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ISSN 1975-0617 JAHRGANG 7, NR. 1 FRÜHJAHR 2012 KOREANISCHE KULTUR UND KUNST SPEZIAL Der koreanische Animationsfilm Eine neue Kulturindustrie für Zuschauer in aller Welt DIE KOREANISCHE ANIMATIONSINDUSTRIE Entwicklung einer Kulturindustrie Kreative Köpfe und Innovationen Mein Sohn, Pororo und ich

KOREANA - Spring 2012 (German)

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KOREANA - Spring 2012 (German)

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ISSN 1975-0617

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2012 Koreanische Kultur und Kunst

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Spezial

Der koreanische AnimationsfilmEine neue Kulturindustrie

für Zuschauer in aller Welt

Die koreaniSche animationSinDuStrieEntw

icklung einer Kulturindustrie Kreative Köpfe und Innovationen M

ein Sohn, Pororo und ich

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Koreanische Kultur und Kunst Frühjahr 2012

IMPRESSUMHerausgeberThe Korea Foundation2558 Nambusunhwan-ro, Seocho-gu, Seoul 137-863, Korea

Vor rund zehn Jahren fesselte die TV-Serie Winter Sonata, die vor dem Hintergrund male-rischer Schneelandschaften die Geschichte einer unschuldigen Liebe erzählte, unzählige Zuschauer in ganz Asien. Es folgte eine weitere Hit-Serie mit Dae Jang Geum (Juwel in the Palace). In jüngster Zeit verbreiten junge koreanische Musiker das K-Pop-Fieber weit über Asien in die ganze Welt hinaus, ein Erfolg, der selbst die Koreaner in Erstaunen versetzt.Die positive Resonanz, auf die die koreanische Popkultur unter der Bezeichnung „Korea-Welle“ bzw. „Hallyu“ im Ausland stößt, ist sowohl für die Fans in Übersee als auch für die Koreaner im Inlande eine völlig neue Erfahrung. Insbesondere die ältere Generation der Koreaner findet dieses Phänomen wahrhaft erstaunlich. Für die jüngere Generation ist das K-Pop-Fieber jedoch genau so selbstverständlich wie der materielle Wohlstand, mit dem sie aufgewachsen ist.Vor dem Hintergrund des neuen Selbstvertrauens, das die Koreaner in ihre kulturellen

Ressourcen und Fähigkeiten entwickelt haben, schickt sich momentan ein weitere Gruppe koreanischer Künstler an, sich auf der internationalen Bühne einen Namen zu machen. Der koreanische Animationsfilm hat sicherlich noch einen weiten Weg vor sich, bis er ein breiteres Spektrum von Zuschauern in aller Welt anziehen kann, aber er konnte sein Potential bereits definitiv unter Beweis stellen.Die vorliegende Ausgabe von KOREANA nimmt die koreanische Animationsindustrie genauer unter die Lupe, stellt die führenden Köpfe und neue Talente vor und beleuch-tet die neuesten Trends und Erfolge. Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis der koreanische Animationsfilm die Träume und Fantasien der Menschen in der ganzen Welt beflügeln kann.

Eine neue Welle im Anrollen

Ahn In-kyoung Chefredakteurin der deutschen Ausgabe

Eine Szene aus Pororo the Little Penguin. Dieser beliebte TV-Animationsserie für kleine Kinder hat sich seit ihrem Debüt 2003 zu einem der Hits der koreanischen Animationsprogramme entwickelt und unterhält jetzt Zuschauer in aller Welt.©HANAROTELECOM / OCON / ICONIX / EBS

Koreana Internet Website http://www.koreana.or.kr

VERLEGER Kim Woo-sang REDAKTIONSDIREKTOR Zeon Nam-jinCHEFREDAKTEURIN Ahn In-kyoungCOPY-EDITOR Anneliese Stern-KoREDAKTIONSBEIRAT Bae Bien-u Elisabeth Chabanol Han Kyung-koo Kim Hwa-young Kim Moon-hwan Kim Young-na Koh Mi-seok Song Hye-jin Song Young-man Werner SasseREDAKTIONSMITGLIEDER Lim Sun-kunFOTODIREKTOR Kim SamKUNSTDIREKTOR Lee Duk-limDESIGNER Kim Ji-hyunLAYOUT & DESIGN Kim’s Communication Associates

Herausgabezweck: ideell

SUBSKRIPTION

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Preis für Jahresabonnement:

Korea 18.000 Won, Luftpost in Deutschland und

Österreich 32 EUR (einschließlich Porto)

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darf ohne vorherige Genehmigung der Korea Foundation in

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Koreana oder denen der Korea Foundation.

Koreana ist als Vierteljahresmagazin beim Ministerium

für Kultur und Tourismus registriert (Reg. Nr. Ba-1033 vom

8.8.1997) und erscheint auch auf Englisch, Chinesisch,

Französisch, Spanisch, Arabisch, Japanisch und Russisch.

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spezIal DER KOREANIScHE ANIMATIONSFILM

04 EinführungDer koreanische Animationsfilm: Entwicklung einer Kulturindustrie Park In-ha

10 führEndE KöpfE dEr industriEDer koreanische Animationsfilm: Kreative Köpfe und Innovationen Kim Ik-hwan

16 Aus sicht EinEs VAtErsMein Sohn, Pororo und ich Park Seok-hwan

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20 Fokus Arirang: Verbreitung in der ganzen Welt Park Hyun-sook

24 kunstkritik Zwischen Dokumentation und Kunst: Joseon-Hofmalerei Koh Mi-seok

30 AuF der Weltbühne Sopranistin Sunhae Im Lee Yong-sook

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54 neuerscheinung Werner Sasse, Kim Hak-soon, Lee Yong-shik Deutsche Ausgabe der Schlachtfeld-Erzählung eines Admirals Schwertgesang

Jongmyo Jeryeak: Ritualmusik für die Vorfahren der KönigeJongmyo Jeryeak

Englische Blogs und Cyber-Ratgeber für die koreanische KücheZenKimchi.com; fatmanseoul.com; seouleats.com

56 blick Aus der Ferne In Korea ist der Kunde König Benjamin Neuß

58 gourmetFreuden Ssambap: Gesunde und schmackhafte „Glücksrolle” Ye Jong-suk

62 entertAinment Landesweiter Gesangswettbewerb: Ein Dauerbrenner in der Publikumsgunst Lee Young-mee

64 reisen in die koreAnische literAturRezension: Blaukrabbe ist der Name der Einsamkeit Uh Soo-woongDas Blaukrabbengrab Kwon Ji-ye

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36 kunsthAndWerkerKim Pyo-yeong: Altmeister der uralten Kunst Baecheop Park Hyun-sook

42 moderne WAhrzeichen Der Bahnhof Seoul in neuem Gewand Kim Chung-dong

48 intervieW Bildhauer Choi Jong-tae „Eines Tages wurde mir schlagartig bewusst, dass ich eigentlich nicht wusste, was Kunst ist.“ Choi Tae-man

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Animationsfilme made in Korea, die erstmals 1956 in form von tV-Werbung auftauchten, erlebten zahlreiche Auf

und Abs, bis ihnen dann in den 1990er Jahren endlich der große durchbruch gelang. die new-Wave-generation

der Animationsfilmer aus jener Zeit, die eine bedingungslose Leidenschaft für ihr Metier mitbringt, führt heute den

Aufschwung dieses genres in Korea an.Park In-ha Chungkang College of Cultural Industries | Fotos: Ahn Hong-beom

Schon zu urgeschichtlichen Zeiten pflegten die Menschen, Tiere oder Jagdszenen auf Höhlenwänden oder großen Felsen zu

verewigen. Auch auf der koreanischen Halbinsel haben die Siedler der Bronzezeit Bilder hinterlassen, die riesige Wale und mit Spee-ren bewaffnete Männer zeigen. Die Schöpfer dieser Szenen wollten mit ihrer Kunst wohl die unbändige Lebenskraft eines die Meere durchpflügenden Wals einfangen. Sind die Anfänge der Geschich-te der Animation nicht in den Träumen dieser urzeitlichen Künstler und Gravuren zu suchen?

Drei Filme, die 2011 Furore machten2011 war das Jahr, in dem der koreanische Animati-onsfilm gleich mehrere überraschende Erfolge ver-buchen konnte. Den Anfang machte Leafie, A Hen into the Wild (Regisseur: Oh Seong-yun), ein Film, der auf der Vorlage eines beliebten koreanischen Kinderbu-ches entstand. Dieser Film kombinierte das seit den 1990er Jahren stark weiterentwickelte Know-How der kreati-ven Köpfe der Animationsbranche mit dem Distributions- und PR-System der koreanischen Filmindustrie, was zu

einem ungeahnten Erfolg führte. So konnte Leafie, A Hen into the Wild als erster koreanischer Animationsfilm überhaupt 2,2 Millio-nen Zuschauer in die Kinos locken. Danach gelangte er als erster koreanischer Lang-Animationsfilm in über zweitausend Kinosäle in ganz china. Die Produktionskosten beliefen sich auf drei Milliarden Won (zwei Millionen Euro), was eine stolze Summe für einen Trick-film darstellt, aber weit unter dem bleibt, was ein Blockbuster-Ac-tionfilm normalerweise verschlingt. Einen weiteren bedeutsamen Erfolg im Bereich Animation mar-

kierte The King of Pigs von Yeun Sang-ho, der beim 16. Busan International Film Festival 2011 als erster Animationsfilm gleich drei Preise einheimsen konnte, darunter auch den für den

besten Regisseur. Dieser mit nur 150 Millionen Won (100.000 Euro) produzierte Independent Film erzählt vom Treffen zweier ehemaliger Schulkameraden, die die von Klas-senunterschieden und brutaler Gewalt geprägte Zeit an der Mittelschule vor 15 Jahren in ihren Erinnerungen wieder auf-

leben lassen. Trotz des für einen Animationsfilm ungewöhn-lichen Themas und der in graphischer Detailliertheit darge-

Der koreanische Animationsfilm Entwicklung einer Kulturindustrie

Der koreanische Animationsfilm >> Einführung

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ANAROTELECOM

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1. Eine Figur aus Roboter Taekwon V. 2. Leafie, A Hen into the Wild (2011).3. Pororo the Little Penguin (2003).

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stellten, schonungslosen Gewalt, die dem Film ein R-Rating ein-brachte, gelang es diesem Nischenprodukt, mit fast 20.000 Besu-chern den alten Zuschauerrekord der Independent Filme in Korea zu brechen. Erwähnung verdient auch noch Green Days von An Jae-hun, der zwar nicht als Box Office Hit in die Geschichte des koreanischen

Animationsfilms eingehen wird, dafür aber sicherlich wegen sei-ner Ästhetik und lyrischen Bilderwelten. Die genannten drei Filme weisen Gemeinsamkeiten auf: Es sind traditionelle 2-D-Produktio-nen, auch wenn Leafie, A Hen into the Wild einige 3-D-Szenen ent-hält, und alle drei Regisseure stammen aus der Phase des ab den 1990er Jahren einsetzenden kreativen Neuanfangs des koreani-schen Animationsfilms.

Ära der großen WagnisseDie Geschichte des koreanischen Trickfilms begann 1956, wobei zu jener Zeit bis in die 1960er Jahre hinein vorwiegend Animati-onen für TV-Werbung produziert wurden. Ende 1965 begann der Regisseur Shin Dong-hun, dessen Erfahrungen in diesem Bereich

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© Studio MWP

4. Ein Raum im Erdgeschoss des chuncheon Animation Museum, dekoriert im Stile eines Kinos aus dem Jahr 1967, als Der Held Hong Gildong herauskam.5. Ein Poster von Robot Taekwon V6. Die Figur des Son Ogong, des Affenkönigs, auf dem Superboard, dem Star von Fly! Superboard (1988).

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sich bis dahin auf einige Werbetrickfilme beschränkten, mit der Umsetzung der beliebten comic-Reihe Der Held Hong Gildong sei-nes Bruders Shin Dong-u. Bereits ein Jahr später, am 21. Januar 1967, kam mit Der Held Hong Gildong der erste koreanische Lang-Animationsfilm in die Kinos. Am Tag der Premiere standen die Zuschauer Schlange vor den Kinokassen und nach nur vier Tagen war die Zahl der Besucher bereits auf 100.000 geklettert, so dass der Film zum zweit-umsatzstärksten des Jahres 1967 wurde. Dieser Erfolg gleicht einem Wunder, wenn man bedenkt, unter welch harten Umständen dieser Langfilm innerhalb nur eines Jah-res produziert wurde: Da kein Zelluloidfilm zu haben war, behalf sich Shin mit Filmabfällen der US-Luftwaffe, die zur Entfernung der Schwärze erst in Lauge getaucht und dann zurechtgeschnitten werden mussten, um wiederverwendet werden zu können. Ange-spornt durch den Erfolg von Der Held Hong Gildong wurden zwar noch weitere Kino-Animationsfilme produziert, aber auf Grund der schlechten Produktionsbedingungen und des mangeln-den Interesses der Filmindustrie versiegte die Produktion koreanischer Animationsfilme bald. Erst 1976, also ganze zehn Jahre nach Der Held Hong Gil-dong, sorgte ein weiterer Zeichentrickfilm für Wirbel an den Kinokassen und stellte damit das Potential des kore-anischen Animationsfilms unter Beweis. Robot Taekwon V (in den USA als Voltar the Invincible bekannt) von Kim cheong-gi brachte mit seinem durchschlagenden Erfolg die Produk-tion einer ganzen Reihe ähnlicher Langfilm-Animationen für Kinder ab 6 als Zielgruppe auf den Weg. Da sich jedoch durch den Ticketverkauf alleine die Produktionskosten nicht decken ließen, mussten die Kosten gesenkt werden, was wiederum die Qualität der Filme verschlechterte und letztendlich zu einem Rückgang der Zuschauerzahlen führte. Der Teufelskreis aus sin-kenden Besucherzahlen und sinkender Filmqualität wiederholte sich so lange, bis schließlich auch die Zahl der produzierten Filme

rapide abnahm. Nach weiteren zehn Jahren bot sich dem koreanischen Animations-film eine dritte Gelegenheit zum Durchstarten. Die koreanischen Fernsehsender, die bis dahin ausschließlich japanische oder ame-rikanische Trickfilme ausgestrahlt hatten, versuchten sich mit Blick auf die Olympischen Sommerspiele 1988 in der Produktion heimi-scher Zeichentrickserien. Sie orientierten sich dabei an dem japa-nischen System, beliebte comics fürs Fernsehen zu adaptieren, was in der Produktion höchst populärer Serien wie Dooly the Litt-le Dinosaur, Dallyeora Hani (Run, Hany) oder Narara Syupeobodeu (Fly! Superboard) resultierte. Ungeachtet des großen Erfolgs dieser koreanischen Serien gaben die TV-Stationen solche Eigenproduk-tionen aus Kostengründen schon bald wieder auf und kauften statt dessen wieder die preisgünstigeren Serien aus dem Ausland.

Die Hauptakteure der new-WaveDem koreanischen Animationsfilm waren mit gelegentlichen

innovativen Produktionen zwar einige Sternstun-den beschieden, aber es gelang nie, eine solide Basis für kontinuierliches Wachstum zu legen. Bis in die 1980er Jahre lag der Fokus auf Zulie-

ferarbeiten und nicht auf Eigenproduktion origi-närer Werke. Die für ihr ausgezeichnetes Geschick

bekannten koreanischen Trickfilmzeichner lieferten zwar einen Großteil der Zeichnungen für japanische, ame-rikanische oder europäische Produktionen, aber die

entscheidenden Produktionsvorgänge spielten sich nicht in Korea, sondern im Ausland ab. Überspitzt formu-

liert bezeichnete man die koreanische Animationsindustrie als „Riesen ohne Kopf“. Mit Beginn der 1990er Jahre kam es dann zu einem grundlegenden Wandel. Trotz des Mangels an Bildungseinrichtungen mit Kursen für Animation, Projekten, an denen man hätte mitarbeiten, oder Unternehmen, in die man hätte einsteigen können, entschlossen

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1. Green Days, ein Film der für die getreue Nachzeichnung des Alltagslebens der 1970er Jahre gelobt wird (2011). © Studio MWP2-3. The King of Pigs (2011), ein unabhängi-ger Lang-Animationsfilm für Erwachsene.

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1995 öffnete das erste Seoul International Cartoon & Animation Festival (SICAF) seine Tore und

ermöglichte es jungen Regisseuren, ihre trotz rudimentärer arbeitstechnischer Voraussetzungen

hergestellten Kurzfilme einem breiten Publikum vorzustellen. Die Entwicklung der Informations-

und Kommunikationstechnologie tat ihr Übriges, diesen bescheidenen Anfängen weitere Impulse zu

verleihen.

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sich einige Trickfilm-Animatoren ohne jeglichen Gedanken an den finanziellen Erfolg, ihren eigenen Weg zu gehen. Sie brachten sich das nötige Wissen selber bei und schufen eigene Werke. Es ist der Kreativität dieser neuen, unabhängigen Animatoren zu verdanken, dass die koreanische Animationsindustrie endlich auf Erfolgskurs ging. Ungefähr zur selben Zeit wandelte sich das Verständnis von Ani-mationsfilmen von „Filmen für Kinder“ zu „Teil der Kulturindus-trie“. Zeitungen, Zeitschriften und zu guter Letzt auch das Fern-sehen begannen, über die Animationsindustrie zu berichten. 1995 erklärte die Regierung die Animationsindustrie zur „Kulturindust-rie“ und unter ihrer Regie wurde das Seoul International cartoon &

Animation Festival ins Leben gerufen, das es jungen Regisseuren ermöglichte, ihre trotz rudimentärer arbeitstechnischer Voraus-setzungen hergestellten Kurzfilme einem breiten Publikum vorzu-stellen. Die Entwicklung der Informations- und Kommunikations-technologie tat ihr Übriges, diesen bescheidenen Anfängen weite-re Impulse zu verleihen. Durch das PPP (Point-to-Point Protocol) wurden Informationen über Animationsfilme verbreitet, und neue Konsumentengruppen entstanden. An den Universitäten wurden in schneller Folge die ersten Institute für Manhwa (koreanischer comic) und Animation eingerichtet. Der neuen Garde der Trickfilm-Animatoren ist der Sprung von Kurzfilm- zu Langfilm-Produktionen gelungen, und das oftmals

©ROI VISUAL / EBS / bmc / KOCCA

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mit erstaunlichem Erfolg. Repräsentatives Beispiel dafür ist der Regisseur Lee Seong-gang. 1999 schaffte es Lee mit Ashes in the Thicket in die Offizielle Auswahl des Annecy International Ani-mated Film Festival und 2002 wurde My Beautiful Girl, Mari mit dem Hauptpreis für den besten Langfilm gekürt. Der im Ausland mit guten Kritiken bedachte Film scheiterte jedoch an den heimi-schen Kinokassen. 2007 erschien Yobi, The Five Tailed Fox, der zwar durch seinen außerordentlichen Detailreichtum bestach, aber ebenfalls die Hoffnungen auf einen Box Office Hit nicht erfüllte.Bereits 2003 war Wonderful Days in die Kinos gekommen, ein Science-Fiction-Animationsfilm, dessen Produktion 7 Jahre dau-erte und 12,6 Milliarden Won (8,5 Millionen Euro) verschlang. Die-ser Projektumfang ließ natürlich entsprechend hohe Erwartungen aufkommen, die sich aber schnell zerschlugen. Kim Mun-saeng, der Regisseur des Films, kehrte daraufhin dem Animationsfilm für immer den Rücken. Bedauerlicherweise wurde das bei dieser Produktion gewonnene Know-how nicht systematisch zusammen-getragen, aber die an diesem Projekt Beteiligten haben danach Schlüsselrollen in der koreanischen Animationswelt übernommen. Nach der Millenniumswende wurden kurze Flash-Animationsfil-me im Internet populär. MashiMaro Forest, Zolaman, Woobi Boy (Regenmanteljunge) oder Pucca verbreiteten sich rasend schnell von E-Mail zu E-Mail und von einem Schwarzen Brett zum nächs-

ten, wobei sie sich zu einer Art eigenständigen Kraft entwickelten, die die Koreaner in ihren Bann zog. Inzwischen haben MashiMaro Forest und Pucca ihren Geschäftsbereich auf character-Produkte ausgeweitet.Auch unter den TV-Animationsserien hat die Vielfalt langsam zuge-nommen. Dabei hat sich nicht nur die Qualität der Produktionen verbessert, sondern es konnten auch einige kommerzielle Erfolgs-geschichten geschrieben werden. Zu nennen sind Pororo the Little Penguin (2003), eine Flagship-Serie in puncto contents für Kinder. Nicht zu vergessen Janggeum’s Dream (2004), die Animations-Version der in Asien aber auch im Nahen Osten überaus beliebten TV-Serie Dae Jang Geum (Jewel in the Palace). Janggeum’s Dream wurde in 27 Länder verkauft.Aber auch Robocar Poli (2011), der in die Erfolgs-Fußstapfen von Pororo the Little Penguin trat, trifft nicht nur im Inland auf positive Resonanz, sondern auch außerhalb Koreas. Den Vorreitern der New-Wave des koreanischen Animationsfilms geht es in ihrem Schaffen nicht so sehr um finanzielle Gewinne, sondern um die Verwirklichung ihrer Träume. Und sie setzen alles daran, still und leise an der Zukunft des koreanischen Animations-films zu arbeiten. Die ganz eigene Dynamik der koreanischen Ani-mation von heute ist voll und ganz ihnen zu verdanken und lässt auf eine helle Zukunft hoffen.

1. Der Kinder-Animationsfilm Robocar Poli (2011).2. Jang Geum's Dream (2004) wurde in 27 Län-der exportiert. ©MBc·SOK·HEEWON3. Koreanische und Europäische Animationspro-duzenten bei einem Treffen auf der 2011 cartoon connection Korea-EU.

©MBC•SOK•HEEWON

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Koreanische filme, fernsehserien und Musik sind unter dem Begriff „hallyu“ ein weltweiter Exportschlager und

auch die koreanischen Animationsfilme leisten jetzt einen Beitrag zum höherschlagen der Korea-Welle. Lernen

sie einige der hauptakteure dieses genres kennen. Kim Ik-hwan Senior editor, NEWTYPE KOREA | Fotos: Ahn Hong-beom

Der koreanische Animationsfilm: Kreative Köpfe und Innovationen

Direktor Ahn Jae-hoon und eine Szene aus Green Days.

Der koreanische Animationsfilm >> Führende Köpfe der Industrie

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Direktor porträtiert das Korea der Moderne

Ahn Jae-hoon, Direktor von Studio MWP, hat Winter Sonata, die TV-Serie, die die Korea-Welle Hallyu

ins Rollen brachte, für einen Animationsfilm adaptiert. Sein Studio bietet einen eher ungewöhnlichen Anblick: So ist eine Ecke über und über mit Möbeln, Haushalts-gegenständen und Produkten, wie sie noch vor 40 Jah-ren in Korea überall zu sehen waren, vollgestopft. Er hat sie eigenhändig aus allen Ecken und Enden des Lan-des zusammengetragen, um den jungen Mitgliedern des Produktionsteams von Green Days ein möglichst authentisches Gefühl für diese Dinge von einst zu vermitteln. Der Film lässt denn auch auf ebenso lie-bevolle wie detailgetreue Weise den Alltag im Korea von vor 40 Jahren wieder auferstehen. Beschrie-ben wird die turbulente Zeit des wirtschaftlichen Auf-schwungs, der in einem solch rasanten Tempo ver-lief, dass zwar noch vieles aus jener Zeit in Erinnerung geblieben, aber nur wenig im reellen Leben erhalten ist. Nun steht Green Days kurz vor der Uraufführung und wird nicht nur in Korea, sondern auch in china und Japan mit nicht geringem Interesse erwartet. Derzeit arbeitet Ahn Jae-hoon an Animation from Korean Short Stories, eine Produktion, mit der er den Versuch unter-nimmt, auf Basis von Erzählungen Szenen und Lyrizis-mus des Korea von vor 70 Jahren einzufangen.

Kim: In Ihrem Film wird die koreanische Gesellschaft von vor 40 Jahren unglaublich detailgetreu nachge-zeichnet, was sehr schwierig gewesen sein dürfte.Ahn: Viele Leute waren sich wohl nicht bewusst, wie radikal sich ihr alltägliches Umfeld verändern und viele Dinge einfach verschwinden würden, bevor man eine chance hatte, sie in irgendeiner Form festzuhalten. Es kann durchaus von Vorteil sein, dass dem Betrachter alles wie Fantasie vorkommt, auch wenn es sich dabei um das Bild unserer Gesellschaft aus vergangenen Tagen handelt. Ich habe jeden Winkel unseres Landes bereist, um von Zeitzeugen etwas darüber zu hören, wie ihre Dörfer früher aussahen. Ich habe auch alte Schwarz-Weiß-Aufnahmen gesammelt und mich fast

jede Woche einmal auf dem Flohmarkt in Hwanghak-dong mit seinem alten Trödel umgesehen. Kim: Ich habe gehört, dass die Previews auch in china auf positive Resonanz gestoßen sind. Ahn: In china hat man seit jeher dem Kunsthand-werk großen Respekt entgegengebracht, so dass die Zuschauer von der Detailarbeit, die wir in jede einzel-ne Zeichnung gesteckt haben, tief beeindruckt waren. Einer der chinesischen Zuschauer hat sich sogar zwei Tage, nachdem er den Film gesehen hatte, extra auf

den weiten Weg zu uns hier ins Studio aufgemacht. Dem koreanischen Publikum gibt Green Days einen Einblick in eine für immer verlorene Vergangenheit. china befindet sich jetzt noch inmitten großer Verände-rungen. Ich würde mir daher wünschen, dass der Film für das chinesische Publikum zu einem Anstoß wird, sich mit ihrer Gegenwart auseinanderzusetzen.Kim: Was hat Sie dazu bewogen, koreanische Erzäh-lungen als Stoff für Animationsfilme zu nehmen?

Ahn: Um das in der Erinne-rung Gespeicherte in einem Animationsfilm zu behan-deln, bedarf es eines roten Fadens, an dem man sich orientieren kann. Diesen roten Faden haben gerade die Erzählungen geliefert. Kim: Was ist besonders wichtig bei der Umsetzung dieses Projekts?Ahn: Wir wollen nicht einfach nur den Inhalt der Erzäh-lungen auf animierte Bilder übertragen. Wir wollen viel-mehr jedem Wort und jeder einzelnen Erzählpassage auf

Der koreanische Animationsfilm: Kreative Köpfe und Innovationen

Es kann durchaus

von Vorteil sein,

dass dem Betrachter

alles wie fantasie

vorkommt, auch

wenn es sich dabei

um das Bild unserer

gesellschaft aus

vergangenen tagen

handelt.

© Studio M

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den Grund gehen, um die Gefühlswelt, die sich in unse-rer Sprache findet, möglichst getreu in den Bildern zum Ausdruck kommen lassen.

Jang Geum’s Dream Koreanische küche und mehr

J ang Geum’s Dream ist ein überaus erfolgreicher Animationsfilm, der auf Dae Jang Geum (Jewel in

the Palace) basiert, einer TV-Serie, die während ihrer Erstausstrahlung Rekordeinschaltquoten von durch-schnittlich 45,8 % erzielen konnte und in über 60 Län-der exportiert wurde, darunter Japan, china, Thailand, Australien und Ägypten. Diese Popularität bewirkte den positiven Nebeneffekt, dass Korea, das bis dahin nur als eine der wirtschaftlich aufstrebenden Nationen Asiens bekannt gewesen war, auf der Weltbühne auch als Land mit einer langen Geschichte und einzigartigen Kultur wahrgenommen wurde. Jang Geum’s Dream soll nun einen ähnlichen Effekt auf die Kinder dieser Welt haben. Kim Young-ae, Geschäftsführerin von Hee-Won Entertainment Inc., hat dieses Projekt unter den größten Widerständen in ihrer Umgebung, nach denen ein Animationsfilm, in dem die Hauptperson die kore-anische Tracht Hanbok trägt, niemals erfolgreich sein kann, durchgesetzt. Kim Ik-hwan: Was hat Sie an den Erfolg von Jang Geum’s Dream glauben lassen?Kim Young-ae: Als die Serie anlief, erwiesen sich die anfänglichen Bedenken als unbegründet. Ich war gera-de auf einer Geschäftsreise im Ausland, als ich von einer Unterschriftenaktion in Korea erfuhr, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, die Serie auf einen kinderfreundlicheren Sendeplatz verlegen zu lassen. Ich konnte es gar nicht glau-ben. Aber schon bald erschien im Internet eine Fanseite nach der anderen und japani-sche Anhänger der Serie pil-

gerten zu uns ins Studio. Erst da hatte ich langsam das Gefühl, etwas Großes geschaffen zu haben. Kim Ik-hwan: Die Fern-sehserie Dae Jang Geum machte die traditionelle Kultur Koreas, also die tra-ditionelle Kleidung, Küche und Geist, in der Welt bekannt. Auch in der Ani-mationsserie Jang Geum’s Dream finden sich diese Elemente.Kim Young-ae: An erster

Stelle haben wir uns viel Mühe gegeben, die koreani-sche traditionelle Kleidung so prachtvoll wie möglich zu zeichnen. Unser zweites Hauptaugenmerk lag auf der Darstellung des Essens. In der Originalserie lag der Fokus auf der Palastküche, in der animierten Ver-sion haben wir aber auch die Gerichte des einfachen Mannes und Gerichte mit medizinischer Heilwirkung eingebracht. Zudem haben wir uns bemüht, anhand der Protagonistin den starken charakter koreanischer Frauen, die sich mutig jeder Herausforderung stellen und auch angesichts widrigster Umstände nicht leicht klein beigeben, herauszuarbeiten.

Kim Ik-hwan: Hat sich nach dem großen Erfolg von Jang Geum’s Dream etwas verän-dert?Kim Young-ae: Der koreani-sche Animationsfilm-Markt war lange ein Outsourcing-Markt, der reine Zulieferarbeit leistete. Deshalb war es nicht so einfach, wirklich engagier-te Mitarbeiter zu finden. Jang Geum’s Dream wurde von einem Team ausgesprochen talentierter Newcomer produ-ziert, angefangen beim Leiten-den Regisseur, über die Dreh-buchautoren bis hin zu den charakter-Designern. Diesen etwas abenteuerlichen Aus-

sie hat dieses pro-

jekt unter den größ-

ten Widerständen

von Zweiflern in ihrer

umgebung, nach

denen ein Animati-

onsfilm, in dem die

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hanbok trägt, nie-

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©MBC•SOK•HEEWON

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gangsbedingungen entsprechend gab es viele Schwie-rigkeiten zu überwinden, aber ich glaube, das Ender-gebnis kann sich sehen lassen. Als Produzentin habe ich jedenfalls Einiges an Selbstbewusstsein entwickeln können. Auch in Zukunft wird es mir ein großes Anlie-gen sein, neue Talente ausfindig zu machen und ihnen ein Umfeld zu bieten, in dem sie ihr Potential voll ent-wickeln können, so dass Filme geschaffen werden, die der Welt die koreanische Mentalität vermitteln helfen.Kim Ik-hwan: Was sind Ihre nächsten Projekte?Kim Young-ae: Zurzeit arbeiten wir an einer Fernseh-serie, bei der sich alles um einen Kreisel dreht. Doch vor der offiziellen Bekanntgabe des Projekts möch-te ich nichts Weiteres darüber verraten. Nicht sofort, aber irgendwann einmal würde ich auch gerne einen Lang-Animationsfilm nach Vorlage koreanischer Mär-chen produzieren. Dabei schwebt mir vor, die Original-geschichte auszubauen und mit einer eigenen Note zu bereichern, um Serien zu schaffen, die den Vergleich

Kim Young-ae, Produzentin von Jang Geum’s Dream, und eine Szene aus der Serie.

mit Klassikern wie A Dog of Flanders oder Heidi nicht scheuen müssen.

Robocar Poli: keine Superhelden und Weltenretter

R obocar Poli, eine TV-Serie, die im Februar 2011 anlief, ist bei den koreanischen Kindern heute

eine der beliebtesten Serien. Es handelt sich um eine Zusammenarbeit der Produktionsfirma Roi Visual mit Hyundai Motors, dem größten koreanischen Autoher-steller, was an die Serie Transformers erinnert, die in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Autofir-ma GM entstand. Robocar Poli erzählt von niedlichen Autos, die sich in Roboter verwandeln können, um ihren Freunden zur Hilfe zu kommen. So wie der Pin-guin Pororo aus der Hit-Serie Pororo the Little Pengu-in mit dem liebevollen Spitznamen „Präsident Pororo“ bedacht wurde, ist Poli dermaßen beliebt geworden, dass er „Premierminister Poli“ genannt wird. Die bei-den machen sich jetzt auf, die Welt zu erobern. Ein besonderes Merkmal von Robocar Poli ist dabei, dass der Film ganz ohne die sonst bei Roboter-Animati-onsfilmen übliche Gewalt auskommt und daher unbe-denklichen Filmspaß auch für die ganz Kleinen bietet. Die zahlreichen erzieherischen Elemente wie z.B. die Lektionen zur Verkehrssicherheit, die die süßen Autos erteilen, haben der Serie ebenfalls ausgezeichnete Kri-tiken eingebracht. Lee Dong-woo von Roi Visual wird nachgesagt, dass er nicht alte Pfade weiter austritt, sondern mit Experimentierfreude erfolgreich neue Wege beschreitet.

Kim: Wie ist der charakter Poli entstanden?Lee: Betrachtet man den weltweiten Markt für Anima-tionsfilme, dann ist auffällig, dass sich der überwie-gende Teil der Produktionen entweder an Kinder bis 5 Jahre oder aber an Kinder ab 7 Jahre richtet. Für das Alter dazwischen gibt es nicht viel. Deswegen haben wir eine unterhaltsame und zugleich erzieherisch gehaltvolle Serie speziell für Kinder von 4 bis 7 entwi-ckelt. Was unseren Untersuchungen zufolge Kinder in diesem Alter am meisten mögen, sind Roboter, Autos und Polizisten. Poli, unser erster charakter, vereint alle diese Vorlieben.

13Koreana ı F rüh jahr 2012

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Kim: Wie war es möglich, auf Gewaltdarstellungen zu verzichten? Lee: Wenn man an Autos, die sich in Roboter verwan-deln, denkt, hat man sofort

Bilder von den riesigen, gewalttätigen Robotern in der Serie Transformers im Kopf. Für Robocar Poli haben wir jedoch das Konzept einer Rettungseinheit entwi-ckelt, weshalb die Roboter kugelrund und niedlich sind. Für das Design haben wir uns im Forschungsinstitut und in der Montagestraße von Hyundai Motors Inspira-tionen geholt. Die Roboter sind denn auch keine Super-helden, die die Welt retten, sondern Mitglieder einer Rettungseinheit, die die Probleme der Kinder gut ver-stehen und ihnen dabei helfen, sie zu bewältigen, wenn sie nicht aus eigener Kraft damit fertig werden. Dabei werden immer wieder Werte wie Familie, gegenseitige Hilfe und Rücksicht gegenüber anderen betont. Kim: In den großen Läden wird Poli als Spielzeug ver-kauft und auf Animation-conventions wird der Robo-car Poli-Stand stets von einer großen Menschenmenge belagert. Lee: Am Anfang konnten wir diese Beliebtheit selbst kaum richtig fassen. Seit der Erstausstrahlung der Serie ist jetzt ein Jahr vergangen, viele Lizenzartikel zur Serie sind erschienen und Poli ist vielen Leuten wohlbekannt und beliebt. Erst jetzt haben auch wir die-sen Erfolg begreifen können. Kim: Soweit ich weiß, ist die zweite Staffel gerade angelaufen. Lee: Ja. Dafür haben wir die Verwandlungsszenen und die Rettungsszenen weiter verbessert. Außerdem haben wir die Themenvielfalt erweitert, so geht es jetzt z.B. auch um die Lösung von Konflikten zwischen Freunden, den Beistand für diejenigen, die ausge-schlossen werden, Tier-schutz oder Sicherheit in Alltag und Verkehr. Kim: In diesem Jahr soll auch ein Vorstoß ins Aus-land gewagt werden?Lee: Richtig. Bereits 2010

hat sich Robocar Poli durch den Preisgewinn bei MIP-cOM Junior Licensing challenge Anerkennung im Ausland erworben, dieses Jahr wollen wir nun den gro-ßen Sprung auf den Überseemarkt wagen. In der ers-ten Jahreshälfte 2012 wird die Serie in über 40 Ländern anlaufen, ab April in Frankreich, danach in 11 weiteren europäischen Ländern wie Belgien, der Schweiz und Russland. Mit anderen Ländern in Afrika und im Nahen

Osten werden derzeit die Verträge unter Dach und Fach gebracht, ebenso für Hongkong, china und andere asiatische Staaten wie Taiwan, Indonesien, Malaysia, Singapur usw. In der zweiten Jahreshälfte sollen dann noch Länder wie Kanada und Australien dazukommen.

die roboter in

dieser serie sind

keine superhelden

und Weltenretter.

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2©ROI VISUAL / EBS / bmc / KOCCA

14 Korean ische Ku l tu r und Kuns t

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Weitere innovative Produktionsfirmen

Der Produktionsfirma OcON, die mit Pororo the Litt-le Penguin die zurzeit beliebteste koreanische Anima-tionsserie geschaffen hat, gebührt die Anerkennung, das erste Beispiel für einen Animationsfilm, der nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland kommer-ziell erfolgreich ist, geliefert und so die Geschichte des koreanischen Animationsfilms neu geschrieben zu haben. Mittlerweile hat sich die Konkurrenz mit einem entsprechend großen Aufholfieber zwar daran gemacht, OKON den Rang abzulaufen, aber mit dem Start des Kinofilms Pororo The Movie konnte OcON seine Vormachtstellung in der Welt des Animations-films erneut befestigen.Die größte Unterstützung von Seiten der jugendlichen Fans erhält aber derzeit Studio Animal, die Produkti-onsfirma von Ghost Messenger. Dieser Film, der ohne die sonst übliche Ausstrahlung in Fernsehen oder Kino nur als DVD erschien, ist eins der seltenen koreani-schen Beispiele für einen Animationsfilm für Jugendli-che. Zudem kann er es in puncto Qualität durchaus mit japanischen Animationsfilmen für Jugendliche aufneh-men. Der Markt für die Zielgruppe der Teenager ist in Korea dermaßen klein, dass ein profitables Geschäfts-modell noch reinste Zukunftsmusik ist. Dennoch pro-duziert Studio Animal für diese Zielgruppe und ver-sucht, den zu 99 % von Importen bestimmten Markt zu erobern. Das KAAP-Studio bedient mit seinen Serien Narong und Revbahaf-The Story of Rebuilding the Kingdom sowohl den Markt für Kinder als auch den für Jugend-liche. Das Flughörnchen aus Narong erfreute sich der-maßen großer Beliebtheit, dass gleich drei TV-Serien daraus gemacht wurden. Revbahaf ist die animierte, für Jugendliche gedachte Version eines comics und hebt sich mit Wirtschaft als Thema von den sonst gän-gigen Filmstoffen ab. Wie man sieht, erscheinen kontinuierlich neue Talente, die um die vordersten Plätze in der koreanischen Ani-mationsfilm-Industrie ringen. Man darf gespannt sein, welche innovativen Köpfe 2012 mit welchen Werken auf die Bühne treten und dem koreanischen Animations-film neue Impulse verleihen.

Es ist erfreulich zu sehen, dass sich die jungen koreanischen Anima-tions-Regisseure weiterhin neuen Herausforderungen stellen. So

steckt chang Hyung-yun, der Regisseur des auf dem International Animati-on Festival Hiroshima preisgekrönten Kurzfilms Wolf Daddy (2005), mitten in der Herstellung seines ersten Lang-Animationsfilms The Satellite Girl and Milk cow. In diesem Film kollidiert „Unser Stern Nr. I“ (Koreanisch: Uriby-eol Ilho), der erste Satellit Koreas, mit einem Meteor und fällt zur Erde, wo er sich mit Hilfe des Zauberers Merlin in das Mädchen „Ilho“ (Nr. 1) verwan-delt. Protagonist des Films ist Gyeongcheon, ein junger Mann in den Zwanzi-gern, dem weder im Beruf noch in der Liebe etwas richtig gelingen will. Der Welt überdrüssig, kommt ihm sein Herz abhanden, und er verwandelt sich in eine gefleckte Milchkuh. Von da ab ändert er immer wieder seine Gestalt von Mensch zu Kuh bzw. Kuh zu Mensch und wird schließlich auch noch von Slayern angegriffen, die Jagd auf alle machen, denen das Herz abhanden gekommen ist. Er wird jedoch von Ilho gerettet und gemeinsam machen sie sich auf, um Gyeongcheons Herz wieder zu finden. Zu nennen ist auch noch Kim Woon-ki, der Regisseur von The Old Man with Knapsack (2003), eines Films, der enorm zur Steigerung des Niveaus kore-anischer Independent-Animationsfilme beigetragen hat. Sein neuestes, derzeit in Arbeit befindliches Werk Wolfie and Wollin erzählt die Geschich-te eines Wolfes, der in das Territorium von Pflanzenfressern eindringt und dann zu fliehen versucht, als diese stärker als er werden. Es wird gehofft, dass diese jungen Regisseure, die sich den besonderen Her-ausforderungen von Langfilm-Animationen stellen, die koreanische Ani-mationsindustrie mit neuen Impulsen zu neuen Höhen beflügelt. Im Mittel-punkt dieser Entwicklung stehen junge Trickfilmer, die unter dem Einfluss unterschiedlichster Arten von Animationsfilmen aufgewachsen sind und jetzt davon träumen, ihre eigene, originäre Welt der Animation zu schaffen. Laut Na Gi-ong, Pressesprecher der Korea Independent Animation Filmma-kers Association, werden jährlich über 300 neue Animationsfilme heraus-gebracht, darunter Abschlussarbeiten von Studenten der Animation oder Werke, die von im Bereich Animation führenden Universitäten gesponsert wurden. Hier liegen das Potential für den Aufbau einer soliden Basis und die Hoffnung für eine helle Zukunft des koreanischen Animationsfilms.

Chae Song-sill SICAF Animationsprogrammiererin

Diversität und Hoffnung für die Zukunft

1. Lee Dong-woo, Produzent von Robocar Poli.2. Eine Szene aus Robocar Poli.3. Schüler der Korea Animation High School im “claymation-Studio”, wo sie mit Hilfe von Lehmfiguren animierte Filme produzieren.

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15Koreana ı F rüh jahr 2012

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Special Feature animation

Wie mein sohn, der mit Animationsfilmen groß geworden ist, sollte auch der

koreanische Animationsfilm mit den kleinen fans überall auf der Welt wach-

sen. pororo sollte erst der Anfang sein.Park Seok-hwan Korea Manhwa Contents Agency, Teamleiter für Planung und Strategie

Fotos: Ahn Hong-beom

Mein Sohn, Pororo und ich

Kinder erfahren die Spiele-Welt der Generation ihrer Eltern in der Nachstellung einer alten Gasse, die mit charakteren aus koreanischen comics dekoriert ist; Korea Manhwa Museum in Bucheon, Provinz Gyeonggi-do.

Der koreanische Animationsfilm >> Aus Sicht eines Vaters

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In meiner Kindheit war es der Fernseher, der mich die Bedeutung von Begriffen wie „Zeit“ und „Versprechen“

lehrte. Wenn ich morgens aufwachte und den Fernseher anschaltete, hatte ich Märchen für Kinder bereits verpasst, und wenn ich vom Spielen nach Hause kam, um mir Astro Boy anzuschauen, war ich wieder zu spät dran. Meine Enttäu-schung ließ sich kaum in Worte fassen. Wie konnte ich nur sicherstellen, dass mir das nicht mehr passieren würde? Ich lernte, die Uhr zu lesen und die TV-Sendezeiten in der Zeitung zu entschlüsseln. Auch wenn meine Mutter noch nicht wach war, stand ich früh genug auf, um mir am Mor-gen die Märchen anzuschauen, und mein älterer Bruder brauchte mich nicht vom Spielplatz zum Essen zu holen, denn ich war recht-zeitig zu Hause, um mir vor dem Abendessen Astro Boy ansehen zu können. Das Problem war nur, dass mein Vater zur selben Zeit auf einem anderen Kanal die Nachrichtenberichterstattung sehen wollte. Er versprach mir jedoch, dass ich meine Serien anschauen dürfte, sobald ich alle Besonrgungen für ihn erledigt hätte. Liefen Sport-übertragungen, wurde dieses Versprechen allerdings für null und nichtig erklärt. Da half auch mein Einwand, dass man ein einmal gegebenes Wort nicht brechen dürfe, nichts. Laut meinem Vater gab es immer Ausnahmefälle. So lehrten mich Animationsfilme, dass Versprechen je nach Sachlage geändert werden können und dass erst die Arbeit kommt und dann das Vergnügen.

ein „animationskind“ wird angestellterHeute, als Erwachsener, arbeite ich mit comiczeichnern,

comicverlagen oder Produzenten von Animationsfilmen. Ich vermiete ihnen Arbeitsräume, vermittle Fördergelder und

mache für gute Produkte PR-Arbeit im Ausland. So gesehen ver-bringe ich den ganzen Tag inmitten von comics und Animations-filmen. Ein wahrer Luxus verglichen mit meiner Kindheit, doch die Begeisterung von damals ist mir etwas abhanden gekom-men. Ehrlich gesagt, wäre ich froh, wenn ich wenigstens an meinen freien Tagen nichts mit comics und Trickfilmen zu tun hätte. Aber so einfach ist das nicht. Mein Sohn ist nämlich

ähnlich fasziniert von Animationsfilmen wie ich in seinem Alter. Und so sitzen am Wochenende ein Vater, der erst einmal nichts mehr von Animationsfilmen wissen möchte, und ein Sohn, der in die Welt der Animation eintauchen möchte, nebeneinander vor dem Fernseher.Die Animationsserien, die ich mir als Kind gerne anschaute, stammten überwiegend aus Japan. Es waren Familiensendungen, die auch Erwachsene ansprachen und für Zuschauer in aller Welt konzipiert waren. Entsprechend universell waren natürlich auch die Themen: Träume, Abenteuer, Herausforderungen, Freund-schaft, Familie u.ä. Heutzutage haben sich die Zielgruppen stär-ker differenziert und auch die Themen sind spezifischer geworden. Anstelle von abstrakten Konzepten werden konkrete Verhaltens-muster aufgezeigt, was es dem Publikum ermöglicht, schneller

1. Eine Figur aus Astro Boy. 2. Vater und Sohn sehen sich Pororo the Little Penguin an.

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eine Beziehung zu den charakteren und Inhalten herzustellen.Ganz oben auf der Hitliste der koreanischen Animati-onsfilme stand bei meinem Sohn Pororo the Little Penguin (Pororo, der kleine Pinguin). Pororo ist ein neugieriger, abenteu-erlustiger kleiner Pinguin, der in einem Dorf im Porong-Porong–Wald lebt. Geduld ist nicht gerade seine Stärke. Erweckt etwas sein Interesse, muss er der Sache sofort nachgehen. Ohne sich Gedanken über mögliche Konsequenzen zu machen, lernt er durch Erfahrung. Kurz gesagt, wenn er auftaucht, ist chaos vorprogram-miert. Als Pinguin kann er zwar nicht fliegen, aber da er den gro-ßen Traum vom Fliegen träumt, ist er stets mit Pilotenmütze und Schutzbrille ausgerüstet. Im Dorf im Porong-Porong–Wald leben außer Pororo noch der kleine Dinosaurier crong, der Pororo alles nachmacht, der schlaue kleine Fuchs Eddy, der stets vernünftige Biber Loopy und der große, aber gutmütige Bär Poby. Als mein Sohn noch in die Kindertagesstätte ging, hatte er sich dermaßen in die Welt Pororos verloren, dass er sich selbst für den kleinen Pinguin hielt. Die Tagesstätte verwandelte sich in das Dorf im Wald und seine Freunde wurden zu crong und Eddy. Umgekehrt hielt sich der Freund meines Sohnes aber auch für Poro-ro und meinen Sohn für Eddy, doch mein Sohn erklärte: „Er macht mir ja immer alles nach, deshalb ist er crong.“ Die Serie verstand es ausgezeichnet, die Welt eines Vierjährigen zu analy-sieren und im Dorf aufleben zu lassen. So lernte mein Sohn dank Pororo viele wertvolle Dinge über Freundschaft, korrektes Sozial-verhalten oder Reaktion in Gefahrensituationen.

Keine animationsserien für Jugendliche Seit einiger Zeit werden in Korea gute Leistungen im Bereich Ani-mationsfilme für Kinder hervorgebracht. Der Erfolg von Pororo spornte viele Produktionsfirmen dazu an, Serien auf den Markt zu bringen, die auf eine etwas jüngere bzw. eine etwas ältere Addres-satengruppe abzielten. Zu nennen sind chiro & Friends und Noon-bory and the Super 7, in denen ebenfalls ein Wald als Ort der Hand-lung dient, Tayo oder Robocar Poli, in denen es um Autos geht,

oder cocomong, eine Serie rund ums Essen. Diese Serien haben ein regelrechtes „Goldenes Zeitalter“ des Kinderanimationsfilms eingeläutet. Auch das

Niveau ist gestiegen, so dass sie sich auch im Ausland gro-ßer Beliebtheit erfreuen. Der beste Beweis dafür ist Pororo,

dessen Bekanntheitsgrad auch unter Nicht-Koreanern immer wei-ter zunimmt.Das ist einerseits erfreulich, gibt aber andererseits auch Grund zur Sorge. Denn als mein Sohn ein, zwei Jahre älter wurde, konnte er den einst so heiß geliebten koreanischen Serien nichts mehr abge-winnen und sah sich nach Neuem um. Er hatte Pororo hinter sich gelassen und war nach Robocar Poli und Tayo dazu übergegangen, sich die japanische Serie Doraemon anzuschauen. Jetzt geht er in die Grundschule und sieht sich die ebenfalls aus Japan kommen-den Serien Beyblade und Bakuman an. Bald wird er wohl Yu-Gi-Oh! für sich entdecken. Und es wird nicht mehr lange dauern, bis er in die Welt der computerspiele oder des Sports eintaucht und sich für

Mädchen zu interessieren beginnt. Es wird für den koreanischen Kinder-Animations-film schwierig sein, seine Fans weiter zu begeistern,

wenn aus den Kindern Jugendliche werden. Die japa-nischen Animationsserien für Jugendliche erfreuen sich bereits weltweit großer Beliebtheit, so dass es für

koreanische Animationsfirmen, auch wenn sie jetzt mit der Produk-tion von Filmen für ältere Zuschauer beginnen würden, schwierig sein dürfte, sich gegen diese Konkurrenz durchzusetzen. Es scheint fast realistischer zu sein, sich ganz auf den Bereich der Kinderfil-me, in dem sie schon festen Fuß gefasst haben, zu spezialisieren. Dennoch sollte auch der koreanische Animationsfilm erwachsener werden. So wie die bisherigen Serien kleinen Kindern korrektes Sozialverhalten beigebracht haben, könnten in Zukunft die Sorgen und Nöte Jugendlicher oder Erwachsener behandelt werden. Dann würde mein Pororo-Sohnemann die Welt der koreanischen Anima-tion nicht verlassen. Und dann würde auch ich mich sicherlich wie-der in der Welt der Animationsfilme verlieren können. In der ani-mierten Welt der Träume würde ich Trost für das Heute finden und Pläne für das Morgen schmieden.

Mein Sohn hatte Pororo hinter sich gelassen und war nach Robocar Poli und

Tayo dazu übergegangen, sich die japanische Serie Doraemon anzuschauen.

Jetzt geht er in die Grundschule und sieht sich die ebenfalls aus Japan kommenden

Serien Beyblade und Bakuman an. Bald wird er wohl Yu-Gi-Oh! für sich entdecken.

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Eine Fotografier-Kulisse am Eingang zum chuncheon Animation Museum. Zu sehen sind charaktere und Szenen aus der TV-Animationsserie cloud Bread.

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1. Kim Jung-hwa sprinkles persimmon juice on her canvas. To work on a large-scale project, she goes out to the fields outside her

2. "Sees: Sees 20" (2009). 74cm × 122cm. Polygonum indigo, sap-pen74cm × 122cm.

ArirangVerbreitung in der ganzen Welt

Fokus

Arirang ist ein geschichtsträchtiges Volkslied, das für die Gefühle der Koreaner nicht nur im

Inland, sondern auch überall auf der Welt steht. Im 21. Jahrhundert erfreut sich Arirang jetzt

als ein Lieblingslied der internationalen K-Pop-Fans immer größerer Popularität. Park Hyun-sook Freie Schriftstellerin

© Korean Traditional Performing Arts Foundation

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Am 6. November 2011 veranstaltete eine Gruppe französischer Jugendlicher am Centre Pompidou im Herzen von Paris einen

Flashmob, bei dem zu mehr Auftritten von K-Pop-Stars in Frank-reich aufgerufen wurde. „Flashmob“ bezeichnet eine spontane Versammlung von Menschen, die über SNS-Medien wie Twitter und Facebook mobilisiert werden, und „wie ein Blitz“ auf öffentli-chen Plätzen zusammenkommen. Die jungen Fans sangen aber keinen K-Pop-Hit, sondern das vergleichsweise weniger bekannte koreanische Volkslied Arirang. Sylvia, Studentin der Technischen Informatik, erregte dabei große Aufmerksamkeit, weil sie Arirang mit fast perfekter Artikulation und Melodie sang. Koreanische TV-Serien und der K-POP-Tanzstil hatten Sylvias Interesse an der koreanischen Kultur geweckt. Nachdem sie dann K-Pop-Stars Ari-rang hatte singen hören – das Lied wird von immer mehr koreani-schen Sängern am Schluss ihrer Konzerte gebracht –, suchte sie aus Neugier danach im Internet und studierte das Lied ein.

Geschichte von ArirangDie Eiskunstläuferin Kim Yu-na wählte Arirang bei der Weltmeis-terschaft 2011 als Themenmusik für ihr Kürprogramm Hommage To Korea aus. Während der Fußballweltmeisterschaft Korea/Japan 2002 sang die koreanische Rockband YB mit Zehntausenden von Roten Teufeln, den Anfeuerern der koreanischen Nationalelf, auf dem Seoul Plaza vor dem Seouler Rathaus voller Leidenschaft Arirang. Sumi Jo, eine Sopranistin von Weltrang, sang Arirang bei einem Konzert mit den Londoner Philharmonikern sowie bei der Verleihung des Friedensnobelpreises an den ehemaligen Präsi-denten Kim Dae-jung im Jahr 2000. Es erklang auch beim Asien-Europa-Treffen (ASEM) in Seoul 2000 und bei der Schlussfeier der 13. Special Olympics World Summer Games Athens 2011.Arirang, dieses repräsentativste aller koreanischen Volkslieder, stammt aus Jeongsoen, einer gebirgigen Gegend in der Provinz Gangwon-do, wo es vor rund 600 Jahren beim Arbeiten gesungen

wurde. Es war ein Lied des einfachen Mannes, das bei Alltagsar-beiten wie Brennholzsammeln, Reispflanzen, Unkrautjäten oder Sammeln von Wildgewächsen gesungen wurde. Es wurde beim vergnüglichen Beisammensein in der Gruppe genau so gesungen wie in Momenten des Alleinseins, um die Einsamkeit zu vertrei-ben. „Arirang“, der Titel und das erste Wort des Liedes, hat keine besondere Bedeutung. Es ist vielmehr eine eingängige Silbenfolge mit Refrain-Charakter, ähnlich wie „Ari“, „Arari“ oder „Araseong“, wie sie in koreanischen Volksliedern häufig zu finden ist.Die einzelnen Verse des Liedes unterscheiden sich zwar inhalt-lich, aber da sich die Melodie wiederholt, kann der Sänger je nach Stimmung oder Anlass den Text spontan ändern. Auf Grund dieser Besonderheit soll es in Süd- und Nordkorea an die 50 verschiede-ne Arirang-Versionen und rund 6.000 Variationen geben. Die ein-zelnen Versionen des Volksliedes spiegeln v.a. eine je nach Regi-on etwas unterschiedliche Gefühlswelt wider, wobei die Versionen aus Jeongseon, Jin-do und Miryang zu den bekanntesten gehören. Das Jeongseon Arirang bringt das Gefühl der Einsamkeit mit einer melancholischen Melodie zum Ausdruck, während das Jindo Ari-rang vor Humor und Lebensbejahung sprüht und das Miryang Ari-rang von der Freimütigkeit und der Lebensfreude des einfachen Volks gekennzeichnet ist. Die berühmteste Version ist jedoch das Bonjo Arirang (Bonjo: Original), das seit über 100 Jahren in der Region der Provinz Gyeonggi-do gesungen wird. Es war das Titel-lied von Arirang, dem ersten Langfilm Koreas, der 1926 von Na Un-gyu gedreht wurde, wodurch diese Version Berühmtheit erlangte. Darüber hinaus wurde Arirang durch Koreaner, die es in andere Länder verschlug, weltweit verbreitet. Es begleitete das Leben der koreanischen Landsleute in China, Russland und Japan. Dabei ent-standen weitere Arirang-Versionen wie das Unabhängigkeitskäm-pfer-Arirang in China und das Sachalin-Arirang in Russland.Die Texte von Arirang sind so vielfältig wie die Melodien, aber die meisten Versionen besingen Frohsinn und Freude, die selbst in

Szenen aus 2011 Arirang Hanmadang, wo verschiedene regionale Versionen von Arirang präsentiert wurden. Das Mungyeong Arirang (links) wurde normalerweise von Frauen gesungen, wenn sie Wäsche mit Holzklöppeln glatt schlugen. Das Gangneung Arirang (rechts) sangen die Bauern beim Pflan-zen der Reissetzlinge im Feld.

© Korean Traditional Performing Arts Foundation

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„Arirang ist ein altes, aber gleichzeitig neues Lied. Während der japanischen Kolonialherrschaft

(1910-1945) schmiedete das Lied mit seinem Widerstandsgeist die Koreaner gegen die Besatzer

zusammen; seitdem wird es bis heute immer wieder neu interpretiert und neu erschaffen.“

Konflikten und Leid des Lebens zu finden sind, sowie die Über-windung von Schmerz und Trauer durch die Kraft der Liebe. Das Lied wurzelt in der schlichten und warmen Menschlichkeit und der bejahenden Lebenseinstellung der Koreaner, d.h. im Jeong, die-ser schwer zu beschreibenden Eigenschaft der Koreaner, die eine Mischung aus Rücksichtnahme und warmer Herzlichkeit gegenüber dem Nächsten umfasst. 1994, 41 Jahre nach dem Waffenstillstand von 1953, besuchte Koreakriegsveteran Thomas Nuzzo Korea. Er wollte Park In-ja aus Chuncheon und einen anderen Mann in sei-nem Alter, die ihm Arirang beigebracht hatten, suchen. Mit perfek-ter Artikulation sang er Arirang und gab seiner Hoffnung Ausdruck, die beiden Menschen zu treffen „die ihm die schönsten Erinnerun-gen seines Lebens geschenkt hatten, obwohl sie sich nur kurze Zeit kannten.“ (Zeitung Gwangwon Ilbo, 2. Juli 1994). Seine Erinnerung an die Koreaner, die selbst inmitten der Härte des Krieges noch echte Warmherzigkeit für andere besaßen, und an ihr Lied Arirang sei selbst im Laufe der langen Zeit nicht verblasst, so Nuzzo.

Weltweite BegeisterungIm Februar 2008 besuchte der Dirigent Lorin Maazel zusammen mit den New Yorker Philharmonikern die nordkoreanische Haupt-stadt Pjöngjang, wo er mit der Präsentation von Arirang Fantasie, komponiert von dem Nordkoreaner Choi Seong-hwan, weltweit für Aufmerksamkeit sorgte. Eine Reihe von nicht-koreanischen Kom-ponisten haben Arirang für die westliche Bühne bearbeitet. Zu nen-nen sind z.B. Arirang for Flute and Piano von Gary Schocker (Theo-dore Presser, 2009), Arirang for Soprano Solo von Grant Cochran (SATB chorus unaccompanied, E.C. Schirmer Music, 2010) und Ari-rang: 2 Part Flute Obbligato von Judith Herrington und Sara Glick (Pavane Publishing, 1995).Was brachte ausländische Musiker dazu, sich für Arirang zu inte-ressieren und es zu spielen? Der amerikanischer Pianist Geor-ge Winston sagt, dass Arirang ein Lied ist, in dem Emotionen jen-seits der Grenzen von Kulturen und Ländern zum Ausdruck kom-men. Und der amerikanischer Jazz-Gitarrist Lee Ritenour meint: „Arirang ist eines der Lieder mit der schönsten, einfachsten und unvergesslich-eindringlichsten Melodie, die ich je gespielt habe. Die Schönheit dieser Melodie lässt sich sehr gut auf verschiede-ne Weise interpretieren. Das ist das Kennzeichen einer wahrhaft großartigen Melodie, und Arirang ist gerade das!“ Eine besondere Melodie kann Sprachbarrieren überwinden und eine enorme Vita-lität entwickeln. Arirang, ein Lied in Fünftonskala und Dreier-Takt,

ist, wie Ritenour bemerkt, rhythmisch so simpel, dass es einfach zu lernen ist und mit seiner schönen Melodie an die Empfindsamkeit des Zuhörers rührt.

Vom Lied koreas zum Lied der WeltWenn Jeju-do die schönste Insel Koreas ist und Kimchi das reprä-sentativste Gericht des Landes, dann ist Arirang das am häufigsten gesungene und beliebteste Lied in Korea. Und nicht nur in Korea, sondern überall auf der Welt, wo Koreaner leben, ist Arirang leben-dig. Denn wenn Menschen in andere Länder auswandern, nehmen sie ihre Kultur mit und geben sie weiter.Derzeit leben rund 7,5 Millionen Koreaner im Ausland, das ent-spricht rund 15 Prozent der Gesamtbevölkerung Südkoreas. Aus dieser Statistik geht hervor, dass die koreanische Diaspora in Rela-tion zur Gesamtbevölkerung weltweit auf Platz zwei liegt, an erster Stelle steht das jüdische Volk. Arirang wird auch in Japan, China, Russland, den USA, Europa und im Nahen Osten gesungen, wo die dort lebenden Koreaner es als Lied ihrer Nation, ihres Vaterlandes und ihrer Heimatorte betrachten.Aus den Trümmern des Koreakrieges entwickelte sich Korea innerhalb beispiellos kürzester Zeit zu einer der 20 größten Wirt-schaftsnationen der Welt. Es ist im IT-Bereich und im Sport eins der führenden Länder und Hallyu, die Welle der koreanischen Popkultur, fesselt die Menschen weltweit. Die Beharrlichkeit und Geduld, die Warmherzigkeit und die Lebensfreude der Korea-ner stellen eine große Konstante der mehr als fünftausend Jahre umspannenden Geistesgeschichte Koreas dar. Die geistige Kraft der Koreaner, die es ihnen immer wieder ermöglichte, selbst die schlimmsten Härten, die sie niederbeugten, zu ertragen, sie zu überwinden und wieder aufrecht zu gehen, spiegelt sich in Ari-rang wider. Daher kann man sagen, dass der besondere Reiz die-ses Volksliedes gerade darin liegt, dass es Spiegel des Gemüts der Koreaner ist. Allein im Kunstbereich lässt sich der starke Einfluss von Arirang in den verschiedensten Genres wie Literatur, Film, Theater, Popmusik und Tanz beobachten.Der schier unbegrenzte kulturelle Wert von Arirang sorgt der-zeit für zwischenstaatliche Konflikte. Im Mai 2011 setzte China 13 Immaterielle Kulturgüter von den in China lebenden ethnischen Koreanern, darunter Arirang, auf die Liste des staatlich designier-ten Immateriellen Kulturerbes. Da dies eine Vorarbeit zur Auf-nahme dieser Kulturgüter als chinesisches Kulturerbe in die Liste des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit der

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UNESCO sein könnte, ist die chinesische Maßnahme umstritten. Kim Yeon-gap, Exekutivdirektor der koreanischen Arirang-Verei-nigung (Korean Arirang Association) sagt: „Das ist so, als ob Korea Anspruch auf das chinesische Kulturerbe, das sich in Korea findet, erheben würde.“

kulturelles symbol koreasDas Ministerium für Kultur, Sport und Tourismus wählte Arirang als eins der „100 Kultursymbole Koreas“ aus und richtete 2007 eine Arbeitsgruppe zur Globalisierung von Arirang ein. Minister Choe Kwang-shik gab kürzlich auf einer Pressekonferenz bekannt, dass das Ministerium sich dafür einsetzen wolle, dass alle Arirang-Versionen auf der koreanischen Halbinsel, d.h. auch die nordkore-anischen Versionen, in die Liste des mündlichen und immateriel-len Erbes der Menschheit der UNESCO aufgenommen werden. Die koreanische Regierung teilte mit, bei der Auswahl der Immateriel-len Kulturgüter, für die ein Antrag auf Aufnahme in die Welterbelis-te der UNESCO gestellt werden soll, die Priorität auf Arirang setzen zu wollen. Entgegen dem ursprünglichen Plan, nur das Jeongseon Arirang in die UNESCO-Liste aufnehmen zu lassen, soll die neue Tentativliste jetzt alle regionalen Arirang-Versionen enthalten. Da der Wert von Arirang als Weltkulturerbe überzeugend dokumen-tiert werden kann, geht man von einem positiven Ergebnis aus. Darüber hinaus wird das nationale Projekt „Arirang und das kul-turelle Territorium des koreanischen Volks“ in Gang gebracht, um den Wert und die Bedeutung von Arirang bewusster zu machen. Das Projekt, das vom Ministerium für Kultur, Sport und Tourismus, vom Amt für Kulturerbeverwaltung, vom Nationalen Folkloremu-seum, vom Nationalen Gugak-Center (Gugak: traditionelle koreani-

1. Die Eiskunstläuferin Kim Yuna tanzt Homage to Korea bei den 2011 World Championships; die Musik basiert auf Arirang. 2. Während der Fußballweltmeisterschaft Korea/Japan 2002 versammelten sich Zehntausende von Menschen auf dem Seoul Plaza und sangen Arirang, um die koreanische Nationalelf anzufeuern.

sche Musik) und von der Stiftung der Traditionellen Darstellenden Künste Koreas (Korean Traditional Performing Arts Foundation) durchgeführt wird, umfasst verschiedene Bereiche wie Ausstellun-gen, Aufführungen, Bildungsprogramme und Wissenschaftssemi-nare.Bei der Internationalen Konferenz für Arirang, die im Dezember 2011 von der Akademie für Koreastudien (Academy of Korea Stu-dies) und der Stiftung der Traditionellen Darstellenden Künste Koreas gemeinsam veranstaltet wurde, erklärte Jean Kidula, Pro-fessorin an der University of Georgia, in ihrem Vortrag den Wert von Arirang als „alte Zukunft“ wie folgt: „Arirang ist ein altes, aber gleichzeitig neues Lied. Während der japanischen Kolonialherr-schaft (1910-1945) schmiedete das Lied mit seinem Widerstands-geist die Koreaner gegen die Besatzer zusammen; seitdem wird es bis heute immer wieder neu interpretiert und neu erschaffen.“Ein anderer Referent, Professor Chang Ik-sun von der chinesi-schen Yanbian-Universität in Yanji, der Hauptstadt des Automen Bezirkes Yanbian der Koreaner, schlug vor, ein über die Landes-grenzen hinaus reichendes, internationales Arirang-Netzwerk Koreaner aufzubauen, um den wahren Geist des koreanischen Vol-kes zu entdecken und zu bewahren und ihn in authentischer Weise an die Nachfahren weiterzugeben.

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Die Hofmaler von Joseon (Court Painters of the Joseon Dynasty) war die erste Ausstellung, die einen umfassenden Überblick

über die Hwawon gab, die Hofmaler der Joseon-Zeit, die eine wichtige Rolle in der Kunstgeschichte des Reiches spielten. Es

war aber auch eine Veranstaltung, die die Besucher durch dynamische Digitaltechnologie-Anwendungen zu einer spannenden

Zeitreise einlud. Koh Mi-seok Fachjournalistin für Kunst & Design, Tageszeitung Dong-a Ilbo | Fotos: Leeum, Samsung Museum of Art

Zwischen Dokumentation und Kunst:Joseon-Hofmalerei

Während der Joseon-Zeit (1392-1910) gab es Künstler, die im Dienste des Hofs standen und deren Aufgabe es war, wich-

tige Ereignisse und Zeremonien des königlichen Hauses in Bildern festzuhalten. Sie fertigten zwar hauptsächlich visuelle Dokumen-tationen zur Stärkung der Legitimität von Herrscherdynastie und Staat an, waren aber auch darüber hinaus produktiv. So schufen sie nicht nur „idealisierte Landschaftsmalereien“ - ein ursprüng-lich den Literati vorbehaltener Bereich -, sondern auch Genrema-lereien, darunter sogar Werke mit expliziten erotischen Darstellun-gen. Es waren diese sogenannten „Hwawon“, die als Berufsmaler

für alle zeichnerischen und malerischen Aufgaben am Königshof zuständig waren.Nach moderner Begrifflichkeit waren die Hwawon Beamte niedri-gen Ranges, die zu den Jungin (mittlere Menschen) gehörten, also dem Stand zwischen dem Adel und den einfachen Bürgern. In der stark konfuzianisch geprägten Gesellschaft der Joseon-Zeit mit ihrem undurchlässigen Ständesystem und der damit einhergehen-den Abwertung technischer Arbeit fanden die meisten Werke dieser Hofmaler, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keine Anerken-nung. Sie standen im Schatten der Muninhwa, der Malereien der

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kunstkritik

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1. Der achtteilige Wandschirm Königliche Prozession zu den Ahnengrab-stätten in Hwaseong (circa 1795) von Kim Deuk-sin und anderen; Schatz Nr. 1430, Maße der einzelnen Teile: 147×62.3cm.2. Besucher schauen sich die Königliche Sänften-Prozession an, während sie die enge, den Hofmalereien gewidmete Passage im Erdgeschoss entlanggehen. Unter dem großformatigen Gemälde sind Tastbildschirme angebracht, mit denen man auf einzelne Teile des Werkes zoomen kann.

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Literati der Oberschicht, die großen Einfluss auf die Kunsttrends der Zeit hatten. Die hochwertigen Werke der Hwawon wurden im Rahmen der Ausstellung Die Hofmaler von Joseon im Leeum, Samsung Museum of Art, einem namhaften privaten Kunstmuse-um in Seoul, nun endlich umfassend der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Präsentation von rund 110 Exponaten, darunter ein staatlich designierter Nationalschatz und 12 Schätze, diente dazu, die glanz-vollen Leistungen der Hwawon zu würdigen, wobei tradierte Vorur-teile abgebaut und die Unausgewogenheit in der kunstgeschichtli-chen Darstellung zurechtgerückt wurde.Die Ausstellung, die vom 13. Oktober 2011 bis zum 29. Januar 2012 lief, machte gleich nach ihrer Eröffnung durch ihre ideale Kom-bination aus Unterhaltendem und Lehrreichem von sich reden. Gezeigt wurden nämlich nicht nur die wichtigsten Hwawon-Werke wie das 9,96m lange Donggabanchado (Königliche Sänften-Prozes-sion), das zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, und Yumyodo (Katzenspiel), das das Tokyo National Museum ausgelie-hen hatte, sondern die Werke wurden auch mit Hilfe fortgeschrit-tener digitaler Technologien auf innovative Weise präsentiert. Im Gegensatz zu herkömmlichen Ausstellungen traditioneller Kunst wartete diese Ausstellung mit eindrucksvollen interaktiven Inter-faces mit Hands-On-Erlebnissen auf. Entsprechend zog dieses Event nicht nur klassische Kunstliebhaber an, sondern auch die junge Generation, die meist eher lauwarmes Interesse an der tra-ditionellen Kunst hat, und sogar Hausfrauen mittleren Alters. Der

1. Katzenspiel (spätes 19. Jhdt.) von Jang Seung-eop; Tusche und Farbe auf Papier, 136×52.8cm, Tokyo National Museum.2. Als Kern der Ausstellung im Erdgeschoss wurden im kreisfrömigen Arrangement mit Sonne, Mond und fünf Berggipfel in der Mitte Meisterwerke präsentiert, die die Pracht des Joseon-Hofes demonstrieren. Auf dem Boden ist ein Projektionsbild des Östlichen Palastes zu sehen, das den inneren und den äußeren Bereich des Palastes im Detail darstellt.3. Berge und Flüsse ohne Ende (spätes 18. Jhdt.) von Yi In-mun; Tusche und Farbe auf Seide, 43.5×856cm, National Museum of Korea.

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Ausstellungskatalog brach zudem in Bezug auf die Verkaufszahlen alle Rekorde seit der Eröffnung des Museums.

Hwawon: Wer waren sie?Die Hwawon standen im Dienste des Dohwaseo, des Königlichen Hofamtes für Malerei. Während im Westen der Königshof talentier-te Maler mit der Schaffung eines bestimmten Werkes beauftrag-te, unterhielt der Joseon-Hof ein eigens dafür eingerichtetes Amt, das über eine praktische Prüfung talentierte Maler rekrutierte und deren Arbeit überwachte. Hong Sun-pyo, Professor für Kunstge-schichte an der Ewha Womans University, erklärt dazu: „Hwawon als Reichsbedienstete werden erstmals 1417 in Aufzeichnungen erwähnt, 1908 zur Zeit des Großkoreanischen Kaiserreichs (1897-1910) waren sie verschwunden. Sie erfüllten während der gesam-ten Joseon-Zeit nicht nur ihre offiziellen Pflichten der Dokumen-tation von staatlichen Ereignissen, sondern nahmen auch private Aufträge entgegen und haben so in den einzelnen Perioden einen

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großen Beitrag zur Entwicklung der Malerei geleistet.“In der ersten Hälfte der Joseon-Zeit standen 20 Maler im Dienste des Dohwaseo, allerdings wurden nur fünf von ihnen bezahlt. Sie fertigten zwar alle möglichen Arten von Malereien für den Hof an - Porträts von Königen und verdienstvollen Untertanen, detaillierte Zeichnungen der Paläste und Karten des gesamten Reiches, Bil-der von historischen Ereignissen und Zeremonien am Hof, dekora-tive Bilder für die Paläste, Illustrationen für Publikationen, Muster für Porzellanwaren etc. -, aber da ihr beruflicher Status niedrig war wurden sie entsprechend schlecht entlohnt. Vom Ende des 17. Jahrhunderts bis Anfang des 18. Jahrhunderts, also während der Regierungszeit von König Sukjong (reg. 1674-1720), verbesserten sich die Arbeitsbedingungen der Hwawon deutlich, was dazu führ-te, dass mehr Künstler von herausragendem Talent in Erscheinung traten.Das Leben der Hwawon war nicht einfach, aber als Angehörige der elitären Hofinstitution Dohwaseo genossen sie auch die Ehre, von Staat und Gesellschaft als die besten ihres Faches anerkannt zu werden. Besonders berühmte Hofmaler nahmen neben ihren offi-ziellen Aufgaben am Hof auch private Aufträge von Adelsfamilien und Mäzenen an, was sie oft zu beachtlichem Reichtum brachte. Hier ist allen voran Kim Hong-do (1745 - ca.1816) zu nennen, ein virtuoser Maler der späten Joseon-Zeit. Er war zu seiner Zeit der-maßen gefragt, dass er, um neben den Hofaufträgen auch noch die Flut privater Bestellungen erledigen zu können, sich kaum Zeit zum Essen und Schlafen nahm.Auch in China existierte ein staatliches Amt für Hofmalerei und ein entsprechendes Verwaltungssystem, das während der Song-Dynastie (960–1279) eingeführt, aber zur Yuan- und Ming-Zeit zwi-schenzeitlich abgeschafft und erst 1736 erneut belebt wurde. Im Vergleich dazu blieb das Dohwaseo während der sich über mehr als 500 Jahre erstreckenden Joseon-Zeit erhalten und kümmerte

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sich streng um die Verwaltung der Hofmaler. Jo Ji-yoon, Kurator des Leeum, erklärt dazu: „Joseon war ein Land der Dokumentati-on. Während jedes einzelne Wort und jede einzelne Handlung des Königs in den königlichen Annalen festgehalten wurde, dokumen-tierten die Hofmaler die Geschichte des Hofes mit detailgetreuen Darstellungen aller Hofereignisse.“

Von Hofkunst bis hin zu GenremalereiDie Ausstellung der Hofmaler-Werke, die sich über zwei Etagen des Museums erstreckte, war nicht nach Künstler oder chrono-logischen Aspekten geordnet, sondern nach Funktion: zum einen für offizielle Zwecke bestimmte Hofmalereien, zum anderen all-gemeine, im Privatauftrag gefertigte Malereien. Mit dieser Eintei-lung, bei der der Schwerpunkt nicht auf Einzelwerke gelegt wurde, wollte man den Fokus auf die künstlerische Identität dieser Gruppe höchstbegabter Maler der Joseon-Zeit richten und die Darstellung Joseons im Lichte der Ausdruckskraft der Pinselstriche dieser Maler neu beleuchten.Die Halle im Erdgeschoss, in der die Hofmalereien gezeigt wurden, war als schmale, lange Passage angelegt, um den Besuchern bei der Besichtigung das Gefühl der Teilnahme an einer königlichen Prozession zu vermitteln. Hier war das Donggabanchado (König-liche Sänften-Prozession) zu sehen, ein Gemälde aus dem ausge-henden 19. Jahrhundert, das in delikater Pinselführung und in rei-cher Farbgebung detailgetreu die Prozession der königlichen Sänf-ten auf ihrem Zug aus dem Palast darstellt. Am Ende der Passage folgten im Kreis arrangierte Bilder, die die Pracht des Joseon-Ho-fes widerspiegeln. In der Mitte befand sich das Irworoakdo (Sonne, Mond und fünf Berggipfel), eine stilisierte Landschaft mit Sonne und Mond in exquisiter und detaillierter Pinselführung. Daneben waren die Darstellung eines Banketts zur Feier der Genesung von König Yeongjo zu sehen sowie eine zehnteilige Faltwand mit präch-

1. Die Unsterblichen (1776) von Kim Hong-do; Tusche und Farbe auf Papier, 132.8×575.8cm, Nationalschatz Nr. 139.2. Porträt von O Jae-sun (spätes 18. – frühes 19. Jhdt.) von Yi Myeong-gi, Tusche und Farbe auf Seide, 152×89.6cm, Schatz Nr. 1493.

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tigen Strauch-Pfingstrosen. Umgeben von all diesen Hofmalereien hatte der Besucher das Gefühl, eine Zeitreise in die Vergangenheit an den Joseon-Hof zu machen. Funktionale Werke wie Porträts verdienstvoller Beamter, Karten etc., die die Hofmaler im Rahmen ihrer offiziellen Aufgaben schufen, zeigen, wie facettenreich das Tätigkeitsfeld der Hwawon war.Die Halle im Untergeschoss, wo die auf Privatbestellung gefertig-ten Werke ausgestellt waren, war nach dem Vorbild des traditio-nellen Hanok-Hauses eines Adligen - Hauptauftraggeber außer-halb des Hofes - gestaltet. Der Raum wurde durch traditionel-le Steinmauern und Pavillons in kleinere Einheiten unterteilt, so dass der Besucher in der gespannten Erwartung, was wohl als nächstes kommen würde, entlang der Mauern von einem Expo-nat zum anderen schlendern konnte. Die Hwawon schufen zwar Werke nach dem Geschmack ihrer jeweiligen Auftraggeber, führ-ten die Kunstwelt des jeweiligen Zeitalters aber auch mit neuen Strömungen abseits der vorherrschenden Trends an. Die künst-lerische Begabung der Hwawon ist vor allem an der Genremale-rei deutlich zu erkennen, die den Alltag der einfachen Menschen von Jo seon gegen Ende des 18. Jahrhunderts und später detailliert darstellt. Die Bilder der berühmtesten Genremaler dieser Zeit wie Kim Hong-do, Sin Yun-bok (ca.1758-1813) und Kim Deuk-sin (1754-1822) belegen die künstlerische Leistung. Zu guter Letzt gab es noch einen kleinen, Erwachsenen vorbehaltenen Raum mit Genre-bildern sexuell expliziter Natur. Die Bilder waren hinter traditionel-len Holzgitterfenstern ausgestellt, so dass die Besucher zwischen den Gitterstäben hindurchlugen mussten, als würden sie den dar-gestellten Szenen heimlich zuschauen.

traditionelle kunst durch spitzentechnologie erlebenDie Besucher konnten sich auf der Ausstellung anhand von Tablet-PCs und digitalen Bildschirmen die alten Bilder in Detailausschnit-

ten anschauen, was von einigen Ahs und Ohs begleitet wurde. Hong Ra-young, die stellvertretende Leiterin des Museums, erläutert dazu: „Die digitalen Anwendungen erlauben es dem Besucher, die Exponate im Detail zu betrachten. Wir wollten damit den mit modernen Technologien vertrauten Besuchern die Möglichkeit anbieten, sich auf einfache und interessante Weise Werken der tra-ditionellen Kunst anzunähern.“Vor großen Exponaten wie Hwaneohaengnyeoldo (Königliche Pro-zession auf dem Rückweg zum Hof), einem großformatigen Werk, das den Zug von König Jeongjo und seinem Gefolge aus rund 6.000 Menschen und 1.400 Pferden zeigt, waren sogenannte Bild-Explo-rationssysteme installiert. Auf einem Bildschirm, der das gesamte Gemälde erfasste, konnte man per Touch einzelne Bildausschnitte in HD-Qualität abrufen. Die Vergrößerungen machten sogar winzi-ge Details wie den Gesichtsausdruck der Zuschauer am Rande des Zuges, die Gestik des Yeot-Verkäufers (Yeot: traditionelles kore-anisches Toffee) und die im Wind wehenden Mähnen der Pferde erkennbar. So wurden künstlerisches Geschick und Bestreben der Hwawon, die nicht nur eine historische Aufzeichnung herstellen, sondern auch die lebendige Atmosphäre vermitteln wollten, dank moderner Technologien wahrnehmbar gemacht.Werke von prominenten bis hin zu namenlosen Hwawon des über 500 Jahre währenden Joseon-Reiches wurden der Öffentlichkeit präsentiert: Die Hofmaler von Joseon war eine Ausstellung, die die Welt der Hwawon und den zeitlosen, immer wieder aufs Neue zu entdeckenden Charme der traditionellen Kunst bewusst mach-te. Die Zahl der Exponate war so groß, dass die Besucher reich-lich Kraft und Ausdauer benötigten, um alle Ausstellungsstücke genauer in Augenschein zu nehmen. Die Ausstellung schenkte den modernen Koreanern, die sich des Wertes dieser Schätze in ihrer nächsten Umgebung nicht wirklich bewusst waren, das besondere Erlebnis der Kommunikation mit der Geschichte.

Joseon war ein Land der Dokumentation.

Während jedes einzelne Wort und jede einzelne

Handlung des Königs in den königlichen Annalen

festgehalten wurde, dokumentierten die Hofmaler

die Geschichte des Hofes mit detailgetreuen

Darstellungen aller Hofereignisse.

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AuF der WeLtBüHne

Die Sopranistin Sunhae Im singt mit dem Orchester des Wiener Strauss- Festivals beim 2011 Neujahrskonzert in Seoul.

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Sunhae ImSopranistin

Die europäischen Opernbühnen der Barockzeit des 17. und 18. Jahrhunderts waren gleichsam Arenen, in denen

die Sänger sich mit Höchstleistungen zu übertrumpfen such-ten. Wie im Film Farinelli zu sehen, brillierten sie mit hohen und langen Tönen, als würden sie beweisen wollen, dass die menschliche Stimme dem Instrument überlegen ist, und schlu-gen mit ihrer virtuosen Koloraturtechnik das Publikum in ihren Bann. Daher ist es für professionelle Sänger der Alten Musik (europäische Musikstile vor etwa 1750) eine selbstverständliche Voraussetzung, klare, hohe Töne sowie elaborierte Koloraturen darbieten zu können.In Kreisen der klassischen Musik wächst derzeit in Korea das Interesse an der Alten Musik. Das koreanische Publikum kann inzwischen jedes Jahr Konzerte weltweit renommierter Künst-ler für Alte Musik, die in Korea auftreten, genießen, während gleichzeitig koreanische Solisten, Ensembles und Orchester immer aktiver ihr diesbezügliches Repertoire erweitern. Bachs Matthäuspassion und Händels Oratorien werden dabei zwar häufig aufgeführt, Barockopern sind jedoch immer noch eher eine Rarität auf der Bühne. Das ist zum einen darauf zurückzu-führen, dass die koreanischen Fans der klassischen Musik die Barockoper noch kaum für sich entdeckt haben, zum anderen aber auch auf einen Mangel an professionellen Sängern für die-ses Genre. Daher ist die Sopranistin Sunhae Im, die im Bereich Alte Musik mit weltweit anerkannten Musikern arbeitet, auf koreanischen Opernbühnen nicht oft zu sehen. Die Sopranistin, die bereits vor 13 Jahren debütierte, ist entsprechend auf euro-päischen Bühnen bekannter als in ihrer Heimat.

Sunhae Im singt eine der Hauptrollen in Bachs Matthäus-

passion, dirigiert von René Jacobs. Während ihrer 13 Jahre

umspannenden Gesangskarriere in Europa hat die koreani-

sche Sopranistin ein breit gefächertes Repertoire vorgetra-

gen, das von Alter Musik bis hin zu Wiener Operetten reicht.Lee Yong-sook Musikkritikerin

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Gemeinsam mit den Meistern der Alten MusikDie 1976 geborene südkoreanische Sopranistin Sunhae Im studier-te an der Seoul National University bei Professor Park Noh-kyoung. Nach dem Abschluss ging sie als DAAD-Stipendiatin an die Hoch-schule für Musik Karlsruhe, wo sie ihre Ausbildung unter Professor Roland Hermann fortsetzte. Wann immer Sunhae Im während ihres Studiums dazu aufgefor-dert wurde, ihre Diktion zu verbessern, arbeitete sie hart an sich. Sie bemühte sich, alle sprachlichen Mängel in Aussprache und Wortschatz zu beseitigen, um den Liedtext nicht nur klar verständ-lich zu artikulieren, sondern auch das korrekte Verständnis des Inhalts zum Ausdruck zu bringen. Um sich mit der europäischen Kultur vertraut zu machen und Fremdsprachen zu lernen, schaute sie sich Nachrichtensendungen an und las die Untertitel parallel zu den Ansagen mit. Da sie in ihrer Kindheit Nachrichtensprecherin hatte werden wollen, war das für sie keine Quälerei, sondern eher ein Vergnügen. Zudem hatte sie sich schon immer für Literatur interessiert, was es ihr leichter machte, musikalische Meisterwer-ke auf der Bühne mit dem notwendigen Gefühl zu präsentieren. All diese Bemühungen machten es Sunhae Im letztendlich möglich, trotz ihres asiatischen Äußeren Hauptrollen auf den großen Büh-nen Europas zu übernehmen, wo sie im Laufe der Zeit selbst von den kritischsten Kennern der Alten Musik Lob und Anerkennung gewinnen konnte. Es erging Sunhae Im wie vielen großen Stars, die als zweite Beset-zung beginnen und dann unerwartet die Chance ihres Lebens erhalten, wenn sie als „Ersatz“ auftreten können: So wurde sie 1999 von dem Meisterdirigenten Philippe Herreweghe genau einen Tag vor der Aufführung gefragt, ob sie als Ersatz-Solistin für die Messe in C-Dur KV 337 von Mozart einspringen könne. Es war ein Werk, das Im noch nie auf der Bühne gesungen hatte, aber sie nahm den Vorschlag trotzdem an. Sie übte die ganze Nacht hin-durch und fuhr mit dem Frühzug nach Brüssel, wo ihr internatio-nales Debüt bei Meister und Publikum einen nachhaltigen Eindruck hinterließ.Danach trat sie mit international gefeierten Dirigenten der Alten Musik wie William Christie, René Jacobs, Fabio Biondi und Sigis-wald Kuijken in Konzerten und Opern auf und etablierte sich als eine der besten Sopranistinnen für Alte Musik. Insbesondere bei ihren Auftritten und Aufnahmen mit René Jacobs, dem belgischen Dirigenten und Countertenor, wurde Ims Begabung offenbar. Mit ihm trat sie z.B. in der Matthäuspassion BWV 244 von Bach und verschiedenen Opern von Mozart auf: So spielte sie die Rolle der Servilia in La clemenza di Tito (Die Milde des Titus), der Zerlina in Don Giovanni, der Ilia in Idomeneo, der Despina in Cosi fan tutte und der Sandrina sowie der Serpetta in La finta giardiniera (Die Gärtnerin aus Liebe). In La finta giardiniera konnte sie ihre Kolle-gen als vollendete Sängerin überzeugen: Kurz vor der Tour-Premi-ere in Spanien wurde die Sängerin, die die Hauptrolle der Sandrina übernehmen sollte, krank. René Jacobs bat Im, neben der Rolle

der Magd Serpetta auch die der als Gärtnerin Sandrina verkleide-ten Marchesa Violante zu spielen. Als Im den Meister fragte, ob er denn glaube, dass sie zwei solch gegensätzliche Charaktere ver-körpern könne, versicherte er ihr, dass sie die Einzige sei, die das könne. Und tatsächlich war die Aufführung ein voller Erfolg. Weite-re gemeinsame Auftritte umfassten Werke von Claudio Monteverdi wie die Oper L'Orfeo (Orpheus), bei der sie die Rollen der La Musica und der Euridice spielte, und Marienvesper; zu nennen sind darü-ber hinaus auch G. P. Telemanns Der geduldige Sokrates (Weltpre-miere), in der sie die Rolle der Rodisette spielte, und Haydns Orlan-do Paladino (Der Ritter Roland), in der sie als Eurilla auftrat.Sunhae Im lenkte zudem durch CD-Aufnahmen von drei Mozart-Opern mit René Jacobs die Aufmerksamkeit der Welt auf sich. Das Album La clemenza di Tito (2006) wurde als Kandidat der Katego-rie „Klassische Musik“ für die Grammy-Awards nominiert und das Album (2007) und die DVD (2008) Don Giovanni wurden mit dem Deutschen Kritikerpreis und der Höchsten Auszeichnung des fran-zösischen Magazins Télérama gekrönt. Die DVD ist eine Aufnahme der Don Giovanni–Aufführung auf den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik 2006, bei der Sunhae Im mit ihrer faszinierenden Stim-me und Schauspielkunst das europäische Publikum fesselte. Die Zuschauer waren nicht nur von ihren klaren und sauberen Hoch-tönen und den brillanten Koloraturen verzaubert, sondern auch von ihrem schauspielerischen Talent, das in Ausdruck und Bewe-gungen von einer berückenden Lieblichkeit gepaart mit einer ren-naissancehaften, natürlichen Sinnlichkeit war und das Publikum entsprechend bezauberte. Das brachte ihr von europäischen und amerikanischen Kritikern wiederholt das Kompliment ein, „kokett“ zu sein.

Verschiedene Bereiche der MusikAuch das Album Idomeneo (2009) wurde ein großer Erfolg. In der Oper Idomeneo, die im Januar 2011 von der Koreanischen Natio-naloper präsentiert, von Chung Myung-whun dirigiert und von der Operndirektorin Lee So-yeong geleitet wurde, trat Sunhae Im als Prinzessin Ilia auf. Damit erfüllte sie den sehnlichen Wunsch des koreanischen Publikums, die international renommierte Sopranis-tin einmal auf der heimischen Bühne erleben zu können. Im August 2011 war sie beim Edinburgh Festival zu sehen und betörte die Zuschauer als Schäferin Eurilla in Orlando Paladino. In dieser Oper unter der musikalischen Leitung von René Jacobs spielte sie die heitere Eurilla dermaßen überzeugend, dass das Pubilkum keine Sekunde den Blick von ihr abwenden konnte. Die Medien vor Ort waren voller Kritikerlob über ihre „wunderbar flexible Koloratur (marvellously flexible coloratura)“.Allerdings singt Sun-hae Im nicht nur Alte Musik. Sie war auch Mitglied des Staatstheaters Hannover (2001~03), trat rund zehn Jahre lang in den berühmten Opernhäusern der Welt mit den größ-ten Dirigenten auf und spielte dabei die unterschiedlichsten Rol-len: Die Adele in der Fledermaus von Johann Strauß, die Yniold in

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Im als die temperamentvolle Schäferin Eurilla in Haydns Oper Der Ritter Roland, dirigiert von René Jacobs in der Berliner Staatsoper (2009).

Debussys Pelléas et Mélisande (Pelléas und Mélisande), die Nonne Constance in Dialogues des Carmelites (Dialoge der Karmeliterin-nen) des modernen Komponisten Francis Poulenc, die Adina in der komischen Oper L'elisir d'amore (Der Liebestrank) von G. Donizetti, um nur einige zu nennen.Ihre Lieblingsrollen sind die typischen Sopranistinnenrollen in Mozarts Werken wie die Susanna in Figaros Hochzeit (Le nozze di Figaro) oder die Zerlina in Don Giovanni. Aber sie würde auch gerne ihr Repertoire auf neue Rollen erweitern: auf die Sophie in Richard Strauss‘ Rosenkavalier, die Zerbinetta in seiner Ariadne auf Naxos oder die Gilda in Verdis Rigoletto.Sunhae Im, die auf verschiedenen Bühnen stand wie den Staats-opern in Berlin und Hamburg, im Festspielhaus Baden-Baden, in der Opéra Garnier und im Théâtre des Champs-Élysées in Paris sowie im Theater an der Wien, ist nicht nur in Opern aufgetreten, sondern hat auch Konzerte mit Dirigenten von Weltruf gegeben. 2004 nahm sie z.B. an der Messias-Welt-Tournee des Dirigenten William Christie teil und trat in Ländern wie den USA, Japan und

Singapur auf. 2008 trat sie in der Oper Orfeo ed Euridice (Orpheus und Eurydike) von Gluck auf, die unter der Choreographie von Pina Bausch in der Pariser Nationaloper aufgeführt wurde. Die DVD-Aufnahme dieser Aufführung wurde hoch gelobt. Im selben Jahr stand sie mit den New Yorker Philharmonikern unter Leitung von Ton Koopman bei einer weiteren Messias-Aufführung auf der Bühne, die ebenfalls sehr gute Kritiken erhielt.An eine Aufführung von Bachs Matthäuspassion kann sich Im bis heute erinnern. Nach dem Konzert kam eine ältere Dame zu ihr hinter die Bühne, umarmte sie mit Tränen in den Augen und dankte ihr für den wunderbaren Gesang. Die junge koreanische Sopranis-tin war so bewegt davon, dass sie beschloss, auch weiterhin religi-öse Werke vorzutragen.

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Leben als Musikerin und MenschIm August dieses Jahres wird sie bei einer Albumaufnahme von Bachs Matthäuspassion mitwirken. Das Album, das in Zusam-menarbeit mit René Jacobs als Dirigent, prominenten Solisten wie Bernarda Fink und Werner Guera sowie der Akamus (Akademie für Alte Musik Berlin) und des RIAS Kammerchors entsteht, ist ein Projekt des französischen Musiklabels Harmonia Mundi. „Für mich, als Christin und als asiatische Sängerin, von denen es im Bereich der Alten Musik kaum welche gibt, ist es eine große Ehre, bei der Aufnahme dieses Meisterwerks als Solosopranistin mitwir-ken zu können“, sagt Im bescheiden.Von besonderer Bedeutung im Terminplan 2012 ist für Sunhae Im die Rolle der Dorinda in Händels Oper Orlando, dirigiert von René Jacobs und unter künstlerischer Leitung von Pierre Audi, dem Direktor der Nederlandse Opera. Die Aufführung wird im April und Mai im Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel sein. Danach wird Sunhae Im nach Korea reisen, um im Juni auf der Expo 2012 Yeosu Korea Konzertarien von Mozart und Ende Juli auf der Great Moun-tains International Music Festival & School (GMMFS) in der Pro-vinz Gangwon-do Die Schöpfung von Haydn zu präsentieren. Voller Erwartung meint sie: „Es ist mir eine große Freude, vor meinen Fans in Korea, die das Meisterwerk bislang nur auf CD hören konn-ten, Die Schöpfung zu singen.“2011 präsentierte sie auf dem Festival du Lied im schweizerischen Fribourg eine Reihe von koreanischen Liedern wie Bongseonhwa, Sanyuhwa sowie Lieder von Isang Yun, die mit stehenden Ovati-onen aufgenommen wurden. Im erklärt, dass sie auf der Bühne mehr Lieder singen möchte, vor allem die Werke der Komponisten des 18. und 19. Jahrhunderts mit Pianoforte-Begleitung aus dem selben Zeitalter, da sie Erfahrungen mit der historischen Auffüh-rungspraxis hat. „Zudem will ich auch weiterhin koreanische Lie-der im Ausland präsentieren, die in den Rhythmen und Melodien der traditionellen Musik Koreas wurzeln. Ich würde auch gerne mal ein Album mit koreanischen Kunstliedern aufnehmen, so dass man in Plattenläden überall auf der Welt die Lieder Koreas finden kann.“

Sunhae Im möchte eine Künsterlin mit Flexibilität im Schaffen sein, die Werke jedes Genres und Stils mit ihrer ganz persönlichen Note vortragen kann. „Ich möchte als Künstlerin bewertet werden, die bei der Darbietung von Operstücken, bei religiösen Werken und Kunstliedern jeweils eine völlig andere Stimmfarbe und einen dis-tinktiven musikalischen Stil hat, die also eine unverkennbare Atmo-sphäre erzeugen kann. Das kann man nicht erreichen, wenn man wie ein Vogel im Käfig ständig nur Gesangsübungen macht. Man muss so oft wie möglich aus dem Käfig heraus, sich auch für Dinge interessieren, die nichts mit Musik zu tun haben, direkte und indi-rekte Erfahrungen sammeln, und so sein inneres Ich entwickeln. Das wird auf der Bühne dann ganz unbewusst und natürlich in den Gesang und in die musikalische und theatralische Interpretation einfließen.“ Betrachtet man Im auf der Bühne, scheint sich die-ser Wunsch jedoch bereits erfüllt zu haben. Denn sie besitzt eine formidable stimmliche Ausdrucksweise, die jedes einzelne Wort lebendig macht, eine Mimik, die sich dem jeweiligen Inhalt wie ein Chamäleon anpassen kann, hervorragendes schauspieleri-sches Talent, das sich sogar in der kleinsten gezielten Bewegung ihrer Fingerspitzen äußert, und eine positive Energie, die in das Publikum ausstrahlt und es im Nu mit einem Gefühl des Glücks ansteckt.Im meint allerdings, dass es wichtiger sei, die Freiheit der Seele zu wahren, als Ruhm und Ehre als Musikerin zu gewinnen. In diesem Sinne veranstaltet sie in ihrer Heimat Korea jedes Jahr ein Bene-fizkonzert unter dem Titel Sunhae Im: Konzert zum Schaffen von Hoffnung und besucht auch regelmäßig die Stadt Tonj im Südsu-dan, wo sie in freiwilliger Sozialarbeit Musikuntericht gibt und den Geist des verstorbenen koreanischen Arztes und katholischen Missionspriesters Lee Tae-suk, der wegen seiner Aufopferung für die Ärmsten der Armen als „koreanischer Albert Schweitzer des Sudans“ bekannt ist, weiter pflegt. „Dieses Jahr werde ich mich mit der grundlegenden Seinsfrage auseinandersetzen, wie mein Leben als Musikerin und als Mensch aussehen soll. Zum Glück steht mir in meinem Leben die Musik, die mir Trost und Freude schenkt, stets zur Seite, so dass die Suche nach der Antwort wohl mehr Freude als Leid sein wird. Ich glaube, dass sich die Früchte meines inneren Ringens in der Authenzität meiner Musik widerspiegeln und meine Lieder all denen, die sie hören, etwas Trost und Freude schenken können.“

Sunhae Im bei einer Vorstellung im Seoul Arts Center zur Feier der Eröffnung der IBK Chamber Hall (2011).

Sunhae Im bezaubert durch klare und saubere Hochtöne sowie brillante Kolora-

turen. Ihr schauspielerisches Talent, geprägt von einer berückenden Lieblichkeit

gepaart mit einer rennaissancehaften, natürlichen Sinnlichkeit, brachte ihr von

Kritikern wiederholt das Kompliment ein, „kokett“ zu sein.

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kunstHAndWerker

Unter „Baecheop“ versteht man die traditionelle Handwerkstechnik, Kunstwerke wie Kalligraphien, Malereien

usw. auf ein Futter aus Papier oder Seidenbrokat aufzukleben und durch dieses Aufziehen Rollbilder, gerahmte

Bilder, Wandschirme oder Bucheinbände zu schaffen. Kim Pyo-yeong, der 73 Jahre lang als Baecheop- Kunst-

handwerker tätig ist, ist der erste und einzige Träger dieses Immateriellen Kulturgutes. Park Hyun-sook Freie Schriftstellerin | Fotos: Ahn Hong-beom

Altmeister der uralten Kunst Baecheop Kim Pyo-yeong

Es ist zwei Uhr nachmittags. Der Baecheop-Meister, der bereits in den Achtzigern ist, blickt kurz auf das warme Sonnenlicht,

das durch die Glasfenster seiner rund 330 Quadratmeter großen Werkstatt fällt, und murmelt: „Aha, das ist die Farbe von Hanji!“ und nimmt den in Naturleim getauchten Pinsel in die Hand. Er trägt den Leim auf das traditionelle Maulbeerbaum-Papier Hanji auf. Dann klebt er das Papier mit seinen immer noch flinken Hän-den gleichmäßig auf ein Stück Seidenbrokat. Erstaunlicherweise ist mit 87 Jahren seine Sehkraft noch so gut, dass ihm kein loses Seidenfädchen und kein Fitzelchen Papierfaser entgeht, alles wird mit höchster Präzision bearbeitet. Wie kann das sein in einem so fortgeschrittenen Alter, in dem die Augen normalerweise schon schwächer geworden sind?„Beim Lesen von Büchern oder Zeitungen habe ich noch keine Schwierigkeiten. Das liegt vielleicht daran, dass ich über 70 Jahre lang Kunstwerke aufgezogen habe. Zwar ist die Arbeit anstren-gend, aber ich denke, dass ich einen guten Beruf habe. Denn wäh-rend all dieser Jahre hatte ich fast mit allen alten Werken der Kal-ligraphie und Malerei zu tun, die als nationale Kulturgüter gelten. Ich hatte quasi kostenlos die Gelegenheit, mir diese Kunstschätze anzusehen und damit umzugehen. Selbst wenn ich unter Stress stehe, entspannt mich meine Arbeit, was mir wohl auch Gesund-heit und Sehkraft erhalten hat, so dass ich noch immer arbeiten kann. Ich beginne nach wie vor um neun Uhr morgens mit der Arbeit und mache gegen fünf oder sechs Uhr Feierabend.“

Baecheop, der letzte schliff für ein kunstwerkMeister Kim Pyo-yeong wurde 1996 zum Träger des „Immateriel-len Kulturgutes Nr. 102“ (Baecheop) ernannt. Er ist der erste und einzige Träger dieser Auszeichnung. Unter „Baecheop“ versteht man die traditionelle Handwerkstechnik, Kunstwerke wie Kalligra-phien, Malereien usw. auf ein Futter aus Papier oder Seidenbrokat aufzukleben, durch dieses Aufziehen Rollbilder, gerahmte Bilder,

Wandschirme oder Bucheinbände zu schaffen und so den ästheti-schen Wert, die Beständigkeit und die Funktionalität der Werke zu erhöhen. Kim ist vor allem in der Restaurierung von alten Kalligra-phien und Malereien ausgezeichnet, der größten künstlerischen und technischen Herausforderung im Bereich des Aufziehens von Kunstwerken. Zwar gibt es einige qualifizierte Restauratoren für Kulturgüter aus Papier, aber sie bleiben in Bezug auf Erfahrung und Kunstfertigkeit hinter Kim zurück. Allein an der stilvollen und sauberen Endverarbeitung von Rahmen, Rollbildern und Wand-schirmen, die an die perfekte Linienführung des schmalen weißen Kragens (Dongjeong) auf dem Bolero-Oberteil der koreanischen Tracht Hanbok erinnert, lässt sich die unvergleichliche künstle-rische Fertigkeit dieses Trägers des Immateriellen Kulturgutes Baecheop erkennen.Bücher, Kalligraphien, Porträts oder Werke der buddhistischen Malerei erhalten erst durch ein ädaquates Baecheop ihren eigent-lichen Wert als Kulturgut. Daher ist ein stil- und formgerechtes Baecheop Teil des Kunstwerkes und erhöht seinen ästhetischen Wert. Umgekehrt kann ein mangelhaftes, unpassendes Baecheop das richtige Verständnis des Werkes behindern oder seiner Schön-heit Abbruch tun.„Anfang der Joseon-Zeit (1392-1910) wurde Baecheop als Kunst-handwerk staatlich anerkannt“, erklärt Meister Kim, „aber seine Geschichte reicht noch viel weiter zurück. Es ist ein wertvolles, altes Traditionshandwerk in Korea. Im Gyeongguk daejeon (Kodex der Staatsverwaltung; erste Ausgabe 1460, letzte Ausgabe 1485) heißt es, dass in der Joseon-Zeit vier Baecheop-Meister im Dienst des Königlichen Hofamtes für Malerei (Dohwaseo) standen. In der Zeit des Vereinigten Silla-Reichs (676-935) wurde im Amt Chaejeonseo, dem Vorläufer des Dohwaseo, ebenfalls das Aufzie-hen von Kunstwerken praktiziert. Während der Goryeo-Zeit (918-1392) wurde dieses Handwerk dann durch die Entwicklung von Holzdruck und Papierherstellung ein großes Stück weiter voran-

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gebracht. Ein Baecheop-Handwerker braucht ein hohes Maß an Geduld, handwerkliches Geschick und ein ästhetisches Auge. Es gibt sogar den alten Spruch: „Ein Gemälde verdankt seine Vollen-dung zu 30 Prozent dem Maler und zu 70 Prozent dem Baecheop-Meister.“ Wenn ich die Farbe des Seidenbrokats für ein Bild aus-wähle, probiere ich wenigstens 200 Farbtöne aus. Ich lege das Bild auf ein großes Stück Seide und werfe im Vorbeigehen hin und wie-der einen Blick darauf. Am nächsten Tag mache ich dasselbe mit einem Stoff in anderer Farbe. Auf diese Weise wähle ich den pas-sendsten Farbton aus. Ich habe gelernt, dass man dem Baecheop-Handwerk auf diese Weise, mit viel Geduld und Hingabe, nachge-hen muss.“Vor diesem Hintergrund sagte man, dass ein Baecheop-Meister zur Hälfte auch Kalligraph, Maler und Tischler in einem sein sollte.Im Alter von knapp 14 Jahren besuchte Kim die Werkstatt seines Cousins Yun Byeong-se, der in Cheongju, der Heimatstadt Kims, ein bekannter Baecheop-Meister war. Da fühlte er sich von diesem Handwerk angezogen und begann sofort, es zu erlernen. Damals

stand Korea unter japanischer Kolonialherrschaft (1910-1945). In der Nähe von Yuns Werkstatt gab es zwar auch eine von einem Japaner betriebene Baecheop-Werkstatt, aber die Qualität der Arbeiten blieb weit hinter der von Yuns Werkstatt zurück, weshalb die Kunden ihre Werke der Kalligraphie und Malerei zu Yun brach-ten. Nachdem Kim die Grundkenntnisse erlernt hatte, zog er nach Insa-dong in Seoul und arbeitete unter Kim Yong-bok, der berühmt für sein meisterhaftes Aufziehen und Rahmen von alten Kalligra-phien und Malereien war. Dort sammelte er Erfahrungen und ver-feinerte seine handwerkliche Geschicklichkeit.„Bei alten Kalligraphien und Malereien ist es ausschlaggebend, das Originalwerk in möglichst getreuer Form zu erhalten und zu bewahren. Selbst ein Gemälde, das so alt ist, dass es wie gefallene Blätter zu zerbröckeln scheint, kann noch weitere 200, 300 Jahre, ja sogar über 400 Jahre in gutem Zustand erhalten bleiben, wenn es rechtzeitig ordentlich restauriert wird. Jedesmal, wenn ich alte Kalligraphien und Malereien betrachte, bin ich über die Weisheit unserer Vorfahren erstaunt. Hanji-Papier, das tausend Jahre über-

„Wenn ich die Pinzette oder den Pinsel nur ein einziges Mal etwas falsch ansetze, kann ein

Kulturgut ein für alle mal ruiniert werden. Einmal hat es mich anderthalb Tage gekostet, ein

winziges Papierstück, nicht größer als der Nagel meines kleinen Fingers, zu entfernen.“

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Rollbilder, aufgezogen von Meister Kim Pyo-yeong. Zum Lagern wird das Rollbild zusammengerollt, zum Betrachten wird es aufgerollt und an die Wand gehängt.

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dauern soll, ist weich, aber enorm beständig. Bei der Restaurie-rung von alten Kalligraphien und Malereien wird das Papier Stück für Stück mit Wasser gereinigt, aber trotzdem bleibt das Hanji gut erhalten. Verunreinigungen werden beseitigt, so dass das Weiß des Papiers an Lebendigkeit und die Farbe der Tusche an Klarheit gewinnt. Es dürfte außer Hanji kein anderes Papier geben, das man auf diese Weise mit Wasser behandeln kann.“

Harmonie von Papier, Leim und WasserDas traditionelle Baecheop umfasst eine Reihe von komplexen Arbeitsschritten: Zunächst wird der Seidenbrokat, der als Futter und Passepartout dienen kann, zugeschnitten. Dann werden Blatt für Blatt wenigstens drei Schichten Hanji-Papier auf die Rückseite des Werks geklebt, bei besonders großen Werken bedarf es noch mehr Schichten. Mit dieser Rückenverstärkung wird das Werk nach dem Trocknen entweder als Bild gerahmt, im Falle einer Hängerolle an den oberen und unteren Enden mit runden Holz-stücken versehen oder in einen Wandschirm eingepasst. Bei alten Büchern werden die Seiten auseinandergenommen, mit Wasser gereinigt und nach dem Trocknen neu gebunden, wobei das Kunst-

werk auf den Bucheinband aufgezogen wird. Dabei sollte sich ein Meister in den Besonderheiten der Eigenschaften der jeweiligen Materialien, insbesondere Papier, Leim und Wasser, auskennen, um Schönheit, praktischen Nutzen und Beständigkeit zu gewähr-leisten.„Es ist nicht falsch zu sagen, dass die Harmonie von Papier, Leim und Wasser Baecheop ausmacht. Man muss ein besonderes Auge für Qualität haben und die Beharrlichkeit besitzen, die besten Materialien finden zu wollen. Da das natürliche Umfeld heute nicht mehr so wie früher ist, sollte man bei der Auswahl noch kritischer sein. Das Hanji-Papier, mit dem das Werk verstärkt wird, sollte

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1. Der Seidenbrokat, auf den die Malerei aufgezogen wird, wird perfekt auf das Bild abgestimmt und exakt zugeschnitten.2. Es ist wichtig, dass der Leim die richtige Konsistenz hat und gleichmäßig aufgetragen wird.3. Nachdem die Malerei auf Seide aufgezogen wurde, werden die aufeinander geklebten Teile mit einem kleinen Hammer geklopft, um die Haftung zu erhöhen und etwaige Luftbläschen zu beseitigen.4. Restaurierung einer alten Kalligraphie.

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aus der Rinde eines guten Maulbeerbaums stammen und weder zu starr noch zu weich sein. Künstliche chemische Rückstände im Hanji können gelbe Flecken auf den Werken hervorrufen. Bei der Hanji-Herstellung sollte daher nur erstklassiges Wasser benutzt werden. Für den Leim wird die hochklebrige Wurzelsubstanz des Maniok-Bisameibisch (Dakpul) in eine Lauge aus Reisstroh-Asche mit Bleichwirkung getaucht. Ich pflanze den Bisameibisch im Früh-ling selbst, im Herbst wird er geerntet, getrocknet und eingelagert. Auch die Herstellung des Naturleims erfordert viel Zeit und Hinga-be. Im Laufe der Jahre habe ich mir auf diese Weise auch einiges Wissen über chemische Abläufe und Reaktionen angeeignet und darauf basierend eigene Methoden und Know-how entwickelt.“Weil die Hanji-Qualität über die Beständigkeit des Werkes ent-scheidet, bestellt Kim, der mit dem im Einzelhandel erhältlichen Hanji nicht zufrieden war, auf streng traditionelle Weise gefertig-tes Papier in der Stadt Andong, Provinz Gyeongsangbuk-do, die für ihre hochwertigen Maulbeerbäume berühmt ist. Und selbst hier besteht Meister Kim darauf, dass in ausschließlicher Handarbeit nur die innere Rinde des Mittelstücks eines gesunden Baumes ver-wendet wird. Die Rinde wird den Winter über draußen gelagert, wo sie gefriert. Danach wird sie geschlagen, um die Fasern zu stre-cken und haltbarer zu machen. Meister Kim hat selbst neun Arten von qualitativ hochwertigem Hanji-Papier entwickelt. Dafür setzt er der Mischung aus Dakpul und Wasser 20 Prozent weiße Tonerde aus Goryeong zu, die zuvor durch Auflösung in Wasser von Verun-reinigungen befreit wurde. Die weiße Tonerde verleiht dem Papier größere Geschmeidigkeit und bietet zugleich einen natürlichen Mottenschutz. Meister Kim erklärt, dass diese Papierarten äußerst haltbar sind, weil sie nur aus den Fasern des Maulbeerbaums, Dakpul und Weißton bestehen.Meister Kim stellt für die Baecheop-Arbeit auch eigenhändig einen Leim her, dessen Fertigung über zehn Jahre erfordert. Zunächst füllt er zwei Sack Weizenmehl in einen Onggi, einen großen, irdenen Krug, gießt Wasser darüber, bis dass das Mehl gerade bedeckt ist, und bringt das Ganze zum Gären. Wenn das Wasser schäumt, wird es abgegossen und durch frisches ersetzt, wodurch dem Leim jeg-liche Nahrung für Bakterien entzogen wird, so dass er weder ver-schimmeln noch verfaulen kann. Dieser Prozess wird zehn Jahre lang wiederholt, bis alle gelblichen toxischen Verunreinigungen aus dem Mehl beseitigt sind. Danach wird die Mehlmasse abgeseiht und zu Pulver getrocknet, aus dem bei Bedarf Naturleim hergestellt wird. Im Innenhof der Werkstatt stehen 80 Krüge, in denen im Laufe

der Jahre das reine Pulver für diesen wertvollen Leim, der gegen Schimmel und Insekten resistent ist, hergestellt wird .

Himmel und Hölle zugleichSeit 1978, als Kim Pyo-yeong mit der Restaurierung von staatlich designierten Kulturgütern begann, hat er 200 bedeutende Natio-nalschätze restauriert. Die Freude, kostbare alte Handschriften und Gemälde aus größter Nähe betrachten und damit umgehen zu dürfen, ist aber gleichzeitig mit einem enormen Verantwortungs-gefühl verbunden. Die Restaurierung der alten Kunstwerke stellt für diesen Meister in den Achtzigern, der das Baecheop-Kunst-handwerk wie kein anderer beherrscht, eine große Ehre und eine nervenaufreibende Aufgabe zugleich dar.„Ich beginne meine Arbeit mit der mikroskopischen Untersuchung des Werkes. Ich betrachte Textur, Qualität und Dichte der Fasern und wähle das für das Aufziehen geeigneteste Hanji-Papier aus. Dann bereite ich Leim von angemessener Konsistenz zu, da für jedes Werk die Konzentration des Leims anders sein muss. Ist der Leim zu dünnflüssig, sackt das Papier herunter, ist er zu dick, schrumpft es. Danach konzentriere ich mich voll und ganz auf die Restaurierung. Wenn ich die Pinzette oder den Pinsel nur ein ein-ziges Mal etwas falsch ansetze, kann ein Kulturgut ein für alle Mal ruiniert werden. Einmal hat es mich anderthalb Tage gekostet, ein winziges Papierstück, nicht größer als der Nagel meines kleinen Fingers, zu entfernen.“ Meister Kim hat bislang nicht nur Kulturgüter im Range eines Nati-onalschatzes neues Leben eingehaucht, sondern auch buddhisti-schen Gemälden in den Tempeln des ganzen Landes, Kalligraphien und Malereien, die als Erbstücke in adligen Familien weitergege-ben wurden, oder alten Dokumenten in Familienbesitz. Insbeson-dere das 14 Meter hohe und 6 Meter breite buddhistische Gemälde im Tempel Ssanggye-sa bleibt in seiner Erinnerung, weil die Res-taurierung angesichts der gravierenden Schäden sehr anstren-gend war. Das monumentalste Werk, an dem er jemals arbeitete, ist das 14x9,70 Meter messende buddhistische Gemälde im Tempel Daeam-sa.Kim Pyo-yeong, der lange Jahre in Seoul und Ilsan bei Seoul wohn-te, zog auf Drängen seines Schülers Hong Jong-jin (61) zurück in seine Heimatstadt Cheongju. Meister Kim, der einsam seiner Arbeit nachging, ist für die Fürsorge seines Schülers dankbar, während Hong betont, dass er mit seinem Lehrer an der Seite viel lerne und Unterstützung bei ihm finde. Hong Jong-jin, Träger

1. Der Naturleim des Meisters wurde über zehn Jahre lang geläutert.2. Kim Pyo-yeong und sein Schüler Hong Jong-jin sind bemüht, ihr Wissen über das Baecheop-Kunsthandwerk an die jüngeren Generationen weiterzugeben.

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des Titels „Chungcheongbuk-do Immaterielles Kulturgut Nr. 7“, ist selbst ein erfahrener Meister, der sechs historische Relikte im Rang eines Nationalschatzes und 15 im Rang eines Wertvollen Kul-turgutes restaurierte. Im Herbst 2011 präsentierten Meister und Schüler in einer Sonderausstellung des Cheongju Museums für Frühe Druckkunst (Cheongju Early Printing Museum) ihre Werke. Joie Springer von der Information Society Division der UNESCO und Dr. Stephen Ellis von den National Archives of Australia besuchten diese Ausstellung und waren über die Vortrefflichkeit des koreani-schen Baecheop-Kunsthandwerks erstaunt.Kim und Hong arbeiten zusammen im Baecheop-Trainingsinstitut in Bongmyeong-dong, Heungdeok-gu in der Stadt Cheongju. Ein-mal pro Woche unterichtet Kim junge Menschen, die Interesse an dieser Arbeit haben. Diese Tätigkeit erfüllt ihn mit großer Freu-

de, weil er davon träumt, dass seine Schüler einmal ihren Lehrer übertreffen werden.„Heutzutage erstellt man Konjunkturprognosen anhand des Akti-enindexes, nicht wahr? In der Joseon-Zeit war Baecheop ein Kon-junktur-Indikator. In Zeiten des Friedens und Wohlergehens flo-rierte das Baecheop-Handwerk, denn der König gab viele Werke mit den zehn Symbolen der Langlebigkeit (Sonne, Berge, Wasser, Felsen, Kiefern, Wolken, Kraut der Ewigen Jugend, Schildkröte, Kranich und Hirsch) in Auftrag, oder Werke mit Herrschaftssym-bolik wie Sonne, Mond und fünf Berggipfeln. Das Gleiche galt für die Haushalte des Adels. Ich hoffe, dass diese Tradition wiederbe-lebt wird. Wenn man gerahmte Kalligraphien oder Hängerollen mit erbaulichen Lehrweisheiten aufhängt und sich daran zu orientieren bemüht, wird die Familie auch weiter blühen.“

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Der Bahnhof Seoul in neuem GewandAm 9. August 2011 wurde der alte Seouler Hauptbahnhof in neuem Gewand wiedergeboren.

Aus dem Bahnhof, der einst die Zugpassagiere auf die Reise schickte oder in der Hauptstadt begrüßte,

wurde eine Stätte der Kultur. Kim Chung-dong Professor für Architektur, Mokwon University | Fotos: Ahn Hong-beom

Der Bahnhof Seoul, der lange Zeit als Tor zur Hauptstadt Seoul diente, gilt als repräsentatives, heute noch erhaltenes Bau-

werk der frühen modernen Architektur in Korea. 1988 wurden die Anlagen modernisiert, wobei eine Wartehalle direkt an den Glei-sen gebaut wurde. Dadurch trat das alte Bahnhofsgebäude seine ursprüngliche Funktion an die neuen Einrichtungen ab. Im Novem-ber 2003 kam dann südlich davon ein von privater Hand betriebe-ner Bahnhof für den KTX-Hochgeschwindigkeitszug hinzu (Bau-plan: Archiplan). Mit der Inbetriebnahme des KTX-Terminals im

April 2004 sprach man dann vom „Alten Hauptgebäude“ und dis-kutierte über die Umgestaltung zu einem Bahnmuseum. Die Dis-kussionen verliefen aber mangels Interesse im Sande und das alte Bahnhofsgebäude wurde abgesperrt. Im Oktober 2004 veranstaltete Docomomo Korea, die koreanische Vertretung von Docomomo International, einer weltweiten Vereini-gung für Dokumentation und Schutz des architektonischen Kultur-erbes (Gebäude, Stätten, Viertel) der Moderne, ein offenes Diskus-sionsforum zur künftigen Nutzung des alten Bahnhofsgebäudes.

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Moderne WAHrzeicHen

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Es war eine bedeutungsvolle Veranstaltung, durch die die staatli-che Korea Railroad Corporation und das Amt für die Verwaltung des Kulturerbes herausfinden konnten, dass viele Koreaner das historische Gebäude gerne in einen Raum der Kultur umgewandelt sehen wollten.Die Verwaltung des alten Bahnhofsgebäude wurde dann ans Minis-terium für Kultur, Sport und Tourismus übergeben, das sich für den Erhalt und eine Wiederverwendung des historischen Bauwerks entschied. Für das Projekt zur Umwandlung des Gebäudes in eine öffentliche Kulturstätte wurde ein Budget von 20 Mrd. Won (rund 13 Mio. Euro) erstellt. Am 26. November 2008 wurde auf einer Beratungskonferenz beschlossen, das Bahnhofsgebäude seinem Erscheinungsbild von 1925 entsprechend wiederherzustellen. Die Renovierung konnte beginnen.So der Hintergrund der Entwicklung dieses Mehrzweckkulturkom-

plex-Projektes, das in Anlehnung an die Designierung des Bahn-hofs als „Historische Stätte 284“ (Sept. 1981) als „Kulturbahnhof Seoul 284“ bezeichnet wurde.

die Anfänge der koreanischen BahnDie Geschichte der koreanischen Eisenbahn nahm in den letzten Jahren des Joseon Reiches (1392-1910) ihren Anfang, als Japan sich anschickte, die Kontrolle über Joseon an sich zu reißen. Die ersten Bahnhöfe auf der koreanischen Halbinsel entstanden im Zuge der Öffnung der Seoul-Incheon-Bahnlinie Ende der 1890er Jahre, als fortgeschrittene industrielle Technologien und Anlagen aus Europa in großen Mengen in den Fernen Osten gebracht wur-den. Am 18. September 1899 wurde der erste Abschnitt der Seoul-Incheon-Linie in Betrieb genommen; am 8. Juli 1900 fuhr dann der erste Zug über den Fluss Han-gang, nachdem am 5. Juli die

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Hangang-Eisenbahnbrücke fertiggestellt worden war. Die feierli-che Eröffnung der Bahnlinie Seoul-Incheon fand am 12. Novem-ber 1899 auf der Bahnstation Seodaemun statt, die damals noch „Gyeong seong Station“ hieß. Dieser Bahnhof war vor allem für die Ausländer Fläche errichtet worden, die in der Umgebung des Seo-daemun (Westtor) und im Diplomatenviertel Jeong-dong lebten.Am 8. Juli 1900 wurde unter der Brücke Yeomcheon-gyo mitten in einem Reisfeld ein kasernenartiges, einstöckiges Holzgebäude von nur 33 Quadratmeter Fläche errichtet: der Bahnhof Namdaemun (Südtor). Der neue Bahnhof, der nicht weit entfernt von der Bahn-station Seodaemun lag, beherbergte das Büro und das Lokomoti-vendepot des Bahnunternehmens.Auf die endgültige Fertigstellung der Bahnlinie Seoul-Incheon 1900 folgte dann der Erste Spatenstich (1902) und die Einweihung (1906) der Bahnlinie Seoul-Sinuiju sowie die Einweihungszeremonie für die Bahnlinie Seoul-Busan (1905) auf dem Bahnhof Namdaemun.Die Eisenbahnanstalt des japanischen Generalgouverneuramts hatte den Bahnhof Namdaemun Anfang des Jahres 1910 zu einem zweistöckigen Ziegelsteingebäude im westlichen Stil renoviert und am 1. Oktober in „Bahnhof Gyeongseong“ umbenannt. Der Platz vor dem Bahnhof ging als Ort in die Geschichte ein, an dem die gegen die japanischen Besatzer gerichtete Unabhängigkeitsbewe-gung vom 1. März ihren Anfang nahm.Am 3. Oktober 1915 wurde im Palast Gyeongbok-gung ein beson-derer Meilenstein in der Geschichte der koreanischen Bahn gefei-ert: Das Bahnnetz von Joseon umfasste eine Gesamtlänge von 1.000 Li (393km). Die Bahn von Joseon war ab Juli 1917 acht Jahre lang in Besitz der Südmandschurischen Eisenbahn-AG,deren Ver-waltung sie auch unterstand. Erst im April 1925 erhielt das japa-nische Generalgouverneuramt das Eigentumsrecht. Dabei wurde beschlossen, den Bahnhof Gyeongseong für den internationalen Passagier- und Frachtverkehr auszubauen. Zu dieser Zeit, als Japan volle Kontrolle über Joseon übernommen hatte, brauchte es

einen Bahnhof, der hauptsächlich für den privaten, nicht-militäri-schen Fracht- und Passagierverkehr gedacht war. Die neuen Anla-gen des Bahnhofs Gyeongseong sollten in der Nähe der früheren Namdaemun Station gebaut werden.Der neue Bahnhof Gyeongseong wurde im Vergleich zum alten aber nicht nur aus praktischen Erwägungen gebaut: Ihm kam als Kerneinrichtung der Japaner auch die symbolische Funktion zu, die Kolonialherrschaft zu bestätigen und den Charakter der Kolo-nialgesellschaft zu verfestigen. Um Autorität und Größe des japa-nischen Kaiserreichs hervorzuheben, musste man das herunter-gekommene Bahnhofsgebäude, das mehr einem Lagerhaus glich, so schnell wie möglich abreißen. Mit der Fertigstellung des neuen Bahnhofsgebäudes im Jahr 1925 wurde das Gebäude der alten Station Gyeongseong (ehemalige Station Namdaemun), an den Standort des Bahnhofs Norayangjin verlegt.

Bau des Bahnhofs Gyeongseong (Bahnhof seoul)Der neue Bahnhof wurde von Tsukamoto Yasushi (1869-1937),

Arbeiten von Countdown, einem Kunst-projekt zur feierlichen Eröffnung des „Kulturbahnhof Seoul 284“. Zu sehen sind Fremde im Zug (1) von Rho Jae-oon, Transparente Münzen (2) von Che Swann & Rhee Sei, und Zeitkapsel (3) von Jung Yeon-doo. Diese Sonderaus-stellung signalisierte die Transforma-tion des historischen Raums in einen zukunftsgerechten Kulturkomplex.1

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Architekturprofessor an der Tokyo University, entworfen. Er stu-dierte bei Tatsuno Kingo (1854-1919), dem „Vater der Meiji-Archi-tektur“, der auch den Bahnhof Busan (1910) und den Hauptsitz der Koreanischen Nationalbank (1912) konzipierte. Tatsuno ahmte dabei den vorklassischen Stil nach, der allgemein mit dem Briten Richard Norman Shaw (1831-1912) assoziiert wird, einem Archi-

tekten, der für seine viktorianische Architektur gotischen Stils bekannt ist. Tsukamoto hatte den Bahnhof Gyeongseong im Stile des Tokioter Hauptbahnhofs (1914) entworfen, den sein Meister Tatsuno wiederum nach dem Vorbild des Amsterdamer Haupt-bahnhofs (1884) im neuromanischen Stil gebaut hatte. Auch die Central Public Hall in Osaka (1918) und der Hauptbahnhof von Helsinki von Eliel Saarinen (1904-14) hatten Tskuka-moto beim Entwurf des neuen Bahn-hofes beeinflusst. Als Resultat wies der Bahnhof Gyeongseong in seiner

Gestalt und Funktion große Ähnlichkeiten mit europäischen Bahn-höfen auf. In den Zeitungen der Zeit wurde der Stil dieses moder-nen Bahnhofs als „Renaissancestil“ bezeichnet. In Wirklichkeit han-delt es sich jedoch um einen eher eklektizistischen Stil mit deutli-chem Renaissance-Einschlag.Die Bauarbeiten unterstanden der Aufsicht der Bauabteilung der Eisenbahnanstalt des japanischen Generalgouverneuramts. Der neue Bahnhof sollte auf einem Gelände von 231.530 Quadratmetern errichtet werden und eine Gesamt-Bodenfläche von 6.783 Quadrat-metern (Untergeschoss, Erdgeschoss, 1. Stock) aufweisen. Er war damit ein Vorzeigeprojekt der Superlative, das fast an die Größen-ordnung des Tokioter Hauptbahnhofs heranreichte.Laut des historischen Fachzeitschrift Joseon und Architektur hät-ten die am 1. Juni 1922 begonnenen Bauarbeiten im Juli 1924 abge-schlossen sein sollen, die Fertigstellung verzögerte sich jedoch auf Grund des Großen Kanto-Erdbebens (1923) bis zum 30. Septem-ber 1925. Während der sich über 38 Monate hinziehenden Bauar-beiten mussten zudem im Zuge finanzieller Engpässe die Bauplä-ne geändert und auf zwei Drittel der ursprünglichen Größenord-nung zurückgefahren werden. Der 1925 fertig gestellte Bahnhof Gyeong seong wurde zum Tor der koreanischen Halbinsel und zum

Der 1925 fertig gestellte Seouler Hauptbahnhof, der damals, zu Zeiten der japanischen Kolonialherr-

schaft, noch als „Gyeongseong Bahnhof“ bekannt war, wurde als Tor zur koreanischen Halbinsel und

logistischem Instrument der Kolonialherren zu einer zentralen Transitverbindung, die Japan mit dem

asiatischen Festland verband.

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logistischen Instrument der japanischen Kolonialverwaltung. Der neue, am 15. Oktober 1925 eröffnete Bahnhof fungierte gleich der Hauptschlagader des menschlichen Körpers als Kernzentrum des Transports in alle Richtungen der koreanischen Halbinsel. Der Bahnhof Gyeongseong war für die Koreaner der Zeit ein ehr-furchtsgebietendes Bauwerk, während die Japaner prahlten, dass der Bahnhof von Tokio in Asien die Nummer eins sei und der Bahn-hof Gyeongseong nur die Nummer zwei. Die in Joseon lebenden Japaner trugen ein stolzes Lächeln zur Schau, wenn sie sahen, wie am Bahnhof die japanische Nationalflagge im Wind flatterte, wäh-rend der Zug nach Busan bei der Abfahrt sein Horn erklingen ließ und eine schwarze Rauchwolke in die Luft stieß.

kontinentalexpressDer Bahnhof Gyeongseong entwickelte sich zu einem Tor, das Zugang zu China und darüber hinaus dem ganzen asiatischen Kon-tinent bot. In den 1920er Jahren wuchs die Einwohnerzahl des „modernen Gyeongseong“ (Gyeongseong: Name Seouls während der Kolonialherrschaft) auf rund 300.000 und auch das Volumen der Waren, die die japanischen Besatzer über Gyeongseong in die Mandschurei transportierten, nahm zu. Das Zeitalter des internati-onalen Schienenverkehrs, der Japan, Joseon (Korea) und die Man-dschurei verband und von dort bis nach Europa reichte, war ange-brochen. Die japanische Nationalbahn verlief von Tokio bis nach Shimonoseki im Südwesten des Inselreiches, von wo aus man mit der Fähre nach Busan, einer bedeutenden Hafenstadt an der süd-östlichen Küste Koreas, übersetzen konnte. Von Busan aus konnte man dann per Zug über Gyeongseong und Fengtian (heute Shen-yang) bis nach Peking reisen. Von dort gelangte man über Harbin in China oder Chita in Russland via Sibirien bis nach Moskau, und noch weiter westlich bis nach Berlin und Paris. Kern-segment dieses interkontinentalen Streckennetzes war die Schnellzugverbindung zwischen Gyeongseong und der chinesischen Stadt Changchun (1. Dez.

1911 eröffnet), die dann an die Transsibirische Eisenbahn und wich-tige europäische Städte (10. Juni 1913) sowie an die Südmandschu-rische Linie, Peking und Tianjin angebunden wurde (17. Sept. 1913).Zehn Jahre nach der Eröffnung des Bahnhofs Gyeongseong war das Passagier- und Gütertransportaufkommen so stark gestiegen, dass ein Plan zum Ausbau erstellt wurden musste. 1935 wurden die ersten Ausbaumaßnahmen in Angriff genommen. Am 1. Januar 1937 fuhr der erste Güterzug über die Sowjetunion nach Deutsch-land und Polen. Am 1. November 1939 nahm der Kontinentalex-press zwischen Gyeongseong und Peking den Betrieb auf.

ein moderner ortDer Bahnhof Gyeongseong bestand aus der Säulenhalle im Erdge-schoss, die als Wartehalle diente, sowie einer VIP Lounge und dem Restaurant The Grill im ersten Stock. Im Untergeschoss, das direkt mit den Bahnsteigen verbunden war, waren die Räumlichkeiten des Bahnpersonals untergebracht. Die Struktur des Bahnhofs erklärt sich daraus, dass es kein Endbahnhof wie der alte Busaner Bahnhof oder der Bahnhof Roma Termini (entworfen von Eugenio Montuori, 1950) war, sondern ein Transitbahnhof. Der Warteraum wurde auch wie eine Hotellobby als Ort für Treffen genutzt.Die Außenwände aus roten Ziegelsteinen sind im gotischen Stil gehalten, während Türen und Fenster mit klassischen Details aus-gestaltet sind. Die Fassade mit ihren horizontal und vertikal ange-ordneten weißen Granitsteinen macht einen rhythmischen Ein-druck. Die Dachkuppel im Neo-Barockstil verleiht dem Bauwerk zusätzlich klassisch-prachtvolle Magnifizenz.Das Dach der Wartehalle, des Zentrums des Bahnhofs, hat eine

1. Die Pendentifkuppel im byzantinischen Stil mit den vier Bogenfenstern darunter.2. Glasmalerei an der Decke der Haupthalle.3. Die Uhr über dem Haupteingang des Gebäudes.4. Die Haupthalle. Zwischen den Säulen ist Lee Buls Der heimliche Beteiligte, ein Exponat des Countdown- Projekts, zu sehen.

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Pendentifkuppel im byzantinischen Stil, wobei durch die zwischen den Pendentif-Gewöl-beflächen eingesetzten vier Bogenfenster Sonnenlicht auf die Granitfliesen der Wartehalle fällt. Die kleinen, runden Laternentürme mit den Blitzableitern, die sich außen auf beiden Seiten der Kuppel befinden, erhöhen die architektonische Feinheit der Struktur.Die große Uhr über dem Haupteingang wurde „Das Postpferd“ genannt, wahrscheinlich in Erinnerung an die Postpferde der Joseon-Zeit, die damals als Hauptmittel der schnel-len Kommunikation die Post beförderten. Die gewölbte Struktur über der Uhr, die wie ein Bogen geschwungen ist, verleiht dem Gesamtbauwerk einen orientalischen Charakter. Alles in allem ist es ein Gebäude, das, egal von welcher Richtung oder aus welchem Winkel man es betrachtet, eine elegante Ausgewogenheit ausstrahlt.Der Bahnhof Gyeongseong war zu seinen Glanzzeiten auch ein beliebter Treffpunkt junger Intellektueller:

„Trotzdem bin ich doch noch zum Bahnhof Gyeongseong gegangen. ... Eine Tasse Kaffee ... Genau das Richtige. Aber gerade, als ich meinen Fuß in die Bahnhofshalle setzte, merkte ich, dass ich kein Geld hatte.“ (Die Flügel von Yi Sang)

Die Gaststube, die der Architekt und zugleich Schriftsteller Yi Sang aus Geldmangel nicht besuchen konnte, war das Restaurant und Kaffeehaus The Grill in der ersten Etage, das heute als Ausstellungsraum genutzt wird.

1947: umbenennung in „Bahnhof seoul“Nach der Befreiung Koreas von der japanischen Kolonialherrschaft am 15. August 1945 erklärte die US-amerikanische Militärregierung, dass alle privat betriebenen Eisenbahnli-nien und damit verbundenen Unternehmen im Süden der koreanischen Halbinsel in staatli-che Hand überführt würden. Im Kontext dieser Anordnung wurde am 1. November 1947 aus dem „Bahnhof Gyeongseong“ der „Bahnhof Seoul“. Mit der Gründung der Republik Korea im Jahr 1948 wurde der Bahnhof Seoul dann dem Ministerium für Verkehr unterstellt.Während des Koreakrieges (1950-1953) wurde der Bahnhof teilweise stark beschädigt. Am 25. Juni 1950 griffen Yak-Maschinen der sowjetischen Luftwaffe im Rahmen der nordko-reanischen Aggression die Hauptstadt Seoul an. Der Bahnhof und seine Umgebung wur-den zum Schlachtfeld. Bahnhofsgebäude und Bahnsteige wurden zum Teil zerstört, dar-unter auch die Glasmalerei mit dem Wappen des japanischen Kaisers auf der Rotunde des Gebäudes, die das einfallende Sonnenlicht bunt gefärbt hatte. Nach Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens wurde eine neue Glasmalerei mit Taegeuk-Design (Yin-Yang-Kreis auf der koreanischen Nationalflagge) und Roseneibisch-Blüte (Nationalblume Koreas) eingesetzt. Während der jüngsten Renovierungsarbeiten wurde die Glasmalerei durch eine neue ersetzt.Bahnhöfe sind immer voll von Reisenden, insbesondere zu den hohen Feiertagen wie Neu-jahr nach Lunarkalender. Es gibt keinen Ort, der so erfüllt ist von der freudigen Erwartung einer Reise oder der Trauer des Abschiednehmens. Daher heißt es, dass ein Bahnhof mehr ist als ein Ort, der praktische Verkehrsverbindungen anbietet. Es ist vielmehr ein Ort, der Erinnerungen weckt und alte Geschichten lebendig werden lässt, wobei es egal ist, ob sich der Bahnhof in einer dynamischen Großstadt oder in einem verschlafenen Nest befindet.Es war das Schicksal des Bahnhofs Seoul, Leid zu erfahren. Denn die Geschichte des Bahnhofs begann während der japanischen Kolonialherrschaft und setzte sich im Mal-strom des Krieges fort. Es ist zu hoffen, dass er am Tage der Wiedervereinigung auf der koreanischen Halbinsel seine ursprüngliche Rolle als Transitbahnhof wiedergewinnt und der Bahnverkehr zwischen Seoul und Pjöngjang, dessen Bahnhof übrigens dem von St. Petersburg (früher: Leningrader Bahnhof) ähnelt, wieder belebt wird.

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„Eines Tages wurde mir schlagartig bewusst, dass ich eigentlich nicht wusste, was Kunst ist.“

Bildhauer Choi Jong-taeEnde 2011 wurde eine Großausstellung des Bildhauer-Veteranen Choi Jong-tae veranstaltet. Trotz seines hohen Alters

von 80 Jahren stellte der Künstler als Ergebnis seiner unerschöpflichen Leidenschaft für kreatives Schaffen rund

60 Werke aus, darunter bemalte Holzskulpturen, Bronzestücke sowie Aquarell- und Pastellmalereien. Choi Tae-man Kunstkritiker, Professor, Kookmin University | Fotos: Ahn Hong-beom

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Choi Jong-tae ist ein renommierter Bildhauer und Maler, der seit seiner ersten Soloaus-stellung im Jahre 1964 über 20 Einzelausstellungen im In- und Ausland veranstaltete.

Darüber hinaus ist er aber auch ein Schriftsteller, der zusammen mit seinem ersten Buch Künstler und Geschichtsbewusstsein (1986) insgesamt 13 Essaysammlungen veröffentlichte. Auch nach seiner Emeritierung als Professor der Seoul National University verfasst Choi wei-terhin Essays über Bildhauerei und Malerei, aber auch über seine Theorien und Anschauun-gen in Bezug auf Kunst, Welt oder Religion.Auch an dem Tag Anfang Januar, als ich ihn besuchte, war er dabei, in einer Ecke des Wohn-zimmers, die als Studio diente, mit Papier, Tusche und Wasserfarben zu malen. Selbst heute noch verbringt er seinen Tag fast ausschließlich damit, Bücher zu lesen und zu meditieren, mit Tusche oder Pastellfarben zu malen oder Skulpturen zu schaffen.

Malen mit GrundfarbenChoi Tae-man: Es ist erst knapp einen Monat her, dass Sie eine große Ausstellung hatten, aber Sie sind schon wieder bei der Arbeit. Brauchen Sie denn keine Erholung?Choi Jong-tae: Wenn ich morgens aufstehe, fange ich an zu malen. Es ist eine Gewohnheit. Die Zeit, in der ich an einer Skulptur arbeite oder ein Bild male, ist für mich eine Zeit der Meditation und Selbst-reflexion. Das heißt, ich unterscheide nicht zwischen Arbeit und Erholung. Ich erhole mich bei meiner Arbeit.Choi Tae-man: Unter den Werken, die Sie vor kurzem bei der Soloausstellung im Gana Art Center in Seoul und bei zwei Einzelausstellungen in Daegu - einmal im Suseong Artpia und einmal in der DEBEC Plaza Gallery - präsentiert haben, sind vor allem die bemalten Holzskulpturen ins Auge gefal-len. Normalerweise ist man ja bestrebt, die natürliche Farbe und Beschaffenheit des Materials her-vorzuheben und vermeidet daher das Bemalen bzw. bringt die Farbe möglichst dünn an. Aber Ihre Holzarbeiten waren mit kräftigen Grundfarben bemalt.Choi Jong-tae: Lassen Sie mich mit dem Malen beginnen. Ich male nicht nur mit Tusche, son-dern auch mit Pastellfarben oder Markerstiften. Außerdem verwende ich meist reine Grundfar-ben. Mischfarben vermeide ich möglichst, da die Ursprungsfarben durch das Mischen stark an Lebendigkeit verlieren. Was Skulpturen angeht, habe ich bislang keine Farben aufgetragen, da

ich der Ansicht war, dass die natürliche Beschaffenheit der Materialien erhalten bleiben sollte, sei es Holz bei Holzskulpturen, Lehm bei Ter-rakotten oder Stein bei Steinskulpturen. Bei der Arbeit mit Holz habe ich erfahren, dass es nicht immer einfach ist, gutes Holz zu besorgen. Holz ist ja ein Material, das einmal ein lebendiger Organismus war und daher

sehr empfindlich auf Umwelteinflüsse reagiert, selbst wenn es noch so sorgfältig getrocknet wurde. Statt die Holzoberfläche so zu zeigen, wie sie ist, also auch mit

Mängeln, habe ich sie bemalt. Dahinter stand der Gedanke, dass die Farben die Lebendig-keit, die das Holz verloren hatte, wieder zur Geltung bringen könnten.Choi Tae-man: Beim Besuch Ihrer Ausstellung im Gana Art Center ist mir bei unserer Unterhaltung im Café des Centers aufgefallen, dass Ihre Werke genau die Farben auf-weisen wie die Skulptur eines Kindes aus der Joseon-Zeit, die in einem Schaukasten aus-gestellt war. Verwenden Sie gerne starke Farben, weil Sie von den traditionellen Grund-farben Koreas (gelb, blau, weiß, rot und schwarz) oder von Dancheong (farbige Blumen- und Arabeskenmuster der traditionellen koreanischen Architektur) inspiriert wurden?

Choi Jong-tae: Da könnte auch etwas dran sein. Denn der erste Maler, den ich bei meinem Eintritt ins College der Schönen Künste an der Seoul National Universi-ty traf, war Professor Chang Uc-chin. Seine Werke ähneln denen der traditionellen Volksmalerei Minhwa. Großen Einfluss auf mich hatte auch Professor Kim Chong-yung, ein Bildhauer von solch großer Selbstbeherrschung und Disziplin wie die alten Gelehrten aus der Joseon-Zeit. Er verwendete zwar Farben, aber nur mit größter

1. Der Bildhauer Choi Jong-tae hat im Laufe seiner Karriere zahlreiche Abbildungen von Mädchen geschaffen.2. Gebet (2009), 29 x 26 x 87 cm, Farbe auf Holz.3. Engel (2009), 27 x 18 x 73 cm, Farbe auf Holz.

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„Ich weiß selbst, dass die von mir, einem Katholiken, gefertigte

Skulptur des Avalokiteshvara-Bodhisattva je nach religiöser Aus-

richtung des Betrachters unterschiedlich interpretiert wird. Kurz

gesagt ähnelt dieser Bodhisattva der Barmherzigkeit der Gottes-

mutter Maria.“

Zurückhaltung. Meine Farben stammen jedoch eigentlich aus einem völlig anderen Kontext. Die Erklä-rung für meine Farbgebung habe ich in einem Buch gefunden, das ich aus reinem Zufall las, als ich an der Bemalung einer Holzarbeit arbeitete. Die Lektüre brachte mich darauf, dass die Farben, die ich bevorzuge, wie violett, dunkelrot und blau, und die ich entsprechend häufig verwende, einen bestimmten religiösen und symbolischen Gehalt haben. Ich habe diese Farben aber nicht bewusst verwendet. Ich bin wohl von meiner Religion beeinflusst worden. Es sind nämlich die Farben, die in der katholischen Liturgie zu finden sind.

Mädchen-skulpturen und buddhistische statuenChoi Tae-man: Unter Ihren Werken finden sich oft Darstellungen eines Mädchens, das, das Kinn auf die Hand gestützt, tief in Gedanken versunken ist. Diese Werke erinnern an koreanische buddhistische Statuen, vor allem an die Bangasayusang Statue (Goldbronzener Maitreya in Meditation, Nationalschatz).Choi Jong-tae: Während meines Bildhauereistudiums habe ich mich auch einmal mit den buddhistischen Schriften beschäftigt. Das war direkt nach dem Koreakrieg, einer bedrückenden Zeit voller Fragen und Zweifel. Ich dachte, vielleicht Antworten in der Religion finden zu können. Gegen Ende der Sommerferien im dritten Jahr an der Universität bot der Tempel Daegak-sa vor dem Palast Changdeok-gung hier in Seoul ein Seminar über buddhistische Schriften an. Vier Monate lang lernte ich fleißig die Herz-Sutra und die Dia-mant-Sutra.Choi Tae-man: Die Avalokiteshvara-Statue im Tempel Gilsang-sa im Seouler Stadtviertel Seongbuk-dong stammt von Ihnen, nicht wahr?Choi Jong-tae: Ja. Ich hatte damals schon seit langem den Wunsch gehabt, eine Statue des Avalokitesh-vara, des Bodhissattva der Barmherzigkeit und des Mitgefühls, zu schaffen, aber es gab lange keine Gele-genheit dazu. Gegen meinen 50. Geburtstag habe ich angefangen, Werke für die katholische Kirche her-zustellen. Da Jesus und die Gottesmutter Maria zu den Hauptmotiven meiner Arbeit gehörten, lernte ich auch viele Priester kennen. Ich war dann sogar fast zehn Jahre lang Vertreter des Vereins der katholischen Künstler in Seoul, was mir auch oft die Gelegenheit gab, Stephen Kardinal Kim Sou-hwan zu treffen. Eines Tages habe ich ihn gefragt: „Werde ich exkommuniziert, wenn ich eine Avalokiteshvara-Statue herstelle?“

1. Der Steinerne Avalokiteshvara Bodhisattva (2009) im Tempel Gilsang-sa in Seongbuk-dong, Seoul. (Foto: Ahn Hong-beom)2. Madonna mit Kind (2008), 22.5 x 30.3 x 118.8 cm, Farbe auf Holz.3. Eine nachdenkliche Frau (2009), 30 x 43 x 68 cm, Marmor.

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Er lächelte freundlich und versicherte mir, dass das nicht geschehen werde. Eines Tages ergab sich dann tatsächlich die Gelegenheit, eine buddhistische Statue zu fertigen. Ich traf nämlich den Ehrwürdigen Mönch Beopjeong und im Jahr 2000 wurde mein Avalokitesh-vara-Bodhisattva im Tempel Gilsang-sa aufgestellt. Ich weiß selbst, dass diese von mir, einem Katholiken, gefertigte buddhistische Skulptur je nach religiöser Ausrichtung des Betrachters unterschiedlich interpretiert wird. Kurz gesagt ähnelt dieser Bodhisattva der Barmherzigkeit der Gottesmutter Maria. Der Ehrwürdige Mönch Beopjeong, der wuss-te, dass es kontroverse Meinungen über die Statue gab, ließ daher in den Sockel folgende Erklärung eingravieren:„Diese Skulptur des Bodhisattva Avalokiteshvara wurde durch den schicksalhaften Zusam-menklang des Willens dieses Tempels und des künstlerischen Geistes des Bildhauers hier an diesem Ort der Selbstfindung und Meditation gefertigt. Jeder, der sie betrachtet, möge durch den Beistand des barmherzigen Bodhisattva Avalokiteshvara von Schmerzen und Unglück befreit werden. Gelobt sei der Bodhisattva Avalokiteshvara.”Daraus lässt sich die freundliche Rücksichtnahme des Ehrwürdigen Mönchen Beopjeong gegenüber meinem katholischen Glauben ersehen. Er hat auch bei der Zeremonie, bei der

1. Tusche und Wasserfarbe auf Papier (2009), 39 x 27.5 cm.2. Gesicht der Ehre (2009), 28.5 x 31 x 63.5 cm, Farbe auf Holz.

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der Statue durch die Vollendung der Augen Lebendigkeit verliehen wird, vor vielen bud-dhistischen Gläubigen betont, dass der Avalokiteshvara und die Heilige Gottesmutter Maria identische Werte symbolisieren. Auch Bischof Jang Ik, der durch einen Zeitungsartikel davon erfuhr, rief mich an und lobte mich für das gute Werk, das ich getan hätte.Choi Tae-man: Warum schaffen Sie so viele Figuren von Frauen bzw. Mädchen und das über einen so langen Zeitraum?Choi Jong-tae: Diese Frage haben mir schon viele gestellt, aber ich weiß selbst nicht, warum. Ich habe mein Leben lang Skulpturen von Mädchen gefertigt. Dahinter stand jedoch nie eine besondere Absicht, weshalb es schwer zu erklären ist. Ich kann nur sagen, dass mir nie ein Mädchen Modell gestanden hat. Auch beim Malen setze ich keine Model-le ein. Die Mädchengestalt hat sich einfach so aus meiner Vorstellung entwickelt. Daher stimmt es wohl, zu sagen, dass die Mädchen in meinen Werken die Verkörperung eines bestimmten Ideals oder einer bestimmten Sehnsucht sind. Die Sehnsucht nach einer ein-fachen und reinen Welt ohne negative Dinge wie Gewalt findet sich vielleicht in den Mäd-chenfiguren. Was wäre dann die ultimative Form dessen, nach dem ich strebe? Ja, es ist die Liebe. Deshalb habe ich mich auch für Das ewig Mütterliche (Eternal Maternal) als Titel dieser Ausstellung entschieden.

die suche nach der „koreanischen Form“Choi Tae-man: Der von Ihnen hoch verehrte Lehrer Kim Chong-yung (1915-1982) war ein Bildhauermeister, der als Pionier der abstrakten Bildhauerei Koreas gilt. Haben Sie nie daran gedacht, sich mit abstrakten Werken zu versuchen?Choi Jong-tae: Natürlich habe ich mich auch kurze Zeit für abstrakte Bildhauerei interessiert. Aber ich merkte bald, dass das nichts für mich ist und habe die abstrakte Kunst recht schnell und ohne Bedauern aufgegeben. So um das Jahr 1965 fasste ich den großen Entschluss, typisch koreani-sche Formen zu schaffen. Seitdem, kann man sagen, erschienen die typischen Werke des Bildhauers Choi Jong-tae. Zehn Jahre danach, als ich in die Vierziger kam, konnte ich mich gänzlich vom Einfluss meines Lehrers Kim Chong-yung frei machen. Natürlich war es für mich ein großes Glück, einen so guten Lehr-meister gehabt zu haben, entsprechend schwer war es aber auch, aus seinem Schatten herauszutreten.Choi Tae-man: Könnten Sie das etwas konkretisieren?Choi Jong-tae: Ich hatte großes Interesse an der traditionellen Volksmalerei Minhwa, am Volkshandwerk, am Kunsthandwerk wie Keramik, an der traditionellen Architektur, Bildhauerei sowie Malerei und Kalligra-phie. Ich habe aber auch moderne Kunst, also westliche Kunst, studiert. Aber dann konnte ich feststellen, dass die buddhistischen Statuen Koreas eine besondere Art der Schönheit aufweisen, wie man sie in den Skulpturen des Westens nicht finden kann. Um meinen eigenen Weg zu finden, habe ich mir wirklich unzäh-lige Kunstwerke aus der ganzen Welt angeschaut: Angefangen bei Skulpturen aus den Kulturen des Alten Orients wie Ägypten oder Assyrien über Werke aus Griechenland, Werke der Renaissance, aber auch Werke von Constantin Brâncusi und Alberto Giacometti, bis hin zu chinesischen Keramikfiguren und den Figuren in der Seokguram-Grotte in Gyeongju. Nach langem Überlegen wurde mir dann allmählich klar, welche Form ich letztendlich in meinen Arbeiten realisieren will. 1971 habe ich alleine eine Weltreise gemacht und bin gleich nach meiner Rückkehr ins Koreanische Nationalmuseum und zur Seokguram-Grotte gefahren. Da konnte ich feststellen, dass sich die Erkenntnis, die sich durch die Erfahrungen der Reise in mir heraus-gebildet hatte, nicht falsch war. Danach konzentrierte ich mich darauf, meinen eigenen, originären Stil zu entwickeln, anstatt westliche Vorbilder nachzuahmen. Eines Tages wurde mir schlagartig bewusst, dass ich eigentlich nicht wusste, was Kunst ist. Ich war total schockiert. Aber ich empfand zugleich tiefe Gelas-senheit. Es gibt nichts Wertvolleres als zu begreifen, was man nicht weiß. Ich arbeite immer noch, aber ich habe nie beabsichtigt, durch meine Werke bestimmte Botschaften zu vermitteln oder jemanden von meinen Ideen zu überzeugen. Mein Leben besteht einfach darin, jeden Tag fleißig an meinen Werken zu arbeiten, und ich vergesse keinen einzigen Moment, dass gerade auf diese Weise die grundlegendsten Werte und Ziele im Leben erreicht werden.

Zwei Menschen (2010), 37 x 15 x 56 cm, Farbe auf Holz.

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NeuerscheiNuNgAls erstes Produkt des sich über zehn Jahre erstreckenden Projekts „Kore-

anische Musik“ hat Radio Frankreich eine CD mit Aufnahmen von Jongmyo

Jeryeak herausgegeben, der Ritualmusik zur Begleitung der aufwändigen

Zeremonien, die am Jongmyo, dem königlichen Ahnenschrein des Joseon-

Reiches (1392-1910) in Seoul, aufgeführt wurden.

„Es klingt wie edle, hochkultivierte Musik, manchmal etwas hieratisch und

immer voller Würde. Es freut mich, dass wir die Zusam-

menarbeit auf solch hohem musikalischen Niveau begin-

nen“, kommentierte einer der Produzenten von Radio

Frankreich.

Seit den 1960er Jahren ist Radio Frankreich bestrebt,

unter der Marke Ocora die traditionelle Musik aller Län-

der der Erde vorzustellen, darunter auch die der Länder

Afrikas und Asiens. Geplant ist, über einen Zeitraum von

zehn Jahren jährlich ein oder zwei Aufnahmen mit tradi-

tioneller koreanischer Musik zu veröffentlichen. Die CD

Jongmyo Jeryeak wird seit Oktober 2011 von dem franzö-

sischen Plattenlabel Harmonia Mundi vertrieben.

Jongmyo jeryeak ist eine Kombination von Vokal- und

2011 ging der Daesan Literary Award for Translation, ein prestigereicher

koreanischer Preis für Übersetzungen, an Heidi Kang für Schwertgesang,

die deutschsprachige Ausgabe von Kim Hoons Roman Karui norae. Als

Ko-Übersetzerin war die talentierte Ahn So-hyun beteiligt. Heidi Kangs

lange Liste der Übersetzungen, darunter einige, die mit verschiedenen

Preisen ausgezeichnet wurden, macht sie zu einem der bedeutendsten

Kulturvermittler im Bereich der koreanischen Literatur, die immer noch

zu wenig in der Welt bekannt ist.

Wenn die Übersetzung von Sachtexten schon eine Herausforderung ist,

dann ist die Übersetzung von Literatur eine Kunst für sich, denn Fehler

Deutsche Ausgabe der Schlachtfeld-Erzählung eines Admirals

SchwertgesangVon Kim Hoon; übersetzt von Ahn So-hyun und Heidi Kang,

Stuttgart: Edition Delta, 196 Seiten, €17.50

und falsch verstandene Stellen in der Übersetzung eines politischen oder

wirtschaftlichen Textes sind aufgrund des Kontextes einfacher zu entde-

cken. Im Gegensatz dazu kann die falsche Übersetzung eines literarischen

Textes eine Katastrophe bedeuten. Die meisten Leser können nicht beur-

teilen, ob die Übersetzung unzulänglich oder das Original von geringem

Niveau ist, wobei sich die Unzufriedenheit eher auf den Autor als auf den

Übersetzer richten wird. Eine solch herausragende Übersetzung wie die

von Heidi Kang und Ahn So-hyun ist daher wirklich ein Glücksfall!

Schwertgesang wurde bei seiner Veröffentlichung 2001 sofort ein Bestsel-

ler und mit dem Dongin Literaturpreis ausgezeichnet. Das Werk wurde ins

Spanische (2005) und Französische (2006) übersetzt, eine Übersetzung ins

Englische ist derzeit in Arbeit. Die deutsche Fassung erschien 2008.

Yi Sun-sin, die Hauptfigur des Romans, gilt als der Admiral, dessen strate-

gischer und taktischer Kriegsführung es zu verdanken ist, dass die japani-

sche Imjinwaeran-Invasion (1592-1598) zurückgeschlagen werden konnte.

Yis Rolle in diesem Krieg war zwar immer schon bekannt, aber zu seiner

Zeit wurde er auf Grund der politischen Intrigen nur als einer von meh-

Instrumentalmusik sowie Tanz, die traditionell während der Ahnenriten

am Jongmyo-Ahnenschrein aufgeführt wurden. Der Königsschrein wurde

1995 in die UNESCO-Liste des Welterbes aufgenommen. Die feierliche

und majestätische Ritualmusik gehört zu den Kulturschätzen Koreas. 1964

wurde sie nach Inkrafttreten des Gesetzes zum Erhalt des nationalen Kul-

turerbes zum Immateriellen Kulturgut Nr. 1 designiert. 2001 listete die

UNESCO Jongmyo jeryeak als ein „Meisterwerk des mündlichen und imma-

teriellen Erbes der Menschheit“.

Die CD enthält alle 27 Musikstücke, die die Zeremonien begleiten: 11 aus

der Botaepyeong-Suite, in der die Tugend der Gelehrsamkeit der Köni-

ge besungen wird; weitere 11 aus der Jeongdae-eop-Suite zum Lobe der

militärischen Heldentaten der Könige; dann die 3 Eröffnungsstücke, mit

denen die Geister der Könige willkommen geheißen werden, darunter das

Yeongsin Huimun; schließlich die beiden Schlussstücke

Cheolbyeondu und Songsin zur Verabschiedung der Geis-

ter. Radio Frankreich schloss das Audio-Mastering im

November 2010 ab. Zugrunde lagen Tonaufnahmen von

einem Konzert, das 2003 von Altmeistern des Hofmusi-

korchesters im Nationalen Gugak-Center in Seoul gege-

ben wurde.

Die traditionellen Riten und die Musik kann man einmal

im Jahr live erleben, wenn sie am ersten Maisonntag von

Nachfahren der Yi-Dynastie von Joseon am Jongmyo-

Schrein aufgeführt werden.

Jongmyo Jeryeak Ritualmusik für die Vorfahren der Könige

Jongmyo JeryeakOcora Radio France, 65:04, €16.99 ($18.96)

54 Korean ische Ku l tu r und Kuns t

Page 55: KOREANA - Spring 2012 (German)

Blogs von Ausländern, die sich in die koreanische Küche verliebt haben,

erfreuen sich derzeit großer Popularität.

Einer der bekanntesten Blogs ist ZenKimchi.com. Der Blog bringt Rezepte

für Poktan-bap (Bomben-Reis; Streifen von geröstetem Purpurtang und die

Schärfe machen das Gericht zu einer optischen und kulinarischen Bombe),

der im Hagwon-Viertel (Hagwon: privates Lerninstitut) von Noryangjin im

Südwesten Seouls angeboten wird, Nurungji-Snacks (Nurungji: leicht ange-

brannter Reis) oder Rabokki (Ddeokbokki-Reiskuchenwürste in scharfer

Soße mit Ramen-Nudeln). McPherson, Herausgeber von 10 Magazine, eines

Magazins für ausländische Mitbürger in Korea, thematisiert das Leben in

Korea in beredter Art und Weise anhand des Essens, wobei er die gesell-

schaftliche Bedeutung und den geschichtlichen Hintergrund einzelner kore-

anischer Gerichte beleuchtet. Bei Boribap (gekochte Gerste, die früher als

Reisersatz gegessen wurde) erzählt er über das Leben auf dem Lande, bei

Budae jjigae (Armee-Eintopf mit Dosenfleisch, Bohnen, Nudeln u.ä.) über

den Koreakrieg, bei Haejangguk (dicke Ochsenknochensuppe mit Ochsen-

blut; beliebtes Katergericht) über das Nachtleben und den Kampf um die

Demokratie. McPherson selbst mag Cheonggukjang (Eintopf mit schnell

fermentierter „Schimmel“-Sojabohnenpaste) mit ihrem charakteristischen

Geruch. Gedämpfte Gerste und Bindaeddeok (Mungobohnen-Pfannkuchen)

mit Dongdongju (klarer, destillierter Reiswein) sind weitere Favoriten.

Der Blog fatmanseoul.com wird von Jennifer Flinn, einer Kulturanthropo-

von heute, die nicht mehr bereit sind, blind heldenhafte Rollenvorbilder zu

akzeptieren, sehen in diesem Werk ihre eigene komplexe Psyche in einem

Individuum manifestiert, das von tosenden Konflikten zerrissen ist, einem

Mann, der das Beste aus seinem Schicksal zu machen versucht. Diese

Darstellung des modernen Menschen im Spiegel einer historischen Figur

spricht nicht nur koreanische Leser an, sondern Liebhaber anspruchsvol-

ler Literatur weltweit.

Der Roman ist ein Stück meisterhafte Literatur mit einer exquisiten Har-

monie von Thema und Stil. Erzählt in der ersten Person und in kurzen Sät-

zen gehalten, erforscht er oft widersprüchliche Konzepte und stellt einer

wild-rohen Ausdrucksweise eine lyrische gegenüber. Abrupte kontextuale

Sprünge in Stimmung und Gefühl, lebendige Landschaftsbeschreibungen

und eine unverblümte Darstellung der Schrecken und Unmenschlich-

keit von Krieg und Intrigen sorgen für ein fesselndes Leseerlebnis. Es ist

wahrlich eine großartige Übersetzung

eines großartigen Originals!

login, betrieben. In ihren Einträgen kommen Kultur und Traditionen Koreas

lebendig zum Ausdruck. Die Fotos und ihr lakonischer Schreibstil erinnern

an die Lektüre eines Buches über Kulturkritik. Ihr Blog zeigt u.a. überdi-

mensionale Bindaeddeok vom Markt Gwangjang-sijang und Makgeolli (trü-

ber Reiswein), der auf dem Markt Pungmul-sijang für nur 1.000 Won zu

haben ist. Ebenfalls zu sehen: appetitanregende Fotos von überreifem Kim-

chi auf frisch gekochtem Reis in einem kleinen Restaurant in einer Hinter-

gasse von Samcheong-dong und ein Rezept für Yukhoe, ein Tartar-Gericht.

seouleats.com ist der Blog von Daniel Gray, einem ethnischen Koreaner,

der im Alter von fünf Jahren von einer amerikanischen Familie adoptiert

wurde. Weil er den Geschmack von Oi naengchae, Gurkenstreifen in süß-

saurer Soße, die seine leibliche Mutter zubereitet hatte, nicht vergessen

konnte, kam er nach Korea zurück. Jetzt ist er von der koreanischen Küche

fasziniert. Er bietet Touristen und in Korea lebenden Expats kulinarische

Führungen an, die bei den Snacks an den Imbissständen am Straßenrand

beginnen. Weiter geht es dann mit einem Überblick über auf gegrilltes

Kronfleisch vom Schwein spezialisierte Restaurants bis hin zu Makgeolli

und Pajeon (Lauch-Pfannkuchen). Grays Artikel über koreanische Gerich-

te sind detailliert, informativ und reich bebildert. Sein Blog enthält appetit-

anregende Fotos von in Lehm gegrillter Ente, serviert mit leicht gefrore-

nem Dongchimi (junger Rettich, in reichlich Salzwasser eingelegt), sauer

eingelegten Rettichstreifen und Schnittlauchsalat. Die knusprige Ente ist

mit glänzend schwarzem Reis und Klebreis, Ginseng und verschiedenen

Heilkräutern gefüllt. Nach dem Hauptgericht wird Janchi guksu (dünne

Festmahl-Nudeln in klarer Brühe) serviert. Alleine schon die Fotos sind ein

Schmaus für sich.

reren Helden anerkannt. Die Tatsache,

dass er die entscheidende Rolle für die

Rettung des Landes gespielt hatte, fand

während der japanischen Kolonialherr-

schaft (1910-1945) erstmals Anerken-

nung. Nach der Befreiung 1945 wurde

er, insbesondere unter dem autoritären

Regime des ehemaligen Generals Park

Chung-hee, als Nationalheld geehrt.

Dieser Hintergrund ist es, der den Inhalt

von Schwertgesang für das Korea von

heute so bedeutend macht. Der gesellschaftliche Wandel hat eine Atmo-

sphäre geschaffen, in der kein Platz mehr für sakrosankte Heldenfiguren

ohne Fehl und Tadel ist. Yi Sun-sin wird daher als ein normaler Mensch

porträtiert, dessen Leben voller Widersprüchlichkeiten und unbeständi-

gen Gefühlen ist, d.h. Momente poetischer Schönheit, Liebe und Kontem-

plation überlappen sich mit Brutalität, Hass und Schläue. Die Koreaner

Englische Blogs und Cyber-Ratgeber für die koreanische Küche

ZenKimchi.com; fatmanseoul.com; seouleats.com

Werner Sasse Maler und Koreanist Kim Hak-soon Journalist Lee Yong-shik Professor, Chonnam National University

55Koreana ı F rüh jahr 2012

Page 56: KOREANA - Spring 2012 (German)

blick aus der ferne

Vor knapp zehn Jahren führte mich mein Weg zum ersten Mal nach Seoul, in die Hauptstadt von Südko-rea. Ein Austauschprogramm der Hamburger Universität, an der ich Koreanistik studierte, hatte mir

diesen knapp sechs Monate dauernden Aufenthalt ermöglicht. Dadurch war für mich ein lang gehegter Traum in Erfüllung gegangen, verband mich doch schon seit meiner Jugendzeit ein unergründliches Inter-esse mit Asien im Allgemeinen und Korea im Speziellen, so dass ich es kaum abwarten konnte, selber ein-mal einen Fuß in dieses ferne und geheimnisvolle Land zu setzen.Vor Ort war selbstverständlich erst einmal alles aufregend, schließlich gab es so viel zu entdecken, die Sprache zu lernen, die vielen Köstlichkeiten der koreanischen Küche zu probieren und neue Freundschaf-ten zu schließen. Das ganze Leben in Korea gestaltete sich so anders als das in Deutschland. Aber eine Sache, die besonders großen Eindruck auf mich machte, war die Freundlichkeit der Menschen. Und diese machte sich ganz besonders bemerkbar, wenn es um den Kundenservice ging. Betritt man z.B. ein beliebiges Restaurant, wird man stets mit einem „Herzlich willkommen“ begrüßt. Ein Angestellter geleitet einen zum Platz und serviert wenig später Wasser. Eine Selbstverständlichkeit in Korea, die natürlich kostenlos ist. Aber auch, wenn man einen Tee bestellt, wird man oftmals mit einem freundlichen Lächeln darauf aufmerksam gemacht, dass man gerne so oft man möchte, heißes Wasser nachbestellen kann, ohne Aufpreis. Es geht alles so schnell und reibungslos, dass es mir anfangs regel-recht schwer fiel, mit dem schnellen Rhythmus der Koreaner Schritt zu halten. Denn kaum hatte man Platz genommen und das obligatorische Wasser war serviert, stand schon der erste Kellner neben einem, um die Bestellung aufzunehmen. In Deutschland ticken die Uhren doch ein wenig langsamer und gemächlicher. Dort will die Speisekarte erst gründlich studiert sein, bevor man dann seine Wahl trifft und es ans Bestellen gehen kann. Eine weitere Sache, die mich damals und bei meinen weiteren Koreabesuchen immer wieder tief beein-druckte, war, mit welcher Selbstverständlichkeit und Unkompliziertheit der Lieferservice in Korea genutzt wird. Natürlich bieten auch in Deutschland viele Restaurants oder Läden einen solchen Service an, doch in Korea lässt sich in diesem Zusammenhang von einem regelrechten Lieferservice-Paradies sprechen. Man kann sich quasi alles liefern lassen: vom einfachen Hamburger bis zu den gerade im Supermarkt getätigten Einkäufen, und auch hier entstehen in der Regel keine zusätzliche Kosten für den Kunden. Selbst der ent-legenste Ort stellt für die Lieferanten, die oftmals auf kleinen Motorrollern unterwegs sind und durch ihre halsbrecherische Fahrweise auffallen, kein Hindernis dar. So ist es nichts Ungewöhnliches, sich abends an einen Fluss wie den Hangang in Seoul zu setzen und - weil man gerade Appetit auf Hähnchen hat - den nächsten Lieferservice anzurufen, um etwas zu bestellen. Ich finde es immer wieder verwunderlich, mit welcher Sicherheit und Geschwindigkeit einen die Lieferanten unter all den vielen Leuten, die die Uferpro-

Benjamin Neuß Diplom-Übersetzer für Koreanisch

In Korea ist der Kunde König

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Page 57: KOREANA - Spring 2012 (German)

menade an lauen Sommerabendeu säumten, ausfindig machen kõnnen.Es gibt so viele Beispiele für die Kundenfreundlichkeit in Korea, dass es schwierig wird, sie alle aufzuzählen. Hervorheben möchte ich aber noch den ausgezeichneten Reparaturservice koreanischer Firmen. Geht ein beliebiges Gerät kaputt, wird nicht lange nach Gründen gefragt, sondern in kürzester Zeit steht ein Mitar-beiter der Firma vor der Tür und repariert den Schaden, kostenlos selbstverständlich. Das Gleiche gilt auch für den Internetanschluss, der im Nu durch einen Servicemitarbeiter eingerichtet ist, so dass das Surfen im Highspeed-Internet ohne langes Warten losgehen kann.Überhaupt ist Korea ein überaus internetfreundliches Land. Nahezu an jedem Ort lässt sich eine drahtlo-se Verbindung herstellen, da bildet auch die U-Bahn oder der Bus keine Ausnahme. Sicherlich wurde dabei auch der Tatsache Rechnung getragen, dass sich mit der Zeit Aktivitäten, die ehemals von Zuhause oder am Arbeitsplatz getätigt wurden, mehr und mehr nach draußen verlagert haben. Die Wege, die in einer Metro-pole wie Seoul mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden müssen, sind lang, und da Zeit ein knappes Gut ist, nutzen die Koreaner jede freie Minute, um via Internet den Kontakt mit Freunden oder Geschäftskunden zu pflegen, zu shoppen oder sich die neueste Folge einer beliebten Seifenoper anzu-schauen. Die Tatsache, dass der Service so vielfältig und zügig angeboten wird, liegt natürlich auch in der Mentali-tät der Koreaner begründet: Sie warten nämlich ausgesprochen ungern. Dauert etwas zu lange, werden sie schnell ungeduldig, weshalb es sich ein Unternehmen gar nicht leisten kann, einen Kunden ungebühr-lich lange auf die Folter zu spannen. Der Konkurrenzdruck ist hoch, so dass sich die einzelnen Firmen und Unternehmen im Dauerwettkampf um die beste Dienstleistung, den schnellsten Service und die meisten Vergünstigungen befinden. Dabei sind sich die Koreaner ihrer kurzen Geduldsspanne wohl bewusst und können ihr auch eine humorvolle Seite abgewinnen. So zu sehen in einer aktuellen Fernsehwerbung für einen besonders schnellen Internetdienst: Der Protagonist steht vor einem Kaffeeautomaten und verbrennt sich die Finger am noch herabtropfenden Heißgetränk, weil er nicht abwarten kann, bis sich der Becher bis zum Rand gefüllt hat. Ein anderer zieht und zerrt so lange an einem Papier, das gerade ausgedruckt wird, dass er zu guter Letzt nur Fetzen in der Hand hält. An den schnellen Rhythmus der Stadt Seoul, in die ich inzwischen meinen Lebensmittelpunkt verlegt habe, scheine ich mich mittlerweile gut gewöhnt zu haben. Jedenfalls wurde mir das deutlich, als ich nach län-gerer Zeit wieder nach Deutschland kam und ich mich für den Kauf eines Bahntickets in eine mir endlos erscheinende Schlange im Bahnhof einreihte. Nur quälend langsam ging es voran, ein Zustand, den ich so gar nicht mehr gewohnt war. So ertappte ich mich dann dabei, immer ungeduldiger zu werden und im Stil-len zu denken: „In Korea wäre das jetzt aber alles schneller gegangen!“

57Koreana ı F rüh jahr 2012

Page 58: KOREANA - Spring 2012 (German)

SsambapSsambap ist ein koreatypisches Gericht, bei dem Reis und andere Zutaten zusammen mit einer

Gewürzpaste in Blattgemüse wie z.B. Lattich eingewickelt werden. In jüngster Zeit sorgt

Ssambap als Gesundheitsgericht für weltweite Aufmerksamkeit.Ye Jong-suk Gastronomiekritiker, Professor für Betriebswirtschaft, Hanyang University | Fotos: Ahn Hong-beom

Gourmetfreuden

Gesunde und schmackhafte „Glücksrolle“

Page 59: KOREANA - Spring 2012 (German)

Ssambap ist ein besonders koreatypisches Gericht, das gekochten Reis, das Haupt-nahrungsmittel der Koreaner, und rohes Blattgemüse harmonisch miteinander

kombiniert („Ssam“ bedeutet „einwickeln“ und „bap“ ist „gekochter Reis“). Natürlich finden sich auch in anderen Ländern vergleichbare Gerichte: G i cuon (Sommerrolle, wörtlich „Mischsalatrolle“) in Vietnam, Fajita in Mexiko, Chu-njuan in China und südostasiatischen Ländern und Früh-lingsrolle, die westliche Variante der chinesischen Chu-njuan. Diese Gerichte bestehen meist aus Teigblättern auf Getreidemehlbasis, in die Gemüse, Fleisch u.ä. eingeschlagen wird, wobei die Rollen zum Teil auch fritiert werden. Für das koreanische Ssambap dient jedoch ausschließlich Blattgemüse zum Einrollen.

bauernmahlzeit bei der feldarbeitSsambap hat seinen Ursprung in „Deulbap“ („Feld-Reis“, i.e. „Feldmahl-zeit“), da die Bauern bei der Feldarbeit oft das vor Ort geerntete Gemüse als Beilage zum Reis aßen. Die Bauern, die auf Äckern und Reisfeldern reichlich mit Blattgemüse versorgt waren, brauchten von zu Hause nur noch gekochten Reis und Ssamjang (Gewürzpaste) mitzunehmen, um bequem ein sättigendes und gesundes Mittagessen mit frischem Gemüse zu sich nehmen zu können.Seit alters her werden in der koreanischen Küche verschiedene auf dem Feld angebaute Gemüse oder in den Bergen gesammelte Wildgewächse zum Einrollen (Ssam) oder als Namul (Gemüsebeilagen) genutzt. Historischen Aufzeichnungen zufolge sollen die Koreaner bereits seit der Zeit der Drei König-reiche (57 v.Chr.-668 n.Chr.) Gemüse-Reis-Rollen gegessen haben, d.h. seit wenigstens 2.000 Jahren. Sangchu, eine koreanische Lattichart und das repräsentativste Blattgemüse zum Einwickeln, soll auch von den alten Chinesen geschätzt worden sein. Aus einem alten chinesischen Buch aus dem 17. Jahr-hundert (Tian lu shi yu) geht hervor, dass der koreanische Lattich der Goryeo-Zeit (918-1392) auf Grund seines besonderen Wertes und seiner hervorragenden Qualität als „Cheongeumchae“ (Tausend Gold-stücke wertes Gemüse) bezeichnet wurde.Im Dongguksesigi (Jahreszeitliche Traditionen im Östlichen Königreich,1849), in dem die Feste und Bräuche der Joseon-Zeit (1392-1910) vorgestellt werden, heißt es, dass man am 15. Januar nach Lunar-kalendar gekochten Reis in Chwinamul (verschiedene koreanische Blattgemüse wie Wildastern u.ä.), Chinakohlblätter oder Gim (Purpurtang) eingewickelt habe und dieses Gericht „Bokssam“, eine „Glücks-rolle“, sei. In alter Zeit, als Reis v.a. für den einfachen Mann kein alltägliches Nahrungsmittel war und er auf Gerste als Ersatz ausweichen musste, galt gekochter Reis als äußerst wertvoll. Daher bedeutete der Verzehr von Reis in einem Gemüseblatt sein „Glück eingewickelt essen“. Diese kulinarische Tradition am Vollmondtag war also eine Bitte um Glück. Aber auch unter modernem ernährungswissenschaftli-chen Aspekten ist der Verzehr des nahrhaften Ssambap als „Essen von Glück“ anzusehen.

ssam und ssamjangFür Ssambap werden Blätter der unterschiedlichsten Gemüse und Kräuter verwendet. Zu nennen sind z.B. Lattich, Kronenwucherblume, Sesamblätter, Chinakohlblätter, Bohnenblätter, Chwinamul wie Wildasternblätter, Wasserfenchel, Asiatische Pestwurz, Lactuca raddeana Maxim, Chiliblätter, Krau-ser Ampfer, Rizinusblätter, Spinat und Klettenblätter. Auch Weißkohl- und Kürbisblätter finden Ver-wendung. Es ist daher keine Übertreibung zu sagen, dass alle Gemüsesorten mit großen Blättern zum Einwickeln von Reis benutzt werden, was auch im Seonghosaseol (Alltägliche Diskurse von Seongho, 1740er Jahre), einer Kompilation der Lehren des Gelehrten Seongho Yi Ik (1681-1763) dokumentiert ist. Neben Feld- und Wildgemüsen sind aber auch Meerespflanzen wie Seetang, Purpurtang und Dasi-ma (Kombu-Seetang) gute Ssam-Zutaten, die bis heute gerne gegessen werden. Eigentlich werden für Ssambap die jeweiligen Gemüse der Saison verwendet, aber früher benutzte man im Winter, wo Frischgemüse nicht zur Verfügung stand, auch getrocknetes Gemüse, das erst in Wasser eingeweicht

Gesunde und schmackhafte „Glücksrolle“

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Jedes großblättrige Grüngemüse ist für Ssam geeignet. Heutzutage bereichern auch nicht-heimische Blattgemüse wie Chicorée, Römersalat oder Senfgemü-searten das Gericht. Das Foto zeigt eine Ssambap-Tafel im Restaurant Gang-chon Ssambap in Pyeongchang-dong, Seoul.

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wurde.Ssamjang (Gewürzpaste) darf bei einem Ssam-Gericht nicht feh-len. Diese Gewürzpaste spielt dieselbe Rolle wie das Salatdressing im Westen, hat aber einen noch intensiveren Geschmack und eine höhere Konsistenz. Ssamjang wird aus einem Mix aus Doenjang (Sojabohnenpaste) und Gochujang (Chilipaste) zubereitet, der mit Sesamkörnern, Sesamöl, Zwiebeln, Knoblauch, Lauch usw. verfei-nert wird. Je nach Geschmack kann auch Rinderhack hinzugege-ben und mit der Pastenmischung in der Pfanne gerührt werden. Gangdoenjang, besonders dicke Sojabohnenpaste, die mit ver-schiedenen Zutaten gekocht wird, ist eine Gewürzpaste, die beson-ders gut zu Kürbisblätter-Ssambap passt.Die Ssam-Gerichte von heute sind nicht ohne gebratenes oder gegrilltes Fleisch zu denken. Es ist ein neuer Trend, Fleisch in Gemüseblätter eingewickelt zu essen, und zwar ohne Reis. Ssam mit gebratenem Fleisch sind zweifelsohne schmackhaft, aber Ssam mit geschmorten Makrelen oder Gelbfischen ist eine beson-dere Delikatesse.

ssambap-etiketteWie oben erwähnt, war Ssambap ursprünglich ein Gericht des klei-nen Mannes, das bei der Feldarbeit gegessen wurde, aber später soll es auch gerne am Hof gegessen und selbst dem König auf-getischt worden sein. Ende der Joseon-Zeit bestand eine Ssam-bap-Tafel am Königshof neben Reis aus verschiedenen Gemüsen, dicker Doenjang-Jjigae (Bohnenpasten-Eintopf) mit Rindfleisch, Plattfisch, geschmort in einer Soße aus Chilipaste und Sojaso-ße, gebratenen japanischen Kuruma-Garnelen, in Gewürzsoße geschmortem Rindfleisch und Chilipaste, gebraten mit Rinderhack. Ssambap hatte sich also zu einem wahrhaft königlichen Gericht mit reichlichen Beilagen entwickelt.Obwohl Ssambap durchaus auch dem König serviert wurde, soll es in der Joseon-Zeit nicht als „kultiviertes“ Gericht anerkannt wor-den sein. Yi Deok-mu (1741-1793), ein Gelehrter der im 18. Jahr-hundert aufgekommenen Pragmatischen Lehre (Silhak), rät in sei-nem Werk Sasojeol (Von einem Gelehrten zu beachtende Etikette, 1775), Ssambap nicht mit bloßen Händen zu essen oder den Mund dabei zu weit aufzusperren. Obwohl Ssambap damals schon ein seit langem beliebtes Gericht war, wurde es in der Gesellschaft von Joseon mit ihrer starken Betonung der konfuzianischen Prin-zipien für unschicklich gehalten, wenn die hohen adligen Yangban

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Vor einigen Jahren stellte das US-amerikanische Magazin Chicago Review Ssambap als ein schmackhaf-

tes Diätgericht vor, das dabei helfe, schlank und fit zu bleiben. Mit einem Wort: Ssambap ist ein gesundes

Gericht, das eine Diät unterstützende, stärkende und Krankheiten vorbeugende Wirkung hat .

mit bloßen Händen den Reis einwickelten und den ganzen Happen in den Mund steckten, denn man kommt bei dieser Verzehrme- thode nicht umhin, Mund und Augen weit aufzureißen. Daher gab Yi Deok-mu eine ausführliche Anleitung für den kultivierten Ver-zehr dieses Gerichts: „Man häufe mit dem Löffel etwas Reis auf einen Teller, greife mit den Essstäbchen zwei oder drei Gemüse-blätter und lege sie auf den Reis. Nachdem man die Reis-Gemüse-Rolle mit den Stäbchen zum Munde geführt hat, dippe man schnell die Stäbchen in die Würzpaste und nehme etwas Würzpaste.“ Aber diese Beschreibung bezieht sich nur auf die staubtrockenen Gelehrten. In der Mitte der Joseon-Zeit erschienen, von Yu Mong-in (1559~1623) kompilierten Sammlung von Volkserzählungen Eouy-adam (Meister Eous Sammlung von historischen Romanzen, 1621) heißt es, dass Ssambap gut schmeckt, wenn man „den Mund weit wie das Hauptstadttor Namdaemun aufsperrt und sich den Wickel in den Mund stopft“. ssambap in manhattanHeutzutage erregt Ssam als gesundes Gericht weltweite Aufmerk-samkeit. Vor einigen Jahren stellte das US-amerikanische Maga-zin Chicago Review in seinem kulinarischen Führer Einzigartige Gerichte Ssambap als ein schmackhaftes Diätgericht vor, das dabei helfe, schlank und fit zu bleiben. Mit einem Wort: Ssambap ist ein gesundes Gericht, das eine Diät unterstützende, stärkende und Krankheiten vorbeugende Wirkung hat. Momofuku Ssäm Bar, ein auf Ssam-Gerichte spezialisiertes Restaurant in Manhattan, wurde von dem britischen Magazin The Restaurant Magazine als eines der weltweit 50 besten Restaurants und von der US-amerikanischen Tageszeitung New York Times als Drei-Sterne-Restaurant gekürt. Das Restaurant Gangchon Ssambap in Pyeong-chang-dong in Seoul bietet gehobene Ssambap-Varietäten mit den verschiedensten Blattgemü-sen, Reis im Steintopf und einer speziellen Ssamjang-Paste mit Nüssen an. In Anbe-tracht der anhaltenden Bestrebungen zur Globalisierung koreanischer Gerichte darf man sich sicherlich auf weitere Ssambap-Innovationen freuen, die den gesundheitlichen und kulinarischen Wert der koreanischen Küche noch um eine Stufe anheben.

Fleisch wird zusammen mit Ssamjang-Paste in farbenfrohe Gemüse-Schichten eingeschlagen. Die berühmten Ssambap-Restaurants haben ihre eigenen, streng gehüteten Ssamjang-Rezepte. Der Chefkoch von Gangchon Ssambap gab preis, dass bei seiner Ssamjang-Spezialität „Sojaboh-nenpaste mit Zwiebeln und Knoblauch in Sesamöl pfannengerührt und mit grob gehackten Erdnüs-sen garniert wird.“ Ssambap mit Suyuk, gedämpf-tem Schweinefleisch (links), ist eine gesündere Alternative zu gegrilltem Schweinefleisch.

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Landesweiter Gesangswettbewerb Ein Dauerbrenner in der PublikumsgunstWer an einem Sonntag, an dem man mit sich und der Welt nichts Rechtes anzufangen weiß,

mit etwas verknittertem Gesicht den Fernseher einschaltet, der wird sich über die Sendung

Landesweiter Gesangswettbewerb (Jeonguk Norae Jarang) des öffentlich-rechtlichen Senders

KBS 1 (Kanal 9) freuen. Auch wenn normale Menschen auf der Bühne meist eher kümmerliche

Gesangsdarbietungen geben, hört das Publikum wider Erwarten mit Vergnügen zu. Der Moderator,

der diese lokalen Singwettstreite bereits 25 Jahre lang präsentiert, ist 85 Jahre alt.Lee Young-mee Popkulturkritikerin, außerplanmäßige Professorin, Sungkonghoe University

entertainment

Die durchschnittlichen Einschaltquoten des Landesweiten Gesangswettbewerbs betragen erstaunlicherweise mehr als

11 Prozent. Verglichen mit Popmusik-Shows wie Music Bank von KBS 2 (Kanal 7), in der die K-Pop-Stars ihre jüngsten Hits in Ran-king-Reihenfolge zum Besten geben, und die nicht über Einschalt-quoten von 8 Prozent hinauskommen, erfreut sich dieser Amateur-Wettbewerb viel höherer Beliebtheit. Die Einschaltquoten sind ähn-lich wie die von Ich bin Sänger (MBC, Kanal 11), einem Survivor-Wettbewerb für Profi-Sänger, der am Sonntagabend, also zur bes-ten Sendezeit, ausgestrahlt wird. Dieser heiße Überlebenskampf der Gesangsprofis hat das Publikum mittlerweile dermaßen sensi-bilisiert, dass jede kreative Interpretation eines Songs heiß disku-tiert wird und selbst ein Viertel Ton daneben nicht unkommentiert bleibt. Es fragt sich, wie angesichts dieses überhitzten Wettstreits der Meistersänger ein Amateurwettbewerb aus längst vergange-nen Tagen immer noch so große Popularität genießen kann.

ursprung der survivor-contestsDer Landesweite Gesangswettbewerb, bei dem heute die Teilneh-mer für ihren kurzen Moment im Rampenlicht sich selbst bei sen-gender Sonne im Schweiße ihres Angesichts die Seele aus dem Leib singen und tanzen, war vor 40 Jahren ein äußerst seriöses Programm zur Entdeckung neuer Talente. Es startete im Oktober 1971 unter dem Titel Landesweiter Gesangswettbewerb für den KBS-Championpokal. Im KBS-Almanach von 1971 heißt es:„Jede der lokalen KBS-Fernsehstationen wählt einen Topsänger pro Woche aus. Diese Sänger treten dann bei einem alle vier Mona-te stattfindenden Contest gegeneinander an, bei dem die Finalis-ten bestimmt werden. Die Finalisten konkurrieren am Jahresende im landesweiten KBS-Gesangswettbewerb miteinander. Auf diese Weise wird ein neuer Star geboren: Er wird mit dem KBS-Cham-pionpokal geehrt und Mitglied des Koreanischen Sängerverban-des (Korea Singers Association). Dieses Programm entdeckt somit

neue Talente und gibt ihnen Zugang zu einer Karriere als Sänger, was zur Verbesserung der gängigen Praxis im Entertainmentbe-reich dient.“Das Programm war also die 1970er-Vorläufer-Version der heu-tigen Survivor-Wettbewerbe für Amateure wie Superstar K oder Ein Superstar ist geboren (Widaehan Tansaeng), in denen junge Leute um die Chance, den großen Sprung zu schaffen, konkurrie-ren. Es wurde jeden Samstag um 19.00 Uhr ausgestrahlt, wenn die ganze Familie am ehesten vor dem Bildschirm versammelt ist. Es war eine Zeit, in der in Korea die Verbreitungsrate von TV-Geräten gerade zu steigen begann. Daher kann man sich leicht vorstellen, wie berühmt dieses Programm war, in dem „Sänger aus unse-rer Gegend“ im Fernsehen auftraten, die Siegestrophäe erhalten und Mitglied des Sängerverbandes werden konnten. Die Popula-rität wird auch dadurch belegt, dass der Fernsehsender Munhwa Broadcasting Corporation (MBC) ein ähnliches Programm startete.Aber die Preisträger, die durch diesen ein Jahr dauernden Wettbe-werb ausgewählt wurden, waren danach nicht weiter erfolgreich. Nur der Wettbewerb selbst war interessant. Natürlich sank auch das Zuschauerinteresse allmählich und 1977 wurde die Sendung abgesetzt. Einige Jahre später versuchte man einen Neustart mit einem ähnlichen Programmformat, das sich aber als Flop erwies. Ende der 1970er Jahre hatten sich jungen Gesangstalenten andere Wege zum Erfolg aufgetan, die die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zogen, was den Misserfolg vorhersehbar machte.1977 strahlte MBC das Campus-Songfestival aus. Andere Fern-sehanstalten folgten mit Talent-Contests für Studenten und andere junge Leute. Während die Teilnehmer beim Landeswei-ten Gesangswettbewerb ihre stimmliche und musikali-sche Qualität mit allgemein bekannten Liedern unter Beweis stellten, konkurrierten bei diesen anderen Programmen junge Sänger mit ihren eigenen Kompositionen. Vor diesem Hintergrund war es

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selbstverständlich, dass der Landesweite Gesangswettbewerb in der Konkurrenz mit diesen neuen Plattformen für aufstrebende und Trends setzende Talente seinen Platz verlor.

moderation von etabliertem komödiantenIm November 1980 wurde der Landesweite Gesangswettbewerb in neuem Format erfolgreich wiederbelebt. „KBS Championpo-kal“ wurde aus dem Titel gestrichen. Das Finale zum Jahresende blieb zwar bestehen, aber die Teilnehmer erhofften nicht mehr, dass ihnen das Programm zu einer Gesangskarriere verhelfen würde. Es wurde zum reinen Amateur-Wettbewerb für Leute, die gerne singen. Damit entwickelte es einen eigenen Charakter, der sich z.B. von Campus-Songfestival unterschied, und sorgte für eine andere Art der Unterhaltung. Als dann 1988 Song Hae, ein Veteran unter den koreanischen Komödianten, die Moderation übernahm, gewann diese andere Art der Unterhaltung feste Konturen.Song Hae, Jahrgang 1927, war zu diesem Zeitpunkt schon gut 60 Jahre alt. Die Auswahl eines alten Stars, dessen Glanzzeit schon längst vorbei war und der nicht mehr im Fernsehen auftrat, sorgte für eine kleine Sensation. Aber es war genau das, was den Charak-ter des Programms eindeutig definierte: Kurz gesagt bedeutete es, dass man nicht mehr danach strebte, ein junges, raffiniert gestal-tetes, glamouröses oder ernsthaftes Programm zu machen. Das Programm wurde vielmehr zu einem Festival für den einfachen Bürger, für Menschen mittleren Alters und Senioren, für Men-schen vom Lande, Menschen ohne hohe Bildungsabschlüsse oder große Reichtümer, i.e. für Menschen, denen die neuesten Trends der Popmusik nichts sagen und die statt dessen lieber aus vollem Herzen allseits bekannte Lieder oder Trinklieder singen. Es ist kein Talent-Wettbewerb mehr, bei dem man die „Sänger aus unse-rer Nachbarschaft“ um den Auftritt im Finale beneidet, sondern ein aufregender Liederwettstreit von „Stars unserer Gegend“, für den der großväterliche Moderator Song Hae, der Generationen von Fernsehzuschauern bekannt ist, bis in die letzten Winkel Koreas reist, um den Menschen vor Ort unter seiner Moderation die Gele-genheit zum gemeinsamen Sich-Vergnügen zu bieten.

Geheimnis der langlebigkeit des ProgrammsDer Landesweite Gesangswettbewerb ist heute kein Programm mehr, in dem sich das Publikum nur die Lieder der Wettbewerber

anhört. Sobald sich ein Teilnehmer mit Namen, Wohnort, Beruf und Alter vorgestellt hat, werden er und die Zuschauer eins. Sie kommen ja alle aus demselben Ort oder derselben Gegend. Nur der Moderator Song Hae ist Gast aus einer anderen Region. Den Teilnehmern geht es weniger darum, eine glänzende Gesangsein-lage von sich zu geben, als vielmehr schwungvoll-fröhlich zu sin-gen und sich durch improvisierte, zum Lachen reizende Tänze und Bewegungen gemeinsam mit dem Publikum zu amüsieren. Selbst wenn eine Glocke signalisiert, dass „er/sie disqualifiziert sei“, und die Vorstellung mittendrin unterbricht, zeigen sich die Teilnehmer weder enttäuscht noch verlegen. Es besteht auch von vornherein keinerlei Grund für Verlegenheit, da sie nicht auftreten, um „wie ein Sänger zu singen“, und sich vor den Zuschauern, die als Nachbarn mehr oder weniger zur weitläufigeren Familie gehören, nicht zu schämen brauchen. Vielmehr begrüßen sie den „Gast Song Hae“, der zu ihnen in den Ort kommt, und werben für ihre Heimat und deren Spezialitäten. Manchmal stecken sie ihm eine lokale Spezia-lität zum Kosten in den Mund. Wenn Song dann mit viel Theatralik gestenreich urteilt, dass sie himmlich mundet oder höllisch scharf ist, amüsieren sich Teilnehmer und Publikum wie eine Gaunerban-de, die dem Gast einen Streich gespielt hat. Song Hae führt nicht nur gekonnt durch die Sendung, sondern mimt auch hervorragend den angereisten Gast, der sich neugierig bei einer lokalen Fest-lichkeit umsieht. Tritt ein besonders talentierter Wettbewerber auf, strahlt Song übers ganze Gesicht. Tanzt ein Großmütterchen auf der Bühne völlig in ihr eigenes Lied versunken vor sich hin, gesellt sich Song hinzu und ahmt sie zur allgemeinen Begeisterung nach. Weil der Gast Song Hae mitmacht, haben die Zuschauer doppelt Spaß an der ganzen Sache.Dieser „Bauerncharme“ ist es, was den Landesweiten Gesangs-wettbewerb trotz seines längst überholten Formats zu einem Dau-erbrenner in der Gunst des Publikums macht. Während andere Programme sich als schick und fortschrittlich zu präsentieren versuchen, demonstriert dieses Programm, dass auch der kleine Mann etwas vom Leben und vom Sich-Vergnügen versteht, vom heiteren Zusammensein in der Gemeinschaft. In diesem Sinne steht es für folgende Verszeile aus dem Gedicht von Shin Kyung-rim, Pajang (Ende des Festes): „Einfache Menschen sind schon fröhlich, wenn sie einander nur ansehen.“

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Geschmorter Japanischer Aal, Samgyetang (Huhn-Gingseng-Suppe), Gujeolpan (Pfannküchlein-Platte mit neun Füllungen),

Vin chaud, Rinderknochengerichte, Vietnamesische Nudeln, Parfait glacé, Gejang (in Sojasoße marinierte Krabben) - das sind Gerich-te, die in Kwons Erzählungen erscheinen. Die kurze Erzählung Das Blaukrabbengrab ist vom Geruch kochender Sojasoße durchdrun-gen. Die Frau ist süchtig nach eingelegten Krabben und der Mann, mit dem sie zusammenlebt, glaubt, dass selbst ihre verborgenste Stelle danach riecht – so stark ist die Erzählung von diesem Gericht durchdrungen. Die Autorin äußerte einmal, dass ein Schriftstel-ler nur dann künstlerisch Wertvolles schaffen könne, wenn er das, worin er am besten ist, in aller Tiefe erforsche.Kwon Ji-ye lebte in den 1990er Jahren acht Jahre lang in Frank-reich und promovierte an der Universität Paris VII. Eigentlich war sie ihrem Mann, einem Kunstkritiker, der in Paris studieren woll-

te, gefolgt. Aus den ursprünglich geplanten drei Jahren wurden dann aber acht Jahre und ihr Leben entwickelte sich mit enormer Geschwindigkeit in ungeahnte Bahnen. Kwon, die in Korea eine ganz normale Englischlehrerin an einer Mittelschule gewesen war, widmete sich in Frankreich dem Studium der Kunst und der Lite-ratur. Das war aber keine Beschäftigung mit der Kunst im Sinne eines luxuriösen Zeitvertreibs. Sie war das älteste von vier Kindern eines Berufssoldaten. Bis zu ihrem fünften Grundschuljahr zog ihre Familie 19 Mal um. Während ihrer Mittelschulzeit schied ihr Vater aus dem Militär aus und versuchte sich in verschiedenen geschäft-lichen Unternehmungen, die aber nur Misserfolge brachten: Her-stellung von Gussformen, Schneiderei, Heckenzäune anlegen usw. Die Autorin erinnert sich, dass ihre Mutter damals ständig damit beschäftigt war, Schulden zurückzuzahlen, und dass sie sich zu Tode schämte, wenn in der Schule ihr Name aufgerufen wurde,

Hauptmotiv und Hintergrund der Erzählungen von

Kwon Ji-ye (geb. 1960) sind oft Kochen und Gerichte.

Sie sagt, dass sie sich während ihres achtjährigen

Aufenthaltes in Frankreich ganze Kochbuchsets

angeschafft und Kochen gelernt habe. Der Vorgang der

Zubereitung von Speisen und das Gefühl bei der

Handhabung der Zutaten haben ihr wohl als Quelle

literarischer Einsichten gedient.

R e i s e n i n d i e k o r e a n i s c h e L i t e r a t u r

Kwon Ji-ye

Blaukrabbe ist der Name der EinsamkeitUh Soo-woong Journalist für Kunst und Kultur, Tageszeitung The Chosun Ilbo

rezension

64 Korean ische Ku l tu r und Kuns t

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weil die Schulgebühren nicht rechtzeitig bezahlt worden waren.Das Leben in Frankreich war nicht viel anders. Die vierköpfige Familie lebte in einer nur rund 43m2 großen Wohnung und muss-te mit etwa 1.000 Euro im Monat auskommen. Trotzdem gab Kwon ihr Interesse an der Kunst nicht auf. Das war um so wichtiger, da sie so den materiellen Mangel durch künstlerische Fülle kompen-sieren konnte. Jedes Wochende durchstreifte sie zusammen mit ihrem Mann die Pariser Flohmärkte, um sich Bilder anzuschau-en. Sobald sie etwa 300 Euro zusammengekratzt hatten, gaben sie sie für Gemälde aus. Der einzige Luxus, den sie sich in Bezug aufs Auswärtsessen gönnten, war, einmal im Monat zu McDonald zu gehen, was die Beschränktheit ihrer Verhältnisse gut demonstriert. Während das kunstkritische Expertentum ihres Mannes Kwons Kunstgeschmack beeinflusste, war ihr Verlangen nach Literatur ihrem Wesen zu eigen. Sie sagt über sich selbst, dass sie kein Typ sei, der etwas mit Hartnäckigkeit verfolge. Sie verlöre schnell das Interesse an den Dingen und klammere sich auch nicht an einen Mann. Sie gesteht, dass sie aber beim Schreiben, und nur beim Schreiben, das Gefühl habe, wirklich lebendig zu sein, weil es ihr vorkomme, als ob sie sich aus einem ureigenen inneren Trieb her-aus darauf stürze.Fast zehn Jahre lang übte sie sich im Schreiben, bis sie 1997 in der koreanischen Literaturzeitschrift La Plume debütierte. Damals lebte sie noch in Frankreich. Danach war sie äußerst schöpferisch aktiv und veröffentlichte Erzählsammlungen wie Die träumende Marionette, Der Lachanfall, Das Blaukrabbengrab und Romane wie Die schöne Hölle und Verlockung. 2002 erhielt sie für ihre Erzäh-lung Geschmorter Japanischer Aal den Yi Sang Literaturpreis und 2005 wurde ihr dritter Erzählband Das Blaukrabbengrab mit dem Dongin Literaturpreis ausgezeichnet. Es war der erste Dongin Lite-raturpreis, der an einen weiblichen Autor ging, nachdem im Jahr 2000 Juroren auf Lebenszeit eingesetzt und nur noch als Buch erschienene Werke zur Auswahl zugelassen worden waren.Inspiration für die Erzählung Das Blaukrabbengrab war eine Schüssel Blaukrabben-Eintopf. Nachdem Kwon 2003 auf der Insel Ganghwa-do den Sonnenuntergang gesehen und dabei einen Krabben-Eintopf gegessen habe, habe sie die Erzählung geschrie-ben, „ohne zu essen, ohne zu schlafen und ohne sich zu waschen“. Auf diesen Hang zum Extremen angesprochen sagt sie lächelnd, dass man sie deshalb oft als angeberisch beschimpft hätte, dass sie aber, wenn sie einmal eine Idee habe, die Arbeit wie im Fieber durchziehe und zu Ende bringe, da sie nicht der Typ sei, der gesam-meltes Material gut ordnen und lose Enden verknüpfen könne.Das Blaukrabbengrab erzählt, wenn man es auf einen Nenner bringen will, mittels der Krabben von der Einsamkeit des Men-schen. Der Ort, an dem er und sie einander begegnen, ist die Insel Seongmo-do, die etwa zehn Bootsminuten entfernt vom Hafen Oepo-ri auf der Insel Ganghwa-do liegt. Der Protagonist, ein Foto-graf, begegnet der Frau, als er auf der Insel nach seinem verlore-nen Feuerzeug sucht. Ihre taubengrauen Schuhe liegen neben dem

Feuerzeug, das im Wattboden steckt und in der Sonne aufleuchtet. Die Besitzerin der Schuhe ist im Begriff, in den wogenden Wellen unterzugehen. Er rettet sie gerade noch und isst mit ihr zusam-men zu Abend Blaukrabben-Eintopf. Er, der seit seiner Scheidung von Frauenhass erfüllt ist, nimmt sie mit zu sich nach Hause und lebt ein Jahr lang mit ihr zusammen. Er versucht, sich nicht an sie zu klammern, aber im Laufe der Zeit tut er es doch und in dem Moment, in dem sie dessen gewahr wird, verschwindet sie. Die Frau, die süchtig nach marinierten Krabben ist, verschwindet spur-los und der Mann, der sich ihretwegen mit Krabbengerichten ange-freundet hat, sehnt sich nach Krabbenfleisch, wobei der Platz der Frau nun leer ist. Das ist das Leben.Die Erzählungen von Kwon Ji-ye schildern ausnahmslos Men-schen, die in extremer Einsamkeit befangen sind. Die Hintergründe dieser Einsamkeit sind zwar unterschiedlich, aber zwischen dem heftigen Drang, sich mitzuteilen und der hartnäckigen Geduld, zu schweigen, verschleißen diese Menschen gleichermaßen. Wenn diese dahinschwindenden Menschen doch noch etwas Lebens-willen besitzen, explodiert dieser Wille in einem kalt-grotesken Gefühl, das normales Sprechen und Schweigen gleichzeitig über-schwemmt. Die Juroren des Dongin Literaturpreises gaben in ihrem Gutachten folgende Bewertung: „Der Stil der Autorin, die solch rohe Gefühle beschreibt, ist fein, sauber und frisch. Es ist erstaunlich. Der Autorin ist es in ihrem einsamen Unterfangen gelungen, durch den schockierenden Kontrast zwischen dem beschriebenen Gefühl und dem Stil des Beschreibens die äußerst barbarischen Triebe, die auf dem Boden der Einsamkeit des modernen Menschen lauern, in Beispiele für intellektuelle Frage-stellungen umzuwandeln.“ Das heißt, die Attraktivität von Kwons Schreibkunst liegt im Kontrast zwischen den nach Fisch stinken-den Gefühlen und der Verfeinerung des Stils.Die Schriftstellerinnen von Kwons Generation werfen bereits seit langem die Frage nach der Auflösung der Familie und deren Wie-derherstellung auf, wobei sich zwei grundlegende Annäherungs-weisen an das Thema unterscheiden lassen: Entweder gibt die weibliche Figur die Familie für immer auf und geht von Zuhau-se weg oder sie unterwirft sich dem moralischen Kausalgesetz und kehrt nach Hause zurück. Der Literaturkritiker Kim Hyeong-jung findet jedoch bei Kwon ein neues Bild, das einen halben Schritt fortgeschrittener ist: „Bei Kwon Ji-ye geht es weniger ums Erzählen vom gewohnten Verlassen und Zurückkehren, sondern bei ihr findet sich eine Auseinandersetzung mit den atomischen Bestandteilen der Moral. Ihre Atomtheorie-artige Analyse des widersprüchlichen binären Paares von Wasser und Feuer ist eine unvergleichlich wertvolle Leistung, sowohl hinsichtlich der litera-rischen Produktivität, als auch hinsichtlich der Erneuerung in der Geschichte der koreanischen Erzählung.“ Um es zusammenzufas-sen: Kwon Ji-ye ist eine der wenigen in Korea, die Weiblichkeit und erzählerisches Talent in sich vereinigen.

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An einem Tag im Herbst, als kalter Regen fiel, war das Privatgemach der verwitweten Großmutter des Königs jenseits der Blumenmuster-Mauer des Palastes mit Stille gefüllt. Die greise Königinwitwe, die die Macht des Herrscherhauses in den Händen hielt, lag in ihrem Krankenbett, die Lippen fest versie-gelt. Von diesem Tag an blieben die zehn, straff mit Papier bespannten Türen des Gemachs fest ver-schlossen, um sich nicht wieder zu öffnen. Selbst wenn dunkle Wolken aufzogen oder Schneestürme wie heulende Tiere tobten, blieb es innen ruhig. Die Jahre vergingen und der König wurde alt.Die Türen des Privatgemachs der Königinwitwe mit ihren feinen Gitterornamenten stützten ihre Kinne über die fein säuberlich aufeinandergelegten Abschlussziegel der Blumenmauer und reckten ihre Stirne in die lang herbeigesehnten Strahlen der Frühlingssonne. Aber im Gemach herrschten nur Dunkelheit und Stille. Die sich weit in den blicklosen Schlaf erstreckenden Wege wurden ausgelöscht. In die Welt

nach der Ebbe sickerte langsam und tief die ohrenbetäubende Stille der Einsamkeit in die Dunkelheit.Ausländische Invasoren drangen

ein. In der tiefen Nacht wurde die Königin in einem Privatgemach jenseits der Hintermauer Opfer von Meuchelmördern. In der Welt draußen blies der Wind wild und weit. Das 500 Jahre alte Königreich brach zusammen. Der König starb. Die Menschen, ihres Vaterlandes beraubt, flohen über die Grenze. Die Königinwitwe lag versunken im Tal des tiefen Schlafs, nur der Wind hütete das große und leere Haus. Die mit weißem Papier bespannten Türen blieben fest verschlossen.Die zehn Papierschiebetüren der Privatgemächer öffneten sich erst wieder an einem Tag im Frühling, 120 Jahre später.Außerhalb der Blumenmauer windet sich ein Aprikosenbaum im lebhaften Kontrast zu den regelmä-ßigen Linien der Türen und der Mauer. Der Baum, der mit nackten Ästen das Gewicht des langen und schneereichen Winters ertrug und dem nagenden Zahn der Zeit trotzte, neigt seinen Körper, der weder gerade in die Höhe noch gerade in die Breite gewachsen ist. Gekrümmt windet er sich hoch und strei-chelt an der Blumenmauer vorbei den Himmel. Hin und wieder erhebt er seinen Kopf gegen das Fir-mament. Endlich streckt er seine zehntausend Arme aus und an jedem Ast springen Abertausende von Blüten auf. An dem Tag, an dem die unsichtbare Einsamkeit hinter den Türen in den sichtbaren Blüten-schauer explodiert, öffnet sich eine neue Welt jenseits der Blumenmauer des Palastes.

BlütenblätterJedes Blatt / Einer Frühlingsblume / Ist das Gesicht von jemandem / Weiß vor Furcht / Oder bespritzt von Blut.

-Yun Je-rim

Frühlingsblüte jenseits der PalastmauernKim Hwa-young Literaturkritiker,

Mitglied der Korean National Academy

of Arts

Fotos: Suh Heun-gang

Die Blumenmauer der Halle Jagyeong-jeon

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