, das aus dem Bereich der Artificial Intelligenceübertragen wurde.

    Die ultimative Herausforderung für KM-Software liegt wohl noch im Feld derExtraktion von implizitem Wissen, das z. B. in Gesprächen oder Telefonaten an dieOberfläche kommt.

    Mit den technischen Möglichkeiten steigt auch die Bedeutung einer verbessertenMessung des intellektuellen Vermögens im Unternehmen. Innovative Wissensinfra-strukturen und neue Controlling-Instrumente müssen daher zusammenwirken und soeine bessere Nutzung des Potentialfaktors Wissen unterstützen.

    Für eine bessere Messung des intellektuellen Vermögens eines Unternehmens sprecheneine Reihe von Gründen. So zeigen empirische Studien eine wachsende Differenzzwischen dem Marktwert, d. h. dem Wert, den ein Unternehmen an der Börse erzielt,und dem Buchwert seiner bilanzierten Vermögensgegenstände. Das nicht bilanzierte

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    intellektuelle Vermögen wird also immer wichtiger. In der wissensintensiven Software-Branche z. B. spielt das materielle Vermögen im Hinblick auf den Unternehmenswertnur eine untergeordnete Rolle. Abb. 9 zeigt den Zusammenhang zwischen dem Wertdes materiellen Vermögens, dem Wert des intellektuellen Vermögens und demMarktwert, wobei natürlich immer der Einfluss von Störgrößen, wie z. B. Konjunktur-schwankungen und Börsenpsychologie, zu berücksichtigen sind.

    Abb. 9: Intellektuelles Vermögen

    Der Wert des intellektuellen Vermögens wird von den traditionellen Rechnungs-systemen aber nur unzureichend erfasst. Es besteht daher die Gefahr, dass das für denMarktwert und Wettbewerbserfolg immer wichtiger werdende intellektuelle Vermögenaus dem Management-Prozess systematisch ausgeblendet wird.

    Umgekehrt fragen Aktienanalysten die Investor Relations-Abteilungen immer häufigernach der Entwicklung des intellektuellen Vermögens. Dabei gehen sie von der Theseaus, dass das intellektuelle Vermögen ein wichtiger Frühindikator des zukünftigenErfolges ist.

    Eine Reihe von Pionierunternehmen haben erste Erfahrungen mit der Messung desintellektuellen Vermögens gesammelt, und es ist damit zu rechnen, dass die interna-tionalen Gremien hierfür in den nächsten Jahren offizielle Bewertungsstandardsverabschieden werden.

  • Hans-Gerd Servatius: Wertsteigerung durch neue Wissensinfrastrukturen 45

    Die meisten dieser Ansätze zur Messung des intellektuellen Vermögens gehen vondem Konzept der Balanced Scorecard aus. Dieses ›Performance Measurement-Instrument‹ gliedert die spezifischen Leistungsmessgrößen eines Unternehmens in vierPerspektiven, und zwar (Abb. 10):• eine finanzielle Perspektive;• eine Kundenperspektive;• eine Geschäftsprozess-Perspektive sowie• eine Lern- und Wachstumsperspektive.Für jede der Perspektiven werden strategische Ziele, Messgrößen, operative Ziele und

    Maßnahmen festgelegt. Im Idealfall entstehen so Ursache-Wirkungs-Zusammenhängezwischen erfolgskritischen Variablen, die wir als Werttreiber bezeichnen. Damit unter-stützt der Balanced Scorecard-Ansatz ein Controlling des Managementprozesses undfördert die Umsetzung von strategischen Zielen in Maßnahmen.

    Abb. 10: Balanced Scorecard

  • 46 DGI-Online-Tagung ’99 – Eröffnungsveranstaltung

    Am Balanced Scorecard-Konzept hat sich z. B. das schwedische Versicherungs-Unter-nehmen Skandia bei der Entwicklung seines Navigators orientiert. Skandia gliedertseinen Marktwert in die Kategorien ›Financial Capital‹ und ›Intellectual Capital‹. Beim›Intellectual Capital‹ wird unterschieden zwischen (Abb. 11):• Human Capital,• Customer Capital,• Process Capital und• Renewal- and Development-Capital.

    Abb. 11: Skandia-Navigator

    Dabei verwendet Skandia eine Vielzahl von über 100 finanziellen und nicht-finan-ziellen Messgrößen. Es erscheint allerdings fraglich, ob dieser Aufwand wirklich sinnvollund notwendig ist. Erfolgversprechender ist es aus unserer Sicht, sich auf die wirklichwichtigen Werttreiber zu konzentrieren und diese in dynamischen Modellen zu verknüp-fen. Bei der Frage, welche Werttreiber letztlich das intellektuelle Vermögen und damitden Unternehmenswert bestimmen, steht die Forschung aber noch relativ am Anfang.

    Dieses grundsätzliche Problem wird auch nicht durch die Zusammenfassung vonKennzahlengruppen zu einzelnen Indizes gelöst, deren zeitliche Entwicklung dannerfasst werden kann. Hierbei entsteht zusätzlich die Schwierigkeit, dass man Mess-größen mit unterschiedlichem Bedeutungsgehalt und Aggregationsniveau vermischt.

  • Hans-Gerd Servatius: Wertsteigerung durch neue Wissensinfrastrukturen 47

    Neue Ansätze zur Messung des intellektuellen Vermögens müssen daher den kausa-len Zusammenhang zur Steigerung des Unternehmenswertes stärker berücksichtigen.Dabei unterscheiden wir entsprechend den Bezugsgruppen des Unternehmenszwischen:• dem Wert für Aktionäre (Shareholder Value);• dem Wert für Kunden (Customer Value) und• dem Wert für Mitarbeiter (People Value).Eine Messung des intellektuellen Vermögens sollte im Rahmen eines integrierten

    Controllings der Werttreiber erfolgen. Dabei stehen Investitionen in intellektuelles Ver-mögen gleichberechtigt neben Investitionen in materielles Vermögen. Zwischen diesenVermögensbestandteilen und der Wertsteigerung für die Bezugsgruppen bildet dieorganisatorische Leistungsfähigkeit die intervenierende Variable. Dynamische Modelleermöglichen eine Simulation der Wirkungen von Investitionen in neue Wissens-infrastrukturen auf den Unternehmenswert (Abb. 12).

    Abb. 12: Messung des intellektuellen Vermögens

    Die Simulationsmodelle, die wir verwenden, gehen von Loop-Diagrammen aus, wiesie in der Systems Dynamics-Schule entwickelt worden sind. Neu ist dabei allerdings diekausale Verknüpfung von Wissensinvestitionen mit Wertsteigerungen für die Bezugs-gruppen des Unternehmens.

  • 48 DGI-Online-Tagung ’99 – Eröffnungsveranstaltung

    Die Ansätze zur Wertsteigerung von Unternehmen setzen an zwei Werthebeln an: derRentabilität und dem Wachstum. Beim Werthebel Rentabilität geht es um eine Erhöhungder Cash Flow-Produktivität, z. B. durch Kostensenkung, und eine Steigerung derKapitalproduktivität, z. B. durch ein verbessertes Vorratsmanagement.

    Beim Werthebel Wachstum lautet üblicherweise die Regel: Investiere in Geschäfte, derenRentabilität über den Kapitalkosten liegt. Dabei werden meist aber nur die Investitionenin buchmäßige Aktiva, also in materielles Vermögen, erfasst.

    So ergibt sich z. B. bei Verwendung des CVA-Modells, das auf den Beitrag zurDeckung der Kapitalkosten abzielt, der Cash Value Added CVA oder Übergewinn aus derFormel:

    CVA = (Cash Flow Return on Investment CFROI – Kapitalkosten) x Bruttoinvestitionsbasis

    Bei der Ermittlung des Wertzuwachses werden Investitionen in intellektuelles Vermö-gen also nicht berücksichtigt. Damit vernachlässigt das traditionelle Wertmanagement z.B. Investitionen für Forschung und Entwicklung, den Aufbau von Marken und dieVerbesserung der Wissensinfrastruktur. In wissensbasierten Unternehmen ist dasWachstum des intellektuellen Vermögens aber mindestens ebenso wichtig wie dasWachstum des materiellen Vermögens. Wir vertreten daher die Position, dassInvestitionen in intellektuelles Vermögen in die Ermittlung der Investitionsbasiseinzubeziehen sind (Abb. 13).

    Abb. 13: Werthebel

  • Hans-Gerd Servatius: Wertsteigerung durch neue Wissensinfrastrukturen 49

    Der Erfolg von Investitionen in intellektuelles Vermögen ist aber in der Regel weitweniger transparent als z. B. die Investition in eine neue Produktionsanlage. Wie wirgesehen haben, erfolgen ›Wissens-Investitionen‹ im Rahmen von umfangreichenProgrammen, bei denen die Gestaltung der kulturellen Rahmenbedingungen minde-stens ebenso wichtig ist wie die Implementation von Informationssystemen.

    Deloitte Consulting hat deshalb das Analyseinstrument Value Print™ entwickelt undim Hinblick auf die spezifischen Erfordernisse einer wissensorientierten Unternehmens-führung verfeinert. Value Print™ wurde ursprünglich im Rahmen von Reengineering-und Transformationsprojekten eingesetzt, um bereits am Anfang den ökonomischenNutzen der Aktivitäten deutlich zu machen und den Projektfortschritt zu messen(Abb. 14). Die Gartner Group empfiehlt, für einen solchen ›Business Case‹ etwa 5 bis 10% des Projektbudgets aufzuwenden.

    Abb. 14: Value Print™

    Investitionen in intellektuelles Vermögen führen häufig zu einem quantitativ mess-baren ökonomischen Nutzen, z. B. wenn es dem Unternehmen gelingt, nicht verwertetePatente zu vermarkten oder den Produktinnovationsprozess zu beschleunigen. Schwie-riger zu erfassen, aber nicht minder wichtig, ist der qualitative Nutzen dieser Investi-tionen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass eine gleichgewichtige Verbesserung der

  • 50 DGI-Online-Tagung ’99 – Eröffnungsveranstaltung

    kulturellen Rahmenbedingungen und der technischen Wissensinfrastrukturen für denProjekterfolg von entscheidender Bedeutung ist. Das heißt, dass derartige Projekteweder zu einer technisch blockierten noch zu einer kulturell blockierten Investitionführen dürfen. Leider sind viele Unternehmen auf dem »kulturellen Auge« blind. Sieerkennen daher nicht oder zu spät, wenn z. B. die Nutzung des neuen Knowledge Net-works daran scheitert, dass die Mitarbeiter ihr Wissen nicht teilen. Die Value Print™-Analyse von Wissensprojekten legt deshalb besonderen Wert auf eine Erfassungkultureller Fortschritte, z. B. eines Abbaus von Widerständen gegen den Wissens-austausch (Abb. 15).

    Abb. 15: Technischer und kultureller Fortschritt

    Anders ausgedrückt können wir festhalten, dass die Entwicklung des intellektuellenVermögens eines Unternehmens durch die Koevolution von informationstechnischerund emotionaler Kompetenz geprägt wird. Bei einem jeweils gegebenen Niveau derindividuellen Kreativität der Mitarbeiter hängt die organisatorische Wissensbasis alsoauch vom ›sozialen Kapital‹ des Unternehmens ab. Die Bedeutung dieses Aspekts darf beiInvestitionen in neue Wissensinfrastrukturen keinesfalls unterschätzt werden.

  • Hans-Gerd Servatius: Wertsteigerung durch neue Wissensinfrastrukturen 51

    Wissensmanagement ist gegenwärtig eines der wichtigsten Führungsthemen. EineUrsache hierfür liegt darin, dass die Bedeutung der intellektuellen Wertschöpfung fürden Unternehmenserfolg weiter zunimmt. Wir haben unser methodisches Rahmen-konzept erläutert, das die Aufgabenfelder einer wissensorientierten Unternehmens-führung integriert. Eine wichtige Aufgabe ist die Weiterentwicklung der Wissensinfra-strukturen.

    Im Bereich der Knowledge Management-Systeme wird ein dramatisches Wachstumprognostiziert. Dabei ist in den nächsten Jahren mit einem Zusammenwachsen derTeilsegmente zu rechnen. Von entscheidender Bedeutung ist, dass die Angebote derSoftware-Hersteller den Bedarf der Anwender nach integrierten Lösungen treffen.

    Angesichts der beträchtlichen Investitionen stellt sich die Frage, wie Unternehmen ihrintellektuelles Vermögen besser messen können. Einige Unternehmen haben hierzu dasBalanced Scorecard-Konzept weiterentwickelt. Die Herausforderung liegt allerdingsdarin, den kausalen Zusammenhang zwischen praktikablen Messgrößen des intellek-tuellen Vermögens und dem Unternehmenswert in Modellen zu operationalisieren.

    Bei den Ansätzen zur Wertsteigerung sollten die Unternehmen ihre Investitionen inintellektuelles Vermögen explizit berücksichtigen. Damit stellt sich die Frage nach einergeeigneten Erfolgsmessung für Wissensinvestitionen. Das von uns entwickelte Analyse-instrument Value Print™ ermöglicht ein Kosten-Nutzen-Controlling komplexerInvestitionsprogramme. Die Erfahrung aus Beratungsprojekten zeigt, dass die Unterneh-men dabei ein besonderes Augenmerk auf eine gleichgewichtige Verbesserung ihrerkulturellen Rahmenbedingungen und ihrer Wissensinfrastrukturen legen müssen.Andernfalls kommt es zu einer technischen oder einer kulturellen Blockade desInvestitionserfolges.