Laudatio für Frau Prof. Helga de la Motte- · PDF fileker Diether de la Motte, der damals Lektor für neue Musik beim berühmten Schott-Musik-Verlag in Mainz war. Ihr

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    Laudatio frFrau Prof. Helga de la Motte-Haber

    Liebe Frau Professor de la Motte,

    Sie haben mir zur Vorbereitung dieser Laudatio eine veri-table Autobiographie geschickt, die usserst spannend zu lesen ist und ein Stck Psychologie- und Zeitge-schichte enthlt. Da ich sie mangels Zeit hier aber nicht vorlesen kann, bin ich gezwungen, einzelne Punkte her-auszugreifen. Sollten es nicht diejenigen sein, die fr Sie selbst die Schwergewichte in Ihrer Berufslaufbahn dar-stellen, bitte ich um Nachsicht.

    Sie schreiben: Ich bin ein typisches Exemplar einer in Deutschland geborenen Frau Jahrgang 1938. Dieser Typus ist meist recht flexibel, weil durch die Kriegsum-stnde in der Kindheit nur selten lngere Zeit an einem Ort sesshaft, anpassungsfhig an ungewohnte Situatio-nen und zugleich trotz der Wirkung von Urbanitt etwas provinziell, weil grossgeworden mit wenig Aussenkon-takten und wenig Zugang zu Bildungsinstitutionen.

    Sie begannen 1957 an der Uni Mainz Psychologie zu stu-dieren. Damals war der Lehrstuhlinhaber der grosse Nes-tor der Psychologie Albert Wellek. Sein Buch Musikpsy-chologie und Musiksthetik (1963) ist bis heute gltig und lesenswert. 1959 gingen Sie zum Weiterstudium nach Wien; dort wirkte ein weiterer grosser, alter Mann der Psychologie, nmlich Hubert Rohracher; er war eher naturwissenschaftlich orientiert. Danach war die nchste Station Hamburg, wo der dritte Doyen der Psychologie wirkte, ebenfalls ein Wiener: Peter Hofsttter. Er ist

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    bekannt geworden durch Monographien zur Differentiel-len Psychologie, zur Sozialpsychologie und zur Gruppen-dynamik. Zum Psychologiediplom gingen Sie nach Mainz zurck und erwarben es 1961. Vier Wochen nach dem Dip-lom heirateten sie den Komponisten und Musiktheoreti-ker Diether de la Motte, der damals Lektor fr neue Musik beim berhmten Schott-Musik-Verlag in Mainz war. Ihr Mann erhielt einen Ruf an die Hamburger Musikhoch-schule, und so folgten Sie ihm nach Hamburg Nun woll-ten Sie bei Hofsttter promovieren; der war aber ein erklrter Feind von Wellek, und so hatten Sie keine Chance. Notgedrungen (und fr uns Heutige eine ber-aus glckliche Wendung) beschlossen Sie, Musik zu stu-dieren. Sie schreiben: Ein weibliches Wesen war damals in der Musikwissenschaft ein seltenes Exemplar, ein ver-heiratetes weibliches Wesen schien von einem anderen Stern zu sein. Demzufolge verlangte der damalige Musikwissenschaftsordinarius bei Ihrer Vorstellung, Ihren Mann zu sprechen; und Sie durften bei dem Gesprch nicht dabei sein. Das waren noch geordnete Verhltnisse unter Mnnern! Ihr Mann erzhlte Ihnen hin-terher, dass der Ordinarius ihn fragte, ob Sie nicht zu viel bgeln mssten. Aber auch diese Bgelhrde nahmen Sie und begannen Ihr Musikstudium. Sie promovierten dann mit einem Beitrag zur Klassifikation musikalischer Rhythmen 1967 in Berlin an der Abteilung fr Akustik am Staatlichen Institut fr Musikforschung unter Hans-Peter Reinecke. Carl Dahlhaus, der international renom-mierte Musikwissenschaftler, wurde anlsslich eines Vortrages von Ihnen auf Sie aufmerksam und verschaffte Ihnen einen Lehrauftrag an der Technischen Universitt Berlin, wo Sie dann schliesslich 1971 habilitiert wurden. Ihre Venia legendi lautete auf Systematische Musikwis-senschaft. 1972 erhielten Sie zustzlich zum Pensum in Berlin einen Ruf an die Pdagogische Hochschule in Kln

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    und unterrichteten zuknftige Musiklehrer in den Fchern Musikpsychologie und Musiksoziologie. 1978 unter steter Frderung von Dahlhaus erhielten Sie eine Pro-fessur an der Technischen Universitt Berlin.

    Das sind die trockenen Fakten eines usserst bewegten Lebenslaufes, und wir ahnen, mit welchen Widrigkeiten Sie im Leben fertig werden mussten, wie aber auch immer zur rechten Zeit ein Mensch zur Stelle war, der Sie frderte.

    Nun zu Ihren musikwissenschaftlichen Hauptwerken:1982 erschien, zusammen mit Dahlhaus, die Systemati-sche Musikwissenschaft als Band 10 des Handbuchs Musikwissenschaft. 1983 grndeten Sie zusammen mit Behne das Jahrbuch Musikpsychologie und die Deutsche Gesellschaft fr Musikpsychologie beides besteht bis heute.1985 erschien Ihr Handbuch der Musikpsychologie als Ein-Autorinnenbuch von Ihnen damals war das noch mglich.1993 kam eine Biographie und Werkwrdigung des hier-zulande sicher nicht sehr bekannten amerikanischen Komponisten franzsischer Herkunft Edgard Varse (19831965) heraus. Varse entwickelte eine neue Klang-sprache sogar innerhalb der Neuen Musik; sein bekann-testes Werk drfte Amriques sein. Unbedingt anh-ren sicher zweimal, weils Ihnen allen beim ersten Mal nicht gefallen wird.Und dann (ich erwhne nur streifend die Werke zu Musik und Bildende Kunst sowie Musik und Natur) begann die Arbeit an Ihrem Opus magnum, nmlich am Hand-buch der Systematischen Musikwissenschaft 2004 bis heute. Es enthlt fnf Bnde; am fnften arbeiten Sie noch, dem Lexikonband. Zu haben sind bereits die Bnde

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    zur Aesthetik, zur Theorie, zur Soziologie und zur Psycho-logie der Musikwissenschaft.

    Alle diese Bcher sind in dem nur Insidern bekannten Laaber-Verlag (hat nichts mit labern zu tun) in Laaber in Bayern (drum heisst er so) erschienen. Die Bcher des Laaber-Verlags sind ebenso exklusiv wie enzyklopdisch wie gediegen wie teuer.

    Elf Ihrer frheren Studenten sind Professoren geworden und bilden selbst wieder Studenten aus. Seit 2005 sind Sie im Ruhestand. Das Institut, dem Sie Ihre ganze Kraft gewidmet hatten, ist in diesem Jahr aus Spargrnden geschlossen worden. Das zeigt die Bedeutung, die die musische Bildung und Ausbildung heute noch geniesst. Schande ber den Berliner Senat! Mit Goethe kann man nur hinzufgen: Das berhandnehmende Maschinen-wesen qult und ngstigt mich.

    Jetzt mssen wir aber noch den Hofsttter rehabilitieren. So unfreundlich dazustehen hat er als Wiener nicht ver-dient. Sie fanden nmlich in Hamburg schnell wieder zuein-ander und entdeckten, dass Sie beide Gustav Mahler ber alles liebten. Wenn zwei Menschen Gustav Mahler lieben, dann knnen sie sich nicht auf Dauer gram sein. Das sage ich als Psychologie und als Mahlerverehrer.

    Sehr verehrte Frau de la Motte: Wenn ich Ihr Leben und Ihr Lebenswerk ansehe, dann fehlen mit die Adjektive, um meine Anerkennung auszudrcken. Wir wollen ja nicht in Dithyramben und Anakreontik verfallen. Aller-dings muss ich Ihnen und nun komme ich um ein gewis-ses Pathos nicht herum meinen tief empfundenen Res-pekt aussprechen fr alles, was Sie fr das Musikleben in Deutschland und besonders fr die musikalische Ausbil-

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    dung junger Menschen getan haben. Lassen Sie es sich im Alter nicht verdriessen, dass Ihr Institut in Berlin auf-gehoben wurde; die Musik in Ihrer inkommensurablen Bedeutung fr menschliches Sein und Wesen kann damit nicht abgeschafft werden (auch nicht fr Berliner).

    Der Egnr-Preis soll Sie fr Ihr Lebenswerk ehren und Ihren Namen in der Schweiz bekannter machen, als er bis jetzt ist. Frher vergaben wir die Preisurkunde und den Scheck in einer soliden Rolle. Die Preistrger hatten aber immer Mhe damit, die Rolle unter dem Stuhl unterzu-bringen; und wir frchteten immer, sie mache sich einmal auf den Weg in den Hrsaal und lande unauffindbar beim falschen Adressaten. Heute allerdings wnsche ich mir, dass wir wieder Rollen htten. Wissen Sie warum? Damit Sie die Ihre dem zustndigen Politiker in Berlin, der die Schliessung Ihres Institutes verfgt hat, um die Ohren hauen knnten.

    Bitte empfangen Sie trotzdem friedlich den Preis von Dr. Lanter.