25
136 Rotes Blut Normwerte Männer Frauen Hämoglobin 15 +/- 2 g/dl 13,5 +/- 1,5 g/dl Erythrozyten 5 +/- 0,5 T/l 4,3 +/- 0,5 T/l Hämatokrit 40 +/- 5 % 35 +/- 5 % Erythrozytenvolumen 30 +/- 5 ml/kg 25 +/- 5 ml/kg Plasmavolumen 45 +/- 5 ml/kg 45 +/- 5 ml/kg Gesamtvolumen 70 +/- 10 ml/kg 70 +/- 10 ml/kg Erythrozytenparameter (Erwachsene) Normbereich Mittleres korpuskuläres Hämoglobin (MCH) [Hb Ery x 10] 28 - 33 pg Mittleres korpuskuläres Volumen (MCV) [Hkt Ery x10] 80 – 96 fl Mittlere korpuskuläre Hb-Konzentration (MCHC) [Hb Hkt x10] 32 - 36 g/dl Erythrozytenverteilungsbreite (RDW) [Volumenverteilungskurve] 11,5 – 13,4 % Erythrozytendurchmesser (Ausstrich) 7,2 +/- 0,5 μm Retikulozyten: relativ absolut 5 – 25 %o 50.000 - 100.000/μl Hämoglobingehalt von Retikulozyten (CHr) > 28 pg Anteil hypochromer Erythrozyten < 5 % Erythrozytenlebensdauer 120 +/- 30 Tage Osmotische Resistenz der Ery: beginnend vollständig 0,46 – 0,42 % NaCl 0,32 – 0,30 % NaCl Autohämolyse (37°C): 48 h ohne Glukose 48h mit Glukose 2 – 20 % 0 – 9 % Kälteagglutinintiter < 1 : 64 * Die Normwerte variieren etwas zwischen unterschiedlichen Geräten Eisenstoffwechsel Männer Frauen Serumeisen 80 - 180 μg/dl 60 - 160 μg/dl Serumferritin 30 - 300 ng/ml 20 - 200 ng/ml Totale Eisenbindungskapazität 200 - 300 μg/dl Transferrinsättigung 16 – 45 % Löslicher Transferrinrezeptor 15 - 25 nmol/l Lebensalter untere physiologische Hb-Grenze [g/dl] 6 Monate bis 6 Jahre 6 – 14 Jahre > 15 Jahre, weiblich > 15 Jahre, männlich 11,0 12,0 12,0 13,0 Hämoglobin Neugeborene [%] Erwachsene [%] Hb-A (α 2 β 2 ) Hb-A2 (α 2 δ 2 ) Hb-F (α 2 γ 2 ) 20 – 40 0,5 60 - 80 95 – 98 1,4 – 3,0 0,3 – 1,0

KuMa 2005 Master Endfassung+Inhaltsverzeichnis 2 · Syndrom, Zustand nach Splenektomie und Hypothyreose. Pathophysiologie Eine verstärkte Cholesterinaufnahme in die Erythrozytenmembran

Embed Size (px)

Citation preview

113366

Rotes Blut Normwerte

Männer Frauen Hämoglobin 15 +/- 2 g/dl 13,5 +/- 1,5 g/dl Erythrozyten 5 +/- 0,5 T/l 4,3 +/- 0,5 T/l Hämatokrit 40 +/- 5 % 35 +/- 5 % Erythrozytenvolumen 30 +/- 5 ml/kg 25 +/- 5 ml/kg Plasmavolumen 45 +/- 5 ml/kg 45 +/- 5 ml/kg Gesamtvolumen 70 +/- 10 ml/kg 70 +/- 10 ml/kg

Erythrozytenparameter (Erwachsene)

Normbereich Mittleres korpuskuläres Hämoglobin (MCH) [Hb ≠ Ery x 10] 28 - 33 pg

Mittleres korpuskuläres Volumen (MCV) [Hkt ≠ Ery x10] 80 – 96 fl

Mittlere korpuskuläre Hb-Konzentration (MCHC) [Hb ≠ Hkt x10] 32 - 36 g/dl

Erythrozytenverteilungsbreite (RDW) [Volumenverteilungskurve] 11,5 – 13,4 %

Erythrozytendurchmesser (Ausstrich) 7,2 +/- 0,5 µm

Retikulozyten: relativ absolut

5 – 25 %o 50.000 - 100.000/µl

Hämoglobingehalt von Retikulozyten (CHr) > 28 pg

Anteil hypochromer Erythrozyten < 5 %

Erythrozytenlebensdauer 120 +/- 30 Tage

Osmotische Resistenz der Ery: beginnend vollständig

0,46 – 0,42 % NaCl 0,32 – 0,30 % NaCl

Autohämolyse (37°C): 48 h ohne Glukose 48h mit Glukose

2 – 20 % 0 – 9 %

Kälteagglutinintiter < 1 : 64

* Die Normwerte variieren etwas zwischen unterschiedlichen Geräten Eisenstoffwechsel

Männer Frauen Serumeisen 80 - 180 µg/dl 60 - 160 µg/dl Serumferritin 30 - 300 ng/ml 20 - 200 ng/ml Totale Eisenbindungskapazität 200 - 300 µg/dl Transferrinsättigung 16 – 45 % Löslicher Transferrinrezeptor 15 - 25 nmol/l

Lebensalter untere physiologische Hb-Grenze [g/dl]

6 Monate bis 6 Jahre 6 – 14 Jahre > 15 Jahre, weiblich > 15 Jahre, männlich

11,0 12,0 12,0 13,0

Hämoglobin Neugeborene [%]

Erwachsene [%]

Hb-A (α2 β2)

Hb-A2 (α2 δ2)

Hb-F (α2 γ2)

20 – 40

0,5

60 - 80

95 – 98

1,4 – 3,0

0,3 – 1,0

113377

Rotes Blut Retikulozyten

Definition Als Retikulozyten werden Erythrozyten bezeichnet, die aus Erythroblasten durch Kernausstoßung entstehen und noch Ribonukleinsäuren enthalten. Retikulozyten sind größer als reife Erythrozyten und weisen in der Pappenheimfärbung infolge ihres Gehaltes an RNA eine Polychromasie auf.

Retikulozytenreifung Die Retikulozytenreifung dauert vier Tage, davon im Normalfall drei Tage im Knochenmark und einen Tag im peripheren Blut. Während dieser Zeit nimmt die Zahl der Protein synthetisierenden RNA-haltigen Ribosomen ab. Nachdem die Hämoglobinsynthese sistiert, ist der Retikulozyt zum reifen Erythrozyten geworden.

Indikationen zur Retikulzytenbestimmung

- Basisdiagnostik bei allen Anämien zur Beurteilung der Effektivität der Erythropoese - Kontrolle des Therapieansprechens bei Eisen-, Vitamin B12- und Folsäuremangelanämien - Kontrolle der Effektivität einer Erythropoetintherapie

Retikulozytenfärbung und manuelle Zählung Zur Darstellung von Retikulozyten werden Supravitalfarbstoffe wie Brillantkresylblau oder Methylenblau eingesetzt. Diese präzipitieren die in den Retikulozyten enthaltenen Nukleinsäuren und färben sie an (Substantia granulofilamentosa). Zur manuellen Retikulozytenzählung wird Vollblut zu gleichen Teilen mit dem Farbstoff vermischt und auf einem Objektträger ausgestrichen. Nach Lufttrocknung werden in der Ölimmersion 1000 Erythrozyten ausgezählt. Da ein Gesichtsfeld bei 1000facher Vergrößerung etwa 200 Erythrozyten enthält, müssen fünf Gesichtsfelder ausgezählt werden. Um als Retikulozyt identifiziert zu werden, muss die Zelle mindestens zwei blaugefärbte Granula enthalten. Die Granula sollten nicht am Zellrand liegen, um einer Verwechslung mit Heinz- Körpern vorzubeugen. Nach Heilmeyer kann man vier Reifungsstufen unterscheiden:

I. Retikulum besteht aus dichten Klumpen II. Locker organisiertes Retikulum III. Diffus organisiertes Retikulum IV. Einige verstreute Granula, mindestens 2

Maschinelle Zählung Allen automatisierten Messverfahren gemeinsam ist die durchflusszytometrische Analyse, bei der die einzelne Zelle eine Messzelle passiert und von einem Lichstrahl durchquert wird. Bei der fluoreszenzaktivierten Zytometrie werden die Retikulozyten mit einem an RNA bindenden Fluoreszenzfarbstoff wie z.B. Thiazolorange inkubiert und anschließend durchflusszytometrisch analysiert. Das Ausmaß der Fluoreszenz verhält sich proportional zum RNA-Gehalt des Retikulozyten. Ein anderes Verfahren nutzt die Lichtabsorption und Streuung durch Präzipitation und Färbung der Retikulozyten-RNA. Hier werden die Retikulozyten mit Methylenblau oder Oxazin angefärbt. Die Genauigkeit der automatisierten Retikulozytenzählung ist größer als bei der manuellen Zählung, da etwa 10.000 Zellen analysiert werden. Hämoglobingehalt der Retikulozyten (CHr) Bei der maschinellen Retikulozytenzählung wird zusätzlich der Hb-Gehalt der Retikulozyten mittels Messung der Lichtstreuung aus zwei verschiedenen Winkeln bestimmt. Der CHr-Wert ist das Produkt aus Hb-Konzentration und Zellvolumen und beträgt normalerweise > 28 pg / Zelle. Der CHr ist ein früher Indikator eines funktionellen Eisenmangels unter einer Erythropoetintherapie. Bei Patienten mit hohem MCV oder Erythrozytenanomalien wie z.B. Thalassämien ist die diagnostische Aussagekraft eingeschränkt.

113388

Reti [%] x tatsächlicher HKT RPI = Shift [Tage] x 0,45 (Ideal-HKT) Bewertung:

Hämatokrit Reti-Verweildauer im Blut (Shift)

45 % 1 Tag 35 % 1,5 Tage 25 % 2 Tage 15 % 2,5 Tage

Normalfall : 1 Anämie mit adäquater Regeneration : > 3 Anämie mit hypoplastischer oder ineffektiver Erythropoese: : < 2

Rotes Blut Retikulozytenproduktionsindex (RPI)

Bei einer normalen, d.h. effektiven Erythropoese korreliert die Zahl der Retikulozyten direkt mit der Regeneration der roten Blutbildung. Unter einer verstärkten Erythropoetineinwirkung kommt es zu einem Shift der Retikulozytenreifung. Physiologisch ist eine Reti-Reifungszeit von 4 Tagen, davon drei Tage im KM und ein Tag im peripheren Blut. Auf diesem Verhalten beruht die Bewertung der Retikulozytenzahlen in der klinischen Praxis. Im Falle einer Anämie kommt es in Abhängigkeit vom Hämatokrit zu einer örtlichen Verlagerung der Ausreifung der Retikulozyten in das periphere Blut mit einer entsprechend längeren zeitlichen Präsenz im zirkulierenden Blut. Die veränderte Verweildauer der Retikulozyten im peripheren Blut wird Shift genannt. Um diesen Faktor muss die im Blut bestimmte Zahl der Retikulozyten reduziert werden, um eine Aussage über die tatsächliche Regenerationskraft der Erythropoese treffen zu können. Ohne diese Shiftkorrektur werden sonst zu hohe Reti-Werte ermittelt. Die Berechnung der realen Zahlen geschieht hämatokritabhängig mit Hilfe des Retikulozytenproduktionsindex (RPI) .

Berechnung und Bewertung des Retikulozytenproduktionsindex ( RPI )

Beispiel HKT 25%, Reti 20% (200%o) : RPI = = 5,5 In diesem Fall ist die Erythrozytenproduktion um das 5,5fache gesteigert, d.h. die Regeneration der Erythropoese ist adäquat.

Herkömmliche Retikulozytenquantifizierung

Prozentuale Retikulozytenzahl : Normalwert 5 – 25 %o ( 0,5 - 2,5%) Absolute Retikulozytenzahl : Normalwert 50.000 - 100.000/µl

Die prozentuale Retizahl kann erhöht sein entweder durch eine echte Vermehrung der Retikulozyten im zirkulierenden Blut oder durch einen geringeren Anteil reifer Erythrozyten. Im Falle einer Anämie bedarf die Retikulozytenzahl einer Hämatokrit-abhängigen Korrektur.

Patienten Hkt Korrigierte Retikulozytenzahl = Retikulozyten [%] x 0,45 (Ideal-Hkt) Bei der manuellen Retikulozytenbestimmung gibt es verschiedene Probleme: 1. Die Untersuchung ist zeitaufwendig. 2. Es besteht eine beträchtliche individuelle Schwankungsbreite, auch zwischen erfahrenen MTA. 3. Die Normalwerte variieren stark von Labor zu Labor. Mittlerweile ist die automatisierte Retikulozytenbestimmung zum Standard geworden.

45,0225,020

x x

113399

Akute Blutung Hämolytische Anämie Behandlung von Mangelanämien Behandlung mit Erythropoetin Erholung der Erythropoese nach Chemotherapie

Anämien Einteilung

Definition

Bei Frauen Verminderung des Hämoglobins < 12 g/dl, bei Männern < 13 g/dl. Siehe Blatt: Rotes Blut, Normwerte. Bei allen Überlegungen zur Diagnostik und Therapie einer Anämie muss Klarheit darüber bestehen, dass eine Anämie stets nur ein Symptom darstellt, das einer kausalen Klärung bedarf. Beachte: Durch eine mangelhafte Mischung einer Blutprobe kann ein niedriger Hb-Wert vorgetäuscht sein.

Für die Beurteilung einer Anämie sind vier Parameter wesentlich:

Einteilung nach MCH und MCV

Üblicherweise werden Anämien nach Größe und Farbstoffgehalt der Erythrozyten klassifiziert:

MCH MCV

Hypochrome A. < 28 pg oft mikrozytär < 80 fl

Normochrome A. 28 - 32 pg meist normozytär 80 - 100 fl

Hyperchrome A. > 32 pg überwiegend makrozytär > 100 fl

Einteilung nach der Retikulozytenzahl Die Bestimmung der Retikulozytenzahl gestattet die Einteilung in Anämien mit adäquater bzw. inadäquater Regeneration der Erythropoese und sollte obligater Bestandteil jeder Anämiediagnostik sein. Bei einem Retikulozytenproduktionsindex (RPI) > 3 ist die Anämie nicht durch eine Störung der Erythropoese bedingt, sondern durch einen gesteigerten „peripheren Verbrauch“ (z.B. Blutung oder Hämolyse). Liegt der RPI unter zwei, ist die Erythropoese inadäquat. Bei Werten zwischen zwei und drei gibt es Überlappungen.

Anämie mit adäquat gesteigerter Erythropoese Folgende Zustände können mit einer Retikulozytose einhergehen: Hämolysezeichen

Bei akuten Blutungen ist die Retikulozytenzahl ebenso wie bei hämolytischen Anämien zunächst gesteigert, bevor durch den entstehenden Eisenmangel die Erythropoese gehemmt wird. Die Differenzierung zwischen akuter Blutung und Hämolyse bereitet im klinischen Alltag im Allgemeinen keine Schwierigkeiten. Im Zweifelsfall hilft die Bestimmung der Hämolyseparameter (s. dort) weiter. Im Einzelfall kann eine schon begonnene Behandlung einer Eisen-, Vitamin B12- oder Folsäuremangelanämie diagnostische Probleme bereiten. Die Anamnese hilft hier in den meisten Fällen weiter.

Anämie mit inadäquater Erythropoese

Die Differentialdiagnose von Anämien mit unzureichend regenerierender Erythopoese (RPI <2) ist sehr vielfältig und kann im Einzelfall schwierig sein. Für eine erste grobe Einordnung ist die schon oben beschriebene Einteilung nach Größe und Farbstoffgehalt der Erythrozyten hilfreich. Hierbei handelt es sich allerdings lediglich um Gruppendiagnosen, für deren Präzisierung jeweils ein spezieller Untersuchungsgang notwendig ist.

• Zahl der Retikulozyten • FarbstoffgehaltderEinzelerythrozyten • Größe der Erythrozyten. • Vorhandensein von Hämolyseparametern

LDH ↑

Bilirubin indirekt ↑ Erythrozytenüberlebenszeit↓ Haptoglobin im Serum ↓

Gallenfarbstoffe im Urin ↑

114400

Anämien Basisdiagnostik - Flussdiagramm

Mit Hilfe des unten dargestellten Flussdiagramms ist eine orientierende Klassifizierung einer Anämie möglich. Für jede der rechtsstehenden Gruppe ist eine weitere diagnostische Präzisierung notwendig.

Diagnostisches Vorgehen

Während die Retikulozytenzahl in der Regel einer gesonderten Anforderung bedarf und nicht routinemäßig bestimmt wird, sind MVC und MCH unmittelbar verfügbar. In der Praxis wird man demnach eine Anämie zunächst nach Größe und Farbstoffgehalt der Erythrozyten klassifizieren und die weitere Diagnostik entsprechend dieser Einteilung planen. Um die Bedeutung der Retikulozytenzahl hervorzuheben ist diese aus didaktischen Gründen im Flussdiagramm an die erste Stelle gesetzt worden. Hämolytische Anämien sind je nach Ausmaß der Retikulozytose mehr oder weniger makrozytär, während die Anämie bei akuter Blutung

zunächst normozytär ist und nach einigen Tagen infolge der einsetzenden Retikulozytose makrozytär werden kann. In seltenen Fällen gibt es hämolytischen Anämien ohne adäquate Steigerung der Retikulozytenzahl. Beispiele sind die paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie, die sich klinisch als Eisenmangelanämie unklarer

Genese präsentiert oder seltene Fälle einer Autoimmunhämolyse ohne Retikulozytose infolge einer Destruktion der roten Vorstufen schon im Knochenmark. Im Einzelfall muss also auch bei niedrigem Retikulozytenpro-duktionsindex nach einer Hämolyse gefahndet werden.

Einteilung einer Anämie nach der ErythrozytenGröße Häufige Ursachen

mikrozytär MCV < 80 fl

normozytär MCV 80 – 96 fl

makrozytär MCV > 96 fl

Eisenmangel Thalassämie

sideroblastisch Aluminiumintoxikation

Vitamin A-Mangel

akute Blutung aplastische Anämie

renale Anämie Sphärozytose

Sichelzellenanämie

B12-Mangel Folsäuremangel Alkoholabusus Chemotherapie Myelodysplasie

114411

Erythrozytenformen Akanthozyt

Zytologische Erythrozytenbeurteilung

Für die Beurteilung der Erythrozyten ist die mikroskopische Untersuchung des Blutausstriches essentiell. Dafür müssen die Präparate gut ausgestrichen, panoptisch gefärbt und systematisch durchmustert werden. Jede zytologische Blutuntersuchung hat zuerst mit der Bewertung der Erythrozyten zu beginnen. Diese können ein weites Spektrum von zellulären Abnormitäten aufweisen. Obwohl überwiegend unspezifisch, erlauben sie aber in vielen Fällen eine Weichenstellung für eine zielgerichtete Diagnostik. Zur zellulären Beurteilung der Erythrozyten muss ein Abschnitt im Ausstrich gewählt werden, in dem die Erythrozyten einzeln liegen und zytologisch einwandfrei beurteilbar sind. Die normalen Erythrozyten zeigen nur geringe Größen- und Formvarianten (Größe 6 - 8,5 μm). Als Faustregel gilt, dass der normale Erythrozyt so groß wie der Kern eines kleinen Lymphozyten ist. Die kernlosen roten Zellen sind rund, nur < 10 % können oval sein. Höchstens 3 % der Erythrozyten lassen beim Blutgesunden Veränderungen hinsichtlich der Größe und der Form erkennen, das entspricht maximal 5 Zellen pro Blickfeld (Objektiv 100). Ein Teil der Erythrozytenanomalien ist jedoch auch in einem sehr geringen Prozentsatz pathologisch, z.B. Anulozyten, Jolly-Körperchen u.a. kommen nicht physiologischerweise vor. Siehe Blatt: Semiquantitative Blutbildbeurteilung.

Akanthozyt

Stachelzelle (englisch auch spur cell [Sporn]). Es handelt sich um eine Veränderung der Zellform infolge eines gestörten Phospholipidmetabolismus. Es finden sich einzelne bis mehrere spornenartige Projektionen an der Erythrozytenoberfläche. Die spitzen Ausziehungen sind unterschiedlich groß und irregulär über die Zelle verteilt. Das Phänomen entsteht, wenn die Membran der Zelle im Vergleich zum Zellvolumen zu groß ist. Der Akanthozyt muss von der Stechapfelform abgegrenzt werden (siehe dort). Das Auftreten von Akanthozyten hat

unterschiedliche Ursachen. Vorkommen Typische Erythrozytenanomalie der seltenen angeborenen Abetalipoproteinämie, häufiger bei schwergradigen Lebererkrankungen, insbesondere der alkoholisch bedingte Zirrhose, die mit einem Anstieg der Lipoproteine im Serum einhergeht. Wenn eine Anämie bei einer chronischen Lebererkrankung auftritt und Akanthozyten vorkommen, wird auch von spur cell anaemia gesprochen. Andere Ursachen sind: Myelodysplastisches Syndrom, Zustand nach Splenektomie und Hypothyreose. Pathophysiologie Eine verstärkte Cholesterinaufnahme in die Erythrozytenmembran bewirkt eine Vergrößerung der Zelloberfläche ohne eine entsprechende Vermehrung des Erythrozytenvolumens. Die Menge des Cholesterins der Zellmembran korreliert eng mit der Cholesterinkonzentration im Plasma. Ein vermehrter Gehalt an Lipoproteinen verändert die Form der Erythrozyten wie folgt: Eine geringgradige Steigerung des Cholesterinanteils führt zur Aufhebung der bikonkaven Form im Sinne einer Ellipsenbildung, die nachfolgend in eine Targetform übergeht, d.h. die Schießscheibenzelle ist ein Erythrozyt mit einer zu großen Membran für das vorhandene Zellvolumen. Eine weitere Steigerung des Cholesteringehalts der Ery-Membran bewirkt die Ausbildung stachelförmiger Projektionen der Ery-Oberfläche in Form von Stachelzellen. Die so veränderten Erythrozyten werden von Phagozyten in der Milz "geschliffen", so daß rote Zellen entstehen, die nur auf einem Teil der Oberfläche Spiculae aufweisen. Diese sog."konditionierten Erythrozyten" werden nachfolgend in der Milz abgebaut.

Verwechslungsmöglichkeiten

Fragmentozyten Bei den Fragmentozyten sind die Oberflächenprojektionen nicht stachelförmig, spitz und lang, sondern sie erscheinen als flächige Abrisse von Erythrozytenanteilen. Der konvexe, d.h. unversehrte Anteil des fragmentierten Erythrozyten ist wie bei ungeschädigten Zellen glatt begrenzt.

Stechapfelformen Weisen im Gegensatz zu Akanthozyten viele kurze, gleichmäßig große, regelhaft über die Zelloberfläche verteilte Ausziehungen auf.

114422

Erythrozytenformen II Anisozytose – Erythroblast

Starke Größenschwankungen der Ery. In jedem Blickfeld fallen Erythrozyten auf, die Mikro- und/oder Makrozyten sind und deren Anteil > 3 % aller Erythrozyten ausmacht, d.h. es finden sich mehr als 5 auffällige, größenverschiedene Erythrozyten pro Blickfeld (Objektiv 100). Die Anisozytose ist die häufigste Erythrozytenanomalie.

Anisozytose:

Vorkommen: Unspezifische Erythrozytenveränderung bei allen schweren Anämien ohne dass eine Aussage zur Genese gemacht werden kann. Jede stärkere Retikulo- zytenvermehrung bedingt eine Anisozytose.

Stark hypochromer Erythrozyt bei dem sich das Hämoglobin auf einen Randsaum beschränkt. Der Hb-haltige Teil macht weniger als 1/3 der Erythrozytenfläche aus. Anulozyten werden auch als Ringform der Erythrozyten bezeichnet. Anulozyten sind üblicherweise mikrozytär. Sie kommen nicht physiologischerweise vor, auch nicht in einem sehr kleinen Prozentsatz.

Anulozyt:

Vorkommen: Typisch für die Hämoglobinsynthesestörung bei absolutem Eisenmangel.

Basophile Tüpfelung:

Multiple, kleine basophile Granula in Erythrozyten. Die Körnchen entsprechen restierenden RNS-haltigen Zellbestandteilen. Ihre Präsenz ist Ausdruck einer ungenügenden Zellreifung. Eine basophile Tüpfelung kann auch in orthochromatischen Erythroblasten vorkommen. Vorkommen: Unspezifisch bei erhöhten Retikulozytenzahlen. Außerdem nach- weisbar bei Thalassämie Bleiintoxikation, Perniziosa, Myelodysplasie und schweren Anämien anderer Genese

Burr cell:

Ist eine besondere Form eines Fragmentozyten. Kleiner Erythrozyt mit einer oder mehreren spitzen Ausziehungen. Vorkommen: Verschiedene Anämieformen, besonders Urämie.

Cabot-Ring:

Schleifen-, ring- oder achtförmiger, rot gefärbter, fadenartiger intraerythrozytärer Einschluß. Es handelt sich wahrscheinlich um Reste von Spindelmaterial einer abnormen Mitose. Ähnlich den Jolly-Körperchen werden diese Strukturen von der funktionsfähigen Milz entfernt. Vorkommen Milzlosigkeit; unspezifisch bei schwergradiger Störung der Erythropoese, z.B. Thalassämie. Dort werden Cabot-Ringe in 60% der Fälle gefunden.

Dakryozyt:

Andere Bezeichnung für Tear drops. Siehe dort.

Drepanozyt:

Andere Bezeichnung für Sichelzelle.

Echinozyt:

Andere Bezeichnung für stechapfelförmige Erythrozyten

Elliptozyt:

Elliptische Erythrozytenform. Vorkommen: Hyperlipidämie. Sehr selten angeboren, dann liegen über 50% aller Ery in Ellipsenform vor.

Erythroblast:

Kernhaltige rote Vorstufen. Unterschieden werden basophile, polychromatische und orthochromatische Erythroblasten. Der orthochromatische Erythroblast wird auch Normoblast genannt. Als Makroblast wurde in der früheren Nomenklatur der basophile Erythroblast bezeichnet. Vorkommen: Physiologisch im KM. Das Vorkommen im peripheren Blut ist ohne Ausnahme pathologisch. Der Nachweis von Erythroblasten im zirkulierenden Blut ist Ausdruck einer überstürzten Erythrozyten-Produktion oder ein Zeichen einer extramedullären Blutbildung.

114433

Erythrozytenformen III Fragmentozyt – Makrozyt

Fragmentozyt:

Auch Schistozyt genannt. Darunter versteht man einen Erythrozyten, von dem ein Teil seines Volumens abgerissen ist. Der Fragmentozyt weist konvexseitig eine glatt begrenzte, halbrunde, intakte Membran auf. Die Konkavseite hat dagegen eine fetzenartige, dornige oder stachelige Begrenzung, die den Erythrozyten ein unregelmäßiges Aussehen verleiht. Liegt eine Fragmentozytenbildung vor, lassen sich drei Zelltypen unterscheiden: 1. Kleine Fragmente von Erythrozyten mit starker Formvariation mit scharfen Ecken in dornenartigen Zacken, teilweise runde Konturen. Meist starke Anfärbbarkeit. Diese Erythroyzten werden im Englischen als burr cells bezeichnet. 2. Größere Zellen von irregulärem Aussehen, runder und glatter Kontur auf der Konvexseite und abgerissene Teile auf der Konkavseite. Englisch: helmet cells 3. Normale unfragmentierte ausgereifte Ery und Reti. Vorkommen: 1.Mechanische Alteration der Erythrozyten intravasal im Rahmen einer mikroangiopathischen hämolytischen A., bei einer DIC, fortgeschrittenen Tumorerkrankungen und künstlichen Herzklappen. 2. Angeborene Anämien wie Thalassämie, angeborene Elliptozytose u.a. 3. Megaloblastäre A. und Eisenmangel-A. 4. Thermische Schädigungen der Ery durch schwere Verbrennungen.

Heinzsche Innenkörper:

Intrazelluläre Präzipitate von denaturiertem Hämoglobin. Diese finden sich nicht im panoptisch gefärbten Ausstrich, sondern sie sind nur darstellbar mit Hilfe einer Supravitalfärbung mit Nilblausulfat oder mit Kristallviolett. Diese Farbstoffe sind zum Nachweis der Innenkörper besser geeignet als Brillantkresylblau. Bei jeder Retikulozytenzählung sollte auf das Vorhandensein von Heinzschen Innenkörper geachtet werden. Es handelt sich um 1 - 3 µm große runde, dunkelblaue, solitäre Einschlüsse. Die Anzahl der innenkörperhaltigen Zellen wird in Prozent der Erythrozyten angegeben. Innenkörper findet man fast nur in älteren Erythrozyten. Abgrenzungsprobleme können gegenüber Retikulozyten auftreten. Differentialdiagnostisch gilt: Innenkörper sind solitäre Einschlüsse, Retikulozyten haben mindestens zwei Granula. Sollte es dennoch diagnostische Schwierigkeiten geben, können die Präparate in Methanol entfärbt und anschließend in Giemsa-Lösung nachgefärbt werden. Im Gegensatz zu der Substantia granulofilamentosa und den Jolly-Körperchen verschwinden die Innenkörper aufgrund ihrer Methanollöslichkeit. Zur Aufbewahrung müssen Präparate mit Innenkörpern in Formalindampf fixiert werden. Sonst verlieren sie ihre Färbung. Vorkommen: Instabile Hämoglobine bei angeborenen hämolytischen Anämien. Medikamenten-toxische hämolytische Anämien, bei denen es zu einer Denaturierung der DNS kommt. Glukose-6-Phosphatdehydrogenasemangel.

Jolly-Körperchen:

Korrekt Howell-Jolly-Körperchen genannt. In der Pappenheim-Färbung stellen sie sich als bräunliche, kugelrunde, exzentrisch gelegene Einschlusskörper dar. Sie bestehen aus DNS-haltigen Kernresten. Vorkommen: 1. In morphologisch unauffälligen Erythrozyten nur bei Milzlosigkeit (Zustand nach Splenektomie oder bei funktioneller Asplenie). 2. In morphologisch abnormen Erythrozyten, auch bei vorhandener Milz, wenn eine schwergradige Störung der Erythropoese vorliegt, d.h. wenn die Zahl fehlerhaft gebildeter Erythrozyten die Clearance-Funktion der Milz überschreitet, z.B. bei Myelodysplasie, Perniziosa u.a. treten Jolly-Körperchen auf, obwohl eine funktionsfähige Milz vorhanden ist. In diesen Fällen sind immer schwergradige Erythrozytenanomalien vorhanden.

Makrozyt:

> 10 um, rund mit erhaltener zentraler Aufhellung. Retikulozyten sind immer makrozytär.Vorkommen: Retikulozytenvermehrung, chronischer Äthylismus.

114444

Erythrozytenformen IV Megalozyt - Schistozyt

Megalozyt:

Erythrozyt, > 10 µm, oval und hyperchromatisch ohne zentrale Aufhellung Vorkommen Charakteristisch für Vit.B12- oder Folsäuremangel.

Mikrozyt:

Abnorm kleiner Erythrozyt (<6 µm). Der Mikrozyt ist kleiner als ein Lymphozytenkern. Vorkommen: Zusammen mit einer Hypochromasie typisch für die Eisenmangelanämie. Im Verein mit einer massiven Störung der Erythrozytenmorphologie auch bei einer Myelodysplasie. Weitere Ursachen einer Mikrozytose: Beta-, Alpha-Thalassämie, HbC, Atransfer- rinämie, Antikörper gegen den Transferrinrezeptor in Erythroblasten.

Mikrosphärozyt:

Kugelförmiger Erythrozyt 3 - 6 µm, rund, gleichmäßig und stärker angefärbt als normal ohne zentrale Aufhellung. Kleineres Zelloberflächen-Zellvolumenverhältnis als bei den normalen Erythrozyten. Im Gegensatz zu dem geringeren Durchmesser besitzen Mikrosphärozyten aufgrund der Kugelform ein normales Zellvolumen. Ursächlich ist dafür ein Defekt im Zytoskelett verantwortlich. Vorkommen: Kugelzellenanämie. Je nach Ausprägung des Merkmals findet sich ein unterschiedlich hoher Anteil von Mikrosphärozyten. Für die Diagnose einer kongenitalen Sphärozytose muss die Erythrozytenpopulation in mindestens 50% in einer mikrozytären Kugelform vorliegen. Außerdem wird eine Herabsetzung der osmotischen Resistenz verlangt. Beachte: Gealterte Erythrozyten und solche vor dem Abbau nehmen eine Kugelform an. Bei hämolytischen Anämien kann der Anteil beträchtlich sein. Im Gegensatz zur Kugelzellen-A. sind diese Sphärozyten normal groß oder sogar vergrößert. Siehe Sphärozyt.

Poikilozytose:

Vorhandensein unterschiedlicher Formen von Erythrozyten. Diese müssen mindestens 3 % aller Erythrozyten ausmachen. Vorkommen: Unspezifisch bei allen schwergradigen Anämien.

Polychromasie:

Unterschiedliche Anfärbbarkeit der Erythrozyten durch Unreife. Ein Teil der Erythroyzten erscheint in der Pappenheim-Färbung aufgrund eines restierenden RNS-Gehaltes bläulich tingiert. Hierbei handelt es sich um junge Retikulozyten. Häufig tritt die Polychromasie gemeinsam mit einer basophilen Tüpfelung auf. Vorkommen: Obligat bei einer Retikulozytenvermehrung. Außerdem findet sich eine Polychromasie bei einer extramedullären Erythropoese wie der Osteomyelofibrose

Retikulozyt:

Reifungsstufe zwischen Normoblast und dem reifen Erythrozyten, bei dem in der Supravitalfärbung mit Brillantkresylblau oder Nilblausulfat eine blaue, körnigfädige bzw. netzförmige Struktur sichtbar wird, die Substantia granulofilamentosa genannt wird. Diese besteht aus denaturierter RNS. Zusammen mit der Polychromasie und der basophilen Punktierung verkörpern die Retikulozyten Zeichen einer unvollständigen Erythrozytenreife. Die Retikulozyten spiegeln die Regeneration der Erythropoese wider. Die Netzstruktur wird nur in der lebenden Zelle mit Hilfe einer Supravitalfärbung sichtbar. Die Substantia granulofilamentosa ist entsprechend der Reifungszeit der Retikulozyten 4 Tage lang nachweisbar. Retikulozyten verweilen unter physiologischen Bedingungen 3 Tage im Knochenmark und einen Tag im peripheren Blut. Die RNS-Reste werden graduell von einem dichteren Netz bis zum vollständigen Verschwinden abgebaut. Definitionsgemäß wird das Vorhandensein von mindestens zwei intraerythrozytären Granula gefordert, um von einem Retikulozyten sprechen zu dürfen.

Ringsideroblast:

siehe Sideroblast.

Schistozyt:

Andere Bezeichnung für Fragmentozyten.

114455

Erythrozytenformen V Sichelzellen - Tränentropfen

Sichelzelle:

Sichel-, halbmond- oder schwalbenschwanzförmiger Erythrozyt. Diese Ery-Form ist beweisend für eine HbS-Anomalie. Nachweis: Bei heterozygoter Anomalie Sichelbildung nur im Sauerstoffmangelmilieu an lebenden Erythrozyten nachweisbar, nicht im Ausstrich. Homozygote Pat. (HbSS) lassen einen kleinen Prozentsatz typischer sichelförmiger Ery im Ausstrichpräparat erkennen.

Sideroblast:

Erythroblast mit einem oder mehreren Hämosideringranula im Zytoplasma. In der Eisenfär-bung blaugrün erscheinende Körnchen (Siderosomen) Physiologischerweise sind in 20 % bis 60 % der Erythroblasten Siderosomen nachweisbar. Wenn zahlreiche Siderosomen ringförmig um den Kern aufgereiht sind und mehr als ein Drittel der Zirkumferenz einnehmen, wird diese kernhaltige rote Vorstufe als Ringsideroblast bezeichnet. Die besondere Anordnung der Siderosomen resultiert aus einer Eisenspeicherung in den Mitochondrien

Siderozyt:

Eisengranula enthaltender Erythrozyt. Normalerweise besitzen Erys keine Eisenkörnchen. Diese werden wie Jolly-Körper oder Cabotsche-Ringe von der Milz entfernt. Bei Milzlosigkeit oder einer Eisenverwertungsstörung können die Partikel in den Erythrozyten persistieren. Nachweis: In der panoptischen Färbung stellen sich die eisenhaltigen Partikel als blaue Granula (Pappenheimer-Körperchen) dar. Bei der Berliner-Blau-Reaktion erscheinen sie als grüne Körnchen.

Sphärozyt:

Prähämolytische Kugelform des normal großen Erythrozyten. Nicht zu verwechseln mit einem Mikrosphärozyten. Sphärozyten entstehen als Ergebnis einer Interaktion zwischen immunglobulin- oder komplementbeladenen Ery und phagozytierenden Zellen bei autoimmunhämolytischen Anämien. Im Falle einer autoimmunhämolytischen Anämie kann bei einem hohen Zellturnover eine größere Zahl von Sphärozyten auftreten. Siehe auch Mikrosphärozyten. Weitere Ursachen: Gesteigerte Hämolyse anderer Genese nach Splenektomie mikroangiopathische hämolytische Anämie, Kälteagglutininkrankheit.

Stachelzelle:

Andere Bezeichnung für Akanthozyt

Stechapfelform:

Erythrozyt mit vielen kurzen und spitzen Ausziehungen gleichmäßig über die gesamte Zelloberfläche verteilt. In-vitro Artefaktbildung infolge eines osmotisch bedingten zellulären Wasserverlustes. Die so veränderten Erythrozyten heißen auch Echinozyten.

Stomatozyt:

Erythrozyt der zentral eine quergestellte schlitz- oder maulförmige Aufhellung aufweist. Beim Gesunden machen sie < 3% aus. Vorkommen: Vermehrung auf 20 % - 30 % bei der kongenitalen Stomatozytose. Beim chronischen Alkoholismus > 3 %.

Targetzelle:

Innerhalb der zentralen Aufhellungszone des Erythrozyten findet sich in der Mitte eine kreisförmige Hämoglobinverdichtung, so daß ein "schießscheibenförmiges" Aussehen resultiert. Die Ursache ist eine Imbalanz des Verhältnisses der " Größe " der Zellmembran zum Zellvolumen. Siehe auch Akanthozyt. Vorkommen: Hyperlipidämie, Thalassämie, Sichelzellenanämie, posthepatischer Ikterus und bei vielen andere Anämieformen.

Tränentropfen-Erythrozyt:

Synonym: Tear drops. Tropfen- oder tennisschlägerförmiger Ery, der durch eine Ausziehung an einem Zellpol entsteht. Vorkommen: Besonders bei der Osteomyelofibrose. Wenn mehr als 3 Tear drops pro Blick- feld (Objektiv 100) vorkommen, ist dieses Phänomen hinweisend auf eine extramedulläre Blutbildung, z.B. in der Milz. Man glaubt, die in der Milz gebildeten Ery verlieren einen Teil ihrer Membran, wenn sie sich durch die Sinusspalten zwängen, so dass eine Tropfenform des Erythrozyten resultiert.

114466

Anämien Erythrozytenanomalien I

Links: Ausgeprägte Anisozytose, Poi-kilozytose und Polychromasie Rechts: Mikrozyten. Die Erythrozyten sind deutlich kleiner als der Kern des mit abgebildeten kleinen Lymphozyten

Links: Elliptozytenform eines Erythro-zyten Rechts: Cabot-Ring in einem vergrößer-ten und polychromatischen Erythrozyten bei MDS

Links: Fragmentozyt bei einer mikro-angiopathischen hämolytischen Anämie bei Magenkarzinom. Die Beschädigung des Erythrozyten befindet sich nur auf der Konkavseite. Die Konvexseite ist intakt Rechts: Orthochromatischer Erythroblast

Links: Mikrophärozyten bei Kugelzellen-Anämie. Die Erythrozyten sind klein und farbstoffreich. Die zentrale Delle fehlt an den meisten Zellen. Rechts: Typisches Howell-Jolly-Körper-chen in einem Erythrozyten. Zustand nach Splenektomie.

Links: Megalozyten. Diese sind größer als der Kern des Lymphozyten. Neben der Hyperchromasie fehlt auch die zentrale Aufhellung. Rechts: Makrozyten. Im Gegensatz zu den Megalozyten ist hier die zentrale Delle erhalten.

114477

Anämie Erythrozytenanomalie II

Links: Basophile Tüpfelung in einem vergrößerten Erythrozyten. Außerdem Aniso- und Poikilozytose. Rechts: Tränentropfenförmige Erythrozy-ten bei Osteomyelofibrose, zusätzlich Aniso- und Poikilozytose.

Links: Fünf Targetzellen, bei 12.00 Uhr ein Elliptozyt Rechts: Auffällige, kleine und missgestal-tete, sogenannte Splittererythrozyten bei MDS, Aniso- und Poikilozytose. Rechts unten Targetzelle.

Links: Mehrere HbH-Zellen, gleichzeitig zwei Retikulozyten (Brillant-Kresylblau-färbung). Rechts: Typische traubenförmige HbH-Zelle mit den charakteristischen, kugelförmigen Hb-Denaturierungen im Zytoplasma (Brillant-Kresylblaufärbung).

Links: Siderozyten als feinkörnige dunkle Einschlüsse in Erythrozyten bei einer Eisenfärbung. Rechts: Physiologischer Sideroblast mit drei Eisenkörnchen im Zytoplasma in willkürlicher Verteilung (Eisenfärbung).

Links: Sichelzellen bei HbS-Krankheit in der Zellsuspension, Nativpräparat. Rechts: Sichelzellen im Pappenheimge-färbten Ausstrich bei einer Sichelzellen-Anämie vom homozygoten Typ.

115511

Hypochrome Anämie Basisdiagnostik

Wenn die Erythrozytenindizes die Konstellation einer hypochromen Anämie (MCH < 28 pg) ergeben, empfiehlt sich folgendes Diagnostikprogramm.

Anamnese Blutverlust, Menstruationsverhalten, Geburten, Blutspenden, iatrogen verursachte Blutverluste, Essgewohnheiten (vegetarische Ernährung?), Operationen,Teerstuhl.

Chronisch entzündliche Erkrankungen in der Vorgeschichte (z.B. rheumatoide Arthritis), Gewichtsverlust, Fieber, Nachtschweiß, Gelenkschmerzen, Muskel- schmerzen (Polymyalgia rheumatica), Husten (Tbc, Pneumonie, Bronchialkarzinom), Durchfälle, abdominelle Schmerzen (chronisch entzündliche Darmerkrankungen)

Familienanamnese (Thalassämie)

Körperliche Untersuchung

Sorgfältige Inspektion der Haut und der sichtbaren Schleimhäute (M.Osler, Kollagenosen, Vaskulitis)

Beurteilung von Leber und Milz. Stuhl und Urin ansehen. Rektale Palpation (tastbarer Tumor? Teerstuhl*?) Gelenkveränderungen (rheumatoide Arthritis), Rasselgeräusche über der Lunge

(Pneumonie), Herzgeräusch (Endokarditis)?

Labor Laborroutine, einschließlich Bilirubin Blutbild mit Differentialausstrich (selbst ansehen) Retikulozyten, Retikulozytenproduktionsindex Urinstatus Hämoccult im Stuhl (mehrfach) Ferritin im Serum Löslicher Transferrin-Rezeptor im Serum (TR) Eisenbindungskapazität, Transferrinsättigung optional Haptoglobin i.S. (zur Frage einer begleitenden Hämolyse ) Knochenmarkpunktion optional

Sonstiges Rö-Thorax, EKG, Abdomen-Sonographie

* Bei Teerstuhl liegt die Blutungsquelle im Einwirkungsbereich der Salzsäure des Magens. Differentialdiagnose der hypochromen Anämie

Eisen EBK Ferritin TR Fe-Mangel-Anämie Anämie chronischer Erkrankungen n / n / n Thalassämie n / n / n Hereditäre sideroachrestische Anämie n / n

Weitere seltene Ursachen einer hypochromen mirkozytären Anämie sind Hämoglobinopathien wie HbE, HbC oder Hb-Lepore und die chronische Bleivergiftung.

Beachte Klinische Formen des Eisenmangels

Die Feststellung einer Eisenmangelanämie oder einer Anämie chronischer Erkrankungen, im deutschen Sprachraum meist als Tumor-/Infektanämie bezeichnet, verlangt weitere Diagnostik zur Klärung der Ursache. Häufig findet sich bei hypochromen Anämien eine Thrombozytose infolge einer eisenabhängigen Stimulation der Megakaryozyten.

115522

Hypochrome Anämie Serumeisen, Transferrinsättigung, Ferritin

Serumeisen Der Serumeisenspiegel ist zur Beurteilung des Eisenstatus ungeeignet, da er schon unter physiologischen Bedingungen in Abhängigkeit von Tageszeit und Nahrungsaufnahme großen Schwankungen unterliegt. Erniedrigte Eisenspiegel werden sowohl bei Eisenmangelanämien als auch bei Anämien chronischer Erkrankungen (Tumor-/Infektanämie) gemessen. Die Bestimmung des Eisenspiegels im Rahmen der Diagnostik hypochromer Anämien ist ineffektiv und verursacht nur unnötige Kosten. Sie ist nur noch indiziert zur Bestimmung der Transferrinsättigung bei Verdacht auf Eisenüberladung und beim Eisenresorptionstest.

Transferrinsättigung Eisen wird im Plasma an das Protein Transferrin gebunden transportiert. Jedes Transferrinmolekül kann maximal zwei Fe³+-Ionen binden. Die Transferrinsättigung errechnet sich als Quotient von Serumeisen- und Transferrinspiegel und wird in Prozent angegeben. In der Akute-Phase-Reaktion ist die Transferrinsynthese supprimiert. Da der Eisenspiegel ebenfalls absinkt, ist die Transferrinsättigung in dieser Situation meist normal. Dagegen wird bei Eisenmangel vermehrt Transferrin gebildet, so dass bei erniedrigtem Eisenspiegel eine verminderte Transferrinsättigung resultiert. Bei einer Kombination von Eisenmangel und Akute-Phase-Reaktion kann ein Eisenmangel mit Hilfe der Transferrinsättigung nicht zuverlässig erkannt werden. In dieser Situation ist die Messung des löslichen Transferrinrezeptors überlegen (s. unten). Eine Bestimmung der Transferrinsättigung sollte nur noch bei Verdacht auf eine Eisenüberladung erfolgen.

Ferritin Das aus 24 Proteinuntereinheiten zusammengesetzte Ferritin kann bis zu 4000 Eisenatome binden und bildet zusammen mit Hämosiderin, das als Kondensat aus Ferritinmolekülen angesehen wird, die Eisenreserve des Organismus. Das im Serum vorkommende Ferritin ist nahezu eisenfrei (Apoferritin) und befindet sich unter physiologischen Bedingungen mit dem im retikuloendothelialen System vorhandenen eisenspeichernden Ferritin in einem Fließgleichgewicht und kann somit zur quantitativen Bestimmung der Gesamteisenreserve benutzt werden. Serumferritinspiegel unter 12 µg/l zeigen immer einen Eisenmangel an. Da Ferritin ein Akute-Phase-Protein ist, werden erhöhte Serumspiegel nicht nur im Falle einer Eisenüberladung sondern auch bei Infektionen, Entzündungen, malignen Erkrankungen und Leberparenchymschäden gemessen. Bei anämischen Patienten mit Infektionen, Entzündungen oder soliden Tumoren kann bei Ferritinwerten zwischen 12 - 220 µg/l ein Eisenmangel vorliegen. (Lee et al. Clin Chem. 2002; 48:1118). In einem solchen Fall kann eine Knochenmarkuntersuchung mit Eisenfärbung oder besser die Bestimmung des löslichen Transferrminrezeptors Aufschluss geben ob ein absoluter Eisenmangel vorliegt oder nicht.

Kernaussagen

In diesem Falle erlaubt die Bestimmung des löslichen Transferrin-Rezeptors im Serum eine Aussage über die Eisenspeicher. Eine erhöhte Konzentration spricht für einen echten Eisenmangel. Ein normaler oder erniedrigter Wert macht eine Eisendepletion unwahrscheinlich. Serumferritin bei Patienten mit Eisen-mangelanämie (IDA), Patienten mit einer Infektion oder Entzündung ohne Anämie (I-Control), mit Eisenmangel (I-IDA) oder Anämie chronischer Erkrankungen (I-ACD) sowie Patienten mit einem soliden Tumorleiden ohne Anämie (M-Control), Eisenmangelanämie (M-IDA) oder Anämie chronischer Erkrankungen (M-ACD). Aus Lee et al. Clin Chem 48(7): 1118, 2002.

Ferritin < 12 µg/l = Eisenspeicher leer Ferritin > 220 µg/l = Speichereisen vorhanden Ferritin > 12 < 220 µg/l = Aussage über Speichereisen nicht möglich*

115533

Hypochrome Anämie Differentialdiagnose

Blutausstrich Der Blutausstrich erlaubt eine erste orientierende Einschätzung einer hypochromen Anämie, ist aber für eine endgültige Diagnosestellung zu unspezifisch. Hinweisend für eine Eisenmangelanämie oder eine Anämie chronischer Erkrankungen sind hypochrome, mikrozytäre Erythrozyten und Anulozyten bei nur geringer Poikilozytose. Dagegen lässt eine stärkere Poikilozytose mit Vorkommen von Targetzellen, Cabotringen und einer basophilen Tüpfelung eher an eine Thalassämie denken (s. auch Manualblatt Hypochrome Anämie – Zytomorphologie).

Erythrozytenindizes, Mentzer-Index Die Erythrozytenindizes sind wesentlich für die Gruppeneinteilung einer Anämie. Sie geben Auskunft über die Erythrozytengröße (MCV) und über den Farbstoffgehalt des Einzelerythrozyten (MCH). Verschiedene Indizes wurden entwickelt, um Thalassämie und Eisenmangelanämie anhand des Blutbildes voneinander zu differenzieren. Obwohl keiner dieser Indizes eine definitive Diagnose erlaubt, sind sie doch geeignet, um eine erste Einschätzung zu treffen. Beispielhaft sei der einfach zu berechnende Mentzer-Index genannt: MCV [fl] / Erythrozytenzahl [T/l]. Ein Mentzer-Index <13 spricht eher für das Vorliegen einer Thalassämie während ein Wert über 13 auf einen Eisenmangel oder eine Anämie chronischer Erkrankungen hinweist [Mentzer, Lancet 1973;1:882].

Erythrozytenverteilungsbreite Von modernen Analysegeräten wird der Variationskoeffizient der Erythrozytenvolumenverteilungskurve als Erythrozytenverteilungsbreite (RDW) in Prozent angeben. Normal sind Werte zwischen etwa 11-14% mit etwas abweichenden Normwerten je nach verwendetem Gerät. Bei Eisenmangelmangelanämien ist der RDW-Wert höher als bei Thalassämien, wobei die beste Trennschärfe mit einem Grenzwert von etwa 15 % erreicht wird.

Hypochrome Anämie - rationelle Diagnostik

Beachte: In dem Flussdiagramm wurden aus Gründen der Übersichtlichkeit die extrem selten vorkommenden hereditären sideroachrestischen Anämien sowie die Bleivergiftung nicht berücksichtigt.

Löslicher TR

Hb-Elektrophorese / HbH-Zellen

Blutausstrich indikativ für Eisenmangel Mentzer-Index > 13

RDW > 15 %

Ferritin

< 12 µg/dl > 12 µg/dl

pathologisch

Thalassämie Hämoglobinopathie

> 150-220

Anämie chronischer Erkrankungen Eisenmangel

Blutausstrich indikativ für Thalassämie Mentzer-Index < 13

RDW < 15 %

normal erhöht

115544

Hypochrome Anämie Eisenmangel-A, Anämie chronischer Erkrankung

Eisenmangelanämie

Blutbild Erythrozyten mikrozytär und hypochrom, in schweren Fällen als Anulozyten. Mäßige bis deutliche Anisozytose, mäßige Poikilozytose mit Vorkommen von langgestreckten elliptoiden Formen ("Zigaretten-Erythrozyten"), Targetzellen können in kleiner Zahl vorkommen. Häufig leichte bis mäßige Thrombozytose.

Knochenmark Gesteigerte, linksverschobene, normoblastische Erythropoese. Erythroblasten mit schmalem, häufig unre-gelmäßig begrenztem, wie zerissen wirkendem Zytoplasmasaum. Die heute verfügbare laborchemische Diagnostik zur Bestimmung des Ferritins und des löslichen Transferrinrezeptors im Serum macht aufgrund der hohen diagnostische Aussagekraft dieser Methoden eine Knochenmarkuntersuchung mit Eisenfärbung zur Klärung einer hypochromen Anämie in vielen Fällen verzichtbar. Eisenfärbung: Kein Hämosiderin, Sideroblastenindex < 10% Anämie chronischer Erkrankungen

Blutbild Leichte Hypochromasie und Mikrozytose möglich, evtl. leichte Aniso-, Poikilozytose. Fragmentozyten gehören nicht zum Bild der Tumor- und Infektanämie, sondern weisen auf eine tumorassoziierte mikroangiopathische Ursache hin. Die Thrombozyten sind häufig vermehrt, jedoch nicht >1000 G/l. Knochenmark Morphologisch uncharakteristisch. Eine leichtgradige Lympho-Plasmozytose ist ebenso möglich wie eine mäßige Eosinophilie. Erythropoese meist ohne markante Veränderungen. Eisenfärbung: Charakteristisch ist ein normaler bis erhöhter Eisengehalt. Das Hämosiderin ist ganz überwiegend in den Retikulumzellen gespeichert und färbt die Markbröckelchen kräftig an oder es liegt als Hämosiderinkugeln frei herum. In den Erythroblasten sind die Eisenpartikel (Siderosomen) vermindert. Dementsprechend ist der Sideroblastenindex niedrig (< 20%). Diagnostisch entscheidend ist die Diskrepanz zwischen gefüllten Eisenspeichern und einer Verminderung des Eisens in den Erythroblasten.

Blutausstrich bei Eisenmangel: HypochromeErythrozyten, ein Anulozyt (Pfeil)

Blutausstrich bei Eisenmangel: Zahlreiche Mikrozyten. Beachte den Größenvergleich mit dem Lymphozytenkern

Knochenmark bei Eisenmangel: Erythroblastenteilweise mit Hämoglobinisierungstörungen(Pfeil)

Knochenmark, Eisenfärbung: Kein Nachweis von Hämosiderin

Knochenmark, Eisenfärbung: Nachweis von Hämosideringranula in Gefäßendothelien nachintravenöser Eisentherapie

Knochenmark bei Anämie chronischer Erkrankungen, Eisenfärbung: Stark ver-mehrter Speichereisengehalt (Pfeil).

115555

Hypochrome Anämie Thalassämie, Sideroachresie

Hereditäre sideroachrestische Anämie

Blutbild Anisozytose, Poikilozytose, basophile Tüpfelung, Pappenheimer-Körperchen, dimorphe Erythrozytenpopulation mit Vorkommen von Mikrozyten und Erythrozyten normaler Größe. Knochenmark Meist normal ausreifende hyperplastische Erythropoese ohne megaloblastoide Reifungsstörung mit Hämo- globinisierungsstörungen. Normal ausreifende Granulopoese und Megakaryopoese. Eisenfärbung: Speichereisen vermehrt, Ringsideroblasten > 15 % der Erythroblasten.

Thalassämie

Blutbild Aniso-, Poikilozytose, Polychromasie, basophile Tüpfelung, zahlreiche Targetzellen. Nach der panoptischen Färbung kann die Diagnose einer Thalassämie nicht gestellt werden. Bei der Minorform der Thalassämie fällt ein starker Kontrast zwischen einer meist nur geringgradigen Anämie und sehr ausgeprägten Erythrozytenanomalien auf. Die Alpha-Thalassämie zeigt bei der Brillantkresylblau-Färbung die als patho- gnomonisch zu bezeichnenden HbH-Zellen. Diese sind charakterisiert durch kugelartige zytoplasmatische Einschlüsse infolge einer Denaturierung des Hämoglobins, die den Zellen ein traubenförmiges Aussehen verleihen. Wird im Blutausstrich auch nur eine einzige HbH-Zelle gefunden, kann die Diagnose einer Alpha-Thalassämie als gesichert gelten. HbH-Zellen dürfen nicht mit Retikulozyten verwechselt werden. Bei diesen ist die Granulation körnig und füllt nicht die ganze Zelle aus.

Knochenmark Leichte Hyperplasie der Erythropoese, sonst unauffällig

Bleiintoxikation Blutbild Charakteristisch ist eine basophile Tüpfelung der Erythrozyten. Knochenmark Ohne spezifische Veränderungen. Ringsideroblasten gehören nicht zur Bleivergiftung Bleiintoxikation durch langdauerndes Trinken eines ajuvedischen Tees, Blutbild: Leichte Anisozytose und basophile Tüpfelung einiger Erythrozyten. Präparat Dr. R. Weide, Koblenz

Alpha-Thalassämie, Minorform, Brillantkresyl-blaufärbung: HbH-Zellen mit groben Ein-schlusskörpern, die kugelförmig erscheinen.

Beta-Thalassämie, Minorform, Blutbild: Zahl-reiche Targetzellen

Beta-Thalassämie, Minorform, Blutbild: Baso-phile Tüpfelung der Erythrozyten

Beta-Thalassämie, Minorform, Blutbild: Zwei Cabotringe (Pfeil) und eine Tränentropfenform

Alpha-Thalassämie mit ausgeprägter Aniso-, Poikilozytose und Polychromasie

Retikulozyten. Für die morphologische Differentialdiagnose darf deren körnige Substantia granulofilamentosa nicht als HbH-Zellen missgedeutet werden.

115566

Eisenmangelanämie Definition / Ätiologie

Definition Eine Eisenmangelanämie liegt vor, wenn die Kriterien einer Anämie erfüllt sind, eine Hypochromasie und Mikrozytose der Erythrozyten bestehen und die Eisenspeicher im Knochenmark leer sind. Beweisend ist ein Ferritinspiegel im Serum <12 µg/l bzw. ein erhöhter Wert für den löslichen Transferrinrezeptor, sofern keine Retikulozytose als Zeichen einer gesteigerten Erythropoese besteht.

Ätiologie Eine Klärung der Ursache eines Eisenmangels, der ganz überwiegend durch einen verstärkten Eisenverlust infolge einer chronischen Blutung entsteht, ist unbedingt erforderlich.

Blutungen Gynäkologisch • Hyper-, Polymenorrhoe, Menorrhagie, Metrorrhagie

• Endometriosis genitalis interna und externa. In 5% als extragenitale Endometriose (Blase, Darm, Peritoneum, Bronchien, Lunge)

• Chronische mit Blutung einhergehende Entzündung • Seltene Ursache: Karzinome der Vulva, Vagina, Uterus, Ovarien

Gastro-intestinaltrakt

• Ösophagus: Varizen, Karzinome, Mallory-Weiss-Syndrom • Magen: Ulzera, Karzinome, Hiatushernie, erosive Gastritis, hepatische

Gastropathie bei Leberzirrhose, Angiodysplasie, Hämangiome, Hypergastrinämie, Leiomyom, M. Ménétrier, Varizen, M. Osler

• Dünndarm: Ulzera, Karzinome, Zöliakie, Meckelsches Divertikel, regionale Enteritis, Volvulus, Thrombose der V. mesenterica, Angiodysplasie, Wurmerkrankungen, Leiomyom, Polypen, Ischämie der Darmschleimhaut nach exzessiver sportlicher Belastung.

• Kolon: Karzinome, Divertikulose, Polypen, Angiodysplasie, Colitis ulcerosa, M. Crohn, Hämangiome, Amöbiasis.

• Rektum: Karzinome, Hämorrhoiden, Ulzerationen, Angiodysplasie. Respirations-trakt

• Epistaxis • Karzinome • Idiopathische pulmonale Hämosiderose • Teleangiektasien

Urogenitaltrakt • Nieren-, Blasensteine als Ursache für rezidivierende Blutungen • Karzinome • Angiodysplasie • Entzündungen, z.B. Tuberkulose, Bilharziose • Hämoglobinurie: Chronische intravasale Hämolyse, z.B. Marschhämoglobinurie,

paroxysmale Kältehämoglobinurie, paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie, mechanische Hämolyse nach Implantation einer künstlichen Herzklappe

Sonstige Ursachen Blutentnahmen • Blutspenden

• Diagnostische Blutentnahmen, im Krankenhaus bis zu 300 ml pro Woche • Therapeutische Aderlässe (Polyzythämie, Hämochromatose) • Anaemia facticia

Unzureichende enterale Resorption

• Streng vegetarische Kost • Gastrektomie • Malabsorption, z.B. auch oligosymptomatische Sprue

In den letzten Jahren wurden mehrere Fälle einer therapierefraktären Eisenmangelanämie infolge einer Helicobacter-pylori-Infektion beschrieben, bei denen nach einer erfolgreichen Eradikation eine Normalisierung des Hb und ein Ausgleich des Eisenmangels zu beobachten waren.

115577

Eisenmangelanämie Diagnostik

Nach Diagnosestellung einer Eisenmangelanämie anhand der Basisdiagnostik ist eine Abklärung der Ursache obligat.

Basisdiagnostik

siehe Basisdiagnostik hypochrome Anämie (Seite 151) Ursachenabklärung

• Gynäkologische Untersuchung

• Ösophago-Gastro-Duodenoskopie • Koloskopie bis zum Zökum Stufe I

• Urinsediment, Eisenfärbung zur Frage einer Hämosiderinurie (PNH) • HNO-Untersuchung • Röntgendarstellung des Dünndarms (Sellink), besser Kapsel-Endoskopie • Computertomographie des Abdomens • Oraler Eisenresorptionstest * • Stuhluntersuchung auf Parasiten • Untersuchung auf Malabsorption, -assimilation

Stufe II

• Intravenöse Pyelographie • Durchflusszytometrische Bestimmung von CD55, CD59 (PNH) • Nuklearmedizinische Suche nach einer Gastrointestinalblutung • Kapselendoskopie • Selektive Angiographie der Aa. Mesentericae (Angiodysplasie?)

Stufe III • Knochenmarkpunktion mit Eisenfärbung (fakultativ) • Bronchoskopie, CT des Thorax • Eisenfärbung des Zellsedimentes von Sputum oder BAL • Ferrokinetische Diagnostik (Eisenutilisation) • Fe59-Ganzkörper-Eisenverlustmessung §

*Eisenresorptionstest 100 mg eines zweiwertigen Eisenpräparates p.o. auf den nüchternen Magen verabreichen. Nahrungsaufnahme erst 2 Stunden später. Untersuchung des Eisenspiegels unmittelbar vor der Eiseneinnahme und 4 Stunden danach. Physiologisch: Anstieg des Serumeisens um 50 µg/dl im Vergleich zum Ausgangswert.

§Ansprechpartner Dr.med.Nielsen, Universitätskrankenhaus Eppendorf, Institut für Biochemie, Haus 72, Martinistrasse 52, 20246 Hamburg, Tel.: 040/47172389

Wenn eine plausible Ursache gefunden ist, kann die nachfolgende Diagnostik unterbleiben. Die häufigsten zu einer Anämie führenden Blutverluste entstehen gynäkologisch und gastrointestinal. Bei Frauen, deren Eisenmangelanämie mit hoher Wahrscheinlichkeit durch einen menstruationsbedingten Blutverlust verursacht ist, können sich die Untersuchungen auf die Basisdiagnostik + gynäkologische Untersuchung beschränken, wenn eine orale Eisenmedikation eine Normalisierung des Hämoglobins bewirkt. Beachte Bei nicht plausibler Ursache einer Eisenmangelanämie ist auch an eine Anaemia facticia zu denken, besonders dann, wenn es sich um Frauen handelt, die in medizinischen Berufen tätig sind. In etwa 15 - 20 % der Fälle bleibt die Ursache des Eisenmangels trotz Einsatz aller diagnostischen Möglichkeiten unbekannt.

115588

Eisenmangelanämie Nuklearmedizinische Diagnostik - Kapselendoskopie

Eine Indikation für diese Untersuchungsverfahren ist dann gegeben, wenn konkrete Hinweise für eine Blutungsquelle im Gastrointestinaltrakt bestehen, ohne dass mit anderen Methoden die Ursache gefunden wird. Eine solche Situation liegt vor, wenn der Hämoccult bei korrekter Durchführung in mehreren Serien positiv ausfällt, mit endoskopischen oder radiologischen Verfahren keine Blutungsquelle gefunden wird und eine behandlungsbedürftige Eisenmangelanämie besteht. 99mTechnetium Pertechnetat - Meckel-Diagnostik Prinzip: Anreicherung des Anions 99mTechnetium Pertechnetat in der Magenmukosa. Damit gelingt der Nachweis ektoper Magenschleimhaut, wenn Belegzellen vorhanden sind. Es ist die Methode der Wahl zum Nachweis eines Meckel-Divertikels. Durchführung i.v. Injektion von Technetium. Funktionsszintigraphie mit Aufnahmen in rascher Folge. Sensitivität 75 %. Indikation: Suche eines Meckel-Divertikels. 99mTechnetium-Zinn-Schwefel-Kolloid Prinzip: I.v. injiziertes Kolloid verschwindet sehr schnell aus dem Blut mit einer HWZ von 2-3 min. und wird vom Monozyten-Makrophagensystem phagozytiert. Blutet es aus einer Läsion während der Anwesenheit des Isotops im zirkulierenden Blut, strömt Radioaktivität aus dem Gefäßsystem in das Darmlumen. Das Extravasat hebt sich als Aktivitätsfokus vom nahezu reaktionslosen Untergrund ab. Eine Blutungsquelle ist ab einer Blutungsrate von 0,05 ml/min. nachweisbar. Die Sensitivität der Methode ist höher als die der Angiographie (Nachweisbarkeitsgrenze ab 0,5 ml/min.). Indikation: Ortung einer zum Zeitpunkt der Untersuchung stattfindenden gastrointestinalen Blutung vor einer Angiographie. 99mTechnetium-markierte Erythrozyten Prinzip: Erythrozyten werden durch i.v. Injektion von Zinn (II)-Salzen in vivo mit dem Metall beladen. Nach dieser Vorbehandlung kann das Technetium im Ery reduziert und irreversibel an das Globin fixiert werden. Die Untersuchungen können bis 24 h nach der Injektion durchgeführt werden. Nachweisbarkeitsgrenze: 5ml ausgetretenes, markiertes Blut. Bei Blutungsraten zwischen 0,02 - 4,6 ml/min. kann eine Blutung im Kolon, bei 0,02 - 0,2 ml/min. im proximalen Jejunum innerhalb von 10 min. nachgewiesen werden. Sensitivität: 90 - 97 %. Spezifität etwa 75 %. Indikation: Intermittierende Blutungen. Quelle: DMW 118,1993,109-12

Kapsel-Endoskopie Bei der Kapselendoskopie schluckt der Patient eine Miniaturvideokamera in Form einer Kapsel, die drahtlos während ihrer Passage durch den Magen-Darm-Kanal Bilder an ein tragbares Aufzeichnungsgerät sendet. Anhand der gewonnenen Videosequenzen ist die Untersuchung des kompletten Dünndarms möglich. In einer prospektiven Untersuchung entdeckten Ell et al. [Endoscopy 2002;34:685-9] mit der Videokapsel bei 21 von 32 Patienten (66%) mit einer chronischen gastrointestinalen Blutung die Blutungsquelle, während diese mittels konventioneller Diagnostik inklusive Angiographie und Szintigraphie nur bei fünf Patienten geortet werden konnte. Pennazio et al. [Gastroenterology 2004;126:634-53] fanden bei 43 Patienten mit Eisenmangelanämie und positivem Hämoccult in 44,2% die Blutungsquelle. In beiden Untersuchungen handelte es sich meist um Angiodysplasien, während Dünndarmkarzinome und chronisch entzündliche Darmerkrankungen deutlich seltener vorkamen. * Die Aufnahme hat freundlicherweise Dr. B. Backes, Med. Klinik III, Uni-Klinik Aachen, zur Verfügung gestellt.

Kapselendoskopie. Angiodysplasie im Dünndarm bei 1 Uhr.*

115599

Eisenmangelanämie Therapie

Primär Möglichkeit zur Beseitigung einer Blutungsquelle prüfen. Bei strengen Vegetariern auf die Kausalbeziehung fleischfreier Kost und Eisenmangel hinweisen. Empfehlung zur Normalisierung der Essgewohnheiten. Die Standardtherapie der Eisenmangelanämie ist die orale Eisenmedikation. Eine parenterale Substitution oder eine Bluttransfusion bedürfen einer besonderen Begründung.

Orale Eisentherapie Die Behandlung ist am zweckmäßigsten mit einem zweiwertigen Präparat, z.B. mit Eisensulfat durchzuführen. Dreiwertiges Eisen wird schlechter resorbiert.

Tagesdosis: 100 - 200 mg Möglichst auf leeren Magen einnehmen

Eryfer 100 ® 1 Drg. = 100 mg Fe++ Ferro sanol duodenal ® 1 Drg. = 100 mg Fe ++

Lösferron ® 1 Brausetbl. = 80,5 mg Fe++

Tardyferon ® 1 Drg. = 80 mg Fe++

Die orale Eisentherapie wird oft schlecht vertragen. Als Nebenwirkungen treten Übelkeit, Obstipation, Diarrhoe, und Bauchschmerzen auf. Aus diesem Grunde lässt sich die an sich sinnvolle Empfehlung der Einnahme auf nüchternen Magen oftmals nicht umsetzen. Eine stufenweise Steigerung der Eisendosis verbessert die Verträglichkeit. Empfehlung zur optimalen oralen Eisentherapie: Einnahme von je einem Dragee morgens nach dem Aufstehen und abends vor dem Schlafengehen, bei Unverträglichkeit zu den Mahlzeiten. Die Einnahme von 100 mg Fe++/d führt zu einem Anstieg des Hämoglobins um 0,1 g/dl pro Tag. Der Erfolg der Behandlung ist auch am Retikulozytenanstieg (Maximum 5 bis 10 Tage nach Therapiebeginn) messbar. Die Behandlung hat zunächst bis zur Normalisierung des Hämoglobins zu erfolgen und ist dann für weitere zwei Monate bis zur Auffüllung der Eisenspeicher fortzusetzen. Der Ferritinwert i.S. gibt Auskunft über den realen Eisenbestand im Körper. Beachte Eine orale Eisentherapie führt zu einer Schwarzfärbung der Fäzes. Im Gegensatz zum Teerstuhl ist die eisenbedingte Schwarzfärbung nicht glänzend, sondern stumpf. Der Hämocculttest ist negativ.

Parenterale Eisentherapie Diese Applikationsform bedarf einer besonderen Begründung. Indikationen für eine intravenöse Eisengabe sind:

Schwere enterale Resorptionsstörung (verlangt die Verifizierung mit Hilfe des Eisenresorptionstests). Starke gastrointestinale Unverträglichkeit oraler Fe-Präparate. Schwergradige chronische Blutverluste,

die so stark sind, dass sie mit einer oralen Therapie nicht kompensiert werden können.

Im Gegensatz zu Eisendextran ruft das in Deutschland am häufigsten eingesetzte Eisengluconat nur in sehr seltenen Fällen eine anaphylaktische Reaktion hervor. Deshalb wird die intravenöse Infusion über 20 – 30 Minuten empfohlen. Eine intramuskuläre Eisengabe gilt nicht mehr als zeitgemäß. Dosierung Für eine intravenöse Behandlung ist geeignet z.B. Venofer® als Infusionstherapie wie nebenstehend aufgeführt Bei einer i.v.-Eisengabe kann ein Hb-Anstieg pro Tag von 0,2 g/dl erwartet werden. Die parenterale Eisentherapie verlangt zur Vermeidung einer Hämosiderose eine Berechnung der erforderlichen Dosis nach der folgenden Formel:

Venofer Amp. NaCl 0.9% Dauer

Venofer®-Therapie

116600

Anämie chronischer Erkrankungen Definition / Pathogenese

Definition Das Charakteristikum dieser mit chronischen Entzündungen und Infektionen sowie fortgeschrittenen Tumor-leiden assoziierten Anämieform ist die Diskrepanz zwischen einem erniedrigten Serumeisenspiegel und dem zumindest normalen oder vermehrten Speichereisen. Die Anämie ist bei einem Teil der Patienten hypochrom und mikrozytär, häufig aber auch normochrom.

Pathogenese Die Ursache dieser meist als Tumor- und Infektanämie bezeichneten Anämieform ist multifaktoriell. Gemeinsam sind diese Faktoren die verminderte Erythrozytenproduktion. 1. Zytokinvermittelte direkte Hemmung der Erythropoese Infolge einer reduzierten Empfindlichkeit der erythropoetischen Vorläuferzellen im Knochenmark auf den Proliferationsstimulus durch Erythropoetin kommt es zu einer Hemmung der Reifung der erythropoetischen Vorläuferkolonien BFU-E und CFU-E. Verantwortlich für den supprimierenden Effekt auf die Erythropoese sind Il-1, TNF und INF-γ, die von Endothelzellen, Lymphozyten, hämatopoetischen Zellen und Hepatozyten als Antwort auf eine fortgeschrittene Tumorerkrankung oder chronische Entzündung gebildet werden. Daraus resultiert eine verminderte Regeneration der Erythropoese. Der hemmende Effekt von INF-γ auf die Erythropoese konnte in-vitro durch den Zusatz von rekombinantem humanen Erythropoetin zu Knochenmarkzellkulturen überwunden werden. 2. Störung des Eisenmetabolismus Durch vermehrte Ausschüttung von Zytokinen wie Il-1, Il-6 und TNF werden verschiedene Mechanismen in Gang ge- setzt, die zu einer Hemmung der Bereit- stellung von Eisen für die Erythropoese durch Makrophagen führen. Durch diese Eisenverteilungsstörung kommt es zu einem sogenannten inneren Eisenmangel, obwohl reichlich Speichereisen in den Makrophagen vorhanden ist. Nach Ingangsetzen des pathogenetischen Mechanismus dauert es 2 - 4 Wochen bis sich eine Anämie manifestiert. Nach der Apoferritin-Hypothese wird durch Stimulation der Apoferritin-synthese in den Makrophagen vermehrt Eisen an Apoferritin gebunden und steht dadurch für die Hämoglobinsynthese in den roten Vorstufen nicht mehr zur Verfügung. Nach der Lactoferrin-Hypothese transportiert das von Granulozyten gebildete Lactoferrin, ein Transferrin-ähnliches Protein mit einer höheren Affinität zu Eisen als Transferrin selbst, vermehrt Eisen zu den Makrophagen, wo es schließlich an Apoferritin gebunden wird. In jüngster Zeit wird dem von der Leber synthetisierten Peptid Hepcidin eine Schlüsselrolle für die Entstehung der Eisenstoffwechselstörung bei Anämien chronischer Erkrankungen zugeschrieben. Diese Hypothese beruht auf der Beobachtung von großen Leberadenomen, die in starkem Maße Hepcidin-mRNA bildeten und mit einer der Tumor-/Infektanämie vergleichbaren Anämie einhergingen, die sich nach Resektion des Adenoms spontan zurückbildete [Blood 2002;100:3776-81]. Zudem ist die Hepcidinproduktion vermutlich durch Il-6 vermittelt bei chronischen Entzündungen bis zu 100fach gesteigert. 3. Inadäquate Erythropoetinproduktion Die endogene Erythropoetinproduktion ist, vermutlich zytokinvermittelt, bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen im Verhältnis zum Grad der Anämie zu niedrig. 4. Verkürzte Überlebenszeit der Erythrozyten a. Diese kommt durch eine Makrophagenaktivierung mit anschließender Phagozytose von mechanisch vorgeschädigten Erythrozyten, wie z.B. Fragmentozyten, zustande. b. Auch eine von den Tumorzellen freigesetzte Anämie-induzierende Substanz (AIS) kann durch eine Herabsetzung der osmotischen Widerstandskraft der Erythrozyten eine Rolle für deren vorzeitigen Abbau spielen.

Normaler Fe-Stoffwechsel Eisenspeicher gefüllt. Ery normal farbstoffhaltig. Eisenmangel Eisenspeicher leer. Ery farbstoffarm und klein. Innerer Eisenmangel Eisenspeicher überfüllt Blockierung der Fe-Übertragung auf die Ery. Folge: Hb-Bildungsstörung.

Eisenspeicher unter physiologischen und pathologischen Verhältnissen

Pathogenese der Tumoranämie. Aus: MR Nowrousian in: Anaemia in Cancer C Bokemeyer, H Ludwig, Elsevier, 2005

116611

Multiples Myelom: 53-78 % Maligne Lymphome: 45-79 % Solide Tumoren: 30-80 % Myelodysplasie: < 30 %

Anämie chronischer Erkrankungen Diagnostik, Therapie

Basisdiagnostik und Abgrenzung von anderen Formen der hypochromen Anämie (s. S. 151 und 153).

Weiterführende Diagnostik Die Diagnose einer Tumor- bzw. Infektanämie verlangt in Abhängigkeit vom klinischen Bild eine weitere Abklärung der zugrunde liegenden Ursache.

Tumorsuche mit endoskopischen oder bildgebenden Verfahren Diagnostik chronischer entzündlicher Erkrankungen, z.B. Kollagenosen, chronisch entzündliche

Darmerkrankungen, Tuberkulose

Differentialdiagnose Bei Tumorleiden müssen andere Ursachen einer Anämie von der eigentlichen Tumor- oder Infektanämie abgegrenzt werden.

Therapie Wenn möglich, Beseitigung des Grundleidens. Substitutive Behandlung Die klassische Behandlungsform einer therapiebedürftigen Tumoranämie sind Bluttransfusionen mit den damit verbundenen Problemen. Im Einzelfall kann auch eine Substitution mit Folsäure oder Vit. B12 in Betracht kommen. Eisen hat nur bei niedrigem Ferritin und/oder einem erhöhten Wert des löslichen Transferrezeptors Aussicht auf Erfolg. Erythropoetin Entsprechend der Pathogenese der Anämie der chronischen Erkrankungen bietet rekombinantes humanes Erythropoetin einen kausalen Ansatzpunkt zur Behandlung der Tumoranämie.

*Alternativ liegen Erythropoetinpräperate vor, die aufgrund einer verzögerten Wirkstofffreisetzung nur einmal pro Woche gegeben werden müssen, siehe nächste Seite. Nach Nowrousian 1 werden bei Tumoranämien Ansprechraten von 40-60 % erreicht. Als Kriterium für ein Ansprechen gilt: Anstieg des Hämoglobins um 0,5-1 g/dl und eine Zunahme der Retikulozytenzahl in den ersten 2-4 Wochen der Therapie. Die Erfolgsrate hängt von der zugrunde liegenden Tumorerkrankung ab: Prätherapeutische Erythropoetinspiegel im Serum haben eine gewisse prädiktive Bedeutung. Bei exzessiv hohen Werten ist kaum mit einem Ansprechen zu rechnen.

1 Nowrousian, M.R. et al. In: J.F.Smith, M.A.Boogaerts, B.R.-M.Elmer (eds.) rh Erythropoietin in Cancer Supportive Treatment. Marcel Dekker Verlag (1996) 13-34

Okkulte gastrointestinale Blutungen Autoimmunbedingte Hämolyse Verdrängung der Hämatopoese durch eine Knochenmarkkarzinose Mikroangiopathische hämolytische Anämie Myelosuppressive und nephrotoxische Auswirkungen einer Chemotherapie, besonders nach

Cisplatin-haltigen Schemata. Eisenmangel, Folsäure- und Vit.B12-Mangel

Dosierung: 100 IE / kg / KG s.c. 3 x pro Woche*

116622

Anämiebehandlung Erythropoetin

Struktur Erythropoetin ist ein 30 kDa großes Glykoprotein-Hormon. Das Gen befindet sich auf dem langen Arm des Chromosoms 7 (p11;q22).

Bildung Während der Fetalzeit wird das Erythropoetin in den Leberzellen gebildet. Beim erwachsenen Menschen wird es fast ausschließlich in den peritubulären Kapillarzellen der Nierenrinde produziert. Die Bildung des Erythropoetins erfolgt abhängig vom O2-Partialdruck im Gewebe. Gewebshypoxie kann durch eine reduzierte O2-Konzentration in der Atemluft, eine gesteigerte O2-Affinität des Hämoglobins oder eine verminderte O2-tragende Kapazität (Abnahme der Erythrozyten bzw. des Hämoglobins) entstehen. Weitere Induktoren der EPO-Bildung sind u.a. Kobalt-, Mangan- und Nickelsalze, Androgene und zyklisches AMP.

Wirkung Das in den Nieren produzierte Erythropoetin führt im Knochenmark über die Aktivierung eines Rezeptors zur Steigerung der Erythropoese. Dieser Erythropoetinrezeptor ist Teil der so genannten hämatopoetischen Rezeptorfamilie. Dazu gehören Rezeptoren für Interleukine, G-CSF, GM-CSF, Thrombopoetin, leukaemia inhibitory factor (LIF), Wachstumshormon und Prolactin. Durch die Aktivierung des EPO-Rezeptors kommt es zu einer Stimulation der Replikation determinierter erythropoetischer Vorläuferzellen. Gleichzeitig wird deren Differenzierung beschleunigt. Das geschieht hauptsächlich durch eine Verhinderung der Apoptose dieser Zellen während des späten Stadiums der Zelldifferenzierung.

Normwerte Der normale EPO-Serumspiegel beträgt bei gesunden Erwachsenen zwischen 6 und 32 U/l. Bei einer Anämie kann er je nach Schweregrad bis auf 10.000 U/l ansteigen. Daraus ergibt sich, dass bei anämischen Patienten die Normwerte nach oben korrigiert werden müssen, um eine inadäquat niedrige Erythropoetinbildung auch bei Werten über 32 U/l festzustellen.

Rekombinant hergestelltes Erythropoetin (r-HuEPO) Es ist ein dem endogenen Hormon weitgehend identisches Glykoprotein, das gentechnisch in den Ovarialzellen von chinesischen Hamstern produziert wird. Auf dem deutschen Markt wird es von den Firmen Janssen-Cilag (Erypo®) und Roche (NeoRecormon®) angeboten. Inzwischen gibt es Depotpräparate, die nur einmal pro Woche verabreicht werden müssen: Aranesp von der Fa. Amgen, NeoRecormon 30.000 I.E. Fertigspritze von der Fa. Roche, Erypo 40.000 I.E. von der Fa. Janssen Cilag.

Therapeutische Einsatzbereiche Neben der klassischen Indikation zur Behandlung der renalen Anämie gibt es Studien über die Wirksamkeit des r-HuEPO zur Behandlung einer Anämie im Rahmen eines myelodysplastischen Syndroms. Es wird sowohl als Monotherapie als auch in Kombination mit G-CSF eingesetzt. In klinischen Studien war nur ein relativ geringes Ansprechen (Monotherapie 16-28%, EPO + G-CSF ca. 37%) festzustellen. Die hohen Kosten (ca. 800 bzw. 1600 € pro Woche) schränken den Wert dieser oft sinnvollen Behandlung zusätzlich ein. Die Wirksamkeit des EPO nimmt mit der Höhe des endogenen EPO-Spiegels und des Transfusionsbedarfs ab. Ein genereller Einsatz des Erythropoetins bei MDS-Patienten ist daher nicht indiziert. Die Wirksamkeit des r-HuEPO bei Tumoranämie wurde in einer Metaanalyse von 19 Studien mit insgesamt 1896 Patienten gezeigt. Pilotstudien zur Behandlung von Anämien nach intensiver Chemotherapie bei Multiplem Myelom, M. Hodgkin und beim Bronchialkarzinom sprechen dafür, dass eine therapeutische Gabe von EPO die Bluttransfusionsbedürftigkeit reduzieren kann. Eisensubstitution bei Erythropoetinbehandlung Bei einer Erythropoetinbehandlung ist eine generelle Eisensubstitution nicht indiziert. Eine Behandlung ist nur sinnvoll bei niedrigen Ferritinwerten (<40-100 ng/ml) sowie beim funktionellen Eisendefizit, bei einer Transferrinsättigung <20%, dem Vorhandensein hypochromer Erythrozyten >10% oder einem Hämoglobingehalt der Retikulozyten <23 pg. Die intravenöse Applikation z. B. von Venofer nach der nebenstehenden Empfehlung kann sinnvoll sein. Die höchste einmalige Dosierung soll 7 mg/kg/KG nicht überschreiten.

116633

Tumoranämie Erythropoetintherapie

EORTC-Richtlinien zum Einsatz von Erythropoetin bei Tumorpatienten mit Anämie 1)

Bei Tumorpatienten unter Radio- u./o. Chemotherapie sollte eine Erythropoetinbehandlung symptomorientiert bei einem Hb-Wert von 9-11 g/dl begonnen werden (Grad A).

Bei Patienten mit Tumoranämie ohne Radio- u./o. Chemotherapie sollte eine symptomorientierte Erythropoetintherapie bei einem Hb-Wert von 9-11 g/dl initiiert werden (Grad B).

Bei asymptomatischen anämischen Patienten mit einem Hb-Wert zwischen 9-11 g/dl kann eine Erythropoetinbehandlung erwogen werden, um eine weitere Reduktion des Hämoglobin zu vermeiden (abhängig von individuellen Faktoren wie z.B. Art/Intensität der Chemotherapie, Ausgangs-Hb) (Grad B).

Bei transfusionsbedürftigen anämischen Patienten sollte die EPO-Therapie ergänzend zum Blutersatz begonnen werden.

Bei normalem Hb zu Beginn einer Radio- u./o. Chemotherapie wird die prophylaktische EPO-Gabe zur Vermeidung einer Anämie nicht befürwortet (Grad B).

Ältere Patienten profitieren von einer EPO-Behandlung ebenso wie jüngere Patienten (Grad B).

Der Ziel-Hb-Wert sollte bei 12-13 g/dl liegen (Grad B).

Die beiden Hauptziele der EPO-Behandlung sind die Verbesserung der Lebensqualität und die Verhinderung von Transfusionen (Grad A).

Der Einsatz von EPO mit dem Ziel das Überleben und/oder Ansprechen auf eine Therapie zu verbessern, wird nicht empfohlen, da es bisher keine ausreichende Evidenz für diese Indikationen gibt (Grad A). Es werden weitere Studien benötigt.

Innerhalb einer Standardschwankungsbereite des Körpergewichtes soll eine konstante EPO-Dosis verwandt werden (Grad B).

Es wird empfohlen, eine EPO-Dosierung in Anlehnung an das nebenstehende Diagramm zu wählen. Eine Dosiseskalation kann jedoch nicht generell empfohlen werden und muss eine Individualentscheidung bleiben. Die Behandlung soll fortgeführt werden solange der Hb-Wert unter 12-13 g/dl liegt und die Patienten subjektiv profitieren. Für Pat., die den Ziel-Hb erreichen, soll die niedrigste effektive EPO-Dosis ermittelt werden (Grad D).

Obwohl der Einsatz von Erythropoetin-Alpha, 40.000 Einheiten wöchentlich gebräuchlich ist, gibt es wenig Evidenz für diese Dosierung (Grad C). Für eine wöchentliche Applikation von Erythropoetin-Beta (30.000 Einheiten) konnte bei nicht myeloischen hämatologischen Krankheiten die Effektivität nachgewiesen werden (Grad B). Die wöchentliche Gabe von Darbepoetin-Alpha kann empfohlen werden (Grad A). Für eine zweimal wöchentliche, dreimal wöchentliche oder viermal wöchentliche Anwendung von Darbepoetin Alpha gibt es keine ausreichende Evidenz (Grad C).

Der allgemeine Gebrauch höherer Initialdosen für EPO kann für Erythropoetin-Alpha und –Beta nicht als Standard empfohlen werden, einige positive Daten existieren für Darbepoetin (Grad B), weitere Studien werden benötigt.

In der klinischen Praxis gibt es keine prädiktiven Faktoren für das Ansprechen auf EPO. Ein niedriger EPO-Serumspiegel ist (besonders bei hämatologischen Erkrankungen) der einzige nachgewiesene prädiktive Parameter. Die Werte müssen unter Berücksichtigung des Grades der Anämie interpretiert werden (Grad B).

Für Patienten mit autologer Stammzelltransplantation konnte kein überzeugender Effekt für EPO nachgewiesen werden, daher wird die Applikation in dieser Indikation nicht empfohlen (Grad B).

Für Patienten nach allogener Stammzelltransplantation ist der klinische Nutzen von EPO begrenzt. Eine Behandlung kann nur individuell entschieden werden (Grad B).

Die Furcht vor einer PRCA (pure red cell aplasia) sollte nicht dazu führen, Tumor-Pat. EPO vorzuenthalten (Grad A).

Für die Gabe von EPO bei der Tumoranämie gibt die Analyse aller vorhandenen Studiendaten einen Hinweis für ein leicht erhöhtes Thrombose-/Embolierisiko. Dies kann in Relation zu dem erhöhten Hb stehen (Grad B).

1) Bokemeyer C et al. Eur J Cancer 2004; 40: 2201-16