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42 Lebensart Straße der Industriekultur | Tobiashammer, Ohrdruf Thüringen ist ein Land voller Traditionen in der deutschen Industrie. Es sind oft sehr schöne Industrie-Denkmäler erhalten ge- blieben, die als architektonisches Kleinod von der bewegten Geschichte der Unter- nehmen erzählen. Mit unserer Serie zur Straße der Industriekultur wollen wir die schönsten Denkmäler vorstellen und unsere Leser zu einer Fahrt einladen. Gemeinsam mit dem Thüringer Wirtschaftsarchiv (TWA), dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie sowie der Thüringer All- gemeine (TA) gehen wir auf Suche nach den interessantesten steinernen Zeitzeugen. Heute besuchen wir Ohrdruf mit Tobias- hammer und alter Gerberei. Einst formte der Tobiashammer Sensen und Schwerter Nicht nur Thüringer Schulkinder waren ir- gendwann einmal dort: im Ohrdrufer „To- biashammer“, auch Familien und Wanderer, Technikbegeisterte und Künstler. Was macht den Reiz dieses technischen Denkmals aus, das auf seiner kleinen Wiese stehend immer wieder neue Interessenten anzieht? Allein das stattliche Alter von rund 500 Jahren kann es wohl nicht sein. Eine genaue Jahreszahl zur Entstehung des Hammers ist nicht mehr nachzuweisen. Man- che Historiker gehen vom Jahr 1482 aus, als das Wasser zum ersten Mal die Schmiedean- lage am Rande von Ohrdruf antrieb. Fest steht nur: Im Jahre 1592 kaufte Tobias Alb- recht den Hammer. Auf ihn geht auch der Name „Tobiashammer“ zurück, der längst zu einem Inbegriff für das technische Denkmal geworden ist. Auch das geschichtliche Umfeld des Tobias- hammers sorgt für Interesse, zumal es sicher kein Zufall war, dass man den Hammer in die waldreiche Landschaft ans Flüsschen Ohra setzen ließ. Denn niemand Geringeres als die legendäre Familie Fugger aus Augsburg be- trieb zwischen 1496 bis 1549 in unmittelba- rer Nachbarschaft eine sogenannte Seiger- hütte. In Hohenkirchen bei Georgenthal und damit nur ein paar Kilometer entfernt wurden nach der mittelalterlichen Methode des „Sei- gerns“ verschiedene Metalle aus der Schmelze gewonnen. Zur Verhüttung kam allerdings nicht einheimisches, sondern un- garisches Erz. Seit dem ausgehenden Mittel- alter begann dann sogar der Abbau von Kup- ferschiefer bei Ohrdruf. 1545 errichtete man dazu auch ein Schmelzwerk, die sogenannte Blauhütte. Zweihundert Jahre später kaufte der Gothaer Herzog Friedrich III. diese Hütte und ließ sie umbauen. Eisen wollte er gewin- nen. Seine Frau machte er zur Namensgebe- rin: Im Schmelzwerk Luisenthal wurde mit einigen Unterbrechungen von 1753 bis 1865 gearbeitet. Im 19. Jahrhundert kam es immer mal wieder zu Versuchen, Kupferschiefer in der Region abzubauen. Selbst die Firma Sie- mens & Halske beteiligte sich 1862 durch die Finanzierung von Versuchsarbeiten an diesen Unternehmungen. Gelohnt hat es sich wohl nicht. Doch zurück zum Tobiashammer: In Ohrdruf entstanden zur Weiterverarbeitung der ge- wonnenen Metalle mehrere Hammerwerke, von denen der Tobiashammer wie durch ein Wunder überlebt hat. Die historische Anlage bestand ursprünglich aus drei mächtigen Ei- senhämmern, welche durch die Kraft eines Wasserrades in Bewegung kamen. Zu Beginn setzte man voll auf Eisen. Sensen, Sicheln, Pflugschare, Lanzen und Schwerter entstan- den daraus. Der Umbau des Tobiashammers von einem Eisen- und Sichelhammer zu einem Kupfer- hammer wurde 1737 beantragt und durch den Grafen von Hohenlohe bewilligt. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wechselten die Besitzer häufig, bis die Anlage letztlich der Kupferschmiedemeister Johann Carl Friedrich Maelzer erwarb. Der schloss sich mit Kaufmann Friedrich Ferdinand Ort- lepp zusammen, die Firma hieß ab sofort Carl Maelzer & Comp. Seitdem wurde viel Geld investiert, um das Schmiedewerk am Laufen zu halten und profitabler zu machen. 1872, nach dem Tod von Carl Maelzer, über- nahm sein Sohn August Christian Maelzer die Firma als Alleininhaber. Er vergrößerte das Anwesen durch den Ankauf von Lände- reien, es wurden Kuh- und Pferdestall, Remi- sen und eine Scheune gebaut. Die knapp 30 Arbeiter kamen aus Ohrdruf und den umlie- genden Gemeinden. Nach dem Tod von Au- gust Maelzer leitete seine Frau Minna die Von Tamara Hawich (TWA) und Dietmar Grosser (TA) Der Tobiashammer ist eine große, wasserkraftgetriebene Schmiedehammeranlage in Ohrdruf, die auf das Jahr 1482 zurückgeht. Seit 1983 ist der Tobiashammer ein technisches Denkmal und Museum. Das Foto zeigt den Museumsleiter Thomas Kalbitz vor dem historischen Arbeitsgerät.

Lebensart Straße der Industriekultur | Tobiashammer, Ohrdruf Ohrdruf WiMa... · 2017. 4. 3. · Die ersten Stationen der Straße der Industriekultur Das Thüringer Wirtschaftsarchiv

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    Lebensart

    Straße der Industriekultur | Tobiashammer, Ohrdruf

    Thüringen ist ein Land voller Traditionen inder deutschen Industrie. Es sind oft sehrschöne Industrie-Denkmäler erhalten ge-blieben, die als architektonisches Kleinodvon der bewegten Geschichte der Unter-nehmen erzählen. Mit unserer Serie zurStraße der Industriekultur wollen wir dieschönsten Denkmäler vorstellen und unsereLeser zu einer Fahrt einladen. Gemeinsammit dem Thüringer Wirtschaftsarchiv(TWA), dem Landesamt für Denkmalpflegeund Archäologie sowie der Thüringer All-gemeine (TA) gehen wir auf Suche nachden interessantesten steinernen Zeitzeugen.Heute besuchen wir Ohrdruf mit Tobias-hammer und alter Gerberei.

    Einst formte der Tobiashammer Sensen undSchwerter

    Nicht nur Thüringer Schulkinder waren ir-gendwann einmal dort: im Ohrdrufer „To-biashammer“, auch Familien und Wanderer,Technikbegeisterte und Künstler. Was machtden Reiz dieses technischen Denkmals aus,das auf seiner kleinen Wiese stehend immerwieder neue Interessenten anzieht? Allein

    das stattliche Alter von rund 500 Jahrenkann es wohl nicht sein.Eine genaue Jahreszahl zur Entstehung desHammers ist nicht mehr nachzuweisen. Man-che Historiker gehen vom Jahr 1482 aus, alsdas Wasser zum ersten Mal die Schmiedean-lage am Rande von Ohrdruf antrieb. Feststeht nur: Im Jahre 1592 kaufte Tobias Alb-recht den Hammer. Auf ihn geht auch derName „Tobiashammer“ zurück, der längst zueinem Inbegriff für das technische Denkmalgeworden ist.Auch das geschichtliche Umfeld des Tobias-hammers sorgt für Interesse, zumal es sicherkein Zufall war, dass man den Hammer in diewaldreiche Landschaft ans Flüsschen Ohrasetzen ließ. Denn niemand Geringeres als dielegendäre Familie Fugger aus Augsburg be-trieb zwischen 1496 bis 1549 in unmittelba-rer Nachbarschaft eine sogenannte Seiger-hütte. In Hohenkirchen bei Georgenthal unddamit nur ein paar Kilometer entfernt wurdennach der mittelalterlichen Methode des „Sei-gerns“ verschiedene Metalle aus derSchmelze gewonnen. Zur Verhüttung kamallerdings nicht einheimisches, sondern un-garisches Erz. Seit dem ausgehenden Mittel-

    alter begann dann sogar der Abbau von Kup-ferschiefer bei Ohrdruf. 1545 errichtete mandazu auch ein Schmelzwerk, die sogenannteBlauhütte. Zweihundert Jahre später kaufteder Gothaer Herzog Friedrich III. diese Hütteund ließ sie umbauen. Eisen wollte er gewin-nen. Seine Frau machte er zur Namensgebe-rin: Im Schmelzwerk Luisenthal wurde miteinigen Unterbrechungen von 1753 bis 1865gearbeitet. Im 19. Jahrhundert kam es immermal wieder zu Versuchen, Kupferschiefer inder Region abzubauen. Selbst die Firma Sie-mens & Halske beteiligte sich 1862 durchdie Finanzierung von Versuchsarbeiten andiesen Unternehmungen. Gelohnt hat es sichwohl nicht. Doch zurück zum Tobiashammer: In Ohrdrufentstanden zur Weiterverarbeitung der ge-wonnenen Metalle mehrere Hammerwerke,von denen der Tobiashammer wie durch einWunder überlebt hat. Die historische Anlagebestand ursprünglich aus drei mächtigen Ei-senhämmern, welche durch die Kraft einesWasserrades in Bewegung kamen. Zu Beginnsetzte man voll auf Eisen. Sensen, Sicheln,Pflugschare, Lanzen und Schwerter entstan-den daraus.Der Umbau des Tobiashammers von einemEisen- und Sichelhammer zu einem Kupfer-hammer wurde 1737 beantragt und durchden Grafen von Hohenlohe bewilligt.In der ersten Hälfte des 19. Jahrhundertswechselten die Besitzer häufig, bis die Anlageletztlich der Kupferschmiedemeister JohannCarl Friedrich Maelzer erwarb. Der schlosssich mit Kaufmann Friedrich Ferdinand Ort-lepp zusammen, die Firma hieß ab sofortCarl Maelzer & Comp. Seitdem wurde vielGeld investiert, um das Schmiedewerk amLaufen zu halten und profitabler zu machen.1872, nach dem Tod von Carl Maelzer, über-nahm sein Sohn August Christian Maelzerdie Firma als Alleininhaber. Er vergrößertedas Anwesen durch den Ankauf von Lände-reien, es wurden Kuh- und Pferdestall, Remi-sen und eine Scheune gebaut. Die knapp 30Arbeiter kamen aus Ohrdruf und den umlie-genden Gemeinden. Nach dem Tod von Au-gust Maelzer leitete seine Frau Minna die

    Von Tamara Hawich (TWA) und Dietmar Grosser (TA)

    Der Tobiashammer ist eine große, wasserkraftgetriebene Schmiedehammeranlage in Ohrdruf, die auf das Jahr 1482zurückgeht. Seit 1983 ist der Tobiashammer ein technisches Denkmal und Museum. Das Foto zeigt den MuseumsleiterThomas Kalbitz vor dem historischen Arbeitsgerät.

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    Wirtschaftsmagazin 4/2017

    Geschäfte bis zum Jahre 1900, als der Ham-mer an ihren Schwiegersohn Hans Bähr über-ging. 1972 wurde der alte, damals verfalleneHammer aus Privatbesitz dem damaligenStahlverformungswerk Ohrdruf verkauft. Umder Nachwelt ein Denkmal von großem tech-nischen und wirtschaftshistorischen Wert zuerhalten, führte das Werk umfangreiche Re-konstruktionsmaßnahmen durch. Vor ca.zwölf Jahren ging der Tobiashammer in dieöffentliche Hand der Stadt Ohrdruf über.Heute zeigt sich das Industriedenkmal inwiedererstandener Pracht seinen Besuchern.Links der alleeartigen Zufahrt zum Hammer-werk liegt in einem Villengarten das Ham-merherrenhaus. Der zweigeschossige Putzbauin spätklassizistischer Architektur nimmt dasHammermuseum auf. Gegenüber liegt dasehemalige Magazingebäude mit deutlichenEinflüssen der Gründerzeit. Hinter teilweisefarbig verglasten Metall-Bogenfenstern be-findet sich der Gastraum einer Schenke, hin-ter der Produktionsanlage ein Park, dessenMittelpunkt eine kleine Wasserfläche undviele Skulpturen aus Metall bilden.Hier kann man ein wassergetriebenes histo-risches Hammerwerk zum Schmieden ebensoin Aktion erleben, wie ein Poch- und Walz-werk oder eine richtige Großdampfmaschine.In der landschaftlich wunderschön einge-betteten historischen Anlage wird eindrucks-voll gezeigt, wie Metalle auf die unterschied-lichste Art bearbeitet werden.

    Suhler Straße 3499885 OhrdrufTel. 03624 402792

    Ein weiterer Tipp:

    Die Alte Gerberei von Ohrdruf

    Stiefel, Schuhe, Lederjacken und Gürtel – siealle brauchen den Gerber. Bis in das Jahr

    1630 waren in Ohrdruf ganze 20 bis 30 Loh-gerbermeister tätig, 1780 immer noch 19.Ihre Aufgabe: Aus rohen Tierhäuten verar-beitungsfertiges Leder herzustellen. Das Ger-ben ist eine der ältesten Handwerke derMenschheit. Allerdings haftete den Gerbernein Makel an: der nicht unerhebliche Ge-stank. Dieser ist auf chemische Reaktionenbei der Verarbeitung der Häute zurückzu-führen. Der Gerbprozess benötigte viel Was-ser. Aus diesem Grund lagen die Werkstättender Gerber häufig an Stellen, wo Wasser ein-fach verfügbar war und auf möglichst kurzemWege den Siedlungsbereich wieder verließ.Gleiches galt für die Ohrdrufer Gerbereien:Sie siedelten am Ohra gespeisten Mühlgra-ben. Die dort entlang führende Gasse erhieltden Namen Lohgerber-Gasse, aus der all-mählich die Löbergasse, dann die Löberstraßeentstand. Hier, in der Nummer 2, arbeitete der letzteOhrdrufer Gerbermeister Manfred John.Heute ist sein Haus ein technisches Denkmal.Hier können die Besucher noch die funkti-onstüchtige Werkstatteinrichtung seinerChromgerberei besichtigen. Darüber hinaus,ist es im Rahmen von Führungen möglich,einzelne Arbeitsschritte des Gerbprozessesanschaulich mit zu erleben. Dabei kommtHandwerkzeug zum Einsatz, das auf altenWappen noch heute zu erkennen ist: DerScherdegen und das Schabeisen, die zum so-genannten Entfleischen der Häute dienten.

    Ohrdruf hatte in der Lederherstellung Tradi-tion. Bis vor wenigen Jahren gab es sogarnoch eine Berufsschule für Schuster undTäschner.

    Förderverein Alte GerbereiLöberstraße 299885 Ohrdruf

    [email protected]: A

    lexa

    nder Volkm

    ann (TA)

    | G

    rafik

    : Kathy

    Heide

    n | TLDA

    S. G

    uzow

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    Automobilwerk Eisenach

    Eisenacher Brauerei und Alte Mälzerei

    Mewa Ruhla

    Puppenfabrik Kämmer & Reinhardt Waltershausen

    Schlachthof Gotha

    Gebäude Deutsche Versicherungswirtschaft Gotha

    Tobiashammer Ohrdruf

    Uhrenfabrik Ruhla

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    Die ersten Stationen der Straße der Industriekultur

    Das Thüringer Wirtschaftsarchiv e.V.

    (TWA) besteht seit 2010.

    Es hat die Aufgabe, Quellen der

    Unternehmensgeschichte zu sichern,

    zu erschließen, zu verwahren und der

    Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

    Neben dieser Serie bieten wir Ihnen hier

    in loser Folge einen kleinen Einblick in

    unsere Bestände, beispielsweise interes-

    sante Neuzugänge in unser Archiv.

    Ob Urkunden, Fotos, Prospekte, Verträge

    oder Briefe, die Vielfalt macht den Reiz

    der vorgestellten Archivalien aus. Wir

    wünschen Ihnen viel Vergnügen beim

    Lesen, Staunen und Erinnern.

    Das TWA e.V. befindet sich in

    Erfurt in der Lachsgasse 3.

    www.twa-thueringen.de