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Seewlfe 484 Fred McMason 1 Kreuzfahrt zur Hlle Die Vereinbarung hatte gelautet, die spanische Kriegsgaleone nur kampfunfhig zu schieen, denn von ihr wollten der Seewolf und der Wikinger ihre zur Neige gegangenen Munitionsvorrte ergnzen. Der Wikinger hielt sich nicht an diese Vereinbarung und scho der Galeone eine Breitseite in den Rumpf, obwohl sie bereits angeschlagen war. Da sie dann nicht absoff, war nur ein Zufall. Eins stand fest: Thorfin Njal hatte gegen die Vereinbarung verstoen, und darum kündigten ihm seine Mannen die Gefolgschaft auf. Sie verschwanden einfach von Deck und riegelten sich im Vorschiff ein. Auf einmal stand der Nordmann allein am Ruder. Die Mnner auf der Isabella und der Chubasco schnitten ihn ebenfalls. Erst jetzt begann der Wikinger nachzudenken... 1. 4. Mai 1595 - westsüdwestlich der Bermudas. Es war eine teuflische Jagd, die sich westsüdwestlich der Bermudas zwischen der Isabella und der spanischen Galeone Santa Barbara abspielte. Philip Hasard Killigrew und seine Mnner hatten alle Mühe, dieser schnell segelnden Galeone zu folgen, ganz zu schweigen von Eiliger Drache über den Wassern und der Chubasco, die unter Ben Brightons Kommando stand. Beide hingen bei der Verfolgung weit achteraus. Die Santa Barbara war schnell, und sie hatte fast alles an Tuch gesetzt. Sie trug am Vormast Fock-, Vormars- und Vorbramsegel, das gleiche Tuch am Gromast, und der Besan trug über dem Lateinersegel noch Kreuzmars- und Kreuzbramsegel. Nur Blinde und Schiebblinde waren nicht gesetzt. Diese Schnelligkeit war es aber nicht, die den Seewolf bei der Jagd so erbitterte. Mit der schnellen Isabella htte er sie jederzeit eingeholt. Der Kapitn der Galeone bediente sich eines hundsgemeinen Tricks, um seinen Verfolger abzuhngen. Die Santa Barbara hatte menschliche Fracht an Bord - etwa vierzig junge Indianerinnen vom Stamm der Arawaks, die von der Insel Puerto Rico stammten. Jetzt hatte er sechs von ihnen an Deck zerren und brutal über Bord werfen lassen. Juan Vargas hie der Kapitn der Frachtgaleone, - der jetzt teuflisch grinsend auf dem Achterdeck stand und zusah, wie die sechs jungen Frauen im Wasser trieben. Er war ein hochgewachsener Mann mit vorstehenden Backenknochen, einem Schnauzbart, der ihm sichelf rmig bis über das Kinn wuchs, einem ebenfalls schwarzen Kinnbart und langen schwarzen Haaren. Auf dem Kopf trug er einen breitkrempigen Hut mit einer rosafarbenen Büschelfeder. Direkt unter der Krempe befanden sich pechschwarze Augenbrauen. Sie wlbten sich über ebenfalls schwarzen Augen, die einen stechenden Blick hatten. Der Kerl war abenteuerlich gekleidet, mit einem roten Wams und ausgelegtem wei em Spitzenkragen. Er trug blaue Hosen und weiche Stulpenstiefel. Ein Die Hauptpersonen des Romans: Philip Hasard Killigrew als er angreifen will, sind ihm die Hnde gebunden. Juan Vargas betreibt einen Pferdehandel und bemerkt nicht den Pferdefu. Thorfin Njal seinem Messerchen ist kein Gegner gewachsen. Ben Brighton zeigt sich als geschickter Kapitn einer Kriegskaravelle. Mac Pellew hat moralische Anwandlungen zum Schutz seiner Hühnerchen.

Kreuzfahrt zur Hölle, Fred McMason

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Seewölfe 484 Fred McMason 1 Kreuzfahrt zur Hölle

Die Vereinbarung hatte gelautet, die spanische Kriegsgaleone nur kampfunfähig zu schießen, denn von ihr wollten der Seewolf und der Wikinger ihre zur Neige gegangenen Munitionsvorräte ergänzen. Der Wikinger hielt sich nicht an diese Vereinbarung und schoß der Galeone eine Breitseite in den Rumpf, obwohl sie bereits angeschlagen war. Daß sie dann nicht absoff, war nur ein Zufall. Eins stand fest: Thorfin Njal hatte gegen die Vereinbarung verstoßen, und darum kündigten ihm seine Mannen die Gefolgschaft auf. Sie verschwanden einfach von Deck und riegelten sich im Vorschiff ein. Auf einmal stand der Nordmann allein am Ruder. Die Männer auf der �Isabella� und der �Chubasco� schnitten ihn ebenfalls. Erst jetzt begann der Wikinger nachzudenken...

1. 4. Mai 1595 - westsüdwestlich der Bermudas. Es war eine teuflische Jagd, die sich westsüdwestlich der Bermudas zwischen der �Isabella� und der spanischen Galeone �Santa Barbara� abspielte. Philip Hasard Killigrew und seine Männer hatten alle Mühe, dieser schnell segelnden Galeone zu folgen, ganz zu schweigen von �Eiliger Drache über den Wassern� und der �Chubasco�, die unter Ben Brightons Kommando stand. Beide hingen bei der Verfolgung weit achteraus. Die �Santa Barbara� war schnell, und sie hatte fast alles an Tuch gesetzt. Sie trug am Vormast Fock-, Vormars- und Vorbramsegel, das gleiche Tuch am Großmast, und der Besan trug über dem Lateinersegel noch Kreuzmars- und Kreuzbramsegel. Nur Blinde und Schiebblinde waren nicht gesetzt. Diese Schnelligkeit war es aber nicht, die den Seewolf bei der Jagd so erbitterte. Mit der schnellen �Isabella� hätte er sie jederzeit eingeholt.

Der Kapitän der Galeone bediente sich eines hundsgemeinen Tricks, um seinen Verfolger abzuhängen. Die �Santa Barbara� hatte menschliche Fracht an Bord - etwa vierzig junge Indianerinnen vom Stamm der Arawaks, die von der Insel Puerto Rico stammten. Jetzt hatte er sechs von ihnen an Deck zerren und brutal über Bord werfen lassen. Juan Vargas hieß der Kapitän der Frachtgaleone, - der jetzt teuflisch grinsend auf dem Achterdeck stand und zusah, wie die sechs jungen Frauen im Wasser trieben. Er war ein hochgewachsener Mann mit vorstehenden Backenknochen, einem Schnauzbart, der ihm sichelförmig bis über das Kinn wuchs, einem ebenfalls schwarzen Kinnbart und langen schwarzen Haaren. Auf dem Kopf trug er einen breitkrempigen Hut mit einer rosafarbenen Büschelfeder. Direkt unter der Krempe befanden sich pechschwarze Augenbrauen. Sie wölbten sich über ebenfalls schwarzen Augen, die einen stechenden Blick hatten. Der Kerl war abenteuerlich gekleidet, mit einem roten Wams und ausgelegtem weißem Spitzenkragen. Er trug blaue Hosen und weiche Stulpenstiefel. Ein

Die Hauptpersonen des Romans: Philip Hasard Killigrew �als er angreifen will, sind ihm die Hände gebunden. Juan Vargas � betreibt einen Pferdehandel und bemerkt nicht den Pferdefuß. Thorfin Njal � seinem �Messerchen� ist kein Gegner gewachsen. Ben Brighton � zeigt sich als geschickter Kapitän einer Kriegskaravelle. Mac Pellew � hat moralische Anwandlungen zum Schutz seiner �Hühnerchen�.

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breites Bandelier mit einer großkalibrigen Pistole zierte sein rotes Wams. Er war das, was man einen Teufel in Menschengestalt nennt - brutal, rücksichtslos, über Leichen gehend, aber doch schlau und berechnend. In den Verfolgern vermutete er Piraten, denn die waren seit geraumer Zeit dabei, den Geleitzug zu knacken. Elf Kriegsgaleonen hatten sie bereits zu den Fischen geschickt oder brennend auf See zurückgelassen. Vargas' Rechnung war ganz einfach und schien auch aufzugehen, wie er sich das vorgestellt hatte. Er spekulierte darauf, daß die Kerle beidrehen und die jungen Frauen aus dem Wasser fischen würden. Na ja, Piraten waren ja meist frauenlos - also würden die Kerle die günstige Gelegenheit sogleich wahrnehmen, um sich erst ein bißchen zu vergnügen und auszutoben. Das Beidrehen und Bergen der Indianerinnen aber kostete den Verfolgern Zeit, und ihm half es, sich weiterhin abzusetzen. Er konnte seine Distanz vergrößern, mehr wollte er vorerst auch gar nicht. Sollten sie danach wieder aufholen, hatte er ja noch genug Weiber an Bord, um sich auf diese Weise die Kerle vom Hals zu halten. Ein paar der Indianerinnen würde er sicher noch über den Atlantik bringen, und wenn es nur noch zehn oder fünfzehn waren. Es waren alles junge, hübsche Dinger, �frische Ware� zur Belustigung gewisser höfischer Kreise - später dann zur Weitergabe an Hurenhäuser oder zum Zeitvertreib lüsterner alter Böcke adliger Herkunft gedacht. Er lachte laut auf und hieb sich auf die Oberschenkel, als er sah, daß die Galeone in den Wind schoß und vorerst die Verfolgung aufgab. �Auf Nordostkurs bleiben!� rief er dem Rudergänger zu. Der Befehl wurde bestätigt, während Vargas achteraus ins Wasser blickte. Seine dünnen Lippen waren verächtlich herabgezogen.

�Ich hätte die Weiber bestimmt nicht aufgefischt�, murmelte er. �Gibt doch genug von ihnen, aber bitte, bitte, das hilft mir nur weiter, wenn ihr so denkt.� Wieder folgte ein kurzes und jähes Auflachen. Vargas griff zum Spektiv und blickte hindurch. Er schien die Szene sehr zu genießen, denn noch immer grinste er abfällig über die Kerle, die sich anschickten, eine Jolle auszusetzen. Das verschaffte ihm Luft und brachte ihm Zeitgewinn. Wenn das so weiterging, konnte er sich in der Dunkelheit endgültig absetzen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden.

* Auf der �Isabella� wurde die Jolle mit einer Schnelligkeit ausgesetzt, die fast schon an Zauberei grenzte. Eigentlich fehlte jetzt noch der Profos Edwin Carberry, denn der hätte das Aussetzen der Jolle zwar nicht weiter beschleunigen, dafür aber mit wilden und wüsten Sprüchen würzen können. Big Old Shane, der die Jolle führen sollte, warf der �Santa Barbara�, die ihnen jetzt das Heck zeigte, noch einen wilden und grimmigen Blick nach. Den saftigen Fluch zerbiß er zwischen den Zähnen. Er hätte diesen Kerl auf dem Achterdeck am liebsten eigenhändig umgebracht. Wie der mit einem Menschenleben verfuhr, war mehr als bestialisch. Diesen Satan kümmerte es nicht im geringsten, was mit den sechs Frauen geschah. Ihn interessierte nur, daß er die Distanz vergrößern konnte, egal unter welchen Umständen. Dabei spielte ein Menschenleben keine Rolle. Shane enterte in die Jolle und übernahm sofort die Pinne. Stenmark und Blacky hieben mit aller Kraft die Riemen ins Wasser und pullten auf die Stelle zu, wo die sechs jungen Frauen schwammen. Sie wußten, daß sie Zeit herausschinden mußten, und deshalb flog die Jolle nur so über das Wasser.

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Shane hielt genau auf sie zu. Die Indianerinnen befanden sich noch knapp hundert Yards entfernt und bildeten eine Traube im Wasser. �Zum Glück können sie schwimmen�, stellte der graubärtige Riese erleichtert fest. Er erhielt keine Antwort, denn Sten und Blacky pullten wie besessen und atmeten mit weitgeöffneten Mündern. Zusätzlich war auch noch das Segel gesetzt, und das brachte sie zusammen mit dem wilden Riemenschlag blitzschnell voran. Auf der �Isabella� killten die Segel, als sie in den Wind schoß. Es hörte sich an wie das Geknatter von Musketenfeuer. Als Shane einen zweiten Blick auf das Heck der �Santa Barbara� warf, da sah er zähneknirschend, daß der �gefiederte Bastard�, wie er den Kerl insgeheim nannte, auf der Kampanje stand, sich köstlich zu amüsieren schien und höhnisch mit der rechten Hand winkte. Der Hundesohn hatte die erste Runde gewonnen, und er hatte noch mehr Trümpfe in der Hand. Shane wollte brüllen: �Pullt doch schneller, verdammt!� Aber das verkniff er sich, denn die beiden Männer pullten aus Leibeskräften. Carberry hätte sich das nicht verkniffen, der hätte nach altbewährter Profosmanier die übelsten Flüche vom Stapel gelassen und jedem die sofortige Entmannung angedroht, mit dem Schmiedehammer selbstverständlich. Aber der Profos war weit vom Schuß. Als sie näher heran waren, begann Shane zu winken, was soviel bedeuten sollte, die jungen Frauen brauchten keine Angst zu haben, denn man wolle ihnen helfen. Sie schwammen wirklich sehr gut und waren auch nicht in Panik. Nur die Angst stand noch in ihren jungen Gesichtern, weil man sie so brutal über Bord gestoßen hatte. Offenbar strahlte der graubärtige Gigant auch etwas aus, das vertrauensvoll und beruhigend auf sie wirkte. Sie schwammen der Jolle entgegen. Das Bergen war nur noch ein Kinderspiel und verlief ohne jegliche Komplikationen,

denn die Frauen hatten inzwischen bemerkt, daß man ihnen helfen wollte. Eine nach der anderen wurde an Bord gezogen. Zuerst waren die Blicke der jungen Ladys etwas kritisch, aber als sie Stenmark, Blacky und den graubärtigen Riesen freundlich grinsen sahen, tauten sie auf. Etwas scheu lächelten sie zurück. Nein, hier waren sie offenbar nicht vom Regen in die Traufe geraten. Diese Männer grinsten nicht dreckig, gemein oder herausfordernd - sie grinsten ausgesprochen freundlich. Sie musterten die Ladys auch nicht unverschämt oder aufdringlich. Sie sahen sie nur an, während sie schon wieder wie wild zurückpullten. Klar, daß die Arwenacks sich auch wie Gentlemen benehmen konnten. Das hinderte sie allerdings nicht daran, insgeheim festzustellen, daß diese jungen Ladys taufrischen herrlichen Perlen glichen, Kostbarkeiten, die sie aus dem Meer gefischt hatten. Mochte dieser Bastard voraus auch ein dreckiger und übler Hundesohn sein - Geschmack hatte er jedenfalls bewiesen, was die sehenswerte Auslese dieser Inselschönheiten betraf. Hasard sah dem Boot entgegen. Er merkte nicht, daß er von der Seite von Mac O'Higgins gemustert wurde. Dieser O'Higgins befand sich erst seit zwei Tagen an Bord der �Isabella� und fühlte sich offenbar sehr wohl. Am zweiten Mai hatten sie ihn aus dem Wasser gefischt, als sie auf den spanischen Geleitzug gestoßen waren. Da war O'Higgins von der �Fahne gegangen�. Vor einem Jahr hatten ihn die Dons in Cadiz von einem englischen Handelsfahrer gepreßt, und jetzt hatte er die Gelegenheit genutzt, um abzuhauen. Mac O'Higgins war ein rothaariger, grünäugiger Ire, ein ziemlich großer Brocken mit kantigem, wettergegerbtem Gesicht und stark ausgeprägtem Kinn. Sein Blick war offen und ehrlich. Higgy nannten sie ihn, wie er treuherzig erklärte, und dann hatte er bescheiden und etwas verlegen gefragt, ob er nicht bei dem �Sir�

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anheuern könne. Ein Händedruck zwischen Hasard und �Higgy� hatte diesen Heuervertrag dann besiegelt. Jetzt bewies Higgy, der früher als Bootsmann gefahren war, daß er auch denken konnte. Er wandte sich an Hasard. �Sir, auf der ,Santa Barbara' befinden sich etwa vierzig dieser jungen Indianerfrauen.� �Ich weiß, Higgy, du hast es schon berichtet.� �Ich wollte damit etwas anderes sagen, Sir: Dieser dreckige Bastardkapitän Juan Vargas kann dieses teuflische Spiel mit den Frauen noch mindestens sechsmal betreiben und uns dadurch immer wieder zum Beidrehen zwingen, um für sich selbst Zeit herauszuschinden.� �Auch das ist mir klar�, sagte Hasard zähneknirschend. �Es ist eine demoralisierende Situation, in der wir völlig hilflos sind, denn der Hundesohn spekuliert mit unserer Menschlichkeit.� �Ganz richtig, Sir. Das nutzt er geschickt aus. Aber wahrscheinlich betreibt er das dreckige Spiel noch öfter als sechsmal. Es genügt ihm ja, wenn er jedesmal nur zwei oder drei Frauen ins Wasser stößt. Selbst wenn es nur eine ist, müssen wir immer wieder beidrehen. Der Satan kann so einen Trumpf nach dem anderen aus dem Ärmel ziehen, und er lacht sich halb tot dabei.� Das ist ganz richtig, dachte Hasard, was der Ire da anführt. Der Hundesohn bestimmte Geschwindigkeit und Kurs und konnte sie eine ziemliche Zeit an der Nase herumführen. �Ja, das ist mir klar�, sagte er wütend. �Dadurch hat er die besten Chancen, seine Flucht bis zum Abend hinzuziehen. In der Dunkelheit wird er dann versuchen, mit einer Kursänderung zu verschwinden. Der Satan soll ihn holen.� �Aye, aye, Sir. Kerle wie den holt früher oder später ganz sicher der Teufel. Und der wird ihm vorher erst alle seine Federn ausrupfen, bevor er ihn zum Rösten auf den Spieß steckt, falls dieser Vergleich gestattet ist, Sir.� �Er ist gestattet�, sagte Hasard. �Wenn du erst unseren Profos kennenlernst, wirst du noch ganz andere Vergleiche hören.�

Auf diesen Profos war Higgy schon sehr gespannt, denn von diesem Kerl wurde an Bord jeden Tag mindestens dreimal geredet. Da hieß es dann immer: �Ha, wenn Ed jetzt hier wäre!� Oder: �Schade, daß Ed nicht da ist, der hätte es diesem quergestreiften Affenarsch schon gezeigt!� Allerdings war aus diesem Lobgesang auch herauszuhören, daß dieser Profos ein recht harter Rabauke war, sozusagen der harte Kern der Arwenackmannschaft. Hasard ahnte in etwa, welche Gedanken Higgy bewegten. Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit aber jetzt voll und ganz auf die heranjagende Jolle mit den sechs Frauen an Bord. Sie durften keine weitere Zeit mehr verlieren, sonst gewann der gewissenlose Bastard einen immer größeren Vorsprung. Und das wollte Hasard, so gut es ging, unbedingt vermeiden. Diesem Teufel mußte das Handwerk gelegt werden.

2. Hasard blickte über die Schulter zurück. Weiter achtern kam jetzt �Eiliger Drache� auf, dem die �Chubasco� unmittelbar folgte. Der Schwarze Segler sah unheimlich aus, das hatte auch schon der Kapitän der flüchtenden �Santa Barbara� festgestellt. Immer wieder nahm er sich ein paar Augenblicke Zeit, um durch das Spektiv das schwarze Schiff mit den schwarzen Masten und Segeln anzusehen. Offenbar irritierten ihn die feuerspeienden Drachen auf den Segeln. Er konnte das Schiff nicht so richtig einordnen. Es wirkte jedoch sehr beklemmend in seiner Düsterkeit. Die Jolle war jetzt heran und wurde vertäut. �Na, dann mal hoch mit den Ladys�, sagte Stenmark, und half der ersten beim Aufentern. Oben standen Mac Pellew und Batuti, um die noch etwas verstörten jungen Indianerinnen in Empfang zu nehmen. Obwohl der Anblick der barbusigen Indianerinnen doch wirklich herzerfrischend war, brachte Mac Pellew

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es nicht fertig, freundlich zu grinsen oder Freude zu zeigen. Er sah sehr verdrießlich aus, dieser Mac Pellew, und zog ein Gesicht wie ein total erfolgloser Leichenbestatter, für den die Welt nur in Ordnung war, wenn sein Trauergeschäft florierte. Selbstverständlich half er kräftig mit, die Ladys an Bord zu hieven, und er kümmerte sich auch sogleich um sie, damit sie versorgt wurden. �Die haben sicher Hunger, die Vögelchen�, sagte er mitfühlend. Inzwischen standen die sechs jungen Frauen an Deck und blickten sich scheu nach allen Seiten um. Aber da 'wurde ihnen von etlichen Männern aufmunternd und freundlich zugenickt, und so verloren sie die Scheu bald. Als Stenmark und Blacky ebenfalls aufentern wollten, hob Hasard die Hand und schüttelte den Kopf. �Bleibt in der Jolle�, rief er, �und legt euch flach hin, damit man euch von dem Spanier aus nicht sehen kann! Nimm die Leine, Batuti, und häng die Jolle achtern an.� Batuti übernahm die Leine und ließ die Jolle achteraus sacken. Stenmark und Blacky legten sich flach zwischen die Duchten. Von weitem sah es jetzt so aus, als sei die Jolle leer. �Ah, das ist sicher für die nächste Überraschung gedacht�, meinte der blonde Schwede. �Klar, sie werden diesen miesen Hinhaltetrick noch öfter versuchen�, sagte Blacky. �Und zwar jedesmal, wenn wir ihnen wieder aufgesegelt sind.� �Dreckiger Bastard�, kommentierte Sten. �Aber einmal wird ihm die Luft ausgehen.� �Hoffentlich hat er dann nicht noch üblere Überraschungen für uns bereit�, murmelte Blacky. Sie blieben zwischen den Duchten liegen und unterhielten sich leise. Hasard winkte den Frauen unterdessen beruhigend zu. Die ersten lächelten bereits scheu zurück. Ihre Blicke wurden aber immer dann ängstlich, wenn sie die voraussegelnde Galeone

sahen, von der man sie ins Wasser gestoßen hatte. �Keine Angst�, sagte Mac Pellew, �ihr werdet gleich versorgt. Sicher habt ihr auch Durst und Hunger.� Er hatte spanisch gesprochen, weil sich schon einmal herausgestellt hatte, daß etliche Arawakindianer die Sprache beherrschten oder sich zumindest damit gut verständigen konnten. Hier war das wieder der Fall. Mac Pellew kriegte sein Froschgesicht, als die eine fragte: �Ihr auch Spanier?� Das klang ein bißchen ängstlich, aber das verstand Mac auch. Klar, die armen jungen Dinger hatten vor den Dons Angst, denn die gingen nicht gerade liebevoll mit ihnen um. Sie betrachteten sie lediglich als wilde Affen, mit denen man umspringen konnte, wie man wollte. Daher schüttelte Mac ablehnend den Kopf. �Wir sind keine Spanier�, sagte er freundlich, �wir sind Engländer. Ich heiße Mac.� Es stellte sich heraus, daß insgesamt zwei der sechs Indianerinnen die spanische Sprache beherrschten. Die eine sprach etwas holperig und suchte oft nach Worten, die zweite sprach besser. Sie hieß Anora, wie sie Mac versicherte. Mac Pellew ging ein paar Schritte über die Kuhl und wandte sich an Hasard, der auf dem Achterdeck neben Smoky stand, der Ruderwache in Ermangelung des fehlenden Pete Ballie ging. �Wo soll ich die Ladys unterbringen, Sir? Sollen wir ein paar Kammern räumen?� �Später, Mac, wenn wir noch mehr an Bord haben. Das wird zweifellos der Fall sein, wie ich den Halunken einschätze. Bring sie vorerst in den Krankenraum, und versorge sie mit Essen und Trinken.� �Aye, aye, Sir. Schätze, die Dons werden sie nicht gerade verwöhnt haben.� �Mit der Schätzung dürfest du richtigliegen.� Mac zeigte den Indianerinnen, wo es zum Krankenraum ging. Batuti und Luke Morgan gingen mit, als �Geleitschutz�, wie Luke grinsend versicherte.

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�Bringt mal was aus der Kombüse�, sagte Mac, �etwas zu essen, ein bißchen Wein und frisches Wasser. Ich erkundige mich inzwischen mal, was den Frauen drüben widerfahren ist.� Luke und Batuti flitzten los, um das Gewünschte zu holen. Noch bevor Mac irgendwelche Fragen stellen konnte, waren die beiden schon wieder zurück. Sie brachten Kummen und einen Topf mit. Auch Wein und Wasser hatten sie nicht vergessen. �Seht nur, wie hungrig sie sind�, sagte Mac grimmig. �Dieser dreimal verdammte Mistkerl hat ihnen nicht mal satt zu essen gegeben. Den Kerl sollte man an der Rah hochziehen.� Sie ließen die hungrigen Indianerinnen ein paar Augenblicke allein, damit sie sich satt essen konnten und sich nicht beobachtet fühlten. Erst danach, als alle Kummen leer waren, stellte Mac ein paar Fragen. Anora bedankte sich erst einmal, aber Mac wehrte gleich ab und sagte, das sei doch wohl, verdammt noch mal, selbstverständlich, daß ein Mensch sich satt essen dürfe, wenn er Hunger habe. �Auf dem Schiff war das anders�, sagte Anora, die schwarze, lange Haare und blitzend weiße Zähne hatte. �Wir sind keine Menschen, hat der Spanier gesagt.� �Und was seid ihr sonst?� �Braune Affenhuren hat er uns genannt.� Dem Zweitkoch der �Isabella� blieb die Spucke weg. Sein Essiggesicht wurde noch finsterer. �Der Kerl ist ein Schwein�, sagte er empört. �Wenn wir ihn erwischen, wird es ihm dreckig gehen, diesem Bastard. Haben sie euch auch angefaßt, die Kerle?� Anora senkte den Kopf. Ihr Gesicht lief rot an. �Ja�, sagte sie leise und beschämt. �Der Kapitän und seine Offiziere haben sich Mädchen in ihre Kammern geholt. Als die Mädchen sich wehrten, wurden sie geschlagen und an den Haaren in die Kammern gezerrt. Jede, die nicht so will, wie die Spanier das wollen, wird geschlagen, getreten oder mißhandelt.�

Batuti und Luke hörten schweigend zu. Aber ihre Gesichter sprachen Bände. Mac Pellew stieß hart die Luft aus. Da schienen sich, ja feine Sachen auf der Galeone abzuspielen. Bevor die armen Dinger nach Spanien verfrachtet wurden, verlustierten sich die Bastarde noch an ihnen und behandelten sie wie den letzten Dreck. �Wir lassen euch jetzt allein�, sagte Mac, �dann könnt ihr euch ausruhen und eure Kleidung trocknen. In den Kojen liegen überall Decken. Ihr braucht auch keine Angst zu haben. An Bord dieses Schiff es wird euch niemand belästigen oder anfassen. Das kann ich euch versichern.� Dann drehte er sich zu den beiden anderen um. �Gehen wir. Ich werde das Hasard melden, damit er weiß, was für ein dreckiger Bastard da vorn segelt. Luke Morgan sah eins der Mädchen bewundernd an. �Toll, toll�, murmelte er anerkennend. �Die sehen. hinreißend aus, findest du nicht auch?� Mac Pellew drehte sich um und fixierte Luke aus schmalen Augen. Sein Gesicht glich jetzt einem Essigfaß, so sauer war es verzogen. �Du hast hier überhaupt nichts zu glotzen oder toll zu finden. Und von wegen hinreißend, das ist hier nicht drin. Das sagt dir in aller Deutlichkeit Mister Mac Pellew.� �Sag mal � spinnst du?� fragte Luke entgeistert. �Du tust j a geradeso, als wärst du in einem Weihwasserkessel aufgewachsen, du saurer Hering. Man wird doch wohl noch eine Feststellung treffen dürfen.� Mac warf sich in die Brust. �Ich bin hier verantwortlich für die Ladys�, erklärte er etwas von oben herab. �Und ich gestatte überhaupt nichts, schon gar nicht lüsterne Blicke und so.� �Jetzt hör dir den an�, sagte Luke empört zu Batuti, als sie wieder an Deck waren. �Spielt hier den Oberhahn, quatscht von schwerer Verantwortung und unterstellt mir lüsterne Blicke, dieser kalfaterte Sumpfgockel.�

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Fast wären sich die beiden in die Haare geraten, denn Mac Pellew entwickelte tatsächlich und ziemlich plötzlich Allüren, die ihn in die gefährliche Nähe eines Moralapostels brachten. Zu allem Unglück lief dem sauertöpfischen Mac auf der Kuhl auch noch Matt Davies in den Kurs. �Donnerwetter�, sagte der und schlug Mac auf die Schulter, �da haben wir ja eine feine Besatzung beieinander. So hübsche Hühnerchen hatten wir schon lange nicht mehr an Bord.� �Wo haben wir denn Hühnerchen?� fragte Mac grämlich. �Ich habe lediglich sechs junge Frauen unter meine Obhut genommen, aber keine Hühnerchen.� �Unter deine Obhut?� �Genau, Mister Davies. Damit sie vor lüsternen Blicken geschützt sind.� �Man darf sie also nicht mal aus der Ferne betrachten?� fragte Matt lauernd. �Nein, das habe ich verboten. Junge, barbusige Frauen sind nicht zum Anglotzen da.� �Wozu denn?� �Ja - äh - die Moral und so�, murmelte Mac. �Ja, die Moral und so�, höhnte Matt. �Und die Apostel, die die Moral hüten, was? Spielst dich hier als Großkotz auf und mußt gleich gehörig übertreiben, obwohl noch niemand lüstern gepeilt hat.� �Es könnte aber sein�, erklärte Mac. �Es könnte aber auch sein, daß ich dir mit meiner Hakenprothese den Affenarsch bis zum Kragenknopf aufreiße, wenn du hier anfängst zu spinnen. �Jedenfalls bin ich ihr Hüter�, sagte Mac salbungsvoll, �und wer da zum Glotzen antanzt, dem haue ich die Bratpfanne über den Schädel, ohne Rücksicht auf Verluste.� Die andern grinsten hinter Mac her, denn er benahm sich tatsächlich fast wie der Obergockel vom Hühnerhof. �Nun, wie sieht es aus?� fragte gleich darauf Hasard, :als Mac auf dem Achterdeck erschien. �Hast du die Ladys versorgt?� �Aye, aye, Sir. Sie waren sehr hungrig und auch sehr durstig. Zwei von ihnen sprachen

ein bißchen Spanisch, und da habe ich so einiges erfahren. Dieser Vargas muß der reinste Satan sein, seine Offiziere sind auch nicht besser. Das ist ein Schiff voller Halunken, die eiskalt über Leichen gehen.� �Das ist mir mittlerweile klargeworden, Mac.� �Sie haben sich Liebchen unter den Mädchen ausgesucht und sie in ihre Kammern geholt�, berichtete Mac. �Vargas und seine Offiziere haben dabei brutale Gewalt angewandt. Die Mädchen haben sich zur Wehr gesetzt, aber genutzt hat ihnen das nichts. Braune Affenhuren haben die Kerle sie genannt.� Hasard kniff die Lippen zusammen. Auch die Augen wurden schmal und blickten voraus, wo der Kerl auf dem Achterdeck zu sehen war. Braune Affenhuren, wiederholte er in Gedanken. Was der Halunke sich an Menschenverachtung erlaubte, war nicht mehr zu überbieten. �Ist gut, Mac�, sagte er gepreßt und spürte, wie ihm die Galle hochstieg. Auf Hasards Gesicht lag ein Schatten, seine Züge waren scharf und kantig geworden. Wer ihn kannte, der wußte, daß es jetzt keinen Pardon mehr gab. Auch Shane und Ferris Tucker preßten die Lippen zusammen. Shane atmete tief aus, um nicht gleich vor Zorn zu explodieren. �Dieser Kerl gehört zum Abschaum der Menschheit�, sagte Ferris. �Der würde Vater und Mutter erwürgen, ohne mit der Wimper zu zucken, wenn es ihm nur einen Vorteil einbringt. Und dann gibt sich dieser Bastard auch noch so überlegen.� �Im Augenblick ist er uns auch überlegen�, sagte Hasard, �und das weiß er natürlich. Das nutzt er skrupellos aus. Er weiß, daß wir die Frauen nicht in Gefahr bringen wollen und daher verhindert sind, auf das Schiff zu feuern. Hinter unserer Menschlichkeit versteckt er sich. Damit ist er nichts weiter als ein erbärmlicher Feigling.� Ferris nickte grimmig. �Ja, ein feiger Bastard ist er, der sich hinter hilflosen Frauen versteckt, weil er Angst hat, mit uns die Klinge zu kreuzen. Aber

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einmal ist er am Ende, und dann zahlen wir zurück.� An Deck hatte sich mittlerweile herumgesprochen, was auf der �Santa Barbara� geschah und daß die Kerle die Frauen nicht nur erbarmungslos über Bord warfen, sondern ihnen auch noch Gewalt antaten. Dementsprechend groß war auch die Empörung unter den Arwenacks, und jeder brannte darauf, es den Halunken heimzuzahlen. Dieses arrogante, überhebliche und eiskalte Achterdeckspack stieß ihnen allen sauer auf. Sie spitzten schon auf den Zeitpunkt, an dem sie diese feige Brut abräumen konnten. Doch bis dahin war es noch ein langer Weg. �In etwa einer Viertelstunde sind wir ihm wieder auf gesegelt�, sagte Hasard, �und vermutlich beginnt das Drama dann erneut. Wir werden versuchen, ihn mit dem Achterstich sturmreif zu schießen. Das übernehmt ihr, Matt und Al.� Der Achterstich war jener verhängnisvolle Schuß, der einem voraussegelnden Schiff die Ruderanlage zerstören oder schwer beschädigen sollte. Für die Dons war das zumeist ein Alptraum, weil sie die Deckung und Sicherung des Achterschiffes zumeist schwer vernachlässigten. Traf dieser Achterstich, dann bedeutete das für eine Galeone meist den Anfang vom Ende. Ohne intaktes Ruder war sie hilflos und manövrierunfähig. Nach diesem bewährten Muster wollte Hasard erneut vorgehen, weil sich bisher immer gezeigt hatte, daß selbst schwere und große Kriegsgaleonen auf diese Weise zu knacken waren. Gerade der stark geschützte Geleitzug hatte das wieder bewiesen. �Wir sind bereit, Sir�, sagte Al Conroy. Wie immer war er die Ruhe selbst und durch nichts zu erschüttern. Matt Davies nahm sich sogar noch die Zeit, seinen spitz zugeschliffenen Haken am Hemd zu polieren, obwohl der wirklich glänzte. Aber das war so eine Angewohnheit von ihm, wenn er sich konzentrieren mußte. Die beiden nickten Hasard zu und gingen nach vorn zur Back, wo sie die zwei

Drehbassen besetzten. Sie waren bereits geladen und konnten jederzeit abgefeuert werden. �Gerade bei diesem Bastard ist ein Schuß von höchster Präzision angebracht�, sagte Al. �Vielleicht fliegt ihm vor Schreck dann der Federbusch vom Schädel.� Matt rieb wieder seinen Haken und sah aus den Augenwinkeln auf den stämmigen Waffen- und Stückmeister, der sich etwas bückte und in Gedanken bereits Maß nahm. �Den kriegen wir schon�, versprach er, als sei das die selbstverständlichste Sache der Welt. Allerdings hatten sie den Achterstich schon oft geprobt und immer wieder angewandt. Im Laufe der Zeit hatten sie Präzision entwickelt. War die See einigermaßen ruhig, dann war es so gut wie ausgeschlossen, daß sie nicht trafen. Diesmal waren Ladys an Bord, bedauernswerte Geschöpfe, die man einfach verschleppt hatte. Und die sollten nicht in Gefahr geraten, das schwor sich Al Conroy. Vargas drehte sich einmal um und blickte zur �Isabella� zurück. Er sah die beiden Männer an den Drehbassen, aber dafür hatte er nur ein verächtliches Grinsen übrig. �Dieser Hund�, sagte Matt, �den könnte ich eigenhändig aufschlitzen. Der lacht noch über uns.� �Nicht mehr lange�, versicherte Al trocken. �Wer zuletzt lacht, hat die schärfsten Zähne, oder wie das heißt. Wenn wir zuschnappen, dann braucht er ein großes Pflaster für seine Wunde.� Als sie noch näher aufgesegelt waren, knirschte Dan O'Flynn vor Wut mit den Zähnen. Er stand im Vormars der �Isabella� und sah wieder einmal als erster, was sich auf der �Santa Barbara� tat. Der Hundesohn Vargas ließ weitere Frauen an Deck bringen.

* �Das Schiff ist ein Hartläufer�, sagte in diesem Augenblick Juan Vargas zu seinem

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Ersten Offizier. Der war ein asketischer Typ mit vorstehenden Wangenknochen und kalten, abfällig blickenden Augen, die alles schnell und kurz musterten. So schnell sein hartes Lächeln erschien, so schnell verschwand es auch meist wieder oder fror ein. �Innerhalb einer halben Stunde haben die Piraten wieder aufgeholt, obwohl wir unter vollem Preß laufen�, sagte Vargas. �Die sind zäh wie hungrige Wölfe und bleiben dran. Wegen ein paar lausiger Huren�, setzte er verächtlich auflachend hinzu. �Vielleicht sind sie ausgehungert und wollen alle ihren Spaß haben. Na, den wollen wir ihnen nicht vorenthalten.� Innerlich war er allerdings gar nicht mehr so sehr davon überzeugt, daß die Kerle ihren Spaß haben wollten. Die handelten anscheinend aus ganz anderen Motiven, und das beunruhigte ihn nun doch. Besorgt blickte er wieder achteraus. Das Schiff stand wie ein riesiger Dom in der See und lief unter vollen Segeln. Dieser Dom wurde jeden Augenblick größer und höher und schob sich näher heran. An den vorderen Drehbassen lauerten zwei Männer mit harten Gesichtern. �Lassen Sie ein paar von den Indianerhuren an Deck bringen!� befahl Vargas mit krächzender Stimme. �Und dann über Bord mit den Weibern. Sollen die Kerle sie untermangeln.� �Sechs Stück wieder?� fragte der Erste kalt. Vargas überlegte, dabei lachte er dreckig. �Nein, nur drei. Wir wollen ja noch weiter unseren Spaß haben und die Kerle zum Narren halten. Wenn wir jedesmal sechs Weiber über Bord werfen, sind unsere Reserven bald erschöpft.� �So ist es�, sagte der Erste grinsend. Es war ein abfälliges und gemeines Grinsen. �Ich lasse die drei Huren von dem Profos nach achtern bringen.� Da Vargas sich zu fein dünkte, um mit dem Profos zu reden, ließ der Erste ihn nach achtern rufen. �Drei Weiber nach achtern bringen!� befahl der Erste.

Der Profos grinste lüstern. Er hatte sich bereits ebenfalls bei den Indianerinnen �bedient� und eins der Mädchen mit Gewalt in seine Kammer schleppen lassen. Zur Zeit geht es lustig zu auf dem Schiff, dachte er. Die höheren Chargen durften tun und lassen, was ihnen beliebte, und davon machten sie reichlich Gebrauch. Der Profos tat sehr freudig seine �Pflicht� und marschierte zum Laderaum, wo die jungen Frauen eingesperrt waren. Er winkte zwei Kerle herbei, die ebenfalls grinsten, weil sie wußten, was jetzt gleich folgen würde. �Drei Täubchen an Deck nach achtern zum Backbordschanzkleid bringen!� schnauzte er. Er und die beiden anderen stiegen in den Raum hinunter. Die jungen Frauen wichen angstvoll zurück, als sich die grinsenden Kerle näherten. Erst scheuchten sie sie unter rohem Gelächter wie Hühner hin und her, grapschten nach ihnen, ließen sie wieder los und packten nach anderen. Jede Gegenwehr wurde mit ein paar Ohrfeigen erstickt. Der Profos packte ein Mädchen roh bei den Schultern, drehte ihm den Arm auf den Rücken und schob es die Leiter hinauf. Die beiden anderen folgten. An Deck standen grinsende Kerle, die der brutalen Szenerie unter Beifall und Gejohle zusahen. Die sich immer noch heftig zur Wehr setzenden Mädchen wurden nach achtern geschleift und ans Backbordschanzkleid gezerrt. Sie wußten nicht, was man mit ihnen vorhatte. Sie hatten auch nicht gesehen, daß sechs ihrer Leidensgenossinnen über Bord geworfen worden waren. Aber sie schienen etwas zu ahnen, denn eine riß sich plötzlich mit einem heftigen Ruck los und rannte davon. �Fangt das Weib ein, bringt es sofort nach achtern!� brüllte der Erste voller Wut. Das Mädchen gelangte nicht weit. Sie erreichte gerade den Niedergang, als derbe Fäuste nach ihr griffen und sie packten. Etwas später stand sie wieder an derselben Stelle.

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Vargas trat an die total verängstigten Mädchen heran, hob einem mit dem Finger das Kinn an und gab ihm zwei Ohrfeigen. Aber die Indianerin war wie eine Katze. Sie wand sich in dem harten Griff des Mannes, der sie hielt, und biß Vargas in die Finger. Der Kapitän sprang fluchend einen Schritt zurück. Sein Gesicht war zu einer dämonischen Fratze verzogen. �Schmeißt sie über Bord!� brüllte er. �Genau vor den Bug des verdammten Piratenschiffes!� Für die Kerle war das wieder ein Anlaß zum Grinsen. Ihr Kapitän tat genau das Richtige, um den Verfolger abzuschütteln, denn mit den vier Kanonen, die sie an Bord hatten, konnten sie der stark armierten Galeone nichts entgegensetzen. Aber die über Bord geworfenen Frauen hielten die Kerle immer wieder auf. Der Profos stemmte die eine Indianerin hoch. Dann warf er sie mit Schwung über Bord. Die beiden anderen Frauen folgten und landeten einen Augenblick später im Wasser. Rasch trieben sie davon. Vargas strich grinsend mit Daumen und Zeigefinger über seinen schwarzen Schnauzbart. Er starrte ins Wasser, sah den Frauen nach und grinste abfällig. Ihm entging allerdings auch nicht, daß das �Piratenschiff� ziemlich dicht aufgesegelt war. �Wenn er die Weiber nicht untermangeln will, muß er abfallen und aus dem Kurs gehen�, sagte er zu seinem Ersten. �Das wird sie wieder eine Weile aufhalten.� Der Erste nickte beipflichtend. �Das könnte sich so den ganzen Tag hinziehen, Capitan. Und wenn es dunkel wird, empfehlen wir uns. Vielleicht kriegen die Kerle dann noch Versorgungsschwierigkeiten mit den Indianerweibern.� Beide sahen grinsend zu, was sich jetzt tat. Mit Sicherheit würden die Kerle abfallen, um die Frauen aufzufischen. Auf der �Santa Barbara� betrachtete man das als eine Art Spiel und Zeitvertreib. Vor allem war es eine wirksame Methode, sich auf diese Art den zähen Verfolger vom

Leib zu halten. Daran, daß sie jungen Frauen Schmerz und Leid zufügten, dachte niemand.

* �Sie bringen wieder Frauen an Deck!� rief Dan aus dem Vormars zum Deck hinunter. Auf der �Isabella� hatten sie alle starre Gesichter und eine grenzenlose Wut im Bauch über den brutalen Hundesohn. Der bewies jetzt erneut, zu was er fähig war und daß er eiskalt über Leichen ging, um seine eigene Haut zu retten. Zornerfüllt sahen die Arwenacks zu, wie drei Frauen aus dem Innern des Schiffes an Deck gebracht wurden. Sie wehrten sich verzweifelt, doch gegen die rohe Kraft der Kerle kamen sie nicht an. Die Halunken schienen sich auch noch zu amüsieren. Durch das Spektiv war deutlich zu erkennen, wie sie lachten. Hasard schluckte einen Kloß hinunter, der ihm im Hals hing, und starrte mit brennenden Blicken zu der Galeone hinüber. �Dabei hatten wir sie gerade so weit, daß wir zum Achterstich ansetzen konnten�, murmelte er erbittert. �Jetzt schindet dieser feige Bastard wieder Zeit, indem er Frauen über Bord werfen läßt.� Deutlich war zu sehen, wie sich eine der Frauen losriß und flüchtete. Sie wurde jedoch gleich wieder eingeholt und erneut nach achtern gebracht. Die eigene Hilflosigkeit ärgerte die Arwenacks maßlos. Nichts konnten sie im Augenblick tun - überhaupt nichts. So waren sie nur zorngeladene Zeugen einer unmenschlichen Aktion. �Paß gut auf, Smoky�, sagte Hasard zu dem Decksältesten, der am Ruder stand. �Sie werfen uns die Frauen fast vor den Bug. Sobald sie im Wasser sind, läßt du das Schiff etwas abfallen. Sonst besteht die Gefahr, daß die armen Dinger unter den Kiel geraten.� Smoky nickte hastig. Sein Gesicht war vor Wut rot angelaufen. Er hatte die Ruderwache auf der �Isabella� übernommen, weil der

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Gefechtsrudergänger Fete Ballie bei Ben Brighton auf der �Chubasco� war. Der rothaarige Ire Higgy stand ebenfalls auf dem Sprung. Er hatte die Hand an der Leine der Jolle und blickte hinunter, wo Stenmark und Blacky zwischen den Duchten lagen. �Sie werfen wieder Frauen über Bord�, sagte er. �Haltet euch bereit, es wird gleich losgehen.� Die beiden zeigten verstanden. Von der �Santa Barbara� aus war nicht zu sehen, daß zwei Männer in der Jolle lauerten. Drüben wurde jetzt eins der jungen Dinger hochgestemmt und rücksichtslos ins Wasser geworfen. Gleich danach folgten zwei weitere. �Abfallen!� rief Hasard. Smoky legte Ruder, der Wind wehte aus Nordwest, und die �Isabella� fiel etwas ab. Rasch trieben die Frauen heran. Auch sie konnten gut schwimmen, doch sie waren von panischer Angst erfüllt, als sie auf das große Schiff zutrieben. �Leine los, Higgy!� sagte Hasard. Der Ire ließ mit einem schnellen Ruck die Leine slippen. Stenmark und Blacky richteten sich auf und griffen zu den Riemen. Wie besessen begannen sie zu pullen. Auch hier kam alles wieder auf die Zeit an. Der Hundesohn gewann durch den Aufenthalt wieder einen Vorsprung. Diesmal hatte er �nur� drei Frauen über Bord werfen lassen, aber der Zeitaufwand war ziemlich der gleiche. Dieses höllische Spiel konnte er noch mindestens zehnmal wiederholen, wenn er nicht die Taktik änderte. Auf dem Achterdeck der verfolgten Galeone stand der Kerl mit dem Federbüschel am Hut, zeigte achteraus ins Kielwasser und lachte. Sein Erster Offizier lachte ebenfalls. Offenbar hielten sie das für einen sehr gelungenen Scherz. Als die Jolle bei den im Wasser treibenden Indianerinnen eintraf, zeigte die �Santa Barbara� der �Isabella� erneut die Hacken und segelte unter vollem Preß davon. Hasard sah dem Schiff mit finsteren Blicken nach. Selten hatte er sich so hilflos

gefühlt wie heute. Er explodierte fast vor Wut, und er beherrschte sich nur sehr mühsam. Insgeheim zog er in Erwägung, dem Kerl doch einen Schuß mit den überlangen Culverinen zu verpassen, aber er war sich nicht sicher, wo sich die Frauen befanden, ob sie alle unter Deck waren oder ob man sie auch in Kammern oder gar in die Vorpiek gesperrt hatte. Er ließ den Gedanken wieder fallen und sah stumm zu, wie Blacky und Stenmark die erste Frau über den Dollbord hievten. Eine zweite hatte sich an die Jolle geklammert, die dritte trieb dicht in der Nähe des Bootes. Die beiden Männer beeilten sich, so schnell es ging. Stenmark redete auch beruhigend auf die Frauen ein. �Nur keine Angst�, murmelte er, als er das entsetzte Gesicht einer jungen Indianerin sah, �wir wollen euch helfen.� Ob sie ihn verstanden, wußte er nicht, aber als er aufmunternd und beruhigend lächelte, faßten sie Vertrauen. Etwas später war auch die dritte Frau im Boot. Die Jolle wurde mit harten Riemenschlägen zur �Isabella� gepullt. Am Schanzkleid oberhalb der großen Rüste standen Mac Pellew, Batuti und Gary Andrews, um die Frauen in Empfang zu nehmen. �Die sind ja ganz naß, die armen Hühnerchen�, sagte Mac bedauernd, was ihm von Gary einen vernichtenden Blick einbrachte. �Das ist oft der Fall, wenn man im Wasser landet�, sagte er trocken, �oder hast du das nicht gewußt?� Mac räusperte sich verdrießlich. Er zeigte den Frauen den Weg zur Krankenkammer, und als Gary und Batuti folgen wollten, drehte er sich um und wehrte ab. �Ihr nicht. Es langt, wenn ich dabei bin. So viele Kerle verwirren die armen Mädchen nur.� �Setz du mal lieber ein freundliches Gesicht auf, du Trauerklops�, sagte Gary, �sonst verwirrt dein Anblick sie noch mehr.� �Ich hab' nur das eine�, brummte Mac.

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Higgy hängte die Jolle erneut achtern an. Zum Aufhieven war keine Zeit mehr, das hätte zu lange gedauert. Inzwischen war die �Isabella� wieder auf Kurs und jagte hinter den Halunken her. �Wie oft wird er dieses Spiel mit uns noch treiben?� fragte Hasard. �Wahrscheinlich bis zur Dunkelheit.� �Oder so lange, bis keine Frau mehr an Bord ist�, sagte Shane. �Dann aber haben wir ihn, falls es ihm nicht gelingt, sich in der Dunkelheit abzusetzen.� �Das wird ihm nicht gelingen�, versprach Hasard. �Wir bleiben dran. Es sieht auch nicht so aus, als würde es eine pechschwarze Nacht werden. Ich muß diesen Bastard kriegen.� Ja, sie mußten ihn fassen, das sagten sich auch Shane und all die anderen, die regelrecht darauf brannten, diesem Hundesohn den richtigen Kurs zu zeigen. Nur hatte der Kerl immer noch alle Trümpfe in seinen dreckigen Fingern. Das Manöver der Dons hatte ihnen wieder einen Vorsprung verschafft, aber den holte die �Isabella� bald wieder auf. Zäh und beharrlich blieb sie an dem Schiff kleben, wobei sich die Distanz fast unmerklich verkürzte. Nach einer halben Stunde trennten sie noch hundert Yards voneinander. Schließlich nur noch achtzig.. �Jetzt wird der Bastard sein teuflisches Spiel wiederholen�, sagte Hasard, �und dann geht es wieder von vorn los. Wir müssen jetzt reagieren.� �Zwei Frauen werden an Deck gebracht!� rief Dan O'Flynn, aber auf dem Achterdeck hatten sie es bereits gesehen. Ein bulliger Kerl enterte in einen Laderaum ab. Selbst auf diese Entfernung hin waren spitze und hohe Schreie zu hören. Gleich darauf tauchten die Köpfe zweier Frauen auf. Die letzte Chance, dachte Hasard. Noch waren die Frauen nicht an Deck. Die Entfernung war jetzt um nochmals zehn Yards geschrumpft. Vorn lauerten Al Conroy und Matt Davies voller Ungeduld auf den Feuerbefehl. Die

Drehbassen zeigten genau auf die Ruderanlage des Spaniers. Da hob der Seewolf die Hand, das Zeichen zum Feuern. �Na endlich�, sagte Matt erleichtert. Er schwenkte die Drehbasse um eine Kleinigkeit weiter nach unten. Dann feuerten sie gleichzeitig. Auf der Back erklang ein Dröhnen. Zwei lange Flammenzungen rasten aus den Rohren, Pulverdampf wallte auf, doch der wurde sofort vom Wind zerfetzt. Siebzig Yards weiter schlug es mit voller Wucht ein. Da war ein Prasseln zu hören, ein Krachen und Splittern. Die Kerle auf dem -Achterdeck warfen sich flach auf die Planken. Aber ihnen hatten die beiden Drehbassenschüsse nicht gegolten. Al Conroy riß die Arme hoch, als drüben ein Splitterregen nach allen Seiten flog. Matt Davies knallte seinen Eisenhaken vor Freude in den Handlauf des Schanzkleides. �Getroffen!� brüllte er. �Wir haben den Bastard getroffen.� Ja, getroffen, sehr sauber sogar, dachte Hasard, als er einen schnellen Blick durch den Kieker warf. Die Reaktion des Gegners folgte auch prompt. Der Ruderschaft der Galeone war völlig zerfetzt und zersplittert. Von oben hing nur noch ein pinselähnliches Ding herunter. Zwischen der Pinne und dem Ruderblatt gab es keine Verbindung mehr. Das Ruderblatt wackelte wie ein Lämmerschwanz. Die Arwenacks brüllten laut vor Begeisterung. Der Bastard war nicht mehr dazu gekommen, zwei weitere Frauen über Bord werfen zu lassen. Jetzt hatte es auch keinen Sinn mehr.

* Als die schlanke Galeone so dicht aufgesegelt war, hatte Vargas wiederum den Befehl gegeben, zwei Frauen über Bord zu werfen. Dabei grinste er diabolisch und überheblich. Aber die Frauen waren noch nicht an Deck, als ihm das Grinsen schlagartig auf

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den Lippen gefror. Er sah die beiden Männer an den Drehbassen hantieren, und dann ging alles sehr schnell. �Deckung!� brüllte er dem Ersten und Zweiten Offizier zu. �Die Kerle feuern.� Als das letzte Wort verklungen war, stachen vom Bug der Galeone zwei Feuerlanzen herüber. Grell-weiß blitzte es auf. Gleichzeitig waren ein lautes Splittern und das Gewummer der Drehbassen zu hören, die ihre Ladung ausgespien hatten. Jetzt zerfetzte der Eisenhagel achtern das Holz, wie Vargas annahm. Ekelhaft hörte sich das Knirschen und Splittern an. Er lag auf den Planken und sah durch halbgeschlossene Augenlider, wie nach allen Seiten Holzsplitter regneten. Er sprang auf, als das Prasseln verklang, und da erlebte er eine höllische Überraschung. Der Rudergänger, der natürlich nicht in Deckung gehen durfte, stand ratlos da und sah zu, wie die Galeone ohne sein Zutun hart in den Wind schoß. Sehr verständnislos starrte er das Ruder an. Es ließ sich sehr leicht bewegen, denn es hatte keinen Druck mehr. Juan Vargas war mit zwei schnellen Schritten heran. �Idiot!� brüllte er. �Beweg das Ruder, Kerl! Siehst du nicht, daß wir in den Wind schießen?� Vargas stieß den Rudergänger hart zur Seite, drohte ihm noch brüllend eine scharfe Bestrafung an und griff dann selbst zu. Die Galeone gehorchte nicht mehr. Sie war steuerlos geworden und drehte weiter in den Wind. Erst jetzt begriff Vargas, was passiert war. Die Ruderanlage war zum Teufel. Die Kerle hatten sie mit den beiden Schüssen aus den Drehbassen buchstäblich zerhackt. Er stieß einen wilden, bösartigen Fluch aus, denn übergangslos begann auf der �Santa Barbara� Wuhling zu herrschen. Die Segel killten, knatterten und schlugen wie verrückt. Die Spieren kreischten unter der plötzlich auftretenden Beanspruchung, und von den killenden Segeln erklang ein Geräusch, daß Vargas nicht in der Lage war, einen Befehl zu brüllen, denn bei dem

Geknatter ging jedes Wort hoffnungslos unter. Für Augenblicke war er entsetzt. Die Galeone verlor an Fahrt. Die überraschten Kerle an Deck schrien sich die Kehlen heiser. Aus den anderen Räumen drangen die Schreie der Indianerinnen, die nicht wußten, was geschah. Die Hölle war los, und die Wuhling wurde immer größer. Vargas sah aber auch, daß sich aus. Süden das unheimliche schwarze Schiff langsam heranschob, gleichzeitig holte auch der Verfolger auf. Die Karten standen schlecht für ihn, doch er heckte bereits eine neue Teufelei aus.

3. �Schadenfreude ist doch die beste Freude�, sagte Smoky. �Das gebe ich ganz ehrlich zu. Jetzt hat sich das Blättchen gewendet. Der Kerl hat vermutlich seinen letzten Trumpf ausgespielt.� �Scheint so�, meinte Hasard. Fast genußvoll sah er zu, was auf der �Santa Barbara� alles passierte. Da passierte recht viel auf einmal. Zunächst erhoben sich die Kerle von den Planken, als der Eisenhagel vorüber war. Dann wurde der Rudergänger angepfiffen, weil die Galeone in den Wind schoß. Der Bastard auf dem Achterdeck hatte wohl angenommen, dem Rudergänger seien nach den Schüssen die Nerven durchgegangen. �Er weiß noch nichts von seinem Glück�, sagte Shane händereibend. �Er wird es aber gleich merken.� Drüben brüllten Kerle, als die Galeone immer mehr in den Wind schoß. Sie rannten verzweifelt hin und her. Offenbar wußten sie nicht, was sie tun sollten. So gab es Mißverständnisse und Irrtümer, denn Vargas konnte sich mit seinem Gebrüll vorläufig noch nicht durchsetzen. �Wir luven etwas an, Smoky�, sagte der Seewolf. �Dann haben wir den Halunken in einer günstigen Position. Wir werden der ,Santa Barbara' an Backbord von achtern auflaufen.� Smoky legte Ruder und

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luvte an. Seine Augen glänzten, und er war richtig erleichtert, daß sie diesen Kerl jetzt endlich hatten, obwohl es noch nicht ganz soweit war. Immerhin war er mit seiner zerschossenen Ruderanlage hilflos und konnte nicht mehr auskneifen. Inzwischen waren auch Al Conroy und Matt Davies achtern. �Sehr gut getroffen�, lobte Hasard, �das war sozusagen der Blattschuß. Bei den Kerlen läuft vorerst nichts mehr. Besetzt jetzt die Kanonen auf der Steuerbordseite, wir laufen Backbord von achtern auf. Leider fehlen uns ein paar Männer, aber wir erhalten von den beiden anderen Schiffen gleich Unterstützung.� Die fehlenden Männer waren Carberry, der Kutscher, Nils Larsen, Sven Nyberg und die Zwillinge Hasard und Philip, die sich zur Zeit auf der �Empress� bei Old Donegal befanden. Weitere sieben Männer - Ben Brighton, sein Bruder Roger, Don Juan de Alcazar, Bill, Jeff Bowie, Jack Finnegan und Paddy Rogers �segelten auf der Karavelle �Chubasco�. Ausgerannt waren die Culverinen bereits und auch feuerbereit. Al Conroy zog fragend die Augenbrauen hoch. �Wollen wir wirklich feuern, Sir? Ich meine � wegen der Frauen ...� �Die ausgerannten Stücke sind mehr eine Drohgebärde�, sagte Hasard. �Aber ich werde nicht davor zurückschrecken, das Feuer zu eröffnen, falls diese Halunken ebenfalls aus ihren beiden Kanonen feuern. Aber es wird nur ins Rigg gefeuert und keinesfalls in den Rumpf, damit die Frauen nicht gefährdet werden. Ich nehme an, daß sie sich alle unter Deck befinden.� Diese Annahme erwies sich allerdings als trügerisch, denn auf der �Santa Barbara� hatte sich inzwischen einiges getan.

* Die Wuhling herrschte auf der Galeone zwar immer noch, aber Vargas hatte es geschafft, daß ein paar Segel weggenommen wurden. Jetzt trieb die Galeone langsam dahin.

Der Mann mit den grausamen kalten Augen wußte, daß ihm ein gnadenloser und harter Strauß bevorstand. Sie hatten vier Siebzehnpfünderculverinen an Bord � viel zuwenig, um sich gegen das stark armierte Schiff behaupten zu können. Das segelte inzwischen von Backbord achtern immer weiter auf. Die Kanonen waren ausgerannt und feuerbereit. Durch die Stückpforten erkannte Vargas lauernde Männer, die nur auf den Befehl zum Feuern warteten. Er schluckte hart, aber er war sich seiner Sache auch sicher, daß die �Piraten� vorerst wohl nicht feuern würden. Der Grund waren die Frauen, es ging ihnen also nur um die Indianerweiber. Diese Frauen waren jetzt seine letzte Chance, die er noch einmal ausnutzen mußte. �Jetzt ist es aus mit uns�, sagte der Erste gepreßt. �Die Hunde werden uns zusammenschießen, und wir sind total hilflos.� �Noch ist es nicht aus. Mir ist etwas. eingefallen. Die Kerle trauen sich nicht, das Feuer zu eröffnen, weil sie Angst haben, sie würden die Weiber treffen.� �Aber sie können uns das Rigg zerschießen.� Ein schnelles kaltes Lächeln erschien in dem Gesicht des Kapitäns. �Auch das wird ihnen nicht viel weiterhelfen. Los, gehen Sie persönlich nach unten, und nehmen Sie sich ein paar Kerle mit. Im großen Laderaum befindet sich ein verriegeltes Schott. Das öffnen Sie und bringen so viele Weiber wie möglich an Deck. Aber Beeilung, die Halunken sind gleich aufgesegelt. Wir haben nicht mehr die Zeit, die Weiber aus den Räumen zu holen. Scheuchen Sie sie durch den Raum über den Niedergang, dann merken die Kerle auf der Galeone auch nicht gleich, was ich vorhabe. Die Überraschung wird dann umso größer für sie sein.� �Was haben Sie vor, Capitan?� �Zum Teufel, verschwinden Sie endlich, Mann! Das werden Sie gleich erfahren.� Der Erste verschwand in dem Niedergang. Er nahm noch den Profos und ein paar weitere Kerle mit. Sie entriegelten das Schott und standen unmittelbar darauf

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zwischen den verstörten Frauen im Laderaum. Die ersten wurden gnadenlos und brutal durch den Gang nach oben gezerrt, gestoßen und gedrängt. Die Indianerinnen glaubten, man würde sie jetzt umbringen. Unter dem wüsten Gebrüll und Geschrei der Kerle, die selbst in heller Panik waren, wurden sie an Deck getrieben, wo sie ängstlich Aufstellung nahmen. Vargas grinste jetzt herausfordernd. Da standen sie, total verängstigt, und wußten nicht, was geschehen würde. �Reiht die Weiber am Backbordschanzkleid auf!� rief Vargas. �Und haltet ihnen Pistolen oder Messer an die Köpfe. Bringt ein halbes Dutzend von ihnen sofort aufs Achterdeck!� In aller Eile wurden die zitternden und schreienden Frauen am Backbordschanzkleid aufgestellt. Sechs von ihnen wurden aufs Achterdeck gebracht, wo Vargas sie höhnisch in Empfang nahm. Er zog seine Pistole und drückte sie einer Indianerin an den Kopf. �Benutzt sie als Schutzschilde!� rief er. �Aber nicht feuern! Ich will erst die Reaktion der Kerle abwarten. Sie werden höllisch überrascht sein, wenn sie das sehen.� Jetzt hatten die Kerle kapiert, um was es ging. Die Indianerinnen waren ihre letzte Rettung, daher beeilte sich jeder, auch schnell eine zu erwischen. Sie zogen Pistolen oder Entermesser, mit denen sie die Frauen bedrohten. Dann erwarteten sie mit diabolischem Grinsen ihren Gegner. �Eine geniale Idee�, sagte der Erste heiser. �Keiner der Kerle wird jetzt auch nur einen Schuß abgeben.� �Ganz sicher nicht�, sagte Vargas mit einem höhnischen Lachen. �Sollte das doch der Fall sein, werden ein paar der Weiber auf der Stelle umgelegt.� Skrupel hatten sie keine. Ihnen war jedes Mittel recht, um die eigene Haut zu retten. Gewissenlos nahmen sie dabei in Kauf, daß ein paar Indianerinnen starben. Aber für Vargas und seine Offiziere zählten Indianer ohnehin nicht. Schließlich gab es ja genug.

�Da werden auch die beiden anderen Schiffe nichts mehr ausrichten können�, sagte er. �Dabei haben sie so viele Kanonen. Das ist ja der reinste Witz.� Er gab sich sehr gelassen. Das Mädchen, das vor ihm stand, zitterte am ganzen Leib. Sie hatte die Augen geschlossen. Der Lauf der Pistole war an ihren Kopf gepreßt.

* Dan O'Flynn war aus dem Vormars abgeentert und nach achtern gegangen. Von oben aus gab es nicht mehr viel zu sehen. Man konnte die �Santa Barbara� auch so gut überblicken. Aber an Deck wurde er jetzt gebraucht. Ferris, Luke, Al, Bob Grey und ein paar andere standen an den Culverinen und beobachteten durch die Stückpforten den Gegner. Wenn der Befehl dazu kam, würden sie ins Rigg halten, um die Frauen nicht zu gefährden. Die �Isabella� befand sich jetzt fast auf gleicher Höhe mit der dahintreibenden Galeone, als Hasards Blick starr wurde. Drüben erschienen wie aus einem Geheimgang überall Indianerinnen an Deck. Sie wurden von brüllenden Kerlen zur Backbordseite getrieben und mußten am Schanzkleid Aufstellung nehmen. Wer sich nicht beeilte oder in der Aufregung stolperte, wurde mit Schlägen oder harten Stößen vorangetrieben. Auch auf dem Achterdeck tauchten übergangslos sechs Frauen auf. Einige der Kerle hatten einen Arm um ihren Hals gelegt und ihnen ein Messer oder eine Pistole an den Kopf gedrückt. Die Situation war der reinste Alptraum. Hasard glaubte, seinen eigenen Augen nicht zu trauen, als er das sah. Auf dem Achterdeck der �Isabella� wurde es für Augenblicke mucksmäuschenstill. Man hörte nur den Wind leise in der Takelage jammern und das leise Rauschen der Bugwelle. Shane schluckte schwer, als er das Bild sah. Er wollte sich die Kehle freiräuspern,

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aber er brachte nicht einmal ein heiseres Krächzen heraus. Stumm auf das Schiff blickend, stand er da. Auf Hasards Stirn schwoll eine Zornesader an. Die Narbe in seinem Gesicht wurde tiefrot und dunkel. Seine Augen sprühten Blitze. Aber diese Blitze waren Eiskristalle. �Dieses erbärmliche Schwein�, flüsterte er. �Benutzt die hilflosen jungen Frauen als Schutzschilde!� Er konnte nicht weitersprechen, er erstickte fast an seinem wilden und jäh aufsteigenden Zorn. Auch Dan O'Flynn blickte wie gelähmt zur �Santa Barbara� und ihrem bestialischen Kapitän. In dem Gesicht des Halunken stand ein dreckiges, herausforderndes Grinsen. Er kostete die Überraschung der Arwenacks und ihr Entsetzen genüßlich aus. Auch der Erste Offizier, der neben ihm stand, grinste wie ein Satan in Menschengestalt. Verschlagen blickte er herüber. In der rechten Hand hielt er eine Pistole. Den linken Arm hatte er einer Indianerin um den Hals gelegt. Die Waffe zielte auf ihren Kopf. Hasard sah, wie das Mädchen angstvoll und entsetzt die Augen aufriß und kaum zu atmen wagte. Sie bewegte sich auch nicht. Wie erstarrt stand sie auf dem Achterdeck. �So eine teuflische Situation habe ich noch nicht erlebt!� sagte Dan O'Flynn. Sein Gesicht war weiß vor Wut und jeder Blutstropfen daraus gewichen. �Was tun wir jetzt?� fragte er hilflos. Hasard fühlte sich elend, ihm war kotzübel, als er überall diese schmierig grinsenden Visagen sah. Die Feiglinge hatten nichts mehr zu verlieren, deshalb hatten sie zum letzten und dreckigsten Trick gegriffen, um ihr Fell zu retten. Er wußte nicht, was er Dan antworten sollte. Die Situation war einmalig, verrückt und ein einziger böser Traum. Sein Blick wanderte von einem zum anderen, von den Frauen bis hin zu den Kerlen, dann aufs Achterdeck und auf den grinsenden Capitan, der die Lage total beherrschte. Er sah auch die beiden

Kanonen, Siebzehnpfünder, auf der Backbordseite�und die Kerle, die neben diesen feuerbereiten Kanonen standen. Der Ire Higgy hatte noch gesagt, die beiden Dinger seien nicht der Rede wert und mehr als vier hätten die Kerle nicht an Bord. Hasard hatte das Gefühl, als würde für lange Augenblicke die Zeit stehenbleiben. Er sah immer nur das verschlagene und hinterhältige Gesicht des Ersten Offiziers und die noch viel schlimmere Visage des Kapitäns, der sich über die Situation amüsierte. Er konnte nicht mehr an sich halten, er mußte sich Luft verschaffen, mußte brüllen oder schreien, um das schmierige Grinsen aus den Gesichtern der feigen Bastarde zu wischen. Aber er wußte schon jetzt, daß seine Worte keine Reaktion zeigen würden. Die Kerle hatten die Lage im Griff, und diese schmähliche Niederlage fraß wie Gift an seiner Seele. Dennoch brüllte er berstend vor Zorn hinüber: �Streichen Sie die Flagge, Vargas, Sie feiger und dreckiger Bastard! Sie haben keine Chance mehr!� Er hatte selbstverständlich spanisch gesprochen, damit dem Kerl auch ja kein Wort entging. Und er hatte so laut gebrüllt wie nur ganz selten in seinem Leben. Seine Stimme klang wie brüllender Donner, wie das Feuern einer ganzen Breitseite, und sie wurde drüben auch sehr gut verstanden. Die Antwort bestand aus einem höhnischen Gelächter. Der Kerl bog sich fast vor Lachen. Die Entfernung zwischen beiden Schiffen betrug etwa vierzig Yards, und so war das laute und höhnische Gelächter des Halunken deutlich zu hören. Der Erste Offizier tat es seinem Herrn und Meister nach. Er zog das Mädchen noch dichter zu sich heran und lachte laut. Den Lauf der Pistole preßte er noch härter an ihren Kopf. Als das Gelächter unvermittelt abbrach, sagte Vargas etwas, das auf der �Isabella� nicht verstanden wurde. Auch der Seewolf hatte die Worte nicht verstanden, aber er begriff, was der Kerl

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vorhatte. Der nutzte die Situation noch einmal auf seine Art und Weise aus, denn er fühlte sich den Arwenacks haushoch überlegen. �Auf die Planken!� schrie Hasard. Die Arwenacks warfen sich keine Sekunde zu spät hin. Sie lagen noch nicht richtig auf den Planken, als es auf der �Santa Barbara� kurz aufblitzte. Auf die kurze Distanz war es ein wildes, grelles Feuer von gleißender Helligkeit. Es war wie ein Blick in die Sonne. Das höllische Krachen klang wie ein gewaltiger Donnerschlag. Die Männer auf den Planken zogen das Genick ein. In der Luft war ein Jaulen zu hören, irgendwo stieg dunkler Rauch auf, dann ein urweltliches Dröhnen, Bersten und Splittern. Beide Siebzehnpfünder trafen die �Isabella�. Hasard hatte immer noch das Krachen und Splittern in den Ohren. Er sprang auf und sah sich um. Auch die anderen erhoben sich. Wut und Empörung standen in ihren Gesichtern. Sie konnten nicht einmal zurückfeuern, ohne die Frauen zu treffen. Selbst ins Rigg konnten sie unter diesen Umständen nicht halten. Da würde alles von oben krachen, was wiederum zur Folge hätte, daß die unschuldigen Indianerinnen verletzt oder getötet würden. Ferris Tucker erkannte mit einem Blick, was die eine Eisenkugel angerichtet hatte. Sie hatte an der Steuerbordseite das Schanzkleid zwischen der großen Rüste und den Außenhautstufen zum Auf- und Abentern ins Boot durchbrochen. Dort hingen jetzt kreuz und quer die Splitter herum. Dann war die Kugel weitergerast und hatte den Steuerbordniedergang, der vom Quarterdeck zur Kuhl führte, zertrümmert. Ein Wirrwarr von Holzteilen lag herum. Ferris sprang auf und lief weiter nach achtern. Dort hatte es besonders laut gekracht. Gleich darauf .wußte er, was die andere Kugel angerichtet hatte. Sie war in Hasards Kammer geflogen. Hinter der Besanrüste war sie durch die bleiverglasten

Fenster gepfiffen. Der auf den Planken festgeschraubte Schreibtisch des Seewolfs war zu, Bruch gegangen und bestand ebenfalls nur noch aus Trümmern. Verletzt war niemand, wie Hasard erleichtert feststellte. Jetzt, als sie sich wieder erhoben hatten, begann auf der �Santa Barbara� ein schauriges Geheul einzusetzen. Die Dons grölten und brüllten ihren Triumph hinaus, und sie taten es so lautstark, als hätten sie eine Seeschlacht gewonnen. Ganz besonders taten sich Vargas und sein Erster Offizier dabei hervor. Der eine hieb sich lachend auf die Schenkel, der andere riß den rechten Arm hoch und grinste triumphierend. Auch die Kerle an Deck verbargen ihre Schadenfreude nicht. Die beiden Kanoniere, die der �Isabella� die Treffer verpaßt hatten, rannten schreiend und hüpfend über Deck. Andere klopften ihnen auf die Schultern und lobten sie, als hätten sie die größte Heldentat vollbracht. Jetzt hat der Kerl Oberwasser, dachte Hasard. Diese Treffer stachelten ihn an und ließen ihn seinen Triumph voll auskosten. �Eine Scheißsituation�, sagte Shane, �ich fühle mich wie ein hilfloser Trottel, den man auch noch auslacht, weil er zu dämlich ist, etwas zu unternehmen.� �So ähnlich geht es mir auch�, gab Hasard wütend zu. �Dieser Halunke demütigt uns nach Strich und Faden�, sagte Ferris. �Wegen der beiden Treffer freuen sich die Idioten auch noch, als hätten sie uns schon versenkt. In deiner Kammer ist der Schreibtisch zu Bruch gegangen, Sir, und zwei Fenster hat es auch erwischt. Na ja, und an Deck hat es ein bißchen härter eingeschlagen. Das Schanzkleid kann wieder geflickt werden, und einen neuen Niedergang werde ich auch zimmern. Durch die Holztrümmer sieht es schlimmer aus, als es in Wirklichkeit ist.� �Sie wischen schon die Rohre�, sagte Hasard, �und werden gleich wieder nachladen. Bis dahin müssen wir aus ihrer Reichweite verschwunden sein.� �Sollen wir den Kahn entern, Sir?� fragte Ferris kampfeslustig.

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�Und die Frauen?� fragte der Seewolf erbittert zurück. �Die scheuen sich doch nicht, die Frauen umzubringen.� Als hätte man diese Worte drüben auf der �Santa Barbara� verstanden, brüllte eine Stimme los. Sie gehörte Vargas, und aus der Stimme troff der Hohn wie ranziges altes Öl. �Falls ihr Piratenpack entern wollt, dann tut euch keinen Zwang an. Sobald ihr euch nähert, springen die ersten braunen Indianerhuren über die Klinge. Das ist mein Ernst.� Hasard sah hinüber und konnte kaum noch an sich halten. Seine Lippen waren nur noch zwei schmale Striche. �Der Feigling hat längst begriffen, daß es uns um die Frauen geht. Vermutlich interpretiert er das falsch, nämlich auf seine dreckige Art. Aber er kann uns damit nach Belieben unter Druck setzen, und das tut er. Teufel noch mal, er hat uns buchstäblich matt gesetzt. Wir können vorläufig gar nichts tun, als weiterhin auf der Lauer zu liegen.� �Eine Bestie in Menschengestalt�, sagte Dan, der an seinem hilflosen Zorn ebenfalls fast erstickte. �Er nutzt jede Möglichkeit eiskalt und brutal aus.� �Hoffentlich habt ihr mich verstanden!� brüllte Vargas zu allem Überfluß noch einmal herüber. �Wenn ihr mir auf den Pelz rückt, lasse ich die Weiber umbringen!� Hasard gab keine Antwort. Was hätte er auch sagen sollen? Der Bastard Juan Vargas hatte sie matt gesetzt. So beschämend diese Niederlage auch war, sie mußten sie hinnehmen. Zur Zeit waren sie zum Nichtstun verdammt. Drüben hatten sie inzwischen die Rohre gewischt. Die Frauen standen immer noch als lebende Schutzschilde am Schanzkleid, bewacht von Kerlen mit Messern und Pistolen. Die Szenerie wirkte wie erstarrt. Nur die Männer an den beiden Siebzehnpfündern bewegten sich. Auf dem Achterdeck standen Vargas und zwei Offiziere. Zwei weitere Kerle trieben sich dicht davor

herum. Sie hatten ebenfalls zwei Mädchen im Griff. �Wir werden nicht abwarten, bis der Bastard seine Kanonen wieder nachgeladen hat. Ich möchte ihm keinen weiteren Triumph gönnen. Sein teuflisches Gelächter klingt mir immer noch in den Ohren. Wir gehen nach Backbord durch den Wind, fallen ab und legen uns schräg Backbord achteraus erneut auf die Lauer. Aus dieser Position kann er feuern, solange er will, er wird uns nicht mehr treffen.� Vargas sah, daß die �Isabella� nach Backbord durch den Wind ging. Mit lauten Zurufen feuerte er die Kerle an, die Kanonen wieder auszurennen und zu feuern. Aber das ging nicht von einer Minute zur anderen. Das brauchte Zeit. Noch bevor die Stücke feuerbereit waren, hatte sich die �Isabella� bereits abgesetzt. Schräg Backbord achteraus lag sie abwartend in der See, unerreichbar aus diesem Winkel für die beiden Kanonen. Die Situation war verrückt. Der Verfolgte konnte nicht mehr auskneifen, weil seine Ruderanlage zerschossen war. Der Verfolger konnte nichts weiter unternehmen, als abzuwarten. Aber auf der �Santa Barbara� hatten sie vorerst die besseren Karten. �Wenn wir schon nichts tun können, dann räumen wir wenigstens auf und beginnen damit, die Schäden auszubessern�, sagte Ferris. �Das ist immer noch besser, als diese Feiglinge anzustarren.� Ein paar Mann gingen gleich darauf an die Arbeit. Es sah wirklich schlimmer aus, als es war.

4. Noch immer war der Himmel blau, die Sonne schien, der Wind wehte aus Nordwest, und die See dünte langgezogen und gleichmäßig. Alles sah ruhig und friedlich aus, aber das war nur der erste Augenschein. Die verrückte Situation bestand nach wie vor. Von Süden segelten �Eiliger Drache� und die Karavelle �Chubasco� auf. Aber selbst

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wenn sie hier sind, wird sich an der augenblicklichen Lage nicht viel ändern, überlegte Hasard. Er ging auf dem Achterdeck auf und ab und suchte nach einer Lösung. Dan O'Flynn stand hartgesichtig und mit schmalen Augen neben dem Kompaß und warf immer wieder einen Blick zu den Galgenvögeln hinüber. In den Vormars war jetzt Gary Andrews aufgeentert. Er stand auf der Plattform und hatte einen guten Überblick auf die �Santa Barbara�. Hasard unterbrach seine grüblerische Wanderung und blieb stehen. �Uns sind buchstäblich die Hände gebunden, Dan. Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen, wir haben keine Möglichkeit, die Bastarde zu packen, es sei denn, wir ignorieren das Risiko für die Frauen, aber das kann ich nicht.� �Keiner kann das verantworten�, sagte Dan. �Ich möchte mich nicht am Tod einiger Frauen schuldig fühlen, um einen der Kerle zu kriegen. Lieber würde ich ihn ziehen lassen, auch wenn mir das noch so widerstrebt.� �Ja, so sehe ich das auch. Andererseits sind Vargas ebenso die Hände gebunden. Seine Galeone ist steuerlos, und bis er ein Notruder hergestellt hat, wird einige Zeit vergehen.� �Und dann? Wir sind selbst dann noch erpreßbar, wenn er das Notruder fertig hat und verschwindet.� ' �Ja, er hat die Frauen. Aber ich sehe trotzdem noch eine Chance, nur eine einzige.� �Du meinst entern, Sir?� �Ja, entern. Aber das kann nur nachts geschehen, und dann müßte es auch noch finster sein. Wir haben aber Halbmond und so gut wie keine Bewölkung. Außerdem hat die Sache noch einen Haken: Beim Entern muß auf Anhieb dieser Teufel ausgeschaltet werden, sonst gibt es ein unbeschreibliches Massaker. Wenn wir Vargas sofort schnappen, haben wir einen großen Vorteil. Alles andere dürfte dann nicht mehr sehr schwierig sein.� �Warten wir doch, bis die beiden Schiffe heran sind�, schlug Dan vor. �Dann

besprechen wir die Einzelheiten mit Ben und dem Wikinger noch einmal genau. Vielleicht hat der eine oder andere auch noch einen Vorschlag einzubringen.� Hasard nickte. Es war wirklich besser, wenn sie die Aktion vorher gemeinsam besprachen. Er sah wieder hinüber zu der Galeone. Nichts hatte sich da verändert, Vargas lehnte an der Balustrade und starrte ins Wasser. Um seine Lippen spielte immer noch das grausame Lächeln. �Er ist ein widerlicher Blutegel�, sagte Hasard, �der sich am Fleisch der anderen festsetzt und nicht mehr losläßt. Er lebt auf Kosten der anderen, in diesem Fall der Frauen, und er läßt erst dann los, wenn er getötet wird.� �Deshalb würde ich dem Kerl auch keinen Pardon gewähren�, sagte Dan mit harter Stimme. �Es wird auch keinen für ihn geben, diesmal nicht. Leider haben wir ihn noch nicht.� Es ging jetzt auf die fünfte Nachmittagsstunde zu. Immer noch stand Gary Andrews oben im Vormars und beobachtete, was sich auf der �Santa Barbara� tat. Dort hantierten jetzt einige Kerle mit einem überlangen Riemen, den sie aus dem Laderaum hievten und an Deck schleppten. Gary sah, wie sie den riesigen Holzprügel über die Kuhl nach achtern brachten. Das überlange Ding war vermutlich als Notruder gedacht, mit dem die Halunken zu flüchten gedachten. Blitzschnell enterte er ab. Er wollte seine Meldung nicht über das ganze Deck brüllen, weil man es auf der anderen Galeone zweifellos hören würde. Mit langen Schritten lief er nach achtern, wo immer noch Hasard und Dan standen. Die anderen Männer unter Ferris Tucker waren damit beschäftigt, die Schäden auszubessern. �Die Kerle schleppen einen langen Riemen nach achtern�, meldete er. �Offenbar bringen sie ihn auf das Kampanjedeck der Galeone.� �Ein Notruder also�, sagte Hasard, �welch anderen Zweck sollte der Riemen sonst

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erfüllen? Ich sehe mir das gleich einmal selbst an, Gary.� Hasard enterte nur ein Stück in den Webeleinen auf, bis er einen besseren Überblick hatte. Gary Andrews war ihm gefolgt, um wieder seinen Platz einzunehmen. Hasard sah, daß immer noch vier Kerle bei den beiden Kanonen herumlümmelten, obwohl sie zur Zeit absolut nichts mit den Stücken ausrichten konnten. Drehbassen, um die �Isabella� von achtern aus beharken zu können, hatten sie zum Glück nicht. Dann konzentrierte er seine Aufmerksamkeit auf die Dons, die den gewaltigen Riemen nach achtern, trugen. Zwei schleppten an dem Handgriff, zwei weitere trugen ihn am Blatt. Zwei andere brachten Tauwerk und Bändsel mit. �Ja, das Notruder�, sagte Hasard. �Sie werden es auf der Kampanje montieren und festzurren. Und dann haben sie die löbliche Absicht, sich unter ein paar Segeln zu verziehen. Natürlich immer mit der Drohung, die Frauen umzubringen, falls wir folgen. Diesmal werden sie allerdings keine Freude an dem Notruder haben�, versprach der Seewolf grimmig. Er enterte wieder ab und winkte Batuti aufs Achterdeck. �Shane!� rief er dem graubärtigen Exschmied zu. �Bitte ebenfalls aufs Achterdeck.� Big Old Shane legte die Säge auf die Planken, nickte Ferris zu und folgte den beiden Männern aufs Achterdeck. �Die Kerle bringen als Notruder einen Langriemen aus�, erklärte er. �Wenn sie den installiert haben, wird sich die Szene zugunsten der Bastarde verändern. Das lasse ich aber nicht zu, sie haben uns genug gedemütigt und verhöhnt. Ich werde mir auch keinerlei Humanitätsduselei leisten, was in diesem Fall sowieso unangebracht ist. Wir haben einen Gegner vor uns, der unschuldige Frauen umbringt. Holt jetzt eure Bogen aus der Waffenkammer, und nehmt normale Pfeile dazu. Dann erscheint ihr wieder auf dem Achterdeck.�

Shane und Batuti nickten. Sie wußten bereits, was Hasard vorhatte. Endlich gab es wieder etwas zu tun. Die Warterei ging auf die Nerven, zumal man nicht wußte, wie Vargas handeln würde. Kurz darauf kehrten sie zurück, die riesigen Langbogen in den Fäusten und die Köcher voller normaler Pfeile. �Ihr könnt von der Back aus schießen�, sagte Hasard, �ihr könnt es aber auch hier vom Achterdeck aus tun. Das überlasse ich euch.� �Keine große Entfernung�, meinte Batuti. �Das sind nicht mehr als hundert Yards, Sir. Ich denke, wir bleiben achtern.� �Ich bin auch dafür�, sagte Shane. Auf dem achteren Schiffsteil- der �Santa Barbara� ließen sie den Riemen jetzt zu Wasser, bis er tief eintauchte. Das Ding war so groß wie ein junger Baum und schlecht zu bedienen. Aber ein Notbehelf war es immerhin. Jetzt erschien auch Vargas auf dem Kampanjedeck und sagte etwas. Batuti hatte schon einen Pfeil auf der Sehne. Aber der Bogen war noch nicht gespannt. �Wenn wir den Bastard jetzt erwischen könnten�, sagte Shane erregt, �dann hätten wir die Überraschung auf unserer Seite.� Gerade als er und Batuti den Bogen spannen wollten, verschwand Vargas wieder. �Der Satan scheint das zu riechen�, sagte Batuti wütend. �Der hat einen sechsten Sinn für Gefahren.� �Ja, das scheint so�, sagte Hasard, der für einen Augenblick gehofft hatte, der Kerl möge noch stehenbleiben. Wie zum Hohn tauchte Vargas gleich darauf noch einmal auf, aber wieder nur für einen winzigen Augenblick. Auch der Erste ließ sich nicht blicken. Entweder hatten die Kerle die beiden mit Bogen bewaffneten Männer gesehen, oder sie hatten eine Ahnung, daß ihnen Gefahr drohte. Inzwischen hantierten zwei Männer auf dem Kampanjedeck mit dem Langriemen. Sie bewegten ihn hin und her, um die Ruderwirkung auszuprobieren.

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�Fertig?� fragte Hasard. Shane und Batuti hatten die gewaltigen Bogen gespannt. Sie brauchten übermäßige Kraft dazu, aber sie verstanden sich aufs Bogenschießen und hatten sich darauf spezialisiert. �Fertig�, sagten beide. �Dann feuert!� Zwei Pfeile schwirrten von den Sehnen. Nur ein feines Singen war zu hören. Noch während die Pfeile flogen, ließen Batuti und Shane auch schon die Bogen sinken. Es dauerte nur einen Lidschlag, dann sank der eine Kerl am Langriemen lautlos in sich zusammen. Es sah aus, als wäre aus einer Blase plötzlich die Luft entwichen. Er klappte zusammen und sank ohne eine Wort auf die Planken. Dort breitete er die Arme aus und blieb regungslos liegen. Batuti stieß die Luft aus. Das war sein Pfeil gewesen, und er wunderte sich für einen Moment, daß Shane nicht getroffen hatte. Aber Shane hatte ebenfalls getroffen. Das war jetzt in aller Deutlichkeit zu sehen. Der zweite Mann am Langriemen schien offenbar zu erstarren. Ganz steif stand er da. Dann hob er langsam die Hände und griff sich mit den Händen zum Brustkorb. Zwischen seinen Fingern ragte der Schaft eines gefiederten Pfeiles hervor. Der Don verlor die Balance und stolperte über das Kampanjedeck, bis es nicht mehr weiterging. Dort blieb er noch einmal stehen, wie um tief Luft zu holen. Die Hände hatte er immer noch um den Pfeilschaft verkrampft. Jetzt sackte die Gestalt zusammen, beugte sich weit vornüber und kippte über Bord. Mit einem lauten Aufklatschen verschwand er in der See. Auf dem Achterdeck tauchte Vargas auf. Er hielt sich wieder so, daß sie ihn nicht treffen konnten. Außerdem hatte er eine junge Indianerin bei sich, die er mit der Waffe bedrohte. Zuerst starrte er fassungslos auf den Toten, der mit ausgebreiteten Armen an Deck lag. Aus seiner Brust ragte ein langer gefiederter Pfeil, der ihn ins Herz getroffen hatte. Der zweite Kerl im Wasser trieb

noch einmal nach oben, ehe er endgültig und für alle Zeiten versank. Vargas blickte aufs Achterdeck der �Isabella� und hob drohend die Faust. Sein Gesicht verzerrte sich zur Fratze. Zwei seiner Männer waren tot, lautlos gestorben, so lautlos, wie sie der Tod erwischt hatte. Da war nur ein feines Zischen zu hören gewesen, mehr nicht. Jetzt drehte er durch und fing an zu brüllen. Die junge Indianerin schleuderte er brutal von sich und gab ihr noch einen zusätzlichen Stoß, bis sie ans Schanzkleid geriet. Sie prallte an das Holz, sackte in die Knie, richtete sich wieder auf und wurde von Vargas kaltblütig erschossen. Mit einem leisen Schrei brach sie auf den Planken zusammen. Ein anderer Kerl, offenbar der Profos dieser Bande von Mördern, hob die Tote auf und warf sie über Bord. Als ihre Leiche aufgischtend im Meer verschwand, wurde Hasard weiß vor Entsetzen. Batuti und Shane wechselten ebenfalls die Farbe. Der Gambia-Neger wurde grau unter seiner dunklen Haut und rollte wild mit den Augen. Er stöhnte tief auf. Hasard nahm das grauenhafte Bild in sich auf und konnte es nicht fassen. Dieser Teufel hatte ein junges Mädchen eiskalt umgebracht, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Seine Reaktion war furchtbar und unmenschlich. �Sie feiger, hinterhältiger Bastard!� brüllte Hasard hinüber. �Für jede ermordete Frau lasse ich drei von Ihren Bluthunden an die Rah hängen - und Sie werden der erste sein, der sein erbärmliches Leben an der Rah beendet.� Die Antwort war wiederum ein höhnisches Lachen. Batuti konnte nicht mehr an sich halten. Gedankenschnell legte er den nächsten Pfeil auf die Sehne und schoß ihn ab. Aber Vargas hatte das gesehen und verschwand mit einem häßlichen Auflachen hinter dem Besanmast. Dort blieb der Pfeil zitternd stecken.

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Die Arwenacks waren vor Entsetzen wie gelähmt. Stumm und starr standen sie da, und sie begriffen nicht, daß ein Mann so einfach eine total wehrlose Frau umbrachte. �Nicht mehr schießen, Batuti�, sagte Hasard gepreßt, �das Schwein bringt sonst noch mehr Frauen um.� Batuti ließ mutlos den Bogen sinken. Dann erklang Hasards Stimme wieder, diesmal wie splitterndes Eis, voll von unterdrückter Wut und stark vibrierend. �Geben Sie auf, Vargas! Auch wenn Sie alle Frauen ermorden, haben Sie ausgespielt. Dann haben Sie auch keinen Trumpf mehr und gewinnen nichts. Sie haben aber die Gewißheit und mein Versprechen, daß Sie und Ihre gesamte Mannschaft bis zum letzten Mann der Hanfstrick erwartet. Geben Sie die Frauen heraus. Wenn Sie das getan haben, verspreche ich Ihnen, daß Sie abziehen können.� �Ist das dein Ernst, Sir?� fragte Dan leise, dem immer noch das Entsetzen im Gesicht stand. �Willst du diesen Bastard wirklich ziehen lassen?� �Ja, wenn er die Frauen herausgibt, sonst nicht. Diese Situation muß einmal beendet werden.� In Hasards Augen stand ein seltsames Licht, als Dan ihn von der Seite musterte. Da war etwas, was er aber nicht genau definieren konnte. Eine neue Taktik des Seewolfs? Sicher hatte Hasard einen Hintergedanken dabei. Sie warteten auf die Antwort, doch die ließ noch eine Weile auf sich warten.

* �Werft erst den Kerl über Bord�, sagte Vargas kalt. �Dann sehen wir weiter.� Für den Toten auf der Kampanje gab es kein letztes Wort oder gar ein kurzes Gebet. Vargas hielt von solchen Mätzchen absolut nichts. Tot ist tot, da helfen keine Gebete mehr, lautete seine Devise. An das erschossene Mädchen dachte er schon nicht mehr.

Ungerührt sah er zu, wie zwei Männer den Toten aufhoben, ihn zweimal hin und her schwangen und dann in die See warfen. So verschwand auch er sang- und klanglos. Nachdem die Prozedur vorüber war, beriet er sich mit seinem Ersten Offizier. �Noch haben wir die besseren Karten�, sagte er kalt. �Aber das kann sich ändern, denn die beiden Schiffe aus südlicher Richtung dürften bald hier sein. Das Piratengesindel knallt uns die Kerle ab, die sich mit dem Notruder beschäftigen.� �Wenn wir im Gegenzug jedesmal zwei Weiber abmurksen, wird sich das die Bande sehr schnell überlegen, denn um die Frauen geht es ihnen doch�, sagte der Erste ungerührt. �Sicher, aber auf die Dauer ist das keine Lösung. Was tun wir, wenn wir keine Geiseln mehr haben? Dann haben wir das letzte Pfand verspielt, und die Kerle werden uns hängen. Sie schießen uns erst zusammen, dann entern sie, und wir können nichts mehr tun.� �Der Kerl hat uns freien Abzug angeboten, wenn wir die Weiber ausliefern, Capitan.� �Glauben Sie daran?� �Ich weiß nicht, ob er sein Wort hält. Natürlich kann es auch ein Trick sein. Ich würde mich jedenfalls nicht an die Vereinbarung halten, wenn ich an deren Stelle wäre.� �Ich auch nicht�, sagte Vargas. �Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit. Da es den Piraten offenbar einzig und allein um die Weiber geht, können wir sie ihm ja verkaufen. Schließlich ist das Ware, und Ware bringt Geld.� Von dem Vorschlag war der Erste begeistert. Er meldete nur noch Bedenken an, ob der �Piratenhund� auch sein Wort hielt. �Angenommen, er geht auf das Geschäft ein. Er erhält die Weiber, wir erhalten das Geld. Hat er die Weiber aber erst an Bord, ist es für ihn kein Problem mehr, sich das Geld wiederzuholen und uns so ganz nebenbei umzubringen. Dann hat er genau das erreicht, was er will. Wir sollten uns das genau überlegen, Capitan.�

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Diesem Einwand konnte Vargas kaum etwas entgegensetzen, denn er wußte ja tatsächlich nicht, ob der Kerl Wort hielt. Was war schon das Wort eines Piraten! Dennoch befand er sich im Zugzwang und mußte handeln. Die beiden anderen Schiffe rückten immer näher heran. Wenn sie erst einmal hier waren, konnte die ganze Situation kippen. Vielleicht fragten die anderen dann nicht mehr nach den Weibern und hielten einfach drauf. Er rang lange mit sich, bis er einen Entschluß gefaßt hatte. Dann trat er ans Schanzkleid und blickte zur �Isabella� hinüber. In seinen Augen lag ein Funkeln.

* �Jetzt bin ich aber gespannt�, sagte Hasard heiser. Sie alle hatten gesehen, wie die beiden Kerle palavert hatten. Anscheinend war das eine kleine Beratung gewesen. Jetzt trat der Halunke ans Schanzkleid und blickte zur �Isabella�. �Geben Sie mir Ihr Wort, mich ziehen zu lassen?� fragte Vargas mit lauter, schneidender Stimme. �Ich habe es versprochen!� brüllte , Hasard zurück. �Aber nur, wenn Sie alle Frauen herausgeben!� �Die Weiber sind Ware, und Ware verschenkt man nicht!� rief Vargas zurück. �Oder wollen Sie zahlen?� Hasard schluckte. Der Schweinehund da drüben begnügte sich nicht allein mit freiem Abzug, er wollte auch noch Geld für die menschliche Fracht herausschlagen. Aber die Lösung war immer noch besser als gar keine oder diese ewige Pattsituation. �Ich bin bereit und werde zahlen!� rief Hasard. �Wieviel fordern Sie für die Frauen?� Der Kerl überlegte ein paar Augenblicke. Dann erschien auf seiner brutalen Visage ein überlegenes Grinsen. �Zweihundert Goldtaler!� Hasard stieß erleichtert die Luft aus. Zweihundert Goldtaler sind ein angemessener Preis, dachte er. Das hatte er

dem Halunken gar nicht zugetraut. Sollte er plötzlich so bescheiden geworden sein? �Einverstanden, Sie empfangen zweihundert Goldtaler. Ich werde das Geld bereithalten. Aber für alle Frauen, ausnahmslos.� Der Kerl stieß ein meckerndes Lachen aus. Dann schüttelte er amüsiert den Schädel, daß der Federbusch nach allen Seiten wippte. �Sie haben mich wohl nicht richtig verstanden, Verehrtester! Für zweihundert Goldtaler erhalten Sie bestenfalls zehn Nigger! Ich verlange pro Indianerhure zweihundert Goldtaler, sonst können wir das Geschäft begraben!� Hasard blieb bei dieser unverschämten und schamlosen Forderung wieder einmal die Luft weg. �So viele Goldtaler haben wir nicht an Bord�, sagte Dan. �Der Kerl muß total verrückt sein.� �Dann muß eben der Wikinger einspringen�, sagte Hasard. �Ich weiß, daß wir nicht soviel an Bord haben. Aber auf der ,Chubasco' dürfte die spanische Bordkasse auch noch einiges an Talern enthalten. Ich lasse mich trotzdem auf das Geschäft ein, auch wenn ich diesem raffgierigen Halunken dreimal die Pest an den Hals wünsche.� Er drehte sich um. �Einverstanden!� rief Hasard wütend. �Das sind für dreißig Frauen sechstausend Goldtaler!� Juan Vargas schüttelte wiederum grinsend den Kopf. Er stemmte beide Fäuste auf den Handlauf des Schanzkleides. Links und rechts von ihm standen die hilflosen Frauen, wieder mit Pistolen und Messern in Schach gehalten, damit niemand auf die Idee verfiel, zu feuern. �Sie sind ein schlechter Geschäftsmann, Verehrtester!� höhnte der Don. �Rechnen war wohl noch nie Ihre Stärke. Das mit den sechstausend Goldtalern stimmt. Aber Sie haben die neun Weiber vergessen, die sich bereits bei Ihnen an Bord befinden! Die sind auch Ware, die ich nicht zu verschenken gedenke. Die Summe erhöht sich also um neunmal zweihundert. Das ergibt insgesamt siebentausendachthundert

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blanke Goldtaler. Wenn Sie nachrechnen, dürften Sie zweifellos zu demselben Ergebnis gelangen. Das also ist meine Forderung. Auf dieser Basis können wir verhandeln.� �Dieses dreckige Schwein�, sagte Batuti, dem noch die �zehn Nigger� quer im Hals hingen, von denen Vargas so abfällig gesprochen hatte. �Für den ist jeder Strick zu schade. Ich werde Tränen vergießen, wenn dieser Satan ungeschoren abzieht und auch noch das viele Geld kriegt. Das wird ein trauriger Tag, Sir.� �Es ist noch nicht aller Tage Abend, Batuti�, sagte Hasard. �Zuerst ist es einmal wichtig, daß wir die Frauen aus den Klauen dieser Bestien befreien. Dann sehen wir weiter.� �Aber du bist ein Ehrenmann, Sir, und hast ihm freien Abzug versprochen. Und du wirst dein Wort halten, das weiß ich, auch einem Bastard gegenüber.� �Natürlich halte ich mein Wort.� Wieder tauchte dieses merkwürdige Flimmern in Hasards Augen auf, das auch schon Dan O'Flynn aufgefallen war. Dazu folgte ein schnelles kleines Lächeln, das aber sofort wieder erstarb. Drüben lehnte sich Vargas noch weiter vor. �Ich höre keine Zusage!� höhnte er. �Wollen Sie das Geschäft nun abschließen oder nicht?� Hasard schluckte jeden weiteren Ärger hinunter. Was half es, wenn er sich schwarz ärgerte! An der Lage änderte es nichts. Hier stand ihm ein eiskalter Kerl gegenüber, der Menschen gegen Geld tauschte. Oder der die Menschen einfach umbringen ließ und sich auch nicht scheute, das höchst eigenhändig zu tun. Mit Kerlen dieser Sorte ließ sich nicht reden. �Ich bin einverstanden!� brüllte er zurück. �Siebentausendachthundert - und keinen Taler mehr.� �Wie soll das Geschäft abgewickelt werden?� fragte Vargas lauernd. �Ich hoffe, daß Sie keine billigen Tricks versuchen, denn das zieht bei mir nicht.� �Wir schließen nur ein Geschäft ab, mehr nicht�, sagte Hasard kalt.

�Das freien Abzug garantiert, wie versprochen?� �Das habe ich zugesagt. Und so halte ich es.� �Zwei Mannschaften sind Zeugen!� rief Vargas. �Wie verfahren wir jetzt mit den Weibern und dem Geld?� �Ich zahle Zug um Zug. Wir treffen uns mit den Jollen zwischen den beiden Schiffen. Sie bringen zehn Frauen mit und ich zweitausend Goldtaler. Dann tauschen wir aus.� �Einverstanden - und weiter?� �Beim zweiten Treff wieder das gleiche. Zehn Frauen - zweitausend Taler. Bei der dritten Zusammenkunft erhalten sie zusätzlich den Rest von eintausendachthundert Talern.� Ein widerliches Geschäft ist das, dachte Hasard, aber im Augenblick wirklich die einzige und beste Lösung. �Dann ist das soweit klar!� rief Vargas. �Ich werde meinen Ersten Offizier mit der Jolle schicken. Und er wird das Geld auch verdammt genau nachzählen. Jetzt will ich noch einmal Ihr Versprechen, mir freien Abzug zu bieten. Ich möchte, daß alle Männer es hören. Sie werden mich nicht angreifen, das versprechen Sie?� �Ich habe schon zweimal gesagt, daß ich noch nie ein Versprechen gebrochen habe!� schrie Hasard erbittert. �Auch gegenüber einem ehrlosen Bastard habe ich immer mein Wort gehalten! Nein, ich werde Sie nicht angreifen!� �Na schön.� Die Stimme klang jetzt satt und ölig und sehr zufrieden. Der Kerl stieß sich vom Schanzkleid ab und rieb sich die Hände. Er hatte sich prächtig aus der Situation herausgewunden und ein feines Geschäft getätigt, das so ganz nach seinem Geschmack war. �Ein herrlicher Tag ist das�, sagte Big Old Shane, �an den werde ich sicher noch lange denken. Wir sind schon oft von Halunken aufs Kreuz gelegt worden, aber nie habe ich mich dabei so beschissen gefühlt wie heute. Am liebsten würde ich dem Kerl nachschwimmen.� Hasard lächelte wieder auf eigentümliche Weise.

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�Ich pflege meine Versprechen grundsätzlich zu halten, Shane. Wir werden dem Bastard kein Haar krümmen, sonst würde ich ja an Glaubwürdigkeit verlieren. Und du brauchst ihm auch nicht hinterherzuschwimmen, das ist nicht erforderlich. Seine Rache muß man kalt und überlegt genießen.� �Verstehe ich nicht�, sagte Shane konsterniert. Er erhielt jedoch keine Antwort. Dafür traf ihn wieder dieser eigentümliche Blick aus eisblauen Augen. �Na, der Sir hat doch was auf der Pfanne�, murmelte Matt Davies. �Allein sein Blick spricht Bände. Ich wette, dieser spanische Bastard wird auf die Dauer nicht mehr sehr viel Freude an dem Geld haben - und an seinem erbärmlichen Leben auch nicht.� �Jedenfalls hat er mächtige Angst�, meinte Dan,- �sonst würde er nicht immer wieder freien Abzug fordern und sich das jedesmal lautstark betonen lassen.� Smoky grübelte bereits darüber nach, ob er mit Matt wetten sollte, aber so richtig aufgelegt war er heute nicht dazu. Dafür war die Lage zu ernst. Daher verzichtete er auf eine Wette. Vielleicht hatte der Bastard wirklich nicht mehr viel Freude an dem Geld und an seinem erbärmlichen Leben.

5. Achtern hing an der �Isabella� immer noch die Jolle, die Higgy jetzt längsseits holte. Zur selben Zeit wurde auf der �Santa Barbara� ebenfalls eine Jolle abgefiert und zu Wasser gelassen. Die Arwenacks sahen zu und warteten ab. Hasard nickte Dan O'Flynn zu. �Du kannst mir helfen, zweitausend Taler abzuzählen, Dan. Die Summe muß stimmen, sonst gibt es Ärger. Die Kerle sind auf jeden einzelnen Taler scharf und werden alles genau nachzählen.� Erst jetzt sah Hasard die Bescherung in seiner Kammer. �Das hat noch Zeit�, sagte er. �Ferris kann das später reparieren. Der Niedergang und das Schanzkleid sind wichtiger.�

Glasscherben waren durch die Kammer nach allen Seiten geflogen. Ein Stück des Bleiglasrahmens hing lose herab und pendelte bei jeder Bewegung des Schiffes hin und her. Der im Boden verschraubte Schreibtisch war ein Trümmerhaufen. Ein paar Seekarten lagen malerisch verstreut auf dem Teppich. Holzsplitter waren bis an die eingebauten Schapps geflogen. �Die frische Luft tut gut�, sagte Hasard sarkastisch nach einem Blick auf das zerschossene Fenster. Dan O'Flynn bückte sich und hob eine schwere Eisenkugel auf, die zwischen den Trümmern des Schreibtisches steckte. Sie war von dem abgebrannten Schießpulver pechschwarz verfärbt. �Ein Andenken von einem Bastard�, sagte er. �Man sollte sie ihm ins Maul stopfen, bis er daran erstickt.� �Er wird früher oder später an seinem eigenen Blut ersticken�, versprach Hasard. Er war jetzt wieder ganz gelassen und selbstsicher. Dan O'Flynn legte den Siebzehnpfünder wieder in den Trümmerhaufen zurück. �Vielleicht sollte man sie aufheben. Sie kann noch mal verfeuert werden, und das gibt dann möglicherweise einen Glückstreffer.� Hasard zog eine kleine Truhe heran und öffnete sie. �Viel mehr als zweitausend Taler sind nicht drin. Den Rest des Lösegeldes müssen wir bei den anderen holen.� Er nahm einen größeren Lederbeutel, packte dann eine Handvoll blinkender Goldtaler und zählte sie ab. O'Flynn tat das gleiche. Auch er zählte angestrengt. Das Zählen nahm eine geraume Weile in Anspruch, aber dann war der Beutel voll, und Hasard umschlang ihn mit dem Lederband. Das Ding wog schwer in seinen Händen. �Schade um das Geld�, sagte Dan. �Finde ich nicht. Es ist sozusagen nur eine Leihgabe�, erwiderte der Seewolf unbekümmert. �Ich glaube, mir geht langsam ein Licht auf; Sir.�

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�Dann laß es leuchten�, riet Hasard trocken. �Aufgegangene Lichter erhellen immer die Umgebung. Bei dem Bastard scheint das nicht der Fall zu sein. Der hat bei dem Kuhhandel noch gar nicht bemerkt, auf was er sich eingelassen hat. Vermutlich hat die Geldgier bei den Kerlen den Verstand geschwächt oder das Mißtrauen einschläfern lassen.� Bevor sie wieder an Deck gingen, grinsten sie sich einmal kurz zu. Dan O'Flynn hatte begriffen, welchen Pferdefuß der Handel hatte. Ein paar andere Männer rätselten noch herum, warum sich Hasard so optimistisch gab. �Einen schlitzohrigen Halunken kann man nur durch noch größere Schlitzohrigkeit überrunden�, sagte Hasard. �Ich werde jetzt gleich mit vier Mann hinüberpullen. Inzwischen übernimmst du das Kommando über das Schiff, Dan.� �Aye, aye, Sir.� Inzwischen war auf der �Santa Barbara� die Jolle abgefiert und zu Wasser gelassen worden. Der Erste Offizier herrschte die Frauen an, sich gefälligst zu beeilen. Eingeschüchtert und verängstigt enterten sie in die Jolle ab, die mit vier Kerlen besetzt war. Eine nach der anderen nahm zaghaft Platz. Die meisten blickten scheu zur �Isabella� hinüber. Ein paar andere sahen auf die von Süden heransegelnden Schiffe. Keine der Indianerinnen wußte so richtig, was hier gespielt wurde. Sie waren mißtrauisch, zudem flößte ihnen der Schwarze Segler, der immer größer wurde, Unbehagen ein. Seine Drachen auf den schwarzen Segeln, in den Farben Rot, Silber und Blau gehalten, schienen lange Flammenzungen zu speien. �Sam, Bob, Luke und Stenmark�, sagte Hasard, der den schweren Geldbeutel unter dem Arm hielt, �ihr begleitet mich. Wir treffen uns mit den Kerlen etwa in der Mitte zwischen beiden Schiffen.� Die Männer enterten ab. Hasard folgte ihnen als letzter und nahm auf der Ducht Platz. Dabei behielt er die andere Galeone scharf im Auge und auch Vargas, der jetzt auf der Kuhl stand.

Alle zehn Frauen hatten bereits Platz genommen. Die Jolle wurde von der Bordwand abgestoßen und nahm Fahrt auf. Die Kerle pullten ohne sonderliche Eile. Hasard bemerkte, daß an den beiden Siebzehnpfünderculverinen immer noch vier Kerle herumlungerten. Er richtete sich von der Ducht auf, wies mit der Hand auf die Dons und rief scharf: �Ziehen Sie die Kerle von den Stücken ab, Vargas. Bei der Übergabe hat niemand etwas an den Kanonen zu suchen.� Vargas blickte tückisch zu Hasard, drehte sich dann aber um und befahl den Kerlen, ihren Platz zu räumen. Die trollten sich gleich darauf auch gehorsam. Kurz darauf lagen beide Jollen Seite an Seite, scharf beobachtet von den Arwenacks und den Kerlen der �Santa Barbara�. Zum ersten Male sah Hasard jetzt die Visage des Ersten aus unmittelbarer Nähe. Er blickte in ein verschlagenes Gesicht mit geldgierigen Augen, die begehrlich auf den Ledersack schielten, den Hasard neben sich liegen hatte. Der Kerl gefiel ihm ganz und gar nicht. Der ähnelte fast seinem Kapitän, der am Schanzkleid stand und herüberpeilte, ob auch alles seine Richtigkeit hatte. Die vier spanischen Bootsgasten sahen auch nicht viel besser aus. Sie hatten harte, unrasierte und brutale Gesichter. �Ich bin der Erste Offizier�, sagte der verschlagen blickende Kerl kalt grinsend zu Hasard. Der Seewolf nickte nur. Er fand es unter seiner Würde, sich bei dem abgefeimten Halunken ebenfalls vorzustellen. Später würde er schon dafür sorgen, daß der Kerl erfuhr, wer sie waren. Aber das wollte er sich bis zum Schluß der Übergabe aufheben. Die zehn Frauen blickten Hasard und die vier anderen Männer an. In ihren Blicken stand Ratlosigkeit. Sie begriffen offenbar immer noch nicht so richtig, was hier vorging. �Hier ist das Geld�, sagte Hasard kalt. �Zweitausend Goldtaler, wie vereinbart.�

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Er warf dem Kerl das Ledersäckchen zu, der es mit zitternden Händen gierig auffing. Der Erste Offizier hatte einen Ledersack dabei, den er neben sich auf die Ducht stellte. �Das muß ich erst nachzählen�, sagte er, �der Kapitän hat das so befohlen.� �Dann zählen Sie!� �Hoffentlich kann er bis zweitausend zählen�, sagte Luke Morgan, �sonst hängen wir hier noch nächste Woche herum.� Bob Grey, Stenmark und Sam Roskill grinsten, als der Kerl das Säckchen öffnete und gierig auf die vielen Münzen starrte. Er öffnete das Maul, sah die Glitzerdinger und verdrehte die Augen. Sicher fällt dabei auch was für mich ab, dachte er. Er hätte seinen Kapitän zwar gern beschissen, aber das war diesmal nicht drin. Die Talerchen waren genau abgezählt, und Vargas würde sie noch einmal peinlich genau nachzählen. Als der Kerl jetzt zu zählen begann, musterte Hasard die jungen Indianerinnen vom Stamm der Arawaks. Eine Frau fiel ihm dabei ganz besonders auf. Sie war hochgewachsen, schlank, hatte schwarze, lange Haare und dunkle, fröhliche Augen. Jetzt war diese Fröhlichkeit durch die zurückliegenden Ereignisse allerdings etwas überschattet. Sie spürte Hasards Blick und sah ihn an. Sie sah einen schwarzhaarigen Riesen mit angegrautem Schläfenhaar, einem ziemlich frostigen Blick, einem ausgeprägten, energischen Kinn und schlanken, aber sehr kräftigen Händen. Der Blick aus diesen frostigen Augen wurde etwas wärmer, veränderte sich jedoch gleich darauf, wenn er auf den geldzählenden Kerl fiel. Dann war wieder Frost in den Augen und eine solche Kälte, daß die Indianerin zu frieren begann. Dieser schwarzhaarige Mann war sehr energisch, selbstbewußt und strahlte Autorität aus. Er schien einen unbeugsamen Willen zu haben. Sie begriff das alles nicht so richtig, stellte aber verwirrt fest, daß dieser Mann die Spanier

zu hassen schien. War er etwa kein Spanier? Oder kaufte er Sklaven auf? Fast schien es so, denn er hatte Geld übergeben, das jetzt genau gezählt wurde. Offenbar wurden sie jetzt den anderen Männern übergeben. In Hasards Blick lag wieder Eiseskälte, als der Kerl immer noch gierig zählte und ihm vor lauter Eifer ein paar Goldtaler auf die Gräting der Jolle fielen. �Werden Sie heute mit dem Zählen noch fertig?� fragte Hasard kalt. �Hier muß alles seine Richtigkeit haben�, knurrte der Erste finster. �Das hat der Kapitän so angeordnet, und ich habe mich seinen Befehlen zu fügen.� Nach einer endlos scheinenden Ewigkeit war der Kerl mit dem Geldzählen fertig. �Es stimmt�, verkündete er. �Sie können die Frauen übernehmen.� Hasard und seine vier Männer reichten den verwirrten Ladys die Hände und halfen ihnen in die Jolle. Der Kerl verschnürte seinen Ledersack und sah mit einem schmierigen Grinsen zu, wie die Indianerinnen zaghaft überstiegen. �Dann bis zur nächsten Übergabe�, sagte er, �und recht viel Spaß mit den Weibern. Da seid ihr ja prächtig bedient.� �Sie sollten nicht von sich auf andere schließen�, sagte Hasard verächtlich. �Hauen Sie ab!� Der Erste schluckte ärgerlich. Dann drehte er sich um, als seien die Männer nicht mehr vorhanden. �Auf Riemen!� brüllte er. Die Kerle pullten zurück, diesmal etwas eiliger als zuvor. �Zurück an Bord!� sagte Hasard. Die schlanke schwarzhaarige Frau sah ihn wieder sehr lange und nachdenklich an. �Verzeihen Sie, Senor�, sagte sie in gutem Spanisch mit samtig klingender Stimme. �Mein Name ist Taina. Darf ich Sie, auch im Namen meiner Schwestern, fragen, was hier vorgeht? Haben Sie uns gekauft?� Zum ersten Male seit langer Zeit lächelte Hasard wieder. �Mein Name ist Philip Hasard Killigrew�, erwiderte er. �Ja, sozusagen haben wir Sie gekauft. Wir haben Sie diesen Halunken

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abgekauft, um Ihnen Ihre Freiheit zu geben.� �Wir werden nicht nach Spanien gebracht?� fragte Taina fassungslos. �Nein, natürlich nicht. Sie erhalten Ihre Freiheit wieder, und ich stelle es Ihnen frei, wohin Sie wollen.� �Danke�, hauchte sie erschüttert. �Ich - wir können das noch gar nicht fassen, es ist zuviel auf einmal.� �Freunden Sie sich mit dem Gedanken ruhig an�, riet Hasard. �Wir kaufen auch noch Ihre anderen Schwestern frei.� �Sind Sie keine Spanier?� �Nein, wir sind Engländer. Ich bin ein erklärter Feind der Spanier. Aber das werden Sie nachher alles an Bord erfahren.� Taina blickte den Seewolf immer noch fassungslos an. Dieser Umschwung erfolgte so plötzlich, dass sie es einfach nicht begriff. Eben noch waren sie hilflos den rohen und brutalen Kerlen ausgesetzt, und jetzt hatte sich alles geändert. Sie berichtete alles ihren Schwestern. Da setzte ein aufgeregtes Geschnatter ein. Ein paar Frauen kicherten, dann lachten sie, und schließlich gerieten sie so aus dem Häuschen, daß die Jolle fast noch gekentert wäre. Hasard und seine Männer freuten sich mit ihnen. Dieses erleichterte Lachen war wie ein Geschenk des Himmels, und die ungläubigen Blicke der Indianerinnen nahmen sie grinsend hin. Als sie an der Bordwand anlegten, bestand schon eine gewisse Vertrautheit zwischen ihnen. Taina war offenbar die Sprecherin oder Anführerin der anderen. Sie bedankte sich immer wieder. Das Geschnatter ging aber erst richtig los, als sie an Bord waren und ihre neun anderen Stammesschwestern trafen. Mac Pellew hatte seine �Hühnerchen� an Deck geschickt, um die anderen zu begrüßen. Dabei hatte er sein strahlendstes Gesicht aufgesetzt. Das erinnerte aber eher an eine totale Sonnenfinsternis, denn wenn Mac sich schon einmal zum Grinsen entschloß, dann sah das aus wie Himbeersoße auf

Kuhfladen. So jedenfalls hatte es der Profos mal gesagt, und der mußte es ja wissen, was, wie? �Zwanzig eurer Stammesschwestern befinden sich jetzt noch an Bord�, sagte Hasard zu Taina. �Wir holen nachher die nächsten zehn und die restlichen Frauen etwas später. Dieser freundliche Mister�, er wies dabei auf Mac Pellew, �wird euch alles erzählen.� �Werde ich�, versprach Mac, �aber zuerst werden wir mal für die Verpflegung sorgen. Hm, der Krankenraum wird langsam zu klein, fürchte ich.� �So ein Quatsch�, sagte Luke grinsend, �warum sollte er denn langsam zu klein werden? So 'n Stuß gibt's doch gar nicht. Der hat garantiert noch dieselbe Größe. Oder schrumpft er plötzlich?� �Das ist doch nur so 'ne Redensart, du abgesägter Zwerg. Ich meine, wo soll ich all die Frauen nur lassen?� �Laß sie doch an Deck�, sagte Hasard, �sie können sich aufhalten, wo immer sie wollen.� �Dann vergessen die Kerle glatt ihre Arbeit vor lauter Stieren�, maulte Mac. �Na, mir wird schon was einfallen.� �Dann sei froh, daß du nicht Baumeister geworden bist�, sagte Stenmark grinsend. Aber das kapierte Mac erst nach einer Weile. Die �Hühnerchen� wurden erst einmal verpflegt. Sie waren wieder sehr fröhlich, seit sie wußten, wie es jetzt weiterging und daß sie nicht nach Spanien gebracht wurden. Und sie waren dankbar, daß sie endlich von diesem Höllenschiff herunter waren, wo sich die Kerle nach Belieben an ihnen vergriffen hatten. Auch Hasard war sehr erleichtert. Inzwischen segelten die beiden Schiffe weiter auf.

* Auf dem Achterdeck der Karavelle �Chubasco� rätselte Ben Brighton schon lange herum, was sich noch weit vor ihnen abspielte. Er sah auch, daß der Wikinger Thorfin Njal immer wieder neugierig durch

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den Kieker linste, verblüfft an seinem Kupferhelm kratzte und den Kopf schüttelte. Auch Ben blickte jetzt wieder durch das Okular. Am Ruder der �Chubasco� stand Pete Ballie, ebenfalls verwundert und neugierig. Auch er linste immer wieder angestrengt voraus. �Was hat das nur zu bedeuten?� fragte Ben ratlos. �Erst hat dieser lausige Don auf die �Isabella' gefeuert, und Hasard hat nicht einmal zurückgeschossen. Vorher haben sie mit der Jolle offenbar etwas aus dem Meer gefischt, das nach treibenden Stoffballen aussah. Jetzt liegen sich beide Schiffe gegenüber, haben Jollen ausgesetzt und pullen hin und her. Daraus soll einer schlau werden.� �Das verstehe ich auch nicht�, sagte Fete Ballie. �Da geht es recht geheimnisvoll zu. Statt sich gegenseitig zu beharken, scheinen sie jetzt Höflichkeiten auszutauschen. Ich kann mir aber schlecht vorstellen, daß sich Hasard für die beiden Schüsse jetzt noch bei den Dons bedankt.� Ben kratzte sich nachdenklich am Kinn, setzte den Kieker ab, rieb sich dann das Auge und gab das Spektiv an Pete weiter. �Mir brennen schon die Augen�, sagte er. �Ich halte das Ruder solange. Sieh du mal nach, ob du mehr erkennen kannst.� Er blickte zu �Eiliger Drache� hinüber. Der Wikinger war aus seinem �Sesselchen� aufgestanden und blickte in lauernder Haltung zu den Spaniern, weil er nicht glauben konnte, daß da vorn alles mit rechten Dingen zuging. Ben sah, daß er etwas zu Olig und dem Stör sagte, aber beide zuckten nur ratlos mit den Schultern. Offenbar hatte der Stör auch gerade wieder Thorfins letzte Worte nachgequasselt, denn der Wikinger polterte schon los und setzte zu einem seiner berüchtigten Fußtritte an. Da war der Stör aber schon weg, sonst hätte ihn Thorfins mächtige Riemensandale platt gedrückt, und dann hätten sie ihn nicht mehr Stör, sondern nur noch �Flunder� nennen können. Ben konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen, als er das sah.

Pete Ballie blickte immer noch durch den Kieker. Dann drehte er sich um und sah Ben an. �Da sind Frauen an Bord�, sagte er erstaunt. �Die werden offenbar von dem spanischen Schiff geholt. Ich kann noch nicht ganz klar erkennen, was da vor sich geht, aber sie nehmen Frauen über.� �Frauen?� fragte Ben ungläubig. �Ja, so sieht es aus. In ein paar Minuten werden wir das aber ganz genau wissen.� �Frauen�, wiederholte Ben leise. �Jetzt bin ich aber wirklich sehr gespannt.� Zehn Minuten später brüllte der Wikinger herüber: �Der Seewolf holt sich Weiberchen an Bord. Scheint ein ganz lustiges Fest zu werden. Na, dann werden wir den Rum dazu beisteuern und ordentlich mitfeiern.� �Dann laß das mal nicht deine Gotlinde erfahren!� rief Ben. �Sonst hast du ein paar Beulen mehr im Helm!� Der Wikinger lachte dröhnend. Dann kratzte er wieder sehr nachdenklich und verblüfft an seinem Helm. Alle Mannen rätselten jetzt herum, was da vor sich ging. Sie plagte ganz einfach die Neugier, daher war es verständlich, daß der Kieker das begehrteste Objekt an Bord war.

* �Na endlich�, sagte Hasard, als die beiden Schiffe heran waren. �Eiliger Drache� und �Chubasco� drehten in den Wind, um die Fahrt aus den Schiffen zu nehmen. Er sah, daß Ben und Thorfin neugierig herüberblickten und sich über die Frauen an Bord wunderten. �Ich schicke euch eine Jolle hinüber!� rief Hasard. �Ich möchte euch bitten, daß ihr an Bord kommt. Es gibt einiges zu erklären.� �Ja, so sieht es aus!� rief Ben verwundert. Der Wikinger stand nur da und stierte. �Holt die beiden an Bord�, sagte Hasard zu Bob Grey und Batuti. Die beiden stiegen in die Jolle und legten ab. Sie holten Ben Brighton und dann den Wikinger ab. Etwas später enterten sie an

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Bord der �Isabella� auf und staunten immer noch. Aber auch der Wikinger wurde angestaunt wie ein Relikt aus längst vergangener Zeit. Die Indianerinnen kannten zwar keine Wikinger, aber sie waren über den seltsamen Mann sehr verwundert. Der Riese stand an Deck wie ein Turm, in rauchgraue Felle gekleidet, Riemensandalen an den Beinen und einen funkelnden Kupferhelm auf dem Schädel. Der mächtige graurote Bart paßte hervorragend zu seinem grimmigen Gesicht. �Was ist denn hier passiert?� fragte Ben. Er sah zu der spanischen Galeone hinüber und musterte den schnauzbärtigen Kerl, der mit einem gemeinen Grinsen am Schanzkleid stand. Er beobachtete sie genau. Dann fiel Bens Blick auf den Niedergang und die Holzsplitter, die teilweise noch an Deck lagen. �Die Kerle da drüben hatten vierzig Indianerinnen an Bord�, erklärte Hasard. �Jetzt fehlt eine, weil sie von dem Halunken da drüben kaltblütig erschossen wurde. Er hat sich der Verfolgung entzogen, indem er immer wieder ein paar Frauen über Bord werfen ließ, die wir dann auffischten. Dann gelang es uns, ihm die Ruderanlage zu zerschießen. Seitdem ist er steuerlos. Es entstand so eine Art Pattsituation. Keiner von uns kam mehr zum Zug. Wir mußten auch zwei Treffer hinnehmen und konnten, aus Rücksicht auf die Frauen, die er als Geiseln und Schutzschilde am Schanzkleid aufstellte, nicht zurückfeuern.� �Und jetzt vertragt ihr euch wieder?� fragte Ben fassungslos. �Was tut der räudige Bastard?� �Wir haben einen Kuhhandel abgeschlossen, weil es keine andere Möglichkeit mehr gab, die Frauen zu retten. Die Kerle waren. drauf und dran, eine nach der anderen umzubringen.� Ben und Thorfin wechselten einen entsetzten Blick miteinander. �Dieser lausige Mistkerl�, sagte Thorfin. �Den sollte man in Fetzen schießen.�

�Nicht wieder mit der Axt, Thorfin�, sagte Hasard sanft. �Hier muß erst einmal gekleckert werden. Klotzen können wir später. Es befinden sich noch zwanzig Frauen an Bord. Für jede verlangt der Hundesohn zweihundert Goldtaler Lösegeld.� �Eine gewaltige Summe�, sagte Ben staunend. �Hast du überhaupt so viel an Bord? Das sind ja fast achttausend Goldtaler.� �Nein, so viel habe ich nicht, nur knapp dreitausend. Zweitausend habe ich bereits bezahlt. Wie sieht es bei euch aus? Könnt ihr mir mit der Summe aushelfen?� Ben Brighton nickte. �Selbstverständlich. In der spanischen Bordkasse befinden sich etwas über viertausend Goldtaler. Ich lasse sie gleich herüberbringen, obwohl mir dieser miese Kuhhandel gegen den Strich geht.� �Mich kotzt das ebenfalls an. Wie .steht es bei dir, Thorfin? Hast du das restliche Geld an Bord?� �Ja, etwa dreitausend Goldstücke. Ich stelle sie ebenfalls zur Verfügung.� Der Wikinger sah sich um und grinste hinterhältig, als er den Kerl auf der spanischen Galeone sah. �Wie geht es dann weiter?� fragte er lauernd. �Ich meine, wenn das Geld übergeben ist, hat der schmierige Hund doch keine Frauen mehr an Bord. Und dann?� �Ich mußte ihm freien Abzug versprechen, und das habe ich auch getan. Ich habe es versprochen.� Thorfin Njal kippte fast aus seinen Riesenlatschen. Verstört fuhr er sich mit der Hand durch sein wild wucherndes Gestrüpp. �Was hast du?� fragte er entsetzt. �Du hast diesem Bastard freien Abzug versprochen? Das kann nicht sein. Du kannst diesen Hundesohn doch nicht einfach mit dem Geld abhauen lassen! Der lacht sich über uns mit Sicherheit ins Fäustchen.� Als Hasard diesmal lächelte, sah das keineswegs harmlos, sondern sehr gefährlich aus.

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�Ich muß mein Versprechen halten�, sagte er. �Ich habe das ausgehandelt und werde mich an die Regeln halten.� Diesmal raufte sich Thorfin fast den Bart aus und wurde ganz kribbelig. �Ich fress' meinen Helm vor Wut, wenn dieser räudige Köter mit dem Geld abzieht und uns verhöhnt. Aber wenn du es versprochen hast, dann ist das nicht mehr zu ändern.� Das Lächeln vertiefte sich, als Hasard sagte: �Nun reg dich wieder ab, Thorfin. Ich kann ja nur für meine Person etwas versprechen. Oder nicht? Nun, daran halte ich mich. Die Bastarde haben den Haken bei der Sache noch nicht bemerkt. Mir ist auch nicht bekannt, daß du dem Bastard etwas versprochen hast. Und Ben hat ihm auch nichts versprochen. Das bezieht sich nur auf mich.� Thorfin sah dem Seewolf in die Augen, wurde etwas unsicher, blickte dann zu Ben, der bereits zu grinsen begann, und grinste dann ebenfalls über das ganze Gesicht. �Jetzt geht mir ein Nordstern auf�, sagte er bedächtig. �Du meinst, Ben und ich haben nichts versprochen, richtig?� �Richtig.� �Also hältst du dich an dein Versprechen. Und weil wir nichts versprochen haben, brauchen wir uns auch an nichts zu halten. Jetzt hab' ich das Ding kapiert. Und dieser spanische Esel hat den Pferdefuß noch nicht bemerkt?� �Noch nicht. Er sieht nur die vielen Talerchen und glaubt meinem Versprechen. Bei der Raffgier setzt manchmal der Verstand aus, oder man vergißt das gesunde Mißtrauen.� �Das war es also, was du mit Kleckern meintest. Erst kleckern, dann klotzen.� Der Nordmann hatte begriffen, und jetzt versuchte er, mit der rechten Hand wieder Ordnung in sein zerzaustes Gestrüpp zu bringen, was allerdings mißlang. �Ja, später kann dann geklotzt werden.� �Mächtig geklotzt�, versicherte Thorfin. �Der Olivensack wird noch sein blaues Wunder erleben, wird der.� Er war jetzt richtig in Eifer und freute sich.

�Das ist eine feine runde Sache�; sagte Ben. �Damit ist das Geld gewissermaßen nur eine Leihgabe. Hast du schon herausgebracht, was der Bastard geladen hat?� �Wir haben einen neuen Mann an Bord, einen Iren namens Mac O'Higgins, genannt Higgy. Der ist bei den Dons gepreßt worden und bei der erstbesten Gelegenheit von der Fahne gegangen. Dort steht er.� Er winkte Higgy herbei, der noch etwas linkisch herumstand. �Higgy hat uns das mit den Frauen erzählt und auch berichtet, daß der Kerl Schatzgüter in Cartagena geladen hat. Die Frauen sollten tatsächlich nach Spanien gebracht werden, zur Belustigung der hochmögenden Senores.� Ferris Tucker schubste Higgy ein bißchen vor. �Nun gib schon brav Pfötchen�, sagte er, �sie fressen dich ganz sicher nicht.� Higgy gab jedem die Hand und stellte sich vor. Gehört hatte er von den Männern bereits, und den Rest der Crew würde er auch bald kennenlernen, unter anderem den schon fast berüchtigten Profos und einen etwas wundersamen Kauz, den man allgemein nur Old O'Flynn oder Old Donegal nannte. �Sie sollten also in Hurenhäusern landen, wenn die hochmögenden Senores ihr Interesse an ihnen verloren haben�, sagte Ben erbittert. �Da kreuzen ein paar Kerle auf, reißen die Frauen aus ihrem Lebensraum und schicken sie nach Spanien. Die Senores werden mir immer sympathischer.� �Mir auch�, grollte Thorfin. �Man sollte sie in ihre Kürbishosen einnähen und ins Meer werfen.� Er sah sich noch einmal den Kerl auf der Galeone an, der biestig und verärgert zurückstarrte. �Dir wird Loki Feuer unter den Arsch legen�, brummte er leise, �daß dich deine verwanzte Großmutter nicht mehr erkennt.� �Es wird bald dunkel�, sagte Ben, �wir sollten das Geld jetzt holen; sonst denkt

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sich der Halunke vielleicht noch eine neue Teufelei aus.� �Ja, tut das. Der Handel wird immer Zug um Zug abgewickelt. Er bringt jeweils zehn Frauen herüber und kassiert. Den Rest des Geldes erhält er bei der letzten Übergabe. Er hat auch für die neun Frauen, die er ins Wasser werfen ließ, je zweihundert Goldtaler verlangt. Die Kaltschnäuzigkeit und Brutalität dieses Kerls ist kaum noch zu überbieten.� Bob Grey und Batuti enterten in die Jolle, gefolgt von Ben und dem nachdenklich blickenden Wikinger, der sich in Gedanken schon ausmalte, wie er mit dem Bastard umgehen würde, wenn er ihn erst einmal am Wickel hatte. Es waren beileibe keine fröhlichen Gedanken, die der Wikinger hatte. Zum Glück ahnte Vargas nichts von diesen sehr unfreundlichen Gedanken. Auf �Eiliger Drache� packte Thorfin das Geld zusammen und übergab es Bob. Auf der �Chubasco� geschah das gleiche. Ben übergab die Kasse und ließ die Goldtaler in Säckchen stauen. Damit es schneller ging, zählten sie die Möpse gleich ab. Dann kehrten die beiden zurück, und Hasard nahm das viele Geld in Empfang. �So, das hätten wir�, sagte er. �Jetzt erfolgt die nächste Übergabe und so weiter, wie gehabt� Die Männer enterten in die Jolle ab. Von den anderen Schiffen sahen sie alle gespannt zu.

* �Das gefällt mir ganz und gar nicht�, sagte Vargas zu seinem Ersten. Er musterte ganz besonders das schwarze, unheimliche Schiff, und dann konzentrierte er seine Aufmerksamkeit auf den Wikinger. �Was ist das für ein unheimlicher Kerl?� fragte er. �Der sieht wie ein zottiger Bär aus.� �Keine Ahnung�, sagte der Erste ratlos, �den kann ich beim besten Willen nicht einordnen. Früher haben mal die Nordmänner so ähnlich ausgesehen.� �Die sind längst ausgestorben. Vielleicht tarnt der Kerl sich nur.�

Der Erste konnte sich zwar nicht vorstellen, warum sich der Kerl �tarnen� sollte, aber das stand auch nicht weiter zur Debatte. Mißtrauisch äugte Vargas immer wieder zu den Schiffen, wo die Jolle hin und her fuhr, die beiden Männer an Bord brachte und dann an Deck etwas besprochen wurde. �Die hecken etwas aus�, sagte er, �und das paßt mir nicht. Was haben die Halunken zu bereden?� �Darauf kann ich auch keine Antwort geben�, sagte der Erste. �Ich vermute höchstens, daß sie sich die Weiber teilen werden und darüber quatschen, denn sie grinsen oft.� �Wir haben einen Handel mit dem einen Kerl abgeschlossen�, sagte Vargas hart. �Die anderen Halunken haben bei der Angelegenheit überhaupt nichts zu suchen. Wenn Sie jetzt die zehn nächsten Weiber rüberbringen, dann sagen Sie dem schwarzhaarigen Kerl unmißverständlich, daß die beiden Schiffe sofort zu verschwinden haben. Sie sollen sich wieder südwärts in die Richtung verziehen, aus der sie gekommen sind. Wenn das nicht augenblicklich befolgt wird, dann kann er das restliche Geschäft in den Kamin schreiben.� �Ich werde es ihm ausrichten, Capitan.� �Aber unmißverständlich. Ich brauche keine Zeugen, erst recht keine neugierigen Zuschauer.� �Geht klar, Capitan.� Inzwischen hatten die Kerle wieder zehn Frauen zu einer Gruppe gestellt, die am Schanzkleid Aufstellung nehmen mußte. Vargas trieb sie fluchend von Bord in die Jolle hinunter. Dann beugte er sich über das Schanzkleid. �Vergessen Sie bei der Übergabe nicht, genau das Geld nachzuzählen!� brüllte er seinem Ersten nach. Aber der war selbst ein geldgieriger Halunke und würde es ganz sicher nicht vergessen. �Verlassen Sie sich auf mich, Capitan. Es wird alles korrekt seine Ordnung haben.� Die Jolle wurde auf den Punkt zugepullt, wo bereits das Beiboot der �Isabella� wartete. Hasard hatte wiederum einen

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Lederbeutel mit genau abgezählten Goldtalern dabei. Der Erste hatte ebenfalls den Beutel zum Umfüllen mitgebracht. Hasard verkniff sich das Grinsen, als er den eifrigen Kerl sah, der schon begehrlich auf den Lederbeutel stierte. Er nahm ihn mit einem verschlagenen Blick in Empfang und begann erneut mit der Zählerei. Zwischendurch hörte er einmal auf und blickte an Hasard vorbei. �Da ist noch etwas�, sagte er heiser. �Mein Kapitän besteht darauf und verlangt, daß die beiden Schiffe zu verschwinden haben, sonst wird aus dem restlichen Geschäft nichts mehr. Wir haben noch zehn Weiber an Bord, wie Sie wissen.� �Ja, das weiß ich�, erwiderte Hasard kalt. �Ich hatte nicht soviel Geld an Bord und habe mir das Lösegeld von den beiden anderen Kapitänen leihen müssen. Aber ich werde es ausrichten.� �Wenn Sie nicht verschwinden ...� Hasard winkte ab. Sein Gesicht blieb undurchdringlich, doch er fragte sich, ob die Kerle etwas gemerkt hatten. Anscheinend war das aber nicht der Fall. �Ich weiß, Sie brauchen das nicht extra zu betonen.� Der Erste zählte gierig weiter. Zwischendurch fragte er: �Wer ist dieser Kerl in den grauen Fellen und dem Helm? Mein Kapitän will das wissen. Hat der Kerl sich getarnt?� �Dann soll Ihr Kapitän ihn selbst fragen, wenn ihn das so interessiert�, sagte Hasard. Innerlich mußte er wegen dieser Frage allerdings lachen. Sie klang reichlich dämlich, fand er. Luke Morgan sah grinsend auf die Goldstücke, die den Besitzer gewechselt hatten. �Klar, der hat sich als altnordischer Riesentroll getarnt�, sagte er, �in Wirklichkeit ist das Medina-Sidonia, der sich schämt, daß die unbesiegliche Armada besiegt wurde.� Ein Blick aus kalten. stechenden Augen traf Luke, der sich immer noch eins grinste.

Endlich war der Kerl mit dem Zählen fertig und verstaute alles in seinem Ledersack. �Stimmt genau. Da sind die Weiber�, sagte er höhnisch. Als eine nach der anderen überstieg, winkten von der �Isabella� bereits die anderen Indianerinnen herüber. Hasard ließ zurückpullen. �Vergessen Sie nicht, den anderen Kerlen das auszurichten, was ich Ihnen eben gesagt habe!� brüllte der Erste ihnen nach. Hasard sah ihn nur an, gab aber keine Antwort. Nein, gemerkt haben die Kerle nichts, dachte er, sonst hätte sich der Erste anders benommen. Sie glaubten an den freien Abzug und erkannten den Haken bei der Sache nicht. Als sie außer Hörweite der Spanier waren, sagte Luke: �Der Hund hat uns doch noch übers Ohr gehauen, als er verlangte, die beiden Schiffe müßten verschwinden. Wenn sie das tun, verziehen sich die Dons in der Dunkelheit, und wir haben das Nachsehen. Verschwinden sie aber nicht, behalten die Dons die restlichen zehn Frauen als Geiseln.� �Keine Sorge, Luke�, sagte Hasard. �Die beiden Schiffe werden sich nach Süden absetzen, und der Kerl kann sich verholen, wohin er will. Wir bleiben als Fühlungshalter dran und haben ihm ja nur freien Abzug versprochen. Wir selbst werden die netten Leute auch gar nicht behelligen oder ihnen gar ein Haar krümmen. Wir folgen ihnen nur bei ihrer Schleichfahrt, und so wissen die anderen immer, wo sich die Kerle befinden.� �Das ist gut, Sir�, sagte Luke erleichtert, �ich dachte schon, diesmal hätten sie uns übertölpelt.� �Bis jetzt noch nicht. Es wird ihnen wohl auch kaum gelingen, denn sie sind fast blind in ihrer Geldgier.� Sie legten an, und viele hilfreiche Hände reckten sich den Frauen entgegen. Jetzt waren neunundzwanzig Indianerinnen an Bord, und damit wurde die Krankenkammer doch �langsam kleiner�, wie Mac Pellew formuliert hatte.

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Als die Frauen an Bord waren, blieb Hasard in der Jolle sitzen. �Pullt mich zu Ben hinüber�, sagte er. �Ich werde ihm und dem Wikinger verklaren, was der Kerl will.� Kurz darauf legten sie an, und zwar so, daß alle beide, Ben und Thorfin, es hören konnten. �Eine Order von dem ehrenwerten Senor�, sagte Hasard. �Offenbar hat er die Hosen voll. Er ließ mir ausrichten, daß ihr verschwinden sollt. Falls ihr die Aufforderung nicht befolgt, behält er die restlichen Frauen als Geiseln an Bord.� Der Wikinger kriegte schon wieder Zustände und sah rot. �Dieser Lumpenhund!� rief er aufgebracht. �Wie sollen wir ihm den Achtersteven ansengen, wenn wir verschwinden? Den Bastard sehen wir doch nie wieder.� �Beruhige dich, ich habe mir etwas überlegt. Wir werden als Fühlungshalter achteraus von ihm bleiben, das verstößt ja nicht gegen unsere Vereinbarung:' �Es wird aber bald dunkel�, wandte Ben ein. �Ich weiß, aber auch das ist kein Grund zur Sorge. Ihr werdet uns immer folgen können. Sobald das Geschäft, wie der Kerl das nennt, abgewickelt ist und die Dunkelheit hereinbricht, wird er sich absetzen. Wir folgen ihm langsam und entzünden die große Hecklaterne. Eventuell werden wir Signalschüsse zur Richtungsorientierung abfeuern, falls ihr uns aus den Augen verlieren solltet. Wir jagen dann hin und wieder Brandpfeile in den Himmel. Außerdem feuern wir alle Viertelstunde zwei Drehbassen ab. Alles klar?� �Alles klar�, sagte Ben. �Dann können wir die Orientierung auch nicht verlieren. Wir segeln zurück, bis wir nur noch eure Mastspitzen sehen.� �Bei dir auch alles klar, Thorfin?� �Verstanden!� rief der Wikinger. Jetzt strahlte er wieder vor eitel Freude, denn auf diese Weise ging ihm der �Bastard� doch nicht mehr durch die Lappen. Verschwörerisch grinsten sie sich zu.

�Und nun wieder zurück�, sagte Hasard. �Bis später.� Die �Chubasco� fiel gleich darauf ab, bis der Wind voll in den Segeln stand. �Eiliger Drache über den Wassern� vollzog das gleiche Manöver. Etwas später zeigten sie ihre Hecks und gingen auf Südkurs. Hasard sah ihnen nach, während sie zur Galeone zurückpullten. Er sah auch, daß auf der �Santa Barbara� Vargas am Schanzkleid stand und sich mit seinem Ersten unterhielt. Der Kerl rieb sich die Hände. Offenbar war er sehr zufrieden und glaubte sich in Sicherheit. An Deck schnatterten die befreiten Ladys. Sie waren aufgeregt und hatten sich viel zu erzählen. Gespannt warteten sie jetzt auf die zehn restlichen Stammesschwestern.

6. Noch vor Sonnenuntergang erfolgte die letzte Übergabe. Diesmal hatte Hasard zwei Lederbeutel dabei. Der eine enthielt zweitausend Goldtaler, der andere zweihundert weniger. Wieder war alles genau abgezählt worden. Als sie sich diesmal zwischen den Schiffen trafen und Seite an Seite lagen, ging Hasard das Zählen langsam auf die Nerven. Es ist sowieso witzlos, dachte er. Denn ob der Kerl nun zählte oder nicht, war letzten Endes egal. Sie würden sich an dem Geld nicht sehr lange erfreuen. �Zufrieden?� fragte der Seewolf höhnisch, wobei er mit der Hand zur südlichen Kimm deutete. Dort waren jetzt nur noch schmale Striche zu erkennen. �Alles in Ordnung�, knurrte der Erste und zählte weiter. Die fünf Männer in der Jolle drehten Däumchen, während der Erste verbissen das Geld zählte. Fast unbeteiligt sahen sie sich an, und doch grinste jeder innerlich, denn diese Teufel würden schon sehr bald gerupft werden. Das Geldzählen war beendet. �Stimmt die Summe?� fragte Hasard wieder mit Hohn in der Stimme. �Sie stimmt. War ja auch so ausgehandelt. Da

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sind die Weiber!� Wieder folgte diese verächtliche Geste auf die Frauen. Hasard ließ sie übersteigen, bis alle zehn in der Jolle waren. �Damit ist das Geschäft abgeschlossen, verehrter Senor�, sagte Hasard eisig. �Halten Sie Ihr Wort�, sagte der Erste unfreundlich. �Wir ziehen jetzt ab.� �Natürlich halte ich mein Wort�, versicherte der Seewolf. �Und richten Sie dem Kapitän meine besten Grüße aus. Ich bin von den Spaniern im Laufe von knapp zwei Jahrzehnten zwar allerlei gewohnt, aber diese teuflische Menschenverachtung ist das Übelste, was ich je erlebt habe. Dafür wird der Kapitän einschließlich seiner Mannschaft die Quittung erhalten, das verspreche ich Ihnen. Vielleicht fangen Sie an Bord an, vorsichtshalber schon mal zu beten und den Herrn um Vergebung zu bitten.� Der Erste lachte bösartig auf und schlug mit der Hand auf die Geldsäcke. Er grinste Hasard höhnisch ins Gesicht. �Was Sie von uns halten, ist mir scheißegal�, sagte er. �Sie haben die Huren und wir das Geld. Werden Sie selig mit dem braunen Pack. Vergessen Sie Ihr Versprechen nicht, das möchte ich noch einmal betonen. Denken Sie an das Wort, das Sie gegeben haben.� Hasard legte die Fingerspitzen auf die Knie und sah den Ersten ausgesprochen freundlich an, obwohl ihm die Galle hochstieg. �El Lobo del Mar hat immer sein Wort gehalten�, sagte er, �und das tue ich in Ihrem Fall auch.� �Wer?� fragte der Erste krächzend. Ein plötzlicher Hustenanfall schüttelte ihn. �El Lobo del Mar�, wiederholte Hasard ruhig. �Das bin ich, falls Sie das beruhigt. Ich hatte mich noch nicht vorgestellt, hole es hiermit aber nach.� Das beruhigte den Ersten aber in keiner Weise. Im Gegenteil: Er wechselte die Gesichtsfarbe und erstickte fast. Seinen Rudergasten stand plötzliches Entsetzen in den Gesichtern. Der Erste wurde käsig und riß entsetzt die Augen auf. Er starrte Hasard an, als sähe er einen Geist.

�El Lobo del Mar�, hauchte er. Dabei hatte er das Gefühl, der Teufel ihm bereits im Nacken. Er schnappte nach Luft, kriegte aber keinen Ton heraus. Das hatte getroffen und voll gesessen. Die Rudergasten wurden immer kleiner, denn El Lobo del Mar war ihnen ein Begriff, der ihnen einen eisigen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagte. �Pullt!� brüllte der Erste wild, nachdem er seine Sprache wiedergefunden hatte. �Pullt, sonst holt uns der Teufel!� Die entsetzten Kerle hieben die Riemen ins Wasser und droschen drauflos, als hätten sie Dreschflegel in den Fäusten. Nur weg von hier, dachte der Erste wie betäubt. Er drehte sich voller Angst auch immer wieder um, ob der Seewolf ihm nicht schon im Nacken saß. Die Kerle hockten geduckt, verschreckt und entnervt auf den Duchten und pullten, was das Zeug hielt. Noch nie in ihrem Leben hatten sie eine solche Eile an den Tag gelegt. Wenn der Erste daran dachte, mit wem er das Geschäft abgeschlossen hatte, dann wurde ihm jetzt noch angst und bange. Sein Herz lag wie ein Felsen in seiner Brust und hämmerte immer lauter. Hasard und seine Männer sahen den Kerlen grinsend nach. �Eine tolle Rudermannschaft�, sagte Luke andächtig, �die Kerle haben was los. So gut sind wir ja nicht mal.� �Obwohl uns El Lobo del Mar jeden Tag begegnet�, setzte Stenmark lachend hinzu. �Die haben es aber wirklich sehr eilig.� Lachend tauchten sie die Riemen ins Wasser und pullten mit den zehn letzten Frauen an Bord zurück. Jetzt waren alle beisammen, und das hörten die Seewölfe an der Freude, die nun herrschte. Die Ladys konnten sich gar nicht beruhigen. Taina stand in ihrer Mitte und erzählte den anderen alles, was sie bis jetzt erfahren hatte. Und das war eine ganze Menge. Sie waren wieder frei und befanden sich jetzt als Gäste an Bord. Das war ein Grund zum Jubeln.

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* Die Jolle knallte mit einem harten Ruck gegen die Bordwand, daß Vargas oben am Schanzkleid zusammenzuckte und hinuntersah. Es dröhnte durchs ganze Schiff. Der Erste enterte auf, wie von Furien gehetzt. Vier total eingeschüchterte Bootsgasten rasten ebenfalls nach oben, als säßen ihnen wilde Bestien im Genick. �Wo ist das Geld?� fragte Vargas scharf. Der Erste hatte es vor lauter Aufregung in der Jolle vergessen. �Das liegt noch in der Jolle�, würgte er hervor. �Dann holen Sie es gefälligst, verdammt noch mal! Wie kann man denn ein paar tausend Taler einfach vergessen.� Der Erste schickte einen Kerl in die Jolle und ließ sie gleich darauf an Bord nehmen. �Was ist denn mit Ihnen los?� erkundigte sich Vargas unwirsch. �Haben Sie Geister gesehen?� �Viel schlimmer, Capitan. Der Kerl, mit dem wir das Geschäft abgeschlossen haben, ist El Lobo del Mar.� �Was sagen Sie da?� Der Erste wiederholte den Namen. Er sah, wie Vargas heftig und nervös zusammenfuhr. Unstet irrten seine Blicke zu der schlanken Galeone hinüber. Er hatte nicht mal mehr einen Blick für das viele Geld übrig. �El Lobo del Mar�, wiederholte er bestürzt, �der Satan persönlich. Ausgerechnet dem mußten wir begegnen.� �Dann sind wir verloren�, sagte der Erste besorgt. �Der Kerl wird uns jetzt in die Hölle blasen.� �Was hat er gesagt?� Vargas fiel das Sprechen ziemlich schwer, aber er versuchte, die Angst zu verbergen. �Wörtlich kriege ich das nicht mehr zusammen. Ich soll Ihnen Grüße ausrichten. Dann sprach er von teuflischer Menschenverachtung und versprach, daß Kapitän und Mannschaft die Quittung dafür erhalten würden. Wir sollten auch schon anfangen, zu beten und den Herrn um Vergebung zu bitten.�

�Und dann?� �Das war alles. Wir sind sofort losgepullt.� Aus schmalen Augen sah Vargas zu der �Isabella�. Langsam drehte er sich wieder um. �Diesmal haben wir einen Fehler begangen�, sagte er heiser. �Aber wer rechnet schon damit, daß einem ausgerechnet dieser Korsar den Kurs kreuzt. In Spanien ist eine hohe Belohnung auf seinen Kopf ausgesetzt -tot oder lebend, das ist egal. Ob er sein Wort hält?� �Er hat es jedenfalls bestätigt, und er wirkte auch so, als hätte er es ehrlich gemeint. Aber deshalb traue ich ihm noch lange nicht.� �Wir müssen verschwinden, sonst überlegt er es sich noch anders. Er selbst scheint keine Eile zu haben.� Die Jolle war endlich an Bord, es dämmerte bereits. Vargas nahm den Kieker und schlich damit hinter den Besanmast. Von dort aus beobachtete er die �Isabella�. Er sah auch den Seewolf inmitten einer Menge Kerle und der übernommenen Weiber stehen. Ja, das war er, kein Zweifel. Die Beschreibung stimmte. Das waren diese Höllenhunde, über die in Spanien die tollsten Gerüchte umgingen. Ihn wunderte es nur, daß er ihn nicht gleich erkannt hatte, als er das erstemal durch den Kieker sah. Jetzt hieß es, betont harmlos davonschleichen, um nicht unnötig seine Aufmerksamkeit zu erregen. Klein und häßlich mußten sie abziehen und konnten heilfroh sein, wenn der Kerl sein Wort hielt. Er setzte den Kieker ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Im Brustkorb hatte er ein Gefühl, als würde er von tonnenschweren Steinen eingeklemmt, die ihm die Luft abschnürten. �Die verdammten anderen Kerle sind auch noch nicht weg�, sagte er, zur abendlichen Kimm deutend. �Die schleichen dort noch herum, als warteten sie auf etwas.� Ganz dünn waren tatsächlich noch Mastspitzen im Süden zu erkennen. Sie rührten sich offenbar nicht vom Fleck.

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Vargas befürchtete, daß die Kerle Fühlung halten würden, um dann bei günstiger Gelegenheit zuzuschlagen. Wieder schluckte er hart und trocken. Als er diesmal Befehle an seinen Ersten gab, sprach er sie im Flüsterton - aus Angst, der Wind könne seine Worte über das Wasser bis zu El Lobo del Mar tragen. �Vier Mann achtern an das Hilfsruder�, sagte er. �Wir können nicht mit Vollzeug segeln. Durch die Pinnenübertragung und die Seilübersetzungen haben wir keine Kraftersparnis. Auch die Bramsegel werden nicht gesetzt.� Der Erste nickte nur. Neben Vargas lagen immer noch die Lederbeutel mit dem Gold. Er hob sie auf und gab sie dem Ersten. �Bringen Sie das in meine Kammer.� Vier Kerle erschienen auf dem Achterdeck. Mittlerweile hatte sich an Bord herumgesprochen, wer da drüben auf der Lauer lag und mit wem sie das Geschäft abgewickelt hatten. Die Kerle wünschten sich ein paar tausend Meilen fort, denn die Nähe dieses El Lobo del Mar war wie ein Schwert, das über ihren Köpfen hing und jeden Augenblick herabfallen konnte. So gaben sie ihr Bestes, um nur aus dieser todbringenden Nähe zu verschwinden. �Lassen Sie Musketen verteilen, sobald es dunkel geworden ist�, sagte Vargas. �Wenn die Kerle uns doch verfolgen, dann eröffnen wir das Feuer. Auch die Kanonen sollen noch einmal kontrolliert und feuerbereit gehalten werden.� Vargas hatte zwar keine Aussicht, mit den Musketen eine Wende herbeizuführen, aber er wollte sich bewaffnet wissen. Es konnte ja sein, daß die Gegner auch einmal leichtsinnig wurden. Dann aber sah er wieder im letzten Dämmerlicht die überlangen Culverinen dieses Schiffes. Gegen die war auf Distanz kein Kraut gewachsen, und das beunruhigte ihn nun doch wieder. Unausgesetzt beobachtete er. die Galeone und ganz besonders jenen riesigen Mann, der in der Dunkelheit zu einem Schemen zerfloß und dadurch noch unheimlicher wirkte.

Inzwischen waren die ersten Segel gesetzt, und die �Santa Barbara� setzte sich mit dem überlangen Hilfsruder wie eine flügellahme Ente in Bewegung. Der Wind stand immer noch stetig aus Nordwesten, und sie segelten mehr schlecht als recht auf Kurs Nordost. Dann zuckte Vargas zusammen, als über das Wasser ein helles Klingen zu hören war. Dieses Glasen mußte in der klaren Luft meilenweit zu hören sein. Langsam setzten sie sich weiter ab, ohne verfolgt zu werden. Doch das war ein Trugschluß.

* Als es zu dunkeln begann, sahen die Arwenacks, daß sich die �Santa Barbara� sozusagen davonschlich. Vier Kerle auf der Kampanje mühten sich mit dem Notruder ab und mußten all ihre Kräfte einsetzen, um das Schiff auf Kurs zu halten. �Die Halunken scheinen reichlich erschüttert zu sein�, sagte Dan O'Flynn. �Da drüben wird nur noch geflüstert. Jetzt warten sie voller Angst darauf, ob der Seewolf sein Wort hält.� Hasard sah ihnen nach und lachte verächtlich. Ihre Geschwindigkeit konnten sie nicht mehr ausspielen, das war vorbei. Und Mätzchen konnten sie sich auch keine leisten. Sie waren flügellahm. �Entzündet die Hecklaterne�, sagte Hasard, �damit Ben und Thorfin unseren Standort besser erkennen. Alle Viertelstunde werden nach der Sanduhr die vereinbarten Signale gegeben.� Die große Hecklaterne wurde entzündet. Sie verbreitete weithin sichtbare Heiligkeit achteraus. Auch das Achterdeck war in milchiges Licht getaucht. Als die Lampe brannte, wurden die Segel gesetzt, auch nur ein paar, damit man den Kerlen gemächlich �hinterher trotten� konnte. Gleich danach raste der erste Brandpfeil in den Himmel, zog eine leuchtende Spur und senkte sich dann in einer langen Bahn zum Wasser.

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In der nächsten Viertelstunde wurden zwei Drehbassen abgefeuert. Auf der �Santa Barbara� gab es kein Licht. Dunkel und geisterhaft glitt sie dahin, wie vom Gevatter Tod gesegelt. Aber ein leiser Aufschrei drang einmal herüber, als das Brüllen der Drehbassen verstummt war. Offenbar glaubten ein paar Kerle dort drüben, man würde sie jetzt unter Feuer nehmen. Der Halbmond war aufgegangen. Am nächtlichen Himmel zogen ein paar Wolken nach Südosten. Der Wind wehte immer noch gleichmäßig und schob die �Isabella� schneller vorwärts. Die lahme Ente war jetzt besser zu erkennen, seit das Mondlicht die Wasserfläche beschien. Nur Kerle waren keine zu sehen, nicht einmal ihre Umrisse oder Silhouetten. �Wir segeln zu schnell auf�, sagte Hasard, �das ist aber unnötig. Wir verlieren die Kerle sowieso nicht mehr aus den Augen. Wir nehmen noch ein Segel weg.� Inzwischen hatten sie sich der flüchtenden Galeone wieder genähert und standen Backbord achteraus. Das Kielwasser, das sie zog, war keine blasenwerfende oder schaumige Bahn. Es war nur ein müder Strich, der kaum zu sehen war. Hasard drehte sich um und blickte nach Süden. �Sie segeln schon seit einer Weile�, meinte Dan. �Ganz langsam werden sie größer. In drei Stunden etwa müßten sie es geschafft haben, bei uns zu sein.� Gerade als Hasard etwas abfallen wollte, blitzte es am achteren Schanzkleid der �Santa Barbara� grell auf. Kleine Feuerzungen zerrissen die Nacht. Das Mündungsfeuer ließ schattenhafte Figuren erkennen, die nach dem Feuern sofort in Deckung gingen und hinter dem Schanzkleid verschwanden. Musketenfeuer! Jetzt erst war das Knattern zu hören. Weitere Blitze zuckten wie kleine Elmsfeuer auf. Keine Treffer. Die Distanz zwischen beiden Schiffen betrug mehr als hundert Yards. Vielleicht war ein Schuß in den Segeln gelandet oder hatte außen den

Rumpf getroffen. Das war jetzt nicht festzustellen und auch unwichtig. Männer hatte es jedenfalls keine erwischt, die waren beim Aufblitzen sofort verschwunden. �Ein Akt der Verzweiflung�, sagte Shane abfällig. �Mit dem Geballer wollen sich die Kerle Mut machen.� Noch zweimal feuerten die Dons. Dann war die Galeone wieder in Dunkelheit getaucht und zog als Schatten ihre Bahn. Ihre Takelage war im Licht des Halbmondes jedoch einigermaßen deutlich zu erkennen. Aber der flüchtende Bastard hatte noch etwas auf Lager. Eine Zeitlang segelte er stur geradeaus, dann fiel er ganz plötzlich ab, um seine beiden Kanonen einzusetzen. Hasard hatte das Manöver jedoch rechtzeitig durchschaut. Die erste Culverine schickte brüllend und donnernd einen langen Feuerschweif auf die Reise. In der Luft war ein feines Singen zu hören. Die Flammenzunge erlosch. Eine Eisenkugel knallte rauschend ins Wasser und verschwand in einem Vorhang aus Gischt, der nach allen Seiten hochstob. �Vorbeitreffer um hundert Yards�, sagte Luke Morgan. �Wenn die so weiterfeuern, können wir uns das Signalgeben mit den Drehbassen glatt ersparen. Der Kerl zeigt unseren Leuten ja seinen Kurs.� Der zweite �Vorbeitreffer� folgte augenblicklich. Noch einmal röhrte es wild auf. Zwei Lidschläge lang wurde das Deck der Galeone in gleißende Helligkeit getaucht. Ebenso . schnell wurde es wieder finster. Ein paar Yards neben dem ersten Einschlag riß wieder die See auf, als würde ein großer Körper von unten aus der Tiefe gestoßen. Eine Wassersäule stand wie hingezaubert da, ein scheinbar kompaktes Gebilde, das im Mondlicht von allen Seiten glitzernd angestrahlt wurde. Dann brach das Wunderwerk aus Wasser schlagartig zusammen. Nur ein Brausen und Gischten war noch zu sehen. Die �Santa Barbara� segelte weiter. Aber vom Beten, wie Hasard es vorgeschlagen hatte, hielten sie da drüben wohl nichts.

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Aus der Finsternis drangen lästerliche spanische Flüche herüber. Hasard ließ das kalt und unbeeindruckt. Der Bastard war viel zu langsam, um einen gezielten Treffer anbringen zu können. Außerdem hatten die Kerle höllische Angst, und dieser Umstand ließ sie nicht gerade treffsicherer werden. Sie blieben dran, zwar nicht mehr so dicht wie vorher, denn auch eine verirrte Kugel konnte ganz unerwartet den Tod bringen, aber sie hielten sich weit außerhalb der Reichweite ihrer Musketen. Wenn sie jetzt noch einmal feuerten, war das absolut nutzlos. Länger als eine Stunde ging das so. Vargas blieb stur auf Kurs, sah aber, daß sein Fühlungshalter unerbittlich an ihm klebte. El Lobo del Mar hielt sein Wort. Er hatte keinen einzigen Schuß abgefeuert, aber mittlerweile hatten sie auf der �Santa Barbara� den Haken bei dem Kuhhandel erkannt, und diese Erkenntnis ließ sie das Beten vergessen. Sie fluchten nur noch. Nicht El Lobo del Mar würde ihnen die Hörner abfeilen und sie zu den Fischen schicken, das würden die beiden anderen besorgen. Total verbiestert erkannte Vargas, auf welches Teufelsspiel er sich eingelassen hatte. Verflucht, das hatte er jetzt von seiner Geldgier und der unmenschlichen Behandlung der Indianerinnen. Jetzt saßen ihm die Höllenhunde im Nacken. Etwas später griff er zu seiner letzten List, mehr fiel ihm beim besten Willen nicht ein. Als achteraus wieder ein Brandpfeil als Orientierungshilfe in den Himmel stieg, ließ er die Galeone ganz plötzlich wenden und ging auf Kollisionskurs, um die �Isabella� zu rammen. �Haha!� sagte Hasard. �Jetzt geht er zum Großangriff über und will rammen. Und das mit einer flügellahmen Galeone unter Hilfsruder. Der Kerl ist nur noch zu bedauern.� Smoky, der wieder das Ruder übernommen hatte, zog die Stirn in Falten und grinste abfällig.

�Da dürfte Hochmögen wohl Pech haben und in den Wind schießen�, sagte er belustigt. �Denk daran, daß er zwei Stücke einsetzen kann�, meinte Hasard. �An so was denkt Smoky immer�, versicherte der Decksälteste. Die �Isabella� wich elegant, fast spielerisch aus, während die Kerle am Hilfsruder wie die Wilden tobten. Zwei weitere sprangen noch hinzu, um das Ding zu bedienen. Aber das Manöver war viel zu plump ausgeführt. Die vormals schnelle �Santa Barbara� reagierte zu schwerfällig und lahm. Mit solchen Mätzchen waren die Arwenacks nicht zu erwischen. Sie grinsten nur abfällig, als die Galeone ins Nichts stieß und mühsam wieder auf Kurs gebracht werden mußte. Von da ab fielen Vargas keine weiteren schmutzigen Tricks mehr ein. Er fluchte nur noch.

7. Gegen zweiundzwanzig Uhr segelten der Wikinger und Ben auf. Sie hatten sich anfangs an den Brandpfeilen und Drehbassenschüssen orientiert, danach hatte Vargas ihnen selbst den Kurs gewiesen. Zu diesem Zeitpunkt stand die �Isabella� dwars an Backbord. Die Arwenacks, die noch keinen Schuß abgefeuert hatten, sahen zu, wie der düstere Viermaster des Wikingers an Backbord der �Santa Barbara� aufsegelte. Die Kriegskaravelle �Chubasco� segelte von Steuerbord heran. Auf beiden Schiffen waren die Rohre ausgerannt und die Drehbassen feuerbereit. Selbst im schwachen Mondlicht war der �Kupferkessel� des Wikingers zu erkennen, der auf dem Achterdeck stand und sein �Sesselchen�, diesen monströsen Thron, verlassen hatte. Wie eine Recke aus grauer Vorzeit stand er da - oder wie Thor persönlich, um wutschnaubend Rache zu nehmen.

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Als sie schräg von achtern aufliefen, peilte Thorfin die Lage und nickte zufrieden. �Feuer aus den Drehbassen!� brüllte er mit seiner Donnerstimme. �Und immer schön aufs Achterdeck halten, wo die größten Lumpen hocken.� Das gleiche tat auf der �Chubasco� auch Ben Brighton. Auch seine Drehbassen waren auf das Achterdeck mit dem Hilfsruder gerichtet. Auch hier ertönte: �Feuer frei!� Die Dunkelheit wurde jählings durch zorniges Aufbrüllen, einen Höllenspektakel und grelle Feuerblitze zerrissen. Riesige Blumen blühten in dieser Finsternis zu ganzen Sträußen auf. Dunst und Pulverqualm waberten über die Schiffe. Im Achterschiff der spanischen Galeone schlug es hallend und berstend ein. Der Eisenhagel aus mehreren Rohren fegte die Dons am Hilfsruder mit einem Schlag auf die Planken. Die Folge davon war, daß die �Santa Barbara� augenblicklich in den Wind schoß. Die Segel killten, die Spieren knarrten, und die Rahen ächzten unter der plötzlichen Belastung. Geschrei klang durch die Nacht, die jetzt wieder dunkel wurde, nachdem die Feuerzungen erloschen waren. Von zwei Seiten hatte es ins Achterkastell schwere Eisenbrocken gehagelt und Trümmer geregnet. Auch die Taue und Tampen, die das Hilfsruder hielten, waren zerschossen. Der lange Riemen glitt tiefer ins Wasser und wurde mitgeschleppt. �Jetzt ins Rigg halten�, rief Ben Brighton durch die Dunkelheit. Sie wollten das jetzt steuerlose Schiff abtakeln und verhindern, daß Vargas noch einmal seine Stücke einsetzte. Der kam auch gar nicht mehr dazu, denn alles ging so schnell, als sei es lange vorher einstudiert worden. Sie hatten die Galeone in die Zange genommen, in jenen tödlichen Griff der Umklammerung, aus dem es kein Entkommen mehr gab. Ben Brighton feuerte zuerst.

Aus der Bordwand stachen grelle Blitze hervor. Das Jaulen von Kugeln war zu hören, dann das bestialische Krachen, als der Besanmast getroffen wurde. Wie mit Donnerkeilen fuhr es in ihn hinein.. Splitternd und berstend brach er auf halber Höhe auseinander. Eine losgeschossene Rah sauste wie eine Riesensense über das Deck und fegte alles von den Beinen. Mit der Rah wirbelten auch Spieren, Tauwerk und Tuch nach unten. Schreiende Dons wurden unter dem zerfetzten Segeltuch begraben, das sich wie ein Leichentuch über das Deck legte. Zwei weitere Treffer verwandelten den Besanmast in einen trostlosen Stummel. Wieder krachte es, wieder wurden Schreie laut, hasteten Dons brüllend und voller Angst von achtern nach vorn. Der Besan war noch nicht richtig abgetakelt, als der Wikinger seine gewaltigen Rohre zum Einsatz brachte. Diesmal hörte es sich an, als würde ein wüstes Gewitter von allen Seiten zugleich losbrechen. Die Hölle tat sich auf mit Feuer und Donner, Rauch und unbändigem Kreischen. Eine Rah vom Großmast flog splitternd davon. Der Großmast wankte und bebte. Als ihn eine zweite Eisenkugel traf, zerbarst er mit einem lauten Dröhnen und Krachen. Noch einmal regnete es Trümmer. Am Fockmast killten die Segel. Es war der einzige noch heile Mast, doch auch der wurde jetzt abgetakelt. Es gab keinen Pardon mehr. Der Wikinger tobte sich mit der ihm eigenen Wut aus, während Ben Brighton wesentlich gelassener blieb. Eiskalt wartete er immer die günstigste Position ab und ließ dann das Feuer eröffnen. Über die Decks von �Eiliger Drache� und �Chubasco� wehte heißer Wind, ausgelöst von der Feuerhitze und dem beißenden Qualm, der immer wieder aufwölkte. Auf der jetzt hilflos in der See treibenden �Santa Barbara� war die Hölle los. Nach jedem Aufblitzen wurde sie in grelles Licht getaucht. Tiefschwarze Finsternis folgte, bis der nächste Schuß wieder die Nacht

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grell erleuchtete. Aus der Ferne sah das wie Wetterleuchten aus, dieser ständige Wechsel von Hell zu Dunkel. Jetzt befanden sich beide Schiffe in einer Position, aus der heraus sie nicht mehr feuern konnten. Außerdem waren die Breitseiten verschossen. Sie hatten die treibende Galeone jetzt überholt, kurvten ein und segelten aus einer Entfernung von zweihundert Yards wieder heran, um die anderen Breitseiten einsetzen zu können. Das Manöver dauerte eine Weile. Inzwischen glich die Galeone einem Tollhaus. Die Kerle, die noch auf den Beinen standen, wußten, was ihnen jetzt blühte. Ein paar von ihnen sprangen voller Panik ins Wasser. Es kümmerte sie auch nicht mehr, daß da Haie waren, beutegierige Freßmaschinen, die auf Beute lauerten. Sie wollten nur noch weg von diesem Schiff, auf das der Tod von allen Seiten eindrang. Das Deck war nur noch ein Wirrwarr von Spieren, zersplitterten Rahen, Segeltuch, Tauwerk und Fetzen. Aus den Planken stachen scharfkantige Holzsplitter hervor. In diesen ganzen Wirrwarr blies der Wind, war das Knattern der Fock zu hören, das Brüllen von Männern und das Geschrei der tödlich Verwundeten. Vargas und sein Erster Offizier standen zu diesem Zeitpunkt unverletzt, aber mit käsigen Gesichtern und weichen Knien auf dem Achterdeck und sahen hilflos zu, wie das Schiff abgetakelt und systematisch zusammengeschossen wurde. Aber auch ein anderer sah zu, sehr gelassen und ohne das geringste Mitleid für die Kerle zu empfinden. Das war der Seewolf, der an der Schmuckbalustrade stand und zur �Santa Barbara� starrte. Seine Mannen blickten ebenfalls stumm auf das Schauspiel. �Ein Bastard kriegt seine verdiente Strafe�, sagte Hasard. �Das ist nichts weiter als ausgleichende Gerechtigkeit für das, was er unschuldigen Menschen angetan hat.� Beide Schiffe segelten jetzt wieder auf die Galeone zu und hatten sie erreicht, als der Totenreigen von neuem eröffnet wurde.

Thorfin Njal ließ zuerst die vorderen Geschütze feuern. Unheimlich sah �Eiliger Drache� aus; diese gelungene Kombination zwischen Galeone und Dschunke. Sie war auf jeder Seite mit zwölf Geschützen von unbestimmbarem Kaliber armiert. Die Kugeln wogen etwa fünfundzwanzig Pfund. Das aus portugiesischen Harthölzern um 1560 erbaute Schiff begann zu zittern, als die vorderen Kanonen ihre großen Brocken ausspien. Jedesmal erfolgte eine donnernde, krachende und berstende Explosion, als würde das Schiff von innen her in heller Lohe bersten. Kaum war das erste Rohr verstummt, blühte es an der nächsten Stückpforte auf. Das Rumpeln der zurückfahrenden Lafetten war nur als leises Poltern zu vernehmen. Dagegen nahmen sich die Schüsse der �Chubasco� mehr wie heiseres Dröhnen aus, dem rumpelnder Donner folgte. Nach dem zweiten Schuß erwischte es auch den Fockmast. Das Vorbramsegel riß ratschend auseinander. Der Wind fuhr hinein und zerfetzte es zu flatternden Wimpeln. Dann war das Vormarssegel dran, das mitsamt der Vormarsrah splitternd über Bord flog. Jetzt knatterte noch die Fock, doch auch die wurde gleich darauf weggeschossen. Als sich der Rauch verzogen hatte, war die �Santa Barbara� nur noch in wüster Trümmerhaufen. Vom Großmast stand ein Stummel, vom Fockmast ebenfalls. Damit war die Galeone entmastet und abgetakelt. Drei der zwölf Stücke des Wikingers hatten nicht mehr gefeuert. Es gab auch nichts mehr, was an Aufbauten noch stand. Jetzt wurde geentert, als die Galeone steuer- und antriebslos in der See dümpelte. Da erschien Vargas auf dem Achterdeck. Sie hatten eine Laterne entzündet und standen wie Schemen da, er und sein entsetzter Erster. Vargas hielt in seiner rechten Hand einen zerfetzten Flaggenstock, an den er ein weißes Tuch geknotet hatte. Dieses Ding schwang er jetzt wild hin und her.

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�Aufhören!� brüllte er mit überkippender Stimme. �Aufhören, ich ergebe mich!� Er rannte hin und her, während er den weißen Fetzen schwang und der Erste wie gelähmt am Schanzkleid stand. �Hört auf, ihr Bastarde!� brüllte er noch einmal. �Ich ergebe mich freiwillig.� �Jetzt kneift der Hundesohn�, sagte Hasard zu Dan. �Jetzt, nachdem er nichts mehr zu melden hat. Ich habe gewußt, daß er ein erbärmlicher Feigling ist, der sich hinter hilflosen Frauen versteckt.� Er sah die Szene wieder vor sich, als Vargas die jungen Frauen über Bord hatte stoßen lassen, und er schluckte hart, als er daran dachte, wie dieser Hundesohn ein Mädchen kaltblütig erschossen hatte. Die Galle stieg ihm hoch. �Gnade?� sagte er kalt. �Ergeben und einen weißen Lappen schwenken? Nein, das ist nicht drin.� Den Hundesohn würde nichts mehr läutern, der ging sein Leben lang über Leichen. Wieder sah er, wie das hilflose Mädchen unter dem Schuß zusammenbrach und kurz darauf verächtlich ins Meer geworfen wurde. Nein, der Mann dort drüben hatte keine Gnade verdient - er nicht und seine Kerle auch nicht. Drüben liefen beide Schiffe von achtern auf. Die Segel wurden aufgegeit, Spieren und Rahen in Längsschiffrichtung gestellt. Dann gingen sie an den Trümmerhaufen längsseits. Ein paar Kerle flüchteten brüllend aufs Achterdeck. Offenbar glaubten sie sich da sicherer, als die Enterhaken flogen. Vargas war urplötzlich verschwunden. Einsam lag sein Flaggenstock mit dem weißen Fetzen auf den Planken. Der Erste fuhr herum und starrte auf das Tuch. �Capitan!� rief er laut und voller Angst. Aber da war kein Capitan mehr. Juan Vargas hatte sich nach unten in eine Kammer verholt und eingeschlossen. Der Wikinger hatte jedoch gesehen, daß der Kerl vom Achterdeck gehastet und nach unten gestürmt war. Jetzt standen auf dem Achterdeck ein Dutzend Kerle herum,

die Pistolen, Säbel und Entermesser in den Fäusten hielten, um ihr Leben zu verteidigen. Auch auf dem Quarterdeck standen einige. Ein paar liefen jetzt von achtern nach vorn, als die beiden Schiffe längsseits gingen. Die Dons stolperten über Spieren und Segeltuch. Brüllend und fluchend rannten sie weiter. Aber sie prallten gegen eine Mauer von Leibern, die regelrecht über die Schanzkleider fluteten wie eine Brandungswelle. Der Wikinger war wieder mal der erste. Er konnte es kaum erwarten. In der rechten Pranke hielt er sein gewaltiges Messerchen, das yardlange scharfe und mehr als hundert Pfund schwere Schwert. Er unterzog sich gar nicht erst der Mühe, den Umweg über die zersplitterte Kuhl zu nehmen. Er sprang vom Achterdeck seines Schiffes mit einem gewaltigen Satz auf das Achterdeck der �Santa Barbara� und stürmte brüllend vor. Vor diesem Giganten wichen sie alle zurück, denn der tobte sich auf den Planken wie ein Berserker aus. Das �Messerchen� vollführte einen gewaltigen Rundumschlag. Zwei Kerle verschwanden lautlos außenbords, ein dritter flog davon und blieb mit gespaltenem Schädel auf dem Quarterdeck liegen. Die Gegenwehr der Dons war fast gelähmt vor Entsetzen, und so wurde es nur ein kurzer, harter und gnadenloser Kampf. Thorfin Njal hatte das Achterdeck mit zwei weiteren Rundumschlägen leer gefegt. Da stand kein Don mehr auf den Beinen. Jetzt schoß der Erste, von Angst und Grauen erfüllt, mit der Pistole auf ihn. Doch ein wirbelnder Schlag mit dem �Messerchen� fegte die Pistole hoch in die Luft. Einen Lidschlag später fiel der Erste unter einem gewaltigen Streich und hauchte sein Leben aus. Auf der Kuhl entbrannte noch einmal ein heftiger kurzer Kampf. Ein paar Arwenacks von der �Chubasco� griffen ein.

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Thorfin säbelte sich weiter durch, fegte alles zur Seite, was seinen Kurs kreuzte, und setzte erbarmungslos den flüchtenden Kerlen nach. Kurze Zeit später rührte sich auf der �Santa Barbara� nichts mehr. Wer nicht im letzten Augenblick über Bord gesprungen war, hatte sein Leben auf den Planken ausgehaucht. �Jetzt hole ich mir den Bastard!� brüllte Thorfin Njal. �Ich habe gesehen, daß er sich nach unten verkrochen hat. Aber das wird ihm nichts nutzen.� Er stürmte nach unten und rüttelte wild an den Schotts. Bis auf eins ließen sich alle öffnen. Das eine war von innen verriegelt. Vargas hockte heulend und zähneklappernd in der Kammer. �Komm raus, du Bastard!� brüllte Thorfin. �Stell dich ehrlich zum Kampf, du erbärmlicher Feigling!� Einer seiner Männer brachte eine Laterne herbei und hielt sie hoch. Es war der Stör, der auf das Schott blickte. �Er hockt da drin.� �Weiß ich selbst�, knurrte Thorfin. Er nahm sein gewaltiges �Messerchen� und hieb auf das Schott ein. Splitter flogen nach allen Seiten. Als er einen Spalt in das Holz geschlagen hatte, schob er das Schwert dazwischen und drückte mit aller Kraft. Das Schott brach mit einem berstenden Krach aus den Angeln. In der Kammer hockte Vargas. Neben ihm lagen die Ledersäcke mit den vielen Talerchen aus Gold. �Raus mit dir, du Frauenmörder!� brüllte Thorfin. Vargas wich mit offenem Mund und entsetzten Augen vor dem gewalttätigen Riesen zurück bis an die Wand. �Hier, nehmen Sie das Geld�, stammelte er. �Ich will mich freikaufen. Sie können alles nehmen, bitte. Es gehört Ihnen, und dann lassen Sie mich ziehen.� �Mit meinem Geld willst du Bastard dich freikaufen?� brüllte Thorfin. �Mit dem Geld meiner Freunde und meinem? Du bist wohl nicht bei Trost!�

Mit zwei Schritten war er bei ihm, packte Vargas im Genick wie ein Karnickel und schleppte ihn aus der Kammer im Sturmschritt zum Achterdeck. Dort beutelte er ihn einmal kräftig, als würde er einen nassen Lappen schlenkern. �Hiermit kannst du dich freikaufen�, sagte er grollend, �deine letzte Chance. Wenn du gewinnst, kannst du abzittern.� Mit den Worten drückte er dem Spanier einen Säbel in die Faust und ging auf Distanz. �Fang an�, sagte der Wikinger zu dem zitternden Mann. �Mein Wort gilt ebenso wie das von El Lobo del Mar.� In den kalten Augen des Dons glitzerte es. Er sah sich hastig um, dann sprang er vor. Mit aller Kraft holte er mit dem Säbel aus. Brüllend und kreischend hieb er zu. Der Wikinger sprang zur Seite, als der Säbel splitternd in die Planken fuhr, und holte seinerseits aus. Augenblicke später war der Teufel in Menschengestalt tot und lag ausgestreckt auf den Planken des Achterdecks. Weitere Überlebende gab es nicht. Auch von den Kerlen, die ins Meer gesprungen waren, war nichts mehr zu sehen. Die �Isabella� glitt längsseits und legte bei der Karavelle an. Hasard sah sich stumm nach allen Seiten um. �Jede Barmherzigkeit oder Nachsicht wäre hier falsch am Platz gewesen�, sagte er. �Das Schiff hat Schatzgüter von Cartagena nach Spanien geladen. Wir stauen sie um und verteilen die Beute auf unsere drei Schiffe.� �Einverstanden�, brummte der Wikinger. �Aber das Lösegeld sollten wir auch nicht vergessen. Es liegt in der achteren Kammer. Der Kerl hockte buchstäblich darauf.� Er drehte ab und holte die Ledersäcke mit den Goldtalern, während die anderen die Laderäume aufbrachen. Was Higgy gesagt hatte, stimmte. Die �Santa Barbara� hatte Silber- und Goldbarren geladen, indianischen Schmuck und Perlen in kleinen Kisten.

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Eine Weile schauten die Männer auf die funkelnde Pracht. �Das wird den König von Spanien verdrießen�, sagte Dan. �Aber es ist besser, wir verwalten es vorläufig. Wir fangen damit ja schließlich auch keine Kriege an.� Danach begann das Umstauen der kostbaren Ladung. Sie wanderte in die Bäuche der drei Schiffe und verschwand darin. Das Umstauen dauerte bis zum Morgengrauen. Dann waren die Räume leer, und das Schiff wurde noch einmal durchsucht. �Versenken wir es?� fragte Ferris Tucker. �Als Prise taugt es nichts mehr. Es steht ja nicht einmal mehr ein Mast.� �Achtern ist eine kleine Pulverkammer�, sagte Hasard. �Dort legen wir eine Lunte hinein und gießen an Deck Öl aus. Das stecken wir in Brand und gehen dann auf Ostkurs. Dabei werden wir Ausschau nach weiteren flüchtigen Schiffen des Geleitzuges halten.� Für Ferris war das schon zur Routine geworden. Er holte eine Lunte, brachte sie in der Pulverkammer an und goß aus einem Faß Öl an verschiedenen Stellen der Decks aus. Danach kehrten sie an Bord zurück. �Leinen los�, sagte Hasard. �Isabella� und �Chubasco� lösten sich von dem treibenden Wrack. Auch �Eiliger Drache� löste die Leinen.

Bevor sie langsam abdrifteten, warf der Wikinger eine brennende Laterne an Deck, die auf den Planken zerbarst. Weiteres Öl lief aus und setzte das ausgegossene Öl in Brand. Als sie eine Kabellänge entfernt waren, brannten bereits die Decks. Das Feuer fraß sich immer weiter und entzündete das Trümmerholz. Der Wind stieß hinein und entfachte es. Achtern stand bereits alles in hellen Flammen. Alle drei Schiffe gingen auf Ostkurs, um nach Versprengten des Geleitzuges zu suchen. Als sie eine halbe Meile von der �Santa Barbara� entfernt waren, hatte das Feuer die Lunte zur Pulverkammer erreicht. Eine lange Stichflamme schlug hoch in den Himmel. Der Stichflamme folgte ein weißgelber Blitz. Dann barst die Galeone in einer brüllenden und fauchenden Detonation auseinander. Glühende Trümmer stiegen in einem hellen Feuerball hoch und regneten nach allen Seiten ab. Der gewaltige Blitz schwächte sich nur langsam ab. Dann war nur noch ein Gluten über dem Wasser zu sehen, und am Himmel stand hoch oben ein dunkler Rauchpilz. Das war der Untergang der �Santa Barbara�. Sie hatte ihre Kreuzfahrt zur Hölle beendet...

E N D E