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Landesvorstand - Neue Richter · 2016. 4. 22. · Landesvorstand: Ruben Franzen, AG Eilenburg, 03423-654-330 Sprecher Peter Thieme, LG Leipzig, 0341-2141-437 Sprecher Christian Avenarius,

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Page 1: Landesvorstand - Neue Richter · 2016. 4. 22. · Landesvorstand: Ruben Franzen, AG Eilenburg, 03423-654-330 Sprecher Peter Thieme, LG Leipzig, 0341-2141-437 Sprecher Christian Avenarius,
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Landesvorstand:Ruben Franzen, AG Eilenburg, 03423-654-330 SprecherPeter Thieme, LG Leipzig, 0341-2141-437 SprecherChristian Avenarius, StA Dresden,0351-446-2110 Carola Claßen, SG Dresden, 0351-446-5340Thomas Guddat, SVB, 3222-3587-35Gottfried Rokita, vormals LSG Chemnitz, 0351-836-4246

Adresse des Landesverbandes: Landgericht Leipzig (Peter Thieme), PSF 100 964, 04009 Leipzigemail: [email protected]; [email protected]

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Ruben Franzen, AG Eilenburg

EDITORIAL

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

nein, wir meinen nicht, dass es ausreichen könnte, das Äußere zu re-designen und auf Hochglanz zu bringen, wenn die Inhalte nicht stimmen.

Beim Anwendungsprogramm forum* stimmt der Inhalt nicht. Es bedarf deshalb nicht des vor kurzem in Aussicht gestellten Re-designes, sondern eines Cuts (INFO 19), also einer Neukonzeption. Von Grund auf.

In diesem Heft stimmen die Inhalte. Davon sollten Sie sich gerne selber überzeugen.

1) Thema Besoldung: Was uns das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5.5.2015 wirklich bringt. Dazu ein Eigenzitat des Verfassers aus der Anhörung des Rechts- und Verfassungsausschusses vom 2.9.2015: „Die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Formel kann eine der Funktion und der Unabhängigkeit der Judikative gerecht werdende Besoldung gerade n i c h t dauerhaft garantieren. Es wäre folglich eine Katastrophe, würde sich die Richterbesoldung dauerhaft an dieser Untergrenze im Sinne einer Leitli-nie orientieren. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nicht etwa als Gebrauchsanweisung zu verstehen, sondern als Reißleine.“ ........ auf Seite 3

2) Christian Avenarius berichtet von den Koalitionsverhandlungen. Er öffnet einen Einblick in eine andere Welt. In eine Welt mit anderen Spielregeln – die so viel Einfluss hat auf unsere Lebenswirklichkeit. Auf die Zahl der Rich-terplanstellen, und auf die Rolle der Staatsanwaltschaft. Besonders der im Koalitionsvertrag vereinbarte Verzicht auf die Ausübung des externen Wei-sungsrechts durch den Staatsminister wird in seiner Bedeutung analysiert und lässt für die Zukunft gespannt sein. ........................................ auf Seite 5

3) Seine ersten Eindrücke vom Umgang des neuen Staatsministers der Justiz mit dem Landesrichterrat schildert Xaver Seitz. Nach der vielbeachteten Kritik an seinem Vorgänger (LRR, INFO 19, S. 11–13) kann es ja nur besser werden – oder? ............................................................................. auf Seite 8

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4) Ruben Franzen fordert in diesem Zusammenhang eine Freistellung für die Mitglieder des Landesrichterrates in einem Umfang, der eine Repräsentati-on und eine Vertretung der Interessen der Richterschaft ermöglicht, die ihrer Funktion als Dritte Gewalt gerecht wird. ..................................... auf Seite 10

5) Um Zeitkontingente geht es auch bei der Übernahme eines Kommentars des Kollegen Carsten Schütz aus der aktuellen BJ zu einem Urteil des Dienstgerichtshofs Baden-Württemberg. Darf einem Richter vorgehalten werden, er erledige weniger Fälle als der Durchschnitt seiner Kollegen, wenn sein Einsatz und die Qualität seiner Arbeit außer Zweifel stehen? Oder ist damit notwendig die Aufforderung verbunden, die Art seiner Recht-sprechung zu ändern, im Sinne eines Eingriffs in die richterliche Unabhän-gigkeit, erteilt in der Absicht, Rechtsprechung weniger an Recht und Gesetz, und dafür aber mehr an ökonomischen Gesichtspunkten auszurichten? ..................................................................................................... auf Seite 17

6) In diesen Zusammenhang steht die Grundsatzkritik, die Ruben Franzen an der Methode übt, die als System zur Ermittlung des Personalbedarfs in der Justiz (PeBBSy) angewandt wird. An einem Beispiel aus der aktuellen Erhe-bung wird exemplifiziert, welche Manipulationsmöglichkeiten mit der Ermitt-lungsmethode verbunden sind, vor allem aber, warum sie zirkulär und damit methodisch unsinnig ist. ..............................................................auf Seite 20

7) Schließlich wendet sich Ruben Franzen gegen einen allgegenwärtigen Zeit-fresser – die dienstliche E-Mail, und rät bei unzutreffender Adressierung: Return to sender. ........................................................................ auf Seite 29 Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir meinen nicht, dass das INFO 20 mit seinen Inhalten unzutreffend adressiert sei. Wir raten daher: Erst lesen, dann handeln!

8) Wegen der Wichtigkeit greifen wir ein länderübergreifendes Thema auf: Der Bundesvorstand der Neuen Richtervereinigung zur geplanten Revolutionie-rung des Asylrechts ......................................................................auf Seite 31

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Ruben Franzen, AG Eilenburg

1.

Was uns das Urteil zur Richterbesoldung bietet – Brot oder Steine?

Ein Kommentar von Ruben Franzen

Diese drei Fragen stellen sich mir nach der Lektüre des Urteils des Bundesverfas-sungsgerichts vom 5.5.2015: Ist Evidentes zwingend erkennbar? Wird uns Richtern mit der vom BVerfG gefundenen Formel mehr geboten als bloßer Bestandsschutz? Und ist Wertschätzung überhaupt justiziabel?

Im Ergebnis heißt die Antwort wohl: Nein. Das Gericht ist zwar darum bemüht, der Richterschaft eine ihrer gesellschaftlichen Funktion entsprechende Besoldung zuzu-sprechen, ein langsames Abgleiten ins Bodenlose kann die ausgeurteilte Formel aber gerade nicht verhindern. Denn was heißt es, wenn die Besoldung in einem Zeitraum von 15 Jahren um nicht mehr als 5 % hinter der Einkommensentwicklung des öffent-lichen Dienstes, der Einkommensentwicklung der abhängig Beschäftigten und/oder hinter der Preisentwicklung zurückbleiben darf? Dies heißt nicht mehr, als dass sich ein Richter darauf verlassen kann, dass er sich im Laufe seines Berufslebens um al-lenfalls 10 Prozentpunkte im Vergleich zur allgemeinen Preis- und Einkommenslage verschlechtern wird. Sollte das Gehalt meines Vaters bei seinem Berufseintritt 1960 noch bei 120 % eines Durchschnitteinkommens gelegen haben, so musste ich mich 30 Jahre später mit 108 % begnügen, wohingegen meine Tochter im Jahr 2020 mit 98 % vorlieb nehmen muss. Vorausgesetzt, dem öffentlichen Dienst gelingt es, vergleichba-re Gehaltssteigerungen durchzusetzen wie der Privatwirtschaft. Andernfalls wäre noch nicht einmal dies gewährleistet. Denn die beiden anderen Index-Parameter, nämlich der systeminterne Besoldungsvergleich und die Konkretisierung des bundesstaatli-chen Homogenitätsgebots, verhindern lediglich das Abkoppeln einzelner Besoldungs-gruppen beziehungsweise das Ausscheren einzelner Länder.

Das Bundesverfassungsgericht reicht dann zwar ein paar salbungsvolle Worte zur Funktion der Besoldung in Hinblick auf die Wahrung des hohen Qualitätsstandards der Justiz nach, die durch eine amtsangemessene Besoldung zu garantieren sei. Diese Ausführungen haben aber eher Appellcharakter. Justiziabel sind sie nicht.

Dabei hätte es einen so schönen und einfachen Maßstab gegeben, um der Dritten Staatsgewalt eine ihrer Funktion angemessene Besoldung zu sichern: Die Verknüpfung mit der Entwicklung der Diäten. Diese dienen der Absicherung einer Personengruppe, deren verfassungsrechtliche Funktion ähnlich wie bei Richtern Unabhängigkeit erfor-dert – personelle, aber auch finanzielle. Die gelegentlichen Versuche, die Diäten der Abgeordneten eines Landes oder des Bundes mit dem Gehalt einer bestimmten Besol-dungsgruppe zu verknüpfen zeigen, dass dieser Gedanke auf allgemeine Akzeptanz hoffen kann. Nur: eine solche Kopplung wurde gerade in Sachsen anlässlich der letzten

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Gehaltskürzungen von den Parlamentariern wieder gekündigt. Für sich selbst erachteten sie ein richterliches Einkommen nicht mehr als angemessen.

Aber vielleicht geht es bei der Frage der Angemessenheit der Besoldung in Wirk-lichkeit gar nicht um das liebe Geld, sondern um das, für was Geld in einer der pro-testantischen Ethik entsprungenen kapitalistischen Gesellschaftsordnung steht: für gesellschaftliche Anerkennung. Unter diesem Gesichtspunkt dürften gerade mehrere Wandlungsprozesse parallel im Gange sein. Erstens verliert der Staat an Reputation. Eine gesellschaftliche Strömung, die verlangt, dass jede einzelne Ausgabe gerecht-fertigt sein muss, bis hin zur Höhe der Besoldung, bleibt nicht ohne Einfluss auf das Besoldungsniveau der öffentlichen Hand. Dem muss auch der Justizhaushalt Rechnung tragen – Rechtsprechung steht unter Sparzwang. Zweitens ändern sich die Erwartungen an richterliches Arbeiten. So nimmt die Verdichtung der Arbeitspro-zesse zu, die zu durchdringende Komplexität wächst, und die Erwartungen an Kom-munikation und Transparenz steigen. Damit einher geht drittens, dass das Ansehen des Berufsstandes des Richters sinkt. Jedenfalls wird dies so wahrgenommen. Auch ohne vergangene Zeiten eines ins sakrale gesteigerten Sozialprestiges als Maßstab anlegen zu wollen, so geht doch gerade mit einer Zunahme von Überforderungssitu-ationen ein schleichender Verlust der Reputation einher. Das heißt aber auch, dass sich das Richteramt immer weniger mit Sozialprestige bezahlen lässt.

Der gravierendste Wandel wird seit geraumer Zeit durch die Elektronifizierung des richterlichen Arbeitsplatzes ausgelöst. Das wird besonders deutlich am personellen Verhältnis Richter – Serviceeinheit. Die Modernisierung der Justiz hat zur Folge, dass die Tätigkeitsbeschreibung eines Richterarbeitsplatzes des Jahres 2020 mit dem des Jahres 1960 nur noch wenig gemein haben wird. Geblieben sind die vom Richter zu treffenden Entscheidungen. Alles andere ist anders – das Verfügen, das Verhandeln, das Absetzen von Urteilen und Beschlüssen. Eine arbeitsrechtliche Ein-gruppierung nach den von uns zu verrichtenden Tätigkeiten hätte sich zwar zweifel-los an dem Anforderungsprofil für diese Entscheidungen auszurichten. Aber kann es ganz ohne Einfluss bleiben, dass wir mit dieser unserer Premiumleistung nur noch in einem immer geringerem Umfang gefragt sind? Zunehmend haben wir die Arbeiten zu übernehmen, die früher die Geschäftsstelle erledigt hat, nämlich die Umsetzung unserer eigenen Verfügungen und deren Abfassung. Jedenfalls in Zeiten der doppel-ten Akte sind wir mehr damit befasst, die Akten umlaufen zu lassen, als zu verhan-deln und Entscheidungen abzusetzen.

Dieser Aufgabenmix lässt die richterliche Tätigkeit in der Vergleichbarkeit mit Aufga-benprofilen in der freien Wirtschaft eher in Richtung eines gehobenen Facharbeiters tendieren als in die des unteren oder mittleren Managements. Diese Entwicklung der Aufgabenzuweisung wiederum mag damit zusammenhängen, dass die Besoldung der Richter auch im Vergleich zu anderen Aufgaben sinkt und es insofern verlockend ist, den Richterarbeitsplatz in Richtung einer Ein-Personen-Kanzlei zu entwickeln. Und damit „schließt“ sich die Abwärtsspirale. Gesellschaftliche Wertschätzung aber lässt sich nicht judizieren.

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Christian Avenarius, StA Dresden

2.

Ausflug in eine andere Welt – über einen kleinen Satz im Koalitions-vertrag zwischen CDU und SPD in Sachsen.

Im vergangenen Herbst brachte mir ein gescheiterter Versuch, bei der Landtagswahl ein Mandat für die SPD zu erlangen, außer der – wohl kaum zu vermeidenden - per-sönlichen Enttäuschung immerhin die Erfahrung, in einem Teilbereich an den Koaliti-onsverhandlungen zur Bildung der neuen Landesregierung teilnehmen zu dürfen.

Die Mitarbeit in der „Unterverhandlungsgruppe Justiz und Recht“ bildete sozusagen den Abschluss eines Ausfluges in eine Welt, die weniger in ihren Zielen, wohl aber in ihrer Herangehensweise an diese Ziele oftmals eine völlig andere als die Welt der Justiz ist.

Das aus meiner Sicht wichtigste Thema bei diesen Verhandlungen war die dringend notwendige personelle Aufstockung der sächsischen Justiz, um insbesondere im Bereich des höheren Dienstes den negativen Auswirkungen der inhomogenen Al-tersstruktur des Personalkörpers entgegenwirken zu können.

Obwohl sich die Verhandler beider Parteien über die Berechtigung dieses Anliegens weitgehend einig waren, mussten sie erfahren, dass die personelle Ausstattung der Justiz in der – übergeordneten – zentralen Verhandlungsgruppe, die den Koalitions-vertrag abschließend vereinbarte, beileibe nicht einen so hohen Stellenwert hatte wie die Ausstattung von Polizei und Lehrerschaft. Bei diesen beiden Berufsgruppen hatte man sich nämlich darauf geeinigt, auch konkrete Zahlen über die beabsichtig-ten Neueinstellungen aufzunehmen. Bei der Justiz blieb dies aus.

Diese Prioritätensetzung leuchtet mir weiterhin nicht ein, da die Dringlichkeit des Anliegens bei der Justiz nicht geringer ist als bei den anderen Berufsgruppen. Und zwar auch dann, wenn man berücksichtigt, dass die Defizite bei der Polizei und in den Schulen von den Menschen natürlich unmittelbarer wahrgenommen werden als die in der Justiz.

Denn mit diesen Prioritäten ist natürlich klar, an welcher Stelle notfalls zuerst wieder Einsparungen vorgenommen würden. Man kann zwar nicht bestreiten, dass die neue Landesregierung momentan erhebliche Anstrengungen unternimmt, weitere Berufs-anfänger für den höheren Dienst einzustellen und insoweit stark um die Verbesse-rung der Leistungsfähigkeit der Justiz bemüht ist.

Aber es gibt keine Gewähr dafür, dass das auf Dauer so bleibt. Die Justiz kann ganz schnell wieder in eine Situation kommen, in der man von ihr erwartet, dass sie auch ohne neue Leute irgendwie klarkommt.

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Außer der Personalausstattung in Justiz (einschließlich des Justizvollzugsdienstes) war aus meiner Sicht das wichtigste Ergebnis die folgende, maßgeblich von der SPD Seite beeinflusste, Erklärung zu einem Thema, das gar nicht in die Gesetzgebungs-zuständigkeit des Landes fällt. Sie betrifft das in § 134 GVG normierte externe Wei-sungsrecht des Justizministers gegenüber der Staatsanwaltschaft.

„Die Koalition wird sich auf Bundesebene für eine Abschaffung des sogenann-ten externen Weisungsrechts des Justizministers, das ihm ermöglicht, im Ein-zelfall auf ein bestimmtes Ermittlungsverfahren Einfluss zu nehmen, einsetzen. Bis zur Abschaffung soll es in Sachsen grundsätzlich nicht ausgeübt werden.“

Ein derartiger Satz fand sich zwar schon in einigen anderen Koalitionsvereinbarun-gen auf Landesebene, allerdings noch nie in einer, an der die CDU beteiligt war.

Ob sich die neue Staatsregierung und insbesondere der CDU-Justizminister tatsäch-lich darum bemühen werden, dieses Thema über den Bundesrat zum Gegenstand der rechtspolitischen Diskussion zu machen, muss derzeit eher skeptisch beurteilt werden.

Viele Rechtspolitiker der CDU halten die Kritik am externen Weisungsrecht mit der Begründung für überflüssig, dass davon ohnehin so gut wie nie Gebrauch gemacht würde. Andere von ihnen finden es nach wie vor richtig.

Die Forderung nach Abschaffung des externen Weisungsrechts wird allerdings von den Berufsverbänden der Richter und Staatsanwälte nicht umsonst erhoben, und zwar schon lange nicht mehr „nur“ von der Neuen Richtervereinigung, sondern inzwi-schen auch vom Deutschen Richterbund.

Denn die sich aus § 160 Abs. 2 StPO ergebende Verpflichtung der Staatsanwalt-schaft, objektiv und unparteiisch zu agieren, verträgt sich nun einmal nicht mit ihrer Weisungsabhängigkeit vom Justizminister und damit von der Regierung. So hat es kein Geringerer als der brandenburgische Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg formuliert, der seit vielen Jahren der Dienstälteste und damit der sogenannte Doyen unter den deutschen Generalstaatsanwälten ist.

Das Nachteilige am ministeriellen Weisungsrecht ist ja nicht nur, dass sich ein vielfäl-tigen und oft sachfremden Zwängen unterworfener Politiker in ein laufendes Verfah-ren einmischen und es nach seinem Gutdünken gestalten kann. Hiervon wird in aller Regel tatsächlich fast nie Gebrauch gemacht.

Das wirklich Nachteilige und geradezu Tückische daran ist, dass es zur übermä-ßigen Anpassung und zum vorauseilendem Gehorsam neigende Kollegen – die in allen Besoldungsgruppen zu finden sind, ebenso wie es auf allen Ebenen Menschen mit Rückgrat gibt – dazu motiviert, dem Minister und den Beamten seines Hauses ihre Wünsche sozusagen von den Lippen abzulesen, so dass das Weisungsrecht erst gar nicht ausgeübt werden muss.

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Diese Begünstigung des Kriechertums auf der einen und des Bösen Anscheins auf der anderen Seite ist aber genau das, was das Vertrauen der Bevölkerung in die Unabhängigkeit der Strafverfolgung letztlich am stärksten gefährdet.

Das zeigt sich bereits daran, dass viele Politiker der Arbeit der Staatsanwaltschaft nur so lange Vertrauen und Respekt entgegenbringen, wie ihnen deren Ergebnisse politisch genehm sind.

Ist dies nicht der Fall, wird keine Sekunde mit dem Vorwurf gezögert, dass ein Staatsanwalt ein bestimmtes Verfahren nur eingeleitet oder eingestellt oder eine be-stimmte Anklage nur erhoben habe, weil dies der Justizminister so gewünscht hätte.

Ich habe mich oft gefragt, ob denen, die Derartiges von sich geben, eigentlich klar ist, dass sie damit den betroffenen Kolleginnen und Kollegen auch unterstellen, nach Belieben ihren Diensteid zu brechen und unter Umständen sogar Straftaten im Amt zu begehen? Eigentlich müsste dies ihnen ja klar sein. Schließlich reagieren gerade Politiker in aller Regel äußerst empfindlich auf persönliche Angriffe.

So oder so zeigt sich hier einmal mehr sehr deutlich, dass zwischen Politik und Straf-verfolgung ein Spannungsverhältnis besteht, das jedenfalls so lange nicht aufgelöst werden kann, so lange die Staatsanwaltschaften dem externen Weisungsrecht un-terworfen sind. Denn ohne es wäre nahezu allen oben genannten Unterstellungen ohne Weiteres die Grundlage entzogen.

Insbesondere wäre das Bedürfnis, sich in laufende Verfahren einzumischen oder abgeschlossene Verfahren aus sachfremden Gründen zu kommentieren, mit einem Schlag entfallen, da der Justizminister nicht mehr politisch verantwortlich gemacht werden könnte.

Von Verteidigern des externen Weisungsrechtes wird immer wieder behauptet, dass es die Staatsanwaltschaften schützen soll, da der Justizminister damit auch die poli-tische Verantwortung für ihr Verhalten übernehme.

Tatsächlich bedeutet es jedoch für die Staatsanwaltschaft keinen Schutz und für den Minister nur eine Bürde: Er wird immer angegriffen werden, unabhängig davon, ob er sich in ein Verfahren einmischt oder nicht.

Und die Staatsanwaltschaft wird auch immer mit angegriffen werden, da sich dies für jeden, der den Minister unter Druck setzen will, geradezu anbietet.

Dass der eigentlich als Beschützer vorgesehene Minister ihr in einer derartigen Si-tuation nicht mehr beistehen kann, da er sich zuvörderst selbst verteidigen muss, versteht sich von selbst.

Dies hat schließlich auch der bis 2014 amtierende Justizminister Jürgen Martens erkannt, der sich (leider erst) am Ende seiner Amtszeit – auch unter Hinweis auf die Regelungen in anderen europäischen Staaten, in denen die Staatsanwaltschaften

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insoweit unabhängiger von politischen Einflussnahmen sind – für eine Abschaffung des externen Weisungsrechts ausgesprochen hat.

Von daher kann dem neuen Justizminister Sebastian Gemkow nur empfohlen wer-den, seine Verantwortung wahrzunehmen und den Koalitionsvertrag umzusetzen. Er könnte damit dazu beitragen, dass von Sachsen aus ein positives Stück Rechts-geschichte geschrieben wird. Für mich persönlich wäre dies ein guter Grund, mich gerne an meinen Ausflug in die andere Welt zu erinnern.

Xaver Seitz, AG Dippoldiswalde

3.

Neues aus dem Landesrichterrat (LRR)

Der Wähler hat im Sommer 2014 entschieden und die Amtszeit des Justizministers Dr. Jürgen Martens beendet. Nach einer Phase des Spekulierens (Avenarius?) und des gespannten Wartens wurde Mitte November 2014 bekannt, dass der Leipziger Rechtsanwalt und Landtagsabgeordnete Sebastian Gemkow zum neuen Justizmi-nister ernannt wird.

Im Januar 2015 fand bereits das erste Ministergespräch mit der neuen Spitze des Ministeriums, welches nunmehr nach Abgabe der Zuständigkeit für Europa wieder ein reines Justizressort ist, statt. Neben dem neuen Minister nahm u.a. auch die neue Staatssekretärin, Frau Franke, an diesem Gespräch teil.

Die ersten Erfahrungen sind sehr ermutigend. Die Gesprächskultur hat sich funda-mental verändert. Der neue Minister hört zu und ist an den Einschätzungen der Mit-glieder des LRR interessiert. Im Unterschied zur vorherigen Hausspitze, die häufig wenig Bereitschaft zeigte, andere Meinungen auf ihre Sinnhaftigkeit zu prüfen, ist Herr Gemkow sehr bemüht, die Argumente des LRR nachzuvollziehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Die Mitglieder des LRR haben nach diesem ersten Kennenlernen den Eindruck dass für den neuen Minister das Gespräch miteinander kein notwendiges Übel darstellt, welches man schnellstmöglich hinter sich bringt, sondern dass aus dem Diskurs Lösungen entwickelt werden sollen, die die Arbeitssituation der Richterschaft positiv beeinflussen.

Uns ist bewusst, dass eine Schwalbe noch keinen Sommer macht. Aber: Nach Ende der Ära Martens macht dieser Neuanfang Mut und lässt uns auf eine gedeihliche Zusammenarbeit hoffen.

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Auch die angekündigten Taten stimmen hoffnungsfroh. Es ist nach den Vorarbeiten des Amtsvorgängers nunmehr offenbar gelungen, im Doppelhaushalt 2015/16 und in der weiteren Finanzplanung 56 zusätzliche R1-Stellen für die nächsten 4 Jahre aus-zuweisen. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass das Ministerium die Problema-tik der inhomogenen Altersstruktur der Richterschaft erkannt hat und versucht, durch verstärkte Neueinstellungen die Auswirkungen der spätestens in den Jahren 2024/25 einsetzenden Pensionierungswelle abzufedern.

Herr Gemkow hat sich auch bezüglich der flächendeckenden Einführung der elektro-nischen Akte deutlich positioniert. Nach seiner Auffassung geht hier Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Es wäre sinnlos, in dieser wichtigen Frage krampfhaft zu versuchen, Bestandteil einer technischen Avantgarde zu sein.

Oberstes Ziel sei es, den Mitarbeitern ein optimal funktionierendes Arbeitsmittel an die Hand zu geben. Dies entspricht vollständig der Auffassung des LRR, die wir auch gegenüber dem Amtsvorgänger gebetsmühlenartig vorgetragen hatten, ohne son-derlich viel Gehör zu finden.

Die Einführung der E-Akte war im Jahr 2014 das große Thema in der Arbeit des LRR. Bei einer Informationsveranstaltung in Görlitz wurden uns Konzepte einer E-Akte vorgestellt, die bereits in der Praxis erprobt werden oder kurz vor ihrer Erpro-bung stehen. Ein Kollege aus Schleswig-Holstein hat uns sehr ausführlich dargelegt, welch gewaltige Aufgabe die flächendeckende Einführung der E-Akte für ein Mitwir-kungsgremium darstellt.

Uns wurde deutlich, dass die Einführung der E-Akte unseren Arbeitsalltag fundamen-tal umgestalten wird.

Der LRR sieht in der Begleitung der Einführung der E-Akte seine zentrale Aufgabe als Mitwirkungsorgan für die nächsten Jahre.

Unser Ziel ist es, dafür Sorge zu tragen, dass eine Pilotierung erst erfolgt, wenn der Dienstherr eine technische Lösung für die E-Akte zur Verfügung stellt, die den Ar-beitsanforderungen der Praxis vollständig genügt.

Es muss verhindert werden, dass nach forumSTAR nochmals eine technische Lö-sung in den Praxisbetrieb geht, die an zahlreichen Kinderkrankheiten leidet und die die Bearbeitungszeit bei jedem Arbeitsvorgang signifikant verlängert.

Im Rahmen der intensiveren Beschäftigung mit der E-Akte wurde dem LRR bewusst, dass mit der bisherigen Freistellung eine der Bedeutung der Thematik angemessene Mitwirkung nicht geleistet werden kann. Wir sind froh, dass das Ministerium dem fol-gen konnte und die Freistellung aller Mitglieder des Hauptausschusses im Frühjahr 2015 auf insgesamt 1,7 AKA erhöht wurde.

Treten Sie insbesondere wegen der E-Akte an uns heran, damit wir in der Lage sind, die zahlreichen Facetten dieser komplexen Thematik ausreichend zu erfassen.

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Ruben Franzen, AG Eilenburg

4.

Die Richterschaft ist ohne Stimmeoder

warum die Mitglieder des Landesrichterrates mit mindestens drei Arbeits-kraftanteilen freizustellen sind

Ich möchte mich zunächst entschuldigen. Entschuldigen dafür, dass in diesem Bei-trag nur (gegendert alternierend) von Richterinnen, oder eben Richtern, die Rede ist. Nicht auch von Staatsanwälten und Staatsanwältinnen. Obwohl sich Vieles von dem, was über die Vertretung der Richterschaft zu sagen ist, auch auf die der Staatsan-wälte übertragen lässt. Denn auch auf sie wird nicht das Sächsische Personalvertre-tungsgesetz angewendet, obwohl dies nach ihrer Stellung noch näher liegen würde als bei den Richterinnen.

Das Personalvertretungsgesetz sieht, in Abhängigkeit von der Zahl der zu vertreten-den Mitarbeiter klare Freistellungskontingente vor. Das Sächsische Landesrichterge-setz kennt solche verbindliche Zahlen nicht. Es beschreibt natürlich Zuständigkeiten und Aufgaben. Aufgaben der örtlichen Richterräte. Und solche der Mitglieder des Landesrichterrates. Dass deren Ausübung Zeit in Anspruch nimmt, mag selbst-verständlich sein. Dies findet im Gesetz aber keinen konkreten Niederschlag. Der Umfang der Freistellung der Richtervertretung ist im SächsRiG bisher nicht beziffert. Der Verweis auf das Erforderliche (§ 11 Abs.3) muss reichen. So ist die gewährte Freistellung reine Verhandlungssache.

Üblich ist eine Freistellung in einem Umfang, der deutlich unter den in den Personalvertretungsgesetzen vorgesehenen Freistellungsschlüsseln liegt.

Dies ließe sich damit begründen, dass dem Richterrat, anders als den Personalrä-ten, keine Mitwirkung in konkreten Personalangelegenheiten zusteht. Diese sind nach dem Deutschen Richtergesetz nämlich einem gesonderten Organ, dem Präsi-dialrat, zugewiesen. Allerdings würde die Schlüssigkeit dieses Argumentes voraus-setzen, dass die Mitglieder des Präsidialrates für ihre Tätigkeit freigestellt würden. Dieser Formulierung können Sie bitte entnehmen, dass dem nicht so ist.

Zur Begründung heißt es oftmals: Richter sind doch unabhängig. Und das klingt so, als wolle man sagen, sie seien quasi selbständig, wie Freiberufler, ihre eigenen Her-ren und Damen, und bedürften daher „eigentlich“ gar keiner Mitarbeitervertretung.

So würden bei Anwendung des Sächsischen Personalvertretungsgesetzes (§ 46 Abs.4) insgesamt 3 Mitglieder des Landesrichterrates vollständig freizustellen sein (bei 1001 Richtern). Und wegen der personalidentischen Vertretung auf der Ebene

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der fünf Gerichtsbarkeiten müsste für diese Aufgabenwahrnehmung noch einmal ergänzend Freistellungen gewährt werden.

Aktuell beträgt die Freistellung für alle Mitglieder des Landesrichterrates zusammen 1,75 AKA – nach einer Anfang des Jahres gewährten Aufstockung. Die Aufgaben-wahrnehmung der örtlichen Richterräte findet in der Regel gar keine Berücksichti-gung. Sie ist weder im Rahmen der Personalbedarfsberechnung vorgesehen (auch wenn die Pebbsy-Erhebung den sich hieraus ergebenden Personalbedarf ausdrück-lich nicht berücksichtigt hat), noch wird sie durch das Präsidium gewährt. Denn unter den gegebenen Bedingungen steht zu befürchten, dass dies zu Lasten aller ginge – Pebbsy hin oder her.

Sind wir Richterinnen zu stolz, oder sind wir zu feige, um eine einfache Wahrheit auszusprechen?

Richter sind abhängig

Richterinnen und Richter arbeiten in einer ihnen vorgegebenen Arbeitsumwelt. Darin unterscheiden sie sich keinen Deut von den unter denselben Bedingungen arbeiten-den Rechtspflegerinnen und den Mitarbeitern der Service-Einheiten.

Wie die eines jeden Beschäftigten auch wird die Arbeit eines Richters durch seine Arbeitsumwelt mit-bestimmt. Sie wird bestimmt durch Lage, Größe und Ausstattung des je „eigenen“ Büros, und in den meisten Fällen viel entscheidender durch Zahl, Ausstattung und Zuteilung spezieller gemeinschaftlich genutzter Räumen, den Sit-zungssälen. Sie wird geprägt durch die Zahl und Ausstattung sozialer Räume, die ein gemeinsames Essen, Trinken und Kommunizieren ermöglichen. Sie wird bestimmt durch die Teilhabe an Kommunikation, Kommunikation im weitesten Sinne verstan-den: Durch die Literatur, die der Richterin zugänglich ist, im Büro, und in einer Bib-liothek, und durch die Hardware, den Bildschirm, die Tastatur, die Maus, das Telefon und durch das Diktiergerät. Von der Software gar nicht zu reden. Da sind wir zwar in der Regel in einem Bereich, der nicht den einzelnen Richter als individuellen Nutzer, sondern die Richterschaft in ihrer Gesamtheit betrifft. Aber nur zum Teil. Denn auch hier gibt es mehr oder weniger individuelle Einrichtungen. Das fängt an mit dem Be-nutzerpfad zum Einloggen, der mehr oder weniger Klicks lang sein kann, geht weiter mit dem Desktop, der sich nach geraumer Zeit öffnet, insbesondere mit den darauf eingerichteten Verknüpfungen, und hört bei der dem Intranet zugerechneten Website des Gerichts nicht auf – des eigenen Gerichts, und ggf. des übergeordneten. Schon ein kurzer Vergleich zeigt, dass hier ganz unterschiedliche Zugänge zur Außenwelt anboten werden. Etwa zur Bahnauskunft. Zu den Portalen anderer Gerichte. Oder zu den unterschiedlichsten Listen.

Aus dieser Bestimmtheit des eigenen (Arbeits-)Lebens durch die Arbeitsumwelt erwächst der Anspruch eines jeden Betroffenen auf Mit-Bestimmung möglichst menschlicher Bedingungen eben dieser seiner Arbeitsumwelt. Ein Anspruch, der gerade in Sachsen Verfassungsrang hat. Und der nach § 73 DRiG selbstverständlich

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auch den Richterinnen zusteht. Weshalb er folgerichtig in § 15 Abs.3 Nr.7 SächsRiG unter den der Mitbestimmung unterfallenden Angelegenheiten fällt.

Aber: Wurden Sie durch ihren Richterrat je gefragt, wie Sie sich denn den Intranet-Auftritt ihres Gerichts vorstellen? Sehen Sie – das wurde ihr Richterrat im Zweifel auch nicht. Genauso wenig, wie es an einigen Gerichten üblich ist, den örtlichen Richterrat zur Verteilung der Sitzungssäle anzuhören – oder zu der Behelfsunterbrin-gung während anstehender Renovierungsarbeiten, oder zu allgemeinen Regelungen zur Anforderung erforderlicher Arbeitsmittel (die es in kleineren Gerichts so nicht geben wird, in größeren aber schon). Gemeint ist hier nicht eine etwaige Abfrage oder Beteiligung der jeweils Betroffenen, die der Verwaltung zur Bedarfsermittlung und damit zur Erarbeitung eines dem Richterrat zu unterbreitenden Vorschlags dient. Gemeint ist die Beteiligung des Richterrates, der sich um Fragen etwa der Gleichbe-handlung oder einer möglicherweise zu gewährenden Bevorzugung kümmert. Oder der die Frage aufwerfen kann, ob die zur Verteilung gestellten Mittel, beispielsweise die Zahl der Sitzungssäle, überhaupt ausreichen.

Ein Problem soll im Zusammenhang mit der den Arbeitsplatz betreffenden Recht auf Mitbestimmung nur kurz angesprochen werden: Durch die zunehmende Zentralisie-rung der Beschaffung, insbesondere von IT-Technik durch die SID, aber neuerdings auch von anderen Einrichtungsgegenständen, werden die Mitbestimmungsrechte in einer Weise ausgehöhlt, die dringend einer gesetzlich zu regelnden Kompensa-tion bedarf, damit die Umsetzung des in der sächsischen Verfassung verankerten Grundrechts auf Mitbestimmung auf die einfachgesetzliche Ebene und damit die an Institutionen gebundene Wahrnehmbarkeit gewährleistet wird. Die in der gerade zur Verabschiedung anstehende Änderung des Sächsischen Personalvertretungsge-setzes, das nach § 15b SächsRiG auf Richterinnen ergänzend anzuwenden ist, hat dieses Problem nur äußerst unzureichend gelöst (Vgl. dazu die Stellungnahme der NRV vom 1.6.2015 unter https://www.neuerichter.de/details/artikel/article/aenderung-des-saechsischen-personalvertretungsgesetzes-saechspe.html). Wie überhaupt die Einbindung der Richterschaft (und der Staatsanwälte) in die die allgemeinen Be-lange betreffende Personalvertretung nur unzureichend gelungen ist. Und auch die Wahrnehmung übergeordneter Aufgaben hat etwas mit Zeitkontingenten zu tun.

Von besonderer Brisanz ist eine sachgerechte Einbindung der Richterschaft vor allem in solche Prozesse, die mehr oder weniger unumkehrbar sind, und deren Resultat vor diesem Hintergrund eigentlich gar nicht mehr abgelehnt werden kann. Das betrifft in erster Linie die Entwicklung der unsere künftigen Arbeitsvorgänge ge-staltenden Software. Werden die Prioritäten und die Entwicklungsansätze hier falsch gewählt, sind die Folgen für eine auf dieser Grundlage entwickelten Anwendungs-software oder Bearbeitungsoberfläche verheerend und nahezu irreparabel. Die Ein-bindung richterlicher Mitwirkung bereits in den Planungsprozess und eine kontinuier-liche Verfahrensbegleitung stellen insoweit die gebotene und adäquate Umsetzung des Rechts auf Mitbestimmung dar. Auch das braucht Zeit.

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Die Forderung nach einer Freistellung in einem Umfang, der über den im Personal-vertretungsgesetz vorgesehenen Schlüssel eher noch hinauszugehen hat, beruht aber auf einer anderen Überlegung.

Als Richterschaft sind wir ohne Repräsentation

In einer in funktionale Subsysteme ausdifferenzierten Gesellschaft, in denen diese Subsysteme in ihrer Funktionabilität weitgehend selbststabilisierend gegen Störun-gen abgesichert sind, wird die erforderliche Irritabilität über Organisationen herge-stellt (vgl. dazu Fuchs, Peter, Die Unbeeindruckbarkeit der Gesellschaft: Ein Essay zur Kritikabilität sozialer Systeme, in: Amstutz/Fischer-Lescano, Kritische Systemthe-orie / Zur Evolution einer normativen Theorie, Transcript 2013, S. 99-110, 107 ff). In den alteuropäischen Ländern ist eine solche Organisationsform schon im Mittelalter als Selbstverwaltung von Zünften und Ständen gewachsen (Siehe zu dieser Thema-tik das sehr lesenswerte Buch: Mitterauer, Michael, Warum Europa? Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs, C.H. Beck 2003, S. 109 ff.). Sie wird, da sie sich offensichtlich bewährt hat, fortgeführt. So sind in Deutschland fast alle einen Beruf selbständig ausübende Personen Mitglied ihrer je spezifischen Standesorganisa-tion: Die Handwerker der Handwerkskammer, Freiberufler wie die Rechtsanwälte der Rechtsanwaltskammer, die freiberuflich tätigen Ärzte der Ärztekammer, oder die Wirtschaftsprüfer der Wirtschaftsprüferkammer und so weiter bis hin zur Industrie- und Handelskammer, der alle Gewerbetreibenden und Unternehmen mit Ausnahme der Handwerker, der freien Berufe und der landwirtschaftlichen Betriebe angehören. Diese Verkammerung besteht jeweils als gesetzlich begründete Zwangsmitglied-schaft.

Daneben besteht die Organisationsform der Berufsverbände. Hier ist die Mitglied-schaft freiwillig. Etwa im Arbeitgeberverband, oder in einem der vier Spitzenverbän-de der deutschen Unterhaltungsautomatenwirtschaft. Die Mehrzahl der Richter ist solchermaßen freiwillig im Deutschen Richterbund und ihm assoziierten Verbänden organisiert, andere in der Neuen Richtervereinigung, und einige in ver.di.

Die Kammern stellen eine dem Subsidiaritäts- und dem Demokratieprinzip gehor-chende Selbstverwaltung dar. So setzen Kammern in begrenztem Maße selbst Recht, indem sie Standesregeln verabschieden. In diesem Umfang üben sie zumeist auch eine beschränkte Gerichtsbarkeit aus. Sie kümmern sich um die Aus- und Wei-terbildung ihrer Mitglieder. Vor allem aber vertreten sie die Interessen des Berufs-standes gegenüber anderen Organisationen. In dieser Funktion sind sie regelmäßig an all denjenigen Gesetzgebungsvorhaben zu beteiligen, die den von ihnen reprä-sentierten Berufsstand betreffen. So können sie sowohl ihre Sachkompetenz als auch ihre Belange in künftige gesetzliche Regelungen einbringen. Um dies personell leisten zu können, sind sie durch Gesetz ermächtigt, von ihren Mitgliedern Beiträge zu erheben, mit denen das zur Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Verpflichtungen erforderliche Personal bezahlt werden kann.

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Eine solche Art der Repräsentation kennt die Richterschaft nicht. Das ist unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung auch konsequent. Als unabhängige Dritte Gewalt bedürfte es nämlich einer solchen eigenständigen Repräsentation der Richterschaft nicht. Allein – in Deutschland ist die Justiz nicht unabhängig organisiert.

Die Justizbürokratie, die die Richterschaft verwaltet, und die der Exekutive zuzu-rechnen ist, verfolgt eigene Interessen. Dies folgt bereits daraus, dass sie von einem Mitglied der Regierung geführt wird, das dem Kabinett angehört und den allgemei-nen Vorgaben der Regierung unterliegt. Insbesondere ihren Haushaltszielen. Aber auch in Sachfragen. Wenn also das Ministerium den Richterinnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu einem Gesetzentwurf gibt, dann erfolgt dies im eigenen Optimie-rungsinteresse eben des Ministeriums. Und alle Zusammenfassungen von Stellung-nahmen auf den verschiedenen Hierarchieebenen sind jeweils geprägt durch die Interessen der Justizverwaltung – nicht von denen der Richterschaft. Und unter die-sem Gesichtspunkt fehlt der Richterschaft die Fähigkeit zur Repräsentation.

Der Richterrat als Lückenbüßer

Was bedeutet dies nun für die Richterräte? Das heißt, dass sie – nolens volens – diese Funktion mit erfüllen müssen. Was in der Realität nichts weniger bedeu-tet, als dass der Landesrichterrat zu einer Vielzahl von Gesetzgebungsvorhaben gehört wird, und manchmal auch etwas sagt, die gar nichts mit Mitbestimmung zu tun haben. So berühren sämtliche Prozessordnungen unmittelbar Art und Umfang richterlichen Handelns. Mittelbar wird der Umfang richterlicher Tätigkeit aber auch von vielen Regelungen des materiellen Rechts beeinflusst. So können etwa Unter-halts- oder Ausgleichsansprüche in einfacher, aber auch in sehr komplizierter Weise geregelt werden. Je nachdem, wie die Beweislast verteilt ist, kann der mutmaßliche Verfahrensaufwand größer oder kleiner sein. Je nach Formulierung eines Tatbe-standsmerkmals kann ein hoher oder ein geringerer Aufklärungsaufwand entstehen.

Die Richterschaft ist eigentlich dazu berufen, ihre eigenen Interessen einzubringen. Etwa das Interesse an einem möglichst geringen Verfahrensaufwand, an Regelun-gen, die die zunehmende Komplexität in sachgerechter Weise zu reduzieren hilft (man denke etwa an eine Konnexität von Sozialhilfeanspruch und dem Anspruch auf Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe), oder an der Vermeidung von Regeln, die in hohem Maße inkonsistent sind und daher den eigenen Gerechtigkeitsempfindungen zuwider laufen. So finden die zum Teil divergierenden Interessen einer Vielzahl von Gruppen Eingang in das Gesetzgebungsverfahren: Die Interessen der Rechtsanwäl-te. Und solche der Politik. Und die fachlichen Interessen der mit der zu regelnden Materie befassten Berufsgruppen. Ohne eigene Repräsentanz – und damit mehr oder weniger zum Schweigen verurteilt – sind allein die Richter.

Werden die Richterinnen aber in Rahmen der Beteiligung des Landesrichterrates gefragt, dann setzt eine ordnungsgemäße Beantwortung der mit einer Gesetzes-änderung aufgeworfenen Fragen Zeit voraus. Zeit, sich mit der Materie so intensiv zu befassen, dass sich Aussagen etwa über die aktuelle Umsetzung treffen lassen,

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damit etwaige Folgen beabsichtigter Änderungen prognostiziert werden können. Zeit, um der Richterschaft zumindest die Möglichkeit zu eröffnen, sich zu den vom Landesrichterrat aufgeworfenen Problemstellungen zu äußern. Zeit, die im aktuellen Zeitbudget definitiv nicht vorgesehen ist.

Könnte sich die Richterschaft in diesem Sinne kompetent in diejenigen Gesetzge-bungsverfahren einbringen, die mutmaßlich Auswirkungen auf das in ihre Fachkom-petenz fallende Verfahren der Rechtsfindung haben werden, so dürfte sie nicht die schlechteste Ratgeberin sein. Denn auf die Praktikabilität gesetzlicher Regelungen zu achten, wird in der Regel nicht nur im Interesse der Richter, sondern zugleich auch in dem der Allgemeinheit liegen. Nicht zuletzt dadurch, dass den Gerichten bisweilen ein vermeidbarer Verfahrensaufwand an solchen Stellen erspart bleiben könnte, der sich nicht gleich auf qualitative Aspekte auszuwirken droht. Damit aber träte ein sprachmächtiges Richtergremium in Konkurrenz zur Politik.

Wenn Richterinnen stimmlos sind,

weil ihnen die Zeit fehlt, sich auch nur mit einem Fünftel derjenigen (Wo)manpower um die sie als Berufsstand betreffenden Angelegenheiten kümmern zu können, die den Ministerien zur Vorbereitung der einschlägigen Regelungen zur Verfügung steht, so wird dies durchaus so gewollt sein.

Denn für Politik und Justizverwaltung von Vorteil ist die Rolle der Richtervertretungen nur insoweit, wie es um die Implementierung neuer Verfahren und Aufgaben geht. Hier kann die Einbindung der Betroffenen bewirken, dass Widerstände reduziert und vermeidbare Komplikationen umgangen werden. Eine selbstbewusste Richterschaft aber, die ihre eigenen Vorstellungen äußert beispielsweise zu einer sinnvollen Ver-fahrensgestaltung, oder zu anderen Problemstellungen, die sich aus der Umsetzung von Gesetzesvorhaben ergeben könnten, kann nicht im Interesse politischer Ent-scheidungsträger liegen. Wen nimmt es daher Wunder, dass das Zeitkontingent der Richterschaft so bescheiden ausfällt.

Aber wir Richter sind auch selber schuld. Wir könnten, wenn wir wollten. Denn es hindert uns doch niemand daran, unsere Grundrechte geltend zu machen, und nicht nur eine angemessene Besoldung, sondern auch eine ihren Aufgaben adäquate Freistellung unserer Vertretungen zu fordern. Nicht als Akt der Gnade. Sondern ver-ankert im Gesetz. Wie bei allen anderen abhängig Beschäftigten auch.

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Dr. Carsten Schütz, SG Fulda

5.

Aus: Betrifft JUSTIZ Nr. 123 | September 2015 [ Urteilslob und Urteilsschelte ]

Von Karlsruhe nach Stuttgart und zurückDienstgerichtshof verneint Verletzung der richter lichen Unabhängigkeit

Mit drei Urteilen vom 17. April 2015 hat der Dienstgerichtshof für Richter bei dem OLG Stutt-gart die Berufungen des Richters am OLG Schulte-Kellinghaus in den Prüfverfahren gegen die frühere Präsidentin des OLG Karlsruhe wegen Beeinträch-tigungen seiner richterlichen Unabhängigkeit zu-rückgewiesen. Betrifft JUSTIZ dokumentiert an dieser Stelle die zentralen Passagen eines der Ur-teile, das den formellen Vorhalt und Ermahnung zum Gegenstand hat. Der vom DGH hier zugrun-de gelegte Obersatz sowie die zentralen Wertungen entsprechen denen der beiden anderen Urteile. Mittlerweile hat Schulte-Kellinghaus Revision zum Dienstgericht des Bundes eingelegt.Wie schon in der letzten Ausgabe vermeldet, hat Thomas Schulte-Kellinghaus auch in zweiter Instanz verloren – nach dem Karlsruher Dienstgericht hat nun auch der Dienstgerichtshof für Richter in Stuttgart die frühere OLG-Präsidentin Hügel nicht der Verletzung der richterlichen Unab-hängigkeit für schuldig befunden. Für Skep-tiker nicht überraschend, nach dem Verlauf der mündlichen Verhandlung, die vom Vorsit-zenden souverän geführt worden war, der sich nach außen scheinbar kritisch gegenüber der OLG-Präsidentin positioniert hatte, aber nicht zwingend zu erwarten. Nun findet das Verfah-ren infolge der eingelegten Revision seinen Weg zurück nach Karlsruhe zum Dienstgericht des Bundes, auf dem nun die letzten Hoffnungen nicht nur des Revisionsführers ruhen.

Nicht nur in BJ sind die rechtlichen und vor allem rechtspolitischen Fragen, die die Verfah-

Dr. Carsten Schütz ist Direktor des Sozialgerichts Fulda und Mit-glied der Redaktion von „Betrifft JUSTIZ“.

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ren aufwerfen, schon mehrfach und ausführ-lich thematisiert worden. Dies alles braucht daher nicht wiederholt zu werden; auch eine Besprechung der Urteile im engeren Sinne er-übrigt sich. Jüngst hat Schulte-Kellinghaus auf www.lto.de zudem ein lesenswertes Interview gegeben. Auf diesem Weg der Öffentlichkeitsar-beit kann es ihm vielleicht besser als bisher ge-lingen, den hochpolitischen Charakter der von ihm angestrengten Verfahren zu verdeutlichen. Es bleibt zu hoffen, dass die BGH-Richter diesen politischen Charakter anders als die Richter Ba-den-Württembergs wahrzunehmen bereit sind.

Zwei zentrale Punkte aber sollten hervorgeho-ben werden, die man an allen drei Urteilen, die in ihrer Struktur parallel argumentieren, exem-plarisch ablesen kann:

Die Urteile offenbaren zwei zentrale Umstände

der Problematik

Erstens: Wie selten machen die Entscheidungen deutlich, dass Rechtsfindung in nur geringem Maße einen Erkenntnisakt darstellt, sondern weithin einen Willensakt. Dies gilt erst recht, wenn die anzuwendenden Vorschriften wie hier (Art. 97 Abs. 1 GG/§ 26 Abs. 2 DRiG) von ho-hem Abstraktionsgrad geprägt und daher ihre Determinationskraft extrem beschränkt sind. Auch die bisherige Rechtsprechung des Dienst-gerichts des Bundes hat trotz seiner Systemati-sierungsversuche dies nicht verändern können. Und so etwas wie Ex-Präsidentin Hügel hatte vorher noch niemand gewagt, so dass es auch keinen Präzendenzfall gab.

Man mag den präsidialen Druck auf Schulte-Kellinghaus wie die Richter des DGH Haag, Prof. Dr. Bergmann, Tillmanns, Stefani und RA Dr. Weber aus welchen Gründen auch immer »durchwinken«. Aber die Gegenargumente, die eine Feststellung der Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit forder(te)n und die in NJW, BJ, blogs und NRV-Publikationen weite Verbreitung

gefunden haben, sind in jedem Fall nicht unbe-achtlich, sondern wiegen schwer. Daher wäre es für den DGH ein Leichtes gewesen, sich diesen anzuschließen. Dass die fünf Herren des DGH es nicht getan haben, belegt daher nur eines: Sie wollten es einfach nicht. Eine Spekulation über die Motive ist müßig.

Und zweitens: Die Urteile und das Verfahren bilden wie in einem Mikrokosmos die gesamte Problematik der causa Schulte-Kellinghaus ab. Der DGH hat sich in extensiver Weise die Split-tung des Rechtswegs zwischen Verwaltungs- und Dienstgerichten zu Nutze gemacht und damit alle Fragen rund um die Tatsachenfeststellung, die Motive der Ex-Präsidentin und deren Kon-nex zur Unabhängigkeitsgarantie als unabhän-gigkeitsirrelevant eingestuft und so die damit verbundenen Rechts-, vor allem aber Tatsachen-fragen als nicht erheblich für die Entscheidung angesehen. Das hat die Verfahren und seinen Gegenstand beschränkt und ihre Erledigung be-schleunigt. Nahezu alles hätte man auch anders sehen können, das hätte aber deutlich mehr Auf-wand erfordert. Insbesondere hätte Präsidentin Hügel vor Gericht erscheinen müssen, wozu sie auch in der Berufungsinstanz nicht den Mut hat-te und damit zugleich jeglichen Respekt vor dem höchsten Dienstgericht Baden-Württembergs hat vermissen lassen.

Präsidentin Hügel will Rechtsprechung beeinflussen –

daran kann kein Zweifel bestehen

Hieran wird exemplarisch deutlich, wie sehr die Rechtsanwendung die Verfahrensdauer beein-flusst. Hätte der DGH den Beweisanträgen des Antragstellers stattgegeben, wäre eine Beweisauf-nahme in einem weiteren Termin erforderlich gewesen mit all den Verzögerungen und zeitli-chen Inanspruchnahmen des Senats. Dies ist ge-nau das, was Schulte-Kellinghaus unermüdlich geltend macht. Der DGH hat ihm so konkludent Recht gegeben, leider nicht im Tenor, sondern nur zwischen den Zeilen.

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Gleichzeitig hat das Gericht sich einer Methode bedient, mit der sich jedes Verfahren verkürzen lässt: Es lässt entscheidende Probleme, die das schnelle (gewollte – siehe oben Erstens) stören könnten, einfach unbeachtet. Und dies ist das zentrale Defizit der Urteile, die so weder dem Anspruch an gute Rechtsprechung noch ihrer rechtsstaatlichen Bedeutung gerecht werden: Es erklärt mit keinem einzigen Wort, wie Schulte-Kellinghaus denn zu mehr Erledigungen kom-men soll, als durch Änderung seiner Rechtsan-wendung. Diese zentrale Frage aller Verfahren kommt im Urteil gar nicht vor. Es wird einfach behauptet, die Ex-Präsidentin hätte es nicht auf Schulte-Kellinghausens Rechtsanwendung abge-sehen. Aber auf was denn sonst? Man muss es wiederholen: Auf was denn sonst????

Hierzu wusste ihr Vertreter in der mündlichen Verhandlung keine Antwort. Das ist nicht ver-

wunderlich: Es gibt ja auch keine. Jedenfalls hät-te man gern mal die Ex-Präsidentin dazu befragt. Vielleicht hätte sie eine Idee gehabt. Aber das wollte der Senat nicht.

Bleibt also zu hoffen, dass das Dienstgericht des Bundes sich nicht auch vor dieser alles entschei-denden Frage drückt und entweder mangels denkbarer Alternativen den verbotenen Einfluss auf die Rechtsprechung zugrunde legt und die Verletzung der Unabhängigkeit feststellt oder die Sache zwecks Einvernahme der Ex-Präsidentin zurückverweist. So viel Anspruch an seine Arbeit sollte wenigstens dieses Gericht haben. Nicht wegen irgendeines Richters aus dem Badischen und einer Grenzen verletztenden, längst nicht mehr im Amt befindlichen Präsidentin – son-dern zum Schutz vor einer Änderung der Recht-sprechungskultur Deutschlands.

Urteil des Dienstgerichtshofs für Richter beim Oberlandesgericht Stuttgart vom 17.04.2015 – DGH 2/13 –

Aus den GründenII.Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das Dienstgericht den Antrag des Antragstel-lers, festzustellen, dass der Bescheid der Präsiden-tin des Oberlandesgerichts vom 26.01.2012 und deren Widerspruchsbescheid vom 20.04.2012 unzulässig seien, zurückgewiesen. (…)

2. Der Antrag gem. § 63 Nr. 4 f LRiStAG i. V. m. § 26 Abs. 3 DRiG ist jedoch, wie das Dienstgericht zu Recht feststellt, unbegründet. Der Antragstel-ler wird durch den Bescheid vom 26.01.2012 und den diesen bestätigenden Widerspruchsbescheid vom 20.04.2012 nicht in seiner richterlichen Un-abhängigkeit beeinträchtigt.

a) Die Prüfungskompetenz der Richterdienstge-richte im Prüfungsverfahren gemäß § 63 Nr. 4 f LRiStAG i. V. m. § 26 Abs. 3 DRiG beschränkt sich allein auf die Frage, ob die angegriffene Maßnah-me der Dienstaufsicht die richterliche Unabhän-

gigkeit beeinträchtigt. Die Vereinbarkeit der Maß-nahme mit anderen Gesetzen, Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätzen nachzuprüfen, ist allein den Verwaltungsgerichten vorbehalten (ständige Rechtsprechung seit: BGH – Dienstgericht des Bundes –, Urteil vom 31.01.1984, RiZ (B) 3/83, juris Rn. 16 ff; vgl. etwa Urteile vom 16.09.1987, RiZ (R) 5/87, juris Rn. 17; vom 10.08.2001, RiZ (R) 5/00, juris Rn. 33; vom 08.11.2006, RiZ (R) 2/05, juris Rn. 24, 25; vom 06.10.2011, RiZ (R) 7/10, juris Rn. 25; vom 03.12.2014, RiZ (R) 1/14, juris Rn. 35).

b) Der Bescheid vom 26.01.2012 und der die-sen bestätigende Widerspruchsbescheid vom 20.04.2012 beeinträchtigen den Antragsteller nicht in der richterlichen Unabhängigkeit, § 26 Abs. 3 DRiG.

aa) Nicht jede Maßnahme der Dienstaufsicht stellt einen Eingriff in die richterliche Unabhän-gigkeit dar. ...

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Literaturliste zur Causa TSK

Forkel, Heike, Erledigungszahlen unter (Dienst-)Aufsicht! DRiZ 2013, 132

Franzen, Ruben: Richten nach Zahlen (Teil 1) BJ 119,

Franzen, Ruben: Richten nach Zahlen (Teil 2) BJ 121,

Kirchhoff, Guido: Erledigung als Dienstpflicht BJ 114, 2013, S. 63 ff

Lijden, Constantin Baron von: Interview mit Thomas Schulte-Kellinghaus LTO (Legal Tribune Online) vom 21.7.2015

NRV: Pressemitteilung vom 22.4.2015, unter: Schütz, Carsten: Der ökonomisierte Richter, Berlin 2005

Schütz, Carsten: Dürfen Richter nicht (mehr) gründlich sein? (Teil 1 vom 6.4.2015) unter: http://blog.delegibus.com/4135

Schütz, Carsten: Dürfen Richter nicht (mehr) gründlich sein? (Teil 2 vom 15.4.2015) unter: http://blog.delegibus,com/4150

Schulte-Kellinghaus, Thomas: Die Ressourcengarantie für die Dritte Gewalt, ZRP 2006, 169 ff.

Schwintuchowski, Anne-Marie, Faires Verfahren nicht für Richter? BJ 113, 2013, S. 14 ff.

Wittreck, Fabian, Durchschnitt als Dienstpflicht? NJW 2012, 3287 ff.

Wittreck, Fabian, Durchschnitt als Dienstpflicht DRiZ 2013, 60 f.

Das Urteil des RDG Karlsruhe vom 4.12.2012, RDG 6/12, ist zu findenbei juris,

das Urteil des DGH Stuttgart vom 17.4.2015 ist auszugsweise abgedruckt in BJ 123.

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Ruben Franzen, AG Eilenburg

6.

Pebbsy

Warum aus einer empirischen Erhebung selten mehr Erkenntnisse gewonnen werden können, als es die Fragestellung zulässt, und manchmal noch nicht einmal diese.

1 Enttäuschungen

Das Land Baden-Württemberg als Auftraggeber des „Gutachtens über die Fort-schreibung der Basiszahlen zur Personalbedarfsbemessung für die ordentliche Gerichtsbarkeit und die Staatsanwaltschaften“ dürfte enttäuscht sein. Denn der Per-sonalbedarf in der Justiz bleibt unklar. So wird für ein Drittel des Auftragsumfangs, nämlich für die Tätigkeit der Service-Einheiten, gar kein Ergebnis ausgewiesen, und im Übrigen bleibt das Gutachten in einer Reihe von Punkten eine plausible Bewer-tung des Zahlenwerks schuldig. Und das, obwohl die Abnahme des Werkes ver-schoben und eine Nachfrist zur Behebung danach noch reklamierter Mängel gesetzt worden war.

Und Sie werden enttäuscht sein, weil ich Ihnen, von einer Ausnahme abgesehen, weder eine ins Detail gehende Kritik einzelner Positionen vorlegen werde, noch eine Zusammenfassung des 182 Seiten umfassenden Hauptgutachtens und des annähernd 1.200 Seiten starken Anlagenbandes liefere, und noch nicht einmal durch einen Zahlenvergleich verrate, welche Sachgebiete aus dieser Erhebung als Gewin-ner, und welche als Verlierer hervorgegangen sind.

Ich selbst bin nicht enttäuscht. Ich fühle mich bestätigt. Bestätigt in der grundsätzli-chen Kritik an der eingeschlagenen Methode. An einer Methode, die es für wissen-schaftlich hält, aus dem empirisch messbaren durchschnittlichen Zeitverbrauch für typisierte offene Verfahrensabläufe (als „Produkte“ bezeichnet), ohne die Ergebnisse der jeweiligen Bearbeitung beurteilen zu können, auf den zu ihrer Bearbeitung erfor-derlichen zeitlichen Bedarf schließen zu wollen.

2.1 Was bisher geschah

Im Jahr 2010 hatten sich die Justizministerien der Länder darauf verständigt, den Personalbedarf in der Justiz anhand empirischer Daten neu ermitteln zu lassen. Da-bei handelt es sich im Wesentlichen um die Fortsetzung eines Ansatzes, der in den Jahren 1998 und 2000 beschlossen worden war und der die bis dahin praktizierte eher normative Festsetzung der Pensen durch eine empirisch-analytische Methode ersetzen sollte.

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Die neue Erhebung griff dabei auf diejenigen Typisierungen zurück, die bereits im Rahmen der ersten Erhebung vor 10 Jahren gebildet worden waren, und die jeweils alle diejenigen „Verfahrenstypen“ zusammenfassen, die in ihrem jeweiligen Bear-beitungsaufwand als vergleichbar angesehenen werden. Wobei die Differenzierung anhand des Verfahrensgegenstandes erfolgt, und nicht beispielsweise anhand solcher Merkmale, die wirklich für die Verfahrensdauer von Relevanz sind, wie bei-spielsweise das Verhältnis streitiger zu unstreitigen Verfahren und das damit einher-gehende Erfordernis von Beweisaufnahmen und -würdigungen (vgl. dazu Franzen, Ruben, BJ 121, Richten nach Zahlen. Eine zahlentheoretische Betrachtung über das Vergleichen, Ordnen und Verteilen. Zugleich eine Auseinandersetzung mit unserem Personalbedarfserfassungssystem, Teil 2, S.47). Diese Typen wurden zum Teil noch einmal weiter zusammengefasst.

Schwierigkeiten warf offensichtlich das Familienrecht auf, das durch die zwischen-zeitliche Reform des Verfahrens einer neuen Art der Differenzierung bedurfte. Ein Problem, das jedenfalls im ersten Anlauf nicht bewältigt worden war. Ob die nunmehr vorgelegten Zahlen wenigstens das empirische Ist abbilden, vermag ich, der ich kein Familienrichter bin, nicht zu beurteilen (anders als die Mitarbeiter von PwC, die meinten, die mangelnde Plausibilisierung von Aufschreibungen von OLG-Richtern beurteilen zu können, siehe dazu unten unter 5., Das Opfer).

Geändert wurde zudem die Erfassungsmethode für die Service-Einheiten. Es sollten nur noch bestimmte Haupttätigkeiten erfasst und daraus der Gesamtarbeitsanfall extrapoliert werden. Dies mag unter anderem den Schwierigkeiten geschuldet sein, dass sich hier wie bei sonst keinem anderen Geschäft die Arbeit von häufigen Unter-brechungen gekennzeichnet ist, die ein kontinuierliches Arbeiten mit eindeutigen Zu-ordnungen verkompliziert. Auch dieser Ansatz ist allerdings, wie bereits festgestellt, misslungen. So gründlich, dass gar kein Ergebnis vorgelegt wurde.

2.2 Zur Ergebnisfindung

In der ersten Jahreshälfte 2014 schrieben in 54 Amts-, Land- und Oberlandesgerich-ten sowie in 16 Staatsanwaltschaften und Generalstaatsanwaltschaften die Staats-anwältinnen, die Richter, die Rechtspflegerinnen und die Mitarbeiter der Service-Einheiten für jede einzelne Akte auf, wie viel Zeit sie jeweils mit der Bearbeitung verbracht haben.

Diese Erhebungszahlen wurden in der Folge von der Auftragnehmerin, PwC, ausge-wertet. Ein erster Gutachten-Entwurf wurde dem sogenannten Lenkungsausschuss, dem je ein Vertreter eines jeden Landes und der betroffenen Berufsverbände ange-hörten, im November 2014 vorgestellt. Dem Lenkungsausschuss wurde bei dieser Zusammenkunft angeraten, darüber zu beschließen, die Teilergebnisse einer erheb-lichen Anzahl von Erhebungsstellen aus der Aggregation des Gesamtergebnisses herauszunehmen. Diese Erhebungsdaten wiesen Werte auf, die jeweils außerhalb (und zwar ausnahmslos oberhalb) der Standardabweichung lagen, und PwC meinte,

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bei Rücksprachen mit den Erhebungsstellen seien diese Abweichungen nicht hin-reichend plausibilisiert worden (was andererseits heißt, dass die statistisch genauso häufigen Standardabweichungen nach unten ohne Einschränkungen plausibilisiert werden konnten). Die betroffenen Erhebungsstellen haben hierauf zum Teil sehr aus-führlich geantwortet. Im März 2015 fand dann eine abschließende Zusammenkunft des Lenkungsausschusses statt, auf der mehrheitlich die Annahme des vorgelegten Entwurs beschlossen wurde – unter dem Vorbehalt einzelner Nachbesserungen. Am 10.4.2015 erfolgte die endgültige Übergabe des Gutachtens.

Im Ergebnis beschränkt sich die Herausnahme bei den Richterinnen und Staatsan-wälten, von unverwertbaren Teilergebnissen aufgrund unzureichender Mitwirkung bei der Erhebung abgesehen, nunmehr auf eine einzige Erhebungsstelle. Die Entschei-dung darüber, die allermeisten der zunächst für bedenklich erachteten Teilergebnisse nun doch zu berücksichtigen, im November noch dem Lenkungsausschuss als dem vermeintlich zuständigen Organ angedient, hat PwC jetzt selbst getroffen – nach-dem die Auftragsnehmerin geschickt angetestet hatte, ob die Länder bereit gewesen wären, die Verantwortung für eine mögliche Korrektur der Ergebnisse nach unten (durch das Angebot der Herausnahme von Erhebungsstellen mit hohen Zahlen) die Verantwortung zu übernehmen. Nachdem alle betroffenen Gerichte argumentativ nachgelegt hatten, mutet die dennoch erfolgte Herausnahme wie ein Opfer an. Ein Opfer, das vor dem Hintergrund der ausführlichen Begründung möglicher Divergen-zen zum Zeitbedarf anderer Senate gerade durch diese Erhebungsstelle exempla-risch dem Dilemma der Gleichsetzung von Sein und Soll geschuldet ist.

Die aufgetretenen Probleme waren, so meine Interpretation, vorhersehbar. Und so hätte es an PwC gelegen, vor Annahme des Auftrags auf die im Folgenden darge-legten grundsätzlichen Probleme hinzuweisen. Dann wäre der Auftragnehmerin die Blamage der Abgabe eines in großen Teilen nicht bearbeiteten Auftrags und wenig einleuchtender Entscheidungen über die Berücksichtigung bzw. Außerachtlassung von Teilergebnissen erspart geblieben. Sie hätte dann auf diese Bedenken verwei-sen können, um die bestehenden Schwierigkeiten zu plausibilisieren. Denn diese dürften wesentlich mit den nachfolgend dargestellten grundsätzlichen Mängeln der methodischen Ansätze zusammen hängen.

3.1 Ein naturalistischer Fehlschluss

Es ist verfehlt und stellt einen klassischen naturalistischen Fehlschluss dar, aus einer je zufälligen Praxis, das heißt hier: aus dem zufälligen Umgang einzelner Richter, Rechtspflegerinnen oder Angestellter mit Überlastungssituationen, wie sie die Justiz mittlerweile überall prägen, darauf schließen zu wollen, dass eben diese Praxis als geeigneter Maßstab für die Bemessung des erforderlichen weiteren Personalbedarfs herangezogen werden könnte.

Wenn einige Gerichte von Vereinfachungsmöglichkeiten, die der Gesetzgeber in den letzten Jahren eröffnet hat, mehr Gebrauch machen als andere, etwa weil sie dem

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Interesse der Betroffenen auf eine zeitnahe Entscheidung eine andere Wertigkeit einräumen als andere, dann heißt dies nicht, dass eine dem Zeitdruck geschuldete Praxis das Plansoll definieren könnte. Denn diese Definition ist offensichtlich zirkulär: in sie fließt gerade derjenige Parameter ein, nämlich die zur Verfügung stehende Zeit, deren Bedarf ermittelt werden soll.

Die Behauptung von PwC, dass sich die konkrete Belastungssituation in einem De-zernat oder einer Abteilung nicht auf die Arbeitsgeschwindigkeit auswirke, ist nach aller Erfahrung falsch: Steigt die Belastung, wird in aller Regel mit nur kurzer zeit-licher Verzögerung mehr und schneller gearbeitet (und mit Einschränkungen auch umgekehrt). Das gilt mit unterschiedlicher Ausprägung für alle Dienste.

Der Umgang der Gerichte mit dem oft weiten Ermessensspielraum, den der Gesetz-geber in einer Vielzahl von Verfahrensweisen eröffnet, darf nicht die implizite Forde-rung einer Ermessensreduktion auf das jeweils zeitsparendste Verfahren beinhalten. Ohne die Ergebnisse der einen oder anderen reduzierten Jurisdiktion zu berücksich-tigen, lässt sich eine valide Aussage über erforderliche Zeitverbräuche einfach nicht treffen.

Es handelt sich, das ist der Kern der Kritik, nicht um eine der empirischen Analyse zugängliche Tatsache, welche Erwartungen ein Bürger an eine Erörterung im Rah-men einer Verhandlung, an die Begründetheit einer Entscheidung, an die Aktualität der Entscheidungsfindung, oder an das Kommunikationsverhalten und an die Er-reichbarkeit von Justizmitarbeitern stellen darf, sondern um eine normativ zu treffen-de Entscheidung.

3.2 Entgrenzung von Geschäftsbereichen

Mit dem zunehmenden Einsatz von EDV lösen sich vormals eindeutigere Zuord-nungen von Arbeitsaufgaben in den einen oder den anderen Geschäftsbereich auf. Wenn der Richter oder auch die Staatsanwältin in zunehmendem Maße solche Schreib- und Umsetzungsaufgaben wahrnimmt, die bei der Erhebung vor 10 Jahren noch den Service-Einheiten oblagen, dann hängt sowohl die Tätigkeitsbeschreibung als auch der Zeitverbrauch einer jeden dieser Einheiten entscheidend von deren jeweiliger aktuellen personellen Ausstattung ab. Denn die belastungsbedingte Bear-beitungsdauer führt zwangsläufig zu Verschiebungen. Und es ist ein Unterschied, ob eine Geschäftsstelle so gut besetzt ist, dass sie vorverfügen kann, oder ob der Rich-ter, wie von den Anwendungsprogrammen vorgesehen, jede Zustellungsverfügung durch Aufruf des Verfahrens im System selbst bearbeitet.

Ein ähnlicher Effekt wird durch die zunehmenden Möglichkeiten erzeugt, bestimmte Aufgaben von Richtern auf Rechtspfleger zu übertragen. Die gravierendste Verschie-bung dürfte insoweit künftig von der Frage abhängen, wer die Bedürftigkeitsprüfung bei der Prozess- und Verfahrenskostenhilfeprüfung vornimmt. Dies wird, wie so oft,

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von der jeweiligen Kultur, vor allem aber von der aktuellen Personalausstattung ein-zelner Geschäftsbereiche abhängen.

Der Aussagewert, der der Ermittlung des je durchschnittlichen Zeitbedarfs der für sich separat betrachteten Geschäftsbereiche in einer von ganz unterschiedlich ver-teilten Ressourcen geprägten Konstellation zukommt, ist insofern begrenzt. Sinnvoll wäre es dagegen gewesen, sich in diesem Zusammenhang der Frage zu stellen, wie unterschiedlich qualifizierte Arbeitskräften optimal eingesetzt werden können, und noch einmal zu versuchen zu erfassen, welcher Geschäftsbereich mit welcher Aufgabe betraut werden sollte – unter Gesichtspunkten von Effizienz, aber auch von Motivation.

3.3 Verdichtung und interpersonelle Verschiebungen

Möglicherweise lässt sich aus der fortschreitenden Umstellung auf EDV auch er-klären, weshalb die Extrapolation der bei den Service-Einheiten erfassten Daten zum Teil einen Arbeitseinsatz abgebildet hat, der unter Zugrundelegung einer wie auch immer definierten Normarbeitszeit als nicht plausibel darstellbar angesehen wurde. Wobei indessen fraglich blieb, ob die Normarbeitszeit, in die neben der lan-desspezifisch recht unterschiedlichen Jahresarbeitszeit (unter Berücksichtigung der für Beamte geltenden Wochenarbeitszeit, des regulären Urlaubsanspruchs und der gesetzlichen Feiertage) insbesondere auch der durchschnittliche Krankenstand Ein-gang findet, immer mit dem jeweiligen Zustand vor Ort abgeglichen wurde, und wie mit gesplitteten Geschäftsaufgaben und den insoweit oft nur sehr grob erfolgenden AKA-Zuweisung umgegangen wurde.

Gerade der Einsatz von elektronischer Datenverarbeitung ermöglicht es partiell, Ver-dichtungsphänomene zu erzeugen, die die von PwC wohl konstatierten und für unre-alistisch gehaltenen Aufschreibungen erklären könnten. Wenn ein Geschäftsbereich so extrem zurückgefahren wird, wie dies in den letzten Jahren bei den Geschäfts-stellen, aber auch bei den aus der Betrachtung ausgenommenen Justizwachtmeis-tern geschehen ist, so kann dies gerade in Reduktionsphasen zu Beanspruchungen führen, die durch ein Nebeneinander von Aufgabenerledigungen aufgefangen wird, ohne dass sich ein solcher Arbeitsstil dauerhaft praktizieren ließe – jedenfalls nicht unter der Prämisse, dass die Gesundheit davon keinen Schaden nehmen soll. Multi-tasking ist als dauerhafter Arbeitsstil in Bereichen, die Konzentration auf den jeweili-gen Inhalt verlangen, nach inzwischen wohl herrschender Auffassung für die meisten Menschen undurchführbar.

Insofern wäre in eine seriöse Erhebung über den mutmaßlichen Personalbedarf der Justiz auch eine Betrachtung über den Gesundheitsstand der Betroffenen und des-sen Veränderung einzubeziehen.

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3.4 Verdichtung und intrapersonelle Verschiebungen

Ohne Berücksichtigung konkreter Belastungssituationen können in einem Arbeits-feld, das nicht von definierten Produkten geprägt ist, noch nicht einmal Aussagen darüber getroffen werden, zugunsten oder zulasten welcher Verfahrensteile sich Be- oder Entlastungen auszuwirken neigen. Wenn die Erhebung ohnehin nur abbilden kann, wie Justiz mit dem herrschenden Mangel umgeht und wie sie die ohnehin zu knapp bemessene Zeit auf die jeweiligen Verfahren und Verfahrensabschnitte ver-teilt, so setzt dieser mögliche Erkenntnisgewinn voraus, dass eben diese jeweilige Belastungssituation auch differenziert erfasst wird. Der Verzicht auf die Erhebung dieses für das jeweilige Arbeitsverhalten entscheidenden Faktors fingiert eine Justiz, deren Verfahrensweise und deren Output belastungsunabhängig ist. Diese Annahme dürfte in kaum einem Arbeitsfeld so verfehlt sein wie gerade in der Justiz.

4.1 Fehler – Verfahren – Produkte

Entscheidungsfindung in der Justiz wird durch das Verfahren bestimmt. Die Bezeich-nung „Produkt“ für den Vorgang der Erledigung einer Zähleinheit (in der Justiz ist dies zumeist die Bearbeitung eines anhängigen, wegen seines prozesshaften Cha-rakters treffend als Verfahren bezeichneten Prozessrechtsverhältnisses) verkennt, dass die beiden Begriffe Unterschiedliches definieren. Dieser Unterschied dürfte sich am prägnantesten daran ablesen lassen, wie sich die Abweichung von Sein und Soll darstellt. Ein Produkt wird definiert über seinen Zustand. Soweit der Zustand eines fertigen Produkts vom vereinbarten, vorgestellten, erwarteten Zustand abweicht, spricht man von einem Fehler. Ein Verfahren dagegen wird durch die Beachtung der den Prozess reglementierenden Regeln bestimmt, und durch das Geschick der Pro-zessführung.

Selbstverständlich überschneiden sich beide Begriffe, zumal jedes Produkt das Ergebnis des je gewählten Herstellungsverfahrens ist. Für das Produkt ist dieses Verfahren jedoch lediglich funktional, das heißt, es könnte durch ein anderes, etwa durch ein weniger Arbeit erforderndes, oder durch ein fehlerfreiere Produkte erzeu-gendes Verfahren ersetzt werden. Die Definition eines konstitutiven Verfahrens ist dagegen ergebnisoffen. So ist etwa ein Prozessrechtsverhältnis lediglich darauf gerichtet, überhaupt zu Ende gebracht zu werden – dies ist Inhalt des Justizgewähr-leistungsanspruchs. Am Ergebnis lässt sich die Güte eines Verfahrens dagegen eher nicht ablesen.

Es gehört andererseits zu den Allgemeinplätzen, dass die Fehlerwahrscheinlichkeit in Produktionsprozessen, die (wie in der Wirtschaft immer) unter Zeitdruck stehen, mit höherer Geschwindigkeit in aller Regel zunimmt. Es würde daher gar keinen Sinn machen, etwa den Zeitbedarf für die Produktion eines Kühlschranks ohne Angabe einer Fehlerquote messen zu wollen.

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Ergebnisoffene Verfahren dagegen lassen sich in gewissem Maße verdichten, ohne dass Fehler in messbarer Weise auftreten, insbesondere ohne zu kollabieren. So ist es möglich, das rechtliche Gehör zu verkürzen, Urteile abzukürzen, Akten kursorisch zu studieren und auf Lücke zu setzen. Solche Verfahren mögen ethischen Ansprü-chen zuwider laufen, die Ergebniszufriedenheit der Betroffenen (allen voran der Be-arbeiter selbst) und die Akzeptanz der Entscheidungen mag gering sein, auch deren rechtliche Vertretbarkeit kann in erhöhtem Maße grenzwertig sein. All dies kann in die Betrachtung und Beurteilung der Erledigungsgeschwindigkeit aber nicht einflie-ßen. Denn einer Bewertung ist das Ergebnis der Rechtsfindung aus guten Gründen entzogen.

Daraus den Schluss zu ziehen, dass alles gut ist, was judiziert wird, ist genauso of-fensichtlich verfehlt.

4.2 Sein oder Soll

- das war hier die Frage. Denn eine jede Richterin, ein jeder Staatsanwalt muss selbst und für sich entscheiden, inwieweit sie einen Arbeitseinsatz pflegen, der eher an dem durch Verdichtung erzwungenen Sein ausgerichtet und einer ausgewoge-nen Work-Life-Balance verpflichtet ist, oder eine Verfahrensweise bevorzugt, die mehr den jeweiligen eigenen Ansprüchen an eine zufriedenstellende Fallbearbeitung Rechnung trägt, also möglichst ohne erzwungene Kompromisse, die bei den meisten Kollegen in dem einen oder anderen Fall ein schlechtes Gewissen zurück lassen, die dafür aber zu Lasten der Freizeit geht.

Genau diese Frage stellte sich allen Erhebungsstellen noch einmal gesondert für die Zeit der Arbeitszeiterfassung: Lässt man in die Zeiterfassung die je eigene gewohnte Praxis einfließen, oder aber nimmt man dadurch Einfluss auf die Ermittlung des Per-sonalbedarfs, dass man seine Arbeitsweise mehr daran ausrichtet, was dem eigenen fachlichen Anspruch gerecht wird, was man für wünschenswert und angemessen erachtet und wie es dem eigenen Anspruch an ein ordentliches Verfahren genügt. Der damit mutmaßlich einhergehende Mehrbedarf an Zeit lässt sich dabei auf dreier-lei Weisen gewinnen. Entweder verschiebt man die Arbeit in der Zeit, das heißt, man baut bei einem an der Normarbeitszeit orientierten Arbeitseinsatz den Verfahrensbe-stand in dieser Zeit auf. Oder man verschiebt die flexible Arbeitszeit, indem man auf Fortbildungen verzichtet und den Urlaub erst in der 2. Jahreshälfte nimmt. Oder man zeigt einen Arbeitseinsatz, der weit jenseits der Normarbeitszeit liegt.

5 Das Opfer

Der unterschiedliche Zeitbedarf tritt am deutlichsten zutage bei der Entscheidung, in welcher Besetzung ein Kollegialgericht verhandelt und entscheidet, ob und wie aus-führlich die Betroffenen persönlich zu Wort kommen, und ob und wie eine Entschei-dung begründet wird.

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Diese Weichen hatten die Familiensenate eines der beteiligten 6 Oberlandesgerichte wohl anders gestellt als die Mehrzahl der Mitglieder der anderen beteiligten Gerichte/Senate. Jedenfalls in dieser Kombination. So folgten die Mitglieder dieser Spruchkör-per weder einer ihres Erachtens oft zu beobachtenden Praxis, von der Begründung von Entscheidungen insoweit abzusehen, wie diese nicht anfechtbar sind, der Man-gel der Begründung also ohne rechtliche Konsequenzen bleibt. Noch machten sie, von Ausnahmefällen abgesehen, von einer Regelung Gebrauch, nach der von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen abgesehen werden kann. Vor allem aber legten sie diejenigen Vorschriften, die die Übertragung von Verfahren auf den Ein-zelrichter oder andersherum die Übertragung von Beschwerdesachen, die seit einer Gesetzesänderung originär beim Einzelrichter liegen, auf den Senat ermöglichen bzw. vorsehen, senatsfreundlich aus.

Im Ergebnis gelangte das Gericht zu einem Zeitverbrauch, der bei 5 ½ Zeitstunden für die Bearbeitung einer Beschwerdesache lag, während die beiden schnellsten OLGs Beschwerden in durchschnittlich 2 ¼ bis 2 ½ Stunden verbeabschieden.

Nicht ganz so groß sind die Differenzen bei den Berufungssachen. Der Zeitbedarf variiert hier zwischen 12 und 20 ¼ Stunden, wobei die Abweichungen nach unten gravierender erscheint als die nach oben, haben doch drei der Gerichte in einem Korridor von knapp 17 bis 18 ½ Stunden gearbeitet. Dass die 12 Stunden nicht als „Ausreißer“ nach unten angesehen werden, sondern die 20 Stunden als ein solcher nach oben liegt daran, dass ein weiteres OLG mit einem Stundenbedarf von 13 ½ den Gesamtdurchschnittswert auf 16 Stunden senkt und die beiden „schnellen“ Ge-richte etwas höhere Fallzahlen haben.

Es darf daher vermutet werden, dass es gerade die Begründung war, die das OLG vorgetragen hat, die als nicht überzeugend angesehen wurde. Denn es sollte ja bei der Erhebung nicht darum gehen festzustellen, wie viel Zeit und damit Stellen die Justiz bräuchte, um eine den eigenen Anforderungen gerecht werdende Verfahrens-führung umsetzen zu können, sondern darum, wie viel Zeit sie unter den gegebenen Bedingungen braucht. Wobei PwC diesen Wert als Ausreißer ganz außer Acht ge-lassen hat, was nunmehr zu einer deutlichen Verschiebung der durchschnittlichen Bearbeitungszeit der 5 verbliebenen Werte geführt hat.

6 Evaluation statt Bedarfsermittlung

Definitiv nicht relevant für diese Entscheidung war die Frage, ob die Auslegungs-praxis der jeweils zugrundeliegenden Rechtsnormen durch diesen oder aber durch jenen Senat zutreffend oder zumindest vertretbar erfolgt. Dabei geht es bei der Fra-ge, ob die Senate in voller Besetzung oder in Einmann-Besetzung zu entscheiden haben, immerhin um nichts Geringeres als um die Frage nach dem gesetzlichen Richter. Wobei eine solch erhebliche Divergenz der Rechtspraxis die Frage aufwirft, ob der Gesetzgeber auf seiner Suche nach Einsparpotenzial unter Beachtung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters die Besetzung des Gerichts in so weitem

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Maße in das Ermessen derjenigen Organe stellen darf, die selbst zur Entscheidung berufen sind, und die deshalb ein eigenes Interesse an dieser ihrer Entscheidung haben.

Es dürfte insofern geboten sein, die Auswirkung der Reduktion von Spruchkammern und anderer Maßnahmen zur Reduktion des Personalbedarfs einer wissenschaftlich fundierten Evaluation zu unterziehen, bevor gemessen wird, welche Einsparungen damit einhergehen. Denn nirgends tritt deutlicher zutage, dass die Entfesselung der Gerichte von zwingenden Vorschriften in Zeiten der Zeitnot ein Eigenleben fördern kann, das einem Rechtsstaat abträglich ist.

7 Fazit: Der normierte Durchschnitt

Die Untersuchung leistet damit, soweit sie denn überhaupt zu einem Ergebnis kommt, genau das, was vorher vorgegeben war: Wir alle versuchen, unsere Arbeit in der uns zur Verfügung stehenden Arbeitszeit zu bewältigen. Brauchen wir dafür erheblich länger als der Durchschnitt, so gibt dies dem Auftragnehmer einer solchen (teuer bezahlten) Studie die Möglichkeit, den Auftraggeber an der Validität eines sol-chen einzelnen Erfassungsergebnisses zweifeln zu lassen. Brauchen wir erheblich kürzer, bietet dies keinen Anlass zur Sorge.

Wobei die Länder dem Angebot widerstanden haben, hohe Werte per se als un-glaubwürdig außer Acht zu lassen.

So werden wir damit leben dürfen, dass diesmal der eine oder andere vielleicht et-was mehr Soll in das Sein gemischt hat, als es dem Durchschnitt entsprochen hätte.

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Ruben Franzen, AG Eilenburg

7.

Mail-Müll – return to sender, zur Kenntnisnahme und BeachtungEin Aktions-Aufruf von Ruben Franzen

Kennt ihr das auch? Ihr sitzt an der Arbeit, das Postfach offen, und es fliegt eine Nachricht von der Verwaltung herein. O.K., das Postfach ist bei euch geschlossen, um sich nicht dauernd ablenken zu lassen. Und ihr öffnet es erst zum Feierabend. Oder am nächsten Morgen. Oder wann auch immer.

Die Mail liegt trotzdem im Postfach.

Im günstigsten Fall ist im Betreff etwas eingetragen, das auf den Betreff schließen lässt. Im ungünstigeren Fall steht dort ein Aktenzeichen. Wenn ihr die Mail öffnet, dann enthält sie eine dienstliche Anweisung: Zur Kenntnisnahme und Beachtung. Und eine Anlage. Und wenn ihr die Anlage öffnet, dann enthält sie ein Anschreiben des für die Durchleitung von Mails zuständigen Amtsträgers, und darin eingebettet, eine Anlage. Und wenn ihr diese Anlage öffnet, dann enthält sie ein Anschreiben des für die Durchleitung von Mails zuständigen Amtsträgers, und darin eingebettet, eine Anlage. Und wenn ihr diese Anlage öffnet …

Solltet ihr bei derjenigen Matroschka angekommen sein, die sich nicht weiter öffnen lässt, könnte dies der Inhalt dessen sein, auf den sich die Weisung der geflissentli-chen Kenntnisnahme und Beachtung bezieht.

Manchmal könnt ihr mit dem Inhalt etwas anfangen. Es wird auf die Änderung eines Gesetzes oder einer Verwaltungsvorschrift hingewiesen, die eure Geschäftsaufga-be betrifft, und die andernfalls an euch vorbeigegangen wäre. Manchmal werdet ihr zur Mitwirkung an einem Arbeitsmittel aufgerufen, das ihr nutzt oder nutzen könntet. Manchmal werdet ihr zur Beachtung einer Vorschrift aufgerufen, für deren Umset-zung eigentlich ganz andere zuständig sein sollten. Etwa wenn es um die Erteilung allgemeiner Hinweise geht, die vorformuliert gehörten und in unseren modernen Zeiten als Template hinterlegt sein sollten. Oder besser noch: in den einschlägigen Anwendungsfällen gleich verknüpft. Zumindest abgefragt.

Meistens seid ihr von der euch zur Kenntnisnahme und Beachtung angewiesenen Materie aber gar nicht betroffen. Es geht um eine den Geschäftsstellen obliegende Umsetzung. Oder um eine Aufgabe, für die allein die Strafvollstreckungskammern zuständig sind (mit deren Aufgaben ihr jetzt gerade einmal nicht betraut seid), oder die nur die Familiensenate des OLG betreffen. Und manchmal ist recht unerklärlich, wer überhaupt eine entsprechende Information zu beachten hätte.

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Das stellt ihr fest, nachdem ihr die Matroschka bis zu ihrem Ende aufgeklickst habt. Ihr schließt sie schön wieder Seite für Seite und denkt: Das hatte ich mir doch gleich gedacht. Das nächste Mal … Oder ihr gehört zu denjenigen, die schon beim nächs-ten Mal sind, und die diese Mail, einem Spam vergleichbar, ungeöffnet, ungelesen, unbeachtet gelöscht habt. Weisung hin oder her.

Nun, das ist nichts für unverbesserliche Optimisten wie mich. Ich setze, allen Erfah-rungen zuwider, auf die Lernfähigkeit sozialer Systeme. Und auf die Modellfunktion guter Beispiele.

Ich sende falsch adressierte Post einfach zurück. Mag der für die Durchleitung von Mails zuständige Amtsträger dies auch tun. Hinsichtlich jeder einzelnen an ihn zu-rückgesandten Mail. Und der Adressat dieser Mails desgleichen. Bis hin zum Absen-der. Auf dass dieser künftig seine Post ordnungsgemäß adressiere. An denjenigen, der mit dem ihm zur Kenntnis gegebenen Inhalt etwas anfangen kann und tatsäch-lich etwas zu beachten hat. Denn es ist 1000 Mal einfacher, wenn sich derjenige, der etwas sagen will und etwas zu sagen hat, Gedanken darüber macht, wem er dies nun sagen will und sollte, als wenn sich 1000 Adressaten Gedanken darüber ma-chen, warum ausgerechnet sie sich angesprochen fühlen sollen.

Wenn man dann aber schon einmal so weit gedacht hat, und zu dem Ergebnis ge-kommen ist, dass es sich um Mail-Müll handelt, dann ist es nur noch ein winziger Klicks und die Mail

retuns to sender, zur Kenntnisnahme und Beachtung!

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nrv bundesvorstand

8.

Berlin, den 9. Oktober 2015

An die Mitglieder des Innenausschusses des Deutschen Bundestages per E-Mail: [email protected]

nachrichtlich z.K.:BundeskanzleramtBMI BMJVLandesjustizministerienLandesinnenministerien

Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes, BT-Drs. 18/6185

Anhörung im Innenausschuss des Deutschen Bundestages am 12.10.2015

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Neue Richtervereinigung (NRV) erlaubt sich, auf diesem Wege eine schriftliche Stellungnahme abzugeben speziell zu zwei Punkten des o.g. Gesetzespaketes, die das verwaltungsgerichtliche Verfahren im Asylbereich betreffen. Dieser Weg mag un-gewöhnlich sein, ist aber dem überaus ambitionierten Zeitplan zur Verabschiedung des Gesetzentwurfes geschuldet. Hier scheint weder Zeit zu sein für die Befassung des Rechtsausschusses im Bundesrat oder im Bundestag noch erhalten die Berufs-verbände der Justiz Gelegenheit zur Stellungnahme im Rahmen der anstehenden Expertenanhörung.

Wir bitten deshalb um Berücksichtigung insbesondere folgender Punkte:

1.

Art. 1 Nr. 30 (i.V.m. Art. 7 Nr. 3b) des Gesetzentwurfs sieht eine Änderung des § 83 AsylVfG (und des § 52 Nr.2 VwGO) vor. Mit einem neuen § 83 Abs. 3 AsylG sollen die Landesregierungen ermächtigt werden, „durch Rechtsverordnung einem Verwal-

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tungsgericht für die Bezirke mehrerer Verwaltungsgerichte Streitigkeiten nach die-sem Gesetz hinsichtlich bestimmter Herkunftsstaaten zuzuweisen, sofern dies für die Verfahrensförderung dieser Streitigkeiten sachdienlich ist“.

Diese Verordnungsermächtigung widerspricht der in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angelegten Regelungssystematik. § 3 Abs. 1 VwGO sieht für Änderungen in der Gerichtsorganisation und für die Zuweisung einzelner Sachgebiete oder Ver-fahren an ein einzelnes Verwaltungsgericht für die Bezirke mehrerer Verwaltungs-gerichte ausdrücklich eine gesetzliche Regelung vor. Entsprechend sollte auch die Entscheidung darüber, ob ein Verwaltungsgericht – und wenn ja, welches - die Zuständigkeit für Asylverfahren bezüglich bestimmter Herkunftsstaaten landesweit übernimmt, nicht der Landesregierung oder gar dem Justizministerium des Landes überlassen werden, sondern einer parlamentarisch legitimierten Entscheidung vor-behalten bleiben. Eine Ermächtigung zur Regelung durch Verordnung würde der Exekutive eine Einflussnahme auf die unabhängige Rechtsprechung ermöglichen, denn sie könnte sich auf diesem Wege der vielleicht unliebsamen Rechtsprechungs-praxis eines bestimmten Verwaltungsgerichts kurzerhand entledigen - etwa weil ihr die Asyl-Anerkennungsquote des Gerichts zu hoch erscheint. Zu befürchten wäre zudem, dass eine Landesregierung von diesem Instrument nur deshalb Gebrauch macht, um sich der auf jeden Fall notwendigen Verstärkung des richterlichen Perso-nals zu entziehen.

Diesem Verdacht sollte die Exekutive erst gar nicht ausgesetzt werden.

Bei Anordnung einer Regelung durch Gesetz würde sich zudem das Merkmal „für die Verfahrensförderung sachdienlich“ erübrigen – ein Merkmal, das in der fachlichen Diskussion bereits zutreffend als zu unbestimmt kritisiert worden ist; die rechtliche Angreifbarkeit darauf beruhender Verordnungen wäre vorprogrammiert.

2.

Art. 7 des Gesetzentwurfs sieht in Nr. 2 eine Änderung der §§ 17, 18 VwGO vor mit dem Ziel, die Möglichkeit der Verwendung von „Richtern auf Zeit“ in der Verwaltungs-gerichtsbarkeit zu schaffen.

a.

Die NRV steht dem in § 11 DRiG vorgesehenen Richterverhältnis auf Zeit kritisch gegenüber; seiner Einführung gerade in der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist auf jeden Fall aus verfassungsrechtlichen Gründen abzulehnen, handelt es sich doch gerade um diejenige Gerichtsbarkeit, die über die Rechtmäßigkeit des Handelns der öffent-lichen Verwaltung entscheidet, also derjenigen Gewalt, der der Richter auf Zeit nicht nur vor seiner richterlichen Tätigkeit angehörte, sondern der er später auch wieder angehören wird.

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Da die von der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu kontrollierende öffentliche Verwaltung in den gerichtlichen Verfahren stets beteiligt ist, kommt dem Gebot der Gewalten-teilung (Art. 20 Abs. 2 GG) gerade hier eine besondere Bedeutung zu. Die Gerichte müssen deshalb als besondere, von der Exekutive strikt getrennte Institutionen gestaltet und besetzt werden. Die hier vorgesehene personelle Überschneidung zwi-schen Gerichten und Verwaltungsbehörden wird dem vom Grundgesetz gewollten selbständigen Charakter der Gerichte nicht mehr gerecht.

Erhebliche Bedenken bestehen auch mit Blick auf die richterliche Unabhängigkeit gemäß Art. 97 GG.

Richter sind nach Art. 97 Abs. 1 GG weisungsunabhängig; ihre sachliche Unabhän-gigkeit wird durch die Garantie der persönlichen Unabhängigkeit in Art. 97 Abs. 2 GG institutionell gesichert. Art. 97 Abs. 2 Satz 1 GG verdeutlicht das entsprechende ge-setzliche Leitbild eines hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richters, d.h. eines Richters / einer Richterin auf Lebenszeit. Gemäß diesem Leitbild dürfen nicht auf Lebenszeit ernannte RichterInnen nur in den Grenzen eingesetzt werden, die sich nach verständigem Ermessen aus der Notwendigkeit, Nachwuchs heranzu-bilden, oder aus anderen zwingenden Gründen ergeben (BVerfGE 14, 156, 162). Die Verwendung von RichterInnen ohne diese Garantie der persönlichen Unabhängigkeit muss die Ausnahme bleiben.

Mit der persönlichen Unabhängigkeit nicht zu vereinbaren ist auch die vorgesehene Höchstdauer des zu verleihenden Amtes, denn das Richteramt darf „längstens für die Dauer seines Hauptamtes“ übertragen werden – dieses Hauptamt des Beamten wiederum kann aber aus Gründen sein Ende finden, die mit dem Richteramt nichts zu tun haben. Kurz gesagt bestünde auch hier die Möglichkeit, unliebsame Richter auf Zeit durch Beendigung des Hauptamtes zugleich ihres Richteramtes zu enthe-ben. Dies kann und darf nicht sein. Auch Art. 92 GG setzt als Normalfall RichterInnen voraus, die unversetzbar und unabsetzbar ist (BVerfG, NVwZ 2007, 693, 694).

Ein Verstoß gegen diese Grundsätze kann Auswirkung auf die Gerichtsbesetzung und damit auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entfalten (BVerfGE 14, 156, 162) und macht gerichtliche Entscheidungen unnötig angreifbar. Damit wiederum würde das Ziel der schnellen Entscheidung von Asylverfahren in sein Gegenteil verkehrt.

Nachvollziehbar würden die Rechtsschutzsuchenden einem Gericht mit Misstrauen begegnen, das mit RichterInnen besetzt ist, die Teil der öffentlichen Verwaltung sind und nach Ablauf ihrer – von vornherein zeitlich begrenzten – Tätigkeit als RichterIn dorthin zurückkehren. Aus dieser Form der Abhängigkeit von der Exekutive er-wächst die Besorgnis einer verwaltungskonformen Entscheidungspraxis. Dies mag im Einzelfall unbegründet sein, allein der Anschein einer solchen Konformität muss aber vermieden werden: nicht nur zur Vermeidung von Befangenheitsanträgen und Besetzungsrügen, sondern um das generelle Vertrauen in die Rechtsprechung der

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Verwaltungsgerichte nicht zu erschüttern. Dies gilt insbesondere mit Blick auf den gesellschaftspolitischen Kontext, in dem die geplante Gesetzesänderung steht.

b.

Über diese grundsätzlichen Bedenken hinaus wird § 18 VwGO-E den sich aus dem Verfassungsrecht ergebenden Anforderungen auch nicht gerecht.

Erheblich zweifelhaft erscheint der unbestimmte Rechtsbegriff des „nur vorüberge-henden Personalbedarfs“. Mit dieser weiten Formulierung dürfte auch nicht ansatz-weise sichergestellt sein, dass der Einsatz von Richtern auf Zeit nur aus zwingenden Gründen im o.g. Sinne erfolgt und damit tatsächlich die Ausnahme bleibt. Die Ein-grenzung und Konturierung des „nur vorübergehenden Personalbedarfs“ als Rechts-begriff ist kaum möglich.

Eine Prognose, ob ein Anstieg der Verfahrenszahlen im Asylbereich tatsächlich nur „vorübergehend“ oder doch eher nachhaltig ist, kann verlässlich nicht getroffen wer-den; sie bliebe rein spekulativ. Vorliegend steht der Personalbedarf im Zusammen-hang mit der stetig und unabsehbar ansteigenden Zahl von Asylsuchenden und mit der kampagnenartigen und nicht voraussehbaren Entscheidungspraxis des Bundes-amtes für Migration und Flüchtlinge. Insbesondere die Zahl der neu ankommenden Asylsuchenden müsste erwartbar rückläufig sein, um den Begriff „vorübergehend“ zu rechtfertigen. Eine solche Prognose kommt derzeit aber nicht in Frage, zumal die Zahl der Asylsuchenden und Flüchtlinge von Konfliktsituationen abhängt, auf die zumindest die deutsche Justizverwaltung keinen Einfluss hat, die vielmehr ein abgestimmtes Vorgehen der Staaten der EU voraussetzt. Selbst dieses ist derzeit aber nicht in Sicht.

Wird es sich also um ein länger andauerndes Phänomen handeln, ist die Beschäfti-gung von RichterInnen „auf Zeit“ schon von der Logik ihrer Bezeichnung und Recht-fertigung her erkennbar die falsche Antwort.

Die Beschäftigung von RichterInnen auf Zeit bis hin zur gesamten Dauer ihres Hauptamtes eröffnet zudem die nicht mehr zu kontrollierende Möglichkeit, Verwal-tungsbeamte zu - nicht vollständig unabhängigen - Richtern zu ernennen und so Neueinstellungen zu umgehen. Damit ist nicht absehbar, inwieweit der Ausnahmefall eines Richters auf Zeit zum - gesetzlich unzulässigen - Regelfall wird.

Weiterhin ist weder in der Gesetzesbegründung ausgeführt noch sonst ersichtlich, welche zwingenden Gründe eine ausnahmsweise Beschäftigung von RichterInnen auf Zeit rechtfertigen sollten.

Auch die 1990‘er Jahre waren geprägt von einer ansteigenden Zahl von Asylsuchen-den. Die politische Reaktion damals bestand in der personellen Erweiterung der Verwaltungsgerichtsbarkeit um durchschnittlich 30 %. Die eingestellten RichterInnen sind heute in einem Alter von Mitte bis Ende 50 Jahren. Realistisch muss man an-

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nehmen, dass der heute auf die Verwaltungsgerichte zukommende Anstieg von Ver-fahrenszahlen nicht nur zwei Jahre anhalten oder gar binnen zwei Jahren bewältigt sein wird. Die Erfahrung aus den 1990’er Jahren lehrt, dass neu eingestellte Probe-RichterInnen oder auch Richter kraft Auftrags auch über beispielsweise fünf Jahre hinweg beschäftigt sein werden und dann die absehbar frei werdenden Planstellen übernehmen können. Der personelle Bestand nach Abarbeitung der Asylverfahren würde sich automatisch wieder reduzieren.

Schließlich übersieht der Gesetzentwurf, dass für den Richter auf Zeit im Unter-schied zum Richter kraft Auftrags die Vorschriften für Richter auf Probe nicht ent-sprechend geltend (vgl. § 16 Abs. 2 DRiG). Richter auf Zeit könnten mithin ab dem Tag ihrer Ernennung als Einzelrichter eingesetzt werden, da weder § 6 Abs. 1 Satz 2 VwGO noch § 76 Abs. 5 AsylVfG Anwendung fänden. Dies ist auf jeden Fall abzuleh-nen, denn die zum Richter auf Zeit ernannten Beamten verfügen regelmäßig ebenso wenig wie die RichterInnen auf Probe über die gebotene richterliche Erfahrung, um den besonderen tatsächlichen und rechtlichen Anforderungen eines Asylverfahrens gerecht zu werden. In Asylstreitigkeiten wären sie in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kraft Gesetzes Einzelrichter (§ 76 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG) und müss-ten binnen Wochenfrist über Eilrechtsschutzanträge entscheiden (§ 36 Abs. 3 Satz 5 AsylVfG).

Zumindest für die Ungleichbehandlung mit den Richtern kraft Auftrags, die ebenfalls Beamte auf Lebenszeit sein müssen (§ 14 Abs. 1 DRiG), fehlt ein sachlicher Grund. Gleiches gilt für die Regelung zur Entlassung, Hier sind nicht die Vorschriften für Richter auf Probe und Richter kraft Auftrags (§ 23 DRiG), sondern die allgemeinen Bestimmungen (§ 21, 30 ff. DRiG) anzuwenden, ohne dass ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung erkennbar wäre.

Auch bleibt die Vorschrift des § 29 Satz 1 DRiG unberücksichtigt. Sie sichert in ih-rem Satz 1, dass bei einer gerichtlichen Entscheidung nicht mehr als ein Richter auf Probe oder eine abgeordnete Richterin mitwirken darf. Ohne eine Erstreckung dieser Regelung auf den nunmehr geplanten Richter auf Zeit im Sinne des § 18 VwGO-E ist nicht sichergestellt, dass bei einer Kammerentscheidung des Verwaltungsgerichts die Mehrheit der zur Entscheidung berufenen hauptamtlichen RichterInnen den vollen Schutz der persönlichen Unabhängigkeit genießen und die Verwendung von RichterInnen auf Zeit die Ausnahme im Sinne der Rechtsprechung des Bundesver-fassungsgerichts bleibt.

Abschließend bleibt anzumerken, dass es in der aktuellen Situation zunächst vor-rangig darauf ankommt, die Arbeitsfähigkeit des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sicherzustellen. Hier sind seit Jahren – und dies bereits ohne den aktuel-len Anstieg der Zahl von Asylsuchenden – hundertausende Verfahren unerledigt ge-blieben. Ob es tatsächlich möglich sein wird, diese Bestände zeitnah abzubauen und zugleich(!) die Verfahrenszeiten zu verkürzen, darf bezweifelt werden. In Anbetracht des ohnehin schon beispiellos gestrafften Asylverfahrens dürfte jedenfalls sowohl

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den Parlamenten als auch den Landesjustizverwaltungen genügend Zeit bleiben, um über sinnvolle organisatorische und personelle Maßnahmen zur Stärkung der Verwaltungsgerichtsbarkeit nachzudenken. Ob eine weitere Beschleunigung des gerichtlichen Asylverfahrens verfassungsrechtlich überhaupt zulässig ist bzw. welche Maßnahmen sich dazu eignen, sollte sorgsam geprüft und diskutiert werden. Einzel-ne Maßnahmen über das Knie zu brechen, nur weil sie mehr oder weniger zufällig von den Ländern in die aktuelle Diskussion gespeist worden sind, kann sich im Er-gebnis jedenfalls kontraproduktiv auswirken.

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