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Kommission Sozialpädagogik (Hrsg.)...5 Inhalt Fabian Kessl, Sascha Neumann, Petra Bauer, Bernd Dollinger, Cornelia Füssenhäuser Ein- und Ausschließungspraktiken in der Sozialen

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Kommission Sozialpädagogik (Hrsg.) Praktiken der Ein- und Ausschließung in der Sozialen Arbeit

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Veröffentlichungen der Kommission Sozialpädagogik in der Sektion Sozialpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft

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Kommission Sozialpädagogik (Hrsg.)

Praktiken der Ein- und Ausschließung in der Sozialen Arbeit

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© 2015 Beltz Juventa · Weinheim und Basel Werderstraße 10, 69469 Weinheim www.beltz.de · www.juventa.de

ISBN 978-3-7799-4161-3

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Inhalt

Fabian Kessl, Sascha Neumann, Petra Bauer, Bernd Dollinger, Cornelia Füssenhäuser Ein- und Ausschließungspraktiken in der Sozialen Arbeit. Eine Einleitung 9 I. Zugangsfragen: Analytische Perspektiven auf Praktiken der Ein- und Ausschließung in der Sozialen Arbeit Sandra Landhäußer Soziale Aus- und (Ein)Schließungen in der Sozialen Arbeit. Grundlegende Bemerkungen 19 Christiane Faller, Nadine Günnewig, Nina Thieme Methodisch-methodologische Konkretisierungen zum Gegenstand der Praktiken der Ein- und Ausschließung 32 Bettina Hünersdorf Exklusion_Inklusion in der Kinder- und Jugendhilfe. Eine sozialtheoretische Perspektive 48 II. Modalitäten und Strategien von Ein- und Ausschließungsprozessen in Feldern der Sozialen Arbeit Michael Winkler ‚Bildung‘ als moderne Strategie der Einschließung 57 Gunther Graßhoff Praktiken des Ein- und Ausschlusses in der Jugendhilfe unter dem Blickwinkel von Partizipation 78 Bernd Dollinger, Matthias Rudolph, Henning Schmidt-Semisch, Monika Urban Von Marionettentheatern und Teufelskreisen. Punitive Entwicklungen der Sozialen Arbeit und Polizei in den vergangenen vier Jahrzehnten 92

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Davina Höblich, Michael May, Heidrun Schulze Versagte Anerkennung als Ausschlusspraxis Sozialer Arbeit 107 Bianca Baßler, Christine Riegel, Wiebke Scharathow Ambivalenzen und Widersprüche sozialpädagogischen Umgangs mit sozialen Differenzen und Ungleichheiten 124 Friederike Schmidt Normalitäten in der Sozialen Arbeit und pädagogische Praxen der In- und Exklusion 140 Heike Radvan Wahrnehmungshaltung und pädagogischer Blick – Zusammenhänge mit Ein- und Ausschließung 149 III. (Inter-)institutionelle Schauplätze: Ein- und Ausschließung in unterschiedlichen Feldern der Sozialen Arbeit Ute Karl Praktiken der Ein- und Ausschließung im Jobcenter/U25. Zur Rekonstruktion von Rationalitäten als Beitrag zur kritischen Institutionenforschung 157 Sarah Hitzler, Heinz Messmer Formen der Berücksichtigung. Interaktive Praxen der Ein- und Ausschließung im Hilfeplangespräch 173 Sarina Ahmed, Heidi Hirschfeld, Larissa von Schwanenflügel, Mirjana Zipperle, Andreas Walther, Christine Wiezorek Eindeutige Unterscheidungen? Entgrenzungen zwischen Ein- und Ausschließung in bildungsbezogenen Hilfen für Kinder und Jugendliche 193 Vicki Täubig, Maren Zeller, Andreas Böhle, Florian Eßer, Nadine Feldhaus, Annika Gaßmöller, Stefan Köngeter, Jana Meier, Nina Oelkers, Anke Petrat Beziehung zählt? Adressatinnen und Adressaten in stationären Settings 209 Stefan Faas, Rainer Treptow, Sabrina Dahlheimer, Katharina Kluczniok, Leonore Thurn Herkunft und Zukunft. Bildungsungleichheit und Heterogenität in Kindertageseinrichtungen als Herausforderung 226

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Karl August Chassé, Peter Rahn Armutsprävention zwischen Ein- und Ausschließung 242 Liane Pluto Veränderte Sicht auf Adressatinnen und Adressaten durch Veränderungen in den ambulanten Hilfen 255 Sabrina Hoops, Diana Willems Straffällige Jugendliche mit Migrationshintergrund – und die Jugendhilfe? 265 IV. Ausblicke: Ein- und Ausschließung im Kontext von Normativität und Kritik in der Sozialen Arbeit Albert Scherr Der unauflösliche Zusammenhang von Kritik und Bewertung in der Sozialen Arbeit 275 Philipp Sandermann Funktion und Stellenwert von Kritik in Beiträgen zur Sozialen Arbeit und ihr Verhältnis zu Normativität – eine Positionierung 287 Susanne Maurer Kritik und Soziale Arbeit. Einige Thesen und Erläuterungen 299 Die Autorinnen und Autoren 311

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Fabian Kessl, Sascha Neumann, Petra Bauer, Bernd Dollinger, Cornelia Füssenhäuser

Ein- und Ausschließungspraktiken in der Sozialen Arbeit Eine Einleitung

I. Ausgangsbeobachtungen: Praktiken der Ein- und Ausschließung als Thema der Sozialen Arbeit

Der Zusammenhang von Prozessen der Ein- und Ausschließung stellt keineswegs ein neues Thema sozialpädagogischer Auseinandersetzungen dar. Ganz im Gegenteil: Die Unterscheidung von Integration und Des- integration oder damit verbunden eine Differenzierung von abweichenden gegenüber normalen Mustern der Lebensführung sind für das wohlfahrts-staatliche Projekt der Sozialen Arbeit konstitutiv. Es ist daher wenig über- raschend, dass sich die Entwicklung Sozialer Arbeit als institutionalisierte und professionalisierte Praxis seit dem 19. Jahrhundert auch im Horizont ei-ner konstanten Thematisierung von Ein- und Ausschließungsfragen re-in-terpretieren lässt. Die vielfach genutzte Bestimmung, Soziale Arbeit als Bear-beitung des tendenziell als problematisch angenommenen Verhältnisses von Individuum auf der einen und Gesellschaft auf der anderen Seite zu fassen (Hornstein 1995; Böhnisch/Schröer/Thiersch 2005; Reyer 2002), liefert dafür einen mehr als deutlichen Hinweis. Zugleich kommt der systematischen wie empirischen Inblicknahme von Praktiken der Ein- und Ausschließung in den Handlungsfeldern Sozialer Arbeit erst in der jüngeren Vergangenheit eine verstärkte Aufmerksamkeit zu.

Gesellschaftspolitisch ist die Implementierung und Etablierung Sozialer Arbeit ein Ergebnis des Prozesses der „Entdeckung des Sozialen“ (Bohlen- der 2007), d. h. des zunehmenden Problematisierungsprozesses der öffentli-chen Personalisierung und Moralisierung von Ausschließung durch Kir-chenleute, Kommunalpolitiker, bürgerliche Frauen und Männer sowie Ver-treter der Arbeiterbewegung. Im Zuge dieser Problematisierung setzte sich „eine gesellschaftliche und ökonomische Kritik der Armut“ (a. a. O., S. 198) durch. Damit war nicht weniger als die Frage der Einschließung der Einzel-

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nen wie auch spezifischer Gruppen in die – in besonderer Weise auch natio-nalstaatlich verfasste – Gesellschaft als eine Aufgabe in öffentlicher Verant-wortung aufgeworfen.

Theorie-systematisch lassen sich in diesem Kontext sozialpädagogische Denktraditionen, z. B. von Paul Natorp bis Walter Hornstein identifizieren, die für den Zusammenhang von Pädagogik und Sozialem sensibilisiert haben: z. B. in der Formulierung, Sozialpädagogik sei als eine Form der „pä-dagogischen Gegenwartsanalyse“ zu begreifen, die „den erziehungswissen-schaftlichen Diskurs an die geschichtliche Dimension der Erziehungsaufga-ben“ erinnert (Hornstein 1995, S. 27). Trotz dieser Hinweise blieb die konstitutive Rolle von Ein- und Ausschließungen in sozialpädagogischen Debatten lange Zeit eher gesetzt, als dass sie theoretisch begründet oder em-pirisch auf die Probe gestellt wurde: Erklärtes Ziel sozialpädagogischer und sozialarbeiterischer Interventionen war die soziale Einschließung, z. B. als so-ziale Integration; zu verhindern war dementsprechend die Ausschließung, also jede Form sozialer Desintegration.

Die damit benannte wohlfahrtsstaatliche Konfiguration der Sozialen Ar-beit ist allerdings gegenwartsanalytisch nicht mehr im selben Bild zu skizzie-ren. Wenn auch der Ausprägungsgrad und die Veränderungsrichtung durchaus umstritten sind, so lassen sich doch auf der gesellschaftspolitischen Ebene einige grundlegende Transformationsdynamiken seit Mitte der 1970er und nochmals verstärkt seit den 1990er Jahren ausmachen (Kessl 2013). Sie verweisen auf Trends, die sich im Anschluss an Nikolas Rose (1996) als zu-nehmende „Erosion des Sozialen“ begreifen lassen. Damit ist die scheinbare Selbstverständlichkeit des wohlfahrtsstaatlichen Einschließungsangebots brüchig geworden oder zumindest an einigen Stellen in Frage gestellt. Bereits dieses Angebot beinhaltete z. B. virulente Formen einer einschließenden Aus-schließung, etwa in Gefängnissen, Asylen oder Heimen, deren Zustände und gesellschaftliche Funktionen sozialpädagogisch breit diskutiert und kritisiert, die aber auch in ihrer Notwendigkeit verteidigt wurden. Für die Gegenwart wird diesbezüglich auf eine neue Qualität von Ein- und Ausschließungen hingewiesen. Es wird von transformierten Strategien der Einschließung in der Ausschließung (z. B. bezüglich Existenzsicherungsangeboten jenseits so-zialrechtlicher Gewährleistung) oder von einer Einschließung nur auf Basis erhöhter Ausschließungsdrohungen (z. B. mit Hilfe des Sanktionssystems im Bereich des Arbeitsmarktes) ausgegangen. Und mitunter wird eine rheto-risch kaum noch verhüllte Ausschließungsbereitschaft kommuniziert: Fritz Sack (1995, S. 57) spricht im Bereich von Kriminalität von „Strafe pur ohne rhetorischen Firlefanz“.

In zeitdiagnostischer Hinsicht lässt sich in den vergangenen Jahren eine merkliche Konjunktur der Sensibilisierung für Fragen rund um Ein- und Ausschließung konstatieren (vgl. etwa Anhorn/Bettinger 2005; Bude/

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Willisch 2008). Soziale Ungleichheit gehört zu den omnipräsenten Themen in den gesellschaftspolitischen und wissenschaftlichen Debatten. Dabei stand zwar jüngst insbesondere die Rolle, die das Bildungssystem bei der Herstel-lung und Verhinderung von Chancengerechtigkeit und Teilhabemöglichkei-ten spielt, im Mittelpunkt der Debatten. Dennoch zeigen sich weitere Dis-kussionsstränge, so z. B. im Blick auf die zunehmende Kluft zwischen Armut und Reichtum. Im Jahr 2001 veröffentlichte die Bundesregierung den ersten Armuts- und Reichtumsbericht (Deutscher Bundestag 2001), der – so die eingangs formulierte Begründung – dazu beitragen soll, „die Diskussion über ‚Armut‘ und ‚Reichtum‘ zu versachlichen und zu enttabuisieren“ (a. a. O., S. XIV). Sprachlich und konzeptuell zwar relativiert, führte dies dennoch zu ei-ner Anerkennung der damit verbundenen Problematiken, insbesondere mit Blick auf Kinderarmut. Zu dieser offiziellen Konstatierung einer existieren-den Armutsproblematik gesellen sich veränderte Formen der Sichtbarkeit von Folgen der mit ihr verbundenen sozialen Ausschließung, wie sie sich bei-spielsweise in der florierenden ‚Mitleidsökonomie‘ entfalten (Tafeln, Sup-penküchen etc.). In ähnlicher Weise lassen sich die kulturalistisch gefärbten Debatten um die Entstehung einer „neuen Unterschicht“ auch als zeitdiag-nostische Form der Thematisierung neuer Formen der Ein- und Ausschlie-ßung lesen (Kessl/Reutlinger/Ziegler 2009). Die damit aufgerufenen Ent-wicklungen sind spürbar begleitet von Veränderungen im gesellschaftlichen Alltag: Soziologisch wird daher pointiert von einer grassierenden „Bildungs-panik“ (Bude 2011), einem sich etablierenden „Suppenküchenstaat“ (Butter-wegge 2010) oder einer „Vereisung des sozialen Klimas“ (Heitmeyer 2010) gesprochen. Die Entwicklung sozialer Ausschließung weist jedenfalls eine Tendenz zur Stabilisierung der gefährdetsten sozialen Positionen auf (Groh-Samberg 2005). Im Kontext dieser Entwicklungen wird die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit sozialer Inklusion neu aufgeworfen.

Sucht man diese gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse systematisch zu fassen, dann bieten sich vor allem zwei makroanalytische Theorieperspekti-ven an: systemtheoretische und klassentheoretische Zugänge. In systemtheo-retischer Sicht wird prinzipiell von einer Gleichzeitigkeit von Inklusion und Exklusion ausgegangen. Den zentralen Bezugspunkt dieser Annahme stellt die Beobachtung einer primär funktional differenzierten Gesellschaft dar. Die Inklusions- und Exklusionsdynamik ergibt sich dabei auf einer horizon-talen Ebene als Folge der Differenzierungslogiken unterschiedlicher Funk- tionssysteme (Luhmann 1997). Einschlüsse gehen, so die Annahme, stets mit Ausschlüssen aus anderen Funktionssystemen einher (Teilinklusion). In klassentheoretischer Lesart ergeben sich Ein- und Ausschließungsmechanis-men hingegen aus der hierarchischen Gliederung der gesellschaftlichen Ordnung, die dabei unterschiedliche Positionen vorhält und damit ungleich verteilte Ressourcen und Lebenschancen verknüpft. Während die system-

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theoretische Perspektive also etwas über die Organisation der Logik von In- und Exklusion in Bezug auf die funktionale Differenzierung bestehender Ge-sellschaften aussagen kann, liegt das analytische Potenzial der klassentheore-tischen Ansätze in der Ausleuchtung von Ungleichheitsstrukturen: Wer scheitert an den Distinktionsgrenzen anderer Milieus, wer bzw. was sorgt da-für, dass die Klassengrenzen über Lebensstile, Verteilungsprozesse und Zu-schreibungen stabil bleiben?

System- wie klassentheoretische Zugänge werfen aber auch einige grund-legende Fragen auf. Der systemtheoretische Bestimmungsversuch ignoriert die von Niklas Luhmann (1996) selbst aufgeworfene Frage nach der Möglich-keit einer totalen Exklusion einzelner Gesellschaftsmitglieder weitgehend. Aber auch die Frage, nach welchen Kriterien inkludiert und exkludiert wird, also wer die Akteurinnen und Akteure der System-Reproduktion sind und wie Macht- und Herrschaftsinteressen verhandelt und durchgesetzt werden, ist vor dem systemtheoretischen Analysehorizont nicht einleuchtend zu be-stimmen. Klassentheoretische Deutungen legen mit ihrer Rede von der „Aus-schließung“ resp. der „Exklusion“ die Annahme nahe, dass damit – so der kürzlich verstorbene Robert Castel (2008, S. 73) – „Zustände der Enteignung“ identifiziert werden könnten. Der eine scheint demnach per se ein-, der an-dere per se ausgeschlossen zu sein. Mit einer solchen Zuschreibung geraten allerdings die Prozesse von Ausschließungen tendenziell aus dem Blick. Dies gilt auch für jene sozialen Gefährdungslagen, die seit einigen Jahren unter den Begriffen von „Prekarität“ und „Prekarisierung“ öffentlich verhandelt werden (vgl. z. B. Castel/Dörre 2009; Altenhain et al. 2008).

II. Fragehorizonte: Praktiken der Ein- und Ausschließung als Kategorien der Analyse und Reflexion Sozialer Arbeit

Vor dem Hintergrund der erwähnten Probleme makrotheoretischer An- sätze bietet sich der Blick auf Praktiken der Ein- und Ausschließung in be-sonderer Weise an, wenn es darum geht, Ein- und Ausschließung nicht als statisch verstandene Zustände, sondern in einer Prozessperspektive zu un-tersuchen. Ohne damit bereits einer praxistheoretischen Perspektive im en-geren Sinne zu folgen (vgl. Reckwitz 2002; Schmidt 2012 sowie Faller/Gün-newig/Thieme in diesem Band), geht es somit um die vor allem auch empirische Frage, wie Ein- und Ausschließung jeweils hervorgebracht wer-den. Für die systematische Reflexion wird dabei zugleich deutlich, dass die Vorannahme einer wohlfahrtsstaatlich relativ gesicherten Einschließungspo-litik, sozusagen als öffentlich verantwortete Gegenstrategie zu Ausschlie-ßungsdynamiken, keine Selbstverständlichkeit darstellt. Eine solche Unter-

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stellung würde dazuhin in der Gefahr stehen, die mit ihr verbundenen Di-lemmata eher zu verdecken als zum Vorschein zu bringen.

Wie auch immer dies jeweils theoretisch konzeptualisiert wird: Für die Soziale Arbeit ist es entscheidend darauf zu reflektieren, dass sie selbst als ein Moment der einschließenden Ausschließung (bzw. ausschließender Ein-schließung) verstanden werden muss. Diese Einsicht des Akteursstatus Sozi-aler Arbeit im Kontext von Ein- wie auch von Ausschließungsprozessen hat aber in der empirischen Forschung erst in jüngerer Zeit eine verstärkte Auf-merksamkeit gefunden. Stellvertretend sind hier beispielsweise Studien zu nennen, die sich der Praxis Sozialer Arbeit empirisch im Lichte spezifischer Formen der Konstruktion und Klientifizierung von Adressatinnen und Ad-ressaten nähern und so u. a. darauf aufmerksam machen, wie Soziale Arbeit jene Problemzuschreibungen und Deklassierungen (mit)erzeugt, auf die sie vermeintlich „nur“ reagiert (vgl. hierzu Böhringer et al. 2012; Messmer 2007; Neumann 2013; Thieme 2013; Richter 2013). Nicht nur das: Soziale Arbeit hat bislang auch ihre eigene sozialpolitische Akteursrolle insgesamt nur un-zureichend in den Blick genommen. Ansetzen lässt sich hier an Überlegun-gen, wie denjenigen, die Soziale Arbeit als sekundäre und vermittelnde In-tegrationsinstanz zwischen System und Lebenswelt entwerfen (Böhnisch 1982; Rauschenbach/Treptow 1984; Müller/Otto 1984). Sie erweisen sich aber sowohl wohlfahrtsstaatstheoretisch als zu undifferenziert wie auch als kaum mehr angemessen, um die wohlfahrtsstaatliche Situation im 21. Jahr-hundert und ihre Veränderungsdynamik zu begreifen.

Im Lichte dieser Ausgangsbeobachtungen ergeben sich eine Reihe von Fragen im Hinblick auf den Stellenwert, den Praktiken der Ein- und Aus-schließung für die derzeitige gesellschaftliche Funktion wie auch die Gestalt der Praxis Sozialer Arbeit aufwerfen. Akzeptiert man die Zeitdiagnose einer Transformation des wohlfahrtsstaatlichen Arrangements als Kontext, der So-ziale Arbeit nicht nur rahmt und ermöglicht, sondern von ihr zugleich prak-tisch miterzeugt wird, so ergibt sich daraus die systematische Notwendigkeit, auch empirisch näher zu bestimmen, in welcher Weise Soziale Arbeit in die mit der Transformation verbundenen Entwicklungsdynamiken verstrickt ist. Gefragt werden kann dann nicht nur, wie sich diese Entwicklungs- und Ver-änderungsdynamiken in professionellen Interventionsmustern widerspie-geln, sondern auch, inwiefern Ein- und Ausschließung in professionellen Praktiken zugleich erzeugt, vollzogen und strukturell reproduziert wird.

Diese Frage lässt sich nicht nur auf die unmittelbare Ebene der Interak-tion zwischen Professionellen und Adressatinnen und Adressaten, sondern auch auf eine institutionelle Dimension beziehen: Wie wird Ausschließung institutionell markiert und fixiert, ja als Vorbedingung für eine fachliche In-tervention gesetzt und damit zugleich auch als eine soziale und biographische Tatsache ratifiziert? Und nicht zuletzt sind diese Fragen ebenso in Bezug auf

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die Ebene der Praktiken von Adressatinnen und Adressaten relevant: Inwie-fern zeigen sich auch im Blick auf die Adressatinnen und Adressaten selbst Praktiken der (Re-)Produktion von Ein- und Ausschließung, die sich bei-spielsweise an bestimmten Arten und Weisen der Selbstetikettierung oder der Gegen-Distinktion beobachten lassen?

Die Intention des vorliegenden Bandes, der auf die gleichnamige Jahres-tagung der Kommission Sozialpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Er-ziehungswissenschaft (DGfE) 2013 in Tübingen zurückgeht, ist es vor allem, gerade diese, zum Teil subtilen und scheinbar ‚unbewussten‘ Praktiken der Ein- und Ausschließung in den alltäglichen Prozessen der Dienstleistungs- und Hilfeerbringung (etwa der Sorge- und Bildungsunterstützung) genauer in den Blick zu nehmen. Die in diesem Band versammelten Beiträge beziehen sich dabei nicht nur auf das breite Spektrum sozialpädagogischer und sozial-arbeiterischer Handlungsfelder (sozusagen vom Job-Center über die ge-schlossene Unterbringung bis hin zur Kindertagesbetreuung). Sie variieren auch beträchtlich hinsichtlich der gewählten theoretischen, methodologi-schen und empirischen Zugangsweisen. Dennoch lassen sich die verschiede-nen Beiträge in einem gemeinsamen Analyse- und Reflexionshorizont veror-ten. Er ist mit den zentralen Begrifflichkeiten markiert, wie sie im Titel des Bandes aufgegriffen werden.

III. Zur Konzeption des Bandes

Mit den hier aufgeworfenen Fragen sind unterschiedliche Bezugsprobleme und Ebenen der Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex „Praktiken der Ein- und Ausschließung in der Sozialen Arbeit“ angesprochen, die sich auch in der Gliederung des Bandes widerspiegeln. Klärungsbedarf besteht dabei zunächst einmal hinsichtlich der begrifflichen und analytischen Zu-gänge, von denen ausgehend Praktiken der Ein- und Ausschließung erst zu einem Gegenstand von Forschung und Reflexion in der Sozialen Arbeit wer-den können. Diese Klärung ist der gemeinsame Rahmen der drei Beiträge im ersten Teil des Bandes. Während Sandra Landhäußer eine grundlegende Sor-tierung des Phänomenbereichs der Ein- und Ausschließung im Kontext So-zialer Arbeit vornimmt, diskutieren Christiane Faller, Nadine Günnewig und Nina Thieme die Potentiale eines praxistheoretischen Zugangs, Bettina Hü-nersdorf in ihrem Beitrag wiederum unterschiedliche Varianten einer sozial-theoretischen Perspektive. Im zweiten Teils des Bandes stehen, über die un-terschiedlichen analytischen und methodologischen Zugangsweisen hinaus, vor allem die Modalitäten und Strategien im Mittelpunkt, mit denen Effekte der Ein- und Ausschließung erzeugt werden. In den zumeist auf empirische Studien zurückgreifenden Beiträgen werden dabei unterschiedliche seman-

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tisch-diskursive wie auch praktisch-operative Formen der Produktion von Ein- und Ausschließung näher beleuchtet: Bildung (Michael Winkler), Parti-zipation (Gunther Graßhoff), Punitivität (Bernd Dollinger, Matthias Rudolph, Henning Schmidt-Semisch, Monika Urban), Othering (Davina Höblich, Mi-chael May, Heidrun Schulze), Umgang mit Differenz und Ungleichheit (Bi-anca Baßler, Christine Riegel, Wiebke Scharathow), Normalisierung und De-Normalisierung (Friederike Schmidt) sowie Stereotypisierung und Ethnisie-rung (Heike Radvan). Der dritte Teil des Bandes differenziert bzw. vertieft die Einblicke und Befunde des zweiten Teils vor allem um Beobachtungen, die sich auf einzelne sozialpädagogische Arbeitsfelder richten. Eröffnet wird das Kapitel „(Inter-)institutionelle Schauplätze“ mit zwei Beiträgen, die – ausgehend von unterschiedlichen Beobachtungskategorien – Praktiken der Ein- und Ausschließung im Jobcenter bzw. in Hilfeplangesprächen fokussie-ren. Während der Beitrag von Ute Karl vor allem auf die Rekonstruktion in-stitutioneller Rationalitäten zielt, konzentriert sich der Beitrag von Sarah Hitzler und Heinz Messmer auf die interaktive Ebene kommunikativer Prak-tiken. Die folgenden Beiträge dehnen das Spektrum der im Band zur Diskus-sion gestellten Analysen auf eine ganze Reihe weiterer Arbeitsfelder aus. In den Blick genommen werden neben bildungsbezogenen Hilfen für Kinder und Jugendliche (Sarina Ahmed, Heidi Hirschfeld, Larissa von Schwanenflü-gel, Mirjana Zipperle, Andreas Walther, Christine Wiezorek), stationären Set-tings (Vicky Täubig, Maren Zeller, Andreas Böhle, Florian Eßer, Nadine Feld-haus, Annika Gaßmöller, Stefan Köngeter, Jana Meier, Nina Oelkers, Anke Petrat) und Kindertageseinrichtungen (Stefan Faas, Rainer Treptow, Sabrina Dahlheimer, Katharina Kluczniok, Leonore Thurn) auch die familienbezo-gene Armutsprävention (Karl August Chassé, Peter Rahn), die ambulanten Hilfen (Liane Pluto) sowie die Jugendhilfe im Strafverfahren (Sabrina Hoops, Diana Willems).

Beschlossen wird der Band mit Beiträgen einer Podiumsdiskussion, die im Rahmen der Tübinger Kommissionstagung unter dem Titel „Normativi-tät und Kritik in der Sozialen Arbeit“ stattgefunden hat. Die wissenschaftli-che Beobachtung und Analyse von Ein- und insbesondere Ausschließungs-praktiken der Sozialen Arbeit verweist unmittelbar auf eine Kritik der gegenwärtigen Verhältnisse, denen man in der Sozialen Arbeit immer auch mit einem Gestaltungs- bzw. besser gesagt: einem Interesse an Veränderung begegnet, das von Kritik ausgeht und Fragen der normativen Orientierung (notwendig?) einschließt. Kritik hat in der Sozialen Arbeit eine lange Tradi-tion. Gleichzeitig aber – und das ist eine weniger banale Beobachtung – wurde im Zuge der Habitualisierung einer kritischen Perspektive weit weni-ger häufig darüber gestritten, was Kritik in der Sozialen Arbeit ausmacht und wozu sie überhaupt betrieben werden soll, um einen einschlägigen Buchtitel von Bettina Hünersdorf und Jutta Hartmann (2013) sinngemäß zu zitieren.

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Dies hat sich jedoch in jüngster Zeit scheinbar grundlegend verändert, wie sich stellvertretend an einer ganzen Reihe weiterer Veröffentlichungen zei-gen ließe. Die Frage der Kritik verweist unmittelbar auf die Frage des episte-mischen und legitimatorischen Stellenwerts normativer Maßstäbe für Kritik in der Sozialen Arbeit. Damit sind – wie Hans-Uwe Otto, Albert Scherr und Holger Ziegler, aber auch Fabian Kessl herausgearbeitet haben – eigentlich zwei Fragen verbunden (Otto/Scherr/Ziegler 2010; Kessl 2013): Zum einen geht es um die Frage, ob eine nicht-normative Kritik überhaupt möglich ist, zum anderen geht es um die Frage, welche normative Perspektive den Aus-gangspunkt kritischer Ambitionen bilden soll. Diese Fragen werden in den drei hier abgedruckten Beiträgen von Albert Scherr, Philipp Sandermann so-wie Susanne Maurer aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und mit je unterschiedlichen Positionierungen verbunden. Die Ergebnisse der Podi-umsdiskussion zeigen insgesamt, dass die Frage nach den Formen und Grundlagen der Kritik sowie dem Verhältnis von Normativität und Kritik in der Sozialen Arbeit selbst noch einmal kritisch und kontrovers diskutiert werden kann. Das bedeutet aber auch: Sie ist offenbar noch keineswegs be-reits abschließend beantwortet.

Schließlich und endlich möchten die Herausgeberinnen und Herausgeber an dieser Stelle die Gelegenheit nicht versäumen, nochmals allen Mitwirken-den an der Tübinger Jahrestagung der Kommission Sozialpädagogik für die außergewöhnlich hohe und intensive Beteiligung zu danken. Die Herausge-berinnen und Herausgeber danken ausdrücklich aber auch jenen Personen, die mit ihrer wertvollen Mitarbeit bei der Betreuung der Autorinnen und Au-toren sowie bei der Redaktion des Bandes einen unverzichtbaren Beitrag zur Realisierung dieser Publikation geleistet haben: Christian Klotz (Duisburg-Essen), der den Vorstand der Kommission in den Jahren 2012–2014 als wis-senschaftliche Hilfskraft unterstützt hat, sowie Nicole Hekel, wissenschaftli-che Mitarbeiterin am Zentrum für Frühkindliche Bildung Fribourg (ZeFF), die in den letzten Monaten bis zur Fertigstellung des Bandes die redaktionel-len und kommunikativen Fäden in der Hand hielt.

Literatur

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Sandra Landhäußer

Soziale Aus- und (Ein)Schließungen in der Sozialen Arbeit1 Grundlegende Bemerkungen

1. Zur Einleitung: Begriffliche Grundlagen

Die Thematisierung, Bearbeitung und Beseitigung sozialer Ausschließungen kann als eine der Kernaufgaben Sozialer Arbeit angesehen werden (Bettinger 2012). In diesem Zuge werden neben Ausschließungen auch gesellschaftliche Spaltungen, Polarisierungen und Ausgrenzungen kritisch in den Blick ge-nommen. Semantisch beinhalten beide Begriffe, Ein- und Ausschließung, so-wohl einen aktiven Anteil, d. h. jemanden, der - sich oder andere - aus- oder einschließt, als auch einen passiven Part, im Sinne von aus- und eingeschlos-sen werden. Da niemand ‚per se‘ ein- oder ausgeschlossen sein kann, stellt sich stets die Frage, von was jemand aus- oder in welchem Bereich eine Person eingeschlossen ist. Bedeutsam ist an dieser Stelle, welcher Aspekt als proble-matisch erachtet wird: Es kann einerseits darum gehen, Ausschließung res-pektive Exklusion, Marginalisierung und Ausgrenzung abzubauen und Ein-schließung im Sinne von Integration, Inklusion, Partizipation herzustellen. Dies bedeutet, dass Ausschließung als Problem, Einschließung hingegen als seine Lösung betrachtet wird. Andererseits können Ein- und Ausschließungs-prozesse gemeinsam und mit ihren (negativen) Folgen problematisiert wer-den. In einer solchen Perspektive wird betont, dass (Ein)Schließung die Aus-schließung von anderen Akteurinnen und Akteuren nach sich zieht. Diesem Verständnis nach gelten Ein- und Ausschließung als zwei Seiten einer Me-daille. In beiden Begriffsbedeutungen stehen Ein- und Ausschließung jeweils in einem relationalen Verhältnis.

1 Der Artikel basiert auf einem der Eröffnungsvorträge zu der Tagung „Praktiken der Ein- und Ausschließung in der Sozialen Arbeit“ und stellt sich vor diesem Hinter-grund die Aufgabe, in die Thematik einzuführen. Für wertvolle Hinweise danke ich Ulrike Voigtsberger, Melanie Oechler sowie der Reviewerin/dem Reviewer.

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Soziale Ein- und Ausschließungen verweisen ganz allgemein auf Fragen der Zugehörigkeit bzw. den Anspruch auf Zugehörigkeit (Kronauer 1999): Jemand ist eingeschlossen, wenn er oder sie zu einer Gruppe gehört bzw. aus-geschlossen, bei Nicht-Zugehörigkeit. Für die gesellschaftliche Ordnung und Funktionsweise werden Zugehörigkeiten insbesondere dann relevant, wenn die gesellschaftliche Integration und Solidarität bedroht ist (Otto/ Ziegler 2005). Ferner verweisen gruppenbezogene Prozesse von Ausschlie-ßung zur Sicherung von Privilegien oder Ressourcen auf Schließungspro-zesse (Kreckel 1997). Zur deutlicheren Abgrenzung und Betonung der Rela-tionalität zu Ausschließungen werden diese Schließungsprozesse im Folgenden als (Ein)Schließungen bezeichnet. Die Unterscheidung von Zuge-hörigkeit bzw. Teilhabe und Ausschluss kann zu den krassesten Formen so-zialer Ungleichheit gezählt werden (Herkommer 2005). Oder anders gespro-chen: „Soziale Ausschließung kommt von (allgemein zugelassener bis begrüßter) sozialer Ungleichheit“ (Steinert 2003, S. 278). Somit kann die Be-trachtung von Ausschließungsprozessen in Verbindung mit einer Perspek-tive sozialer Ungleichheit als wesentliches Merkmal einer gesellschaftskriti-schen Analyse gelten.

Im vorliegenden Aufsatz werden Ausschließungen als soziales Problem fokussiert. Einschließungen werden – wie bereits benannt – zum einen als herzustellendes Ziel, zum anderen als gesellschaftliche (Ein)Schließungspro-zesse, welche die betrachteten Ausschließungsprozesse produzieren, in den Blick genommen. In Bezug auf die Rolle Sozialer Arbeit im Kontext von Ein- und Ausschließungen werden zwei Blickwinkel unterschieden: Zum einen wird Soziale Arbeit mit der Bearbeitung von verschiedenen Ausschließungs-prozessen beauftragt: Eine solche Sichtweise lässt sich am Beispiel des Ar-beitsmarkts, sozialräumlicher Aspekte oder mit Blick auf kulturelle Aus- und Einschließungen verdeutlichen (Kap. 2). Zum anderen tritt Soziale Arbeit selbst als ein- oder ausschließende Akteurin in den Fokus, wenn ihr Beitrag zu Ein- und Ausschließungsprozessen in oder aus Angeboten der Sozialen Arbeit bzw. in der Kinder- und Jugendhilfe beleuchtet wird (Kap. 3). Beide Perspektiven werden im Folgenden genauer beleuchtet2, indem verschiedene Formen sozialer Aus- und Einschließung betrachtet und mit Hilfe einer em-pirischen sowie klassenmilieutheoretischen Perspektive (Bittlingma-yer/Bauer/Ziegler 2005) in den Blick genommen werden. Dabei wird jede Ausschließungsform zunächst kurz skizziert, dann eine knappe Analyse ge-

2 Zur Systematisierung und Strukturierung des Themas werden analytische Unter-scheidungen eingeführt und hervorgehoben. Auf Verkürzungen, Überlappungen, Gleichzeitigkeiten u. ä. wird verschiedentlich hingewiesen, sie seien an dieser Stelle aber auch explizit betont.

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liefert und schließlich die Rolle Sozialer Arbeit in Bezug auf soziale Aus- und Einschließungen in diesem Zusammenhang genauer beleuchtet. Auf die- ser Basis ist schließlich ein Fazit für die Ausrichtung und Positionierung So-zialer Arbeit im Hinblick auf Ein- und Ausschließungsprozesse zu ziehen (Kap. 4).

2. Soziale Probleme, soziale Ein- und Ausschließungen und Soziale Arbeit

Soziale Arbeit bearbeitet, verwaltet und kontrolliert soziale Probleme, d. h. menschliche Notlagen, die als kollektiv zu verantworten bzw. zu verändern angesehen werden; dabei ist nicht allein das Vorliegen einer Notlage von Be-deutung, sondern auch ihre affektive, gesellschaftliche Problematisierung, damit ihre Bearbeitung in spezialisierten Institutionen – z. B. im Kriminal-, Gesundheitssystem oder in der Sozialen Arbeit – etabliert wird (Groene-meyer 2011). Vor diesem Hintergrund ist es von historisch-spezifischen Denkweisen abhängig, welche Phänomene zu welchem Zeitpunkt als soziales Problem definiert werden und zur Grundlage für Interventionen Sozialer Ar-beit werden. Soziale Ausschließung stand lange Zeit nicht im Fokus gesell-schaftlicher und politischer Aufmerksamkeit. Erst in den 1990er Jahren gelangte sie verstärkt als soziales Problem auf die politische und sozialwis-senschaftliche Agenda, als ein Teilbereich eines großen EU-Forschungs-programms unter den Titel „Soziale Integration und soziale Ausschließung“ gestellt und damit der Terminus forciert wurde – wenngleich dies in den Mit-gliedsstaaten unterschiedlich erfolgreich war (Steinert 2008). Die Verbrei-tung des Konzepts auf einer sozialpolitischen Ebene wurde somit vor allem von der EU forciert (Reuter 2008). Ihre Forschung ist dabei politisch und normativ orientiert, denn den als ausgeschlossen bezeichneten Personen sol-len Teilhabemöglichkeiten eröffnet, gesellschaftliche Stabilität hergestellt und Demokratie gefestigt werden (Wehrheim 2008). Vor diesem Hinter-grund stellt Soziale Arbeit eine Strategie der Bearbeitung sozialer Ausschlie-ßung dar. Ihre Problematisierungen beziehen sich dabei auf unterschiedliche Dimensionen: etwa den Arbeitsmarkt, (Wohn)Raum, soziale Kontakte, poli-tische Teilhabe, institutionenbezogene Ausschließungen oder kulturelle Merkmale (Kronauer 1999; Häußermann/Kronauer 2009). Obwohl verschie-dene Formen von Ein- und Ausschließungen auf vielfältige Art und Weise verwoben sind, geht es an dieser Stelle darum, im Folgenden exemplarisch nacheinander drei Facetten zu fokussieren: zunächst arbeitsmarktbezogene, dann sozialräumliche Aspekte und schließlich kulturelle Gesichtspunkte. Dabei werden zunächst das Phänomen der jeweiligen Ausschließungen skiz-ziert, dann der Blick auf damit verbundene (Ein)Schließungsprozesse gelenkt

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und schließlich Anforderungen und Ambivalenzen für Soziale Arbeit her-ausgearbeitet.

Arbeitsmarktbezogene Aus- und (Ein)Schließungen

In Gesellschaften, die auf Erwerbsarbeit beruhen bzw. in denen Zugehörig-keit wesentlich an das Leisten eines Arbeitsbeitrags geknüpft ist, kommt der Einbindung in den Arbeitsmarkt eine herausragende Bedeutung zu. Ihr Ge-wicht verstärkt sich noch, wenn die erfolgte Etablierung eines aktivierenden Sozialstaats und seine ‚workfare‘-Maßnahmen in Bezug auf die Herstellung von Arbeitsfähigkeit berücksichtigt werden. Es scheint zunächst plausibel, Ausschließung am Arbeitsmarkt mit Arbeitslosigkeit gleichzusetzen, gleich-wohl verbirgt sich einerseits hinter den Arbeitslosenzahlen eine erhebliche Dynamik in und aus der Arbeitslosigkeit (Ludwig-Mayerhofer 2005), so dass nicht alle arbeitslosen Personen als ausgeschlossen gelten können. Anderer-seits dürfte die Zahl der von Ausschließung betroffenen Personen viel höher liegen als die Arbeitslosenzahlen, da in Deutschland eine lange Tradition existiert, diese Personen aus der Statistik zu drängen. Nicht zuletzt deshalb ist die Verbindung von Ausschließung und dem leistungsrechtlichen Status einer Person nicht eindeutig (Barthelheimer 2009). Diesbezüglich spielt auch die Existenz von sozial tolerierten, alternativen Beschäftigungen sowie ein (schwer zu unterscheidendes) freiwilliges oder unfreiwilliges Ausscheiden aus bzw. Fernbleiben vom Arbeitsmarkt eine Rolle. Gemeinsames Merkmal dieser Gruppe ist es, ihr kulturelles Kapital schlechter bzw. nicht auf dem Ar-beitsmarkt verwerten zu können und vor diesem Hintergrund – auch trotz hoher Arbeitsorientierung – einem mehr oder minder verschlossenen Ar-beitsmarkt gegenüber zu stehen (Sondermann/Ludwig-Mayerhofer/Behrend 2009, S. 157). Im Sinne eines graduellen Konzepts von arbeitsmarktbezoge-nen Ausschließungen gelangen auch prekäre Arbeitsmarktintegrationen in den Blick, da hieran deutlich wird, dass das Risiko für Ausschluss aus Er-werbsarbeit gesellschaftlich nicht gleich verteilt ist (Dörre 2007).

Werden in Bezug auf arbeitsmarktbezogene Ausschließungsprozesse jene sozialen (Ein)Schließungsprozesse betrachtet, die privilegierteren Gesell-schaftsmitgliedern Vorteile verschaffen und jene Ausschließungen mitpro-duzieren, so kann in diesem Zusammenhang auf die Reproduktion von Wirt-schaftseliten oder schließende Mechanismen für die Rekrutierung von Nachwuchs und die Beförderung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verwiesen werden (Hartmann 2002). Darüber hinaus kann ein Blick auf Pro-zesse der Arbeitsmarktsegmentierung verdeutlichen, wie in einer Verbin-dung von vertikaler Ausschließung (d. h. eine andere Gruppe nach unten aus-zugrenzen), horizontaler Abgrenzung (d. h. die „Aufteilung und gegenseitige

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Anerkennung von benachbarten und als gleichwertig geltenden beruflichen Funktionen“ (Kreckel 1997)) sowie solidarischem Zusammenschluss, der Zugang zu Privilegien auf einen begrenzten Kreis von Personen beschränkt wird.

Mit arbeitsmarktbezogenen Ausschließungen ist Soziale Arbeit im Rah-men der Unterstützung von Adressatinnen und Adressaten bei ihrem Weg in Ausbildung und Beruf befasst, wie es beispielsweise das Handlungsfeld der Jugendberufshilfe zum Auftrag hat. In diesem Zusammenhang ist es für So-ziale Arbeit von wesentlicher Bedeutung, in der personenbezogenen Arbeit auch strukturelle und gesamtgesellschaftliche Einflussfaktoren auf den Erfolg am Arbeitsmarkt mit zu berücksichtigen (Ott 2011). Dabei steht sie in der Gefahr, Ausschließungen mit zu produzieren, wenn am Ende einer Qualifi-zierung oder eines Programmes für viele Jugendliche kein Arbeitsplatz er-reichbar ist, sondern diese nur von einer Maßnahme an die nächste, im Sinne einer Maßnahmenkarriere, verwiesen werden (Voigtsberger 2011). Aus einer Perspektive auf die Verwirklichungschancen von Akteurinnen und Akteuren würde im Rahmen Sozialer Arbeit in Bezug auf den Arbeitsmarkt die Frage in den Vordergrund rücken, inwiefern Akteurinnen und Akteure – sowohl indi-viduell als auch von den strukturellen Bedingungen her – in der Lage sind, ei-ner Arbeit nachzugehen, die sie für sich aus guten Gründen wertschätzen: hierzu gehören dann beispielsweise auch Aspekte, wie die Lohn- und Arbeits-bedingungen, die Breite des Jobangebots, die Jobqualität oder eine Balance zwi-schen Arbeit und Privatleben (Bonvin 2012). Dabei gilt es auch, Arbeit nicht nur als Erwerbsarbeit am Arbeitsmarkt zu verstehen, sondern andere Formen von Beschäftigung bzw. der Verwirklichung eines guten Lebens zu berück-sichtigen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der Abbau von Aus-schließungen in diesem Kontext nicht auf die Herstellung von Einschließung im Sinne von Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt zu reduzieren ist.

Sozialräumliche Aspekte von Aus- und (Ein)Schließung

Ausschließung wird ferner anhand sozialräumlicher Dimensionen disku-tiert, was begrifflich auch als (sozialräumliche oder residenzielle) Segregation verhandelt wird – im Sinne einer ungleichen Verteilung von Gruppen auf die verschiedenen Quartiere einer Stadt (May 2012). Einer Problematisierung von sozialräumlicher Segregation liegt infolgedessen die Idealvorstellung ei-ner optimalen Gleichverteilung von sozialen Gruppen über die Stadt zu-grunde. Die Konzentration von benachteiligten Haushalten wird demgegen-über kritisch betrachtet, da hier die Lebensbedingungen in der räumlichen Umgebung als zusätzlicher benachteiligender Faktor neben Arbeitslosigkeit und Armut identifiziert werden (Häussermann/Kronauer 2009). Ausschlie-

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ßungen werden in diesem Zusammenhang insofern territorialisiert, wie mar-ginalisierte Bevölkerungsgruppen lokal in Quartieren oder Nachbarschaften verortet werden (Otto/Ziegler 2005). Als mögliche Effekte gelten schlechtere materielle Lebensbedingungen im Quartier, geringere politische Aktivität und Repräsentanz der Bewohnerinnen und Bewohner, negative Stigmatisie-rung des Viertels sowie die Entstehung eines spezifischen Milieus durch eine hohe Ähnlichkeit des Netzwerks (insbesondere zu Menschen in gleicher be-nachteiligter Lage) (kritisch hierzu: Landhäußer 2009). Hieran knüpft sich die Vorstellung von der Entstehung einer „Kultur der Armut“ (kritisch hierzu: Klein/Landhäußer/Ziegler 2005). Diese Ausschließungsprozesse ver-weisen im Hinblick auf privilegierte Milieus auf räumliche und soziale (Ein)Schließungsprozesse im Sinne von Gentrifizierung oder der Bildung von sogenannten „gated communities“, in denen sich wohlhabende Akteu-rinnen und Akteure zusammenschließen, isolieren und weniger privilegierte Bewohnerinnen und Bewohner verdrängen. Durch diese sozialen Schlie-ßungsprozesse werden einerseits Ressourcen und Privilegien exklusiv gehal-ten, andererseits ohnehin benachteiligte Personen zusätzlich beteiligt.

An der Bearbeitung dieser sozialräumlichen Dimension von Ausschlie-ßung setzen beispielsweise Stadtteilprogramme an, die auch als Auftrag an die Soziale Arbeit gerichtet werden. In ihnen soll programmatisch – hier am Beispiel der „Sozialen Stadt“3 – die städtebauliche Aufwertung und die Stär-kung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in benachteiligten Stadt- und Ortsteilen durch bauliche Investitionen der Stadterneuerung und durch Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen im Stadtteil stattfin-den. Solche Programme oder sozialraumorientierten Maßnahmen sind an-schlussfähig an aktivierende Umsteuerungen im Bereich von Sozialpolitik, da die Aktivierung von lokaler Gemeinschaft, Solidarität und Selbsthilfe im Vordergrund steht. Grundlegend besteht im Rahmen spezifischer Maßnah-men für sog. „benachteiligte Stadtteile“ die Gefahr, durch ihre Etablierung einer negativen Stigmatisierung des Stadtteils Vorschub zu leisten. Empiri-sche Ergebnisse zeigen ferner die Notwendigkeit der analytischen Unter-scheidung zwischen sozialen Lage- und Quartierseffekten, auch um einer Überbetonung des Raums (Stern 2004) entgegenzuarbeiten. Vor diesem Hin-tergrund stellen sich verschiedene sozialräumlich ausgerichtete Strategien zur Bearbeitung von Ein- und Ausschließungen im Hinblick auf den Abbau sozialer Ungleichheit als kontraproduktiv dar (Otto/Ziegler 2005; Landhäu-ßer 2009). Somit sind differenzierte empirische Analysen über vorliegende Probleme, ihre Verursachungszusammenhänge, die Ambivalenzen der Akti-vierung von lokalem Zusammenhalt sowie über mögliche Lösungsansätze

3 http://www.staedtebaufoerderung.info

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notwendig. In diesem Zusammenhang ist auch die Analyse der diskursiven Hervorbringung einer sozialräumlichen Problematisierung von Bedeutung, indem z. B. relevante Sprecherinnen und Akteure, Kontexte und Verhältnisse zu anderen Diskursen untersucht werden.

Kulturelle Aus- und (Ein)Schließungen

Sozialräumliche und arbeitsmarktbezogene Ausschließungen werden viel-fach in Wechselwirkung und gegenseitiger Verstärkung voneinander be-trachtet, wenn das Wohnen zahlreicher arbeitsloser Personen in einem ge-meinsamen Quartier problematisiert wird. Kritisch wird dabei – in Bezug auf subkulturelle Erfahrungs- und Interaktionsräume – die kollektive Sozialisa-tion von Kindern und Jugendlichen in abweichende Normen und Werte ohne positive Rollenvorbilder sowie die Beschränkung sozialer Beziehungen erachtet (Häußermann/Kronauer 2009). Kulturelle Ausschließung bezieht sich in diesem Zusammenhang auf das Vorliegen bzw. die Zuschreibung ei-ner von der Mehrheitsgesellschaft abweichenden kulturellen und morali-schen Grundhaltung, einer Kultur der Armut. Als Prototypen für solcherma-ßen kulturell abweichende Personen lassen sich wohlfahrtsabhängige, alleinerziehende Mütter sowie das genderspezifische Pendant des männlich konnotierten arbeitsfähigen Langzeitarbeitslosen heranziehen (Klein/Land-häußer/Ziegler 2005). Da vor allem eine unproduktive, fürsorgend-entmün-digende Politik des wohlfahrtsstaatlichen Ausgleichs für diese abweichende Haltung verantwortlich gemacht wird (Heite et al. 2007), gelangt weniger die Umverteilung von Ressourcen, sondern vielmehr Umerziehung im Sinne ak-tivierungspädagogischer Maßnahmen (Kessl 2006) in den Vordergrund.

Wird im Kontext der Zuschreibung einer solchen Abweichung auf die nicht-abweichende Mehrheitsgesellschaft geblickt, so basiert kulturelle Aus-schließung auf Prozessen sozialer (Ein)Schließung, von der gesellschaftlich privilegierte Akteurinnen und Akteure profitieren, indem sie den eigenen Le-bensstil als legitim durchsetzen und andere abwerten. Werden Lebens- stile in einem komplexen Gefüge von klassenmilieuspezifischen Habitusfor-men und ihrer Positionierung im sozialen Raum betrachtet, so wird deutlich, wie die Abwertung anderer Lebensstile aus einer hegemonialen Position her-aus vorgenommen wird. Darüber hinaus werden in den Debatten um eine gesellschaftliche ‚Underclass‘ Ursache und Wirkung vertauscht, wenn Ver-halten als Grundlage für die Zugehörigkeit zu einer Klasse suggeriert wird. Plausibel ist allerdings vielmehr, dass die Klassenlage in Verbindung mit der Milieuzugehörigkeit milieuspezifisches Verhalten bedingt (Klein/Landhäu-ßer/Ziegler 2005). Der Versuch einer Verhaltensänderung zur gesellschaftli-chen Anpassung an herrschende Normen verschleiert und perpetuiert dahin-

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terliegende Ungleichheitsverhältnisse. Für Soziale Arbeit stellt sich die Frage, welcher Beitrag den Wahrnehmungs- und Bewertungsmustern der Professi-onellen als Angehörige einer zunehmend verunsicherten Mittelschicht bei der Produktion des politischen Diskurses um die ‚neue Unterschicht‘ und den damit nahegelegten Interventionen zukommt. Neben der Auseinander-setzung mit solchen Diskursen geht es um eine kritische Reflexion der (Selbst-)Positionierung von Sozialer Arbeit als Akteurin, auch in Bezug auf ihr professionelles Handeln.

Anhand der Ausführungen zu den beschriebenen Dimensionen von so-zialer Ausschließung, hier am Beispiel von arbeitsmarktbezogenen, sozial-räumlichen und kulturellen Aspekten, lässt sich festhalten, dass auf der Basis vorliegender Empirie die diskursive Hervorbringungen der Problematisie-rung kritisch zu prüfen ist. Weiterhin gilt es, die Rolle Sozialer Arbeit in der Bearbeitung von Ausschließung zu reflektieren und dabei auch ihren Beitrag zu (weiteren) Ausschließungen zu hinterfragen. Dabei ist es von großer Be-deutung, eine klare Zielperspektive zu entwickeln, mit der soziale Ungleich-heiten, Aus- und (Ein)Schließungen abgebaut werden. Unterliegt ihrem Auf-trag eine empirisch nicht fundierte, unzulässige Problematisierung so besteht die Gefahr, weitere Ausschließungen und neue soziale Ungleichheiten her-vorzubringen. Vor diesem Hintergrund ist nun genauer danach zu fragen, welche Ausschließungen Soziale Arbeit in ihrem institutionellen Kontext selbst als Akteurin (mit)produziert.

3. Institutionelle soziale Aus- und (Ein)Schließungen im Kontext Sozialer Arbeit

Im institutionellen Kontext Sozialer Arbeit beziehen sich Ausschließungen auf ihre Angebote und Leistungen selbst. Diese lassen sich in unterschiedli-che Handlungsfelder, z. B. im Rahmen von Eltern- und Familienbildung kon-kretisieren. Hier zeigen sich im Hinblick auf das Erreichen von Zielgruppen deutliche Unterschiede entlang geschlechtlicher, sozialer und ethnischer Dimensionen: Familien mit niedrigerem Schulabschluss, mit Migrationshin-tergrund sowie Väter sind in den Angeboten teilweise deutlich unterreprä-sentiert (u. a. Heitkötter/Thiessen 2009); außerdem ist sowohl das Ange-botsspektrum, als auch das Teilnahmeverhalten von Eltern, nachdrücklich auf Familien mit kleinen Kindern zugeschnitten. Das wesentliche Adressie-ren und die hohe Nachfrage von Müttern lassen sich mit der geschlechter-spezifisch ungleich verteilten, primären Zuständigkeit für Kindererziehung und -betreuung in Beziehung bringen. Die Abhängigkeit vom sozialen Status und dem Bildungshintergrund von Eltern kann zu großen Teilen über mili-euspezifische Umgangsweisen mit Bildung sowie der klassenmilieuspezifi-

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schen Passung zwischen der Gestaltung des Angebots (z. B. Wahl des Bil-dungsortes, Thema, methodische Umsetzung, soziale Zusammensetzung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer) und der Milieuzugehörigkeit der zu er-reichenden Familien selbst erklärt werden (Bremer/Kleemann-Göhring 2012). Auf der Basis milieubezogener Ähnlichkeiten und Distanzen können – neben Fragen eines ersten Zugangs zum Angebot – auch indirektere For-men sozialer Ausschließung im Rahmen eines Angebots erfolgen. Es erweist sich daher als vielversprechend mit einer solchen Perspektive auf unter-schiedliche Angebote der Kinder- und Jugendhilfe als ein Teilgebiet Sozialer Arbeit zu blicken. Umgekehrt zeigt sich auch mit Blick auf die Hilfen zur Er-ziehung, dass (ohne die Erziehungsberatung) 61 Prozent der Adressatinnen und Adressaten Transferleistungen beziehen, wobei die Zahlen für die fami-lienersetzenden, im Vergleich zu den familienergänzenden Hilfen besonders hoch liegen. Hingegen liegt der Anteil dieser Gruppe in der Erziehungsbera-tung nur bei 19 Prozent, auch Familien mit Migrationshintergrund sind hier unterrepräsentiert (Fendrich/Pothmann/Wilk 2011).

Es lässt sich festhalten, dass Adressatinnen und Adressaten mit hohem sozioökonomischem Status in sozialpädagogischen Angeboten, die eher eine Ermöglichung und Erweiterung subjektiver Freiheitsspielräume anstreben, überrepräsentiert sind (Kessl/Klein/Landhäußer 2010). Soziale Arbeit und im Speziellen die Kinder- und Jugendhilfe leistet zwar einerseits vom Grund-satz her einen Beitrag zur Kompensation von benachteiligenden Lebensla-gen, andererseits aber ist auch der selektive Zugang zu gesellschaftlichen In-stitutionen vor dem Hintergrund sozialer Ungleichheit zu reflektieren. Soziale Arbeit kommt hier nicht nur als Ungleichheiten kompensierende, sondern auch als Ungleichheiten reproduzierende Instanz in den Blick. (Ein)Schließungen manifestieren sich hier, wenn Einrichtungen sich mit ei-nem freiwilligen Angebot für alle Eltern an den transportierten Familienbil-dern, den präferierten Erziehungsstilen oder -zielen der „bürgerlichen Mit-telschichtsfamilie“ orientieren. Dies gelingt, weil Angehörige höherer sozialer Klassen über die Macht und die Mittel verfügen, ihren Lebensstil als legitim durchzusetzen und damit andere Lebensstile abwerten (Klein/Land-häußer 2007). Sie sind in der Lage, den Umgang mit Institutionen und Fach-kräften im Sinne eines Anspruchs und einer Berechtigung auf Unterstützung zu organisieren.

Auch für diesen Bereich der Ausschließungen im institutionellen Kontext Sozialer Arbeit ist es daher von großer Wichtigkeit, zunächst anhand empi-rischer Daten das Phänomen aufzudecken und zu beleuchten sowie Beteili-gungen Sozialer Arbeit an Ausschließungen zu reflektieren. Es gilt zu unter-suchen, wie in sozialpädagogische Handlungsvollzüge normative institutio-nelle Wertemuster eingeschrieben sind, welche die Partizipation, Artikula-tion und Teilhabe von Adressatinnen und Adressaten verhindern und zu so-

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zialen Ausschließungen führen. Vor diesem Hintergrund liegt der Fokus in Bezug auf institutionelle Ausschließungen darauf, Ausschließungsprozesse, die Soziale Arbeit selbst produziert, zu thematisieren, kritisch zu prüfen und zu bearbeiten.

4. Herausforderungen für Soziale Arbeit in Bezug auf Aus- und (Ein)Schließungen

Für Soziale Arbeit gilt es daher, soziale Ein- und Ausschließungen konse-quent mit einem Fokus auf soziale Benachteiligung und Ungleichheit zu ver-binden und dabei klassenmilieutheoretische Verortungen von Akteurinnen und Akteuren miteinzubeziehen. Vor einer solchen Folie gelingt es, einen normativen Maßstab der Beurteilung und Bewertung sozialer Ein- und Aus-schließungen zu entwickeln: Es sind jene Ein- und Ausschließungen zu über-winden, die soziale Ungleichheiten hervorbringen oder stabilisieren sowie zur Sicherung von Privilegien und zum Abwerten von Gruppen dienen. Da-bei ist zu fragen, wer von solchen Aus- und Einschließungen profitiert, sie benutzt und betreibt (Steinert 2003). Im Kontext der Analyse von gesell-schaftlich problematisierten Ausschließungsprozessen gilt es, diese in ihrer Komplexität und Relationalität zu erfassen: Sowohl in Bezug auf jene (Ein)Schließungsprozesse, welche sie hervorbringen (Reuter 2008), als auch in Hinsicht auf die Perspektive der betroffenen Akteurinnen und Akteure so-wie ihrer subjektiven Bewältigungsweisen der Ausschließung (Bareis et al. 2013). Damit stellt sich Ein- und Ausschließung als ein multidimensionales und graduelles Konzept dar.

Vor diesem Hintergrund ist in Bezug auf die ausgeführten Aspekte von Ein- und Ausschließungen auch festzuhalten, dass diese in Überlappung, auch mit weiteren, hier nicht ausgeführten Formen von Ein- und Ausschlie-ßung stehen – wie es beispielsweise in der Betrachtung von kulturellen Aus-schließungen und ihren räumlichen, sozialen und arbeitsmarktbezogenen Facetten und Zuschreibungen offensichtlich wurde. An dieser Stelle können und sollten mit Hilfe dieses Konzepts – und hier liegt eine seiner Stärken – die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen kumulierenden und sich wechselseitig verstärkenden Ein- und Ausschließungsformen analysiert wer-den (Reuter 2008). Auf einer solchen Basis können umfassende Lösungsstra-tegien und Handlungsalternativen erarbeitet werden. Fachliches Handeln im Rahmen Sozialer Arbeit stellt sich dabei ambivalent dar: Zum einen rückt es in Bezug auf die Unterstützung von benachteiligten Adressatinnen und Ad-ressaten und als Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen zum Abbau von sozialen Ein- und Ausschließungen in den Fokus. Zum anderen wird der Blick für eigene Beiträge zu ein-, ausschließenden und benachteiligenden

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Prozessen selbst geweitet. Mit Blick auf die Gestaltung der Praxis Sozialer Ar-beit geht es darum, klassenmilieuspezifische Unterschiede und Ungleichhei-ten ernst zu nehmen, bei der Gestaltung professionellen Handelns zu berück-sichtigen sowie eigene aus- und einschließende Wirkungen, die soziale Ungleichheiten perpetuieren, wahrzunehmen, zu reflektieren, zu bearbeiten und zu überwinden.

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