Kunstwerkaufsatz

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Tobias Bevc Ein Paradigmenwechsel: Die technische Reproduzierbarkeit von KunstwerkenDer wohl bekannteste Aufsatz Walter Benjamins, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, bietet eine Reihe von berlegungen zum Verhltnis von visueller Kommunikation und Politik, die im folgenden kurz dargestellt werden sollen. Diese berlegungen verankern die Geschichte der Kunst im neunzehnten Jahrhundert in der Erkenntnis ihrer gegenwrtig von uns erlebten Situation. Mit dieser Situation meint Benjamin den Faschismus, der sich zur Zeit der Entstehung des Kunstwerkaufsatzes im dritten Jahr nach seiner Machtergreifung befindet. Auf diese gesellschaftlich-politischen Rahmenbedingungen reagierend formuliert er zu Beginn seines Aufsatzes die Anforderungen, denen die Thesen, die er entwickeln will, gengen mssen. Er stellt fest, da die Umwlzung des berbaus - bedingt durch die kapitalistische Produktionsweise - mehr als ein halbes Jahrhundert gebraucht hat, um auf allen Kulturgebieten die Vernderungen der Produktionsbedingungen zur Geltung zu bringen. (KR2: 350) Um seinen Ausfhrungen Kampfwert zu geben, mssen sie gewisse prognostische Forderungen erfllen. Deswegen reiche es nicht, wenn sie von der Kunst des Proletariats nach der Machtergreifung handeln. Sie sollen vielmehr ber die Entwicklungstendenzen der Kunst unter den gegenwrtigen Produktionsbedingungen aufklren (KR2: 350). Da der Faschismus sich einer Anzahl von Begriffen aus dem Bereich der Kunst bedient - wie z.B. Schpfertum und Genialitt sind diese weiterhin nicht mehr zu gebrauchen. Die im folgenden neu in die Kunsttheorie eingefhrten Begriffe unterscheiden sich von gelufigeren dadurch, da sie fr die Zwecke des Faschismus vollkommen unbrauchbar sind. Dagegen sind sie zur Formulierung revolutionrer Forderungen in der Kunstpolitik brauchbar. (KR2: 350) Anders formuliert heit das, da die Kunsttheorie gegen den Faschismus imprgniert werden soll, indem neue terminologische Werkzeuge entwickelt werden. Da das Kunstwerk bereits seit den Anfngen der menschlichen Verfertigung von Artefakten den Gesetzen der Reproduzierbarkeit unterworfen war, beschreibt Benjamin die Genese des Films aus der Photographie, um die spezielle historisch-soziologische Kontextualitt und technische Differenz dieser neuen Entwicklung besser verstndlich zu machen. Prinzipiell jedoch gilt, da das Kunstwerk grundstzlich schon immer reproduzierbar gewesen ist (KR2: 351). Original - Reproduktion Die Beschreibung der Genese der technischen Reproduzierbarkeit von Kunstwerken fllt sehr kurz aus, hat sie doch auch nur den Zweck, das Besondere und Revolutionre an der Erfindung der Photographie hervorzuheben. Die Erfindung der Photographie ist es, die zum ersten Mal die Hand im Proze bildlicher Reproduktion (...) von den

wichtigsten knstlerischen Obliegenheiten entlastet. (KR2: 351) Diese kommen nun dem Auge allein zu, d.h. es ist das durch das Objektiv blickende Auge, das bestimmt, was auf dem entstehenden Bild zu sehen sein wird. Die Hand hat nur noch die Aufgabe, mit einem Tastendruck alles vom Auge erfate auf einmal festzuhalten. Der Augenblick bekommt von dem Apparat - ausgelst durch einen Fingerdruck - einen posthumen Schock. (MB: 630, vgl. KR3: 474f.) Demzufolge, so Benjamin, wird der Proze der knstlerischen Produktion enorm beschleunigt, nicht nur, weil das Auge schneller erfat, als die Hand zeichnet, sondern gerade, weil es mit dem Sprechen mithalten kann (KR2: 351). Benjamin wagt gar eine Prognose ber das in der Photographie Verborgene: In ihr ist virtuell der Tonfilm enthalten (KR2: 351). Diese kurz skizzierte qualitative Vernderung der Mglichkeiten der technischen Reproduzierbarkeit bleibt nicht ohne Folgen fr Kunst und Gesellschaft: Um neunzehnhundert hatte die technische Reproduktion einen Standard erreicht, auf dem sie nicht nur die Gesamtheit der berkommenen Kunstwerke zu ihrem Objekt zu machen und deren Wirkung den tiefsten Vernderungen zu unterwerfen begann, sondern sich einen eigenen Platz unter den knstlerischen Verfahrungsweisen eroberte. Fr das Studium dieses Standards ist nichts aufschlureicher, als wie seine beiden verschiedenen Manifestationen Reproduktion des Kunstwerks und Filmkunst - auf die Kunst in ihrer berkommenen Gestalt zurckwirken. (KR2: 351f.) Mit Reproduktion des Kunstwerks ist hier die Photographie gemeint, spricht Benjamin doch von einem Standard um neunzehnhundert. Nicht gemeint sind die unzhligen anderen Verfahren der Reproduktion, die es seit der Erfindung der Prgung in der Antike gibt (KR3: 474). Diese sind keine reflexiven Reproduktionen, es sind ausschlielich Vervielfltigungstechniken eines Originals, im Gegensatz zu der Photographie. Die Photographie kann dagegen Kunstwerke sich zum Objekt machen, d.h. sie ist eine reflexive Reproduktion. Mit der Einfhrung des Begriffs der Reproduktion werden weitere Begriffe notwendig. Die Begriffe der Echtheit und der Aura werden eingefhrt. Beide sind eng miteinander verbunden. Den Begriff der Echtheit eines Originals ist an dessen Hier und Jetzt gebunden. Auf ihm liegt die Vorstellung einer Tradition, welche dieses Objekt bis auf den heutigen Tag als ein Selbes und Identisches weitergeleitet hat, begrndet (KR2: 352). Der gesamte Bereich der Echtheit entzieht sich der Reproduzierbarkeit. An diesem Punkt unterscheidet Benjamin nun zwischen manueller und technischer Reproduktion. Whrend die manuelle Reproduktion nicht die Echtheit eines Kunstwerkes angreift, das Kunstwerk also seine Autoritt bewahrt, verliert das Kunstwerk im Falle der technischen Reproduktion seine Echtheit. Der Grund ist ein doppelter. Erstens erweist sich die technische Reproduktion dem Original gegenber als selbstndiger als die manuelle. (KR2: 352) Dies rhrt daher, da z.B. die Photographie Ansichten des Originals durch dem Auge nicht zugngliche Perspektiven und Vergrerungen hervorzuheben im Stande ist, die der natrlichen Optik sich schlichtweg entziehen. Der zweite Grund ist der, da die technische Reproduktion das Original in Situationen versetzen kann, die ihm selbst nicht erreichbar sind (KR2: 352f.). Dadurch wird des Kunstwerks empfindlichster Kern berhrt, eben seine Echtheit. (KR2: 353) Die Echtheit einer Sache ist der Inbegriff alles von Ursprung her an ihr Tradierbaren, von ihrer materiellen Dauer bis zu ihrer geschichtlichen Zeugenschaft, d.h. sie ist das Hier und Jetzt der

berlieferung. In der Reproduktion entfllt das Tradierbare, da sich der Gegenstand dem Menschen entzogen hat. Somit gert auch die geschichtliche Zeugenschaft des Kunstwerks ins Wanken, d.h. die Autoritt der Sache, ihr traditionelles Gewicht. Zusammengefat heit dies: Was mit der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkmmert, ist seine Aura (KR2: 353). Benjamin macht jedoch eine Ausnahme, nmlich die der frhen Potraitphotographie, aus ihr winkt die Aura zum letzten Mal (KR2: 360; KGP: 376). Benjamin ist der Auffassung, da die Reproduktionstechnik das Reproduzierte aus dem Bereich der Tradition ablst und an die Stelle des einmaligen Kunstwerks, das massenweise Vorkommende setzt. Das Reproduzierte wird dadurch aktualisiert, da die Reproduktionstechnik der Reproduktion erlaubt, dem Rezipienten in seiner jeweiligen Situation entgegenzukommen. Diese beiden Prozesse fhren zu einer gewaltigen Erschtterung des Tradierten - einer Erschtterung der Tradition, die die Kehrseite der gegenwrtigen Krise und Erneuerung der Menschheit ist. (KR2: 353) Beide, so Benjamins Behauptung, stehen aufs Engste mit den Massenbewegungen der damaligen Zeit im Zusammenhang. Der Film ist der macht- und bedeutungsvollste Trger dieser Bewegungen und nicht ohne seine destruktive Seite denkbar: die Liquidierung des Traditionswertes am Kulturerbe. (KR2: 354) Da, so Benjamin, innerhalb groer geschichtlicher Zeitrume sich mit der Daseinsweise auch die Wahrnehmung der menschlichen Kollektiva verndern und die Art und Weise dieser Wahrnehmung wie auch ihr Medium menschlich und geschichtlich bedingt sind, lassen sich die gesellschaftlichen Umwlzungen zeigen, die in dieser Vernderung der Wahrnehmung ihren Ausdruck fanden. (...) Und wenn die Vernderung im Medium der Wahrnehmung, deren Zeitgenossen wir sind, sich als Verfall der Aura begreifen lassen, so kann man dessen gesellschaftliche Bedingungen aufzeigen. (KR2: 354) Aura Aura ist ein sonderbares Gespinst aus Raum und Zeit, eine einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag. (KR2: 355) Hier werden schon zwei Dimensionen der Aura deutlich: die der Zeit und die des Raumes. Diese Raum- und Zeitdimension beschreibt Benjamin wie folgt: Die Definiton als einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag , stellt nichts anderes dar als die Formulierung des Kultwerts des Kunstwerks in Kategorien der raum-zeitlichen Wahrnehmung. Ferne ist das Gegenteil von Nhe. Das wesentliche Ferne ist das Unnahbare. In der Tat ist Unnahbarkeit eine Hauptqualitt des Kultbildes. Es bleibt seiner Natur nach Ferne so nah es sein mag. Die Nhe, die man seiner Materie abzugewinnen vermag, tut der Ferne nicht Abbruch, die es nach seiner Erscheinung bewahrt. (KR3: 480, Fn. 7) Demnach ist mit Ferne kein rumlicher Abstand gemeint, sondern die Erfahrung einer unberwindbaren Distanz. Es handelt sich hier um den Gefhlswert der Distanz, um das Bewutsein des Unerreichbaren, ganz gleich wie weit entfernt bzw. wie nah der Gegenstand der Betrachtung ist (Recki 1988: 16). Also bezeichnet die Ferne das, was Benjamin in ber einige Motive bei Baudelaire den kultischen Charakter des

Phnomens der Aura nennt. (MB: 647) Ein Berhren des auratischen Gegenstands kann zwei Konsequenzen zur Folge haben. Entweder die Aura verschwindet, oder aber der Berhrende erfhrt, da die Aura nichts Gegenstndliches ist, also nicht berhrt werden kann. Die sthetische Distanz wird durch die Berhrung in letzteren Fall nicht aufgehoben, der Berhrende kann aber durch die Berhrung versuchen, sich allenfalls fr das ganze Werk empfnglicher zu machen; als Ganzes bleibt es aber entrckt und kann nur dadurch wirken. (Recki 1988: 17) So ist also die Nah - Fern Metaphorik, eine einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag (KR2: 355), ein Gegenwrtigen eines Anderen durch die Erscheinung eines Gegenstandes, der selbst wiederum als ein Anderer erscheint, als ein von seiner empirischen Identitt Unterschiedener (Stoessel 1983: 45f.). Die Ferne steht fr eine Zeitstruktur, mit anderen Worten: die Vergangenheit, zeitliche Distanz. Die Nhe steht fr eine Raumstruktur (Grenz 1974: 207): An einem Sommernachmittag ruhend einen Gebirgszug am Horizont oder einem Zweig folgen, der seinen Schatten auf den Ruhenden wirft - das heit die Aura dieser Berge, dieser Zweige atmen. (KR2: 355) Die Berge und der Zweig sind zwei unterschiedlich weit entfernte Objekte, von denen man den einen berhren knnte, wohingegen der andere, die Berge, das Fernste sind, was der ruhende Betrachter sehen kann. Sie sind also am Horizont selbst Horizont. Hier wird deutlich, da die dem ruhenden Betrachter erscheinende Ferne nichts mit der empirischen Ferne des Gegenstandes zu tun hat, denn an beiden erscheint dem Betrachter die Aura. Demzufolge mu die Ferne eines auratischen Gegenstandes mit einem anderen Parameter gemessen werden - dem der Zeit. Somit ist Aura die Erscheinung einer zeitlichen Ferne an einem Gegenstand der Erfahrungswelt (Grenz 1974: 207f.). Die zweifache Verwendung und Betonung des ruhend im Singular verdeutlicht schon sehr gut, das die Rezeption von auratischen Kunstwerken in der Kontemplation zu erfolgen hat (KR2: 379, Fn. 16); und zwar durch einen Betrachter, bzw. durch Wenige (KR2: 374f.). Ist dieser Akzent indirekter Hinweis auf den wahren Ort der auratischen Erscheinung in der Vorstellung des Subjekts, so ist dieses zugleich in seiner rein kontemplativen, passiven Rolle als Medium charakterisiert. (Stoessel 1983: 48) Das Subjekt ruht beim Betrachten. Durch das Atmen tritt das Subjekt aus seiner ruhenden Rolle heraus, es wird im emphatischen Sinn Subjekt, denn das Atmen der Aura ist unabdingbar an die Gegenwart des Subjekts gebunden. (Stoessel 1983: 48) Die Aura enthllt und erfllt ihren ethymologischen Sinn, als Hauch, der stellvertretend fr Leben steht, indem das Subjekt die Aura der Dinge atmet. In ihrem Anderen - also dem, was an empirischen Gegenstnden wie an einem Zweig oder einem Berg als Aura erscheinen kann - dessen Medium Subjekt und Objekt geworden sind, verbinden sie sich zur lebendigen Einheit, zur Utopie einer herrschaftsfreien Beziehung. (Stoessel 1983: 48) Naturbeherrschend werden wir der Sache habhaft; in der Aura bemchtigt sie sich unser.(PW: 560) In dem Aufsatz ber einige Motive bei Baudelaire kommt eine weitere Dimension des Verhltnis Werk - Betrachter hinzu. Dem Blick wohnt aber die Erwartung inne, von dem erwidert zu werden, dem er sich schenkt. Wo diese Erwartung erwidert wird (die ebensowohl, im Denken, an einen intentionalen Blick der Aufmerksamkeit sich heften kann wie an einen Blick im schlichten Wortsinn), da fllt ihm die Erfahrung der Aura in ihrer Flle zu.(...) Die Erfahrung der Aura beruht also auf der bertragung einer in der menschlichen

Gesellschaft gelufigen Reaktionsform auf das Verhltnis des Unbelebten oder der Natur zum Menschen. Der Angesehene oder angesehen sich Glaubende schlgt den Blick auf. Die Aura einer Erscheinung erfahren, heit, sie mit dem Vermgen belehnen, den Blick aufzuschlagen. Die Funde der mmoire involontaire entsprechen dem. (MB: 646f.) Hieraus geht hervor, da der Ursprung auratischer Erfahrung jeweils in einer Aktivitt des Subjekts liegt. Grenz verweist darauf, da das Ruhen das fr das Erfahren der Aura ntig ist, nicht ein vllig passives ist, sondern: Ruhe ist Beisichsein. Ruhen knnen nur Subjekte. Subjekte ruhen in sich. Deshalb kann sich ihr Blick auf Gegenstnde richten und sie bleiben lassen, was sie sind. Ruhen ist menschliches Handeln. (Grenz 1974: 208) Waren frher, also vor dem Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit, die Gegenstnde in knstliche und natrliche geordnet, an denen die Aura erscheint, ist es nun ausschlielich die Beziehung konstituiert durch den Blick zwischen Subjekt und Objekt, in dem die Aura sich herstellt oder verliert: die Wahrnehmung der Aura als Erfahrung. (Stoessel 1983: 32) In diesem Kontext deutet der Verweis auf die mmoire involontaire an, da der nun auf Subjekte bertragene Begriff der Aura, den Benjamin noch im Kunstwerkaufsatz an einem Begriff der Aura von natrlichen Gegenstnden illustrierte (KR3: 479), auf ein gesellschaftlich geschichtliches Verhltnis, auf ein Vorgeschichtliches verweist, das sich nicht wie Geschichte auf Arbeit und Aneignung beziehen lt. (Stoessel: 1983: 33) Das Vorgeschichtliche ist dementsprechend an unbewute Erinnerung gebunden, die sich nicht absichtlich hervorrufen lt und welche Benjamin in Anlehnung an Proust mmoire involontaire nennt. Als deren Data dienen Benjamin die correspondances von Baudelaire. Die correspondances selbst sind wiederum die Data des Eingedenkens, keine geschichtlichen, sondern Data der Vorgeschichte. (MB: 639) Die Funde der mmoire involontaire, so Benjamin, sind brigens einmalig: der Erinnerung, die sie sich einzuverleiben sucht, entfallen sie. Damit sttzen sie einen Begriff der Aura, der die einmalige Erscheinung einer Ferne in ihr begreift. (MB: 647) Was aber macht die auratische Wahrnehmung unverzichtbar fr die Erfahrung? Die Perzeption der Aura in natrlichen Gegenstnden beruht auf der Projektion einer gesellschaftlichen Erfahrung unter Menschen auf die Natur: der Blick wird erwidert. (ZP: 670) Diese Erfahrung wird antizipiert in der Erwartung der Erwiderung des Blicks. Vor allem erinnert Benjamin hier an die romantische Metapher von dem Augenaufschlagen der Natur. Der Ausdruck des Belehnens impliziert zweierlei: zum einen eine bestimmte Form der Aufmerksamkeit bzw. der Rezeptionshaltung im Sinne der menschlichen Fhigkeit auf einen Blick zu antworten. Zum anderen the actualization of this intersubjective experience in the relationship with non-human nature. Hence the experience of the aura in natural objects is neither immediate or natural (in the sense of mystical) but involves a sudden moment of transference, a metaphoric activity. (Hansen 1987: 188) Der Blick, den uns die Natur scheinbar erwidert, spiegelt nicht das Subjekt in seiner Gegenwart, seine bewute Identitt, sondern er konfrontiert uns mit einem anderen Selbst, das wir zuvor nie in wachem Zustand gesehen haben. Diese an Freud erinnernde Konnotation suggeriert, da die einmalige Erscheinung einer Ferne, die in einer Wahrnehmung rumlich gegenwrtiger

Objekte sich manifestiert, eine zeitliche Erscheinung ist, marking the fleeting moment in which the trace of the unconscious, prehistoric past is actualized in a cognitive image. (Hansen 1987: 188) Das bedeutet, da auratische Erfahrung die Wahrnehmbarkeit eines Gegenstandes abhngig von einer reziproken Aufmerksamkeit macht (Lindner 1972: 29). Mageblich an dieser Definition des Auraerfahrens, die das Intentionslose intentional macht, ist, da die Individualitt des Erfahrungsobjekts eine unausschpfliche Distanz (Unnahbarkeit) zwischen sich und dem wahrnehmenden Individuum entstehen lt. (Lindner 1972: 29) Die Aura erzeugt eine Einsicht im Zustand des hnlichseins, aber keine Identitt. In der Kunst macht sie sich als unwiderrufliche Wirkung des Schnen geltend. Die auratische Erfahrung beruht dementsprechend auf der bertragung einer in der menschlichen Gesellschaft gelufigen Reaktionsform auf das Verhltnis des Unbelebten oder der Natur zum Menschen. (Lindner 1972: 29) Durch die technologischen Vernderungen, wie im Kunstwerk-Aufsatzes skizziert, verliert diese bertragung ihre Basis. Dies wird anhand Benjamins Ausfhrungen zur Schockerfahrung noch zu sehen sein. Die Erwiderung des Blicks, nennt Lindner das Paradigma der auratischen Erfahrung, das zugleich zweierlei enthlt: das verschmelzende Eintauchen und die krperliche Distanz, die suchende Nachahmung des Angeblickten und die Schwelle der taktilen Einverleibung. (Lindner 1992: 232) Das sich vergegenwrtigend, ist es nun einfach, die gesellschaftliche Bedingtheit des gegenwrtigen Verfalls der Aura einzusehen, denn dieser Verfall der Aura beruht auf zwei Umstnden, die beide mit dem Wachstum der Massen und der zunehmenden Intensitt ihrer Bewegung zusammenhngen. (KR2: 355) Die zwei Umstnde, von denen Benjamin hier spricht, sind zum einen das Anliegen der Massen, sich Dinge nherzubringen. Zum zweiten ist es ihre Neigung, das Einmalige jeder Gegebenheit durch die Aufnahme von deren Reproduktion zu berwinden (KR2: 355). So schreibt Benjamin dann auch im Passagenwerk, da fr den Verfall der Aura innerhalb der Massenproduktion eines von ganz besonderer Bedeutung ist: die massive Reproduktion des Bildes. (PW: 425) Reproduktionen, wie sie in illustrierten Zeitungen und der Wochenschau vorkommen, unterscheiden sich unverkennbar von Kunstwerken. In Kunstwerken sind Einmaligkeit und Dauer so verschrnkt wie in Reproduktionen Flchtigkeit und Wiederholbarkeit. Die Zertrmmerung der Aura ist Signatur einer Wahrnehmung, deren Sinn fr das Gleichartige in der Welt so gewachsen ist, da sie es mittels der Reproduktion auch dem Einmaligem abgewinnt. Die Ausrichtung der Realitt auf die Massen und umgekehrt ist ein Vorgang von unbegrenzter Tragweite sowohl fr das Denken wie fr die Anschauung. (KR2: 355) Vom Kult- zum Austellungswert: Folgen technischer Reproduzierbarkeit Benjamin formuliert im Anschlu an diese grundlegenden Feststellungen zwei paradigmatische Zusammenhnge, einerseits den Zusammenhang von auratischem bzw. echtem Kunstwerk und Ritual und andererseits dessen modernes Gegenstck technisch reproduzierte Kunstwerk und Politik. Dieser Gegensatz der beiden Paare, auratisches Kunstwerk/Ritual und technisch reproduziertes Kunstwerk/Politik, findet sich wieder in den beiden Polaritten im Kunstwerk: Kultwert und Ausstellungswert (KR2: 357).

Die Einzigkeit eines Kunstwerks ist identisch mit seinem Eingebettetsein in den Zusammenhang der Tradition stellt Benjamin fest und behauptet zugleich, da dies etwas Lebendiges ist, wie er anhand einer antiken Venusstatue deutlich macht. War diese bei den Griechen ein Gegenstand des Kults, so erblickten mittelalterliche Kleriker einen unheilvollen Abgott in ihr (KR2: 355). Dennoch trat beiden in gleicher Weise ihre Einzigartigkeit entgegen: ihre Aura (KR2: 356). Der einzigartige Wert des echten Kunstwerks hat seine Fundierung immer im Ritual. Dies beschreibt Benjamin wie folgt: Die ursprngliche Einbettung des Kunstwerks in den Traditionszusammenhang fand ihren Ausdruck im Kult. Die ltesten Kunstwerke sind, wie wir wissen, im Dienst eines Rituals entstanden, zuerst eines magischen, dann eines religisen. Es ist nun von entscheidender Bedeutung, da diese auratische Daseinsweise des Kunstwerks niemals durchaus von seiner Ritualfunktion sich lst. (KR2: 356) Selbst nach dem Eintreten der Kunst in den profanen Schnheitsdienst, wie es in der Renaissance geschah, ist das Kunstwerk noch als skularisiertes Ritual erkennbar. Erst das Aufkommen der Photographie lt diese Fundierung ins Wanken geraten. Die Photographie ist das erste wirklich revolutionre Reproduktionsmittel, das gleichzeitig mit dem Anbruch des Sozialismus die Kunst das Nahen einer Krise spren lt. Diese reagiert mit dem lart pour lart, die Benjamin als eine Art Theologie der Kunst bezeichnet, die wiederum die Idee der reinen Kunst zur Folge hat, die nicht nur jede soziale Funktion, sondern auch jede Bestimmung durch einen gegenstndlichen Vorwurf ablehnt. (KR2: 356) Diese Zusammenhnge bereiten eine entscheidende Erkenntnis vor: Durch die technische Reproduzierbarkeit emanzipiert sich das Kunstwerk erstmals in der Weltgeschichte von seinem parasitren Dasein am Ritual (KR2: 356); autonome Kunst wird somit erstmals mglich. Da aber das technisch reproduzierbare Kunstwerk immer mehr eine Reproduktion eines auf Reproduzierbarkeit angelegten Kunstwerks ist, macht die Frage nach dem Echten keinen Sinn mehr. Dieser Augenblick, an dem der Mastab der Echtheit versagt, markiert den Punkt, der die gesamte soziale Funktion der Kunst umwlzt. An die Stelle des Rituals tritt eine andere Fundierung, die Fundierung der Kunst auf Politik (KR2: 357). Die religisen und magischen Gebilde, die im Dienst des Rituals stehen, haben ihre Bedeutung einzig darin, da sie vorhanden sind, nicht aber, da sie gesehen werden. (KR2: 358) Benjamin verdeutlicht dies an Gtterfiguren, die nur dem Priester zugnglich sind, und Madonnenbilder, die fast das ganze Jahr ber verhangen sind. Erst mit der Emanzipation einzelner Kunstwerke von dem Ritual wchst die Gelegenheit zu ihrer Ausstellung. Vor allem die Reproduktion der Kunstwerke lt ihre Ausstellbarkeit so stark wachsen, da die quantitative Verschiebung zwischen seinen beiden Polen hnlich wie in der Urzeit in eine qualitative Vernderung seiner Natur umschlgt. Wie nmlich in der Urzeit das Kunstwerk durch das absolute Gewicht, das auf seinem Kultwert lag, in erster Linie zu einem Instrument der Magie wurde, das man als Kunstwerk gewissermaen erst spter erkannte, so wird heute das Kunstwerk durch das absolute Gewicht, das auf seinem Ausstellungswert liegt, zu einem Gebilde mit ganz neuen Funktionen, von denen die uns bewute, die knstlerische, als diejenige sich abhebt, die man spter als eine beilufige erkennen mag. (KR2: 358)

Zu dieser Erkenntnis gibt uns der Film die brauchbarste Handhabe, meint Benjamin. Die Kunst im Dienste der Magie, die nach den Erfordernissen der Gesellschaft abgebildet wurde, bediente sich der Techniken, die nur erst verschmolzen mit dem Ritual existierten. (KR2: 359) Benjamin nennt diese Techniken, die erste Technik. Sie ist im Kontext magischer Prozeduren und kultischer Rituale entstanden. Im Unterschied zur maschinellen Technik war diese primitiv, doch kommt es auf einen anderen, den tendenziellen Unterschied zwischen maschineller Technik und primitiver Technik an. Letztere hat ihre Grotat im Menschenopfer, fr sie gilt das ein fr allemal, da niewiedergutzumachende. Fr die maschinelle Technik gilt das einmal ist keinmal, denn sie hat es mit dem Experiment und seiner unermdlichen Variierung der Versuchsanordnung zu tun. (KR2: 359) Der Ursprung der zweiten Technik, also der maschinellen, liegt im Spiel. Auch hat sie es nicht, wie die erste, auf Naturbeherrschung abgesehen. Vielmehr richtet sie sich auf ein Zusammenspiel zwischen der Natur und der Menschheit. (KR2: 359) Sie soll das Schema der Naturbeherrschung transzendieren. (Lindner 1992: 231) Die Funktion des Films ist es, die Einbung des Zusammenspiels der Apperzeption und Reaktion zu ben, die durch den Umgang mit einer Apparatur bedingt ist, deren Rolle im Leben der Menschen fast tglich zunimmt. Auch wird diese bung an der Apparatur dem Menschen lehren, da die Knechtung in ihrem Dienst erst dann der Befreiung durch sie Platz machen wird, wenn die Verfassung der Menschheit sich den neuen Produktivkrften angepat haben wird, welche die zweite Technik erschlossen hat. (KR2: 360) Der Kultwert wird mit dem Aufkommen der Photographie nun fast vollstndig vom Ausstellungswert verdrngt. Jedoch weicht ersterer nicht vollstndig. In der Portraitphotographie, die in der frhen Photographie im Mittelpunkt stand, findet der Kultwert seine letzte Zuflucht und mit ihm auch die Aura, die zum letzten Mal im flchtigen Ausdruck eines Menschengesichts winkt (KR2: 360). Erst mit dem Zurckweichen der Menschen aus der Photographie, wie Benjamin am Beispiel der Bilder Atgets zeigt, schwindet die Aura und mit ihr der Kultwert. Dadurch, da die Bilder von Atget beginnen, Beweisstcke im historischen Proze zu werden, haben sie eine verborgene politische Bedeutung. Diese menschenleeren Bilder Atgets sind es auch, die vom Betrachter eine andere Art der Rezeption fordern. Sie erlauben keine freischwebende Kontemplation mehr, vielmehr sucht der Betrachter nach Direktiven. Sie sind es, die die Beschriftung, das Aufstellen von Wegweisern, obligat machen, die dann im Film noch gebieterischer werden, wo jedes Bild durch die Folge aller vorangegangenen vorgeschrieben erscheint. (KR2: 360) Anhand der Potraitphotographie zeigt sich deutlich, da der Verlust der Aura nicht ausschlielich technisch bedingt ist (Krauss 1998: 33), sondern auch durch die - bereits oben erwhnten - Merkmale technisch reproduzierter Kunstwerke, wie den Traditionsverlust und den Verlust der geschichtlichen Zeugenschaft. Der Film, zu Benjamins Zeit die vorerst letzte Entwicklung der technischen Reproduzierbarkeit, ist das erste Kunstwerk, das in seinem Kunstcharakter durchgngig von seiner Reproduzierbarkeit bestimmt ist. Damit setzt er den Film diametral der klassischen Kunst entgegen. Die Kunst der Griechen beispielsweise war, so Benjamin, darauf angewiesen, Ewigkeitswerte zu produzieren. Das bedeutet auch, da fr die Griechen die Qualitt eines Kunstwerks sich durch ganz andere Kriterien bema als dies im Zeitalter des Films geschieht. Der Film hat nmlich ein ausschlaggebendes Qualittskriterium, das fr die Griechen vllig unbedeutend gewesen ist: die Verbesserungsfhigkeit (KR2: 361f.). Diese Qualitt

verdeutlicht er anhand Chaplins Film Opinion Publique. Dieser Film ist 3000m lang, doch hat Chaplin 125'000m drehen lassen. Daraus schliet Benjamin: Der Film ist also das verbesserungsfhigste Kunstwerk. Und diese seine Verbesserungsfhigkeit hngt mit seinem radikalen Verzicht auf den Ewigkeitswert zusammen. (KR2: 362) Der Film als Kunst fr die Massen Die Frage, ob Photographie und Film Kunstwerke sind, wurde bisher immer falsch gestellt, ist es doch entscheidender, ob der Gesamtcharakter der Kunst durch die Erfindung von Film und Photographie sich verndert hat. Fr den Film ist dies noch schwieriger zu beantworten als fr die Photographie (KR2: 362). Benjamin beschreibt, was an den jeweiligen Reproduktionen die Dimension des Kunstwerks ausmacht. Bei der Photographie ist das Reproduzierte das Kunstwerk und nicht die Produktion. Beim Film hingegen ist weder das Reproduzierte, noch der Akt der Produktion das Kunstwerk. Beim Film entsteht das Kunstwerk erst auf Grund der Montage. (KR2: 364) Es bleibt zu fragen, was die im Film reproduzierten Vorgnge sind, die erst zusammen den Film, das Kunstwerk ausmachen. Benjamin meint, da die Antwort von der Leistung des Filmdarstellers ausgehen mu. Der Filmdarsteller ist stets einem Test unterzogen: Er spielt vor einer Apparatur und mu den Bedingungen des Mikrophons und der Jupiterlampen gengen. Der Film macht die Testleistung ausstellbar, indem er aus der Ausstellbarkeit der Leistung selbst einen Test macht. Sie darstellen heit, im Angesicht der Apparatur seine Menschlichkeit beibehalten. (KR2: 365) Die Massen unterlaufen tglich einen gleichen Test whrend ihrer Arbeit. Denn dort sind sie gezwungen, vor einer Apparatur ihrer Menschlichkeit sich zu entuern. Dieselben Massen sind es, die abends die Kinos fllen, um zu erleben, wie der Filmdarsteller fr sie Revanche nimmt, indem seine Menschlichkeit (oder was ihnen so erscheint) nicht nur der Apparatur gegenber sich behauptet, sondern sie dem eigenen Triumph dienstbar macht. (KR2: 365) Fr den Film kommt es nicht darauf an, da der Filmdarsteller dem Publikum einen anderen darstellt, sondern darauf, da er der Apparatur sich selbst darstellt. Somit kommt der Mensch zum ersten Mal in die Lage mit seiner gesamten lebendigen Person, aber unter Verzicht deren Aura wirken zu mssen, die - wie schon oben dargestellt - an sein Hier und Jetzt gebunden ist, und von der es kein Abbild geben kann (KR2: 366). Dies ist vor allem im Gegensatz zur Schaubhne zu sehen, denn die Aura dort, die um Macbeth ist, kann von der nicht abgelst werden, die fr das lebendige Publikum um den Schauspieler ist, welcher ihn spielt. (KR2: 366) Im Gegensatz zum Schauspieler auf der Bhne kann sich der Filmdarsteller sehr oft nicht in eine Rolle versetzen. Seine Leistung ist eine aus vielen Einzelleistungen zusammengeschnittene, wobei diese Einzelleistungen immer die elementaren Notwendigkeiten der Maschinerie beachten mu, so da sie montierbar bleiben. Das Gesamtwerk mu unter Bercksichtigung vieler Einzelmomente wie Ateliermiete, Dekor, Verfgbarkeit der Schauspieler, etc. zu Stande kommen. Nichts zeigt deutlicher, resmiert Benjamin, da die Kunst aus dem Reich des schnen Scheins entwichen ist, das solange als das einzige galt, in dem sie gedeihen knne. (KR2: 368) Die

Selbstentfremdung des Menschen hat durch seine Darstellung durch die Apparatur eine hchst produktive Verwertung erfahren. (KR2: 369) Das Befremden des Darstellers vor der Apparatur ist vergleichbar mit dem Befremden des Menschen vor dem eigenen Spiegelbild. Durch die Apparatur wird dieses Spiegelbild vom Menschen ablsbar und transportabel. Der Filmdarsteller hat dies stndig im Bewutsein, d.h. da er es immer, wenn er vor der Apparatur steht, mit der Masse zu tun hat, die ihn wiederum kontrolliert. Diese den Schauspieler kontrollierende Masse ist aber weder sichtbar noch schon vorhanden, whrend der Schauspieler im Angesicht der Apparatur seine Leistung absolviert. Dadurch wird die Autoritt der Kontrolle gesteigert. Doch weist Benjamin darauf hin, da die politische Auswertung dieser Kontrolle noch lange auf sich warten lassen wird (KR2: 370). Bis dahin bleibt die Kontrolle eine Gegenrevolutionre, und der vom Filmkapital gefrderte Starkultus konserviert nicht allein jenen Zauber der Persnlichkeit, welcher schon allein im fauligen Schimmer ihres Warencharakters besteht, sondern sein Komplement, der Kultus des Publikums, befrdert zugleich die korrupte Verfassung der Masse, die der Faschismus an die Stelle ihrer klassenbewuten zu setzen sucht. (KR2: 370) Um die Anteilnahme der Massen an ihren Produkten zu sichern, hat die Filmindustrie einen gewaltigen publizistischen Apparat in Bewegung gesetzt wie zum Beispiel Plebiszite und Schnheitskonkurrenzen, um dadurch das berechtigte Interesse der Selbst- und somit auch der Klassenerkenntnis - auf korruptivem Weg zu verflschen. Es gilt daher vom Filmkapital im besonderen, was vom Faschismus im allgemeinen gilt: da ein unabweisbares Bedrfnis nach neuen sozialen Verfassungen insgeheim im Interesse einer besitzenden Minderheit ausgebeutet wird. (KR2: 372) Auf diese Art und Weise verwandelt der Kapitalismus die revolutionren Mglichkeiten der Kontrolle in ihr Gegenteil. Das ist ein Phnomen, das fr Benjamin auch in der Krise der Demokratien zu sehen ist, denn diese Krise lt sich als eine Krise der Ausstellungsbedingungen des politischen Menschen verstehen. Dies fhrt zu einer Auslese, einer Auslese vor der Apparatur, aus der der Champion, der Star und der Diktator als Sieger hervorgehen. (KR2: 369, Fn. 11) Wie beim Sport wohnt das Publikum beim Film dem Ereignis als halber Fachmann bei. hnlich, wie im Zuge der Literarisierung und des sich ausdehnenden Pressewesens die Unterscheidung zwischen Autor und Publikum fiel, verhlt es sich heute mit dem Film (KR2: 371). Das verdeutlicht Benjamin anhand des russischen Films. Die Darsteller im russischen Film sind nicht Darsteller im eigentlichen Sinn, sondern Leute, die sich in erster Linie in ihrem Arbeitsproze darstellen. Dies wird in Westeuropa durch die kapitalistische Verwertung des Films verhindert. Erst nach der Befreiung des Films von seiner kapitalistischen Ausbeutung knnen die revolutionren Chancen dieser Kontrolle durch die Masse zum Tragen kommen, d.h. das Interesse der Massen an ihrer Selbstund Klassenerkenntnis wird gestillt werden knnen. Darum ist die Expropriation des Filmkapitals eine dringende Forderung des Proletariats (KR2: 372), um eine Verwertung des Films im Sinne des russischen Films und des brechtischen Theaters zu erlangen und somit die Krise der Demokratie zu berwinden.

Was dem Film allerdings als Verdienst gutgeschrieben werden kann, solange das Kapital den Ton angibt, ist, da er eine Kritik an der berkommenen Vorstellung von Kunst befrdert. Die Filmaufnahme bietet einen zuvor nie denkbaren Anblick. Dargestellt wird in ihr ein Vorgang, dem kein Standpunkt mehr zugewiesen werden kann, von dem aus man nicht die der Aufnahme zugehrige Apparatur mte sehen knnen. Das heit, da die illusionre Natur des Films eine Natur zweiten Grades ist, da der vom Fremdkrper Apparatur freie Aspekt Ergebnis von Schnitt und Montage ist. Der apparatfreie Aspekt der Realitt ist hier zu einem knstlichen geworden und der Anblick der unmittelbaren Wirklichkeit zur blauen Blume im Land der Technik. (KR2: 373) Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verndert das Verhltnis der Masse zur Kunst. Einem Picasso gegenber noch das rckschrittlichste Publikum, wird es das fortschrittlichste angesichts eines Films von Chaplin. Die Malerei ist nicht geeignet zur Kollektivrezeption - wie zum Beispiel frher das Epos oder schon immer die Architektur und heute der Film (KR2: 374f.). Die wichtigste gesellschaftliche Aufgabe des Films ist, das Gleichgewicht zwischen Mensch und Apparatur herzustellen. Dies geschieht nicht nur dadurch, auf welche Art der Mensch sich der Apparatur zur Aufnahme stellt, sondern wie er mit deren Hilfe die Umwelt sich darstellt. (KR2: 375) Zeitlupe, Zoom, Fhrung des Objektivs sind Mittel des Films, Einsichten in Zwangslufigkeiten zu vermehren, die unser Dasein regieren und uns andererseits einen ungeahnten Spielraum zu versichern. So erfahren wir durch die Kamera erst jetzt vom Optisch-Unbewuten, wie vom Triebhaft-Unbewuten durch die Psychoanalyse. Zwischen beiden Arten des Unbewuten bestehen, so Benjamin, die engsten Zusammenhnge. In die alte heraklitische Wahrheit - die Wachenden haben ihre Welt gemeinsam, die Schlafenden jeder eine fr sich - hat der Film eine Bresche geschlagen. Und zwar viel weniger mit Darstellungen der Traumwelt als mit der Schpfung von Figuren des Kollektivtraums wie der erdumkreisenden Micky-Maus. (KR2: 375) Schon in seinem Aufsatz Erfahrung und Armut hat Benjamin das Dasein von MickyMaus als einen solchen Traum bezeichnet. Ihr Dasein ist voller Wunder, allesamt ohne Maschinerie improvisiert, Natur, Technik, Primitivitt und Komfort sind hier vollkommen eins geworden und vor den Augen der Leute (...) erscheint erlsend ein Dasein. (EA: 218) Benjamin geht es hier um die therapeutische Funktion des Films, die auf dessen Fhigkeiten beruht, individuelle Grenzerfahrungen wie Psychosen und Alptrume hervorgerufen durch die Technisierung der Umwelt - in Kollektiverfahrungen zu verwandeln (Hansen 1993: 31). So erzeugt die Technisierung in groen Massen Spannungen, die in bestimmten Konstellationen psychotischen Charakter annehmen knnen. Doch dieselbe Technisierung ist es, die sich durch gewisse Filme die Mglichkeit der psychischen Impfung der Massen gegeben hat. Diese Filme nehmen die Massenpsychosen wie sadistische Phantasien oder masochistische Wahnvorstellungen - vorweg und verhindern das Reifen solcher Psychosen durch ihren vorzeitigen Ausbruch im kollektiven Gelchter der Rezipienten (KR2: 377). Also ist ein weiterer Verdienst des Films, da er ein Gegengift zu den Massenpsychosen der Moderne ist: Die amerikanischen Groteskfilme und die Filme Disneys bewirken eine therapeutische Sprengung des Unbewuten. (KR2: 377)

Schockerfahrung Das taktische Element des Films, da der Dadaismus noch in seiner Emballage verpackt hielt (KR2: 380), ist die Schockwirkung, der hektische Wechsel zwischen Schaupltzen und Einstellungen, welche Stoweise auf den Beschauer eindringen. (KR2: 379) Die Schockwirkung des Films beruht darauf, da der Rezipient sich keinem freien Assoziationsablauf berlassen kann, denn er wird stndig durch Vernderung des zu rezipierenden unterbrochen. Daraus wird ersichtlich, folgert Benjamin, da der Film der betonten Lebensgefahr, in der die Heutigen leben, (die) entsprechende Kunstform ist. Auch entspricht er den tiefgreifenden Vernderungen des Apperzeptionsapparates - Vernderungen wie sie im Mastab der Privatexistenz jeder Passant im Grostadtverkehr, wie sie im weltgeschichtlichen Mastab jeder Kmpfer gegen die heutige Gesellschaftsordnung erlebt. (KR2: 379f, Fn. 16) Die Masse ist fr Benjamin die Quelle, aus dem alles gewohnte Verhalten Kunstwerken gegenber neugeboren hervorgeht. (KR2: 381) Whrend der Einzelne sich in Kunstwerke versenkt, versenkt die zerstreute Masse ihrerseits das Kunstwerk in sich. Als Beispiel dafr vergleicht Benjamin die Rezeption von Bauwerken, die die Menschen seit jeher begleiten. Die Rezeption von Bauten erfolgt durch Gebrauch und Wahrnehmung, oder anders formuliert: taktisch und optisch (KR2: 381). Die taktische Rezeption erfolgt auf dem Wege der Gewohnheit, und bei der Rezeption von Architektur bestimmt diese sogar die optische. Dies trifft nun auch auf den Film zu, da in geschichtlichen Wendezeiten dem menschlichen Wahrnehmungsapparat (Aufgaben) gestellt werden, (...) (die) auf dem Weg der bloen Optik, also der Kontemplation, gar nicht zu lsen (sind). Sie werden allmhlich nach Anleitung der taktilen Rezeption, durch Gewhnung bewltigt. (KR2: 381) Gewhnen kann sich auch der Zerstreute, mehr noch: Gewisse Aufgaben in der Zerstreuung zu bewltigen heit, da sie zu lsen eine Gewohnheit geworden ist. In geschichtlichen Wendezeiten erwachsen neue Aufgaben fr die Apperzeption. Wie weit diese zu lsen sind, wird durch die Zerstreuung, wie Kunst sie zu bieten hat, kontrolliert, indem sie sich der Kunstform zuwendet, wo sie die Massen mobilisieren kann: im Film. Denn am Film hat die Rezeption in der Zerstreuung, die ein Symptom von tiefgreifenden Vernderungen in der Apperzeption ist, ihr eigentliches bungsfeld. In seiner Schockwirkung kommt der Film dieser Rezeptionsform entgegen. Dadurch, da der Film das Publikum in eine begutachtende Haltung bringt und dadurch, da diese Aufmerksamkeit nicht einschliet, drngt der Film den Kultwert zurck (KR2: 381). In der dritten Fassung des Kunstwerkaufsatzes geht Benjamin noch weiter, indem er der Masse eine kritische Haltung attestiert: Das Publikum ist ein Examinator, doch ein zerstreuter. (KR3: 505) Benjamin ist der Auffassung, da der technische Fortschritt das menschliche Sensorium einem Training komplexer Art unterwirft (MB: 630). So z.B. stellt die Erfindung des Streichholzes und eine Reihe anderer Neuerungen eine Art Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung der Menschen dar, denn diese Erfindungen erlauben es samt und sonders, vielgliedrige Ablaufreihen durch einen einzigen Handgriff zu ersetzen. Als besonders folgenreich unter den unzhligen Gebrden des Schaltens, Einwerfens, Abdrckens usf. wurde das Knipsen des Photographen. (MB: 630) Von nun an gengte ein Fingerdruck, um fr unbegrenzte Zeit ein Ereignis festzuhalten.

Der Apparat erteilte dem Augenblick sozusagen einen posthumen Chock. (MB: 630) Die haptischen Erfahrungen, die vorher nur an Bauten gemacht werden konnten (KR3: 504f.), werden noch untersttzt durch die optischen Schocks, denen die Menschen ausgesetzt sind. Der einzelne wird somit zu einem mit Bewutsein versehenen Kaleidoskop (MB: 630). Das menschliche Sensorium wird einem Training komplexer Art unterworfen, und dem so vernderten Reizbedrfnis entspricht der Film, da in ihm die chockfrmige Wahrnehmung als formales Prinzip zur Geltung kommt. (MB: 630f.). Benjamin beschreibt die dialektische Struktur des Films auf seiner technischen Seite als diskontinuierliche Bilder, die sich in kontinuierlicher Folge einander ablsen. Eine Theorie des Films mte den beiden Daten dieser Formel gerecht werden. (PVV: 1040) Aber nicht nur dem Film entspricht diese neue Form der Wahrnehmung, sondern auch dem von Marx konstatierten Wandel hin zur Industriearbeit. Whrend im Handwerk und in der Manufaktur die Arbeitsmomente noch flssige sind und der Arbeiter sich dort noch des Werkzeugs bedient, dient er in der Fabrik der Maschine (Marx 1962: 445). Dieser flssige Zusammenhang der Arbeitsmomente im Handwerk tritt am Flieband dem Fabrikarbeiter verselbstndigt als ein dinglicher gegenber. (MB: 631) Ohne das Zutun oder Wollen des Arbeiters gelangt das Werkstck in dessen Aktionsradius und tritt ebenso wieder aus diesem heraus, denn aller kapitalistischen Produktion ist es gemeinsam, da nicht der Arbeiter die Arbeitsbedingung, sondern umgekehrt die Arbeitsbedingung den Arbeiter anwendet, aber erst mit der Maschinerie erhlt diese Verkehrung technisch handgreifliche Wirklichkeit. (Marx 1962: 446) Somit mu der Arbeiter in der kapitalistischen Produktion, d.h. im Umgang mit der Maschine lernen, seine eigne Bewegung der gleichfrmig kontinuierlichen Bewegung eines Automaten anzupassen. (Marx 1962: 443) Auch hier sind wieder eindeutige Parallelen zum Film erkennbar: Was zunchst die Kontinuitt angeht, so kann nicht bersehen werden, da das laufende Band, welches eine so entscheidende Rolle im Produktionsproze spielt, im Proze der Consumption gewissermaen durch das Filmband vertreten wird. Beide drften einigermaen gleichzeitig aufgetreten sein. Die gesellschaftliche Bedeutung des einen kann ohne die des anderen nicht voll verstanden werden. (PVV: 1040) Um den im Kunstwerkaufsatz eingefhrten Begriff der bung von dem nun neu eingefhrten Begriff der Dressur zu unterscheiden, bezieht sich Benjamin auf Marx. Im Zusammenhang mit der Maschinenarbeit heit es bei Marx, da alle Arbeit an der Maschine frhzeitige Dressur des Arbeiters bentigt. Benjamin spannt hier den Bogen zu der Testhaltung der Zuschauer beim Betrachten eines Films, bzw. der darstellenden Leistung des Filmschauspielers. Ist es beim Handwerk die bung, die den Handwerker befhigt, ein Produkt anzufertigen, so ist es nun die Dressur des Arbeiters, die der Maschine erlaubt ein (Teil-)Produkt herzustellen. Der qualitative Unterschied besteht darin, da die bung Erfahrung erfordert und ermglicht. Die Tatsache, da die auf Dressur beruhende Arbeit keiner bung bedarf, wird daran deutlich, da jeder der Handgriffe eines Arbeiters an einer Maschine ohne Zusammenhang ist, weil er gerade dessen strikte Wiederholung darstellt. (MB: 633) Die Arbeit an der Maschine ist also gegen Erfahrung abgedichtet und von Inhalt befreit. Sie versinnbildlicht den Erfahrungsverlust des Menschen in der Moderne, der der

Erfahrung im Schockerlebnis entspricht. Der Arbeitsproze hat keinen organischen Zusammenhang mehr, die Schocks sprengen den Arbeitsproze auf und die Arbeitsmomente werden voneinander unabhngig. bung regrediert zur Dressur. Erfahrung aber hat sich nicht so sehr verndert, als da sie aufgehoben wurde. An die Stelle der Erfahrung tritt ein psychischer Mechanismus, der den Menschen aus jeder Tradition ausschliet und ihn nur mehr zu monadologischen Erlebnissen gelangen lt (Tiedemann 1973: 104). Anders formuliert heit das, da Benjamin zwischen der zeitlichen Erfahrung des Handwerks, eine noch Erfahrung stiftende Zeitlichkeit, und der der industriellen Produktion unterscheidet. Letzterer kommt es nur noch auf Reflexbewegungen zum richtigen Zeitpunkt an, die nicht mehr bung, sondern Dressur sind (Raulet 1996: 6). Dieser Erfahrungsverlust durch die Massenproduktion wird von Benjamin mit einer Hypothese Freuds gedeutet, in der die Schockrezeption an das Bewutsein verwiesen wird. Das Bewutsein hat als eine Art Reizschutz zu fungieren, denn der Reizschutz ist fr den lebenden Organismus eine beinahe wichtigere Aufgabe als die Reizaufnahme. Die Bedrohung durch uere Energien ist die durch Schocks. Gelingt dem Reizschutz deren Neutralisierung, so nimmt der Vorfall, den der Schock auslst, den Charakter des Erlebnisses im prgnanten Sinn an (MB: 614). Gelingt dies nicht, werden die andrngenden Schocks also nicht vom Bewutsein pariert, so sind traumatische Neurosen die Folge (Tiedemann 1973: 5). Wie aber Raulet richtig feststellt, gert die Theorie des Schocks in eine untergeordnete Stellung, denn Benjamin zieht aus Freuds Gedankengang einen Schlu, den Freud selbst so nie gezogen htte, nmlich, da das Bewutsein dazu dient, vor Erregungen zu schtzen (Raulet 1996: 13). Die Schockerfahrung entspricht dem Zeitalter der Moderne, da sie im Gegensatz zur mmoire involontaire keine Erfahrung stiftet. Sie ist Erlebnis. Die mmoire involontaire versteht Benjamin im Gegensatz dazu als jene besondere Form der Erinnerung, die nicht nur unbewut vergessene, sondern auch unbewut erlebte Erlebnisse wachruft. (Raulet 1996: 12) Wichtig dabei ist, da dieses Wachrufen genauso unwillkrlich vor sich geht wie das Vergessen, also kein verllicher Erfahrungsschatz ist. Letztlich luft Benjamins Theorie der Schockerfahrung darauf hinaus, da sie zu einer Theorie der Abwehr der ununterbrochen auf die Menschen der Moderne einstrzenden Schocks wird. Denn je mehr Eindrcke das Bewutsein neutralisieren, d.h. Reizschutz leisten mu, desto weniger gehen sie in die Erfahrung ein; desto eher erfllen sie den Begriff des Erlebnisses. (MB: 615) Darin knnte man die Leistung der Schockabwehr sehen: dem Vorfall auf Kosten der Integritt seines Inhalts eine exakte Zeitstelle im Bewutsein anzuweisen. Das wre eine Spitzenleistung der Reflexion. (MB: 615) Benjamins Theorie der Schockerfahrung im Kunstwerkaufsatz wird in dem Aufsatz ber einige Motive bei Baudelaire einer Revision unterzogen, die hier aber nicht dargestellt werden kann, da sie ber die Intention dieses Beitrages hinausgehen wrde. Festzuhalten bleibt, da in der Moderne der Apperzeptionsapparat neue Aufgaben, d.h. andere Formen der Wahrnehmung, bewltigen mu. Dabei geht die Erfahrung verloren, es bleibt nur noch das Erlebnis. Diese Art der Wahrnehmung entspricht der Industrialisierung, d.h. den Lebensverhltnissen bzw. -umstnden der Menschen in der Moderne. Allerdings scheint das Optisch-Unbewute eine hnliche Erfahrungsmglichkeit in der Schockrezeption in der Menge wie die Aura in der Kontemplation des Individuums anzubieten. Hansen verweist in ihrem Aufsatz darauf, da das Optisch-Unbewute zwischen einer Beschreibung technischer Innovation und deren emanzipatorischen

Mglichkeiten pendelt, zwischen historischer Analyse und einem utopischen Diskurs der Erlsung (Hansen 1987: 210). Dieses Pendeln sei aber keine methodologische Konfusion Benjamins, sondern es sei motivated by a dialectical movement within certain key concepts (e.g. nature, history, aura) and theoretical tropes (e.g. eternal recurrence, dreaming collective) whose meaning depends upon the particular constellation in which they are deployed. Thus, the recuperation of the cinema as a medium of experience brings into play a constitutive ambiguity in Benjamins concept of shock, an ambiguity crucial to his endorsement of a distracted mode of reception. (Hansen 1987: 210) Photographie und Film sind nicht nur in der Lage, mittels ihres schockhaften Zugriffs in Schnitt und Montage die Befreiung eines Optisch-Unbewuten einzuleiten, sondern die Befreiung von Erfahrung berhaupt. Die Erfahrung ist in der modernen Gesellschaft zum Privileg derjenigen geworden, die die Verfgungsgewalt ber die Produktionsmittel selbst haben. (Stoessel 1983: 161) Dadurch erst werden Photographie und Film fr die Priviligierten zu mglichen Veranstaltungen, sich Erfahrungen zu bemchtigen, die als kollektive, menschheitsgeschichtliche zitierbar werden im Augenblick, da infolge historischer Pervertierung ihre wirkliche Substanz zergeht. (Stoessel 1983: 161) Potentielle Konsequenzen der technischen Reproduzierbarkeit Die technische Reproduzierbarkeit von Kunstwerken, die in Benjamins Konzeption primr eine optisch-visuelle Reproduktion darstellt, lt drei Alternativen zu: 1. sthetisierung der Politik: Proletarisierung der Menschen und Formierung der Massen sind zwei Seiten eines Geschehens. Der Faschismus versucht die Massen zu organisieren, ohne jedoch die Eigentumsverhltnisse zu verndern. Er sucht sein Heil darin, die Massen zu ihrem Ausdruck kommen zu lassen. Anstatt die Massen zu ihrem Recht zu verhelfen, also die Eigentumsverhltnisse zu ndern, sucht er ihnen einen Ausdruck in deren Konservierung zu geben. Daher luft der Faschismus auf eine sthetisierung des politischen Lebens hinaus. (KR2: 382) Der Vergewaltigung der Massen, die er im Kult eines Fhrers zu Boden zwingt, entspricht die Vergewaltigung einer Apparatur, die er der Herstellung von Kultwerten dienstbar macht. (KR3: 506) Die sthetisierung der Politik mndet im Krieg. Nur dieser macht es mglich unter Beibehaltung der Besitzverhltnisse, den Massen ein Ziel zu geben. Aus technischer Sicht ist es der Krieg, der es erlaubt, - wiederum unter Beibehaltung der Besitz- und Produktionsverhltnisse - smtliche technische Mglichkeiten der Gegenwart auszuschpfen. Der Faschismus ist auf diese Art des technischen Fortschritts angewiesen, weil er nicht imstande ist, den Widerspruch zwischen Produktionsverhltnissen und Produktivkrften auf andere Weise sich zu entledigen. Der Faschismus erwartet also die Befriedigung der durch die Technik vernderte Sinneswahrnehmung durch den Krieg. Die Menschheit wird zum Schauobjekt fr sich selbst, ihre Selbstentfremdung hat jenen Grad erreicht, der sie ihre eigene Vernichtung als sthetischen Genu erleben lt (KR2: 382ff.). Die sthetisierung der Politik im Faschismus beruht also auf der Vergewaltigung der Apparatur, durch die er den Film zum Medium der Verbreitung von Kultwerten macht, also den Nationalsozialismus und seine Folgen als Ritual und Bestandteil einer Tradition erscheinen lt.

2. Vereinahmung der neuen Techniken durch die Kulturindustrie: Kunstwerke erhalten statt einer Fundierung im Ritual und auf Kultwerten eine Fundierung im Warenfetisch. Die Masse als Rezipient steht den nichtauratischen Kunstwerken genauso gegenber wie den Auratischen. Nur da sie jetzt anstatt einer Aura eine Pseudoaura rezipiert, die durch den Starkult gefrdert wird. (KR2: 372) Pseudoaura dient der Massenbeherrschung, und Kultur wird zum Warenfetisch. Im Unterschied zum Faschismus versucht die Kulturindustrie aber nicht, durch eine Vergewaltigung der Apparatur neue Kultwerte zu schaffen, sondern der Rezipient soll sich an der Einheitlichkeit des Produzierten ausrichten. Die Leistung, die der kantische Schematismus noch von den Subjekten erwartet hatte, nmlich die sinnliche Mannigfaltigkeit vorweg auf die fundamentalen Begriffe zu beziehen, wird dem Subjekt von der Industrie abgenommen. (Adorno/Horkheimer 1997: 145) Die Kulturindustrie unterstellt alle Zweige der geistigen Produktion in gleicher Weise dem einen Zweig, die Sinne der Menschen vom Ausgang aus der Fabrik am Abend bis zur Ankunft bei der Stechuhr am nchsten Morgen mit den Siegeln jenes Arbeitsganges zu besetzen, den sie den Tag ber selbst unterhalten mssen (Adorno/Horkheimer 1997: 153). Gleichzeitig erleben sie, wie der Filmdarsteller fr sie Revanche nimmt an eben jenem System (KR2: 365), in dem das Amsement (...) die Verlngerung der Arbeit unterm Sptkapitalismus ist (Adorno/Horkheimer 1997: 158). Fr dieses Amsement steht Donald Duck Pate, der in den Cartoons wie die Unglcklichen in der Realitt (...) seine Prgel erhlt, damit die Zuschauer sich an die eigenen gewhnen. (Adorno/Horkheimer 1997: 160) 3. Politisierung der Kunst: Hier kommt es Benjamin auf ein aufgeklrtes Verhltnis zwischen den Massen und den neuen Medien, d.h. in erster Linie Film und Photographie an. Benjamins Vorstellung ist, da hnlich wie bei der Literarisierung gegen Ende des vorigen Jahrhunderts eine Wende eintritt. Wie sich damals die Presse ausdehnte, und ein immer breiteres Publikum bekam, das - zumindest potentiell zugleich Lesendes und Schreibendes war (KR2: 371f.), so hat heute jeder den Anspruch, reproduziert zu werden. Als Beispiel fhrt Benjamin die russische Entwicklung an, wo im Film Menschen sich darstellen, und zwar in erster Linie in ihrem Arbeitsproze. (KR2: 372) Benjamin schwebt also eine Verschmelzung von Produzent und Rezipient vor. Dies verbietet die kapitalistische Ausbeutung des Films. Benjamin verdeutlicht die Politisierung der Kunst an Brechts epischem Theater. Das herkmmliche politische Theater befrderte nur das Einrcken proletarischer Massen in eben die Position, die der Theaterapparat fr die brgerlichen geschaffen hat. (WEP: 519) Das epische Theater dagegen wendet sich an diejenigen, die ohne Grund nicht denken, d.h. an die Massen (WEP: 522). Denn fr die Politisierung der Kunst und fr Brechts episches Theater gilt, was - so Benjamin - Marx gelang als es ihm um die Verbreitung des Sozialismus ging: Nie wre der Sozialismus in die Welt getreten, htte man die Arbeiterschaft nur fr eine bessere Ordnung der Dinge begeistern wollen. Da es Marx verstand, sie fr eine zu interessieren, in der sie es besser htten und ihnen die als die gerechte zeigte, machte die Gewalt und Autoritt der Bewegung aus. Mit der Kunst steht es aber genauso. Zu keinem, wenn auch noch so utopischen Zeitpunkt, wird man die Massen fr eine hhere Kunst, sondern immer nur fr eine gewinnen, die ihnen

nher ist. Und die Schwierigkeit, die besteht gerade darin, die so zu gestalten, da man mit dem besten Gewissen behaupten knne, die sei eine hhere. (PW: 499) Die Kunst, die kritische Intelligenz und die Massen und ihr Wahrnehmungsbedrfnis bewegen sich von zwei Seiten aufeinander zu. Die neuen Medien bilden den Punkt des Zusammentreffens beider Tendenzen und die Voraussetzung einer umgewlzten Konstellation von Intelligenz und Massen. Dieser Aufgabe ist heute vielleicht allein der Film gewachsen, jedenfalls steht sie ihm am nchsten. (PW: 500)

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