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Kreuzweg der Dimensionen

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Band 42der Fernseh-Serie Raumpatrouille

H. G. Ewers

Kreuzweg derDimensionen

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Unter Leitung der ORION-Crew war das Sternen-schiff ins Innere der letzten kugelförmigen Dunkel-wolke vorgestoßen. Sie alle, die mit allergrößtenHoffnungen aufgebrochen waren, waren sicher, vordem Höhepunkt des Unternehmens zu stehen, dasPROJEKT PERSEIDEN genannt worden war.

Aber während sie durch das scheinbar wesenloseGrau des Hyperraums rasten, gingen erschreckendeVeränderungen mit ihnen vor. Gleichzeitig entdeck-ten sie, daß der Kurs des Sternenschiffs durch einenstrahlenden Schlauch ging, durch eine Art überdi-mensionalen Korridor, in dem Steinbrocken, Metall-teile und Überreste toter Lebewesen drifteten.

Es erweckte den Anschein, als trieben sie durch ei-ne Zone, in der vor undenkbaren Zeiten grauenhafteAuseinandersetzungen stattgefunden hatten. Immerunheimlicher wurden die Geschehnisse, mit denendas Team der Raumfahrer konfrontiert wurde.

Als sie erkannten, daß sie sich in einer Art Modell-Raumkugel befanden, die ihnen verschiedene Paral-lel-Erden präsentierte, und als sie die Aufgabe mei-sterten, diese Parallel-Erden vor furchtbaren Kata-strophen zu retten, wußten sie, daß sie nach demWillen einer unbekannten Macht zu Hütern derMenschheit in der Parallel-Raumkugel bestimmt wa-ren.

Doch die Rechnung dieser unbekannten Machtging nicht auf, denn es gab noch eine Macht, diedurch die Aktivitäten in der Parallel-Raumkugel ge-weckt wurde. Fassungslos erleben die Raumfahrerden gespenstischen und dramatischen Kampf, der amKREUZWEG DER DIMENSIONEN entbrennt ...

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Prolog

Eine sehr lange Zeit war der Kreuzweg der Dimen-sionen verödet gewesen – bis auf zwei unsichtbareBallungen körperloser Wesenheiten, die sich feindse-lig belauerten, aber zu schwach waren, um einanderernsthaft schaden zu können.

Doch Zeit war unwichtig für diese Wesenheiten. Esberührte sie nicht, wie weit die Ausdehnung desUniversums, die seit dem Urknall unaufhaltsam vor-anschritt, sich fortentwickelt hatte, denn es ändertenichts daran, daß die beiden Urmächte, zu denen siegehörten, irgendwo in einem Überraum schlummer-ten, dem Tag entgegendämmernd, an dem sich dieSchicksalswaage zugunsten einer von ihnen neigteund sie befähigte, wiederum im normalen Kosmos zumaterialisieren.

Die Ballungen körperloser Wesenheiten, die denKreuzweg der Dimensionen bewachten, waren nurTeile des Erbes, das die beiden Urmächte hinterlassenhatten. Hinterlassen nach einem erbitterten Ringen,das im Kosmischen Inferno aus Grauen und geistigerFinsternis ein Ende fand, das gleichzeitig das ErsteWeltende gewesen war. Damals war die Vitalität desUniversums schwer erschüttert worden. Doch siehatte nicht gebrochen werden können.

Nach und nach gewann das Universum seine Le-benskraft zurück und versuchte, die Evolution wie-der voranzutreiben, denn ohne umfassende Evolutionhätte die Existenz des Universums seinen Sinn verlo-ren. Das, was von den beiden feindlichen Urmächtenübriggeblieben war, hatte keinen Anteil an dieser

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Evolution – und es würde nie einen Anteil daran ha-ben, wenn es ihren Erben nicht gelang, steuernd indie Zweite Evolution einzugreifen und sie in denDienst ihrer Erblasser zu zwingen.

Einer dieser Erbmächte war es schließlich gelun-gen, im Hauptast der Zweiten Evolution eine beson-ders vielversprechende Spezies zu entdecken und dieEvolutionsspitze jener Spezies mit behutsamen, vor-ausschauenden Manövern in die Dunkelballung zulocken, in der sich der Kreuzweg der Dimensionenverbarg.

Hier schuf die Erbmacht ein Abbild des Ursprungsdieser Spezies und gab den Vertretern der Evoluti-onsspitze die Illusion, dort bleiben zu müssen, weildas Schicksal sie dazu ausersehen hätte, Hüter ihrerSpezies und der Keimzelle einer eigenständigen kos-mischen Zivilisation zu sein.

Der Plan ging auf – und als Folge davon neigte sichdie Schicksalswaage zugunsten jener Erbmacht, dieden Plan ersonnen hatte.

Das wiederum stürzte die konkurrierende Erb-macht in Panik. Die betreffende Ballung von Wesen-heiten aktivierte in ihrer Existenzangst Kräfte, vondenen sie bis dahin kaum etwas geahnt hatte. DieseKräfte weckten schlafende Werkzeuge und schleu-derten sie zum Kreuzweg der Dimensionen.

Und alles, was so lange stabil gewesen war, wurdeinstabil. Alle sieben Tore der Hölle taten sich auf –und das Chaos griff nach Sonnen und Planeten ...

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1.

Cliff McLane und Arlene hielten sich an den Händen,als sie von ihrem Wagen zum nächsten Lift gingen,der sie zu ihrer Wohnung bringen sollte.

Im Lift lehnte sich Arlene wie schutzsuchend anCliffs Schulter.

»Mir ist so sonderbar, Cliff«, flüsterte sie.Cliff zog sie sanft an sich und küßte sie auf die

Stirn.»Du hast zuviel getrunken, Mädchen«, erwiderte

er. »Wie wir alle übrigens. Selten ist wohl auf einemBordfest soviel Alkohol konsumiert worden wie aufdiesem.«

Arlene schüttele den Kopf. Ihr langes Haar kitzelteCliffs Hals.

»Das ist es nicht, Liebster. Es ist dieses Gefühl derUnwirklichkeit, das mich ängstigt. Wir befinden unsauf der Erde, wenn auch sicher nur auf einer Parallel-Erde, aber die Menschen dieser Erde sehen weder unsnoch das Sternenschiff oder die ORION. Wir sind fürsie überhaupt nicht da – und doch sollen wir angeb-lich hier sein, um die Erde und die Menschheit zuschützen. Wovor überhaupt, Cliff?«

Cliff McLane spürte, wie ein Frösteln durch Arle-nes Körper ging. Er preßte die Lippen zusammen unddachte nach.

PROJEKT PERSEIDEN hatte sie, die kleine Crewder ORION VIII und die größere Crew des riesigenSternenschiffs, in einer gefährlichen und abenteuerli-chen Irrfahrt über zahllose Barrieren aus Staub undEnergie ins mathematische Zentrum einer Raumku-

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gel geführt und sie zwischen den Sonnen des inner-sten Kerns eine Erde finden lassen.

Noch mehr war geschehen. Vieles würde sich nie-mals rational erklären lassen. Doch das war das We-sentliche: Sie befanden sich nach mehreren Dimensi-onsverschiebungen auf einem Planeten, der in allemihrer vertrauten Erde glich, und auch die Sternbilderdes Nachthimmels hatten sich mit den Dimensions-verschiebungen nach und nach in die vertrautenSternbilder verwandelt, wie sie sie von der Erdekannten, von der sie gekommen waren.

Und doch hatten sie im Laufe der Woche, die siesich auf diesem Planeten aufhielten, nicht heimischwerden können. Wichtigster Grund: Es gab keinenKontakt mit den Bewohnern dieser Erde. Sie konntenMaschinen bedienen, konnten Reisen über den Pla-neten unternehmen – aber sie konnten sich den Be-wohnern weder optisch noch akustisch verständlichmachen. Wenn sie sie berührten, gingen ihre Händedurch ihre Körper hindurch, als wären die Erdbe-wohner Geister. Und sie selbst waren für die Erdbe-wohner noch viel weniger. Sie waren einfach nichtvorhanden.

Allmählich, so erkannte Commander McLane,würde dadurch die Moral abbröckeln, würde das Ge-fühl, Ausgestoßene jenseits von Raum und Zeit zusein, anwachsen und sie alle zum Wahnsinn treiben.

Er legte den Arm um Arlene, als der Lift in ihrerEtage hielt, führte sie durch den verlassenen Korridorund öffnete die Wohnungstür.

»Ich weiß es auch nicht, Mädchen«, sagte er mitspröder Stimme. »Ich weiß nur, daß wir durchhaltenmüssen. Die Macht, die uns hierher leitete, muß einen

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Zweck damit verfolgt haben. Eines Tages werden wirmehr wissen, als daß wir zu Hütern des Planeten undder Keimzelle der kosmischen Menschen bestelltwurden. Komm, trinken wir noch einen letztenSchluck, dann wollen wir Hand in Hand schlafen unduns von besseren Träumen trösten lassen.«

Er lächelte ihr zu, als das Licht anging, dann schritter zur Bar und kehrte mit zwei Gläsern zurück, indenen eine goldgelbe Flüssigkeit schimmerte. Dieglasklaren Eiswürfel zersprangen knackend.

Arlene erwiderte das Lächeln, nahm das Glas, dasCliff ihr reichte, roch an der Flüssigkeit und meinte:»Archer's tears! Es gibt doch noch Vertrautes auf die-sem Geisterschiff, das Erde heißt.«

»Und daran wollen wir uns halten«, ergänzte Cliffund stieß mit seinem Glas an Arlenes. Ein hellerKlang zitterte durch den Raum.

Die beiden Menschen tranken. Danach schalteteCliff McLane die Musikanlage ein und drosselte dieLeuchtstärke der Lichtquellen. Als er sich umdrehte,hatte Arlene ihr Glas abgesetzt. Sie streckte ihm ihreArme entgegen. Cliff ging auf sie zu, umarmte sie,fühlte ihre Hände in seinem Nacken, küßte die samt-braune Haut ihres Gesichts und Halses und spürte,wie sie wohlig erschauerte.

Gerade wollte er Arlene hochheben, als das Video-phon die Stimmung mit schrillem, häßlichem Sum-men zerstörte. Cliffs Geist tauchte aus wohligem Ver-gessen in die gespenstische Realität zurück. ArlenesKörper versteifte sich.

»Wer immer das ist«, sagte Cliff grimmig, »er istein ungehobelter Klotz, der nicht begriffen hat, daßdie Menschen wenigstens zeitweise ein Recht auf un-

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gestörtes Intimleben haben. Aber ich werde sein Ru-fen einfach ignorieren.«

Arlene seufzte so tief, daß ihre Brust sich deutlichhob und senkte.

»Vielleicht eine wichtige Meldung«, wandte sie ein.Cliff war dabei, sich in Wut zu reden.»So wichtig kann keine Meldung auf diesem Gei-

sterplaneten sein, daß sie nicht bis morgen Zeit hätte.Am liebsten würde ich den Bildschirm mit einer Fla-sche zertrümmern.«

Die Wut verrauchte so schnell, wie sie gekommenwar. Cliff wußte, daß er sich nicht abkapseln konnteund daß irgendwer vielleicht seine Hilfe brauchte.Schließlich war er als Commander für alles verant-wortlich, was mit dem Sternenschiff und seiner Be-satzung geschah – und nur von dort konnte der Rufkommen.

Er schob Arlene sanft von sich, ging auf das Video-phon zu und schaltete es ein.

»Sie, Dave!« rief er erstaunt aus, als der Bildschirmhell wurde und das Abbild von Dave Sligo, desZweiten Piloten des Sternenschiffs, zeigte.

Dave Sligo wirkte verstört – und völlig nüchtern,obwohl Cliff sich daran erinnerte, daß der Zweite Pi-lot vor einer halben Stunde, als er und Arlene sichvon ihm verabschiedeten, erheblich alkoholisiert ge-wesen war.

»Ich habe das Sternenschiff in Alarmzustand ver-setzt, Cliff«, sagte Sligo stockend. »Bitte, kommen Siesofort an Bord.«

Cliff hörte, wie Arlene an seine Seite eilte undspürte den Druck ihrer Hand auf seinem Unterarm.

»Warum, zum Teufel, haben Sie Alarm gegeben,

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Dave?« rief er unbeherrscht. »Wird das Schiff ange-griffen?«

Dave Sligos Blick wurde ausdruckslos.»Nein, Commander«, erwiderte er steif. »Nur fol-

gendes ist geschehen und beobachtet worden: DieSternkonstellationen verschieben sich rapide, in ei-nem Raumsektor tauchte ein ganzes Nest vonQuasars auf, und etwas wirft einen Schatten auf dieErdoberfläche, etwas, das es für uns und unsereMeßinstrumente offenbar gar nicht gibt.«

»Ich habe es geahnt«, flüsterte Arlene. »Ich habegeahnt, daß etwas Furchtbares auf uns zukommenwird.«

Cliff McLane war mit einem Schlag völlig nüchtern.»Ich komme, Dave!« erklärte er. »Bereiten Sie in-

zwischen alles für einen Notstart vor. Ende!«Er schaltete das Videophon aus, blickte sich schnell

in dem Wohnzimmer um, als wollte er sich eine letzteErinnerung sichern, dann lief er zur Musikanlage,schaltete auch sie aus und kehrte zu Arlene zurück.

»Komm, Mädchen!« sagte er. »Was immer da ge-schehen ist und noch geschehen wird, unser Platz istvorerst wieder an Bord des Schiffes.«

*

Als sie nach rasender Fahrt mit ihrem Robotwagendas Sternenschiff betraten, lagen die Korridore undLiftschächte öde und leer vor ihnen. Ein Beweis da-für, daß sich alle Besatzungsmitglieder auf ihrenAlarmstationen befanden.

Der Schnellift trug Cliff und Arlene in kürzesterZeit zu dem Deck, in dem die Steuerzentrale lag. Als

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sie eintraten, nahmen sie als erstes das hektischeBlinken der Kontrollampen an den Kommunikati-onsgeräten, an der Frontwand des Bordcomputersund an den Ortungs- und Bedienungspulten wahr.Frauen und Männer beugten sich über Anzeigetafeln.Ihre Gesichter wirkten bleich und angespannt.

Dave Sligo, der an seinem Pult sämtliche Systemenach der elektronisch übermittelten Checklistedurchprüfte, wandte den Kopf und atmete erleichtertauf, als er den Commander erkannte.

»Gut, daß Sie da sind, Cliff«, sagte er. »Ich weißnicht, was ich davon halten soll, aber die beiden Te-lemetrie-Sonden, die ich ausgeschickt habe, meldeten,daß in den Gebieten, die der rätselhafte Schattenüberwanderte, alle Menschen, die sich im Freien be-fanden, zu Staub zerfallen sind.«

Cliff McLane wurde blaß.»Was?« entfuhr es ihm. »Und wir haben noch im-

mer nichts von dem Objekt entdeckt, das den Schat-ten wirft, oder?«

»Nichts, absolut nichts«, antwortete der Zweite Pi-lot tonlos.

»Wir müssen ...«, fiel Arlene ein und unterbrachsich, als eine imaginäre Faust das Sternenschiff packteund durchschüttelte, als wäre es eine leere Konser-vendose und kein Schiffsgigant, der über Hundert-tausende von Tonnen Masse verfügte.

Eine Alarmklingel schrillte.Dave Sligo schaltete, ein Videophonschirm wurde

hell, das Gesicht eines jungen Mannes schien genauauf Cliff und Sligo herabzuschauen.

»Tigjua!« meldete sich der junge Mann. »Seismolo-gische Station. Unsere Instrumente haben ein Erdbe-

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ben Stärke zwölf registriert. Die Herdtiefe liegt beisiebenhundertzwanzig Kilometer. Das Hypozentrumbefindet sich in der Banda-See, nahe der Insel Nila.«

Dave Sligo runzelte die Stirn, dann blickte er aufdie beiden Datenschirme, die die Beobachtungser-gebnisse der beiden Telemetrie-Sonden wiedergaben.

»Das ist das Gebiet, über das der Schatten vor etwadrei Minuten gewandert ist«, erklärte er. »Übrigensbewegt er sich mit einer Geschwindigkeit zwischendrei und sieben Kilometern pro Sekunde genau inunsere Richtung.«

Cliff preßte die Lippen zusammen, dann holte ertief Luft und befahl: »Starten Sie sofort, Dave! Wirmüssen vor allem erst einmal das Schiff in Sicherheitbringen. Danach werden wir mit allen Mitteln versu-chen, das Ding, das den Schatten erzeugt, ausfindigund unschädlich zu machen.«

Dave Sligo wollte etwas erwidern, überlegte es sichaber anders. Er schaltete den elektronischen Check-controller aus, danach aktivierte er den Notstarta-larmgeber. Das schrille Klingeln der Warnanlagewürde die Besatzung aller Schiffssektionen veranlas-sen, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, die beieinem Notstart erforderlich waren.

Cliff McLane und Arlene nahmen ebenfalls in frei-en Drehsesseln Platz und schnallten sich an. Ein in-fernalisches Dröhnen brauste vom hinteren Teil desSternenschiffs durch die gesamte Schiffszelle undschwoll zu ohrenbetäubendem Brüllen an, als derZweite Pilot die Energieversorgung für die Triebwer-ke hochschaltete. Nervenzermürbende Vibrationenerschütterten die Schiffszelle – und die in ihr gebor-genen Menschen.

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Als das Brüllen zu einem erträglichen Summen ab-geklungen war und die Vibrationen aufgehört hatten,meldete Sligo: »Höhe zehntausend Meter. Start verliefbisher ohne Komplikationen.«

»Danke, Dave!« sagte Cliff McLane. Er schnalltesich los. »Ich übernehme.«

Die beiden Männer tauschten ihre Plätze. Cliff mu-sterte die Kontrollen an seinem Pult nur kurz. Eshätte zu lange gedauert, alle angezeigten Werte zukontrollieren. Dazu gab es zuviel Anzeigen. Er mußtesich darauf verlassen, daß die Frauen und Männer anden verschiedenen Plätzen ihre arbeitsspezifischenKontrollen gewissenhaft im Auge behielten – und erwußte, daß er das konnte.

Cliff McLanes Finger glitten wie spielerisch überdie Steuertastatur. Das Sternenschiff stieg weiter,neigte dabei aber den Bug leicht nach Norden. Dieauf Radar geschalteten Beobachtungsschirme zeigtendie charakteristisch zerklüftete Küste von Cape Arn-hem, weiter nördlich die Wessel-Islands und darüberdie weite Wasserfläche der Arafura-See.

Durch einen schwachen Steuerimpuls drehte Cliffden Bug des Schiffes ein paar Grad nach Westen. DieFlughöhe betrug unterdessen achtzehntausend Meter,und hinter der scheinbar geschrumpften Fläche derArafura-See war Steuerbord voraus der Tanimbar-Archipel und Backbord voraus die Insel Timor zu er-kennen.

Zwischen dem Archipel und der Insel lag die InselBabar – und zwischen Babar und dem Tanimbar-Archipel führte eine gedachte Linie von Nila gerade-wegs zu dem Platz, auf dem das Sternenschiff nochvor einer Minute gestanden hatte.

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»Das ist es!« flüsterte Sligo erregt und beugte sichüber Cliffs linke Schulter.

Cliff sah auf der hell abgebildeten Wasseroberflä-che zwischen Babar und dem Tanimbar-Archipel ei-nen Fleck nachtschwarzer Dunkelheit, dessen Kontu-ren sich laufend veränderten und der sich unaufhalt-sam vorwärtsschob.

»Wenn er seine Richtung beibehält, wird er in Kür-ze den Nordostzipfel von Arnhem-Land überqueren,danach Queensland«, sagte Arlene mit bebenderStimme. »Ich glaube nicht, daß er nur die Menschentötet, die sich im Freien aufhalten.«

»Ich fürchte, du hast recht, Mädchen«, erwiderte Cliff.Er richtete den Bug des Sternenschiffs in den Welt-

raum, als wollte er mit dem ganzen Schiff auf dieStelle zwischen den Sternen zielen, die den Schattenauf die Erde warf.

»Wir gehen in einen Orbit, der uns die Möglichkeitgibt, dem Todesschatten auf den Fersen zu bleibenund gleichzeitig den irdischen Funkverkehr effektivzu überwachen«, gab er bekannt. »Außerdem werdenwir natürlich mit allen Ortungsinstrumenten nachdem Ding suchen, das den Schatten wirft.«

Aber wodurch, fragte er sich gleichzeitig, kommtdieser Schatten zustande, wenn die Sonne auf der an-deren Seite der Erde steht?

Doch darauf wußte er keine Antwort – noch nichtund vielleicht niemals.

*

Der Schatten änderte seinen Kurs, während er dieArafura-See überquerte.

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In der Steuerzentrale des Sternenschiffs saßen dieMenschen schweigend vor ihren Kontrollpulten undlauschten dem Funkverkehr zwischen mehreren Poli-zeizentralen. Inzwischen hatten sich auch Vlare Mac-Cloudeen und Prac'h Glanskis eingefunden sowie derRest der ORION-Crew. Sie waren nach Verkündi-gung des Alarmzustands zuerst in die ORION geeiltund hatten die Systeme des Diskusschiffs durchge-checkt.

»... wissen auch nicht, was das eigentlich ist«, sagteeine aufgeregte Männerstimme. »Jedenfalls scheint esLebewesen in Staub zu verwandeln. Unsere Trupps,die hinter dem Schatten in das nordwestliche Stadt-gebiet von Darwin einrückten, fanden dort wederMenschen noch Tiere vor. Aber die Anordnung Tau-sender von Staubansammlungen verrät, was aus denMenschen und Tieren geworden ist.« Die Stimmesteigerte sich zu Hysterie. »Sogar Bäume sind zuStaub zerfallen!«

»Mein Gott!« flüsterte MacCloudeen.»Wenn der Schatten seinen jetzigen Kurs beibehält,

wird Wyndham sein nächstes Ziel sein«, sagte eineandere Männerstimme. »Wir versuchen, die Stadt zuevakuieren. Außerdem haben wir den nächstenLuftwaffenstützpunkt um Hilfe gebeten. Der Kom-mandant hat versprochen, den Schatten mit Raketenund Bordwaffen angreifen zu lassen, sobald er sichüber unbewohntem Gebiet befindet.«

»Meint ihr, daß Raketen und Bordwaffen etwas ge-gen einen Schatten ausrichten, der anscheinend nichtaus unserer Dimension kommt?« fragte Glanskis.

Cliff wandte den Kopf und musterte den Raubtier-schädel des Raguers.

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»Wie kommst du darauf, der Schatten könnte auseiner anderen Dimension gekommen sein, meinFreund?« erkundigte er sich mühsam beherrscht.

Glanskis knurrte und fletschte die Zähne.»Weil wir in unserer Dimension nichts erkennen,

das für uns wie ein Schatten aussieht und alle Lebe-wesen, mit denen es in Berührung kommt, zu Staubverwandelt. Der Ausdruck Schatten dürfte außerdemnicht das Wesen des Phänomens treffen. Ein Schattenist der lichtfreie Raum hinter einem beleuchteten un-durchsichtigen Körper. Wir haben aber keinen un-durchsichtigen Körper entdeckt und auch keineLichtquelle, die einen undurchsichtigen Körper überdem betroffenen Gebiet stark genug beleuchtenkönnte, um mitten in der Nacht einen derartig finste-ren Schatten zu werfen.«

»Ein Tor zu einer anderen Dimension?« warf Mariode Monti ein. Noch während er sprach, wandte ersich um und ging zur Frontwand des Bordcomputers.Der Chefkybernetiker bewegte sich wie in Trance.Sein Geist hatte sich bereits auf das Problem konzen-triert, das zu lösen er mit Hilfe des leistungsfähigenBordcomputers hoffte.

»Ich brauche eine Projektion des Sternenhimmels,Atan«, sagte Cliff McLane.

Atan Shubashi nickte und ließ sich in den Drehses-sel vor dem Pult des Astrogators sinken. Er betätigteeine Reihe von Schaltungen. An der Decke der Steuer-zentrale erhellten sich zahlreiche Bildschirmsegmenteund vereinigten sich zu einem fugenlosen Bild, dasden Sternenhimmel über dieser Stelle der Erde zeigte.

»Alles hat sich verändert«, sagte Helga Legrelle.»Nicht alles«, korrigierte Atan Shubashi. »Stein-

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bock und Wassermann sehen so aus wie immer, Eri-danus ebenfalls.«

»Aber damit hat es sich schon«, erklärte Hasso Sig-björnson. »Alle anderen bekannten Sternbilder sindverschwunden oder durch absolut fremdartige ersetztworden.«

»Etwas Ähnliches haben wir schon einmal beob-achtet, nur umgekehrt«, meinte Cliff McLane. »Alswir hier ankamen, war die Erde von fremdartigenSternbildern umgeben. Sie verwandelten sich in meh-reren Schüben in die alten vertrauten Sternbilder.«

»Und jetzt ist diese positive Wandlung rückgängiggemacht worden«, sagte Arlene. »Was steckt dahin-ter?«

Cliff musterte die Stelle der Sternprojektion, an derfrüher das Kreuz des Südens gestrahlt hatte. Jetztleuchteten dort mit überwältigender Strahlkraft sie-ben sternförmige Gebilde.

»Das sind die Quasars, die Sie bei Ihrem Anruf er-wähnten, nicht wahr?« wandte er sich an Dave Sligo.

Der Zweite Pilot des Sternenschiffs nickte.»Eindeutig an ihrer starken Radiostrahlung er-

kennbar«, antwortete er. »Ich frage mich, wie Quasarsauf uns zukommen können, wo diese Gebilde dochnach allen Erkenntnissen unserer Wissenschaft mithoher Geschwindigkeit von uns wegstreben und sicheigentlich nur an den Grenzen unseres Universumsaufhalten dürften.«

»Es gibt eine andere Theorie«, warf Shubashi ein.»Sie ist uralt, wurde im zwanzigsten Jahrhundert vonDr. Petrosian und Dr. Salpeter aufgestellt und seit-dem mehrmals von anderen Wissenschaftlern aufge-griffen, aber nie bewiesen. Danach sollen sich die

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Original-Quasars in einem benachbarten, in dem un-seren dimensional übergeordneten Kontinuum befin-den. Die Raumkrümmung unseres Universums wirktwie eine gigantische Linse, die die Strahlung der Ori-ginal-Quasars bündelt und Geisterbilder von ihnen inunser Universum projiziert.«

»Dann müßten aber alle Quasars zirka zehn Milli-arden Lichtjahre von uns entfernt sein«, warf DaveSligo ein. »Diese sieben Quasars aber stehen in einerEntfernung von nur neunundvierzig Lichtjahren.«

»Unmöglich!« grollte Glanskis.»Dieses Wort sollten wir eigentlich aus unserem

Sprachschatz gestrichen haben«, sagte Mario deMonti, der mit einem Auswertungsstreifen in derHand vom Bordcomputer zurückkehrte. »Unserelektronischer Schlauberger schließt jedenfalls ausden vorhandenen Fakten, daß sich in diesem Raum-sektor laufend Tore zu anderen Dimensionen öffnenund schließen.«

»Ein Kreuzweg der Dimensionen«, flüsterte Arlene.»Aber wie kommt so etwas zustande?« fragte

MacCloudeen beklommen. »Handelt es sich um einennatürlichen Vorgang oder um ein Ereignis, das ausManipulationen intelligenter Wesen resultiert?«

»Moment mal!« rief Helga Legrelle.Die Funkerin hatte sich, unbemerkt von den

Freunden und Gefährten, in den Drehsessel vor demFunkpult gesetzt und die Kopfhörer übergestülpt. Ih-re Hände drehten an Einstellknöpfen. Auf Kontroll-schirmen zeichneten sich Diagramme mit regelmäßi-gen Zackenlinien ab. Aus Lautsprechern drang nebenden statischen Störgeräuschen des Universums eineKette an- und abschwellender Piepstöne.

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Nach einer Weile riß Helga sich die Kopfhörer abund blickte die Freunde ernst an.

»Regelmäßig modulierte Hyperimpulse«, berich-tete sie mit vor Erregung flacher Stimme. »Sie kom-men aus der Richtung, in der früher das Kreuz desSüdens war.«

»Also von dort, wo jetzt die Quasars stehen«, warfDave Sligo ein.

»Ergeben die Impulse einen Sinn?« erkundigte sichCliff.

Helga Legrelle schüttelte den Kopf.»Nichts für uns, Cliff. Aber sie sind einwandfrei

moduliert, mit regelmäßigen Intensitätsschwankun-gen. Ich kann nicht ausschließen, daß es sich um Si-gnale intelligenter Wesen handelt.«

»Vielleicht jener Wesen, die uns den Dimensions-salat beschert haben und für den Todesschatten ver-antwortlich sind«, knurrte Prac'h Glanskis grimmig.»Wie lange wollt ihr noch zusehen, wie sie die Erdeentvölkern?«

Cliff McLane blickte den Raguer nachdenklich an,dann sagte er ernst: »Wir werden nicht länger zuse-hen, Prac'h.« Er wandte sich an Dave Sligo. »MeineCrew und ich starten mit der ORION und fliegenzum Ausgangspunkt der Signale. Wenn es dort intel-ligente Wesen gibt, dann werden wir sie fragen, wasdas alles zu bedeuten hat – und wenn sie für dasChaos verantwortlich sind, werden wir sie zwingen,den Todesschatten von der Erde zu nehmen. Sie, Da-ve, übernehmen inzwischen das Kommando hier. Be-obachten Sie – und handeln sie nötigenfalls nach ei-genem Ermessen!«

Er erhob sich und verließ die Steuerzentrale des

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Sternenschiffs. Weder er noch die anderen Beteiligtenahnten auch nur entfernt, daß alles, was bisher ge-schehen war, nur einen Anfang von Ereignissen dar-stellte, die alles, was sie bisher erlebt hatten, weit inden Schatten stellen würde ...

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2.

Die ORION VIII jagte schemenhaft durch die verwa-schenen grauen Schlieren des Hyperraums. Die Ster-ne des Normalraums waren von hier aus nicht sicht-bar. Nur in genauer Flugrichtung schimmerten siebenschwachbeleuchtete, pulsierende Energieblasen.

Cliff McLane saß in seinem Kommandantensessel,hatte sich angeschnallt und beobachtete den Zentral-schirm mit den sieben Energieblasen. Auch die übrigenMitglieder der Crew befanden sich in der Steuerkanzel– mit Ausnahme von Hasso Sigbjörnson, dessen Kopfund Schultern auf dem Bildschirm der Bordverbindungzu sehen waren. Als Maschineningenieur war seinPlatz im Maschinenleitstand.

Atan Shubashi deutete auf die Energieblasen.»Ein Beweis dafür, daß die Original-Quasars sich in

einem dimensional übergeordneten Kontinuum be-finden«, erklärte er. »Sonst könnten wir sie – bezie-hungsweise einen bestimmten Teil ihrer Strahlungnicht vom Hyperraum aus sehen.«

»Sehr weise gesprochen«, meinte Mario de Monti.»Wenn Petrosian und Salpeter recht hatten, müßtendie Quasars eigentlich Tore zu einem anderen Konti-nuum sein – oder, vereinfachend ausgedrückt, zu ei-ner anderen Dimension.«

»Ich begreife nicht, daß ihr über wissenschaftlicheProbleme reden könnt, während hinter uns ein tödli-cher Schatten über die Erde wandert und mehr undmehr Menschen, Tiere und Pflanzen in Staub ver-wandelt«, sagte Arlene vorwurfsvoll.

Cliffs Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, das

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die Augen nicht erreichte. »Weil wir die Gefahr viel-leicht eher von der Erde abwenden können, wenn wiruns darüber klar werden, wie sie entstand und wel-che Naturgesetze dabei im Spiele waren.«

»In einer Minute kehren wir in den Normalraumzurück«, warf Prac'h Glanskis ein. Der Raguer hatteseinen geschmeidigen Raubtierkörper auf dem Bo-denbelag der Zentrale ausgestreckt. Irdische Drehses-sel waren ihm immer noch ein Greuel, und er ver-mied ihre Benutzung, wo er konnte.

Cliff legte die Hände auf die Schalttastatur vor sich.»Ich übernehme sofort nach dem Rücksturz in Manu-ellsteuerung«, gab er bekannt. »Mario, du gehst inden Werferstand. Ich hoffe es nicht, aber vielleichtwerden wir gezwungen sein, den Overkillprojektoreinzusetzen.«

»Im Falle eines Falles – Overkill erledigt alles«, er-widerte Mario de Monti, erhob sich und verließ dieSteuerzentrale.

Vlare MacCloudeen blickte düster vor sich hin.»Ich fürchte, in diesem Fall werden wir unser blau-

es Wunder erleben, wenn wir uns auf unsere Bewaff-nung verlassen«, murmelte er. »Ist diese Parallel-Erde, von der wir kommen, überhaupt real oder nureine Illusion?«

»Wer von uns könnte schon behaupten, dies sei ei-ne Illusion und das nicht«, meinte Hasso Sigbjörnsonüber die Bordsprechanlage. »Ich denke, wir müssenuns so einsetzen, als wären wir restlos davon über-zeugt, daß wir für die Erhaltung einer realen Erdeund einer realen Menschheit kämpfen.«

»So ist es«, meinte Cliff. »Achtung, Rücksturz er-folgt – jetzt!«

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Die grauen Schlieren des Hyperraums rissen aus-einander, verschwanden und gaben den Blick auf dieSterne des Kontinuums frei, in dem der Mensch be-heimatet war. Genau voraus aber strahlten die siebenQuasars mit einer konzentrierten Lichtfülle, die er-schreckend wirkte.

»Wir sind verdammt nahe«, entfuhr es Atan. Ermusterte die Anzeigen seiner Ortungsinstrumente.»Ich stelle eine Störung des galaktischen Gravitations-feldes fest. Genauer gesagt, eine Verbiegung der Gra-vitationslinien in Richtung auf das Nest der Quasarszu. Die Gebilde entwickeln einen Gravitationssog, deralles an sich reißt, was in seine Nähe kommt.«

»Wir sind aber nicht davon betroffen«, erwiderteCliff McLane. »Das heißt, ich stelle nur eine geringfü-gige Abweichung fest, die sich aber relativ leicht mitden Triebwerken kompensieren läßt.«

»Aber was tun die Objekte, die keine Triebwerke be-sitzen?« gab Atan Shubashi zurück. Er deutete auf dengroßen Schirm des Hyperradars, auf dem deutlich eingroßes und ein kleines Objekt abgebildet wurden.»Die Masse- und Energietaster zeigen an, daß es sichum eine kleine Sonne und einen etwa marsgroßenPlaneten handelt, der die Sonne umkreist. BeideHimmelskörper driften in Richtung des Quasars.«

»Dann waren die Signale, die wir auffingen, viel-leicht ein Hilferuf von Intelligenzwesen, die auf demPlaneten leben und die bemerkt haben, daß ihre Weltin den Sog der Quasars geraten ist«, sagte Cliff.

Er wandte sich an Helga Legrelle.»Was ist mit den Signalen, Helga-Mädchen?«Die Funkerin schaltete an ihrem Pult, dann zuckte

sie mit den Schultern.

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»Negativ, Cliff. Ich bekomme keine Signale mehrherein.«

Cliff warf einen weiteren Blick auf den Schirm desHyperradars.

»Die Signale kamen einwandfrei aus diesemRaumsektor«, überlegte er laut. »Da wir außer derSonne und ihrem Planeten keine anderen Objekte ge-funden haben, die dafür verantwortlich sein könnten,kann sich der betreffende Sender nur auf dem Plane-ten befinden. Die Sonnenoberfläche dürfte ja wohlausscheiden.«

»Wie ich dich kenne, bist du dafür, daß wir unsden Planeten aus der Nähe ansehen«, meinte Atan.»Ich habe keine Einwände. Bis der Planet mit seinerSonne in einem der Quasars verschwindet, vergehennoch mindestens zweieinhalb Jahre. Wir haben alsogenügend Zeit, uns hier umzusehen.«

»Irrtum!« korrigierte Cliff McLane. »Wir stehenunter allergrößtem Zeitdruck, denn inzwischen wan-dert der Todesschatten weiter um die Erde. Atan,überspiele die Koordinaten des Planeten auf meinPult! Wir brechen sofort auf.«

*

Die ORION VIII beschleunigte bis nahe an die Licht-geschwindigkeit, raste an der kleinen Sonne und ih-rem Planeten vorbei, kehrte in einer weiten Kurve zu-rück, und nun konnte die Crew beide Himmelskörperdirekt sehen, ohne vom grellen Licht der siebenQuasars geblendet zu werden.

»Eine kleine weiße Sonne, die das erste, einfacheNovastadium bereits hinter sich haben dürfte«,

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schloß Shubashi aus den Anzeigen seiner Instrumen-te. »Der Planet ist nicht ganz eine AstronomischeEinheit von ihr entfernt. Seine Oberfläche muß dem-nach beim Sonnenausbruch verbrannt worden sein.Keine noch so technisch begabte Zivilisation über-steht eine solche Katastrophe.«

»Es sei denn, sie evakuiert sich und kehrt zurück,nachdem die Sonne wieder geschrumpft ist«, wandteCliff ein. »Eine Sonnenaufblähung läßt sich mit fort-geschrittenen Methoden leicht und lange vorher vor-ausberechnen, wenn das Ereignis auf der Linie dernormalen Sternenentwicklung liegt, das heißt, wennes darauf beruht, daß der Wasserstoffvorrat ver-braucht ist und die Sonne zum Heliumverbraucherumkippt.«

»Das ist aber nur eine von vielen Möglichkeiten«,erklärte Atan Shubashi.

Cliff nickte. »Auf jeden Fall sehen wir nach, wasdort los ist. Grundlos jagt niemand Hyperfunksignaledurch den Raum.«

Er übernahm die ORION in Manuellsteuerung,nachdem der Annäherungsflug vom Autopiloteneinwandfrei absolviert worden war. Das Diskusschiffbeschleunigte erneut und jagte seitlich an der Sonnevorbei. Bald war der Planet auch mit bloßem Auge zuerkennen, eine rötlich leuchtende Kugel, die sichkaum merklich um ihre Polarachse drehte.

»Der Planet ist tot«, sagte Atan. »Er besitzt wederMeere noch Eiskappen oder Wolkenfelder. Jedenfallskeine aus Wasserdampf, wie die Erde. Dafür tobt aufder Nordhalbkugel ein heftiger Sandsturm.«

»Wie ist die Zusammensetzung der Atmosphäre?«erkundigte sich Cliff McLane.

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»Stickstoff und Kohlendioxid überwiegend«, ant-wortete der Astrogator. »Daneben gibt es Spuren vonSauerstoff und von den bekannten Edelgasen. Men-schen können dort unten nicht atmen, ganz davonabgesehen, daß die Atmosphäre am Boden ungefährso dünn ist wie die irdische Lufthülle in zwanzig Ki-lometern Höhe.«

Cliff nickte und steuerte die ORION VIII in einenOrbit, der das Diskusschiff fast genau über denÄquator brachte und in einer Höhe von nur siebzigKilometern über die imaginäre Äquatorlinie jagenließ. Die auf Ausschnittvergrößerung geschaltetenBildschirme holten ständig wechselnde Abbildungender Planetoberfläche herein, die so wirkten, alsschaute man aus einem Flugzeug hinab, das in tau-send Metern Höhe flog.

»Da!« rief Vlare MacCloudeen erregt und deuteteauf einen der runden Schirme. »Ein Ruinenfeld! Dortmuß eine riesige Stadt gestanden haben.«

Atan Shubashi hatte es ebenfalls gesehen undschaltete die betreffenden Aufnahmegeräte auf Fixie-rung. Dadurch würde das Abbild des Ruinenfelds fürdie Crew zu sehen sein, bis das Schiff hinter dieKrümmung des Horizonts getaucht war.

»Ein ringförmiges Ruinenfeld mit einer zirka sech-zig Kilometer durchmessenden Schmelzfläche in derMitte«, flüsterte Mario de Monti. »Das ist charakteri-stisch für die Verwüstung, die eine dicht über demZentrum einer Stadt explodierende Wasserstoffbom-be anrichtet. Was wir sehen, sind die Trümmer desStadtrands, nicht mehr.«

»Ich sehe weitere Schmelzflächen und einige tiefeKrater«, erklärte Helga Legrelle.

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»So also sieht es aus, wenn eine Zivilisation sichselbst vernichtet«, bemerkte Atan. »Später kam dannnoch der Sonnenausbruch. Er wird alles Leben zer-stört haben, das die atomare Katastrophe überdauer-te. Wie vereinbart sich das mit unserer Vermutung,die Hyperfunksignale könnten von diesem Planetengekommen sein?«

»Vielleicht kamen sie von einer automatisch arbeiten-den Station, die sich nur in bestimmten Intervallen ein-schaltet«, erwiderte Helga. »Sie müssen nicht einmaletwas mit der untergegangenen Zivilisation zu tun ha-ben, sondern könnten von der Funkstation eines Raum-schiffs abgestrahlt werden, das irgendwann langenach der Katastrophe auf dem Planeten notlandete.«

»Das wäre denkbar«, warf Prac'h Glanskis ein. DerRaguer hatte den Kopf gehoben und beobachteteaufmerksam die Bildschirme. »Aber wenn es so ist,dann haben die Funksignale nichts mit dem Todes-schatten zu tun, der die Erde umwandert.«

Niemand sagte etwas darauf. Die Aussicht, Zeitund Mühe für eine Suche nach etwas zu verschwen-den, das sie auf diesem Planeten nicht finden wür-den, während auf der Erde zahllose Menschen, Tiereund Pflanzen zu Staub zerfielen, wirkte bedrückendauf die Crew.

»Dennoch müssen wir weitersuchen«, meinte Cliffetwas später. »Wir haben bisher nur den einen An-satzpunkt.«

Erneut wanderte das Abbild eines ringförmigenRuinenfelds in einen Bildschirm, während das zuerstentdeckte Ruinenfeld allmählich aus dem Erfas-sungsbereich schwand.

»Viel hat die Druck- und Hitzewelle nicht übrigge-

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lassen«, bemerkte Atan Shubashi. »Die Gebäuderestesind so zusammengeschmolzen, daß sich die ur-sprünglichen Formen nicht mehr erkennen lassen.«

Mario de Monti erhob sich aus seinem Sessel undging zur Frontwand des Bordcomputers.

»Ich werde den Computer so programmieren, daßer sofort Signal gibt, wenn seine Auswertung derMeßdaten Hinweise auf das Wrack eines notgelan-deten Raumfahrzeugs ergeben sollte«, erklärte er,während seine Finger über die Tastatur des Einga-beelements glitten.

»Da sind sie wieder!« rief Helga Legrelle mit über-schnappender Stimme.

Die Köpfe der übrigen Crewmitglieder fuhren her-um, als vom Funkpult eine Kette an- und abschwel-lender Piepstöne erscholl.

Helga stülpte sich die Kopfhörer über und drehtean den Einstellungsknöpfen ihres Pultes. Wiederzeigten Kontrollschirme Diagramme mit regelmäßi-gen Zackenbildungen.

»Kannst du die Quelle anpeilen, Helga?« fragteCliff mit gepreßter Stimme.

Die Funkerin antwortete nicht sogleich. Sie arbei-tete schweigend und konzentriert. Erst, als diePiepstöne wieder verstummt waren, blickte sie auf.

Während sie langsam die Kopfhörer abnahm, sagtesie: »Die gleiche Modulation wie die Hyperfunkim-pulse, die wir im großen Schiff aufgefangen haben –und die gleiche Dauer. Das muß eine Botschaft sein,auch wenn wir sie nicht entschlüsseln können.«

Cliff holte tief Luft.»Und woher kam die Botschaft?« fragte er unge-

duldig. »Hast du die Quelle angepeilt?«

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Helga nickte. »Ich überspiele die Werte auf deinPult, Cliff. Dann kannst du eine genaue Ortsbestim-mung durchführen. Aber soviel ist jetzt schon sicher:Die Quelle der Hyperimpulse muß etwa auf der ge-genüberliegenden Seite des Planeten liegen.«

Cliffs Augen leuchteten auf. »Dann finden wir sieinnerhalb der nächsten halben Stunde – und dannwerden wir feststellen, ob die Impulse etwas mit demTodesschatten zu tun haben oder nicht.«

*

»Von dort müssen die Impulse gekommen sein«,sagte Cliff McLane und deutete auf einen Bildschirm,auf dem ein weiteres Ruinenfeld zu sehen war, dasgrößte, das sie bisher auf diesem Planeten entdeckthatten.

»Hier lag der Treffer nicht genau im Zentrum«,stellte Vlare MacCloudeen fest. »Dadurch blieb nichtnur ein ringförmiges Ruinenfeld übrig, sondern einsichelförmiges Gebilde, dessen stärkste Stelle unge-fähr zwanzig Kilometer breit sein dürfte.«

»Und an der am Explosionszentrum abgewandtenSeite ragen die Ruinen viel höher auf als bei den bis-her beobachteten Trümmerfeldern«, ergänzte AtanShubashi. »Ich werde einige Teleaufnahmen anferti-gen und möchte wetten, daß auf ihnen noch ur-sprüngliche Formen der Bauwerke zu sehen seinwerden.«

»Alles schön und gut«, meinte Cliff. »Aber wir sindnicht zu Forschungszwecken hier. Mario, hat unserSchlauberger schon Hinweise auf das Wrack einesRaumschiffes gefunden?«

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Mario de Monti schüttelte betrübt den Kopf. »Bis-her keine Spur, Cliff.«

Cliff McLane bremste das Schiff ab und schaltetedie Triebwerke so, daß die ORION leicht geneigt überdem sichelförmigen Ruinenfeld kreiste.

»Dann gibt es dort unten auch kein Raumschiffs-wrack«, kommentierte er. »Bei der Güte unsererMeßgeräte wäre es innerhalb weniger Sekunden auf-gespürt worden.«

»Nichtsdestoweniger gibt es dort unten einen Hy-perfunksender«, warf Helga Legrelle ein. »Wenn wirkreisen, bis er sich wieder einschaltet, können wir ei-ne Ortsbestimmung auf den Zentimeter genau vor-nehmen.«

Prac'h Glanskis knurrte unwillig, stand auf undgrollte: »Wollen wir stundenlang über ein- und dem-selben Fleck des Planeten kreisen und nur die Bild-schirme anstarren? Ich bin dafür, daß wir uns dieRuinen aus nächster Nähe ansehen.«

»Ich halte den Vorschlag für gut«, sagte Cliff.»Schon deshalb, weil wir nicht unbegrenzt Zeit ha-ben. Drei von uns könnten mit einer LANCET landenund sich an Ort und Stelle umschauen. Was meint ihrdazu, Freunde?«

»Ich bin dafür«, meldete sich Hasso Sigbjörnsonüber die Bordverständigung.

Nachdem die anderen Mitglieder der Crew eben-falls ihr Einverständnis bekundet hatten, sagte Cliff:»Hasso, Prac'h und ich werden mit einer LANCETstarten und landen. Mario, du übernimmst inzwi-schen das Kommando hier oben. Wir bleiben in stän-diger Funkverbindung.«

»Und wir werden euch gegen eventuelle Überra-

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schungen aus dem Raum sichern«, erwiderte derChefkybernetiker.

»Außerdem werden wir die Quasars im Auge be-halten«, ergänzte Atan Shubashi. »Ich traue diesenToren in einer anderen Dimension nicht. Wenn sichihre Anziehungskraft sprunghaft erhöht, könnte esgefährlich für uns werden.«

»Wir alle werden Augen und Ohren offenhalten«,versicherte Cliff McLane ernst.

Er erhob sich und streifte seinen Raumanzug über.Der Raguer folgte seinem Beispiel. Sein maßgearbei-teter Anzug wirkte unförmig und plump, aber Glan-skis konnte sich erfahrungsgemäß schnell und sicherin ihm bewegen.

Nachdem Cliff seine HM 4 und eine Gasdruckpi-stole an sich genommen hatte, verließen er und derRaguer die Steuerkanzel. Als sie die für den Einsatzvorgesehene LANCET betraten, saß Hasso bereitshinter den Kontrollen. Auch er war mit einem Rau-manzug bekleidet und hatte, wie seine Gefährten, denDruckhelm noch geöffnet.

Nach den üblichen Vorbereitungen öffnete sich daswie eine Blendenlamelle aussehende und auch so funk-tionierende Außenschott über der LANCET. Lang-sam stieg das kleine Beiboot empor, schwebte durchdie Schottöffnung und entfernte sich vom Mutter-schiff. Dann schloß sich das Lamellenschott wieder.

»LANCET eins an ORION«, sagte Cliff McLane insMikrophon des Videophons. »Bei uns ist alles inOrdnung. Wir beginnen jetzt mit dem Abstieg.«

Er nickte Hasso zu, der daraufhin an der Manuell-steuerung schaltete. Langsam sank die LANCET un-ter die Flughöhe der ORION VIII.

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Auf dem Bildschirm des Videophons war HelgaLegrelles Gesicht zu sehen.

»Verstanden, Cliff«, erwiderte die Funkerin. »VielGlück – und paßt auf euch auf.«

»So gut wir können«, sagte Cliff ernst.Er beobachtete, wie Hasso Sigbjörnson mit dem

kleinen Digitalrechner der LANCET den Abstiegskursberechnete und nickte zufrieden, als er feststellte, daßdas Beiboot auf einer Stelle landen würde, die bei derbreitesten Stelle des sichelförmigen Ruinenfeldes –und außerhalb der ehemaligen Ansiedlung – lag.

Die Turbulenzen der dünnen Atmosphäre warenschwach. Sie behinderten den Abstieg nicht, und derSandsturm war so weit entfernt, daß es Tage dauernwürde, bevor er die Äquatorregion erreichte.

Je tiefer die LANCET kam, desto deutlicher warendie Ruinen zu sehen. Cliff McLane stellte fest, daß sieim »Strahlungsschatten«, der nuklearen Explosiontatsächlich noch so gut erhalten waren, daß man ausihnen auf die ursprüngliche Formgebung würdeschließen können. Bei einer anderen Feststellung kamder Raguer ihm zuvor.

»Es handelt sich im Grunde genommen gar nichtum Ruinen einzelner Bauwerke«, erklärte Glanskis.»Vielmehr muß die Stadt früher ein riesiger zusam-menhängender Komplex gewesen sein, vielleicht so-gar nur ein einziges gigantisches Bauwerk mit zellen-förmiger innerer Aufgliederung. Bruchstücke des Da-ches haben sich hier und da erhalten.«

»Was immer dort gelebt hat, es ist wahrscheinlichschon ausgestorben, bevor es auf der Erde den Homosapiens gab«, meinte Hasso Sigbjörnson. »Der Planetist nichts weiter als ein Artefakt.«

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»Ein Artefakt, auf dem immerhin noch ein Hyper-funksender arbeitet«, gab Cliff zurück. »Ich ahne, daßuns eine Überraschung erwartet.«

»Eine angenehme oder eine unangenehme?« fragteHasso.

Cliff zuckte mit den Schultern. »Das eben weiß ichnicht.«

Hasso schaltete erneut. Die LANCET beschrieb ei-nen Viertelkreisbogen, klappte die Landebeine ausund ging dann rund hundert Meter von dem Rui-nenwall entfernt nieder.

Als ein Blinklicht den Bodenkontakt anzeigte,schnallte Cliff sich los und stand auf.

»Prac'h und ich gehen zuerst hinaus«, erklärte er.»Du, Hasso, überwachst die weitere Umgebung undbleibst mit uns in Funksprechverbindung.«

»Vertretet euch ruhig die Füße«, erwiderte HassoSigbjörnson trocken. »Ich werde über euch wachenwie ein Vater.«

»Wir können auf uns selber aufpassen«, grolltePrac'h Glanskis und schwang sich in den Schacht, derim unteren Teil der Mittelstütze in der Luftschleuseendete.

»Hoffentlich!« gab Hasso zurück.Cliff McLane schlug dem Freund auf die Schulter.»Man soll sich erst dann Sorgen machen, wenn es

die Lage gebietet«, erklärte er. »Eine alte Bauernre-gel.«

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3.

Die Außenmikrophone in Cliffs Druckhelm übermit-telten ein unheimlich klingendes Knistern, währender über den Boden auf den Rand des Ruinengebildeszuschritt, das tot und düster vor ihm aufragte.

»Komisch!« sagte Cliff und blieb stehen. »Warte,Prac'h!« rief er dem Raguer zu, der weit vorausgeeiltwar.

Da Cliffs und Glanskis' Helmfunkgeräte einge-schaltet waren, konnten sie einander hören. Aberauch Hasso hörte alles mit, was gesprochen wurde.

»Was ist komisch, Cliff?« erkundigte sich der Ma-schineningenieur.

»Diese Kristalle, die hier und da den Boden bedek-ken«, erklärte Cliff McLane. »Sie sind etwa perlen-groß und rosafarben. Wenn man auf sie tritt, knisternsie ziemlich laut, aber sie verändern sich nicht.«

Er ging in die Hocke und musterte die Kristalle ge-nauer. Die kristalline Struktur war nicht zu verken-nen. Cliff nahm einen Kristall zwischen Daumen undZeigefinger der rechten Hand und hielt ihn in Au-genhöhe. Gedankenlos blies er, um die dünne Staub-schicht von dem Kristall zu entfernen – und wurdeverlegen, als er merkte, daß er nicht an den geschlos-senen Helm gedacht hatte.

»Sollte das ein Pfiff werden?« fragte Hasso.»Möglich«, erwiderte Cliff und wedelte mit der

Hand hin und her. Der schwache Luftzug genügte,um den feinen, grauweißen Staub zu entfernen. Cliffsah, daß sich innerhalb des Kristalls blinde Stellen be-fanden.

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Plötzlich zuckte er zusammen.»Hast du etwas gesagt, Hasso?« fragte er. »Oder

du, Prac'h?«»Ich habe nichts gesagt«, erklärte Hasso.»Ich auch nicht«, sagte der Raguer.Cliff stieß eine Verwünschung aus und ließ den

Kristall fallen, dann richtete er sich wieder auf.»Dann muß ich wohl an Halluzinationen leiden«,

stellte er fest. »Ich war sicher, einen Zuruf gehört zuhaben.«

»Dann müßtest du ihn auch verstanden haben«,erwiderte Hasso.

»Eben das weiß ich nicht«, sagte Cliff nachdenklich.»Es könnte ein warnender Zuruf gewesen sein, aber...« Er winkte ab. »Ich rede schon blanken Unsinn.Wenn ich gar keinen Zuruf gehört habe, warum sichdann Gedanken über den Wortlaut machen. Prac'h,hast du etwas Besonderes entdeckt?«

»Bis jetzt nichts«, antwortete der Raguer. »Ich habenur zunehmend das Gefühl einer drohenden Gefahr,aber das ist so verdammt vage, daß es auf Einbildungberuhen könnte.«

»Ich würde dieses Gefühl nicht einfach abtun«,warf Hasso ein. »Seht euch bloß vor! Wo ein Senderist, können auch fremde Intelligenzen sein – und derHimmel allein weiß, wie sie auf euer Auftauchen rea-gieren würden.«

»Dann würde ich an deiner Stelle den Himmel fra-gen«, erwiderte Cliff. Er war gereizt, obwohl er sichden Grund dafür nicht erklären konnte. »Und du,Prac'h, solltest dich nicht so weit entfernen. Ich schla-ge vor, wir bleiben immer in Sichtverbindung.«

»Einverstanden«, erwiderte Prac'h Glanskis.

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Cliff McLane sah den Raguer am Rand der Rui-nenwand entlangeilen. Er sah ihn nur schemenhaft,denn Glanskis befand sich im Schatten. Etwasschneller als vorher folgte er ihm. Es ärgerte ihn, daßer sich unsicher fühlte und dies durch sein Verhaltenoffen gezeigt hatte. Schließlich wußte er aus zahlrei-chen einschlägigen Erfahrungen, daß jeder fremdePlanet, den man betrat, anfänglich immer unheimlichund gefahrvoll wirkte, es aber meist nur dann war,wenn man unbesonnen vorging.

Kurz vor Erreichen der Schattenzone blieb Cliff er-neut stehen. Vor ihm lag eine zirka fünf mal sechsMeter große Fläche, auf der die rosafarbenen Kristallebesonders dicht beieinander lagen.

»Wie mögen diese Gebilde entstanden sein?«überlegte er laut. »Keinesfalls als Folge der nuklearenExplosion und auch nicht als Folge des verheerendenSonnenausbruchs.«

Er überlegte, ob er die Ansammlung der Kristalleumgehen sollte, verzichtete dann jedoch darauf. Wie-der knisterte es unheimlich, als er auf die kristallinenGebilde trat.

Und im nächsten Augenblick war sich Cliff sicher,einen warnenden Zuruf empfangen zu haben. Dochwiederum konnte er sich nicht an den Wortlaut erin-nern.

»Ich nehme an, auch diesmal hat keiner von euchgerufen, Hasso und Prac'h«, sagte er. »Aber ich glau-be nicht an eine Halluzination. Etwas hat mich war-nen wollen, möglicherweise auf telepathischem We-ge.«

Er sah, wie Glanskis aus dem Schatten der Ruinenauftauchte und sich ihm näherte.

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»Fühlst du dich bedroht, Cliff?« fragte der Raguerbesorgt.

»Nein, aber irgendwie angesprochen«, erwiderteCliff. Er ging in die Hocke und schaufelte mit denHänden einige Dutzend Kristalle auf. Im nächstenMoment schleuderte er sie überrascht von sich,schnellte hoch und blickte sich um.

»Ich habe dich beobachtet, Cliff«, meldete sich Has-so über Helmfunk. »Haben die Kristalle dich gesto-chen oder sonstwie verletzt?«

Cliff McLane schüttelte den Kopf. »Nein, aber ichdenke, sie haben zu mir gesprochen. Natürlich nichtakustisch. Aber jedenfalls vernahm ich eine deutlicheWarnung, als ich die Kristalle in den Händen hielt. Eswar nur die Überraschung, die mich bewog, die Kri-stalle fortzuwerfen.«

»Eine Warnung wovor?« fragte Hasso Sigbjörnsonbesorgt.

»Das habe ich nicht mitbekommen«, antworteteCliff. »Prac'h, wir werden einen gemeinsamen Ver-such unternehmen. Allerdings braucht die Warnungnicht aktuell zu sein. Wenn es sich um eine Botschafthandelt, die in den Kristallen gespeichert wurde,dann liegt das vielleicht viele Jahrtausende zurück.Die Gründe, die zur Speicherung der Warnung führ-ten, existieren dann sicher nicht mehr.«

»Ich bin bereit«, teilte Glanskis mit.Der Raguer war in die Hocke gegangen und hielt

seine behandschuhten Pranken so, daß er mit ihnenzwei Kilo der Kristalle aufschaufeln konnte.

Cliff lächelte, dann hockte er sich ebenfalls wiederhin. »Fangen wir an!«

Gleichzeitig griffen beide in die dicht an dicht lie-

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genden Kristalle, schaufelten soviel wie möglich vonihnen auf die Hände und verhielten sich in dieserHaltung völlig still.

Cliff McLane zuckte nur innerlich zusammen, als ererneut den Warnimpuls spürte, den er bereits zwei-mal wahrgenommen hatte. Diesmal behielt er dieKristalle auf den Handflächen – und das Ergebniszeigte sich wenige Augenblicke später.

Zuerst glaubte der Commander ein Wispern undRaunen zu vernehmen, dann artikulierten sich einigegedankliche Gebilde zu halbwegs verständlichen Be-griffen – und Cliff verstand, daß die Warnung offen-bar nichts an ihrer ursprünglichen Aktualität verlorenhatte.

Während er selbst schweigend lauschte, gab derRaguer die Botschaft wieder, soweit er sie verstandenhatte.

»Sie nennen sich Thaars«, teilte er den Freundenüber Helmfunk mit. »Und sie bezeichnen sich als ›diegefrorene geistige Essenz der Erben des Varunja‹, wasimmer das auch ist. Diese Wesenheiten behaupten,auf Thaar würde ein Mharut darauf lauern, daß je-mand mit einem Raumschiff auf dem Planeten landet.Sie warnen uns vor ihm.«

Cliff lockerte seine Konzentration etwas undblickte den Raguer an.

»Ich wollte nur, sie könnten uns verständlich ma-chen, was sie unter einem Mharut verstehen«, sagteer. »Bist du sicher, daß du die Erklärung der Thaarsüber sich selbst richtig interpretiert hast? Ich bin mirda nämlich nicht sicher.«

»Ich auch nicht«, gab Glanskis zu. »Aber was denzweiten Teil der Botschaft betrifft, bin ich sicher, daß

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es sich um eine Warnung vor jemand oder etwashandelt, was hier lauert.«

»Oder hier gelauert hat«, wandte Cliff ein.Im nächsten Augenblick versteifte er sich unwill-

kürlich unter dem Anprall einer lautlosen Erschütte-rung, die jede einzelne Zelle seines Körpers inSchwingungen versetzte und seine Nerven in glü-hendes Metall zu tauchen schien.

Er sah noch, wie in weitem Umkreis die rosafarbe-nen Kristalle zersprangen und wie ihre Splitter überden zerrissenen harten Boden hüpften – und er hörtenoch einen Schrei, von dem er nicht wußte, ob derRaguer oder er oder sonstwer ihn ausgestoßen hatte,dann brach er zusammen.

*

Prac'h Glanskis spürte die Vibrationen der lautlosenErschütterung ebenfalls, doch seine Natur wurde mitder folgenden Schmerzwelle erheblich leichter fertigals die Natur eines Menschen. Mit einem wütendenBrüllen richtete er sich auf.

Als er sah, daß Cliff zusammenbrach, wollte erdem Freund zu Hilfe eilen. Da erspähte er aus denAugenwinkeln eine Bewegung hinter der schlitzför-migen Öffnung der Ruinenwand. Sein Gehirn kombi-nierte sofort und brachte die Bewegung mit denschmerzhaften Vibrationen in einen Zusammenhang.Er hatte zwar nicht erkennen können, was sich dort inder Ruine bewegt hatte, aber er sah, wie die Kristallezersprangen und die von ihnen ausgehende Botschaftverstummte.

Jemand oder etwas hatte verhindern wollen, daß

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Cliff und er mehr über die auf Thaar lauernde Gefahrerfuhren – und dieser Jemand oder dieses Etwas rea-gierte, indem es die Vibrationen auslöste, die die Kri-stalle zerspringen ließen.

Der Raguer wußte, daß Cliff nur vom Schmerzohnmächtig geworden war und daß für ihn vorerstkeine ernsthafte Gefahr bestand. Es sei denn, der oderdas Unbekannte fand eine Möglichkeit, abermals zu-zuschlagen.

Das mußte verhindert werden.Glanskis schnellte sich aus dem Stand in Richtung

der Ruinenwand. Mit weiten Sprüngen überwand erdie Entfernung, erreichte die Wand und preßte dieHelmscheibe gegen die schlitzförmige Öffnung. Da-hinter herrschte graues Dämmerlicht. Offenbar fielvon oben etwas Tageslicht herein.

Glanskis erspähte einen schlauchartigen Hohlraummit zahlreichen Vorsprüngen und Einbuchtungen,eine Art Gang oder Ganglabyrinth, in dem sich je-mand mühelos verbergen konnte.

Da die schlitzförmige Öffnung zu klein für den Ra-guer war, suchte er nach einer größeren. Er hatte sieschnell gefunden, denn die Ruinenwand war vonzahlreichen großen Öffnungen durchsetzt.

Prac'h Glanskis riß den Handscheinwerfer aus derMagnethalterung von seiner Brust und stürmte nunin das Ganglabyrinth, das er schon von draußen ge-sehen hatte. Mit funkelnden Augen sah der Raguersich um. Sein Instinkt verriet ihm, daß hier Gefahrenlauerten, und sein unbändiger Wille, die Gefahrenkämpfend zu bezwingen, trieb ihn weiter vorwärts.

Der Lichtkegel seines Handscheinwerfers riß schie-fe, zerfurchte Wände aus undefinierbarem Material

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aus dem Dämmerlicht. Teilweise war das Materialzerschmolzen und hatte seltsam geformte Stalagmi-ten und Stalaktiten gebildet, grotesk deformiertenGnomen und Fledermäusen ähnelnd, die auf demBoden hockten oder an der Decke hingen. Hin undwieder entdeckte Glanskis auf dem Boden Überrestevon Mosaiken.

Immer tiefer drang der Raguer in das Labyrinthein, wand sich zwischen Säulen hindurch, klettertesteil ansteigendes Gelände hinauf und rutschte Ge-fällstrecken hinab. Als er eine Art Kammer erreichte,wo der Gang als Sackgasse zu enden schien, blieb erstehen und lauschte.

Lange Zeit hörte er nichts außer dem schwachenGewinsel der durch die Hohlräume der Ruinenland-schaft streichenden bewegten Luft. Dann, als Glan-skis schon nicht mehr daran glaubte, seine Geduldkönnte von Erfolg gekrönt sein, ertönte ein scharfesKnacken.

Der Raguer überlegte, ob das Geräusch durch Ma-terial verursacht worden sein könnte, das sich unterdem klimatischen Wechselspiel von Wärme undKälte ausdehnte und zusammenzog. Er kam zu demSchluß, daß die schwache Strahlung der kleinen wei-ßen Sonne Thaars nicht ausreichte, um derartig starkeReaktionen auszulösen.

Im nächsten Moment handelte er.Er stürzte zu der Wand der Kammer, hinter der das

Geräusch entstanden sein mußte. Seine scharfen Au-gen entdeckten schnell die haarfeinen Fugen, die dieTrennlinie zwischen der Wand und einer quadratischgeformten Tür markierten. Seine Pranken legten sichgegen das Material der Tür und drückten mit der

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ganzen Kraft seines raubtierhaft starken Körpers da-gegen.

Zuerst schien es, als wäre seine Mühe vergeblich.Doch dann gab die Tür nach, indem sie sich um ihreMitte drehte. Das geschah so schnell, daß der Raguerden Halt verlor, durch die Öffnung stürzte und aufden Boden prallte.

Sofort schnellte er wieder hoch. Er blickte sich wildum, bereit, sich auf jeden Gegner zu stürzen, der eswagte, ihm entgegenzutreten.

Aber er sah niemand, gegen den er kämpfenkonnte. Der Lichtkegel seines Handscheinwerferswanderte durch eine weite Halle, deren Boden, Deckeund Wände ganz anders aussahen als im Ganglaby-rinth. Hier fehlten die Schmelzspuren. Es sah aus, alshätte jemand alle Unebenheiten sorgfältig beseitigtund anschließend eine bläulich schimmernde Massedarauf gesprüht.

Prac'h Glanskis stellte fest, daß die Halle leer war –bis auf eine fremdartige Konstruktion aus schlanken,gleichschenkligen, metallischen Dreiecken, diescheinbar planlos aneinander und übereinander zu-sammengefügt waren. Das Ganze bildete eine ArtGitterkonstruktion, in der Spulen und Würfel ausanthrazitfarbenem, dünnen Draht hingen.

»Zweifellos das Werk intelligenter Lebewesen«,stellte Glanskis fest.

Er fragte sich, ob die Konstruktion etwa identischsei mit dem gesuchten Hyperfunksender. Denkbarwar es, denn nicht alles, was absolut fremdartig aus-sah, mußte auch absolut fremdartige Funktionen er-füllen. Hinter fremdartigen Formgebungen verbargsich oft ein bekanntes Funktionsprinzip, was sich in

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solchen Fällen allerdings erst bei genauer Untersu-chung des Objekts zeigte.

Der Raguer hatte sich gerade entschlossen, dieKonstruktion näher in Augenschein zu nehmen, alsabermals das scharfe Knacken ertönte. Gleichzeitigflammte eine grelle Entladung im Innern der Kon-struktion auf. Glanskis schloß geblendet die Augen.

Als er sie wieder öffnete, flimmerten feurige Ringevor ihnen. Deshalb sah er das Ding, das sich im In-nern der Konstruktion bewegte, nur undeutlich. Eshandelte sich um etwas Schwarzes, Glänzendes – undes bemühte sich anscheinend, aus dem Innern derKonstruktion ins Freie zu gelangen.

Glanskis zweifelte nicht eine Sekunde daran, daß ereinem Gegner gegenüberstand. Er spannte seineMuskeln für einen Sprung an, der ihn bis zu der Kon-struktion bringen sollte.

Doch er kam nicht dazu, ihn auszuführen, dennüber seinem Körper schlug eine Welle so eisiger Kältezusammen, daß er erstarrte. Einer Statue gleich, standPrac'h Glanskis reglos in der Halle. Die Handlampewar aus seiner Hand gefallen und strahlte ihn so an,daß sein Schatten bis dicht zu der fremdartigen Kon-struktion geworfen wurde, aus der langsam noch vielFremdartigeres kroch ...

*

Cliffs Bewußtlosigkeit verging so schnell, wie sie ge-kommen war.

Noch bevor er die Augen aufschlug, merkte er, daßdie schmerzhaften Vibrationen erstorben waren. Alser sich aufrichtete, zitterten seine Arme und Beine

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noch im Nachhall des Schmerzes, doch das gingschnell vorbei.

Cliff McLanes Blick wanderte über große Flächenzersprungener Kristalle und über die Inseln, auf de-nen die Kristalle sich offenbar unversehrt erhaltenhatten. Zuletzt erfaßte sein Blick die finstere, eine un-bestimmbare Drohung verströmende Ruinenwand.Er sah gerade noch, wie Prac'h Glanskis durch einetorgroße Öffnung in den Ruinen verschwand.

»Prac'h!« stieß er hervor. Es wurde ein undeutli-cher, krächzender Ruf.

An Stelle des Raguers, der überhaupt nicht auf denRuf reagierte, antwortete Hasso Sigbjörnson: »Cliff!Was war das?«

»Wahrscheinlich Ultraschall«, antwortete Cliff undstellte fest, daß seine Stimmbänder ihm schon bessergehorchten. »Hast du die Vibrationen auch gespürt,Hasso?«

»Und wie«, erwiderte Hasso. »Die Schmerzen wa-ren so stark, daß ich ein paar Sekunden weg war. Hates sich um einen gezielten Angriff gehandelt?«

»Mit großer Wahrscheinlichkeit, ja. Aber wahr-scheinlich nicht gegen uns gerichtet, sondern gegendie telepathischen Kristalle.«

»Ich verstehe, Cliff. Da ich eure Unterhaltung mit-gehört habe, weiß ich über die Thaars Bescheid – je-denfalls genausoviel wie ihr. Jemand hat offensicht-lich verhindern wollen, daß sie euch noch mehr In-formationen geben. Was mag dieser Mharut wohlsein?«

»Weiß nicht«, gab Cliff zurück. »Jedenfalls jemandoder etwas, das mit Vorsicht zu genießen ist. Hast duVerbindung zum Schiff?«

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»Moment!« erwiderte Hasso Sigbjörnson. EineWeile herrschte Stille, dann kam seine Stimme wie-der. »Auf der ORION ist alles in Ordnung. Ich gebeeinen Bericht durch. Was werdet ihr jetzt unterneh-men, Cliff?«

Cliff McLane blickte zu der Öffnung, durch dieGlanskis verschwunden war.

»Ich werde Prac'h folgen. Er ist in die Ruinen ein-gedrungen. Vielleicht hat er etwas beobachtet. Da erauf meinen Ruf nicht reagiert, muß das Material, ausdem die Ruinen bestehen, normale Funkwellen re-flektieren. Jedenfalls kann ich ihn nicht allein lassen.«

»Du vermutest, daß Prac'h diesem mysteriösenMharut auf der Spur ist, nicht wahr? Sei vorsichtig,Cliff. Das hat übrigens Arlene durchgegeben. Siesorgt sich um dich.«

»Gutes Mädchen!« sagte Cliff. Aber in Gedankenbefand er sich bereits in den Ruinen. »Ich gehe jetztlos, Hasso. Beobachte die Umgebung der LANCETund laß nichts Fremdes heran. Halte vor allem dieSchleuse geschlossen und unter Kontrolle!«

»Du rechnest damit, daß dieser Mharut sich dasBeiboot aneignen will?«

»Ich rechne vorsichtshalber mit allem, Hasso. Dadie Thaars erklärten, der Mharut würde auf ihremPlaneten darauf lauern, daß ein Raumschiff landet,schließe ich daraus, daß er hierher verschlagen wurdeund nach einer Möglichkeit sucht, den Planeten zuverlassen. Da er das nur mit einem Raumschiff be-werkstelligen kann, muß er entweder friedlichenKontakt mit uns herstellen oder versuchen, sich ge-waltsam in den Besitz der LANCET zu setzen.«

»Mit einer LANCET kommt er nicht weit«, erwi-

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derte Hasso. »Er müßte dann auch noch die ORIONerobern, was ihm schwerfallen dürfte.«

»Wir kennen seine Möglichkeiten nicht«, sagteCliff. »Also halten wir besser die Augen auf.« Ersetzte sich auf die Ruinenwand zu in Bewegung.

»Cliff!« sagte Hasso Sigbjörnson.»Ja?« fragte Cliff, während er weiterging.»Unsere Funkverbindung wird wahrscheinlich ab-

brechen, sobald du in den Ruinen bist. Ich schlagevor, daß wir eine Frist ausmachen, innerhalb der duzurückkommen mußt. Andernfalls komme ich nach.«

»Auf gar keinen Fall!« entgegnete Cliff McLane.»Du darfst die LANCET nicht verlassen. Bin ich in,sagen wir, einer Stunde nicht zurück, startest du undholst Verstärkung aus der ORION. Aber einer mußstets in der LANCET bleiben.«

»Verstanden«, sagte Hasso. »Ich drücke dir dieDaumen, Cliff.«

Cliff hatte unterdessen die Öffnung erreicht, durchdie Prac'h Glanskis verschwunden war. Er drehte sichnoch einmal um, winkte zur LANCET hinüber undstieg dann ebenfalls durch die Öffnung.

Nach drei Schritten blieb er stehen und rief nachHasso. Wie erwartet, erhielt er keine Antwort. Vonjetzt an war er auf sich allein gestellt. Er nahm denHandscheinwerfer in die linke Hand, schaltete ihnein, nahm die HM 4 in die rechte Hand und drangvorsichtig in das Ganglabyrinth der Ruinen ein.

Cliff McLane war sich klar darüber, daß es schwie-rig sein würde, den Raguer zu finden. Es gab vieleAbzweigungen, und praktisch konnte Glanskis in je-de von ihnen abgebogen sein. Allerdings kannte Cliffden Raguer gut genug, um zu beurteilen, welchen

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Weg er eingeschlagen hatte – vorausgesetzt, er hattenicht jemanden verfolgt, so daß er seinen Weg nichtnach eigenem Ermessen wählen konnte.

Da die letztere Möglichkeit Cliff überhaupt keinenAnhaltspunkt gelassen hätte, klammerte er sie aus.Bald gelangte er in einen Teil des Labyrinths, in demStalagmiten und Stalaktiten aus geschmolzenem undwieder erstarrtem Material ihm die Sicht teilweiseversperrten. Er bewegte sich langsamer und hielt dieHM 4 schußbereit, denn dieser Teil des Labyrinthseignete sich vortrefflich für einen Hinterhalt.

Aber niemand trat ihm entgegen. Doch auch vonGlanskis war nichts zu hören und zu sehen. Schließ-lich gelangte Cliff in eine Art Kammer und entdeckteeine starkwandige Tür, die sich auf Bolzen um ihreMitte drehen ließ. Sie war halb geöffnet, und von deranderen Seite schimmerte Licht hindurch.

Cliff McLane schaltete seinen Handscheinwerferaus und drückte ihn in die Magnethalterung zurück.Der Lichtschein wurde dadurch deutlicher sichtbar.Cliff stellte fest, daß es das gleiche gelbweiße Lichtwar, das auch von seinem Handscheinwerfer ausge-strahlt wurde.

»Prac'h!« flüsterte Cliff ins Mikrophon seinerHelmfunkanlage.

Keine Antwort!Cliff duckte sich und schlich zur Tür. Als er einen

Blick hindurch warf, sah er den Raguer in einem Saalstehen – anscheinend im Ansatz zu einem Sprung er-starrt. Glanskis' Handscheinwerfer lag auf der Cliffzugewandten Seite auf dem Boden und strahlte denRaguer voll an.

Cliff konnte sich nicht erklären, warum Glanskis

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sich weder rührte noch auf seinen Anruf reagierthatte. Innerhalb der Ruinen und bei der geringen Ent-fernung mußte eine Funkverbindung möglich sein.

Schon wollte er auf den Freund zutreten, als er eineFeststellung machte, die er im ersten Moment für eineoptische Täuschung hielt.

Obwohl die Körperhälfte des Raguers, die Cliff zu-gewandt war, voll von dem Lichtkegel des Hand-scheinwerfers beleuchtet wurde, warf er keinenSchatten auf den Boden der anderen Seite!

»Das gibt es nicht!« flüsterte Cliff, als er sich ver-gewissert hatte, daß er keiner optischen Täuschungzum Opfer gefallen war. »Prac'h ist so wenig durch-scheinend wie sonst, also muß er einen Schatten wer-fen!«

Es sei denn, fügte er in Gedanken hinzu, auf dermir zugewandten Seite gäbe es eine zweite Licht-quelle.

Als ihm klar wurde, daß dies die einzige denkbareErklärung war, wurde er von Furcht um den Freundergriffen. Eine zweite Lichtquelle auf der von ihm ab-gewandten Seite des Raguers konnte bedeuten, daßsich jemand hinter dem erstarrten Freund verbargund vielleicht etwas mit ihm anstellte, das nicht wie-der rückgängig zu machen war.

Dieser Gedankengang trieb Cliff zum sofortigenHandeln. Er hob die Hand mit der HM 4, zielte aufeine Stelle des Bodens, die sich zirka einen Meterschräg hinter Glanskis befand, und drückte auf denAuslöser.

Der scharf gebündelte Laserstrahl zuckte licht-schnell hinüber, entlud sich im Boden und bildete in-nerhalb von Sekundenbruchteilen einen Krater, in

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dem glutflüssige Schmelze brodelte. Wer oder wasimmer sich hinter dem Raguer verbarg, mußte da-durch aufgescheucht werden, folgerte Cliff.

Es war der letzte klare Gedanke, den er fassenkonnte. Eine Welle eisiger Kälte schlug über ihm zu-sammen und drang trotz des Raumanzugs ohne Ver-zögerung bis ins Mark vor.

Cliff erstarrte zur Statue eines Raumfahrers. Er sahnoch, wie sich etwas von Glanskis löste, das einerwirbelnden Rauchwolke ähnelte, dann verlor er dasBewußtsein.

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4.

Als sein Geist sich aus der Finsternis der Bewußtlo-sigkeit löste, wollte Cliff McLane erleichtert aufat-men. Im nächsten Moment spürte er seinen Körperund hatte das Gefühl, als würde er von Tausendenglühender Nadeln durchbohrt.

Er schrie, und sein Geist trübte sich unter dem An-prall der Schmerzen vorübergehend wieder. Eine tie-fe, laut dröhnende Stimme riß ihn in die Wirklichkeitzurück.

»Das vergeht wieder«, sagte die Stimme.Prac'h Glanskis' Stimme!Seltsamerweise half ihm diese Erkenntnis, die

Schmerzen zu ertragen. Vielleicht klangen sie auchbereits ab. Jedenfalls hörte er auf zu schreien undschlug die Augen auf.

Er sah im Halbdunkel undeutlich das Gesicht desRaguers hinter der Sichtscheibe seines Helmes.Gleichzeitig spürte er die kräftigen Arme, die ihnhielten, und merkte an der wiegenden Bewegung,daß Glanskis ging und ihn dabei trug.

»Es ist schon besser«, sagte Cliff matt. »Was wareigentlich los, Prac'h? Ich kam zu einer Halle, sahdich unbeweglich darin stehen, und dein Hand-scheinwerfer, der dich beleuchtete, warf keinenSchatten hinter dich. Jemand mußte sich hinter dirversteckt gehalten haben. Ich feuerte, um ihn aufzu-scheuchen. Plötzlich wurde es eisig kalt. Ich muß inSekundenschnelle zu einem Eisblock erstarrt sein.«

»So, wie ich kurz zuvor«, erwiderte Glanskis. »Je-denfalls kam es mir so vor. An dir sah ich dann aller-

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dings, daß dieses Gefühl täuschte. Wir waren erstarrt,aber nicht erfroren. Wahrscheinlich handelte es sichum eine Lähmung des peripheren Nervensystems mitgleichzeitiger drastischer Verlangsamung aller Kör-perfunktionen. Ich habe unseren Gegner übrigens ge-sehen, wenn auch nur sehr undeutlich, mehr als einenschwarzglänzenden Schemen.«

Cliff McLane runzelte die Stirn. »Dann haben wirbeide nicht den gleichen Gegner gesehen, Prac'h. Wasich sah, war etwas wie eine wirbelnde Rauchwolke,die sich von dir löste. Allerdings ist es möglich, daßmeine Sinne zu dem Zeitpunkt schon nicht mehrnormal funktionierten, so daß ich meine Hand nichtdafür ins Feuer legen würde, daß diese ›Rauchwolke‹wirklich war.«

»Wir haben es jedenfalls mit einem Gegner zu tun,den wir nicht unterschätzen dürfen«, meinte der Ra-guer. »Er tauchte plötzlich innerhalb einer seltsamenKonstruktion auf, die mitten in der Halle stand unddie ich zuerst für den gesuchten Hyperfunksenderhielt.«

»Ich sah keine Konstruktion«, wandte Cliff ein.»Übrigens, du kannst mich jetzt absetzen, Prac'h. Ichdenke, daß ich allein gehen kann.«

Glanskis stellte Cliff behutsam auf die Füße undsagte: »Unser Gegner muß abgebaut haben, nachdemer mich lähmte. Die Konstruktion war jedenfalls nichtmehr da, als ich wieder zu mir kam.«

Cliff schaltete seinen Handscheinwerfer ein undwarf einen Blick auf seinen Armbandchronographen.Er erschrak.

»Ich muß rund zwei Stunden weg gewesen sein«,stellte er fest. »Das bedeutet, daß Hasso vor zirka ei-

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ner Stunde gestartet ist, um Verstärkung von derORION zu holen. So hatten wir es ausgemacht. Wirmüssen uns beeilen, damit wir draußen sind, bevordie LANCET wieder landet.«

»Die Hälfte der Labyrinthstrecke liegt bereits hinteruns«, erwiderte Glanskis. Er schaltete ebenfalls seinenHandscheinwerfer ein.

Cliff und Prac'h eilten den gleichen Weg zurück,den sie gekommen waren. Als sie vor der Öffnunganlangten, durch die sie das Labyrinth betreten hat-ten, sahen sie, daß die Sonne dicht über dem Hori-zont hing. Der zerfaserte Ausläufer einer graubrau-nen Staubwolke schob sich gleich einem schmutzigenFinger bis zu ihrer Mitte.

Und noch etwas sahen sie.Die LANCET stand an der gleichen Stelle, an der

sie sie verlassen hatten.Cliff und Glanskis sprangen gleichzeitig durch die

Öffnung, um Funkkontakt mit Hasso Sigbjörnsonherzustellen. Aber bevor sie sprechen konnten,dröhnte eine Stimme in ihren Helmfunkgeräten – dieStimme von Mario de Monti: »... noch eine Minute,dann starten Atan und ich mit der zweiten LANCET,falls ihr euch bis dahin nicht gemeldet habt. Ich wie-derhole: ORION VIII ruft LANCET eins. Hasso, Cliff,Prac'h, meldet euch endlich! Seit einer Stunde undvierzig Minuten besteht kein Funkkontakt mehr. Wirwarten nicht länger und kommen mit der LANCETzwei.«

»Das wird nicht nötig sein«, sagte Cliff.»Cliff!« schrie Mario. »Verdammt nochmal, wo hast

du die ganze Zeit gesteckt? Warum hat sich niemandvon euch gemeldet? Wir haben schon das Schlimmste

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befürchtet. Was war los, und wie geht es euch?«»Das sind viele Fragen auf einmal, Mario«, erwi-

derte Cliff. »Prac'h und ich waren bis jetzt in denRuinen, die die Funkwellen reflektieren. Was mitHasso ist, wissen wir noch nicht. Aber die LANCETeins steht äußerlich unversehrt auf ihrem Landeplatz.Wir gehen an Bord, dann melden wir uns wieder.«

»Cliff!« sagte die Stimme Arlenes. »Hasso berich-tete uns, ihr hättet vereinbart, daß du nicht länger alseine Stunde in den Ruinen bleibst. Was hat dich da-von abgehalten, die Vereinbarung einzuhalten?«

»Ein Gespenst, das Prac'h und mich vorübergehendaußer Gefecht setzte«, antwortete Cliff lächelnd.»Aber wir sind wieder völlig in Ordnung, Kleines. Ichhoffe, das trifft auch auf Hasso zu.«

Er runzelte die Stirn, als in seinem Helmfunk einlautes Stöhnen aufklang.

»Warst du das, Cliff?« fragte Arlene besorgt.»Ich nehme an, es war Hasso«, sagte Cliff, während

er im Laufschritt auf die LANCET zueilte. Prac'hGlanskis war schon vor ihm gestartet und hatte dieSchleuse in der Mittelstütze bereits erreicht.

»Sie ist von innen elektronisch verriegelt«, erklärteer. »Ohne Hassos Hilfe kommen wir nicht hinein.«

Cliff McLane blieb schwer atmend neben dem Ra-guer stehen.

»Hasso!« rief er. »Antworte bitte, wenn du kannst!«Ein erneutes Stöhnen erscholl, gefolgt von einer

Verwünschung, die unverkennbar von HassoSigbjörnsons Stimme getragen wurde.

Cliff atmete auf.»Ich nehme an, du warst gelähmt?« fragte er.»Erfroren«, antwortete Hasso. »Ich fühle mich, als

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wäre ich nach zehnjähriger Lagerung einer Tiefkühl-truhe entstiegen. Kannst du dir vorstellen ... – Oje! Duwarst über zwei Stunden fort – und ich habe nicht ...«

»Hauptsache, es ist keinem von uns etwas Ernstli-ches passiert«, warf Glanskis ein. »Wenn du endlichdie Schleuse entriegeln würdest, wären wir froh.«

»Nein, warte noch!« sagte Cliff schnell. »Hasso,überprüfe die Aufzeichnungen der automatischenSchleusenkontrolle! Es könnte sein, daß sich jemandEinlaß verschafft hat, nachdem er dich außer Gefechtsetzte.«

»Dann wäre er wohl längst gestartet«, meinte Has-so. »Aber schön, ich prüfe alles gewissenhaft nach.Moment, bitte!«

Eine Weile blieb es still, dann meldete sich HassoSigbjörnson wieder. »Alles in Ordnung, Cliff. DieSchleuse ist nicht geöffnet worden, seit ihr sie verlas-sen habt. Ich desaktiviere jetzt die elektronische Ver-riegelung. Einverstanden?«

»Einverstanden«, erwiderte Cliff. »Aber hinter unswirst du sie sofort wieder aktivieren.«

*

»Und du hast nichts Verdächtiges bemerkt, bevor duvon der Lähmung befallen wurdest?« erkundigte sichCliff bei Hasso.

»Absolut nichts, Cliff«, antwortete der Maschine-ningenieur. »Und ich habe die Umgebung der LAN-CET keinen Moment aus den Augen gelassen, daraufkannst du Gift nehmen.«

Cliff McLane nickte.Er wußte, daß er sich auf Hasso Sigbjörnson verlas-

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sen konnte. Von allen Mitgliedern der ORION-Crewbesaß er die ausgeglichenste Persönlichkeit und warabsolut zuverlässig. Das traf zwar auch auf die übri-gen Mitglieder der Crew zu, aber bei Hasso warendiese Merkmale am stärksten ausgeprägt. Wahr-scheinlich, weil er der Älteste an Bord war und zu-gleich der Reifste. Hasso Sigbjörnson hatte schon vorJahren das für Raumfahrer festgesetzte Pensionie-rungsalter erreicht und tat nur deshalb weiter Dienstauf der ORION, weil er sich der Crew eng verbundenfühlte – und weil das Oberkommando der Raumflottefroh war, daß ihr der außerordentlich fähige undpflichtbewußte Maschineningenieur über die Pensi-onsgrenze hinaus erhalten blieb.

Dennoch konnte sich Cliff eines unguten Gefühlsnicht erwehren. Er begriff einfach nicht, warum derMharut – wenn es dieses Wesen war, mit dem sie zu-sammengestoßen waren – die Möglichkeiten nichtgenutzt haben sollte, die sich für ihn daraus ergaben,daß er alle drei auf Thaar gelandeten Raumfahrer füreine bestimmte Zeit außer Gefecht gesetzt hatte.

Sicher, eine Kaperung der LANCET hätte ihm nichtgeholfen, das System der weißen Sonne zu verlassen.Dazu hätte er auch noch die ORION kapern müssen.Aber wenn ihm das als undurchführbar erschienenwäre, hätte er nur eine einzige Alternative gehabt:nämlich die, doch noch friedlichen Kontakt mit denRaumfahrern aufzunehmen und zu erreichen, daß sieihn freiwillig mitnahmen.

Gerade, als Cliff merkte, daß es noch eine weitereAlternative gab, sprach Hasso ihn an.

»Du machst ein Gesicht, als versuchtest du, im Gei-ste alle Strophen der ›Glocke‹ aufzusagen.«

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Cliff lächelte schief. »Ich habe die ›Glocke‹ niemalsgelernt, Hasso, und du wahrscheinlich auch nicht.Aber ich bin eben darauf gekommen, daß ich an derStelle unseres ›Freundes‹ wahrscheinlich versuchthätte, mich heimlich in die LANCET zu schleichenund die ORION als blinder Passagier zu beehren.«

»Aber ich sagte doch, die Schleuse wurde nicht ge-öffnet, seit ihr die LANCET verlassen habt!« prote-stierte Hasso. »Das wäre von der automatischenKontrolle registriert und aufgezeichnet worden.«

»Alle Aufzeichnungen lassen sich mit entspre-chenden Mitteln und ausreichendem technischen Ge-schick manipulieren«, entgegnete Cliff. »Auch elek-tronische Aufzeichnungen. Und du hättest, bewußt-los und gelähmt, nichts davon merken können.«

»Aber die elektronische Schleusenverriegelungkann nur von innen desaktiviert werden, Cliff«,wandte Hasso ein.

»Jedenfalls von uns und mit den Mitteln, die wir be-sitzen«, erklärte Cliff. »Wenn wir annehmen, unserGegner verfügt über Erzeugnisse einer höherentwickel-ten Technologie, sieht die Sache schon anders aus.«

»Also müssen wir die LANCET durchsuchen, be-vor wir starten«, meinte Hasso. »Bei dieser Nußschaleist das ja eine Sache von höchstens zwanzig Minu-ten.«

Cliff nickte. »So ist es. Aber ich schlage vor, wirstarten und gehen auf, sagen wir, tausend Meter Hö-he, bevor wir mit der Durchsuchung beginnen – fürden Fall, daß unser Gegner draußen lauert und esihm einfällt, uns noch einmal kaltzustellen.«

»Das beflügelt mich ungemein«, sagte Hasso underschauerte.

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Er setzte sich in den Sessel vor dem Steuerpult unddrückte die Tasten der Startvorbereitung. Summendwurde die Zentralstütze eingezogen. Die Triebwerkeliefen mit dem charakteristischen Heulen an. Dersteinharte glatte Boden unter der LANCET spiegeltedas grillweiße Wabern der Düsenstrahlen wider,dann hob das Beiboot ab und stieg auf tausend MeterHöhe über Grund.

Hasso Sigbjörnson nahm eine weitere Schaltungvor.

»Gravitationsanker eingeschaltet«, meldete er.»Wie gehen wir vor, Cliff?«

»Wir haben alles mitgehört«, ertönte Mario deMontis Stimme aus den Lautsprechern des Bordra-dios. »Und wir melden Bedenken an. Wenn unserGegner tatsächlich in der LANCET versteckt ist, wirder sich wehren, sobald er aufgespürt wird.«

»Das müssen wir riskieren«, erwiderte Cliff. »Daihr über Funk alles mitverfolgen könnt, was in derLANCET geschieht, werdet ihr in einem solchen Fallwenigstens wissen, daß wir einen blinden Passagierhaben. Du mußt dann entscheiden, was zu tun ist,Mario. Nein, nicht darüber sprechen! Wir wissennicht, ob unsere Funkgespräche mitgehört und ver-standen werden.«

»In Ordnung, Cliff«, sagte Mario.Cliff McLane wandte sich an Glanskis und Hasso.

»Ich schlage vor, Prac'h bleibt in der Steuerkanzel,während wir beide, Hasso, alle Räume und Winkelder LANCET nach einem System durchsuchen, das eskeinem blinden Passagier erlaubt, sich unbemerkt ausseinem Versteck in den bereits durchsuchten Teil desBootes abzusetzen.«

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»Falls er hierher kommt, wird es ihm nicht nocheinmal gelingen, mich zu überraschen!« grollte derRaguer.

Cliff nickte ihm zu und verließ mit Hasso die Kan-zel. Gemeinsam kämmten sie das Beiboot so gründ-lich durch, daß ihnen nicht einmal eine Maus entgan-gen wäre. Doch sie fanden nichts, was nicht in dieLANCET gehörte.

Erleichtert kehrten sie in die Steuerkanzel zurück.»Alles in Ordnung!« meldete Cliff an die ORION.

»Wir kommen jetzt.«Als er nicht sofort eine Antwort erhielt, drückte er

ungeduldig auf die Signaltaste, die in der Steuerzen-trale der ORION VIII einen lauten Summer aktivierte.

Dennoch dauerte es fast noch eine halbe Minute,bis Mario de Monti sich meldete. Atemlos und aufge-regt stieß er hervor: »Kommt sofort zurück, Cliff! DerGravitationssog des Quasars hat sprunghaft zuge-nommen und wird immer noch stärker. UnsereTriebwerke müssen bereits mit halber Kraft in Gegen-richtung feuern, um die Anziehung zu kompensie-ren.«

Cliff McLane wurde blaß.»Ich verstehe«, erwiderte er. »Wir kommen, Ma-

rio!«Er blickte zu Hasso, aber der Ingenieur hatte bereits

seinen Platz vor den Kontrollen eingenommen. DieLANCET beschleunigte und schoß mit rasch zuneh-mender Geschwindigkeit durch die dünne Atmo-sphäre von Thaar jenem Punkt im Weltraum entge-gen, an dem die ORION wartete.

Und plötzlich erstarrten alle drei Personen in derSteuerkanzel und lauschten einer letzten Botschaft,

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die der Planet ihnen nachsandte. Sie war kurz, nichtmehr als ein Gedankenfetzen.

Als sie verstummte, sahen sie sich an.»Es war, denke ich, wieder eine Warnung«, erklärte

Prac'h. »Aber diesmal nicht vor einem Mharut, son-dern vor etwas, das Rudraja genannt wurde.«

»Genauer, vor den wiedererwachten Kräften desRudraja«, sagte Hasso Sigbjörnson. »Aber ich ver-wette einen Jahressold, daß ihr ebenfalls heute denNamen Rudraja zum erstenmal gehört habt.«

»So ist es«, erwiderte Cliff ernst. »Und ich kann mirunter den wiedererwachten Kräften des Rudraja ab-solut nichts vorstellen.«

»Aber ich kann mir vorstellen, daß uns böse Zeitenbevorstehen«, sagte Hasso düster.

Die nahe Zukunft sollte zeigen, daß er noch starkuntertrieben hatte. Doch das konnte er natürlich nichtwissen.

*

Das Heulen der Triebwerke steigerte sich zu einemohrenbetäubenden Tosen.

Cliff McLane warf einen Blick zu Hasso und sah,daß der Maschineningenieur die Triebwerke der klei-nen LANCET auf Vollast geschaltet hatte.

Hasso bemerkte Cliffs Blick und sagte: »Es ist derGravitationssog der Quasars. Er ist so gestiegen, daßwir mit voller Triebwerksleistung dagegen ankämp-fen müssen. Wie ich die LANCET unter solchen Um-ständen heil in die ORION bugsieren soll, ist mirschleierhaft.«

»Ich habe mitgehört«, sagte Marios Stimme aus

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dem Bordradio. »Wir kommen euch mit der ORIONentgegen und nehmen euch auf. Du mußt uns nurgenau beobachten, Hasso, damit du die Triebwerkekeine Sekunde zu früh und keine zu spät abschaltenkannst.«

»Ich will es versuchen«, erwiderte Hasso Sigbjörn-son. Seine Stirn bedeckte sich mit einem Film glän-zender Schweißperlen.

Cliff McLane preßte die Lippen zusammen undhielt sich an den Armlehnen seines Sessels fest. Erdachte an die Parallel-Erde und daran, daß sie für ih-re Menschen überhaupt nichts erreicht hatten. Daseinzige Ergebnis ihrer Expedition zu dem Nest vonQuasars war, daß sie sich selbst und ihr Schiff Gefah-ren ausgesetzt hatten, die zu ihrem Untergang führenkonnten.

Durch die Sichtscheiben der Kanzel hindurch wan-derten die Quasars in sein Blickfeld. Automatischverdunkelten sich die Scheiben durch die photoche-mischen Reaktionen in ihnen eingeschmolzener Salze.Dennoch wirkte die Lichtfülle der Quasars bedroh-lich.

Von Backbord her tauchte ein leuchtendes Etwasauf. Es war die ORION VIII, die sich der LANCETschräg von unten her näherte. Ihre Oberfläche reflek-tierte das Licht der Quasars wie ein gigantischerSpiegel. Nur verschwommen war in den Lichtrefle-xen eine dunkle Stelle zu erkennen: der geöffneteSchleusenhangar für die LANCET.

»Wir haben euch im Fadenkreuz des Hangarvi-siers, Hasso«, teilte Mario de Monti über das Bordra-dio mit. »Du kannst jetzt mit dem Gegenschub her-untergehen.«

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»Verstanden!« erwiderte Hasso.Er schaltete die Triebwerke der LANCET etwas

herunter. Sofort wurde das Beiboot vom Gravitati-onssog in Richtung auf die Quasars gezogen – aberdamit auch in Richtung auf die ORION VIII, die sichgenau zwischen die Quasars und die LANCET ma-növriert hatte.

Hasso schaltete die Triebwerke um eine Winzigkeithöher, damit die Annäherungsgeschwindigkeit nichtzu groß wurde. Die ORION VIII füllte inzwischen ei-ne ganze Sichtscheibe aus. Mario hatte das Raum-schiff leicht nach vorn geneigt. Dadurch empfing seinOberteil keine Quasarstrahlung mehr. Die Öffnungdes Schleusenhangars wurde klar erkennbar, als dieBeleuchtung darin eingeschaltet wurde.

»Ausgezeichnet, Hasso!« meldete Mario. »Daskommt genau hin.«

»Hoffentlich brenne ich euch kein Loch in die Hül-le«, erwiderte Hasso trocken.

Diese Gefahr bestand tatsächlich, denn da dieTriebwerke der LANCET immer noch gegen den Sogder Quasars arbeiten mußten, peitschten ihre Strahlenauf die Außenhülle der ORION nieder und ließen siehellrot aufglühen.

Doch Hasso und Mario kannten die Gefahr undrichteten sich danach, indem sie die Annäherungsge-schwindigkeit so hoch ansetzten, wie es gerade nochvertretbar war.

Und dann war die Distanz weit genug geschrumpft.Hasso schaltete die Triebwerke der LANCET ab. Mit ei-nem Ruck schnellten die ORION und ihr Beiboot auf-einander zu. Nur um wenige Zentimeter sackte eine Sei-te der LANCET am Rand der Hangarschleuse vorbei

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und knallte gegen die Magnetblöcke, die sie festhielten.Cliff McLane wurde in seinem Sessel so zusam-

mengestaucht, daß seine Zähne aufeinanderprallten.Er spuckte einen winzigen Splitter aus, nickte Hassoanerkennend zu und schnallte sich los.

»Das war wieder einmal Maßarbeit«, lobte er.Sie beeilten sich, in die Steuerzentrale der ORION

zu kommen, da sie an den Triebwerksgeräuschen desMutterschiffs hörten, daß es schwer gegen den Gra-vitationssog der Quasars ankämpfte. Die Schiffszellevibrierte so stark, daß Hasso und Cliff sich nur müh-sam auf den Beinen halten konnten.

»Wir schaffen es nicht«, erklärte Mario de Monti,als sie die Zentrale betraten. »Der Sog nimmt zu.«

Cliff trat neben den Kybernetiker, der im Sessel vordem Hauptsteuerpult saß. Er sah an den Anzeigen,daß die Triebwerke der ORION auf Vollast geschaltetwaren. Dennoch trieb das Schiff mit drei Kilometernpro Sekunde auf die Quasars zu.

»Wir schalten die Schlafende Energie dazu!« ent-schied Cliff.

»Es könnte das Schiff zerreißen«, warnte Mario.»Wenn wir noch länger warten, nützt uns auch die

Schlafende Energie nichts mehr«, entgegnete Cliff.»Verstärkt sich der Gravitationssog noch weiter, zer-reißt es die ORION ganz bestimmt, wenn wir dieSchlafende Energie einsetzen.«

Er blickte sich nach Hasso um, aber der Maschine-ningenieur hatte die Steuerzentrale wieder verlassen.Im nächsten Moment tauchte sein Oberkörper auf derSichtscheibe der Bordverbindung auf.

»Mobilisierung der Schlafenden Energie eingeleitet,Cliff«, meldete er.

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»In Ordnung«, sagte Cliff McLane, setzte sich undschnallte sich an. Die übrigen Mitglieder der Crewhatten es ihm inzwischen gleichgetan. »Mario, fangan!«

Mario preßte die Lippen zusammen, aktivierte dieVorlaufschaltung für das elektronische Schaltsystem,mit dem die quasi eingefrorene Energie schlagartigfreigesetzt werden konnte, dann preßte er die Hand-fläche auf den Hauptschalter.

Ein harter Schlag ging durch die ORION VIII, ge-folgt von einem unaufhörlichen Donnern wie von ei-ner schnellen Folge von Atomexplosionen. Kontroll-lampen flackerten, blauweiße Blitze zuckten aus einerSicherungsbatterie; es roch nach Ozon. Die Schiffs-zelle knirschte, knackte, kreischte und bebte unauf-hörlich. Die Bildschirme zeigten Ausschnitte einesscheinbar rasend schnell um das Schiff kreisendenWeltraums, in dem immer wieder sieben verzerrtwirkende, ultrahell wabernde Gebilde erschienen.

Das schrille Pfeifen einer Alarmsirene mischte sichin den tobenden Lärm und ging fast darin unter. DieVibrationen der Schiffszelle wurden so stark, daß dieSchaugläser der Instrumente barsten und einenSplitterregen durch die Zentrale schleuderten.

Cliff klammerte sich krampfhaft an den Seitenleh-nen seines Sessels fest. Er spürte, wie ihm das Blutaus der Nase schoß. Vor seinen Augen flimmertennur noch bunte Kreise und Sterne.

Das ist das Ende! dachte er.Plötzlich schien etwas lautlos zu bersten. Es wurde

dunkel und wieder hell. Auf den Bildschirmen schos-sen graue Schleier vorbei – und es war so still, daß dieplötzliche Stille gleich einem Schock wirkte.

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»Wir sind im Hyperraum!« grollte Glanskis in dieStille hinein.

Der Ausruf des Raguers wirkte wie ein Zauber-wort, das einen Bann brach. Für einige Sekunden re-dete die gesamte Crew heftig gestikulierend durch-einander, dann schwiegen sie wieder und sahen sicherleichtert an.

»Wir haben es geschafft«, sagte Atan Shubashi.»Und das tatsächlich im letzten Moment.«

»Ja, wir leben noch und haben auch noch unserSchiff«, meinte Cliff McLane leise. »Aber geschaffthaben wir es sicher noch lange nicht. Helga, versuchebitte, eine Funkverbindung mit Dave Sligo zu be-kommen. Wir müssen wissen, was sich inzwischenbei der Erde getan hat.«

Page 65: Kreuzweg der Dimensionen

5.

Cliff beobachtete die Bildschirme, die die Umgebungder ORION VIII zeigten. Die grauen Schleier warentypisch für die optischen Phänomene des Hyperraums,aber die grell blitzenden funkenartigen Lichterschei-nungen, die in immer größerer Anzahl dazwischenauftauchten, waren absolut untypisch.

»Was könnte das sein?« wandte sich Cliff an denAstrogator.

Atan zuckte mit den Schultern.»Keine Ahnung, Cliff. Übrigens, hast du bemerkt,

daß die Lichterscheinungen sehr kurzlebig sind? Kei-ne hält sich länger als anderthalb Sekunden.«

»Jetzt fällt mir das auch auf«, erwiderte Cliff. »Siewerden so schnell durch neue Lichtpunkte ersetzt, daßman ihre Kurzlebigkeit nur bei genauem Hinsehenbemerkt.«

Er wandte sich an Helga Legrelle, die angespanntauf die Kontrollen ihres Funkpults blickte.

»Nicht durchzukommen, was?« meinte er.Helga drehte am Lautstärkeregler. Sofort wurde

die Steuerzentrale von lautem Knattern erfüllt, in dassich ein an- und abschwellendes Heulen mischte.Nach einigen Sekunden stellte die Funkerin die Laut-stärke wieder zurück. »Unbekannte Störungen«,kommentierte sie. »Es scheint, als wäre die Strukturdes Hyperraums durch die Störungen so verändert,daß er sich nicht mehr als leitendes Medium fürüberlichtschnelle Trägerwellen eignet.«

»Das kann ja noch heiter werden«, warf HassoSigbjörnson ein.

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»Hat jemand eine Theorie oder wenigstens eineHypothese, was in diesem Raumsektor überhaupt vorsich geht?« fragte Cliff. »Diese ganzen Phänomenemüssen doch eine oder mehrere Ursachen haben.«

»Es scheint so, als wäre unser Universum defektgeworden, so daß Durchbrüche aus einem dimensio-nal anders gearteten Universum erfolgen«, sagteAtan.

»Das klingt, als dächtest du an eine Katastrophe,die unser gesamtes Universum verschlingen oderumgestalten würde«, erklärte Arlene.

Atan schüttelte den Kopf.»Ich denke eher an einen lokal begrenzten Defekt,

der von den Kräften unseres Universums früher oderspäter wieder ausgebügelt werden wird«, erwiderteer. »Möglicherweise hat sich ähnliches in der Vergan-genheit schon immer ereignet, nur eben so weit vonuns entfernt, daß wir es nie beobachten konnten.«

»Die wiedererwachten Kräfte des Rudraja, vor demdie Thaars uns warnten«, sagte Cliff leise. »Was istdarunter zu verstehen? Naturgewalten oder dasMachtpotential intelligenter Wesen, die vielleicht mitden Kräften des Kosmos spielen, ohne uns überhauptzu bemerken?«

»Spekulationen helfen uns nicht weiter, Cliff«,sagte Hasso. »Wir brauchen mehr Fakten, um An-satzpunkte für Hypothesen und Theorien zu finden.«

»Du hast ja recht«, erwiderte Cliff. Er wandte sichan Mario, der noch immer vor dem Hauptsteuerpultsaß. »Wann kehren wir in den Normalraum zurück?«

»In fünf Minuten«, antwortete Mario de Monti.»Wir müßten rund dreihunderttausend Kilometer vorder Erde herauskommen.«

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»Dann werden wir endlich Verbindung mit demSternenschiff erhalten«, meinte Cliff und strich sicheine Haarsträhne aus der Stirn.

Die fünf Minuten verstrichen, ohne daß jemandetwas sagte. Dann verschwanden die grauen Schleier– und mit ihnen die seltsamen Lichterscheinungen.Im Zentralschirm leuchtete blau und weiß das ver-traute Abbild der Erde.

»Ortung spricht an!« meldete Atan Shubashi. »In al-len erfaßten Sektoren werden starke Kraftfelder ange-messen, die es hier vorher nicht gab. Außerdem sindnur noch wenige Sternkonstellationen erfaßbar – undausschließlich solche, die wir nicht kennen. Dafürsind drei weitere Nester von Quasars aufgetaucht, de-ren Gravitation die Raumkrümmung erheblich stört.«

»Die Auswertung der Ortungsdaten dürfte eineAufgabe für dich und den Bordcomputer sein, Ma-rio«, sagte Cliff. »Ich übernehme wieder die Steue-rung. Helga, jetzt müßtest du das Sternenschiff errei-chen können.«

Wortlos stand Mario de Monti auf und ging zurSchaltwand des Computers hinüber. Cliff nahm sei-nen Platz am Kommandopult wieder ein, schalteteauf Manuellsteuerung und dirigierte die ORION VIIIin Richtung Erde.

»Verbindung steht!« meldete Helga.Cliff schaute zum großen Bildschirm und atmete

erleichtert auf, als er Dave Sligos Abbild erkannte.»Sternenschiff an ORION VIII!« sagte der Zweite

Pilot. »Wir gratulieren zu Ihrem Erfolg. Der Todes-schatten ist erloschen – allerdings erst, nachdem erdas Leben von rund vierzig Millionen Menschen aus-gelöscht hat.«

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Cliff schaltete sich in die Verbindung ein.»Es ist nicht unser Erfolg, Dave«, erklärte er. »Wir

haben praktisch nichts erreicht, was uns und derMenschheit helfen könnte. Was sagt eure Analyse derKraftfelder, die in diesem Sektor neu aufgetretensind?«

»Es handelt sich dabei mit großer Wahrscheinlich-keit nur um Nebeneffekte von Energieausbrüchen,die dimensional so weit übergeordnet sind, daß sievon unseren Ortungsinstrumenten nicht selbst erfaßtwerden können«, teilte Dave Sligo mit. »Cliff, wir allehaben das Gefühl, daß das alles nur der Anfang vonGeschehnissen ist, die mit einem Chaos enden wer-den. Ich bin froh, daß die Erde, die wir bewachen, nureine Parallelwelt ist, vielleicht sogar nur eine Fiktion,eine materielle Spiegelung der echten Erde. Wenn esganz schlimm kommt, sollten wir versuchen, diesenRaumsektor zu verlassen und uns zur richtigen Erdedurchzuschlagen.«

»Ich weiß nicht, ob das richtig wäre, Dave«, ent-gegnete Cliff. »Vielleicht verteidigen wir unsere rich-tige Erde, indem wir diese Parallel-Erde beschützen.Wir würden die richtige Erde dem Chaos preisgeben,wenn wir ihr Spiegelbild im Stich ließen. Außerdemwissen wir nicht, in welcher Richtung und in welcherEntfernung die echte Erde liegt.«

»Wenn wir diesen Raumsektor verlassen, werdenwir sicher Möglichkeiten der Orientierung finden«,warf Vlare MacCloudeen ein, der sich lange Zeitschweigsam verhalten hatte.

»Das denke ich auch«, sagte Dave Sligo.»Ich habe die erste Auswertungsreihe abgeschlos-

sen«, meldete sich Mario zu Wort. »Im großen und

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ganzen komme ich zum gleichen Ergebnis wie dieKybernetiker des Sternenschiffs. Zusätzlich kommtunser Schlauberger zu der Hypothese, daß die di-mensional übergeordneten Energieausbrüche, diesich uns nur durch ihre Nebeneffekte verraten, vonReaktionen zwischen Materie und Antimaterie her-rühren und daß die Quasars gar keine echten Quasarssind, sondern Ballungen von Ambiplasma, also einemGemisch aus Materie und Antimaterie.«

»Aber wie kommen diese Ballungen zustande?«fragte Dave Sligo.

»Außerdem ist die Radiostrahlung der Quasarsnicht so stark, wie sie sein müßte, wenn es sich tat-sächlich um Ballungen von Ambiplasma handelt«,warf Atan ein. »Wenn ein Proton und ein Antiprotonzusammenstoßen, wird dabei eine kinetische Energievon dreihundert Megavolt frei, die fast vollständig alsRadiostrahlung ausgesandt wird.«

»Das trifft für einen ungesteuerten Prozeß zu«,warf Mario de Monti ein.

»Willst du damit sagen, der Computer hätte ge-steuerte Prozesse in den Pseudo-Quasars angenom-men?« fragte Cliff.

Mario öffnete den Mund zu einer Antwort, aber erkam nicht mehr dazu, sie auszusprechen.

Zweierlei geschah zur gleichen Zeit: Das Sternen-schiff tauchte auf seinem Orbit aus dem Erdschattenauf und wurde sichtbar, weil es das Sonnenlichtgleich einem riesigen Spiegel reflektierte – und ringsum die Erde, das Sternenschiff und die ORION VIIIerschienen, scheinbar aus dem Nichts, zahllose nacht-schwarze Ballungen.

»Was ist das?« fragte Arlene erschrocken.

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»Auf jeden Fall müssen wir das Schlimmste an-nehmen«, sagte Cliff. »Dave, versetzen Sie das Ster-nenschiff in volle Gefechtsbereitschaft, einschließlichdes Aufbaus der Defensivschirme!«

Er schaltete ebenfalls die energetischen Defensiv-schirme ein, dann sah er sich nach Mario um. Aberder Kybernetiker befand sich bereits auf dem Wegzum Werferstand.

»Gebündelte Kraftfeldlinien«, sagte Atan. »Wie derDunkeleffekt zustande kommt, weiß ich nicht, aberhinter den Dunkelballungen messe ich Bündelungensehr energiereicher Kraftfelder an.«

»Sie fliegen mit Erdkurs«, stellte Vlare MacCloude-en fest.

Cliff schaltete die Bordsprechanlage zum Werfer-stand durch und sagte: »Mario, fertigmachen zumEinsatz von Overkill!«

*

Ein Gefühl völliger Hilflosigkeit bemächtige sichCliffs, als er sah, daß Hunderte dieser Schattenbal-lungen, die in Wirklichkeit Bündelungen von Kraft-feldlinien waren, auf die ORION VIII zurasten.

»Wenn sie uns angreifen, können wir vielleichtzehn oder zwölf von ihnen treffen und eventuell zer-stören, aber die übrigen werden uns auslöschen«,sagte Arlene und sprach damit das aus, was Cliffdachte.

»Bis jetzt wissen wir nicht, ob sie überhaupt eineBedrohung darstellen«, wandte Hasso Sigbjörnsonein. »Es könnte sich um Abfallprodukte natürlicherenergetischer Prozesse handeln.«

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Cliff sagte nichts dazu. Er saß auf seinem Platz, be-reit, jederzeit ein Ausweichmanöver einzuleiten undgleichzeitig sicher, daß im Falle eines massierten An-griffs kein Ausweichmanöver die ORION rettenwürde.

Die Schattenballungen jagten mit unverminderterGeschwindigkeit heran. Cliff McLane erkannte, daßkeine Ballung mit dem Schiff kollidieren würde. Dasschien zu beweisen, daß es sich wenigstens nicht umGeschosse handelte.

»Entfernung der ersten Ballungen zwanzig Kilo-meter«, meldete Atan Shubashi mit gepreßter Stim-me. »Zehn Kilometer, zwei – null!«

Cliff hielt den Atem an, als die ersten Schattenbal-lungen neben, über und unter der ORION vorbei-schossen, ohne auf das Vorhandensein des Diskus-schiffs zu reagieren. Einige von ihnen kamen so dichtvorbei, daß der Eindruck erweckt wurde, als könnteman sie durch ein Bullauge mit der Hand berühren.Jede von ihnen war etwa so groß wie eine LANCET.

»Sie kümmern sich nicht um uns«, stellte Arleneerleichtert fest, als die letzten Schattenballungen diePosition der ORION passiert hatten.

»Aber sie fliegen weiter auf die Erde zu«, erwiderteCliff.

Atan schaltete einige Bildschirme auf Ausschnitt-vergrößerung, so daß die Crew weiterhin den Flugder rätselhaften Ballungen verfolgen konnte. Auchdie Konturen des großen Sternenschiffs wurden da-durch erkennbar. Es befand sich zur Zeit genau zwi-schen dem Schwarm, der an der ORION VIII vorbei-geflogen war, und der Erde.

»Sie haben uns nicht angegriffen«, sagte Prac'h

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Glanskis. »Wenn sie dafür keinen Grund sahen, wer-den sie auch keinen Grund sehen, das Sternenschiffanzugreifen.«

Cliff nickte, denn die Ballungen formierten sichnicht um, wie es im Falle eines bevorstehenden An-griffs wahrscheinlich gewesen wäre, sondern flogenunverändert weiter.

Die ersten Ballungen erreichten das Sternenschiff –und flogen daran vorbei!

Schon wollte Cliff befreit aufatmen, als sich aus denSchattenballungen grell strahlende Spiralen löstenund zum Sternenschiff hinüberzuckten. Für einenMoment blähten sich die Defensivschirme des Schif-fes auf, dann flackerten sie und brachen zusammen.Die nächsten Energiespiralen verschwanden im Ster-nenschiff und verwandelten es in eine gluterfüllteHölle, die in der nächsten Sekunde in einer heftigenExplosion barst.

Gelähmt vor Entsetzen starrte die ORION-Crewauf das grauenhafte Schauspiel, das sich ihren Augenbot. Von dem riesigen Sternenschiff mit seiner Besat-zung war wenige Herzschläge nach dem Feuerschlagder Dunkelballungen nicht mehr übrig als rasch er-kaltende, glühende Fetzen, die nach allen Seiten da-vontrieben.

Über die Bordverständigung kam ein Keuchen,dann sagte Hasso Sigbjörnson tonlos: »Sie haben eseinfach im Vorbeiflug ausgelöscht, so, wie man ne-benbei eine Mücke erschlägt! Alle unsere Freundedort ...« Er brach ab.

»Wir müssen unsere Freunde rächen!« stieß Prac'hGlanskis zornig hervor.

»Was können wir schon tun?« warf Arlene ein.

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»Wenn wir die Ballungen angreifen, geht es uns nichtbesser als unseren Freunden im Sternenschiff.«

»Wir sind so und so verloren«, erklärte Hasso mitdumpfer Stimme. »Der Kampf gegen den Sog derQuasars hat nicht nur die Schlafende Energie aufge-braucht, sondern auch die Triebwerke teilweise aus-brennen lassen. Vielleicht schaffen wir im Hyperraumnoch einige Lichtjahre, aber dann hängen wir end-gültig fest.«

Cliff McLane beschleunigte zögernd, aber nicht sohoch, daß die ORION VIII die Schattenballungen ein-holen konnte. Auch in ihm schrie alles danach, denheimtückischen Mord an den Freunden zu rächen.Sein Verstand sagte dem Commander allerdings, daßer das Leben der Crew sinnlos opfern würde, wenn erdem Drang nach Rache nachgab.

»Nein!« sagte er schließlich leise, aber mit Festig-keit. »Wenn wir unseren Freunden dadurch noch hel-fen könnten, müßten wir eingreifen. Aber so ...«

»Nein!« schrie Helga Legrelle auf. »Die Erde! Siegreifen die Erde an!«

Cliff sah es im gleichen Augenblick.Von den Schattenballungen, die der Erde am näch-

sten waren, lösten sich die nur zu gut bekanntenEnergiespiralen und zuckten zur Erdoberfläche hin-ab. Noch war von der Wirkung nicht mehr zu erken-nen, als einige punktförmige Ausbrüche, aber was inder Lage gewesen war, das große Sternenschiff zuvernichten, würde bei entsprechender Massierungauch einem Planeten gefährlich werden.

»Das lassen wir nicht zu!« schrie Cliff. »Wir greifenan – mit allem, was wir haben!«

Er schaltete auf volle Beschleunigung, und die

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ORION VIII raste auf die Schattenballungen zu, diesich vor der Erde teilten und wieder und wieder ihrevernichtenden Energiespiralen hinabschickten. Dieweißen Wolkenfelder der Erde zerrissen und ver-färbten sich, als Dampf und Rauch von unten herauf-schossen.

»Overkillprojektor feuerbereit!« teilte Mario mit.

*

»Wir setzen zuerst die Lichtkanonen ein, danach dieRaumtorpedos und zum Schluß den Overkill!« sagteCliff, während er das Schiff nach einem Backbord-schwenk nach Steuerbord leitete.

»Verstanden!« erwiderte Mario de Monti.Cliff warf einen Blick auf die Gesichter der Freunde

und erkannte, daß sie sich alle klar darüber waren,daß die ORION VIII auf verlorenem Posten stand. Eswar aussichtslos, die Erde retten zu wollen, wenn derAngreifer entschlossen war, sie um jeden Preis zuzerstören. Dennoch konnten sie nicht tatenlos zuse-hen, wie die Erde angegriffen wurde – auch wenn esnicht die richtige Erde war, sondern eine Parallelwelt.

Vor der ORION tauchte, nur wenige Kilometer ent-fernt, eine der Schattenballungen auf.

»Ziel erfaßt, Cliff!« sagte Mario drängend.»Feuer frei für Lichtkanonen!« erwiderte Cliff.Die stark gebündelten energiereichen Laserstrahlen

zuckten hinüber zu der Ballung aus Dunkelheit undunsichtbaren Kraftfeldlinien und verschwandendarin. Von einer Wirkung war nichts zu erkennen.Die Dunkelballung setzte ihren Flug unbeirrt fort undschoß weiter Energiespiralen zur Erde hinab.

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»Feuer frei für Raumtorpedos!« sagte Cliff.Drei schlanke Projektile rasten hinüber zur Ballung,

nur erkennbar an dem Glühen ihrer Triebwerksdüsen.Ihre nuklearen Sprengköpfe reichten aus, drei Raum-schiffe zu zerstören – wenn sie ungeschützt waren.

Der Dunkelballung vermochten auch sie nichts an-zuhaben. Sie wurden abgelenkt und verschwandenmit unterschiedlichen Kursen im All.

»Feuer frei für Overkill!« stieß Cliff hervor.Er hatte im nächsten Moment Mühe, das Schiff zu

halten, denn als der Overkill-Strahl zu der Ballunghinüberzuckte, schüttelte sich das Schiff und drohteauszubrechen.

Und die Schattenballung verwandelte sich in einegrellweiß strahlende, exakt kugelförmige Wolke, diesich bis fast zur ORION VIII ausdehnte, die Steuer-zentrale mit bleichem Licht füllte und dann einfacherlosch, als hätte jemand sie ausgeschaltet.

Einen Herzschlag lang herrschte absolute Stille anBord, dann brach alle aufgestaute Anspannung, alleFurcht und alles Entsetzen in einem Schrei, der weni-ger Triumph als Hoffnung ausdrückte – die Hoff-nung, daß es doch noch gelingen würde, die grauen-volle Bedrohung von der Erde abzuwenden.

Als der Schrei abbrach, richtete Cliff McLane dasDiskusschiff auf die nächste Schattenballung aus.

»Wir gehen diesmal nicht so dicht heran, Mario«,sagte er. »Schieß, sobald du ein Ziel im Zielautomatenhast!«

»Schon passiert!« erwiderte Mario.Wieder zuckte der vernichtende Overkill-Strahl zu

einer Schattenballung – und wieder blähte sich fürSekunden eine künstliche Sonne im Weltraum auf,

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die abermals wie ausgeknipst erlosch.»Ich habe den Vorgang genau beobachtet«, sagte

Atan Shubashi. »Er ist untypisch für eine normaleKernexplosion, bei der die Glutwolke verblassen unddurchscheinend werden müßte, bevor sie sich auflöst.Hier implodiert die freigesetzte Energie und ver-schwindet einfach aus unserem Kontinuum.«

»Das werden wir später auswerten«, sagte Cliffund hielt das Schiff, dessen Zelle gleich einer riesigenGlocke zu schwingen begann, auf Kurs, während diedritte Ballung vernichtet wurde.

»Sie reagieren überhaupt nicht«, sagte Vlare Mac-Cloudeen verwundert. »Es ist, als ob sie gar nichtmerken, daß wir unter ihnen aufräumen.«

Die vierte künstliche Sonne entstand und implo-dierte.

»Vielleicht ist das unsere Chance«, sagte Cliff.»Weiter, Mario!«

Er drängte nicht grundlos, denn die übrigen Schat-tenballungen setzten den Beschuß der Erde fort. Aufihrer Oberfläche hatten sich bereits große rotglühen-de Flecke gebildet, von denen einige die Ausdehnungvon Großstädten hatten. Aus ihnen eruptierte Magma,wurde bis über die Wolken geschleudert und regnetein Form von tödlichen Geschossen wieder herab.

Die fünfte Ballung wurde vernichtet – und diesmalwar die erste Reaktion der übrigen Ballungen er-kennbar. Ihre Formation geriet durcheinander. Nachund nach stellten sie den Beschuß der Erde ein, ent-fernten sich auf verschlungenen Kursen von demPlaneten und schienen in den Weltraum fliehen zuwollen.

Doch das war ein Trugschluß, wie sich bald heraus-

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stellte. In durchschnittlich fünfhunderttausend Kilo-metern Entfernung von der Erde sammelten sich dieSchattenballungen zu mehreren Pulks. Diese Pulks voll-führten einige undurchsichtige Manöver, danach be-schleunigten sie und steuerten aus allen Richtungenauf die ORION VIII zu.

Cliff McLane wischte sich mit dem Handrückenden Schweiß von der Stirn.

»Diesmal geht es uns an den Kragen«, erklärte er.»Aber wir lassen uns ihre Taktik nicht aufzwingen.Sobald die Ballungen soviel Fahrt haben, daß sie kei-ne engen Kurven fliegen können, stoßen wir mit vol-ler Beschleunigung auf einen Pulk zu, vernichten soviele der Ballungen wie möglich und setzen uns erstmal ein Stück ab.«

»Viele Hunde sind der Hasen Tod«, prophezeiteArlene.

»Die ORION ist aber kein Hase, sondern kann sichwehren«, entgegnete Prac'h Glanskis. »Und ihre Zäh-ne sind scharf, wie sie bereits bewiesen hat.«

Cliffs Augen funkelten kalt.»Es geht los!« flüsterte er und schob den Fahrthebel

weit nach vorn.Es wirkte, als vollführte die ORION VIII einen Satz,

dann jagte sie sehr schnell auf einen der Pulks zu. Se-kunden später sah Cliff, daß die anderen Pulks ihreFahrt abbremsten. Einige setzten zu Innenkurven,andere zu Außenkurven an. Ungefähr ein Drittel vonihnen aber schwenkten auf Erdkurs ein.

»Sie wollen uns zwingen, in Erdnähe zu bleiben«,sagte Cliff. »Aber wir können uns nicht dazu verfüh-ren lassen. Es wäre unser Ende – und der Erde würdees nichts nützen.«

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Er hielt eisern den einmal eingeschlagenen Kurs.Erneut arbeitete Mario mit dem Overkill-Projektor.Eine, zwei, drei Schattenballungen verwandelten sichin künstliche Sonnen, die kurz darauf implodierten.

Aus einer Eingebung heraus riß Cliff die ORIONsteil nach oben. Im nächsten Moment zuckten vondem Pulk mehrere Energiespiralen heran, trafen sichan einem Punkt, an dem die ORION sich befundenhätte, wäre sie nicht hochgezogen worden, und ent-luden ihre Energien in Bündeln sonnenheller Blitze,von denen jeder stark genug gewesen wäre, die De-fensivschirme und die Außenhülle der ORION zuzerschlagen.

Cliff preßte die Lippen zusammen, kippte dasSchiff nach vorn und beschleunigte weiter. Mariosetzte erneut den Overkill-Projektor ein und ver-nichtete eine weitere Dunkelballung.

Danach zog Cliff die ORION hart nach Steuerbord– und wieder verfehlte eine Salve aus Energiespiralendas Schiff nur knapp. Einer der Entladungsblitzestreifte die Defensivschirme und regte sie zu einemEnergiegewitter an, das die ORION für Sekundenblind machte.

Cliff konnte nichts sehen. Er zog das Schiff einfachnach oben und drückte es gleichzeitig in eine Back-bordkurve. Als die die Defensivschirme durchtoben-den Entladungen nachließen, sah Cliff, daß dieORION VIII einen imaginären Punkt im All ansteu-erte, den der Pulk aus Dunkelballungen etwa zurgleichen Zeit erreichen mußte. Die Distanz nahmständig ab. Zwar würde Cliff einen Zusammenstoßgerade noch vermeiden können, aber in den nächstenzehn Sekunden würde der, Gegner so viele Tref-

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ferchancen haben, daß das Schicksal der ORION undihrer Besatzung besiegelt schien.

»Es war schön mit uns, Cliff«, sagte Arlene.»Ich danke dir für alles, Mädchen«, gab Cliff

McLane zurück.»Overkill-Projektor ist ausgefallen«, meldete Mario

über die Bordverständigung. »Wahrscheinlich nur eingewöhnlicher Kurzschluß, der in wenigen Minutenbehoben wäre, wenn wir ...«

Er sprach nicht weiter, aber Cliff wußte auch so,was der Freund gemeint hatte.

Sie würden nicht mehr lange genug leben, um denKurzschluß zu beheben. Es war überhaupt ein Wun-der, daß der Gegner noch keine neue Salve abgefeuerthatte.

Cliff wollte ein weiteres Ausweichmanöver fliegen,als er sah, daß zwischen den SchattenballungenSchwärme winziger roter Punkte aufgetaucht waren.Ihr Licht schien sich auf den dunklen Ballungen zuspiegeln, was an sich völlig unmöglich war.

»Was ist das, Cliff?« rief Vlare MacCloudeen.Cliff brachte kein Wort heraus. Fassungslos starrte

er hinüber zu den Dunkelballungen. Das, was zuvorausgesehen hatte wie das reflektierte Licht der rotenPunkte, entpuppte sich als rotierende Energiewirbel,die sich in die Schwärze bohrten.

Nach und nach verblaßte die Schwärze der Ballun-gen. Fremdartige, metallische Konstruktionen wur-den sichtbar. Aber ihre ursprünglichen Formen ließensich schon nicht mehr bestimmen, denn sie befandensich in einem Auflösungsprozess, der unaufhaltsamvoranschritt.

Ungefähr fünf Sekunden nach dem Auftauchen der

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roten Punkte war der Pulk, gegen den die ORION VI-II gekämpft hatte, nur noch eine Wolke fragmentari-scher Trümmer, die auf dem alten Kurs weitertrieben.

Die roten Punkte aber verblaßten – und hinter ih-nen wurden die stumpfgrauen Hüllen von Raum-schiffen sichtbar. Sie waren größer als die ORION VI-II und bestanden jeweils aus einem zylindrischenRumpf, auf dem oben und unten eine flache Scheibevom Durchmesser der ORION aufgesetzt war.

Und es gab Hunderte dieser fremdartigen Raum-schiffe!

»Sie haben uns fürs erste das Leben gerettet«,meinte Atan Shubashi. »Aber das heißt nicht, daß sieunsere Freunde sind. Wie sollen wir uns ihnen ge-genüber verhalten?«

»Wir müssen abwarten – und auf alles gefaßt sein«,erwiderte Cliff. »Anscheinend sind wir in eine kosmi-sche Auseinandersetzung geraten, über deren Hin-tergründe wir nicht das mindeste wissen.«

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6.

»Der Schaden am Overkill-Projektor ist behoben«,teilte Mario über die Bordverständigung mit. »EineVerstärkerspule war durchgebrannt. Ich habe sie aus-gewechselt.«

»Danke, Mario«, erwiderte Cliff McLane. »Aber essieht nicht so aus, als müßten wir eingreifen. DiePulks der Schattenballungen sind durch die Angriffeder anderen Schiffe dezimiert.«

»Und – die Erde?« erkundigte sich Mario de Monti.Cliff schluckte. Er wollte antworten, brachte aber

keinen Ton heraus. Statt dessen blickte er auf den Bild-schirm, der in einer Ausschnittvergrößerung die Erdezeigte – oder vielmehr die Parallelwelt der richtigenErde.

Von dem Blau der Ozeane und dem meist makellosenWeiß der Wolkenfelder war nichts mehr zu sehen.Der Planet war in dichte Rauch- und Dampfwolkengehüllt, durch die glühende Flecken schimmerten –Flecken, die die Umrisse der Kontinente besaßen. Derletzte massierte Angriff der Schattenballungen hattedie Ozeane der Erde verdampfen lassen und ihre fe-ste Oberfläche in brodelnde Magmaseen verwandelt.

»Das hat niemand überlebt«, sagte Prac'h Glanskis.»Sei still!« fuhr MacCloudeen den Raguer an. Das

Gesicht des Pionierchefs von PROJEKT PERSEIDENwar kalkweiß; seine Fäuste schlossen und öffnetensich abwechselnd.

Ein Geräusch ließ Cliff nach rechts blicken. Er sah,daß Helga Legrelle die Hände vors Gesicht geschla-gen hatte und von einem Weinkrampf geschüttelt

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wurde. Arlene erhob sich von ihrem Platz, ging zurFunkerin hinüber und legte einen Arm um ihreSchultern.

»Wir haben die Erde nicht retten können«, sagteHasso Sigbjörnson über die Bordverstärkung. SeineStimme klang teilnahmslos, doch das kam nur vondem schweren psychischen Schock, der seine Gefühlevorübergehend erstickt hatte. »Es war zwar nur eineParallel-Erde, aber gleichzeitig unser einziger An-haltspunkt. Nun besitzen wir nicht einmal eine Er-satzheimat.«

»Es gibt noch immer – irgendwo – die richtige, un-sere Erde«, sagte Cliff. »Vielleicht können wir uns mitden Fremden, die uns gerettet haben, verständigen.Ihre Technik steht der unseren nicht nach.«

»Du meinst, sie würden uns helfen, die ORION zureparieren?« fragte Hasso.

Cliff zuckte mit den Schultern.»Ich weiß nicht, aber ich bin sicher, daß sie uns hel-

fen können, wenn sie wollen. Folglich müssen wirden Kontakt mit ihnen suchen.«

»Es fragt sich nur, ob sie an einem Kontakt mit unsinteressiert sind«, warf Mario ein. »Sie brauchen unsnicht. Vielleicht fliegen sie wieder ab, ohne sich umuns zu kümmern.«

»Das wäre möglich, also müssen wir uns um siekümmern«, erwiderte Cliff.

Er blickte wieder zu Helga und sah, daß sie sich ei-nigermaßen gefaßt hatte.

»Versuche, sie auf allen Wellenbereichen und Fre-quenzen anzufunken, Helga!« sagte er. »Ich werdedie ORION inzwischen in die Nähe des nächstenVerbands der Fremden bringen.«

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Er drückte das Schiff in eine Steuerbordkurve undflog den Verband an, der am weitesten von der glü-henden Erde entfernt war. Erst hinterher wurde ersich klar darüber, warum er nicht wirklich den näch-sten Verband der Fremden angesteuert hatte. Dazuhätte er die ORION VIII näher an die Erde bringenmüssen, und er schrak davor zurück, die brennendenKontinente aus noch größerer Nähe betrachten zumüssen.

Inzwischen waren alle Dunkelballungen vernichtet.Der Raum in Erdnähe war angefüllt mit Trümmer-wolken, deren größte Teilchen hin und wieder dieStrahlen der Sonne reflektierten, so daß es aussah, alshätte jemand riesige Säcke voller Diamanten im Allausgeschüttet.

»Wie mögen sie ausgesehen haben?« sinnierte Cliffund meinte damit die Wesen, die die zerstörtenRaumschiffe gesteuert und den milliardenfachen Todüber die Erde gebracht hatten und zuletzt selber aus-gelöscht worden waren.

»Vielleicht waren es Roboter«, sagte Atan.»Das halte ich für unwahrscheinlich«, warf Mario

ein.Cliff blickte auf und sah das Abbild des Kyberneti-

kers auf dem Bildschirm der Bordverständigung an.»Mit welcher Begründung, Mario?«»Sie handelten einmal inkonsequent«, antwortete

Mario de Monti. »Das war, als sie zwar das Sternen-schiff im Vorbeiflug auslöschten, die viel kleinereORION aber ungeschoren ließen. Eine solche Ent-scheidungsfreiheit hätten fest programmierte Syste-me nicht besessen; sie hätten die ORION ebenfallsvernichtet. Später, als wir die ersten Ballungen ver-

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nichtet hatten, zogen sie sich ausnahmslos aus Erd-nähe zurück – und zwar so, als hätten unsere Schlägesie schockiert. Robotern wäre so etwas nicht passiert.Sie hatten uns eine kleine Gruppe Schiffe entgegen-geworfen und mit dem Gros weiterhin die Erde be-schossen.«

»Das klingt logisch«, meinte Arlene.Helga nahm ihre Kopfhörer ab.»Ich habe es auf allen Frequenzen und Wellenbe-

reichen versucht«, berichtete sie. »Keine Reaktion,Cliff.«

»Bitte, versuche es weiter, Helga-Mädchen«, erwi-derte Cliff McLane. »Wenn wir hartnäckig genug sind...« Er seufzte. »Möglicherweise scheuen die Fremdenwirklich den Kontakt mit uns. Der Verband, dem wiruns nähern, weicht nämlich eindeutig aus. Nein, ichkorrigiere mich. Er formiert sich zu einer Halbkugel,deren Öffnung auf uns weist.«

»Zweifellos eine einladende Geste«, warf Prac'hGlanskis ein. »Allerdings liefern wir uns den Frem-den auf Gedeih und Verderb aus, wenn wir dieserEinladung folgen. Ich frage mich, ob wir das riskierendürfen.«

»Ich denke, wir haben so wenig zu verlieren, daßwir ...«

Cliff brachte den Satz nicht zu Ende, denn im näch-sten Augenblick brach die Hölle los. Die ORION VIIIwurde von einer imaginären Faust mit solcher Gewaltgetroffen, daß die Schiffszelle wie ein Gong dröhnteund der Diskus viele Kilometer weit davongewirbeltwurde.

Cliff wurde in den Gurten nach vorn gerissen,prallte hart zurück und sah einen Körper auf sich zu-

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fliegen: Arlene, die neben Helga gestanden hatte undnicht angeschnallt gewesen war. Er packte zu, riß dasMädchen zu sich heran und umklammerte ihrenKörper mit aller Kraft, während er wieder und wie-der in den Gurten hin und her geschleudert wurde.

Krachend fuhren Entladungsblitze durch die Steu-erzentrale. Die Beleuchtung erlosch. Die Zentralewurde in eine Dunkelheit gehüllt, die nur dann vondem Licht der glühenden Erde und dem der Sonneerhellt wurde, wenn diese Himmelskörper in denBildschirmen des sich überschlagenden Schiffes auf-tauchten.

Es ist alles aus! dachte Cliff McLane.Er unternahm nicht einmal den Versuch, das Schiff

zu stabilisieren. Dazu hätte er Arlene loslassen müs-sen, was ihren sicheren Tod bedeutet hätte.

Als ob wir nicht sowieso sterben! dachte Cliff in einemAnflug von Ironie. Jeden Moment kann das Schiff aus-einanderbrechen.

Jemand stöhnte – oder war es die Schiffszelle, dieder ungeheuren Belastung nicht mehr standhielt!

Ein neuer Ruck fuhr durch das Schiff; ein Bild-schirm barst und verstreute körnige Splitter in derSteuerzentrale. Knallend schlossen sich überall imSchiff die Sicherheitsschotte, was nur bedeutenkonnte, daß die Außenhülle beschädigt war und derDruckverlust die Sicherheitsautomatik aktiviert hatte.

In all diesem Chaos war es Cliff plötzlich, als ta-stete etwas nach seinem Gehirn, nichts Abstoßendes,sondern etwas, das beruhigende Impulse von sichgab, ihm Zuversicht einzuflößen versuchte.

Cliff McLane frage sich, ob Zuversicht allein einauseinanderbrechendes Raumschiff zusammenhalten

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könnte, da wurde es endgültig dunkel um ihn.Während sein Bewußtsein sich in unergründlichen

Tiefen verlor, dachte Cliff, daß es eigentlich gar nichtso schlimm war zu sterben, wenn man die Frau, dieman liebte, dabei in den Armen hielt ...

*

Doch irgendwann flackerte der beinahe erloscheneLebensfunke wieder auf. Das Bewußtsein quälte sichdurch einen klebrigen Sumpf aus Alpträumen undBenommenheit, tauchte an die Oberfläche und ver-suchte zu erkennen und sich zu erinnern.

Cliff fühlte etwas Feuchtes, Kaltes und lokalisiertedie Stelle, die ihm diese Nachricht übermittelte, alssein Gesicht. Erschrocken stellte er fest, daß er vonseinem übrigen Körper nichts spürte. Der Schreckhalf ihm, die letzte Benommenheit abzuschütteln.

Er riß die Augen auf. Zuerst sah er nur so etwaswie neblige Fetzen, die nur ganz langsam Konturenannahmen: die Konturen eines raubtierhaften Gesichts.

»Prac'h?« flüsterte Cliff.Die Konturen wurden deutlicher. Cliff sah, daß der

Mund sich bewegte.»Wie fühlst du dich, Cliff?« grollte die dumpfe

Stimme des Raguers.»Großartig«, log Cliff.Im nächsten Augenblick dachte er an Arlene und

erinnerte sich daran, daß er sie in seinen Armen ge-halten hatte, bevor er das Bewußtsein verlor. Er er-schrak zum zweitenmal seit seinem Erwachen.

»Arlene – was ist mit ihr?« brachte er mühsam her-aus.

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»Sie lebt«, antwortete Glanskis. »Und sie ist nichternstlich verletzt. Weißt du, daß du ihr eine Rippegebrochen hast, Cliff?«

»Ich mußte sie festhalten«, verteidigte sich Cliff,während er gleichzeitig erleichtert darüber war, daßArlene lebte. »Was ist mit den anderen – und was istmit dem Schiff?«

»Sie leben alle«, versicherte der Raguer. »Ein paarPrellungen, ein paar harmlose Schnittwunden, Be-nommenheit und Erschöpfung. Mehr ist nicht pas-siert. Und auch das Schiff existiert noch.«

Cliff McLane richtete sich auf. Prac'h half ihm da-bei. Zuerst sah Cliff sich nach seinen Freunden um.Arlene lag in ihrem Sessel, dessen Rückenlehne weitzurückgeklappt war. Sie hielt die Augen geschlossen,öffnete sie aber, als Cliffs Blick sie traf.

»Cliff!« sagte sie leise.»Hallo, Kleines!« erwiderte Cliff zärtlich. »Es tut

mir leid, daß ich dir weh getan habe.«»Ohne deine starken Arme lebte ich nicht mehr«,

erklärte Arlene.Cliff lächelte und ließ seinen Blick weiterwandern.

Helga Legrelle saß aufrecht in ihrem Sessel. Ihre linkeWange war durch ein breites Pflaster verunstaltet,ansonsten schien sie heil zu sein. Atan Shubashi saßebenfalls auf seinem Platz und musterte nachdenklichdie Bildschirme, die die Umgebung des Schiffeszeigten:

Cliff folgte dem Blick des Astrogators mit den Au-gen. Zwei Bildschirme waren ausgefallen, aber dieübrigen vermittelten ein klares Bild der Umgebung.Allerdings ein Bild, mit dem Cliff nichts anfangenkonnte.

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Es gab keine Erde, keine Sonne und keine Fixster-ne, nicht einmal etwas, das man als Weltraum be-zeichnen konnte. Rings um die ORION erstreckte sichein wasserblaues Leuchten scheinbar bis in die Un-endlichkeit. Es schien zu flackern oder zu pulsieren,doch das konnte ebensogut auf einer optischen Täu-schung beruhen.

»Was ist das?« stieß der Commander hervor.Atan wandte langsam den Kopf und sah ihn prü-

fend an.»Aha, du kannst also schon wieder denken!« sagte

er ohne Ironie. »Ich weiß auch noch nicht, was es ist.Auf jeden Fall scheinen wir uns nicht innerhalb unse-res Universums zu befinden, womit ich allerdingsnur feststellen möchte, daß wir keinen Kontakt zuunserem Universum haben.«

»Vielleicht lebten wir sonst nicht mehr«, sagte Has-so Sigbjörnson.

Cliff bemerkte erst jetzt, daß der Maschineninge-nieur in die Steuerzentrale zurückgekehrt war. AuchMario de Monti war auf seinem Platz. Auf der Stirndes Kybernetikers prangten gleich drei Pflasterstreifen.

»Ich habe sie zurückgeholt«, erklärte der Raguer.»Danke, Prac'h«, sagte Cliff. »Du bist wie ein Vater

zu uns. Es tut mir leid, daß du mit uns in der Tintesitzt. Unsere ›Freunde‹ haben sehr heftig auf unserenVersuch reagiert, Kontakt mit ihnen aufzunehmen,finde ich.«

»Sie hatten nichts damit zu tun«, erklärte Glanskis.»Ich sah, daß ihre Raumschiffe genauso herumge-schleudert wurden wie das unsere. Daran muß dieenergetische Stoßwellenfront schuld gewesen sein,die die Erde bersten ließ.«

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»Die Erde?« fragte Hasso.»Sie ist regelrecht zerplatzt«, sagte der Raguer.

»Aber sie war ja schon vorher tot – und außerdemwar es nicht eure Erde.«

Cliff McLane erhob sich, durchquerte die Zentraleund stellte sich dicht vor einen der intakten Bild-schirme, als könnte er so besser erkennen, was außer-halb der ORION VIII los war.

»Hier können wir nicht bleiben«, sagte er. »Hiergibt es ja nicht einmal einen Planeten, auf dem wirlanden und versuchen könnten, wenigstens einen Teilder Schäden zu beheben, die am Schiff entstandensind.«

Er wandte sich um. »Als erstes müssen wir alle Sy-steme durchchecken, damit wir wissen, was nochfunktioniert und was nicht. Falls die Ortungssystemenoch intakt sind, werden wir versuchen, unsere Um-gebung energetisch zu analysieren.« Er holte tief Luft.»Fangen wir an!«

Atan beugte sich über sein Schaltpult, drückte eini-ge Tasten, schüttelte verwundert den Kopf und sagte:»Alle Ortungssysteme sind in Ordnung. Das ist kaumzu fassen, so, wie die ORION durchgebeutelt wurde.«

»Wir haben eben ein gutes Schiff«, erwiderte Cliffund ging zu Atan hinüber.

Gemeinsam aktivierten sie die komplizierten Sy-steme, schickten lasergeführte Radarwellen in dieUmgebung, sandten normalenergetische und hype-renergetische Impulse aus, deren Echos bei ihrerRückkehr alle möglichen Informationen mitbrachten,die allerdings erst noch ausgewertet werden mußten.

Diese Aufgabe übernahm, wie gewohnt, Mario deMonti. Hasso begab sich unterdessen wieder in den

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Maschinenleitstand, um festzustellen, wie es um dieAntriebs- und Energieversorgungssysteme des Schif-fes stand.

Mario hatte die erste Auswertungsreihe fast abge-schlossen, als er und die übrigen Mitglieder der Crewerstarrten.

Auch Cliff McLane konnte sich, obwohl er es ver-suchte, nicht dem Bann der lautlosen Stimme entzie-hen, die in seinem Kopf zu ihnen sprach. Alles andereversank, wurde nebensächlich.

»Wir, die Erben des Varunja, haben beschlossen,euch die ganze Wahrheit zu sagen, denn die Erbendes Rudraja sind erwacht und bedrohen unserenPlan, eine kosmische Ordnung, das Rithaa, zu schaf-fen, in der die Kulturen friedlich aufblühen und sichgedanklich miteinander verbinden«, raunte die laut-lose Stimme.

»Wir führten euch in die Raumkugel, die eine Mo-dellschablone war, nach der die Entwicklung im gro-ßen Maßstab gestaltet werden sollte. Ihr wart fürwürdig befunden worden, als Katalysator dieserEntwicklung zu wirken.

Aber die Kräfte der Finsternis erkannten unser Be-mühen und rafften sich noch einmal auf, um dem Bö-sen zum Durchbruch zu verhelfen. Sie konnten dievon uns geschaffene Schablone zerstören und hättenauch euch vernichtet, wenn wir euer Schiff nicht inder Überlebensblase in Sicherheit gebracht hätten.

Damit ist der alte Kampf wieder ausgebrochen, derKampf zwischen dem Guten und dem Bösen, der vorlanger Zeit beinahe alle Vitalkräfte des Universumsausgelöscht hätte.

Denn das Varunja, dessen Erben wir sind, kämpfte

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schon einmal gegen das Rudraja, das seine Kraft ausder Ausbeutung und Versklavung fremder Kulturenschöpfte und hinter sich Verderben und Finsterniszurückließ.

In einem titanischen Kampf, dem Kosmischen In-ferno, der viele Jahrtausende eurer Zeitrechnungtobte, gingen zahllose Rassen und Kulturen unteroder wurden verstreut. Schließlich setzten beide Sei-ten die Schwingen der Nacht ein. Als Folge davonversank der Kosmos in einem Meer aus Grauen undgeistiger Finsternis. Das war das Erste Weltende.

Die Macht des Varunja und des Rudraja wurde ge-brochen. Sie retteten den Rest ihrer geistigen Sub-stanz in Form psionischer Extrakte in einen Über-raum, von dem niemand weiß, wo er sich befindetund wie er zu erreichen ist.

Doch viele ihrer Helfer überdauerten das ErsteWeltende, wenn auch oft am Rande der Agonie. JedeSeite versucht seitdem, die Kräfte der Gegenseite zuschwächen und die eigenen Kräfte zu stärken, dennwenn die Kräfte einer Seite Überhand nehmen, wirddie Macht, der sie dienen, wieder im normalen Kos-mos materialisieren.

Sollte das das Rudraja sein, würde es das Ende derfriedlichen Evolution bedeuten. Darum kämpfen wir,die Erben des Varunja, mit allen unseren Kräften ge-gen die Erben des Rudraja, und wir fordern euch auf,ebenfalls für das Gute zu kämpfen und mitzuhelfen,die furchtbare Bedrohung abzuwenden.

Um das zu können, müßt ihr allerdings erst durchdas Tor des Vergessens zu eurer Heimatwelt zurück-kehren und zu Hütern des Guten werden. Aber dasTor des Vergessens ist nicht aktiviert, und es kann

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nur aktiviert werden, wenn die Dimensionsfessel, dievon den Erben des Rudraja in der Überlebensblaseinstalliert wurde, von euch gesprengt wird.«

Cliff merkte erst nach einiger Zeit, daß die Stimmeaufgehört hatte, zu »sprechen«. Sein Geist kehrte wienach einem bösen Traum in die Wirklichkeit zurück.

Ein Blick in die Gesichter seiner Freunde verrietihm, daß sie alle die Botschaft vernommen hatten.

»Rätselhaft, mysteriös und schockierend«, sagte er.»Das sind die Adjektive, die mir im Moment zu die-ser Botschaft einfallen. Versuchen wir, sie so zu inter-pretieren, daß wir etwas damit anfangen können!«

*

»Ich habe nur begriffen, daß wir zwischen die Fron-ten zweier kosmischer Kräfte geraten sind, die überungeahnte technische Möglichkeiten verfügen«, sagteHelga Legrelle.

»Ich fühle Erleichterung«, erklärte Hasso über dieBordverständigung. »Wenn die Raumkugel, zu derauch die inzwischen vernichtete Erde gehörte, nur ei-ne Modellschablone war, also etwas, das die soge-nannten Erben des Varunja in einen leeren Raumprojizierten, dann waren die Menschen dieser Erdeauch keine echten, fühlenden und denkenden Lebe-wesen, sondern ebenfalls nur Projektionen.«

»Phantome!« grollte Prac'h Glanskis. »Man hat unsPhantome vorgesetzt und ihnen nachjagen lassen.Wir haben das PROJEKT PERSEIDEN geplant, ent-wickelt und durchgeführt, weil man uns etwas vor-gegaukelt hat. Das nenne ich Betrug.«

»Wir dürfen nicht vorschnell urteilen«, sagte Mario

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de Monti. »Alle diese Phantome sollten doch, wennich es richtig verstanden habe, durch eine Rück-kopplungsschleife mit der Realität verbunden sein, sodaß alles, was in dieser Modellkugel von uns erreichtwürde, auch in der Realität verwirklicht worden wäre.«

»Immer vorausgesetzt, daß unsere ›Freunde‹ unsdiesmal die Wahrheit gesagt haben«, wandte CliffMcLane ein. »Wir haben doch nur Worte gehört, aberkeine Beweise gesehen. Das Kosmische Inferno, dieSchwingen der Nacht, das Erste Weltende – wer vonuns kann denn nachprüfen, ob diese Begriffe nichtnur Ausgeburten einer überreizten Phantasie sind.Und woher sollen wir wissen, daß die Erben des Va-runja das Gute wollen und die Erben des Rudraja dasBöse. Ebensogut kann es sich genau umgekehrt ver-halten.«

»Dagegen sprechen die Ereignisse in der Modell-projektion«, sagte Arlene. »Das Sternenschiff und dieErde sind nicht von den Erben des Varunja vernichtetworden, sondern von ihren Gegnern – und wir wur-den praktisch im letzten Augenblick von den Erbendes Varunja vor dem Tod bewahrt.«

»Ich denke, dieses haarspalterische Theoretisierenbringt uns nicht weiter«, warf Hasso Sigbjörnson ein.»Versuchen wir doch, uns an die Tatsachen zu halten.Ich weiß nicht, was das Tor des Vergessens ist, vondem die Stimme sprach, aber wenn wir in ihm eineMöglichkeit haben, endlich nach Hause zu kommen,dann sollten wir nicht zögern, sie zu ergreifen.«

Cliff beobachtete den Ingenieur und sah, daß Has-sos Augen unnatürlich glänzten.

Wie die Augen eines Kindes unterm Weihnachtsbaum,überlegte er.

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Im nächsten Moment erkannte er den Grund dafür– und den Grund, warum Hasso sich so sehr dafüreinsetzte, von dem Tor des Vergessens Gebrauch zumachen. Er war, im Unterschied zu den anderen Mit-gliedern des Teams, verheiratet. Auf der richtigenErde warteten Frau und Kinder auf ihn. Es war nurnatürlich, daß er nach jeder Möglichkeit griff, um sei-ne Familie wiederzusehen.

Cliff lächelte. »Einverstanden, Hasso. Ich plädiereebenfalls dafür, daß wir durch das Tor des Verges-sens gehen, sobald wir es gefunden haben. Aber dieStimme sagte auch, daß es nur aktiviert werdenkönnte, wenn die von den Erben des Rudraja in derÜberlebensblase installierte Dimensionsfessel ge-sprengt würde.

Das bringt uns zur Auswertung der bisherigenOrtungsergebnisse zurück. Ich nehme nämlich an,daß das wasserblaue Leuchten, das uns umgibt, mitder Überlebensblase identisch ist. Je früher wir mehrüber diese Überlebensblase wissen, desto eher kön-nen wir mit der Suche nach der Dimensionsfessel an-fangen. Ich habe nämlich keine Ahnung, was darun-ter zu verstehen ist.«

»Wahrscheinlich etwas, das die Überlebensblase ineiner fremden Dimension gefangenhält«, meinte Ma-rio. »Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann ichnatürlich auch nur raten.«

»Ein wahrhaft kosmisches Ratespiel«, sagte VlareMacCloudeen bitter. »Und ausgerechnet wir, die amwenigsten wissen, sollen das kosmische Rätsel lösen.«

Cliff zuckte mit den Schultern.»Uns bleibt nun einmal nichts erspart, Vlare. Mario,

wie weit bist du mit der ersten Auswertungsreihe?«

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»Fast fertig«, antwortete der Kybernetiker. »Viel-leicht noch zwei Minuten.«

Er arbeitete rund anderthalb Minuten lang mit äu-ßerster Konzentration, dann gab er das Ergebnis be-kannt.

»Wir schweben im Mittelpunkt einer Energieblase,deren Innenwandung genau zwölf Millionen Kilo-meter von uns entfernt ist und die demnach einenDurchmesser von vierundzwanzig Millionen Kilo-metern hat. Wie stark die Wandung ist, haben dieOrtungsinstrumente nicht vermessen können. Wie esaussieht, befindet sich in einer Tiefe von dreihundertKilometern eine reflektierende Zone.«

»Ist das alles?« fragte Hasso ungeduldig. »Irgend-wie muß sich doch die Dimensionsfessel in den Or-tungsergebnissen gezeigt haben, Mario.«

»Das sollte man annehmen«, erwiderte Mario. »Dastimme ich dir völlig zu. Aber die bisherigen Or-tungsergebnisse liefern nicht den geringsten Anhalts-punkt.«

»Dann müssen Atan und ich eben weitermachen«,sagte Cliff.

Mario nickte.»Etwas ist da allerdings noch«, erklärte er zögernd.

»Die ORION schwebt genau im Mittelpunkt derÜberlebensblase, obwohl ihre Triebwerke nicht ar-beiten und von der Energieblase keine gravitatori-schen Einflüsse ausgehen. Ich frage mich, was dasSchiff dann im genauen Mittelpunkt festhält.«

»Das frage ich mich jetzt auch«, bekannte Cliff.»Allerdings, wenn hier etwas wäre, müßte es sichdoch auch anmessen lassen, oder?«

»Manche Dinge sieht man erst nach der Entfer-

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nung«, meinte Atan Shubashi. »Wie schon das alteSprichwort sagt: Er sieht den Wald vor lauter Bäu-men nicht.«

Cliff lachte.»Dann wollen wir uns mal aus dem Wald entfer-

nen«, meinte er und kehrte zum Kommandopult zu-rück. »Hoffentlich werden wir nicht hier festgehal-ten«, fügte er besorgt hinzu.

Vorsichtig schaltete er die noch intakten Triebwer-ke hoch. Ein befreites Atmen ging durch die Crew, alsdas Schiff sich bereits mit einem Minimum an Ener-gieausstoß in Bewegung setzte. Leicht wie ein se-gelndes Blatt glitt es davon.

Und befand sich im nächsten Augenblick in völli-ger Dunkelheit.

»Was ist das?« schrie Helga erschrocken.Atan beugte sich über die Ortungsanzeigen.»Eine Dimensionsverwerfung«, erklärte er. »Sie

wurde nicht wirksam, solange das Schiff sich nichtbewegte. Ihre Ausstrahlung reichte aber offenbar aus,um die ORION in der Mitte der Energieblase zu hal-ten. Als sie sich bewegte, muß sie in eine Falte derDimensionsverwerfung gerutscht sein – bildlich aus-gedrückt.«

»Ich denke, das ist es, was wir finden wollten«,sagte Cliff nachdenklich. »Nur, wie sprengt man eineDimensionsfessel, in der man sich selbst befindet?«

»Mit viel Geduld«, erwiderte Mario lakonisch.

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7.

Sie hatten eine Serie von Experimenten durchgeführt,denen eine gründliche computergestützte Auswertunggefolgt war. Die einzelnen Auswertungsergebnisse wie-derum wurden einander gegenübergestellt, damit Wi-derspüche aufgedeckt und eliminiert werden konnten.

Nach vielen Stunden mühseliger und hartnäckigerArbeit schien festzustehen, daß ihre Chancen, deneinzigen Rückweg aus der Dimensionsverwerfung indie Überlebensblase zu finden, dem Verhältnis voneins zu einer Million entsprachen.

»Praktisch bedeutet das für uns das gleiche wie füreinen Käfer, der in eine Flasche gerutscht ist, die auf-recht steht«, sagte Mario de Monti.

»Es sei denn, dieser Käfer wäre stark genug, dieGlaswandung der Flasche zu zertrümmern«, meinteAtan Shubashi.

»Wir haben es mit dem Overkill-Projektor versucht;dabei sind uns die Fokussionsspulen restlos durchge-brannt«, entgegnete Mario. »Das geht also nicht.Ganz abgesehen davon, daß unser Overkill-Projektorunbrauchbar ist, da wir keinen Ersatz für die Fokus-sionsspulen besitzen.«

»Was ist mit einer Antimateriebombe?« fragte Vla-re MacCloudeen.

»Das würde vielleicht klappen, wenn wir eine hät-ten«, sagte Hasso.

»Haben wir«, erklärte MacCloudeen. »Cliff und ichhaben uns zwei AM-Bomben aus dem Waffenmagazindes Sternenschiffs geholt – vor drei Tagen. Wir beab-sichtigten, sie in einer Dunkelwolke zu zünden, um

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das Entstehen einer sogenannten Leidenfrost-Schichtzu beobachten.«

»Eine Leidenfrost-Schicht?« fragte Arlene. »Wasversteht man darunter?«

Cliff McLane lächelte.»Du kannst eine Leidenfrost-Schicht in einer ge-

wöhnlichen Küche erzeugen, wenn sie einen unmo-dernen Herd mit Heizplatten besitzt«, erklärte er.»Wenn du einen Wassertropfen in die Vertiefung inder Mitte der Kochplatte fallen läßt, die dazu aller-dings einige hundert Grad heiß sein muß, bildet sichzwischen ihm und der Platte eine Dampfschicht. Die-se Schicht hält den Tropfen von der Platte fern, so daßihre Hitze nur langsam auf den Wassertropfen über-tragen wird. Dadurch verdampft er nicht augenblick-lich, sondern hält sich ungefähr fünf Minuten lang inder Schwebe.

Das Phänomen wurde nach dem Arzt JohannGottlob Leidenfrost benannt, der es im achtzehntenJahrhundert untersuchte und erklärte. Prinzipiell dergleiche Effekt tritt auf, wenn ausreichende Mengenvon Materie und Antimaterie miteinander in Kontaktkommen. Dabei wird durch die explosionsartige Zer-strahlung von Protonen Energie erzeugt, die die bei-den Materiearten auseinandertreibt. Dadurch wirddie Zerstrahlung relativ langsam vor sich gehen undsich auf eine bestimmte Zone beschränken, die inAnlehnung an das Experiment mit dem Wassertrop-fen und der Kochplatte ebenfalls Leidenfrost-Schichtgenannt wird.«

»Ich verstehe«, erwiderte Arlene.»Und diese Antimaterie-Bomben sollen uns helfen,

den Käfig der Dimensionsverwerfung aufzubrechen.«

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»Und dabei vielleicht auch gleich die Dimensions-fessel selbst zu beseitigen«, ergänzte Cliff.

»Es gibt nur eine Schwierigkeit«, sagte Vlare Mac-Cloudeen. »Die AM-Bomben haben keinen Zünder.Sie brauchen keinen, denn sie enthalten kein Ambi-plasma, sondern ausschließlich Antimaterie. Deshalbgenügt es, sie im Zielgebiet aus dem Schiff zu stoßen,auf ausreichende Entfernung zu gehen und ihnen mitHilfe eines Energiestrahls die zur Reaktion benötigteMaterie zu injizieren.«

»Dann sehe ich die Schwierigkeit nicht«, warf Hel-ga ein.

»Die Schwierigkeit für uns und hier liegt darin, daßeine Bombe, wenn wir sie aus dem Schiff stoßen, inder nächsten Falte der Dimensionsverwerfung ver-schwinden wird, so daß wir sie mit keinem Energie-strahl erreichen«, sagte MacCloudeen. »Theoretischkönnten wir ihr natürlich einen so schwachen Ab-stoßimpuls geben, daß sie nicht bis zur nächsten Falteabtreibt. Allerdings würden wir dann die Explosionnicht überleben.«

»Wozu dann die ganze Diskussion über die Anti-materie-Bombe?« entrüstete sich Hasso Sigbjörnson.»Das war doch Zeitverschwendung. Denken wir lie-ber über Möglichkeiten nach, die sich auch realisierenlassen!«

»Beispielsweise über den Einsatz unseres Hype-rantriebs«, meinte Atan. »Wenn wir die Geschwin-digkeit des Lichtes überschreiten, kommen wir auto-matisch in eine andere Dimension – und damit viel-leicht aus unserer Dimensionsverwerfung heraus.«

»Es wäre einen Versuch wert«, sagte Mario deMonti.

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»Aber dabei ruinieren wir den Überlichtantriebendgültig«, erklärte Hasso.

»Was spielt das für eine Rolle, wenn er sowieso nichtmehr lange genug funktioniert, um mit seiner Hilfedie Erde zu erreichen?« wandte Helga Legrelle ein.

»Überhaupt keine«, sagte Cliff McLane. »Hasso,wir riskieren es. Viel können wir dabei nicht verlie-ren. Wenn wir nicht aus der Dimensionsverwerfungausbrechen, kommen wir nie nach Hause.«

»Das ist ein Argument, das zieht«, erwiderte Hassolächelnd. »Ich checke den Hyperantrieb vorhergründlich durch, damit er uns im entscheidendenAugenblick nicht im Stich läßt.«

»Und wir werden in der Zwischenzeit etwas es-sen«, sagte Cliff. »Mir ist nämlich vor Hunger schonganz flau im Magen.«

»Du sprichst eine große Wahrheit gelassen aus«,erwiderte Mario. »Jetzt wird mir auch klar, warumich mich die ganze Zeit so schlapp gefühlt habe.«

Arlene erhob sich.»Ich werde den Mikrowellenherd der Kombüse

anlassen und ein paar Fertigmenüs für uns garen«,verkündete sie. »Wer hilft mir dabei?«

»Ich«, sagte Cliff und erhob sich ebenfalls.»Du bist mir zuvorgekommen«, sagte Mario. »So

bleibt mir nur übrig, meinen guten Willen zu bekun-den.«

»Aber nicht doch«, erwiderte Cliff ironisch. »Ichwerde ein Opfer bringen und dir zuliebe zurücktre-ten. Hasso kann, so denke ich, meine Hilfe besser ge-brauchen als Arlene in der Kombüse. Ich hoffe, duwirst uns aus Dankbarkeit zwei fertige Menüs in denMaschinenraum bringen.«

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»Mit knirschenden Zähnen!« rief Mario und ver-schwand schnell in der Kombüse, während sich hin-ter ihm schadenfrohes Gelächter erhob.

Cliff McLane begab sich in den Maschinenraumund prüfte alle Funktionssysteme des Hyperantriebsdurch. Das Ergebnis war wie erwartet. Der Hyperan-trieb war durch den Kampf gegen den Gravitations-sog der Quasars und später durch die energetischeStoßwellenfront so stark in Mitleidenschaft gezogenworden, daß er höchstens noch einige Stunden langarbeiten würde. Für den vorgesehenen Zweck jedochmußte das genügen.

Als Mario mit den dampfenden Raumfahrer-Menüplatten erschien, waren Cliff und Hasso gerademit der Überprüfung fertig. Sie aßen heißhungrig,denn sie hatten ihre letzte Mahlzeit auf dem Bordfestim Sternenschiff eingenommen – und das lag einehalbe Ewigkeit zurück.

Die Gedanken an das Sternenschiff und ihreFreunde, die mit ihm vernichtet worden waren, fielwie ein Wermutstropfen in die beinahe heiter-gelösteAufbruchstimmung, die sich der Crew bemächtigthatte. Aber die Gedrücktheit wurde bald daraufdurch die Konzentration auf die Startvorbereitungenverdrängt. Jeder nahm seinen Platz ein. Cliff setztesich vor das Kommandopult, schaltete die Energieer-zeuger und -wandler behutsam hoch und stand dabeiständig mit Hasso in Sicht- und Sprechverbindung.

»Vorbereitungen abgeschlossen«, sagte er nach ei-niger Zeit.

»Alles klar«, erwiderte Hasso. »Bisher keine Stö-rungen aufgetreten.«

Aus alter Gewohnheit schaltete Cliff das automati-

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sche Countdownzählwerk ein. Die Gespräche ver-stummten, als die leicht verzerrt klingende mechanischeStimme die letzten zehn Sekunden herunterzählte.

Bei »null« drückte Cliff die Aktivierungsplatte desHyperantriebs herunter. Danach streckte er die Handsofort nach dem Desaktivierungsschalter aus, hielt sieaber wenige Millimeter darüber an.

Ein normaler Start »aus dem Stand« zum Hyper-raumflug wurde normalerweise nicht praktiziert,denn er verschlang so gut wie alle Energien für dasÜbergangsmanöver, so daß zum eigentlichen Hyper-raumflug keine Energie mehr blieb. In diesem Fallaber war kein echter Hyperraumflug beabsichtigt,sondern nur das Übergangsmanöver.

Dennoch hielt die Crew den Atem an, als die Be-leuchtung und alle anderen Lichtquellen erloschenund die Schiffszelle von harten Vibrationen geschüt-telt wurde. Die absolute Finsternis außerhalb derORION VIII blieb für den Bruchteil einer Sekunde,dann riß sie schlagartig auseinander. Auf den Bild-schirmen erschienen die vertrauten grauen Schleier.

Cliff drückte die Desaktivierungsplatte des Hype-rantriebs, und im gleichen Augenblick drang aus derzum Maschinenraum durchgeschalteten Bordver-ständigung ein dumpfer Knall.

Die grauen Schleier verschwanden von den Bild-schirmen. Das Schiff kreiselte langsam, als hätte eseinen Stoß bekommen. Draußen leuchtete wieder diewasserblaue Energieblase, aber die ORION VIII be-fand sich nicht mehr in ihrem Mittelpunkt, sondernirgendwo zwischen dem Mittelpunkt und der Innen-wandung der Überlebensblase.

Cliff warf jedoch nur einen kurzen Blick nach

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draußen, dann blickte er auf den Bildschirm derBordverständigung, auf dem eigentlich Hassos Ge-sicht hätte erscheinen müssen. Statt dessen waren nurRauchschwaden darauf zu sehen.

»Hasso!« rief Cliff.Das Gesicht des Maschineningenieurs tauchte auf

dem Bildschirm auf. Es war teilweise geschwärzt,und die Brauen schienen leicht angesengt zu sein.

Hasso Sigbjörnson hustete, dann erklärte er: »DerHyperantrieb ist endgültig über den Jordan gegan-gen. Wenn du eine halbe Sekunde später desaktivierthättest, wären wir jetzt allesamt kleine, brave Englein,Cliff.«

»Als rußgeschwärzter Teufel siehst du auch ganzattraktiv aus, Hasso«, bemerkte Helga.

Hasso grinste. »Danke für das Kompliment, Helga-Mädchen. Dafür spendiere ich dir einen Drink, wennwir erst wieder auf der guten alten Erde sind.«

»Wenn ...!« sagte Cliff sorgenvoll und blickte zuder Stelle, an der sich die Dimensionsverwerfung undwahrscheinlich auch die Dimensionsfessel befand. Zusehen war nichts, aber das hatte er auch nicht erwar-tet. »Hoffen wir, daß wir diese Nuß von außen knak-ken können.«

Er brauchte nicht auszusprechen, daß ihre Chan-cen, die Erde zu erreichen, gleich Null sein würden,wenn es mißlang, denn das wußte jeder hier.

*

Vlare MacCloudeen und Prac'h Glanskis übernahmendie Aufgabe, eine der beiden Antimaterie-Bombenabschußklar zu machen.

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Sie entfernten dazu die Fusionsladung aus dem Ge-fechtskopf eines Raumtorpedos und bauten an ihrerStelle die AM-Bombe ein. Danach nahm MacCloude-en Manipulationen am Triebwerk vor, die bewirkten,daß der Raumtorpedo nur mäßig beschleunigt wer-den konnte.

Nach zwei Stunden kehrten die beiden in die Steu-erzentrale zurück.

»Alles klar!« meldete Vlare. »Ich denke, es kommtjetzt darauf an, die Bombe durch Energiebeschuß zurExplosion zu bringen, bevor sie in der Dimensions-verwerfung verschwindet. Sie darf aber auch nichtgezündet werden, bevor sie die Dimensionsverwer-fung erreicht hat.«

Mario de Monti erhob sich von seinem Platz, um inden Werferstand zu gehen.

»Ich werde die Lichtkanone bedienen. Wer über-nimmt die Steuerung des Torpedos?«

»Ich«, sagte Cliff mit belegter Stimme. Er war sichklar darüber, daß Können allein nicht ausreichen wür-de, die Bombe im genau richtigen Zeitpunkt durchBeschuß zur Reaktion zu bringen. Wenn nicht eine ge-hörige Portion Glück dazukam, verschwand die Bom-be entweder auf Nimmerwiedersehen oder konntedie Struktur der Dimensionsfessel nicht erschüttern.

Mario de Monti verließ die Zentrale und meldetesich kurz darauf über die Bordverständigung ausdem Werferstand. Seinem angespannten Gesicht waranzusehen, daß er die Schwierigkeiten genau kannte.

»Abschußrohr eins ausgerichtet!« meldete er. »Zielrechnungstechnisch erfaßt und fixiert. Impulssteue-rung überprüft und in Ordnung befunden.«

Cliff McLane warf einen Blick auf den Bildschirm

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der Bordverständigung, dann konzentrierte er sichauf den Zielerfassungschirm. Auch er konnte das Zielnur rechnungstechnisch erfassen, das hieß, durch eineortungstechnische und rechnerische Ermittlung desMittelpunkts der Überlebensblase, denn die Dimensi-onsfessel selbst entzog sich jeder Beobachtung.

»Zielpunkt fixiert«, erwiderte er. »Objektverfol-gung steht. Torpedo los!«

»Torpedo läuft!« gab Mario bekannt.Cliff blickte kurz auf und konnte den Raumtorpedo

infolge seiner gemächlichen Fahrt deutlich auf einemBildschirm erkennen. Danach widmete der Kom-mandant seine Aufmerksamkeit ausschließlich demZielerfassungsschirm und der mit ihm gekoppeltenObjektverfolgung. Seine rechte Hand kroch langsamüber das Kommandopult auf den Auslöser für dieLichtkanone zu. Sobald der Ortungsreflex der Ob-jektverfolgung den elektronisch auf dem Schirmmarkierten Zielbereich erreichte, mußte der licht-schnelle Energiestrahl ausgelöst werden.

Keine Millisekunde zu früh oder zu spät!Die Frage war nur: Wann war es noch zu früh –

und wann war es schon zu spät? Niemand konntediese Frage beantworten. Erst das Ergebnis des Ver-suchs würde eine Antwort liefern.

In der Steuerzentrale wurde es so still, daß sich Be-klemmung ausbreitete. Cliff spürte nichts davon. Erfieberte vor Aufregung. Aber in den letzten, den ent-scheidenden Sekunden wurde er von eiskalter Ruheergriffen. Es gab für ihn im ganzen Universum nurnoch diesen einen Ortungsreflex und die Zielbe-reichmarkierung, zwischen denen die Entfernungmehr und mehr schrumpfte.

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Und dann war es soweit! Die beiden Anzeigen ver-schmolzen miteinander.

Cliff unterdrückte den Impuls, lieber zu früh als zuspät auszulösen. Im letzten Moment entschied er sichintuitiv für eine Millisekunde Verzögerung – und hättebeinahe noch länger gezögert. Aber das durfte ernicht, deshalb drückte er endlich doch den Auslöser.

Im Mittelpunkt der Energieblase entstand schlag-artig eine ultrahell wabernde Sonne, fiel ein Stück insich zusammen, strahlte, sich noch weiter aufblähend,erneut grell auf und verblaßte schließlich, bis nichtsmehr von ihr zu sehen war.

Niemand sagte etwas, bis Cliff endlich selber dasbedrückende Schweigen brach.

»Kontrolliere bitte die Ortungsaufzeichnungen,Atan!« bat er. »Wir müssen ganz genau wissen, wor-an wir sind.«

»Das klingt, als wüßtest du es schon, Cliff«, sagteArlene.

»Ich ahne etwas, aber das nützt uns nichts«, erwi-derte Cliff. »Die Ortungsinstrumente arbeiten viel-fach genauer als das menschliche Auge. Und außer-dem unbestechlich.«

Schweigend spielte Atan Shubashi die Ortungsauf-zeichnungen über den Flug des Raumtorpedos undden Energiebeschuß ab, dann erklärte er resignierend:»Das Ergebnis ist eindeutig, Cliff. Du hast den Ener-giestrahl erst ausgelöst, als die Bombe eigentlichschon in der Dimensionsverwerfung hätte ver-schwunden sein müssen. Das bedeutet, daß sie nie-mals in die Verwerfung eingedrungen wäre.«

»Aber warum nicht?« warf Mario über die Bord-verständigung ein.

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»Möglicherweise muß ein Objekt eine bestimmteMindestmasse besitzen, um von der Dimensionsver-werfung geschluckt zu werden«, erwiderte Atan.

»Oder eine bestimmte Geschwindigkeit«, meinteHasso. »Die ORION ist schließlich auch erst von derVerwerfung geschluckt worden, als sie beschleunig-te.«

Mario de Monti kehrte aus dem Werferstand zu-rück und ging zu den Computerkontrollen.

»Ich werde beide Möglichkeiten durchspielen las-sen«, erklärte er. »Dazu brauche ich die Werte, mitdenen die ORION beschleunigte, bevor sie von derVerwerfung eingefangen wurde. Würdest du sie mireinmal überspielen, Cliff?«

Cliff nickte und rückte die entsprechenden Tastenan seinem Pult.

»Ich ahnte etwas, deshalb habe ich gezögert, denEnergiestrahl auszulösen«, sagte er.

»Dadurch wissen wir wenigstens, daß die Bombeniemals in die Verwerfung eingetaucht wäre«, meinteGlanskis. »Hättest du rechtzeitig ausgelöst, müßtenwir annehmen, der Beschuß wäre vielleicht doch et-was früh erfolgt.«

»Eine Antimaterie-Bombe haben wir noch«, warfArlene ein.

»Ja, aber nur eine«, erwiderte Cliff. »Wenn wir sieebenfalls nutzlos verpulvern, können wir unsereHoffnungen auf eine Heimkehr begraben. Dann wer-den wir in der Überlebensblase sterben, sobald unse-re Vorräte aufgebraucht sind.«

»Verflixt!« rief Mario. »Das ist zum ...!«»Was ist los?« erkundigte sich Cliff.»Ich habe alle Möglichkeiten durchgespielt«, be-

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richtete der Kybernetiker erbittert. »Masse und Ge-schwindigkeit müssen anscheinend in einem be-stimmten Verhältnis zueinander stehen, um ein Ob-jekt in die Dimensionsverwerfung zu bringen. Je klei-ner die Masse ursprünglich ist, desto größer muß ihreEndgeschwindigkeit sein.«

»Aber das läßt sich doch bewerkstelligen«, sagteHelga.

»Das wußte schon der alte Einstein«, erwiderte Ma-rio. »In unserem Fall müßten wir einen Raumtorpedobis dicht an die Lichtgeschwindigkeit bringen. Da-durch würde seine effektive Masse groß genug wer-den, um von der Verwerfung eingefangen zu wer-den.«

»Wenn wir uns bis an die Innenwandung derEnergieblase zurückziehen, dürfte die Entfernung biszur Mitte ausreichen, um einen Raumtorpedo auf an-nähernd Lichtgeschwindigkeit zu bringen«, erklärteVlare MacCloudeen.

»Ja«, gab Mario de Monti zurück. »Nur wäre erdann einfach zu schnell, als daß sich noch der exaktrichtige Zeitpunkt zur Zündung abpassen ließe. Die-ser Weg ist nicht gangbar.«

»Dann müssen wir uns eben etwas anderes einfal-len lassen«, sagte Cliff. »Wir dürfen nur die Geduldnicht verlieren.«

Er nickte Arlene beruhigend zu – und dann er-starrte er, wie schon einmal, als die lautlose Stimmesich abermals meldete und ihn in ihren Bann zog.

»Die Zeit drängt!« raunte sie. »Ihr müßt entschlos-sen handeln – und vor allem schnell, sonst kommt ihrzu spät. Solange die Dimensionsfessel existiert, wirktein von ihr ausgehender temporärer Nebeneffekt auf

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alles ein, was sich innerhalb der Überlebensblase be-findet. Und während die Zeit verrinnt, arbeitet sie fürdie Erben des Rudraja.«

Der Bann erlosch.Um Cliffs Mundwinkel bildeten sich Falten der

Bitterkeit.»Ihr habt gut reden!« sagte er. »Wie schnell han-

deln, wenn wir nicht wissen, was wir tun sollen!«»Dieser temporäre Nebeneffekt, was mag damit

gemeint sein?« fragte Vlare MacCloudeen.Cliff McLane blickte sich um und sah verbissene

Gesichter, Gesichter, deren Besitzer sich vor einer Er-kenntnis verschlossen, die sie wahrscheinlich nichtverkraften würden.

Und auch Cliff brachte nicht den Mut auf, auszu-sprechen, was ihm auf der Zunge lag. Er versuchte,die schreckliche Ahnung zu verdrängen.

»Es spielt alles keine Rolle für uns, solange wir kei-ne sichere Möglichkeit gefunden haben, die Dimensi-onsfessel zu sprengen«, erklärte er schroff. »Mario,wir können vorläufig nur eines tun: immer neueMöglichkeiten suchen und durchspielen lassen, biswir endlich einen Weg finden.«

Vlare MacCloudeen erhob sich und wechselte ei-nen bedeutungsvollen Blick mit Glanskis, dannwandte er sich an Cliff und sagte: »Wir werden in-zwischen die zweite AM-Bombe in einen Raumtor-pedo bauen, damit alles fertig ist, sobald ihr eineMöglichkeit gefunden habt.«

»Einverstanden«, erwiderte Cliff.Er blickte dem Pionierchef des Sternenschiffs und

dem Raguer noch nach, als sie die Steuerzentrale be-reits verlassen hatten. Etwas an MacCloudeen war

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ihm eigenartig vorgekommen. Vlare hatte ihn somerkwürdig angesehen.

Cliff gab sich einen Ruck.In ihrer Lage war es nicht verwunderlich, wenn

jemand merkwürdig dreinschaute.»Fangen wir an, Mario!« sagte er.

*

Als Vlare MacCloudeen und Prac'h Glanskis in derAusrüstungskammer ankamen, überzeugte sich derPionierchef zuerst davon, daß die Bordverständi-gungsanlage desaktiviert war.

Der Raguer beobachtete ihn aufmerksam.»Du hast nicht das vor, was du Cliff sagtest, Vlare«,

stellte er fest.MacCloudeen nickte und befeuchtete seine trocke-

nen Lippen mit der Zungenspitze.»Stimmt, Prac'h«, antwortete er mit spröder Stim-

me. »Ich sehe nur eine einzige Möglichkeit, die Di-mensionsfessel zu sprengen. Die letzte AM-Bombemuß erst in die Dimensionsverwerfung gebracht unddann gezündet werden. Anders läßt sich ein Erfolgnicht garantieren.«

»Das ist aber nur möglich, wenn die Bombe mit ei-nem Schiff in die Verwerfung gebracht wird«, wandteGlanskis ein. »Beispielsweise mit der ORION.«

»Das wäre sinnlos«, erklärte Vlare. »Der Hyperan-trieb ist beim Ausbruch aus der Dimensionsfesselrestlos ruiniert worden. Die ORION könnte also nie-mals zurückkehren – jedenfalls nicht, solange dieDimensionsfessel noch besteht. Aber wahrscheinlichwürde das Schiff mitvernichtet, wenn die Bombe ex-

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plodiert und das Gefüge der Dimensionsfessel zer-stört. Dann könnte niemand zur Erde zurückkehren.«

»Das sehe ich ein«, meinte Glanskis bedrückt.»Wenn die Warnung der Stimme vor den Erben desRudraja berechtigt ist, muß die Crew aber zur Erdezurückkehren, sonst wäre alles vergeblich gewesen.Ich nehme an, du denkst an eine LANCET. Mit einemBeiboot ließe sich die Bombe ebenfalls in die Verwer-fung bringen – nur mit dem Unterschied, daß da-durch weder die ORION noch die Crew gefährdetwürde. Also werden wir mit der Bombe und einerLANCET starten. Aber Cliff würde das niemals zu-lassen.«

»Daran habe ich schon gedacht«, erwiderte Mac-Cloudeen. »Schon, bevor Mario die erste Bombe aufden Weg schickte. Ich habe die Zentralverriegelungder Hangarschleusen ausgeschaltet, so daß die LAN-CET sich durch die bordeigenen Fernsteueranlagenausschleusen kann. Aber ich werde allein starten,Prac'h. Es ist nicht nötig, daß wir beide unser Lebenaufs Spiel setzen.«

Der Raguer schüttelte seinen raubtierhaften Schä-del. »Einer allein hat überhaupt keine Chance, Vlare.Wir beide zusammen aber finden vielleicht einenWeg, wie wir innerhalb der Dimensionsverwerfungdie LANCET so manövrieren können, daß sie ausdem Wirkungsbereich der Explosion kommt.«

Vlare MacCloudeen zögerte. »Mit großer Wahr-scheinlichkeit würden wir beide sterben, Prac'h.«

»Aber nicht mit Sicherheit«, entgegnete Glanskishartnäckig. »Wenn ich dich allein gehen ließe, würdeich mir hinterher immer vorwerfen, daß du vielleichtnoch leben könntest, wenn ich mitgekommen wäre.

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Nein, Vlare, mein Entschluß steht fest. Entweder wirbeide oder keiner.«

»Dann kann ich wohl nichts machen«, sagte Vlare.»Also, einverstanden – und danke, Prac'h.«

Der Raguer nahm den Behälter, in dem die Anti-materiebombe lag, und verließ die Ausrüstungs-kammer. MacCloudeen folgte ihm. Als sie denSchleusenhangar der LANCET eins betraten, strichder Pionierchef mit den Fingern über die Hangar-wand, als wollte er Abschied nehmen von derORION VIII.

Bis zur Herstellung der Startbereitschaft wechsel-ten beide kein Wort. Sie wurden von der Furcht zurEile angetrieben, ihr Plan könnte entdeckt und verei-telt werden. Waren sie erst einmal außerhalb derORION, bestand diese Gefahr nicht mehr. Jedenfallskonnten sie dann nicht mehr aufgehalten werden.

Vlare MacCloudeen holte tief Luft, bevor er dieFernsteuerung für den Ausschleusungsvorgang akti-vierte. Falls in der Steuerzentrale jemand entdeckthatte, daß die Zentralverriegelung ausgeschaltet war,würde er sie auch ohne konkreten Verdacht wiedereingeschaltet haben.

Langsam hob die LANCET ab und stieg durch dieHangaröffnung in der Oberseite der ORION VIII. Siehatte die Bordöffnung kaum passiert, als das Bordra-dio sich mit einer Reihe von Summtönen und demFlackern einer roten Leuchtscheibe bemerkbar machte.

»Sie haben etwas gemerkt«, sagte der Raguer.MacCloudeen nickte. »Natürlich haben sie etwas

gemerkt, denn die Kontrollen leuchten rot auf, wenneine Schleuse geöffnet wird. Aber sie können unsnicht mehr hindern.«

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Die LANCET war inzwischen ganz aus der Schleu-se geschwebt. Sie stieg schneller, als Vlare in derKanzel den Fahrthebel ein Stück vorschob. DasSummen und Flackern des Bordradios hielt unver-mindert an.

»Sollten wir uns nicht melden?« fragte Glanskis.»Lieber noch nicht«, erwiderte Vlare MacCloudeen.

»Erst möchte ich die LANCET im Mittelpunkt derEnergieblase plaziert haben.«

Er schob den Fahrthebel weiter vor. Die LANCETbeschleunigte stärker. Der Raguer schaltete die Or-tungssysteme ein, tippte ein paar Daten in den klei-nen Digitalrechner des Beiboots und las danach lautdie Korrekturdaten ab, nach denen MacCloudeen denKurs der LANCET so ändern konnte, daß sie ihr Zielnicht verfehlte.

Als Prac'h Glanskis sich umwandte und durch dieaufgewölbten Panzerglasscheiben der LANCETblickte, stellte er fest, daß in den Düsenöffnungen derORION VIII helle Glut waberte.

»Sie wollen uns verfolgen, Vlare«, sagte er.MacCloudeen lächelte. »Aber sie holen uns nicht

mehr ein. Ich dachte mir, daß sie uns den Weg zuversperren versuchen, sobald sie unsere Absichtdurchschauen. Deshalb habe ich mich nicht gemeldetund ihnen vorzeitig verraten, was wir beabsichtigen.«

Er beschleunigte noch etwas stärker. Auf volle Be-schleunigung durfte er allerdings nicht gehen, sonst hät-te er die LANCET nicht im Zielgebiet stoppen kön-nen. Das galt genauso für die ORION VIII. Dennochbeschleunigte das Mutterschiff stärker. Es raste dichtüber die LANCET hinweg, bremste dann mit Vollschubab und versuchte, sich vor das Beiboot zu setzen.

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Für einige Sekunden sah es so aus, als würde dasManöver gelingen. Doch dann erreichte die LANCETden Zielpunkt – und die ORION VIII kam erst zirkadreißig Kilometer weiter zum Stehen.

Vlare MacCloudeen schaltete das Bordradio ein.Auf dem Bildschirm tauchten die Gesichter von Hel-ga Legrelle und Cliff McLane auf.

»Kommt sofort zurück!« sagte Cliff zornig und be-sorgt zugleich. »Ich kann mir denken, was ihr vor-habt. Aber das ist Wahnsinn.«

»Die ORION und ihre Crew müssen die Erde errei-chen – und zwar bald«, erwiderte Vlare. »Prac'h undich werden die letzte AM-Bombe innerhalb der Ver-werfung zünden. Wir hoffen, daß dadurch die Di-mensionsfessel gesprengt wird.«

»Die LANCET hat kein Hypertriebwerk, mit demsie die Dimensionsverwerfung verlassen könnte«,entgegnete Cliff. »Ich lasse nicht zu, daß ihr euch ab-sichtlich opfert. Kommt sofort zurück! Das ist ein Be-fehl!«

»Es hat keinen Zweck, uns umstimmen zu wollen,Cliff«, sagte der Raguer. »Wenn Vlare und ich nichtsriskieren, sind wir alle verloren – und niemandkönnte die Erde vor der Gefahr warnen, von der dielautlose Stimme berichtete. Aber wir sind nicht ganzohne Chance. Wenn die LANCET die Explosion über-steht und die Dimensionsverwerfung verschwindet,kehren wir automatisch in den Normalraum zurück.Wenn nicht, grüßt die Erde von uns.«

»Eure Chance ist verschwindend gering!« rief CliffMcLane. »Seit vernünftig! Wir werden schon eineMöglichkeit finden, die Dimensionsfessel zu spren-gen, ohne daß jemand sich opfert.«

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»Du weißt, daß es nur eine Möglichkeit gibt, undzwar die, die Prac'h und ich wahrnehmen werden«,erwiderte MacCloudeen. »Sollten wir beide umkom-men, so sterben wir für eine gute Sache, was gewißnicht jeder Mensch von sich behaupten kann. AufWiedersehen, Freunde – oder lebt wohl und grüßt dieErde von uns!«

Vlare schaltete das Bordradio ab und beschleunigteerneut. Die LANCET nahm Fahrt auf, wie einige Zeitvorher die ORION VIII – und befand sich plötzlichebenso in völliger Dunkelheit.

»Geschafft!« sagte MacCloudeen. »Jetzt müssen wirnur noch die Bombe präparieren. Ausstoßen und miteinem Energiestrahl zünden, können wir sie nicht;wir würden sie sofort nach dem Ausstoßen verlierenund nicht wiederfinden.«

»Wie sollen wir dann überhaupt eine explosive Re-aktion hervorrufen?« fragte der Raguer.

»Wir brauchen nur die reaktionsneutrale Hülle derBombe aufzusprengen«, erläuterte Vlare. »Das austre-tende Antiplasma wird sich dann mit dem Normal-plasma vermischen, das überall im Weltraum vor-handen ist, also auch innerhalb der Verwerfung. Eineexplosive Reaktion ist dann nicht mehr aufzuhalten.«

Er holte eine flache Sprengladung aus einer Beinta-sche seiner Kombination und befestigte sie, da die re-aktionsneutrale Hülle der Bombe absolut amagne-tisch war, mit Klebeband an der Bombe. Danachstellte er den Zeitzünder auf eine Laufzeit von zehnMinuten ein.

»Das genügt«, erklärte er. »Wenn wir innerhalbvon zehn Minuten nicht weit genug wegkommen,schaffen wir es auch in einer größeren Zeitspanne

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nicht. In dem Fall möchte ich nicht allzulange auf dasEnde warten.«

Prac'h Glanskis sagte nichts dazu. Er war in Ge-danken versunken. Seinem Gesicht konnte Vlarenicht ansehen, welche Gedanken den Raguer beweg-ten. Vielleicht ließ er die Erinnerungen an sein be-wegtes Leben an seinem geistigen Auge vorbeiziehen;vielleicht aber bereitete er sich durch eine meditativeÜbung auf den Tod vor.

MacCloudeen begab sich in die Luftschleuse derLANCET. Dort schob er die Bombe in ein Ausstoß-rohr, nachdem er den Zeitzünder aktiviert hatte. Alser die innere Öffnung schloß, wurde die Ausstoßröhrevon einer Pumpe unter Überdruck gesetzt, dann öff-nete sich der äußere Verschluß. Zusammen mit einemSchwall Luft wurde die Bombe hinauskatapultiert.

Der Pionierchef blickte auf seinen Armbandchro-nographen, dann preßte er die Lippen zusammenund eilte in die Steuerkanzel zurück.

»Noch zehn Minuten!« rief er dem Raguer zu. »Gibmir die Ortungsdaten laufend durch, Prac'h. Ich willversuchen, etwas mit ihnen anzufangen und dieLANCET aus dem Wirkungsbereich der Explosion zubringen.«

Glanskis registrierte sehr wohl die Panik in Mac-Cloudeens Stimme. Doch er tat so, als hätte er nichtsgemerkt, denn auch ihm war es nicht gleichgültig, obsie überlebten oder nicht. Mit betont sachlicher Stim-me las er die Ortungsdaten von den entsprechendenAnzeigen ab.

Allerdings waren es keine Ortungsdaten, wie siefür Manöver im normalen Kontinuum gebrauchtwurden. Das hatten schon die Messungen von Bord

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der ORION VIII ergeben, als sie sich selbst in der Di-mensionsverwerfung befunden hatte. Entsprechendmußte Vlare MacCloudeen umzudenken versuchen,mußte die Daten in der Hoffnung interpretieren, daßsie ihm Anhaltspunkte für die tatsächlichen Bewe-gungen der LANCET lieferten – und zwar in Bezie-hung zu den komplizierten räumlichen Verhältnissender Verwerfung.

Allmählich beruhigte sich der Pionierchef wieder.Er unterdrückte die Gedanken an die Gefahr unddaran, daß die Flugmanöver sie vielleicht im Kreisherumführten, entsprechend dem verschlungen ge-krümmten Raum innerhalb der Verwerfung, bei demeine Sekunde Flugzeit eine zurückgelegte Entfernungvon vielleicht tausend Kilometern bedeutete und an-dererseits eine ganze Stunde Flugzeit die LANCETnicht einen Zentimeter vom Fleck bringen mochte.

Als er wieder auf seinen Armbandchronometerschaute, sah er, daß ihnen nur noch knapp eine Mi-nute blieb.

»Bald werden wir es wissen«, sagte er, erkannteseinen Denkfehler und korrigierte sich. »Oder auchnicht, nämlich, dann, wenn es schiefgeht. Für alleFälle danke ich dir für alles, Prac'h.«

»Du warst ein guter Freund«, erwiderte der Raguererstaunlich leise.

Vlare MacCloudeen versuchte ein zuversichtlichesLächeln – und mitten in diesem Lächeln brandete deralles vernichtende Glutsturm der Materie-Antimaterie-Explosion auf ...

*

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In der Steuerzentrale der ORION VIII schlugen dieFrauen und Männer der Crew geblendet die Händevor die Augen.

Vom Mittelpunkt der Überlebensblase aus zucktenultrahelle Blitze nach allen Seiten. Sie schienen denInnenraum der Energieblase zerreißen zu wollen –und waren offenbar doch nicht mehr als materielosePhantome, denn die ORION VIII wurde von mehre-ren Blitzen durchschlagen, ohne Schäden davonzu-tragen.

Der ganze Vorgang dauerte nicht länger als einpaar Sekunden, dann trat Ruhe ein. Nur die wasser-blaue energetische Hülle der Überlebensblase verän-derte sich. Sie pulsierte – zuerst kaum merklich, dannimmer stärker. Zugleich setzte in ihr ein rasch wech-selndes Farbenspiel ein.

»Die Dimensionsfessel ist gesprengt«, flüsterte Ar-lene.

»Ich nehme es jedenfalls an«, sagte Mario de Monti.»Und was ist aus Vlare und Prac'h geworden?«

fragte Helga.»Wir werden nach ihnen suchen«, erklärte Cliff

McLane. Er beschleunigte die ORION VIII mit gerin-gen Werten und steuerte sie in Richtung auf denMittelpunkt der Energieblase. »Atan, versuche alles,um Echos hereinzuholen!«

»Ich bin schon dabei, Cliff«, erwiderte Atan Shu-bashi. Sein Gesicht verriet allerdings, daß er die Su-che nach Prac'h und Vlare für aussichtslos hielt.Wenn die LANCET noch existierte, hätte sie längstvon den Ortungsgeräten erfaßt werden müssen.

Langsam ließ Cliff das Schiff einen Kreis um dieStelle beschreiben, wo sich der Eingang, der Schlund

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zur Dimensionsverwerfung befunden hatte. Cliffwußte ebenfalls, daß die Ortungsinstrumente ein sogroßes Objekt wie eine LANCET längst erfaßt habenmußten; dennoch suchte er die Umgebung derORION aufmerksam mit ein eigenen Augen ab.

Hasso Sigbjörnson räusperte sich.»Machen wir uns nichts vor«, sagte er. »Vlare und

Prac'h hatten nur eine verschwindend geringe Chan-ce – und sie wußten es. Sie sind mit offenen Augen inden Tod gegangen, damit wir zur Erde zurückkehrenund die Menschheit warnen können. Wir können ihreSelbstaufopferung nur würdigen, wenn wir die Gele-genheit zur Heimkehr nutzen, solange sie besteht.«

»Ich weiß«, erwiderte Cliff düster. »Dennoch war-ten wir noch. Vielleicht hat sich die Dimensionsver-werfung nicht sofort vollständig aufgelöst. In diesemFall könnten unsere Freunde noch nach einiger Zeitwieder zum Vorschein kommen.«

»Außerdem – wo bleibt dieses ominöse Tor desVergessens?« fragte Arlene.

Mario deutete nach draußen, wo sich die Strukturder Überlebensblase allmählich veränderte. An zweiSeiten schien sie an Dichte zu verlieren. Dort wirktedas Farbenspiel blaß. Dafür verstärkte sich das farbi-ge Leuchten an den übrigen Stellen der Energieblase.

»Vielleicht formt sich die Energieblase zu dem um,was die lautlose Stimme das Tor des Vergessensnannte«, sagte der Kybernetiker.

»Warum eigentlich Tor des Vergessens?« warf Hel-ga Legrelle ein. »Ich hoffe doch nicht, daß wir, wennwir durch das Tor gehen, alles vergessen, was wir biszu diesem Zeitpunkt erlebt und erfahren haben.«

»Das wäre unlogisch, denn dann könnten wir die

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Menschheit nicht warnen«, meinte Hasso. »Dennochbereitet mir diese Bezeichnung ebenfalls Unbehagen.«

Atan blickte von den Ortungszahlen auf undschüttelte betrübt den Kopf.

»Absolut nichts«, erklärte er. »Cliff, ich schlage vor,wir schicken eine Telemetriesonde zum Mittelpunktder Energieblase. Möglicherweise kommt es dabei zueiner Reaktion, die uns etwas darüber sagt, ob sichein Rest der Verwerfung erhalten hat. In diesem Fallekönnte die LANCET noch festsitzen.«

»Einverstanden«, sagte Cliff und nickte Mario zu.Der Kybernetiker programmierte eine der mitge-

führten Telemetriesonden über den Computer, wäh-rend Cliff das Schiff zur Innenwandung der Überle-bensblase steuerte. Die Strukturen der Energiehülleveränderten sich weiter, und als die ORION VIII ihrePosition dicht vor der Innenwand eingenommenhatte, waren durch die verdünnten Stellen einigeLichtpunkte zu sehen.

»Die Sterne!« entfuhr es Atan.»Siehst du bekannte Konstellationen?« erkundigte

sich Cliff.»Keine einzige«, antwortete der Astrogator. »Wir

befinden uns in einem Teil des Universums, den nochnie ein von Menschen erbautes Schiff durchquert hat.«

»Sonde fertig zum Abschuß!« meldete Mario deMonti. »Ich habe ihr Triebwerk so programmiert, daßsie in der Nähe des Mittelpunkts annähernd aufLichtgeschwindigkeit kommt. Sollte noch eine Di-mensionsverwerfung existieren, müßte sie eingefan-gen werden und damit für uns verschwinden.«

»In Ordnung«, sagte Cliff McLane. »Drückt alle dieDaumen, daß es so kommt, Freunde!«

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»Abschuß!« rief Mario.Cliff blickte durch einen Bildschirm nach draußen.

Er sah das kreisförmige grelle Leuchten am Heck derTelemetriesonde und verfolgte es mit den Augen, bises zu weit entfernt war, um noch von ihm gesehen zuwerden.

Danach erhob er sich und trat neben Atan, um dieOrtungsanzeigen zu verfolgen.

Der Ortungsreflex der Sonde huschte mit zuneh-mender Geschwindigkeit über den Hauptortungs-schirm. Er schrumpfte dabei immer mehr zusammen,leuchtete dafür aber desto intensiver, je näher sich dieSonde der Lichtgeschwindigkeit näherte.

Als der Reflexpunkt die Zielmarkierung erreichte,hielt Cliff unwillkürlich den Atem an. Im nächstenAugenblick sackten seine Schultern nach unten.

»Die Sonde ist genau durch das Zielgebiet geflogen– und fliegt weiter«, sagte er mit müder Stimme. »Wirmüssen uns damit abfinden, daß Vlare und Prac'hden Tod fanden, als sie weitaus mehr als das erfüll-ten, was man Pflicht nennt. Sorgen wir dafür, daß dieMenschheit ihre Namen nie vergißt. Mehr könnenwir leider nicht tun.«

Er kehrte an seinen Platz zurück und blickte eineWeile vor sich hin, ohne wirklich etwas zu sehen. Inder Steuerzentrale herrschte eine unnatürliche Stille,die nach einiger Zeit von einem Schluchzen durch-drungen wurde.

Als Cliff McLane aufsah, stellte er fest, daß Arleneweinte. Er wollte sie trösten, doch die Kehle war ihmwie zugeschnürt. Der Tod der beiden Freunde hatteauch ihn tief erschüttert.

Plötzlich brach abermals die lautlose Stimme über

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ihn herein – und über die anderen Mitglieder derCrew.

»Das Tor des Vergessens ist geöffnet!« rief dieStimme in den Gehirnen der Menschen. »Geht hin-durch, bevor es zu spät ist! Die Mächte der Finsternisballen sich wieder zusammen. Sie sind allgegenwär-tig. Aber die Mächte des Lichtes werden euch be-schützen – wenn ihr bereit seid, dem Bösen mutig ge-genüberzutreten. Sehr vieles von dem, was ihr inner-halb der Modellschablone erlebt und erfahren habt,werdet ihr vergessen, aber nicht den Inhalt dieserletzten Ermahnung.«

Als die Stimme verstummt und auch ihr Nachhallin Cliffs Gehirn verklungen war, hob der Commanderden Kopf und schaute nach draußen.

Die Energieblase hatte sich grundlegend verändert.Sie war keine sphärische Blase mehr, sondern ein gi-gantischer, in allen Farben des Spektrums funkelnderund schillernder Kreisring, der etwas einschloß, daswie ein Strudel aus Finsternis aussah.

»Das also ist das Tor des Vergessens«, sagte AtanShubashi fast andächtig.

»Und wir sollen tatsächlich so gut wie alles verges-sen, was wir in der Raumkugel erlebten, in die PRO-JEKT PERSEIDEN uns führte?« warf Hasso Sigbjörn-son ein.

»Ein geringer Preis, wenn wir dafür die Gelegen-heit bekommen, die Menschheit zu warnen«, erwi-derte Mario de Monti.

Cliff nickte. »Da uns nichts anderes übrigbleibt,werden wir ihn zahlen.«

Er schaltete die Triebwerke der ORION VIII hochund brachte das Schiff auf einen Kurs, der genau ins

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Zentrum des dunklen Strudels führte.»Ich habe Angst, Cliff!« flüsterte Helga Legrelle.

»Woher wissen wir, was tatsächlich mit uns ge-schieht, wenn wir mitten in diesen grauenhaftenStrudel fliegen?«

»Es gibt keine Sicherheit«, erwiderte Cliff. »NurHoffnung.«

Er schob den Fahrthebel weiter vor. Die ORION VI-II beschleunigte und raste auf das Tor des Vergessenszu.

Cliff McLane blickte sich um und sah in die blei-chen Gesichter der Freunde und in ihre Augen, in de-nen sich bange und hoffnungsvolle Erwartung paarte.

Und auch in Cliff bohrte die bange Frage, ob undwie sie durch das Tor des Vergessens zu ihrer Erdezurückfinden sollten – und nicht zuletzt, was sie dorterwartete.

»Wahrscheinlich neue gefährliche Abenteuer«,murmelte Cliff zu sich selbst.

In diesem Augenblick tauchte die ORION VIII insTor des Vergessens ein ...

ENDE