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PROLETAR IER A LL ER LÄNDER, VEREINIGT EUCH! LENIN WERKE 1 7

Lenin - Werke 27

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PROLETARIER ALLER LÄNDER, VEREINIGT EUCH!

LENINWERKE

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HERAUSGEGEBEN AUF BESCHLUSS

DES IX.PARTEITAGES DER KPR(B) UND DES

II.SOWJETKONGRESSES DER UdSSR

DIE DEUTSCHE AUSGABE ERSCHEINT

AUF BESCHLUSS DES ZENTRALKOMITEES

DER SOZIALISTISCH EN EINHEITSPARTEI

DEUTSCHLANDS

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INSTITUT FÜR MARXISMUS-LENINISMUS BEIM ZK DER KPdSU

•WI. LENINWERKE

INS DEUTSCHE ÜBERTRAGENNACH DER VIERTEN RUSSISCHEN AUSGABE

DIE DEUTSCHE AUSGABE

WIRD VOM INSTITUT FÜR MARXISMUS-LENINISMUSBEIM ZENTRALKOMITEE DER SED BESORGT

( f fD I E T Z V E R L A G B E R L I N

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WI.LENINBAND 27

FEBRUAR-JULI 1918

( f fDIETZ VERLAG BERLIN

1960

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Rassischer Originaltitel:

B . H .J I E H H H • C O H H H E H H f l

Dietz Verlag GmbH, Berlin • 1. Auflage 1960 • Printed in Germany

Alle Rechte vorbehalten • G estaltung nnd T ypogra phie: D ietz Entwurf

Verlagsbogen: 35,1 • Druckbogen: 40,25 • Lizenzmmuner 1

Sat z: VEB Offizin Andersen N exö in Leipzig 111/18/38

Dru de: Leipziger Volkszeitnng 111/18/138

E S I C

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VII

V O R W O R T

Die in Band 27 enthaltenen Arbeiten schrieb W. I. Lenin vom 21. Fe-bruar bis 27. Juli 1918.

Die hier vereinigten Referate, Reden und Artikel widerspiegeln LeninsBemühen um die Leitung der Partei und des Sowjetstaates in der Periodedes Kampfes für den Frieden, für das revolutionäre Ausscheiden Sowjet-rußlands aus dem imperialistischen Krieg, für die Stärkung der Sowjet-macht und die Entfaltung des sozialistischen Aufbaus während der Atem-pause, unm ittelbar nach Abschluß des Brester Friedens.

Breiten Raum in diesem Band nehmen die Dokumente ein, die sich gegendie provokatorische Politik Trotzk is und der „linken Kommunisten" rich-ten, gegen eine Politik, die darauf abzielte, der jungen, noch keine Armeebesitzenden Sowjetrepublik einen Krieg aufzuzwingen. Hierher gehörendie Artikel „ über die revolutionäre Phrase" , „Frieden oder Krieg?", „Eineharte, aber notwendige Lehre", „Seltsames und Ungeheuerliches", „Aufsachlicher Basis", „Eine ernste Lehre und eine ernste Verantwortung",ferner die Referate und Schlußworte zur Friedensfrage auf dem VII. Par-teitag und auf dem Außerordentlichen IV. Sowjetkongreß.

Die Abhandlung „über ,linke' Kinderei und über Kleinbürgerlichkeit"faßt die Ergebnisse des Kampfes gegen die „linken Kommunisten" in denFragen des Brester Friedens und der Innenpolitik zusammen und charak-terisiert die „linken Kommunisten" als Interessenvertreter des „wildge-wordenen Kleinbürgers", als „ein Werkzeug der imperialistischen Pro-vokation".

Einen wesentlichen Raum nehmen die Arbeiten ein, die dem sozia-listischen Aufbau, der Organisierung einer vom ganzen Volk ausgeübten

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V I I I Vorwort

Rechnungsführung und Kontrolle, der Erhöhung der Arbeitsproduktivi-

tät, der Entfaltung des sozialistischen Wettbewerbs, der Erziehung zueiner neuen, proletarischen Disziplin gewidmet sind. Zu diesen Arbeitengehört Lenins berühmte Schrift „Die nächsten Aufgaben der Sowjet-macht", in der Lenin das Programm des sozialistischen Aufbaus entwirftund die Schaffung neuer, sozialistischer Produktionsverhältnisse zeigt.

Eine Anzahl hier wiedergegebener Dokumente — „über die Hungers-not (Brief an die Petrograder Arbe iter)", „Referat über den Kampf gegendie Hungersnot" in der gemeinsamen Sitzung des Gesamtrussischen Zen-tralexekutivkomitees, des Moskauer Sowjets der Arbeiter-, Bauern- und

Rotarmistendeputierten und der Gewerkschaften vom 4. Juni und andereArbeiten — widerspiegeln die Entfaltung der sozialistischen Revolution imDorfe, den Kampf gegen das Kulakentum, die Organisierung von Hilfs-maßnahmen für die Dorfarmut, die Einführung der Ernährungsdiktatur.

Eine Reihe von Reden und Ansprachen Lenins ist dem Kampf gegendie innere und äußere Konterrevolution und der Organisierung der Ver-teidigung der Sowjetrepublik gewidmet, so die „Rede auf einer Kund-gebung im Sokolniki-Klub" vom 2 1. Juni, die „Rede auf einer Kund-gebung im Simonow-Unterbezirk" vom 28. Juni, die „Unterredung mit

einem Mitarbeiter der ,Iswestija WZIK' anläßlich des Aufstands der ,lin-ken'Sozialrevolutionäre", das „Referat auf der Moskauer Gouvernements-konferenz der Betriebskomitees" vom 23. Juli und andere.

Band 27 enthält 17 neue Dokum ente, die zum erstenmal in den W erkenW . I. Lenins veröffentlicht werden. Die meisten dieser Dokumente charak-terisieren Lenins Bemühungen um die Organisierung der Verteidigung derRepublik während der Offensive der deutschen Imperialisten, zu Beginnder ausländischen militärischen Intervention und des Bürgerkriegs. Vondieser Art sind das Dekret „Das sozialistische Vaterland in Gefahr!", „Ent-

wurf eines Befehls an alle Deputiertensowjets" über die Notwendigkeitder Verteidigung im Zusammenhang mit einem möglichen Abbruch derFriedensverhandlungen mit den Deutschen und die „Direktiven an denWladiwostoker Sowjet" anläßlich der japanischen Truppenlandung inWladiwostok.

Zu den neuen Dokumenten gehören ferner der „Telegrammwechsel mitJ. W . Stalin" über die Ermordung des deutschen Botschafters M irbadiund den Aufruhr der „linken" Sozialrevolutionäre, das „Gespräch mit

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Vorwort

J. W. Stalin über direkte Leitung" wegen der schwierigen Ernährungs-

lage in Petrograd und M oskau, die „Ernennung J. W . Stalins zum Leiterdes Ernährungswesens im Süden Rußlands" und das „Telegramm anJ. W. Stalin".

In dem Brief an Sinowjew, Laschewitsch und Stassowa sowie in der A n-weisung „über direkte Leitung. Petrograd, Smolny, an Sinowjew", diezum erstenmal in den Werken erscheinen, entlarvt Lenin die desorgani-satorische, staatsfeindliche Haltung Sinowjews, der die Entsendung Petro-grader Arbeiter an die Front aufhielt und damit die Organisierung derLandesverteidigung hintertrieb.

Erstmalig in W. I. Lenins Werken enthalten sind ferner zwei Doku-mente über die Gründung der Sozialistischen A kademie, zwei Dokum enteüber die Revolutionstribunale — „An die Kollegiumsmitglieder des Kom-missariats für Justiz" und „Entwurf eines Beschlusses des Rats der Volks-kommissare" —, der Brief „An das ZK der Kommunistischen Partei Ruß-lands" mit einem Protest gegen ein mildes Urteil wegen Bestechlichkeit,die „Grundlegenden Leitsätze zur Wirtschafts- und besonders zur Bank-politik" sowie die Rede „O ber die Abteilungen für Lebensmittelbeschaf-fung", gehalten in Moskauer Arbeiterversammlungen am 20. Juni 1918.

Zu den neuaufgenommenen Dokumenten Lenins gehört auch der „Pro-test an die deutsche Regierung gegen die O kkupation der Krim", geschrie-ben am 11. Mai 1918, der zum erstenmal veröffentlicht wird.

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W.I.LENIN

1918

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Ü B E R D I E R E V O L U T I O N Ä R E P H R A S E 1

Als ich in einer Parteiversammlung sagte, die revolutionäre Phrase vomrevolutionären Krieg könne unsere Revolution zugrunde richten, machteman mir wegen der Schärfe meiner Polemik Vorwürfe. Aber es gibt Mo-mente, die dazu verpflichten, eine Frage kurz und bündig zu stellen unddie Dinge beim ichtigen Nam en zu nennen, weil sonst die Gefahr besteht,daß sowohl der Partei als auch der Revolution ein nicht wiedergutzu-machender Schaden zugefügt wird.

Die revolutionäre Phrase tritt als Krankheit revolutionärer Parteien am

häufigsten dann auf, wenn diese Parteien direkt oder indirekt den Kon-takt, die Vereinigung, Verknüpfung proletarischer und kleinbürgerlicherElemente herstellen und wenn der Gang der revolutionären Ereignissegroße und rasche W endungen nimmt. Die revolutionäre P hrase besteht inder Wiederholung revolutionärer Losungen ohne Berücksichtigung derobjektiven Umstände bei der jeweiligen Wende der Ereignisse und beimgegebenen Stand der D inge, wie sie gerade zu verzeichnen sind. Wund er-bare , hinreißende, berauschende Losungen, denen der reale Boden fehlt —

das ist das Wesen der revolutionären Phrase.

Betrachten wir wenigstens die wichtigsten Gruppen von Argumentenfür den revolutionären Krieg jetzt, im Januar-Februar 1918 in Rußland;stellt man dieser Losung die objektive Wirklichkeit gegenüber, so wirdman Antwort erhalten auf die Frage, ob die von mir gegebene Charakte-ristik richtig ist.

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W . 1. Lenin

Von der Notwendigkeit, einen revolutionären Krieg vorzubereiten,wenn der Sozialismus in einem Lande gesiegt hat und der Kapitalismus inden Nachbarländern bestehenbleibt, ist in unserer Presse schon immer dieRede gewesen. Das steht fest.

Fragt sich, wie ist diese Vorbereitung nach unserer Oktoberrevolutionpraktisch vor sich gegangen?

Diese Vorbereitung ging so vor sich, daß wir die Armee demobilisierenmußten. Wir waren gezwungen, das zu tun, durch so einleuchtende, ge-

wichtige, unüberwindliche Umstände gezwungen, daß in der Partei nichtnur keine „Strömung" oder Stimmung gegen die Demobilisierung ent-stand, sondern sich überhaupt keine einzige Stimme gegen die Demobili-sierung erhob. W er über die klassenmäßigen Ursachen einer so originellenErscheinung nachdenken will, w ie es die Demobilisierung der Armee durchdie Sozialistische Sowjetrepublik ist, die den Krieg mit einem imperia-listischen Nachbarstaat noch nicht beendet hat, der wird ohne besondereMühe diese Ursachen in der sozialen Struktur des kleinbäuerlichen rück-ständigen Landes finden, das nach drei Jahren Krieg bis aufs äußerste zer-

rüttet ist. Die Demobilisierung des Millionenheeres und die ersten Schrittezur Schaffung einer auf JreiwilHgkeit beruhenden Roten Armee2 — dassind die Tatsachen.

Man stelle diesen Tatsachen die Worte vom revolutionären Krieg imJanuar-Februar 1918 gegenüber, und das Wesen der revolutionären Phrasewird einem klarwerden.

W enn das „Beharren" auf einem revolutionären Krieg, sagen wir durchdie Petrograder und die Moskauer Organisation, keine Phrase wäre, sohätten wir in der Zeit von Oktober bis Januar andere 7atsad>en gesehen:

wir hätten gesehen, wie sie einen entschiedenen Kampf gegen die Dem o-bilisierung aufnehmen. Aber keine Spur von alledem.

Wir hätten gesehen, wie die Petrograder und die Moskauer Zehn-tausende Agitatoren und Soldaten an die Front schicken, und hätten jedenTag von dort Nachrichten über ihren Kampf gegen die Demobilisierung,über die Erfolge dieses Kampfes, über die Einstellung der Demobilisierungerhalten.

Keine Spur davon.

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Tiber die revolutionäre Thrase

Wir hätten Hunderte von Berichten erhalten über Regimenter, die sich

zur Roten Armee formieren, gewaltsam die Demobilisierung verhindern,die Verteidigung wiederaufnehmen und ihre Stellungen gegen eine mög-liche Offensive des deutschen Imperialismus befestigen.

Keine Spur davon. Die Demobilisierung ist in vollem Gange. Die alteArmee existiert nicht mehr. Die neue ist eben erst im Entstehen.

Wer sich nicht durch Worte, Deklamationen und pathetische Ausrufeeinlullen will, muß erkennen, daß die „Losung" des revolutionären Krie-ges im Februar 1918 eine leere Phrase ist, hinter der nichts Reales, Ob-jektives steckt. Gefühle, Wünsche, Entrüstung, Empörung — das ist der

einzige Inhalt dieser Losung im gegenwärtigen Zeitpunkt. Und eine Lo-sung, die nur einen solchen Inhalt hat, ist eben eine revolutionäre Phrase .Die Erfahrungen unserer eigenen Partei und der ganzen Sowjetmacht,

die Erfahrungen der Petrograder und der Moskauer Bolsdiewiki habengezeigt, daß es zunädbst nicht gelungen ist, über die ersten Schritte zurSchaffung einer Roten Armee aus Freiwilligen hinauszukommen. Wennman vor dieser unangenehmen Tatsache, die aber eine Tatsache bleibt,unter die Fittiche der Deklamation flüchtet und gleichzeitig die Demobili-sierung nicht verhindert, ja nicht einmal gegen sie^protestiert, so heißt das,

sich am Klang von Worten berauschen.Eine charakteristische Bestätigung des Gesagten ist die Tatsache, daßbeispielsweise im ZK unserer Partei die Mehrheit der namhaftesten Geg-ner des Separatfriedens gegen den revolutionären Krieg stimmte, und dassowohl im Januar als auch im Februar.3 Was bedeutet diese Tatsache?Sie bedeutet, daß die Unmöglichkeit eines revolutionären Krieges vonallen anerkannt wird, die keine Angst haben, der Wahrheit ins Gesichtzu sehen.

Man tut in solchen Fällen die Wahrheit mit irgendwelchen Worten ab

oder versucht es wenigstens. Sehen wir uns diese Einwände an.

Der erste Einwand. Frankreich habe im Jahre 1792 an einer nicht ge-ringeren Zerrüttung gelitten, aber der revolutionäre Krieg habe alles ge-heilt, alle begeistert, Enthusiasmus geweckt, alles besiegt. Nur wer nichtan die Revolution glaube, nur Opportunisten könnten sich angesichts

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W. J. Lenin

unserer tiefer greifenden Revolution gegen den revolutionären Krieg aus-

sprechen.Vergleichen wir nun diesen Einwand oder dies Argument mit den Tat-

sachen. Tatsache ist, daß in Frankreich Ende des 18. Jahrhunderts zunädhstdie ökonomische Basis einer neuen, höheren Produktionsweise entstandund erst als Ergebnis, als überbau eine mächtige revolutionäre Armee.Frankreich stürzte früher als andere Länder den Feudalismus, fegte ihnnadb mehreren Jahren siegreicher Revolution hinweg und führte ein Volk,das nicht durch einen Krieg ermüdet war, das sich Freiheit und Boden er-obert hatte, das durch die Beseitigung des Feudalismus erstarkt war, in den

Krieg gegen eine Reihe ökonomisch und politisch rückständiger Völker.Vergleichen wir damit das heutige Rußland. Eine unglaubliche Kriegs-

müdigkeit. Eine neue Wirtschaftsordnung, die dem organisierten Staats-kapitalismus des technisch vortrefflich ausgerüsteten Deutschlands über-legen wäre, ist nodb nicht da. Sie wird erst geschaffen. Unser Bauer hatnur das Gesetz über die Sozialisierung des Bodens *, aber noch kein einzigesJahr freier (vom Gutsbesitzer und von Kriegsqualen freier) Arbeit hintersich. Unser Arbeiter hat begonnen, den Kapitalisten abzuwerfen, ist abernoch nicht dazu gekommen, die Produktion zu organisieren, den W aren-

austausch in Gang zu bringen, die Versorgung mit Getreide sicherzustel-len und die Produktivität der Arbeit zu steigern.

Wir haben diese Richtung eingeschlagen, haben diesen Weg beschrit-ten, aber es ist klar, daß eine neue, wirtschaftlich höhere Ordnung nodbnidht da ist.

Besiegter Feudalismus, gefestigte bürgerliche Freiheit, ein satter Bauergegen die Feudalstaaten — das war die ökonomische Basis der „W under"von 1792/1793 auf militärischem Gebiet.

Ein kleinbäuerliches, hungriges und schwer vom Krieg geplagtes Land,

das kaum erst angefangen hat, seine Wunden zu heilen, gegen eine tech-nisch und organisatorisch höhere Arbeitsproduktivität — das ist die objek-tive Lage Anfang 1918.

Das ist der Grund, weshalb jederlei Erinnerungen an 1792 usw. eineeinzige revolutionäre Phrase sind. Man wiederholt Losungen, Worte,Kampfparolen, fürchtet sich aber vor der Analyse der objektiven Wirk-lichkeit.

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Tiber die revolutionäre Phrase

Der zweite Einwand. Deutschland „wird nicht angreifen können", dieheranreifende eigene Revolution wird es nicht erlauben.

Das Argument, die Deutschen „werden nicht angreifen können", wurdeim Januar und Anfang Februar 1918 von den Gegnern des Separatfrie-dens millionenmal wiederholt. Die Vorsichtigsten unter ihnen schätzten —

natürlich annähernd — die Wahrscheinlichkeit, daß die Deutschen nichtwerden angreifen können, auf 25—33 Prozent.

Die Tatsachen haben diese Berechnungen widerlegt. Die Gegner des

Separatfriedens setzen sich auch hier sehr oft über die Tatsachen hinweg,da sie deren eiserne Logik fürchten.W o lag die Quelle des Fehlers, den wirkliche Revolutionäre (und nicht

Gefühlsrevolutionäre) anzuerkennen und zu durchdenken imstande seinmüssen?

Etwa darin, daß wir überhaupt im Zusammenhang mit den Friedens-verhandlungen manövrierten und agitierten? Nein. Nicht darin. Manmußte manövrieren und agitieren. Man mußte aber auch den „geeignetenZeitpunkt" bestimmen, sowohl für das Manövrieren und Agitieren — so-

lange es möglich war, zu manövrieren und zu agitieren — als auch für dieEinstellung aller Manöver in dem Moment, wo die Frage ihre größteSchärfe annahm.

Die Quelle des Fehlers lag darin, daß unser in revolutionärer Zusam-menarbeit bestehendes Verhältnis zu den revolutionären deutschen Ar-beitern in eine Phrase verwandelt wurde. Wir halfen den revolutionärendeutschen Arbeitern und helfen ihnen auch weiter mit allem, womit wirhelfen können — Verbrüderung, Agitation, Veröffentlichung der Geheim-verträge usw. Das war eine Hilfe durch die Ta t, eine wirkliche Hilfe.

Die Erklärung einiger unserer Genossen aber: „Die Deutschen werdennicht angreifen können", war eine Phrase. Wir haben eben erst die Revo-lution bei uns erlebt. Wir alle wissen sehr gut, warum es in Rußland leich-ter war als in Europa, die Revolution zu beginnen. Wir haben gesehen,daß wir die Offensive des russischen Imperialismus im Juni 1917 nicht ver-hindern konnten, obwohl wir bereits eine Revolution hatten, die nicht nurbegonnen hatte, nicht nur die Monarchie gestürzt/sondern auch überallSowjets geschaffen hatte. Wir sahen, wir wußten, wir erklärten den Ar-

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W. 7. Lenin

beitern: Kriege werden von den Regierungen geführt. Um den Krieg der

Bourgeoisie zu beenden, m uß man die Regierung der Bourgeoisie stürzen.Die Erklärung: „Die Deutschen werden nicht angreifen können", war

daher gleichbedeutend mit der Erklärung: „Wir wissen, daß die deutscheRegierung in den nächsten Wochen gestürzt werden wird." In Wirklich-keit wußten wir das nicht und konnten es auch nicht wissen, und deshalbwar die Erklärung eine Phrase.

Eine Sache ist es, vom Heranreifen der deutschen Revolution überzeugtzu sein und dieses Heranreifen ernstlich zu fördern, durch Arbeit, Agita-tion, Verbrüderung nach Kräften diesem Heranreifen zu dienen — mit

allem, was ihr wollt, aber stets mit Arbeit, die dies Heranreifen beschleu-nigt. Darin besteht der revolutionäre proletarische Internationalismus.Eine andere Sache ist es, direkt oder indirekt, offen oder versteckt zu

erklären, die deutsche Revolution sei bereits herangereift (obwohl dasoffenkundig nicht der Fall ist), und seine Taktik darauf aufzubauen. Hiergibt es keine Spur von revolutionärem Geist, hier gibt es nur Phrasen-geklingel.

Darin liegt die Quelle des Fehlers, der in der „stolzen, blendenden,effektvollen, tönenden" Behauptung lag: „Die Deutschen werden nicht

angreifen können."4 "

Nichts anderes als eine Variante desselben phrasenhaften Unsinns istdie Behauptung: „Wir helfen der deutschen Revolution, wenn wir demdeutschen Imperialismus Widerstand leisten, wir beschleunigen damit denSieg Liebknechts über Wilhelm."

Gew iß, ein Sieg Liebknechts, der möglich und unausbleiblich ist, sobalddie deutsche Revolution heranreift und Gestalt annimmt, wird uns von

allen internationalen Schwierigkeiten erlösen, er wird uns auch eines revo-lutionären Krieges entheben. D er Sieg Liebknechts w ird uns von den Fol-gen jeder unserer Dummheiten befreien. Ist das aber eine Rechtfertigungder Dummheit?

Hilft jeder „W iderstand" gegen den deutschen Imperialismus der deut-schen R evolution? W er Lust hat, ein wenig nachzudenken oder sich auchnur die Geschichte der revolutionären Bewegung in Rußland ins Gedächt-nis zu rufen, wird leicht erkennen, daß nur ein zweckmäßiger Widerstand

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"Über die revolutionäre "Phrase

gegen die Reaktion der Revolution dienlich ist. Wir kennen und sahen in

einem halben Jahrhundert revolutionärer Bewegung in Rußland eineMenge Beispiele unzweckmäßigen Widerstands gegen die Reaktion. WirMarxisten waren immer stolz darauf, daß wir durch strenge Berücksichti-gung der Massenkräfte und der Wechselbeziehungen der Klassen dieZweckmäßigkeit d ieser oder jener Kampf form bestimm ten. Wir sagten:Nicht immer ist ein Aufstand zweckmäßig, ohne gewisse V oraussetzungenin den Massen ist er ein Abenteuer; sehr oft verurteilten wir, als unzweck-mäßig und schädlich vom Standpunkt der Revolution, die heroischstenFormen des individuellen Widerstands. Im Jahre 1907 haben wir auf

Grund bitterer Erfahrungen den Widerstand gegen die Beteiligung an derIII. Dum a als unzweckmäßig abgelehnt usw. usf.

Um der deutschen Revolution zu helfen, muß man sich entweder aufPropaganda, Agitation, Verbrüderung beschränken, solange man keineKräfte hat für einen starken, ernsten, entschlossen geführten Schlag ineinem offenen militärischen oder insurrektionellen Zusammenstoß, oderman muß sich auf einen solchen Zusammenstoß einlassen, wenn man weiß,daß man damit nicht dem Feinde helfen wird.

Allen (mit Ausnahme derjenigen, die ganz von Phrasen berauscht sind)ist klar, daß die Herbeiführung eines ernsten insurrektionellen oder mili-tärischen Zusammenstoßes, wenn man weiß, daß man keine Kräfte hat,wenn man w eiß, daß einem die Armee fehlt, ein Abenteuer ist, das dendeutschen Arbeitern nicht hilft, sondern ihren Kampf erschwert und ihremFeind und unserem Feind das Werk erleichtert.

Dazu kommt noch ein Einwand, der so kindisch lächerlich ist, daß ichniemals an die Möglichkeit eines solchen A rguments glauben würde, wennich es nicht mit eigenen Ohren gehört hätte.

„Auch im Oktober haben uns ja die Opportunisten gesagt, daß wirkeine Kräfte, kein Heer, keine M aschinengewehre, keine technischen Mit-tel haben; aber alles das haben wir im Kampfe bekommen, als der KampfKlasse gegen Klasse begann. Das alles werden wir auch im Kampfe desrussischen Proletariats gegen die Kapitalistenklasse Deutschlands bekom-men, und das deutsche Proletariat wird uns zu Hilfe eilen."

2 Lenin, W erke , Bd. 27

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TV.I.Zenin

Im O ktober w ar die Sache so, daß wir gerade die ^Massenkräfte genau

berücksichtigten. Wir vermuteten nicht nur, sondern wußten bestimmt,auf Grund der Erfahrungen bei den ITWassenwahlen zu den Sowjets, daßdie Arbeiter und Soldaten im September und Anfang Oktober in ihrer ge-waltigen M ehrheit bereits auf unsere Seite übergegangen waren. W ir wuß-ten allein schon auf Grund der Abstimmungen auf der DemokratischenBeratung5, daß die Koalition auch bei der Bauernschaft ausgespielt hatte —

also hatten wir bereits gewonnenes Spiel.

Die objektiven Voraussetzungen des Oktoberaufstands waren:1. den Soldaten drohte nicht mehr der Stock: der Februar 1917 hatte

ihn beseitigt (Deutschland ist für „seinen" Februar noch nicht reif) ;

2. die Soldaten hatten bereits ebenso wie die Arbeiter ihre bewußte,durchdachte, iefempfundene Abkehr von der Koalition durchgemacht undabgeschlossen.

Daraus, nur daraus ergab sich die Richtigkeit der Losung „Für den Auf-stand" im Oktober (diese Losung wäre im Juli falsch gewesen, und wirhaben sie damals auch nicht aufgestellt).

Nicht darin bestand der Fehler der Opportunisten vom Oktober6, daßsie um die objektiven Voraussetzungen „besorgt" waren (nur Kinder kön-nen so denken), sondern darin, daß sie die Tatsachen fälsch einschätztenund Kleinigkeiten hervorzogen, ohne die Hauptsache zu sehen: die Schwen-kung der Sowjets von der Paktiererpolitik zu uns.

Den militärischen Zusammenstoß mit Deutschland (das weder „seinen"Februar noch seinen „Juli" erlebt hat, vom Oktober ganz zu schweigen),dem D eutschland der monarchistischen bürgerlich-imperialistischen Regie-rung, zu vergleichen mit dem Oktoberaufstand gegen die Feinde der So-wjets — der Sowjets, die sich seit Februar 1917 entwickelt und ihre volleReife im September und Oktober erlangt hatten — ist eine solche Kinde-rei, daß man nur mit Fingern darauf zeigen kann. Zu solchen Albernhei-ten versteigen sich die Menschen unter dem Einfluß der Phrase .

Ein Einwand anderer Art: „Aber Deutschland wird uns durch einenseparaten Friedensvertrag wirtschaftlich erdrosseln, wird uns die Kohle,das Getreide nehmen und uns versklaven."

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Tiber die revolutionäre Phrase

Ein neunmalkluges Argument: man soll ohne Armee eine militärische

Auseinandersetzung führen, obwohl diese Auseinandersetzung uns nichtnur ganz bestimmt die Knechtschaft, sondern auch die Erdrosselung, dieWegnahme des Getreides ohne jedes Äquivalent bringen w ird, uns in dieLage Serbiens und Belgiens versetzen wird — darauf soll man sich ein-lassen, da wir sonst einen ungünstigen Vertrag w erden schließen müssen,Deutschland wird von uns einen Tribut von 6 oder 12 Milliarden in Ratennehmen, Getreide für Maschinen verlangen usw.

Oh, diese Helden der revolutionären Phrase! Sie lehnen die „Verskla-vung" durch den Imperialismus ab und verschweigen bescheiden, daß manden Imperialismus stürzen muß, um sich von der Versklavung ganz zu be-freien.

Wir nehmen einen ungünstigen Vertrag und einen Separatfrieden aufuns, weil wir wissen, daß wir jetzt noch nicht auf einen revolutionärenKrieg vorbereitet sind, daß man verstehen muß abzuwarten (wie wir vonJuli bis Oktober abwarteten, als wir das Joch Kerenskis, das Joch unsererBourgeoisie ertrugen), abzuwarten, bis wir stärker geworden sind. Dahermuß man, wenn man einen äußerst ungünstigen Separatfrieden bekom-

men kann, ihn unbedingt annehmen im Interesse der sozialistischen Revo-lution, die noch schwach ist (denn die in Deutschland heranreifende Revo-lution ist uns Russen noch nicht zu Hilfe gekommen). Nur angesichts dervölligen Unmöglichkeit eines Separatfriedens wird man sofort kämpfenmüssen — nicht weil das taktisch richtig ist, sondern weil es keine Wa hlgeben wird. Angesichts einer solchen Unmöglichkeit wird auch kein Streitüber diese oder jene Taktik möglich sein. Dann wird der erbittertsteWiderstand unvermeidlich. Aber solange man die Wahl hat, muß mansich für den Separatfrieden und den äußerst ungünstigen Friedensvertrag

entscheiden, denn das ist immer noch hundertmal besser als die LageBelgiens.

W ir e rstarken mit jedem M onat, wenn wir auch jetzt noch schwach sind.Die internationale sozialistische Revolution in Europa reift mit jedemMonat mehr heran, wenn sie auch jetzt noch nicht herangereift ist. Des-halb ... deshalb, argumentieren die (Gott behüte!) „Revolutionäre", müsseman den Kampf dann annehmen, w enn der deutsche Imperialismus offen-kundig stärker ist als wir, obgleich er (infolge des langsamen, aber unauf-

2*

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10 W. J. Lenin

hörlichen Heranreifens der Revolution in Deutschland) mit jedem Monatsdhwädber wird .

Großartig argumentieren doch diese Gefühls„revolutionäre", vortreff-lich argumentieren sie!

7

Der letzte und „forscheste", landläufigste Einwand lautet: „Ein Schmach-frieden ist eine Schande, ein Verrat an Lettland, Polen, Kurland undLitauen."

Braucht man sich da zu wundern, daß gerade die russischen Bourgeois(und ihr Troß — die Leute von „Nowy Lutsch"7, „Delo Naro da" 8, „No-waja Shisn" 9) dieses angeblich internationalistische Argument am eifrig-sten ausschlachten?

Nein, zu wundern braucht m an sich nicht, denn dieses Argument ist eineFalle, in die die Bourgeoisie die russischen Bolschewiki ganz bewußt hin-einmanövrieren will und in die ein Teil der Bolschewiki unbewußt, ausLiebe zur Phrase, gerät.

Prüfen wir dies Argument vom theoretischen Standpunkt aus: was stehthöher, das Selbstbestimmungsrecht der Nationen oder der Sozialismus?

Der Sozialismus steht höher.Ist es erlaubt, wegen der Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der

Nationen die Sozialistische Sowjetrepublik preiszugeben, sie den Schlägendes Imperialismus in einem Moment auszusetzen, wo der Imperialismusoffenkundig stärker, die Sowjetrepublik offenkundig schwächer ist?

Nein. Das ist nicht erlaubt. Das ist keine sozialistische, das ist eine bür-gerliche Politik.

Weiter. Wäre ein Frieden unter der Bedingung der Rückgabe Polens,

Litauens, Kurlands an „uns" einweniger

schändlicher, weniger annexio-nistischer Frieden?Vom Standpunkt des russischen Bourgeois — ja .Vom Standpunkt des sozialistischen Internationalisten — nein.Denn der deutsche Imperialismus würde nach der Befreiung Polens (die

einige "Bourgeois in Deutschland eine Zeitlang wünschten) Serbien, Bel-gien usw. nodh stärker würgen.

Daß die russische Bourgeoisie gegen den „schmachvollen" Friedenzetert — das ist der richtige Ausdruck ihres Klasseninteresses.

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"Über die revolutionäre Phrase 11

Wenn aber einige (an der Eiterbeule der Phrase leidende) Bolschewiki

dies Argument wiederholen, so ist das ein Jammer.Man sehe sich die Jatsaöhen an, die von der H altung der englischen undfranzösischen Bourgeoisie sprechen. Sie will uns jetzt mit allen Mittelnin einen Krieg gegen Deutschland hineintreiben, verspricht uns dasBlaue vom Himmel herunter, Stiefel, Kartoffeln, Munition, Lokomoti-ven (auf Kredit... beileibe keine „Versklavung", man fürchte nichts!es ist „nur" Kredit!). Sie will, daß wir jetzt gegen Deutschland Kriegführen.

Es ist verständlich, warum sie das wollen muß: erstens weil wir einen

Teil der deutschen Kräfte ablenken würden, zweitens weil die Sowjet-macht durch eine verfrühte militärische Auseinandersetzung mit dem deut-schen Imperialismus am ehesten zusammenbrechen könnte.

Die englische und französische Bourgeoisie stellt uns eine Falle: gehtmal jetzt Krieg führen, meine Lieben, wir werden dabei großartig profi-tieren. Die Deutschen werden euch ausrauben, w erden im Osten „gut ver-dienen", wohlfeiler im Westen Zugeständnisse machen, und nebenbeiwird die Sowjetmacht purzeln... Führt Krieg, ihr lieben „alliierten" Bol-schewiki, wir werden euch helfen!

Und die (Gott behüte!) „linken" Bolschewiki10

gehen in die Falle unddeklamieren dabei die revolutionärsten Phr as en ...Ja, ja, Spuren der Kleinbürgerlichkeit äußern sich nicht selten in einer

Anfälligkeit für die revolutionäre Phrase! Das ist eine alte W ahrh eit, einealte Geschichte, die allzuoft wieder neu wird...

8

Im Sommer 1907 machte unsere Partei ebenfalls eine in mehreren Be-

ziehungen analoge Krankheit der revolutionären Phrase durch.Petersburg und Moskau, fast alle Bolschewiki waren für den Boykottder III. Dum a, ersetzten die objektive Analyse durch das „Gefühl", gingenin die Falle.

Die K rankheit hat sich wiederholt.Die Zeit ist schwerer. Die Frage ist tausendmal bedeutsamer. In einer

solchen Zeit erkranken— heißt den Untergang der Revolution riskie-ren.

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12 19.1. Lenin

Es gilt, gegen die revolutionäre Phrase zu kämpfen, man muß sie be-

kämpfen, muß sie unbedingt bekämpfen, damit nicht einst von uns diebittere Wahrheit erzählt werde: „Die revolutionäre Phrase vom revolutio-nären Krieg hat die Revolution zugrunde gerichtet."

„Vrawda" Nr. 31, Nadh dem 7ext der „Prawda", ver-21. Tebruar I9i8. glidjen mit dem 7exX der JswestijüXtntersöhrift: Xarpow. "W7JK.".

„Jswestija WZJX" CNadm dbten desgesamtrussischen Z£X ) 3Vr. 43,,

8. März 1918.

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O T E T O B O fil O H A G H O C T H !%o(Ji> cnaoTH juraypeHHyro. Hcrepsamyio cTpany on. H O B O T C I , BoemtixT, Kcnsrrar

HBf. H B nouuiH Ha Bejmiaflujyjo Hteprey B O 6 I S B M M HtMiiaMi o H a m e n! e or ji ae iH no w m -c a n . B X I ycjioaiji Mnpa.

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1) Br t cwn.1 g cpefiCT3a eTpaHti utnimoMt npeAcnaBiufiOTcn na ntJio penum»qlO BH OM d S o p O H b l . "

2 ) B e t a r b C o ' B f T a M b 8 P e B O M U l O H H b l l y T b - 0 p r a H H 3 3 I | I ] n / r b E M t H S e T C f l B b 0 S f l 3 a H -H o c i b 3 a m H m a r b H a w f ly w n o3 H K lH i A D n o c n ^ ß B e f l H a iu iH H P O B K .

3) JKejiäHo^opoiKHyB cpra üua wii) B cBmaimuo e t uiiu a CortTU oCssaHM Eciu u C E - T O H »BocnpenaTcraoB3Ti. BpaTy BocnoJBSOBanca a n n a p a ra a nyisftfooßin eHis; npn OTcrynaeHiK yB UfT oaüi*n y i a , s s p u Ba t i a caturaTi. ateJtäanowpowBH a 3MHis; BBCST RojBHiEaoS cocrasL'-BaroHU H napn.B08U.—Bc»6jueHH0 HanpaBBm H » B O C T O S E B I r j i jßi CTpaffli .

4) Bei xitfiHbie, H cooBiae npoAOBOJtCTBCBBue 3inacu. a paBHo Ecmtoe w w o e HMjmeciBU,Eom pmn . rpo s im onacHocib nona c i i B I pynii spara , Ä O U K I I U noiBcpraica 6e3jaoBBOMy yaniro-seaio; HaWKwcEie 3a si m ti BO3jiaraeica ua n l c i a u e Co Bi i u H O A I ^BSHoa oi j r t icisea

npeic t i a ieJ iea . .6j faöoHie H KpecitaHe üeiporpaia, EieBJ. Biai i ropoiora, KScieicr t . can. B l e p e n e m n»

JHE1E EOEOTO «pOHTS, AOIWUU Uo6lU1130BaTt CaiaiiCrBLI » f l pUI ia OKODOfil DOAT> pjTOECACIBOSi

m u r b cne iwarac iOBi. .6) Bi sin fiaiajiouu I O J T I K H U fftrn. B B T O ^ W H Bct paGomcnocoSrae

na cc a n ya t ia m i 11 jKeBiui iuu n o » HaA3opoaB xjäcEorBajxeancBi; conpoTEBiaioiua

sianiff, npoiHBO iBltCTByioifiniijypcBiä^ionioiiHoaolioposu H cianoBHmiccs E I cToponyrtreim ypjKya3iH aiaioKB «p ei ui ni cc E EoioiuO Baii» BamecxBio n»nepiajiHcraHecKinn no ii B m *B T . nt rar t cBepÄeHis C O E B I C S C O H Biaci«. aaKpuiaBica;- pa6oTocnocodHBie peiaxiopu B coTpynumt

aill 6nH3yioTca iza p a r ö i O E O U O B T B jipyrBXL ooopoHEiejuHHjn paSoTiB T . nt rar t cBepÄeHis C O E B I C S C O H Biaci«. aaKpuiaBica; pa6oTocnoc p ei x io p u B cS I T O iBiaaill- Ko6njiH3yioTca iza p a r ö i O E O U O B T . B jipyrBXL ooopoHEiejuHHjn. paS

6) He np ter an cx ie areBTH, cnreyjiOTibi, rpo tuu iu. xyjraraHii. soaTpi-peBOJUonioauusaaBCEio mnioHU paocipiiHBamcs a» K i a i qpecrj 'ffiiciüi

j a O T B H B C T B O E l O I C i D E t ß a H p f f l ü C T 1 C D I lI a f I R C T K H E E K Ö B O T E I E Ä

gl-r» «Bjaia Ileipoija»

Das Dekret „Das sozialistische Vaterland in Gefahr!"

verfaßt von W. I. Lenin — 21 . Februar 1918

Verkleinert

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15

D A S S O Z I A L I S T I S C H E V A T E R L A N D I N G E F A H R ! «

Um das erschöpfte, geplagte Land vor neuen Kriegsprüfungen zu ret-ten, brachten wir ein gewaltiges Opfer und erklärten den Deutschen un-sere Bereitschaft, ihre Friedensbedingungen zu unterzeichnen.12 UnsereParlamentäre sind am 20. (7.) Februar abends aus Reshiza nach Dwinskabgefahren, und bis jetzt ist keine Antwort da. Die deutsche Regierungzögert augenscheinlich die Beantwortung hinaus. Sie will offenkundig kei-nen Frieden. In Durchführung des Auftrags der Kapitalisten aller Länderwill der deutsche Militarismus die russischen und ukrainischen Arbeiter

und Bauern erdrosseln, den Boden den Qutsbesitzern, die Fabriken und"Werke denBankiers und die Macht der Monarchie zurückgeben. Die deut-schen Generale wollen ihre „Ordnung" in Petrograd und Kiew einführen.Die Sozialistische Repub lik der Sowjets befindet sich in größter Qefahr.Bis zu dem Zeitpunkt, wo sich das Proletariat Deutschlands erhebt undsiegt, ist die rückhaltlose Verteidigung der Republik der Sowjets gegen dieHeerhaufen des bürgerlich-imperialistischen Deutschlands heilige Pflichtder Arbeiter und Bauern Rußlands. Der Rat der Volkskommissare ordnetan: i. Alle Kräfte und M ittel des Landes werden restlos in den Dienst der

revolutionären Verteidigung gestellt. 2. Es wird allen Sow jets und revo-lutionären Organisationen zu r Pflicht gemacht, jede Stellung bis zum letz-ten Blutstropfen zu verteidigen. 3. Die Organisationen der Eisenbahnerund die mit ihnen verbundenen Sowjets sind verpflichtet, m it allen Kräftenzu verhindern, daß der Feind sich des Apparats der Eisenbahnen bedien t;bei einem Rückzug sind die Strecken zu zerstören, die Eisenbahnbautenzu sprengen und zu verbrennen; das gesamte rollende Material — Wag-gons und Lokom otiven — ist unverzüglich nach Osten, ins Innere des Lan-

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16 W. 1. Cenin

des, zu leiten. 4. Alle Getreide- und überhaupt alle Lebensmittelvorräte

sowie alle wertvollen Güter, die in die Hände des Feindes zu fallen dro-hen, müssen unbedingt vernichtet werden; die Aufsicht darüber wird denörtlichen Sowjets unter persönlicher Verantwortung ihrer Vorsitzendenübertragen. 5. Die Arbeiter und Bauern von Petrograd und Kiew sowieallen Städten, Gemeinden, Flecken und Dörfern im Bereich der neuenFront müssen Bataillone aufstellen, die unter Führung militärischer Fach-leute Schützengräben ausheben. 6. Jn diese Bataillone müssen alle arbeits-

fähigen Angehörigen der bürgerlichen Klasse, Männer und Trauen, unter

Aufsicht von Rotgard isten eingereiht werden, wer sich widersetzt, ist zu

erschießen. 7. Alle Druckschriften, die der Sache der revolutionären Ver-teidigung entgegenw irken u nd in den en für die deutsche Bourgeoisie Parteiergriffen wird, sowie diejenigen, in denen versucht wird, die Invasion derimperialistischen Heerhaufen zum Sturze der Sowjetmacht auszunutzen,we rden ver bo ten ; die arbeitsfähigen Re dakteu re dieser Druckschriften un dihre Mitarbeiter werden zur Aushebung von Schützengräben und zu an-deren Verteidigungsarbeiten mobilisiert. 8. feindliche A genten, Spekulan-

ten, Plündere r, Row dys, konterrevolutionäre Agitatoren und deutsche

Spione sind am 7atort zu erschießen. •

Das sozialistische Vaterland ist in Q ejahrl Es lebe das sozialistischeVaterland'. Es lebe die internationale sozialistische Revolution'.

21. Februar 1918 D er Rat der VolkskommissarePetrograd

„?rawda"Nr. 32, Nach dem 7ext der „Vrawda".22. Februar i9l8.

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E R G Ä N Z U N G Z U D E M D E K R E T

D E S R A T S D E R V O L K S K O M M I S S A R E :

„ D A S S O Z I A L I S T I S C H E V A T E R L A N D I N G E F A H R ! "

Zwecks richtiger und strikter Durchführung des vom Rat der Volks-kommissare am 21. Februar erlassenen Dekrets wird angeordnet:

1. Jeder Arbeiter ist verpflichtet, nach achtstündiger Arbeit drei Stun-den täglich (oder 4H Stunden täglich, dann soll der dritte Tag der Er-holung dienen) auf militärischem oder administrativem Gebiet zu arbeiten.

2. Jeder Angehörige der reichen Klasse oder der wohlhabenden Grup-pen (Einkommen von nicht weniger als 500 Rubel monatlich oder Bar-vermögen von nicht weniger als 1500 Rubel) ist verpflichtet, sich sofort

ein Arbeitsbuch zu beschaffen, in dem allwöchentlich vermerkt wird, ober das entsprechende Quantum militärischer oder administrativer Arbeitgeleistet hat. Die Eintragungen nimmt je nach der Zuständigkeit die Ge-werkschaft der Arbeiter, der Sowjet der Arbeiterdeputierten oder der Stabder örtlichen Abteilung der Roten Garde vor.

Die Arbeitsbücher kosten für Wohlhabende 50 Rubel das Stück.3. W er kein Arbeiter ist, aber auch nicht zu den wohlhabenden Klassen

gehört, ist ebenfalls verpflichtet, ein Arbeitsbuch zu haben, das er gegenEntrichtung von 5 Rubel (oder 1 Rubel, zum Selbstkostenpreis) erhält.

In den Arbeitsbüchern für Wohlhabende wird eine Rubrik zur all-wöchentlichen Eintragung der Einnahmen und Ausgaben eingerichtet.

Wer kein Arbeitsbuch hat oder unrichtige (oder gar bewußt falsche)Eintragungen vornimmt, wird nach Kriegsrecht bestraft.

Alle, die Waffen besitzen, müssen eine neue Erlaubnis e rhalten a) vomeigenen Hauskomitee, b) von den in § 2 erwähnten Körperschaften. DerBesitz von Waffen ohne zwei Erlaubnisscheine ist verboten; die Über-tretung dieser Bestimmung wird mit Erschießen bestraft.

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18 W. 3. Lenin

Die Hinterziehung von Lebensmittelvorräten wird mit derselben Strafe

geahndet.Zwecks richtiger Organisierung des Ernährungswesens sind alle Bür-

ger verpflichtet, sich zusammenzuschließen zu Konsumgenossenschaften,H a u s . . .*

Qesdhrieben am 2i. oder 22. Jebruar i9i8.

Zuerst veröffentlidht am 22. "Dezember 1927 Tladb dem ^Manuskript.

in der „Vrawda" Nr. 293.

* Hier bricht das Mannskript a b. Die Red.

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19

Ü B E R D I E K R Ä T Z E

Eine qualvolle Krankheit — die Krätze. Wenn aber die Krätze derrevolutionären Phrase die Menschen befällt, dann verursacht schon alleinder Anblick dieser Krankheit unerträgliche Leiden.

Einfache, kla re, verständliche, jedem Ver treter der w erktätigen Masseneinleuchtende, unbestreitbar erscheinende Wahrheiten werden von denenentstellt, die an dieser Abart der Krätze erkrankt sind. Nicht selten wirddiese Entstellung aus den besten, edelsten, erhabensten Motiven vorge-nommen, „einfach", weil man bekannte theoretische W ahrheiten nichtver-

daut hat oder in kindisch-täppischer, schülerhaft-sklavischer Weise dieseWahrheiten bei unpassenden Gelegenheiten wiederholt (die Leute ver-stehen nicht, wie man zu sagen pflegt, „was wohin gehört"), aber des-wegen hört die Krätze nicht auf, eine abscheuliche Krätze zu sein.

Was kann beispielsweise unanfechtbarer und klarer sein als folgendeWahrheit: eine Regierung, die dem durch den dreijährigen räuberischenKrieg erschöpften Volk die Sowjetmacht, den Boden, die Arbeiterkontrolleund den Jrieden gegeben hat, ist unbesiegbar? D er Frieden ist die H aupt-sache. Wenn nach gewissenhaften Bemühungen, einen allgemeinen und

gerechten Frieden zu erlangen; sich erwiesen hat, sich in der Praxis er-wiesen hat, daß m an ihn nicht sofort erlangen kann, so wird jeder Bauers-mann verstehen, daß man statt eines allgemeinen einen separaten (beson-deren) und ungerechten Frieden annehmen muß. Jeder Bauersmann, sogarder unaufgeklärteste und unwissendste, würde das begreifen und eineRegierung, die ihm auch nur einen solchen Frieden bringt, zu schätzenwissen.

Die Bolschewiki mußten an der abscheulichen Krätze der Phrase er-

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20 IV . 7. Lenin

krankt sein, um das zu vergessen und die ganz berechtigte Unzufrieden-

heit der Bauern hervorzurufen, als diese Krätze zu einem neuen Krieg desräuberischen Deutschlands gegen das erschöpfte Rußland führte! Mit wel-chen lächerlichen und kläglichen „theoretischen" Nichtigkeiten und Sophis-men die Krätze verhüllt wurde, habe ich in dem Artikel „über die revo-lutionäre Phrase" („Prawda" vom 21. [8.] Februar) gezeigt.* Ich würdenicht daran erinnern, wenn nicht die gleiche Krätze heute auf eine neueStelle übergegriffen hätte (wie ansteckend diese Krankheit doch ist!).13

Um zu erklären, wie das passiert ist, will ich zunächst ein kleines Bei-spiel anführen, möglichst einfach, möglichst klar, ohne „Theorie" — wenn

die Krätze für eine „Theorie" ausgegeben wird, so ist das unerträglich —,ohne ausgeklügelte W orte , ohne alles, was den Massen unverständlich ist.

Nehmen wir an, Kaljajew1* verschafft sich, um einen Tyrannen undUnmenschen zu töten, einen Revolver bei einem ausgesprochenen Schuft,Gauner, Räuber und verspricht ihm dafür Brot, Geld und Schnaps.

Kann man Kaljajew wegen des „Geschäfts mit dem Räuber" zur Er-langung einer todbringenden Waffe verurteilen? Jeder gesunde Menschwird sagen: Nein , das kann man nicht. W enn Kaljajew sich sonst keinenRevolver beschaffen konnte und wenn die Sache Kaljajews wirklich eine

rechtschaffene Sache ist (die Ermordung eines Tyrannen, nicht aber einRaubm ord), so muß man Kaljajew wegen des so beschafften Revolversnicht tadeln, sondern loben.

Wenn aber ein Räuber, um einen Raubmord zu verüben, bei einemanderen Räuber für Geld, für Schnaps, für Brot einen Revolver erwirbt,kann man dann ein solches „Geschäft mit einem Räuber" mit dem Kalja-jewschen Geschäft vergleichen (geschweige denn identifizieren)?

Nein. Jeder, der nicht den Verstand verloren hat und nicht an Krätzeerkrankt ist, wird zugeben, daß man das nicht kann. Jeder Bauersmann

würde, wenn er einen „Intellektuellen" sähe, der sich mit Phrasen um eineso augenscheinliche Wahrh eit herum drückt, sagen: Du, H err, solltest kei-nen S taat verwalten, sondern unter die Wortakrobaten gehen oder einfachein Schwitzbad nehmen, um die Krätze auszutreiben.

W enn Kerenski, der Vertreter der herrschenden Klasse, der Bourgeoisie,d. h. de r Ausbeuter, m it den englischen und französischen Ausbeutern einGeschäft abschließt zur Erlangung von Waffen und Kartoffeln und gleich-

* Siehe den vorliegenden Band, S. 1—12. Die Red.

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Über die Krätze 21

zeitig dem Volke die Verträge verheimlicht, die (im Falle eines Erfolges)

dem einen Räuber Armenien, Galizien, Konstantinopel, dem anderenBagdad, Syrien usw. versprechen, ist es da schwer zu begreifen, daß dasein räuberisches, gaunerisches, niederträchtiges Geschäft Kerenskis undseiner Freunde ist?

Nein. Das ist wirklich nicht schwer zu begreifen. Jeder Bauersmannwird das verstehen, sogar der rückständigste und unwissendste.

W enn aber nun ein Vertreter der Klasse der Ausgebeuteten, der Un ter-drückten, nachdem diese Klasse die Ausbeuter gestürzt, alle geheimen undräuberischen Verträge veröffentlicht und annulliert hat, von den Imperia-

listen Deutschlands räuberisch überfallen wird, kann man ihn dann wegeneines „Geschäfts mit den Räubern", den Engländern und Franzosen,zwecks Erlangung von Waffen und Kartoffeln gegen Geld oder Holz usw.verurteilen? Kann man ein solches Geschäft für unehrenhaft, schändlich,unsauber halten?

Nein, das kann man nicht. Jeder gesunde Mensch wird das verstehenund diejenigen als Narren auslachen, die mit „Ansch-tand" und gelehrterMiene beweisen wollen, daß der U nterschied zwischen dem Raubkrieg desImperialisten Kerenski (und seinen unehrenhaften Abkommen mit den

Räubern über die Teilung der zusammengeraubten gemeinsamen Beute)und dem Kaljajewsdhen Abkommen der bolschewistischen Regierung mitden englischen und französischen Räubern über die Lieferung von Waffenund Kartoffeln zur Abwehr des deutschen Räubers „den Massen nicht ver-ständlich sein w ird" .

Jeder gesunde Mensch wird sagen: Waffen bei einem Räuber kaufen,um zu rauben, ist eine Niedertracht und Ruchlosigkeit, aber Waffen beidemselben Räuber kaufen, um einen gerechten Kampf gegen einen Ge-walttäter zu führen, ist eine durchaus berechtigte Sache. In einer solchen

Sache etwas „Unsauberes" sehen können nur gezierte Jungfrauen undgespreizte Jünglinge, die „in Büchern gelesen" und nur Gespreiztheitenherausgelesen haben . Außer diesen Kategorien von Menschen können nurnoch Krätzekranke in einen solchen „Fehler" verfallen.

Und wird der deutsche Arbeiter den Unterschied begreifen zwischendem Waffenkauf Kerenskis bei den englischen und französischen Räubern,damit den Türken Konstantinopel, damit Österreich Galizien, damitDeutschland Ostpreußen weggenommen werde..., und dem Waffenkauf

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22 W. J. Lenin

der Bolschewiki bei denselben Räubern, damit Wilhelm zurückgeschlagen

wird, nachdem er Truppen in Marsch gesetzt hat gegen das sozialistischeRußland, das allen einen ehrenhaften und gerechten Frieden angebotenund den Krieg für beendet erklärt hat?

Man muß annehmen, daß der deutsche Arbeiter das „begreift", erstens,weil er ein kluger und gebildeter Arbeiter ist, zweitens, weil er gewohntist, kultiviert und sauber zu leben, also weder an der russischen Krätzeüberhaupt noch an der Krätze der revolutionären Phrase im besonderenleidet.

Besteht ein Unterschied zwischen einem Raubmord und der Ermordung

eines Gewalttäters?Besteht ein Unterschied zwischen dem Krieg zweier G ruppen von Räu-

bern um der Teilung der Beute willen und einem gerechten Krieg, durchden der Ü berfall eines Räubers auf ein Volk, das die Räuber gestürzt hat,abgewehrt wird?

Häng t die Entscheidung der Frage, ob ich gut oder schlecht handle, wennich Waffen bei einem Räuber erwerbe, nicht vom Zweck dieser Waffenab , davon, wofür sie bestimmt sind? Von der Verwendung der Waffen ineinem ehrlosen und gemeinen oder in einem gerechten und ehrlichen Krieg?

Uff! Die Krätze ist doch eine abscheuliche Krankheit. Und es ist keinleichtes Handwerk, Krätzekranke im Schwitzbad zu behandeln...

PS. Die Nordamerikaner haben in ihrem Befreiungskrieg Ende des18. Jahrhunderts gegen England die Hilfe von Konkurrenten in Anspruchgenommen, die genau solche Kolonialräuber w aren wie England, die Hilfedes spanischen und des französischen Staates. Es sollen sich „linke Bol-schewiki" gefunden haben, die sich hingesetzt haben, um ein „gelehrtesBuch" über das „unsaubere Geschäft" dieser Amerikaner zu schreiben...

Qesdhrieben am 22. Tebruar 1918.

Veröffentlicht am 22. Tebruar 1918 Nadb dem 7ext der „Prawda".in der „Trawda" Jir. 33 (Abendausgabe).Unterschrift: Xarpow.

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23

F R I E D E N O D E R K R I E G ?

Die Antwort der D eutschen stellt uns, wie die Leser sehen, noch schwe-rere Friedensbedingungen als in Brest-Litowsk.15 Und nichtsdestowenigerbin ich absolut überzeugt, daß nur völlige Berauschtheit durch revolutio-näre Phrasen imstande ist, irgend jemand zur Ablehnung dieser Bedin-gungen zu treiben. G erade deshalb habe ich in der „Prawda" (unter demNamen Karpow) mit den Artikeln „über die revolutionäre Phrase" und„ü be r die Krätze" * einen schonungslosen Kampf gegen die revolutionärePhrase aufgenommen, weil ich in ihr jetzt die größte Gefahr sah und sehefür unsere Partei (also auch für die Revolution). Revolutionäre Parteien,die revolutionäre Losungen streng durchführen, sind in der Geschichteschon oft an der revolutionären Phrase erkrankt und daran zugrundegegangen.

Bisher habe ich die Partei zu dem Entschluß zu veranlassen versucht,den Kampf gegen die revolutionäre Phrase aufzunehmen. Jetzt muß ichdas öffentlich tun, denn leider haben sich meine schlimmsten Erwartungenbestätigt.

Am 8. Januar 1918 habe ich in einer Sitzung von etwa 60 der nam-haftesten Parteiarbeiter Petrograds meine „Thesen über den sofortigenAbschluß eines annexionistischen Separatfriedens" (17 Thesen , die mor-gen veröffentlicht werden)16 verlesen. In diesen Thesen (§ 13) habe ichder revolutionären Phrase bereits den Krieg erklärt, und zwar in einersehr milden und kameradschaftlichen Form (ich verurteile jetzt aufs tiefstediese meine Milde). Ich sagte, daß die Politik der Ablehnung des ange-botenen Friedens „vielleicht dem Drang eines Menschen nach dem Schö-nen, Effektvollen und Blendenden entspricht, aber absolut nicht das ob-jektive Verhältnis der Klassenkräfte und der materiellen Faktoren zumgegenwärtigen Zeitpunkt der begonnenen sozialistischen Revolution be-rücksichtigt".

In der These 17 schrieb ich, wenn wir es ablehnen, den angebotenen

* Siehe den vorliegenden Band, S. 1-12 und 19-22. Die Red.

3 Lenin, W erke, Bd. 27

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24 TV. 1. Lenin

Frieden zu unterzeichnen, so werden „schwerste Niederlagen Rußlandzwingen, einen noch ungünstigeren Separatfrieden zu schließen".

Es ist noch schlimmer gekommen, denn unsere Armee, die sich zurück-zieht und demobilisiert, weigert sich überhaupt zu kämpfen.

Nur hemmungslose Phrasendrescherei kann Rußland unter solchen Ver-hältnissen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zum Krieg treiben, und ich per-sönlich würde selbstverständlich keinen Augenblick weder in der Regie-rung noch im ZK unserer Partei bleiben, wenn die Politik der Phrase dieOberhand gewönne.

Jetzt hat sich die bittere W ahrheit so entsetzlich klar offenbart, daß es

unmöglich ist, sie nicht zu sehen. Die gesamte Bourgeoisie in Rußlandfrohlockt und triumphiert über das Kommen der Deutschen. Nur Blindeoder von Phrasen Berauschte können die Augen davor verschließen, daßdie Politik des revolutionären Krieges (ohne Armee...) W asser auf dieMühle unserer Bourgeoisie ist. In Dwinsk laufen die russischen Offizierebereits mit Schulterstücken herum .

In Reshiza ha t die Bourgeoisie die Deutschen m it Begeisterung beg rüßt.In Petrograd, auf dem Newski-Prospekt und in den bürgerlichen Zeitun-gen („Retsch"17 , „Delo N aroda", „Now y Lutsch" usw.), schwelgt man in

Vorfreude über den bevorstehenden Sturz der Sowjetmacht durch dieDeutschen.Möge jeder wissen: Wer gegen einen sofortigen, wenn auch noch so

schweren Frieden ist, richtet die Sowjetmacht zugrunde. -Wir sind gezwungen, diesen schweren Frieden durchzustehen. Er wird

die Revolution in Deutschland, in Europa nicht aufhalten. Wir werdendarangehen, eine revolutionäre Armee aufzubauen, nicht mit Phrasen undDeklamationen (wie diejenigen, die seit dem 7. Januar nichts getan haben,die noch nicht einmal den Versuch gemacht haben, wenigstens unsere

fliehenden Truppen zum Stehen zu bringen), sondern durch organisato-rische Arbeit, durch Taten , durch die Schaffung einer ernst zu nehmenden,vom ganzen Volk getragenen mächtigen Armee.

Qesdorieben am Morgen des 23. Jebruar I9i8.

Veröffentlicht am 23. Jebruar i9i8 "Nach dem 7ext der „Prawda".in der „Vrawda" Wr. 34 (Abendausgabe).'Unterschrift: Lenin.

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R ED E I N D ER G E M E I N S A M E N S I T Z U N G

D E R F R A K T I O N E N D E R B O L S C H E W I K I

U N D D E R „ L I N K E N " S O Z I A L R E V O L U T I O N Ä R E I MG E S A M T R U S S I S C H E N Z E N T R A L E X E K U T I V K O M I T E E

23 . FEBRUAR 1918 1 8

Zeitungsbericht

Lenin tritt für die Unterzeichnung der deutschen Bedingungen ein. Er

beginnt damit, daß die Sowjetmacht der Wahrheit ins Auge sehen muß,daß die Sowjetmacht die völlige Unmöglichkeit eines Widerstands gegendie Deutschen konstatieren muß. Er weist auf die Äußerung der vorher-gehenden Redner hin, die eine Unterzeichnung des Vertrags ablehnen,doch sei die Annahme, wir könnten in der nächsten Zeit eine Armeeorganisieren, ganz unbegründet; die Armee wolle nicht kämpfen, undniemand könne sie dazu zwingen; wenn wir jedoch den Aufbau einerArmee in Angriff nehmen, wenn wir ein kleines Häuflein tapferer Kämp-fer sammeln und sie dem Imperialismus in den Rachen werfen, so werden

wir auf diese Weise energische und unserer Idee ergebene Kämpfer, dieuns die Freiheit errungen haben, verlieren.Lenin erklärt weiter, daß unser russisches Pro letariat nicht die geringste

Schuld treffe, wenn die deutsche Revolution sich verspätet habe. Sie wirdkommen, aber sie ist noch nicht da, und der beste Ausweg für uns ist, Zeitzu gewinnen; wenn wir jetzt den Friedensvertrag unterzeichnen, so wer-den wir später durch energische organisierte A rbeit, durch Ingangsetzungder Eisenbahnen, durch Regelung der Ernährungsfrage, eine starke und

3+

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26 IV. 1 Lenin

festgefügte Armee zur Verteidigung unserer Revolution schaffen. Bis da-

hin abe r werd e bestimmt die sozialistische Revolution in De utschland aus-brechen.

Veröffentlicht am 24 . Jebruar I9i8 Naöh dem 7ext der Zeitung.in der Zeitung „Jswestija Soivjetow Rabotsdhidb,Soldatskidh i Xrestjanskidb T>epirtatowgor. Moskwy i Moskowskoi oblasti"(TJadoridhten der Sow jets der Ar beiter-,Soldaten- und Bauerndeputierten Moskausund des Moskauer Qebiets) 7ir. 32.

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R E D E I N D E R S I T Z U N G D E S

G E S A M T R U S S I S C H E N Z E N T R A L E X E K U T I V K O M I T E E S

"23. FEBRUAR 1918 1 9

Genossen, die Bedingungen, die uns die Vertreter des deutschen Imperia-lismus stellen, sind unerhört schwer, es sind unendlich drückende, räube-rische Bedingungen. Die deutschen Imperialisten machen sich die SchwächeRußlands zunutze, um uns das Messer an die Kehle zu setzen. Und indieser Lage muß ich, um Ihnen nicht die bittere Wahrheit vorzuenthalten,von der ich tief überzeugt bin, Ihnen sagen, daß wir keinen anderen Aus-weg haben, als diese Bedingungen zu unterzeichnen. Jeder andere Vor-schlag ist eine gewollte oder ungewollte Heraufbeschwörung noch grö-ßerer Übel und einer immer vollständiger werdenden (wenn man hierüberhaupt von Steigerungsstufen reden kann) Unterwerfung der Sowjet-republik, ihrer Versklavung durch den deutschen Imperialismus, oder aberein trauriger Versuch, sich mit Worten über die gefährliche, ungeheuersdiwere, aber unbezweifelbare Wirklichkeit hinwegzutäuschen. Genossen,Sie wissen alle sehr gut, und viele von Ihnen auf Grund eigener Erfahrung,daß auf Rußland aus Gründen, die allen begreiflich, die unbestreitbar sind,die Bürde des imperialistischen Krieges drückender, schwerer als auf an-deren Ländern lastete; deshalb wissen Sie auch, daß Unsere Armee durchden Krieg so aufgerieben, so zermartert ist wie keine andere,- daß alleVerleumdungen, mit denen die bürgerliche Presse und die sie unterstüt-zenden oder der Sowjetmacht feindlich gesinnten Parteien uns überschüt-ten, wonach die Bolschewiki die Armee zersetzt hätten, Unsinn sind. Icherinnere Sie nochmals an den Aufruf, den Krylenko, als er noch unterKerenski Fähnrich war, bei seiner Abreise nach Petrograd an die Truppenverschickte, der in der „Prawda" veröffentlicht wurde und worin er fol-gendes erklärte: keine Revolten, dazu fordern wir euch nicht auf, wir

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28 TV. 1. Lenin

fordern euch zu organisierten politischen Aktionen auf, strebt danach, soorganisiert wie möglich zu handeln. Das war die Propaganda eines dertemperamentvollsten und m it der Armee engstens verbundenen Vertretersder Bolschewiki. Alles, was man tun konnte, um diese unglaublich, un-ermeßlich erschöpfte Armee zusammenzuhalten, alles, was nur möglichwar, um sie zu stärken, ist getan worden. Und wenn wir jetzt sehen,obwohl ich zum Beispiel im Laufe des letzten Monats mich jeder Dar-legung meiner Ansicht enthalten habe, die pessimistisch hätte scheinenkönnen, wenn wir gesehen haben, daß wir in bezug auf die Armee imLaufe des letzten Monats alles gesagt haben, was man nur sagen konnte,und alles getan haben, was man nur tun konnte, um die Lage zu erleich-tern, so hat uns die Wirklichkeit gezeigt, daß unsere Armee nach dreiJahren Krieg absolut nicht mehr kämpfen kann und nicht mehr kämpfenwill. Das ist die Hauptursache, die einfache, offenkundige, im höchstenGrade bittere und schwere, aber ganz klare Ursache dafür, daß wir, diewir neben einem räuberischen Imperialisten leben, Friedensbedingungenunterschreiben müssen, während er uns das Messer an die Kehle setzt.Deshalb sage ich in dem vollen Bewußtsein, welche Verantwortung ich aufmich nehme, und wiederhole, daß kein einziger Vertreter der Sowjetmacht

das Recht hat, sich vor dieser Verantwortung zu drücken. Gewiß, es istangenehm und leicht, den Arbeitern, Bauern und Soldaten zu sagen, eswar angenehm und leicht, zu beobachten, wie die Revolution nach demOktoberumsturz vorwärtsging, aber wenn man die bittere, schwere, un-zweifelhafte Wahrheit — die Unmöglichkeit eines revolutionären Kriegs —

anerkennen muß, so ist es jetzt nicht erlaubt, sich dieser Verantwortungzu entziehen, man muß sie vielmehr ohne zu zögern auf sich nehm en. Ichfühle mich verpflichtet, halte es für notwendig, meine Pflicht zu erfüllenund ohne Umschweife zu sagen, was ist. Deshalb bin ich überzeugt, daß

die werktätigen Klassen Rußlands, die wissen, was ein Krieg bedeutet, waser den Werktätigen gekostet hat, bis zu welchem Grade der Erschöpfungund Entkräftung er sie gebracht hat, gemeinsam mit uns — daran zweifleich keinen Augenblick — die ganze unerhörte Schwere, Brutalität undSchändlichkeit dieser Friedensbedingungen verstehen und dennoch unsereHaltung billigen werden. Sie werden sagen: Ihr wart verpflichtet, Bedin-gungen für einen sofortigen und gerechten Frieden vorzuschlagen, und ihrhab t es getan; ihr m ußtet alles, was möglich war, ausnutzen, um den Frie-

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Rede in der Sitzung des gesam trussischen ZentraU xekutivkomitees 29

densschluß hinauszuschieben, um zu sehen, ob sich nicht andere Länderanschließen, ob uns nicht das europäische Proletariat zu Hilfe kommt,ohne dessen Hilfe wir nicht imstande sind, einen dauerhaften sozialisti-schen Sieg zu erringen. Wir haben alles, was möglich war, getan, um dieVerhandlungen hinzuziehen, wir haben sogar mehr getan, als möglichwar; wir haben nach denBrester Verhandlungen den Kriegszustand für be-endet erklärt, überzeugt, wie viele von uns überzeugt waren, daß Deutsch-land infolge seiner Lage nicht imstande sein werde, eine bestialische undverwüstende Offensive gegen Rußland zu eröffnen. Diesmal haben wireine schwere Niederlage hinnehmen müssen, und man muß verstehen,einer Niederlage gerade ins Auge zu schauen. Jawohl, die Revolution hatsich bisher in aufsteigender Linie von Sieg zu Sieg entwickelt,- jetzt aberhat sie eine schwere Niederlage erlitten. Die Bewegung der deutschenArbeiter, die so rasch begonnen hatte, ist zeitweilig unterbrochen w orden.W ir wissen, daß die Hauptursachen dieser Bewegung nicht beseitigt sind,daß sie verstärkt in Erscheinung treten und unweigerlich in die Breitewachsen werden, weil der qualvolle Krieg sich in die Länge zieht, weil sichdie Bestialität des Imperialismus immer tiefer und schamloser enthüllt, sodaß den der Politik scheinbar am fernsten stehenden oder doch die sozia-

listische Politik nicht verstehenden Massen die Augen aufgehen. Das istder Grund dafür, daß eine so verzweifelte, tragische Situation entstandenist, die uns jetzt zwingt, den Frieden anzunehmen, und die werktätigenMasseh veranlassen wird zu sagen: Jawohl, sie haben richtig gehandelt,sie haben alles getan, was sie konnten, um einen gerechten Frieden an-zubieten und den Friedensschluß hinauszuschieben, sie mußten sich demdrückendsten, unglückseligsten Frieden beugen, weil es keinen anderenAusweg für das Land gibt. Die deutschen Imperialisten befinden sich ineiner Lage, wo sie gezwungen sind, mit der Sowjetrepublik einen Kampf

auf Leben und Tod zu führen; wenn sie jetzt den geplanten Vormarschauf Petrograd und M oskau nicht ausführen, so nur deshalb, weil sie durchden blutigen und räuberischen Krieg gegen England gebunden sind, undaußerdem, weil sie eine innere Krise durchmachen. Wenn man mich dar-auf hinweist, daß. die deutschen Imperialisten morgen oder übermorgennoch schlechtere Bedingungen stellen können, so sage ich, daß man daraufgefaßt sein muß; mit einem brutalen Räuber als Nachbarn m uß die Sowjet-republik natürlich auf einen Überfall gefaßt sein. Wenn wir jetzt nicht

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30 W. 1. Lenin

mit einem Krieg antworten können, so deshalb, weil wir keine Kräftehaben, weil sich ohne das Volk kein Krieg führen läßt. W enn die Erfolgeder Revolution viele Genossen veranlassen, etwas Gegenteiliges zu be-haupten, so ist das keine Massenerscheinung, so ist das nicht der Aus-druck des Willens und der Meinung der wirklichen Massen; wenn Sie zuder wirklichen werktätigen Klasse gehen, zu den Arbeitern und Bauern,so werden Sie nur eins sehen, nur eine Antwort hören, daß wir auf keinenFall Krieg führen können, daß keine physischen Kräfte vorhanden sind,daß wir bereits in Blut ersaufen, wie sich ein Soldat ausgedrückt hat. DieseMassen werden uns verstehen und rechtfertigen, wenn wir diesen erzwun-

genen und unerhört schweren Frieden unterzeichnen. Vielleicht wird dieRuhepause, bis die Massen wieder auf die Beine kommen, ziemlich langedauern, aber diejenigen, die die langen Jahre revolutionärer Schlachtenin der Epoche des Aufschwungs der Revolution und in der Epoche erlebthaben, wo die Revolution völlig abebbte, wo die revolutionären Aufrufean die Massen bei ihnen keinen Widerhall fanden, wissen, daß die Revo-lution sich trotzdem immer von neuem erhoben hat; deshalb sagen wir:Jawohl, die Massen sind jetzt nicht imstande, Krieg zu führen, jetzt istjeder V ertreter der Sowjetmacht verpflichtet, dem Volke die ganze bittere

Wahrheit ins Gesicht zu sagen, die Zeit der unerhörten Not und des drei-jährigen Krieges und der entsetzlichen Zerrüttung durch den Zarismuswird vorübergehen, und das Volk wird in sich die Kraft finden und dieMöglichkeit, Widerstand zu leisten. Vor uns steht jetzt der Unterdrücker;die beste Antwort auf die Unterdrückung ist natürlich der revolutionäreKrieg, der Aufstand, aber leider hat die Geschichte gezeigt, daß man aufUnterdrückung nicht immer mit einem Aufstand antworten kann ; der Ver-zicht auf den Aufstand bedeutet jedoch noch nicht Verzicht auf die Revo-lution; lassen Sie sich nicht provozieren durch die bürgerlichen Zeitungen,

die Gegner der Sowjetmacht; jawohl, sie haben kein anderes Wort fürdiesen Frieden als „Schmachfrieden" und ein Geschrei von „Schande!";in Wirklichkeit aber begrüßen diese Bourgeois die deutschen Eroberer mitBegeisterung. Sie sagen: „Endlich kommen die Deutschen und bringen unsOrdnung", das ist es, was sie wollen, und deswegen treiben sie Hetze mitihrem Geschrei von „Schmachfrieden und Schandfrieden". Sie wollen, daßdie Sowjetmacht einen Kampf, einen unerhörten Kampf liefere, weil siewissen, daß wir keine Kräfte haben, sie treiben uns zur völligen Ver-

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Rede in der Sitzung des Qesamtrussisdben Zentralexekutivkömitees 31

sklavung an die deutschen Imperialisten, um dann mit den deutschen

Polizeiherren ihr Geschäft zu machen, aber sie handeln damit nur nachihren Klasseninteressen, denn sie wissen, daß die Sowjetmacht erstarkt.Diese Stimmen und dies Geschrei gegen den Frieden sind für mich derbeste Beweis dafür, daß diejenigen, die diesen Frieden ablehnen, nicht nurunverbesserliche Illusionen hegten, sondern auf eine Provokation herein-gefallen sind. Nein, man muß der grausamen W ahrhe it gerade ins Gesichtschauen: wir haben vor uns einen Unterdrücker, der uns das Messer andie Kehle gesetzt hat, und wir werden kämpfen mit allen Mitteln desrevolutionären Kampfes. Jetzt aber befinden wir uns in einer verzweifelt

schwierigen Lage, unser Bundesgenosse kann uns nicht zu H ilfe eilen, dasinternationale Proletariat kann uns jetzt nicht helfen, es wird jedoch aufden Plan treten. Diese revolutionäre Bewegung, die jetzt nicht die Mög-lichkeit hat, dem Feind militärischen Widerstand zu leisten, ist im Steigenbegriffen und wird diesen Widerstand später leisten, aber leisten wirdsie ihn. (Beifall.)

Ein kurzer Bericht wurde am26. Februa r i9l8 in der

„Trawda" 3Vr. 35 veröffentlicht.Zuerst vollständig veröffentlicht 1926 in: Nach dem Stenogramm.91. Lenin (W. Zlljanow), gesammelte Werke,BandXX, 2.7lalbband.

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W O S T E C K T D E R F E H L E R ? 2 0

Die namhaftesten und maßgebendsten Gegner des Abschlusses einesseparaten Friedens zu den Brester Bedingungen haben das Wesen ihrerBeweisgründe wie folgt dargelegt:

Hier sind die konzentriertesten, wichtigsten Argumente herausgestellt,fast in Form einer Resolution dargelegt. Um die Analyse der Beweis-gründe zu erleichtern, haben wir jeden einzelnen Satz numeriert.

Bei Betrachtung dieser Argumente springt einem sofort der Haupt-fehler der Autoren ins Auge. Sie sagen keinen Ton über die konkretenBedingungen des revolutipnären Krieges zum gegenwärtigen Zeitpunkt.

Das, was für die Anhänger des Friedens die hauptsächliche und grund-legende Erwägung bildet, nämlich, daß wir unmöglich jetzt Krieg führenkönnen, gerade das wird umgangen. Als Erwiderung — als Erwiderungz. B. auf meine Thesen*, die den Autoren seit dem 8. Januar gut bekanntsind — führt m an ausnahmslos allgemeine Erwägungen, Abstraktionen an,die unvermeidlich zur Phrase werden. Denn jede allgemeine historischeErwägung, die auf einen Einzelfall ohne besondere Analyse der Bedin-

* Siehe Werke, 4. Ausgabe, Bd. 26, S. 401-408, ross. Die Red.

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WostedktderJebler? 33

gungen gerade des gegebenen Falls angewandt wird, verwandelt sich in

eine Phrase.Nehmen wir den ersten Beweisgrund. Sein ganzes „Salz" ist Vorwurf,

Geschrei, Deklamation, das Bestreben, den Gegner zu „blamieren", Appellan das Gefühl. Was seid ihr doch dumm: die Imperialisten greifen euchan, als ihr Ziel die Unterdrückung der proletarischen Revolution „ver-kündend", ihr aber antwortet mit dem Einverständnis, Frieden zu schlie-ßen! Aber unser Argument, wie den Autoren bekannt ist, besteht dochdarin, daß wir mit einer Ablehnung des schweren Friedens dem Feind dieUnterdrückung der proletarischen Revolution gerade erleichtern. Und die-

ses unser Argument ist untermauert (zum Beispiel in meinen Thesen) miteiner Reihe konkretester H inweise auf den Zu stand der Armee, ihre Klas-senzusammensetzung usw. Alles Konkrete haben die Autoren umgangen,und herausgekommen sind leere Phrasen. Denn wenn der Feind als seinZiel die Unterdrückung der Revolution „verkündet", dann ist der einschlechter Revolutionär, der durch die Wahl einer offenkundig unmög-lichen Widerstandsform gerade den Übergang von der „Verkündun g" zurVertvirkUdhung der feindlichen Ziele erreicht.

Das zweite Argument: die „Vorwürfe" werden heftiger. Ihr gebt euer

Einverständnis zum Frieden gleich beim ersten Ansturm des Feindes...Nehmen denn die Autoren ernsthaft an, das könnte überzeugend sein fürdie, die seit Januar, lange Zeit vor dem „Ansturm", das Kräfteverhältnisund die konkreten Bedingungen eines Krieges zum gegenwärtigen Zeit-punkt analysiert hab en? Ist es etwa keine Phrase , wenn man einen „Vor-wurf" für einen Einwand gegen die Analyse hä lt? ?

Man sagt uns, die Bereitschaft zum Frieden unter den gegebenen Be-dingungen sei „eine Kapitulation des Vortrupps des internationalen Pro-letariats vor der internationalen Bourgeoisie".

Wied er eine Phrase . Allgemeine Wahrh eiten werden derart aufgebläht,daß sie unwahr werden und sich in Deklamationen verwandeln. Diedeutsche Bourgeoisie ist nicht die „internationale", denn die englischenund französischen Kapitalisten begrüßen unsere Weigerung, den Friedenzu unterzeichnen. „Kapitulation" ist, allgemein gesprochen, eine übleSache, aber diese ehrenwerte Wahrheit bietet keine Lösung in jeder be-sonderen Lage, denn Kapitulation kann man auch die Ablehnung desKampfes unter offensichtlich ungünstigen Bedingungen nennen, und eine

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34 IV . 1. Centn

solche Kapitulation ist Pflicht eines ernsten Revolutionärs. Kapitulation,

allgemein gesprochen, war auch d3s Einverständnis, in die III. Duma zugehen, die Unterzeichnung,des Friedens mit Stolypin, wie sich unsere„linken" Deklamatoren damals ausdrückten.

Vortrupp sind wir im Sinne der revolutionären Initiative, das ist un-bestreitbar, daß wir aber Vortrupp wären im Sinne einer kriegerischenAuseinandersetzung m it den Kräften des fortgeschrittenen Imperialismus,das . . . *

Qesdmeben am 23. oder 24. Jebrttar i9l8.

Zuerst veröffentlicht i929 Nadh dem Man uskript.im Lenin-Sammelband XI.

* Hier bricht das Manuskript ab. Die Red.

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E I N U N G L Ü C K S E L I G E R F R I ED E N

Trotzki hatte recht, als er sagte:.Der Frieden kann ein dreimal unglück-seliger Frieden sein, aber ein Frieden, der diesen hundertfach schmach-vollen Krieg beendet, kann kein schmachvoller, schimpflicher, unsaubererFrieden sein.

Es ist unglaublich, unerhört schwer, einen unglückseligen, maßlos schwe-ren, unendlich erniedrigenden Frieden zu unterzeichnen, wenn der Starkedem Schwachen das Messer an die Kehle setzt. Aber es ist nicht erlaubt,in Verzweiflung zu geraten, es ist unzulässig, zu vergessen, daß die Ge-schichte Beispiele noch größerer Demütigungen, noch unglückseligerer,

schwererer Friedensbedingungen kennt. Und trotzdem haben es die vonbrutal-grausamen Siegern zu Boden gedrückten Völker verstanden, wiederzu sich zu kommen und Kraft zu gewinnen.

Napoleon I. zertrat und erniedrigte Preußen unvergleichlich stärker alsWilhelm jetzt R ußland. Napoleon I. war während einer Reihe von Jahrenvölliger Sieger auf dem Kontinent, sein Sieg über Preußen war viel größerals der Sieg Wilhelms über Rußland. Wenige Jahre später aber erho lte sichPreußen und warf in einem Befreiungskrieg das Joch Napoleons ab, nichtohne Unterstützung räuberischer Staaten, die keineswegs einen Befreiungs-

krieg, sondern einen imperialistischen Krieg gegen Napoleon führten.Die imperialistischen Kriege Napoleons dauerten viele Jahre, sie um-faßten eine ganze Epoche, sie zeigten das ungewöhnlich komplizierte Ne tzder sich mit nationalen Befreiungsbewegungen verflechtenden imperiali-stischen* Beziehungen. Und das Ergebnis war, daß die Geschichte sich

* Als Imperialismus bezeichne ich hier den Raub fremder Länder überhaupt,als imperialistischen Krieg einen Krieg von Räubern um die Aufteilung einersolchen Beute.

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36 W. 1. Lenin

über diese, an Kriegen und Tragödien (Tragödien ganzer Völker) unge-

wöhnlich reiche Epoche hinweg vom Feudalismus zum „freien" Kapitalis-mus entwickelte.Heute schreitet die Geschichte noch rascher voran, die Tragödien gan-

zer Völker, die durch den imperialistischen Krieg zertreten werden undzertreten worden sind, sind viel, viel entsetzlicher. Eine Verflechtung im-perialistischer und die nationale Freiheit anstrebender Strömungen, Bewe-gungen und Bestrebungen haben wir heute ebenfalls, nu r mit dem gewal-tigen Unterschied, daß die nationalen Befreiungsbewegungen unvergleich-lich schwächer, die imperialistischen Tendenzen unvergleichlich stärker

sind. Aber die Geschichte schreitet unaufhaltsam vorwärts, und im Schößealler fortgeschrittenen Länder reift — reift trotz alledem — die soziali-stische Revolution heran, eine unendlich tiefere, volksverbundenere, mäch-tigere Revolution als die frühere bürgerliche Revolution.

Deshalb sagen wir aber und abermals: Am allerwenigsten is t Verzweif-lung zulässig. Die Friedensbedingungen sind unerträglich schwer. U nddennoch wird die Geschichte zu ihrem Recht kommen, uns wird die un-aufhaltsam heranreifende sozialistische Revolution in den anderen Län-dern zu Hilfe kommen, wenn auch vielleicht nicht so schnell, wie wir alle

es wünschen.Ein Räuber belagert uns, drückt uns nieder und erniedrigt uns — w irwerden imstande sein, alle diese Bürden zu ertragen. W ir stehen nichtallein da in der Welt. W ir haben Freunde, Anhänger, treueste Helfer. Siehaben sich verspätet — infolge einer Reihe von Umständen, die nicht vonihrem Willen abhängen —, aber sie werden kommen.

Heran an die Arbeit der Organisation, der Organisation und abermalsder Organisation! D ie Zukunft wird allen Prüfungen zu m Trotz unsersein.

„Vrawda" "Nr. 34, Jiaä) dem Text der „Vrawda".24. Februar i9l8.

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Ä U S S E R U N G E N L E N I N S

I N D E R S I T Z U N G D E S Z K D E R S D A P R ( B )

24. FEBRUAR 1918

Protokollarische Niederschrift

1

Behandelt wird die Frage der Entsendung einer Delegation nach Brest zurUnterzeichnung des Friedensvertrags.

Lenin ist der Auffassung, daß man die Kontinuität mit der früherenDelegation wahren muß, und da Gen. Karachan allein nicht genügt, sowäre es sehr erwünscht, daß die Genossen Joffe und Sinowjew mitfahren.

A. A. Joffe lehnt es kategorisch ab zu fahren und erklärt, daß „die Unter-zeichnung des Friedens der Tod der gesamten Politik von Brest" sei.

Lenin sagt, daß er nicht auf der Reise Joffes als Bevollmächtigten zurUnterzeichnung des Vertrags bestehe, daß er aber die Reise des G en. Joffeals eines Konsulenten für notwendig halte. Die Deutschen haben zweifels-ohne ihrer Antwort eine ultimative Form gegeben, weil sie Oppositionvon unserer Seite fürchten. Wenn sie aber sehen, daß wir einverstanden

sind, den Frieden zu unterzeichnen, so könnten sie sich auch zu Verhand-lungen bereit erklären. G erade deswegen ist ein Konsulent notwendig, derdie ganze Sache kennt. Wenn sich herausstellen sollte, daß nur unter-zeichnet zu werden braucht, dann ist natürlich jede Unterredung über-flüssig, und der Konsulent braucht nicht einmal in einer Sitzung zu er-scheinen.

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38 WJ. Lenin

Lenin teilt mit, daß Radek, obwohl er Gegner des Friedensschlusses sei,sich doch bereit erklärt habe zu fahren, daß aber die Polen ihm verbotenhätten zu fahren.

In der weiteren Diskussion erklärt L. D. Trotzki, daß man in Brest nur denFrieden zu unterzeichnen haben werde, d aß A. A. Joffe dort nicht gebrauchtwerde, da in der Antwort der Deutschen bereits die wichtigsten Fragen formu-liert seien.

Lenin ist der Auffassung, daß er nicht recht hat, da zweifelsohne beiUnterzeichnung des Vertrags Fachleute gebraucht werden, wir aber keinehätten , z. B. für d en Hand elsve rtrag. Krassin hätte fahren könn en, a berer ist für einige Zeit nach Stockholm gefahren. Wir unterzeichnen denVertrag mit knirschenden Zähnen, was die Delegation erklären wird, aberwir kennen die Situation nicht, wir wissen nicht, was bis zum Eintreffender Delegation in Brest passieren kann, und deshalb ist Joffe als Konsu-lent notwendig, überhaupt muß man berücksichtigen, daß wir die Dele-gation beauftragen, Verhandlungen zu führen, wenn nur irgend die Mög-

lichkeit dazu besteht.

. 5 :

In der weiteren Diskussion werden die Kandidaturen G. J. Sinowjews undG. J. Sokolnikows nom iniert. Sokolniköw schlägt Sinowjew vor, Sinöwjew —Sokolnikow.

Lenin ist der Auffassung, daß man beide schicken muß und daß siebeide, wenn es sich nur darum handelt, den Frieden zu unterzeichnen,nach Vereinbarun g d er weiteren Schritte mit Tschitscherin sofort abreisen

können .

G . J. Sokolnikow erklärt, d aß er nicht nach Brest fahren und, falls es be-schlossen werden sollte, aus dem ZK austreten werde.

Lenin bittet die Genossen, nicht nervös zu werden, und weist daraufhin, daß Gen. Petrowski als Volkskommissar mit der Delegation fahrenkann .

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Äußerung en Lenins in der Sitzung des Z% der STIÄPR CB) 39

Das ZK behandelt weiterhin die Erklärung Trotzkis über seinen Rücktrittvom Posten des Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten.

Lenin weist darauf hin, daß das unannehmbar sei, daß eine Änderungder Politik zu einer Krise führen werde, daß eine Umfrage über die Poli-t ik in die Provi nz 2 1 gesandt worden sei und daß es durchaus nicht schäd-lich sei, ein wenig z u p olem isieren.

Er macht einen praktischen Vorschlag: das ZK ersucht den Ge n. Tro tzk i,seine Erkläru ng bis zur nächsten S itzung des ZK , bis Dienstag, aufzuschie-ben. (Abänderungsantrag — bis zur Rückkehr der Delegation aus Brest.)

Lenin beantragt , über folgende Erklärung abzust immen: Das ZK hältes im gegenwärtigen Augenblick nicht für möglich, die Demission des Gen.Trotzki anzunehmen, und ersucht ihn, diesen seinen Entschluß bis zurRückkehr der Delegation aus Brest bzw. bis zur Änderung der faktischenLage der Dinge aufzuschieben.

Der A ntrag w ird bei drei Stimmenthaltungen angenommen.

9

Nach Annahme dieses A ntrags erklärt L. D. Trotzki, „daß er seine Erklä-rung eingereicht habe, daß sie nicht angenommen worden sei und daß er des-halb gezwungen sei, davon abzu sehen, in offiziellen Grem ien zu erscheinen".

Lenin schlägt vor, über folgendes abzustimmen: Das ZK findet sichnach Entgegennahme der Erklärung des Gen. Trotzki vollständig damita b , da ß er bei Beschlußfassungen des Rats der Volkskomm issare üb er aus-

wärtige Angelegenheiten abwesend sein werde, ersucht aber den Gen.Trotzki, sich anderen Beschlußfassungen nicht zu entziehen.

Angenommen.

10

W eiter behandelt das ZK die E rklärung G. I. Lomows, M . S. Urizkis,W. M. Smirnows, G. Pjatakows und anderer über ihren Rücktritt von verant-wortlichen Posten in der P arte i und in sowjetischen Institutionen.

4 Lenin, Werke, Bd. 27

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40 W. 1. Lenin

Lenin stellt folgenden Antrag: Das ZK ersucht die Genossen, die eine

Erklärung abgegeben haben, ihre Entscheidung bis zur Rückkehr derDelegation aus Brest aufzuschieben und diesen Beschluß des ZK in derGruppe zu beraten.

11

Lenin bringt zwei Anträge ein:1. Das ZK erkennt die Forderung der Vierergruppe als berechtigt an,

ersucht sie aber, den Vorschlag des ZK zu beraten und ihre Erklärung auf-zuschieben, einerseits weil der Parteitag nahe bevorsteht und anderseits

weil die politische Situation kompliziert ist.1. Das ZK garantiert den Genossen, daß ihre Erklärungen in der

„Prawda" veröffentlicht werden, und bittet sie, ihren Entschluß noch ein-mal zu überprüfen und zu beraten, ob sie nicht eine Möglichkeit finden,sowohl auf den verantwortlichen Posten als auch im ZK zu bleiben.

Die Anträge Lenins werden angenommen.

Zuerst vollständig veröffentlicht 1928 Nach dem 7ext des Buttesin der Z eitschrift „Troletarskaja Protokolle des ZK der

Rewoluzija" (Die proletarische SD APR. August 1917 bisRevolution) 3Vr. 2 (73). Februar 1918", 1929.

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N O TI ZÜBER DIE NOTWENDIGKEIT,

DEN FRIEDEN ZU UNTERZEICHNEN

Den Frieden zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu unterzeichnen heißtdem deutschen Imperialismus den bewaffneten Aufstand oder den revo-lutionären Krieg erklären. Das ist entweder eine Phrase oder eine Provo-kation der russischen Bourgeoisie, die begierig den Einmarsch der Deut-schen erw artet. W ir können praktisch im Augenblick nicht kämpfen, denndie Armee ist gegen den Krieg, die Armee kann nicht kämpfen. Eine WocheKrieg mit den Deutschen, vor denen unsere Truppen einfach geflohen sind,vom 18. bis 24. Februar 1918, hat das vollauf bewiesen. W ir sind G e-

fangene des deutschen Imperialismus. Keine Phrasen über einen sofortigenbewaffneten Aufstand gegen die Deutschen, sondern systematische, ernste,unentwegte Arbeit zwecks Vorbereitung eines revolutionären Krieges,Schaffung von Disziplin, einer Armee, ordnungsgemäße Ingangsetzungdes Eisenbahnverkehrs und der Lebensmittelversorgung. Das ist der Stand-punkt der Mehrheit des Zentralexekutivkomitees, unter anderem auchLenins (und der Mehrheit des ZK der Bolschewiki) sowie Spiridonowasund Malkins (Minderheit des ZK der linken Sozialrevolutionäre).

Qesdorieben am 24.Jebruar i918.Zuerst veröffentlidbt 1929 Nads dem Manuskript.im Lenin-Samm elband XI.

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S T E L L U N G N A H M E D E S Z K D E R S D A P R ( B O L S C H E W I K I )

Z U R F R A G E D E S A N N E X I O N I S T I S C H E N

S E P A R A T F R I E D E N S 2 2

W erte Genossen!

Das Organisationsbüro des ZK hält es für notwendig, euch die Motiveauseinanderzusetzen, die das ZK bewogen haben, sich mit den Friedens-bedingungen der deutsdien Regierung einverstanden zu erklären. DasOrganisationsbüro w endet sich mit dieser Erläuterung an euch, Genossen,um alle Mitglieder der Partei ausführlich zu unterrichten über den Stand-punkt des ZK, das in der Zeit zwischen den Parteitagen die gesamte Par-tei repräsentiert. Das Organisationsbüro hält es für notwendig, darauf

hinzuweisen, daß in der Frage der Unterzeichnung der Friedensbedingun-gen keine Einmütigkeit im ZK bestand. Aber ein einmal gefaßter Beschlußmuß von der ganzen Partei unterstützt werden. In den nächsten Tagenwird der Parteitag zusammentreten, und erst dort wird es möglich sein,über die Frage zu entscheiden, inwieweit das ZK den wirklichen Stand-punkt der ganzen Partei richtig vertreten hat. Bis zum Parteitag führenalle Parteimitglieder im Namen der Parteipflicht, im Namen der Erhaltungder Einheit in unseren eigenen Reihen, die Beschlüsse ihrer führenden zen-tralen Körperschaft, des ZK der Partei, durch.

Die Unterzeichnung des annexionistischen, unglaublich schweren Frie-dens mit Deutschland zum gegenwärtigen Ze itpunkt (24. Februar 1918)wird vor allen Dingen dadurch unbedingt notwendig, daß wir keine Armeehaben, daß wir uns nicht verteidigen können.

Alle wissen, warum wir nach dem 25. Oktober 1917, nach dem Sieg derDiktatur des Proletariats und der armen Bauernschaft, alle Vaterlands-verteidiger geworden sind, warum wir für die Verteidigung des V aterlandssind.

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Stellungnahme des ZX der SDAPR CBolsdbetviki) 43

Vom Standpunkt der V erteidigung des Vaterlands ist es unzulässig, sich

auf ein militärisches Ringen einzulassen, wenn m an keine Armee hat undwenn der Feind bis an die Zähne bewaffnet und ausgezeichnet vorbereitetist.

Die Sozialistische Sowjetrepublik kann keinen Krieg führen, wenn dieoffenkundig gewaltige Mehrheit der Arbeiter-, Bauern- und Soldaten-massen, die die Sowjets wählen, gegen den Krieg ist. Das wäre ein Aben-teuer. Etwas anderes ist es, wenn dieser Krieg durch einen wenn auch nochso schweren Frieden beendet wird und der deutsche Imperialismus dannabermals einen Angriffskrieg gegen Rußland führen will. Dann wird die

Mehrheit der Sowjets sicherlich für einen Krieg sein.Jetzt einen Krieg führen heißt objektiv, auf die Provokation der rus-sischen Bourgeoisie hereinfallen. Sie weiß sehr gut, daß Rußland jetztwehrlos ist und sogar durch geringfügige Kräfte der Deutschen niederge-worfen w erden kann, die nur die wichtigsten Eisenbahnlinien abzuschnei-den brauchen, um durch Aushungerung Petrograd und Moskau in ihreGewalt zu bekommen. Die Bourgeoisie will den Krieg, denn sie will denSturz der Sowjetmacht und eine Verständigung mit der deutschen Bour-geoisie. Der Jubel der Bourgeois in Dwinsk und Reshiza, in Wenden und

in Hapsal, in Minsk und in Drissa beim Einmarsch der Deutschen ist dieallerklarste Bestätigung dafür.

Die Verfechtung des revolutionären Krieges zum gegenwärtigen Zeit-punkt wird unweigerlich zur revolutionären Phrase. Denn ohne Armee,ohne ernste wirtschaftliche Vorbereitung ist es für ein ruiniertes bäuer-liches Land ein Ding der Unmöglichkeit, einen modernen Krieg gegen denfortgeschrittenen Imperialismus zu führen. Widerstand gegen den deut-schen Imperialismus, der uns zertreten w ird, wenn er unser habhaft wird,ist unbedingt notwendig. Aber eine leere Phrase wäre die Forderung:

Widerstand leisten gerade durch einen bewaffneten Aufstand und geradeim jetzigen Augenblick, wo ein solcher Widerstand für uns offenkundighoffnungslos, für die deutsche und die russische Bourgeoisie aber offen-kundig vorteilhaft ist.

Eine genau solche Phrase ist die Verfechtung eines sofortigen revolutio-nären Krieges mit den Argumenten von der U nterstützung der internatio-nalen sozialistischen Bewegung. Wenn wir dem deutschen Imperialismusdadurch, daß wir den Kampf gegen ihn zu einem ungeeigneten Zeitpunkt

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44 W. 1 Lenin

aufnehmen, die Zerschlagung der Sowjetrepublik erleichtern, so werden

wir der deutschen und der internationalen Arbeiterbewegung und derSache des Sozialismus schaden und nicht helfen. N otwendig ist nur, durchallseitige, hartnäckige, systematische Arbe it den revolutionären Internatio-nalisten in allen Ländern zu helfen, sich aber auf das Abenteuer eines be-waffneten Aufstands einlassen, wenn er offenkundig ein Abenteuer ist,das ist eines Marxisten unwürdig.

Wenn Liebknecht in zwei bis drei Wochen siegt (das ist möglich), sowird er uns natürlich aus allen Schwierigkeiten heraushelfen. Es wäre je-doch einfach eine Dumm heit und eine Verhöhnung der großen L osung von

der Solidarität der Werktätigen aller Länder, wenn es uns in den Kopfkäme, vor dem Volke die Bürgschaft zu übernehmen, daß Liebknecht be-stimmt und unbedingt in den nächsten Wochen siegen werde. Gerad e wennman so denkt, verwandelt man die große Losung „Wir haben auf dieWeltrevolution gesetzt" in eine leere Phrase .

Die Sachlage ist objektiv der vom Sommer 1907 ähnlich. Damals hatteder russische Monarchist Stolypin uns an die Wand gedrückt und gefan-gen, jetzt der deutsche Imperialist. Damals erwies sich die Losung des so-fortigen Aufstands als eine leere Phrase, die leider die ganze Partei der

Sozialrevolutionäre ergriffen hatte. Jetzt, im gegenwärtigen Augenblick,ist die Losung des revolutionären Krieges offensichtlich eine Phrase, vonder sich die linken Sozialrevolutionäre hinreißen ließen, die die Argumenteder rechten Sozialrevolutionäre wiederholen. Wir sind Gefangene desdeutschen Imperialismus, uns steht ein schwerer und langwieriger Kampfum den Sturz dieses Schrittmachers des Weltimperialismus bevor; dieserKampf ist unbedingt das letzte und entscheidende Gefecht für den Sozia-lismus, aber diesen Kampf im gegenwärtigen Augenblick mit dem bewaff-neten Aufstand gegen den Schrittmacher des Imperialismus zu beginnen

wäre ein Abenteuer, auf das sich Marxisten niemals einlassen werden.Systematische, unentwegte, allseitige Vorbereitung der Wehrkraft desLandes, der Selbstdisziplin allüberall, Ausnutzung der schweren Nieder-lage zur Hebung der Disziplin auf allen Lebensgebieten, damit der wirt-schaftliche Aufschwung des Landes ermöglicht und die Sowjetmacht ge-stärkt wird — das ist die Aufgabe des Tages, das ist die Vorbereitung desrevolutionären Krieges durch die Tat und nicht mit Worten.

Zum Schluß hält das Organisationsbüro es für notwendig, darauf hin-

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Stellungnahme des ZK der ST)APJi. (BolsdhewikO 45

zuweisen, daß alle Parteimitglieder, da der Vormarsch des deutschen Im-

perialismus bisher nicht gestoppt ist, eine einmütige Abwehr organisierenmüssen. Wenn wir nicht durch Unterzeichnung eines wenn auch äußerstdrückenden Friedens Zeit gewinnen, um uns auf neu e Kämpfe vorbereitenzu können, so muß unsere Partei auf die Notwendigkeit hinweisen, alleKräfte für den offenen Widerstand anzustrengen.

Wenn man Zeit gewinnen, wenn man wenigstens eine kurze Atempausefür die organisatorische Arbeit bekommen kann, so sind wir verpflichtet,das zu erreichen. Wird uns kein Aufschub gewährt, so muß unsere Parteidie Massen zum Kampf, zur energischsten Selbstverteidigung aufrufen.Wir sind überzeugt, daß alle Parteimitglieder ihre Pflicht gegenüber derPartei, gegenüber der Arbeiterklasse ihres Landes, gegenüber dem Volkund dem Proletariat erfüllen w erden. Indem wir die Sowjetmacht wa hren,erweisen wir dem Proletariat aller Länder in seinem unglaublich schwie-rigen, schweren Kampf gegen seine Bourgeoisie die beste, die stärksteUnterstützung. Einen größeren Schlag für die Sache des Sozialismus heut-zutage als den Zusammenbruch der Sowjetmacht in Rußland gibt es nichtund kann es nicht geben.

Mit kameradschaftlichem GrußDas Organisationsbüro des ZK der SVJPR (Bolsdiewiki)

Qesdbrieben am 24.7ebruar 1918.

Veröftentlidbt am 26. Tebruar 1918 Nadi dem 7ext der „Vrawda".in der „Vrawda" Nr. 35.

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EINE HARTE, ABER NOTWENDIGE LEHRE

Die Woche vom 18. bis zum 24. (11.) Februar 1918 wird als einer deigrößten historischen Wendepunkte in die Geschichte der russischen — undder internationalen — Revolution eingehen.

Am 17. Februar 1917 stürzte das russische Proletariat zusammen mitdem durch den Gang der Kriegsereignisse aufgerüttelten Teil der Bauern-schaft und zusammen mit der Bourgeoisie die Monarchie. Am 21. April1917 stürz te es die Alleinherrschaft der imperialistischen Bourgeoisie undbrachte kleinbürgerliche Politiker an die Macht, die mit der Bourgeoisie

paktierten. Am 3. Juli erhob sich das städtische Proletariat spontan zueiner Demonstration und erschütterte die Regierung der Paktierer. Am25. Oktober stürzte es diese Regierung und errichtete die Diktatur derArbeiterklasse und der armen Bauernschaft.

Dieser Sieg mußte in einem Bürgerkrieg behauptet werden. Dieser er-forderte ungefähr drei Monate, von dem Sieg über Kerenski bei Gatschina,den Siegen über die Bourgeoisie, die Offiziersschüler, einen Teil der kon-terrevolutionären Kosakenschaft in Moskau, Irkutsk, Orenburg , Kiew, biszum Sieg über Kaledin, Kornilow und Alexejew in Rostow am Don.

Die Feuersbrunst des proletarischen Aufstands flammte n Finnland auf.Der Brand griff auf Rumänien über.Die Siege an der inneren Front waren verhältnismäßig leicht, denn der

Feind besaß w eder ein technisches noch ein organisatorisches Übergewichtund hatte außerdem keine ökonomische Basis unter den Füßen, keineStütze in den Massen der Bevölkerung. Die Leichtigkeit der Siege mußtezwangsläufig vielen Führern zu Kopf steigen. Es verbreitete sich die Stim-mung: „Uns kann keiner."

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Eine harte, aber notwendige Lehre 47

Man übersah geflissentlich die ungeheure Zersetzung der sich rasch

demobilisierenden Armee, die die Front verließ. Man berauschte sich ander revolutionären Phrase. Man übertrug diese Phrase auf den Kampfgegen den Weltimperialismus. Man nahm das zeitweilige „Freisein" Ruß-lands vom Ansturm des Imperialismus für etwas Normales, während inWirklichkeit diese „Freiheit" nur durch eine Pause im Kriege des deut-schen Räubers mit dem englisch-französischen Räuber zu erklären war.Man nahm den Beginn von Massenstreiks in Österreich und Deutschlandfür eine Revolution, die uns angeblich bereits von der ernsten Gefahr be-freit hätte, die uns vom deutschen Imperialismus drohte. Anstatt sich ernst-

lich, sachlich, konsequent um Unterstützung der deutschen Revolution,die auf einem besonders schweren und mühsamen W eg ins Leben tritt, zubemühen, winkte man geringschätzig ab: „Was können uns die deutschenImperialisten schon anhaben, zusammen mit Liebknecht werden wir siesofort beiseite fegen!"

Die Woche vom 18. bis 24. Februar 1918, von der Einnahme Dwinsksbis zur Einnahme Pskows (das später wieder zurückerobert wurde), dieWoche der militärischen Offensive des imperialistischen Deutschlandsgegen die Sozialistische Sowjetrepublik, war eine bittere, kränkende, harte,

aber notwendige, nützliche, wohltätige Lehre. Wie unendlich lehrreichwar der Vergleich der beiden Gruppen von Telegrammen und telefoni-schen Meldungen, die in dieser Woche im Regierungszentrum einliefen!Einerseits eine hemmungslose Orgie der „resolutiven" revolutionärenPhrase, Steinbergscher Phrase, könnte man sagen, wenn man sich desGlanzstücks in diesem Stil, der Rede des „linken" (hm... hm...) Sozial-revolutionärs Steinberg in der Sonnabendsitzung des Zentralexekutiv-komitees23 erinnert . Anderseits die quälend schmachvollen Meldungen vonder Weigerung der Regimenter, die Stellungen zu halten, von der Weige-

rung, wenigstens die Narwalinie zu halten, von der Nichtbefolgung desBefehls, beim Rückzug alles und jedes zu vernichten; gar nicht zu redenvon der Desertion, dem Chaos, der Kopflosigkeit, Unbeholfenheit, Schlam-perei.

Eine bittere, kränkende, harte — eine notwendige, nützliche, wohltätigeLehre!

Aus dieser historischen Lehre wird der klassenbewußte, denkende Ar-beiter drei Schlußfolgerungen ziehen: bezüglich unserer Stellung zur

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48 TV. J. Lenin

Vaterlandsverteidigung, zur Wehrkraft des Landes, zum revolutionären,

. sozialistischen Krieg; bezüglich der Bedingungen unseres Zusammenstoßesmit dem Weltimperialismus; bezüglich der richtigen Stellung der Frageunserer Beziehungen zur internationalen sozialistischen Bewegung.

Wir sind jetzt, seit dem 25. Oktober 1917, Vaterlandsverteidiger, wirsind seit diesem Tage für die Verteidigung des Vaterlands. Denn wir habendurch die 7at bewiesen, daß wir mit dem Imperialismus gebrochen haben .Wir haben die schmutzigen und blutigen imperialistischen Verschwörer-verträge annulliert und veröffentlicht. Wir haben unsere Bourgeoisie ge-stürzt. Wir haben den von uns unterdrückten Völkern die Freiheit ge-

geben. W ir haben dem Volke den Boden und die Arbeiterkontrolle gegeben.Wir sind für die Verteidigung der Sozialistischen Sowjetrepublik Ruß-land.

Aber gerade weil wir für die Verteidigung des Vaterlands sind, fordernwir eine ernste Einstellung zur Frage der W ehrkraft und der militärischenVorbereitung des Landes. Wir erklären der revolutionären Phrase vomrevolutionären Krieg schonungslos den Krieg. Der revolutionäre Krieg er-fordert eine langwierige, ernste Vorbereitung, angefangen von der wirt-schaftlichen Hebung des Landes, dem Ingangsetzen der Eisenbahnen (denn

ohne diese ist ein moderner Krieg eine leere Phrase), der Wiederherstel-lung strengster revolutionärer Disziplin und Selbstdisziplin allüberall.

Vom Standpunkt der Verteidigung des Vaterlands ist es ein Verbrechen,sich auf ein militärisches Ringen mit einem unendlich viel stärkeren undbesser gerüsteten Gegner einzulassen, wenn man offenkundig ohne Armeedasteht. Vom Standpunkt der Verteidigung des Vaterlands sind wir ver-pflichtet, den schwersten, knechtendsten, brutalsten, schändlichsten Frie-den zu unterzeichnen — nicht um vor dem Imperialismus zu „kapitulie-ren", sondern um zu lernen und zu rüsten für eine ernste und sachliche

Kriegführung gegen ihn.Die verflossene Woche hat die russische Revolution auf eine unermeß-

lich höhere Stufe der welthistorischen Entwicklung gehoben. Die Ge-schichte ist in diesen Tagen vorwärtsgeschritten, sie ist mehrere Stufen aufeinmal emporgestiegen.

Bisher standen vor uns elende, verachtenswert jämmerliche (vom Stand-punkt des Weltimperialismus) Feinde, ein idiotischer Romanow, derPrahlhans Kerenski, Banden von Offiziersschülern und Bourgeoissöhnchen.

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Sine harte, aber notwendige Lehre 49

Jetzt hat sich gegen uns ein Riese des kultivierten, technisch erstklassig

ausgerüsteten, organisatorisch großartig eingespielten Weltimperialismuserhoben. Mit ihm muß man kämpfen. Mit ihm muß man zu kämpfen ver-stehen. Das durch den dreijährigen Krieg unerhört zerrüttete Bauernland,das die sozialistische Revolution begonnen hat, muß einem militärischenRingen aus dem Wege gehen — solange man ihm, selbst um den Preisschwerster Opfer, aus dem Wege gehen kann —, gerade um die Möglich-keit zu bekommen, etwas Ernstes zu tun, sobald das „letzte entscheidendeGefecht" entbrennen wird.

Dieses Gefecht wird erst dann entbrennen, wenn die sozialistische Revo-

lution in den vorgeschrittenen imperialistischen Ländern ausbricht. Einesolche Revolution reift und erstarkt zweifelsohne mit jedem Monat, mitjeder Woche. Dieser heranreifenden Kraft muß man helfen. Man mußverstehen, ihr zu helfen. Man hilft nicht, sondern schadet ihr, wenn mandie benachbarte Sozialistische Sowjetrepublik zu einem Zeitpunkt, wo sieoffenkundig ohne Armee dasteht, der Vernichtung ausliefert.

Man darf die große Losung „Wir setzen auf den Sieg des Sozialismusin Europa" nicht zu einer Phrase machen. Das ist eine Wahrheit, wennman den langen und schwierigen Weg bis zum vollständigen Sieg des So-

zialismus im Auge ha t. Es ist eine unbes treitbare philosophisch-historischeWahrheit, wenn man die ganze „Ära der sozialistischen Revolution" inihrer Gesamtheit nimmt. Aber jede abstrakte Wahrheit wird zur Phrase,wenn man sie auf jede beliebige konkrete Situation anwendet. Unstreitig„lauert in jedem Streik die Hydra der sozialen Revolution". Es ist un-sinnig zu behaupten, man könne von jedem Streik sofort zur Revolutionübergehen. W enn wir „auf den Sieg des Sozialismus in Europa setzen" indem Sinne, vor dem Volke die Bürgschaft zu übernehmen, daß die euro-päische Revolution unbedingt in den nächsten paar Wochen ausbrechen

und siegen werde, unbedingt, bevor die Deutschen imstande sind, Petro-grad, Moskau, Kiew zu erreichen und unser Eisenbahnwesen „zu zerschla-gen", so handeln wir nicht wie ernste Revolutionäre und Internationalisten,sondern wie Ab enteurer.

Wenn Liebknecht die Bourgeoisie in zwei bis drei Wochen besiegt (dasist nicht ausgeschlossen), so wird er uns aus allen Schwierigkeiten heraus-helfen. Das ist unbestreitbar. Aber wenn wir unsere jetzige Taktik imKampf gegen den jetzigen Imperialismus auf die Hoffnung gründeten, daß

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50 TV. 7. Zenin

Liebknecht ganz bestimmt gerade in den nächsten Wochen siegen muß,

dann verdienten wir nur Spott. Wir würden die größten revolutionärenLosungen der Gegenwart zu einer revolutionären Phrase machen.

Genossen Arbeiter! Lernt aus den harten, aber nützlichen Lehren derRevolution! Bereitet euch ernstlich, angestrengt, unablässig vor auf dieVerteidigung des Vaterlands, auf die Verteidigung der Sozialistischen So-wjetrepublik!

„Trawda" lATr. 35 (Abendausgabe), "Naöj dem 7ext der „T'rawda".25.Tebruar 19 iS.

Unterschrift: Lenin.

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E N T W U R F E I N E S B E S C H L U S S E S

D E S R A T S D E R V O L K S K O M M I S S A R E

Ü B E R D I E E V A K U I E R U N G D E R R E G I E R U N G 2*

1. Als Regierungssitz ist Moskau zu wählen.2. Jede Behörde soll nur die Mindestzahl von leitenden M itarbeitern des

zentralen Verwaltungsapparats, nicht mehr als 20—30 Personen (plus Fa-milie), evakuieren.

3. Unter allen Umständen und sofort sind die Staatsbank, das Goldund die Staatspapierdruckerei zu evakuieren.

4. Es ist mit dem Abtransport der Moskauer W erte zu beginnen.

Qes&irieben am 26. 7ebruar 1918.

Zuerst veröffentlicht 1929 Jiad] dem Manuskript.im Lenin-Sammelband XL

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SELTSAMES UND UNGEHEUERLICHES

In einer am 24. Februar 1918 angenommenen Resolution sprach dasMoskauer Gebie tsbüro 2 5 unserer Partei dem Zentralkomitee sein Miß-trauen aus, lehnte es ab, sich denjenigen vom ZK gefaßten Beschlüssen zufügen, „die sich aus der Durchführung der Bedingungen des Friedensver-trages mit Österreich und Deutschland ergeben werden", und erklärte ineinem „erläuternden Text" zu der Resolution, daß es „die Spaltung derPartei in der nächsten Zeit für kaum abwendbar" halte.*

In alledem ist nicht nur nichts Ungeheuerliches, sondern auch nichts

Seltsames enthalten. Es ist ganz natürlich, daß Genossen, die in der Fragedes Separatfriedens in scharfem Gegensatz zum ZK stehen, das ZK scharfverurteilen und erklären, von der Unvermeidlichkeit der Spaltung über-zeug t zu sein. D as alles ist ein legitimes R echt der Pa rteimitglied er, das istdurchaus begreiflich.

Seltsam und ungeheuerlich aber ist folgendes. Der Resolution ist ein„erläuternder Text" beigelegt worden. Hier sein vollständiger Wortlaut:

„Das Moskauer Gebietsbüro hält die Spaltung der Partei in der näch-sten Zeit für kaum abwendbar und macht es sich zur Aufgabe, alle kon-

* H ier der vollständige Text der Resolution: „Nach Erörterung der Tätigkeitdes ZK drückt das Moskauer Gebietsbüro der SDAPR dem ZK wegen seinerpolitischen Linie und seiner Zusammensetzung sein Mißtrauen aus und wirdsich bei der ersten Gelegenheit für dessen Neuwahl einsetzen. Außerdem be-trachtet das M oskauer Gebietsbüro es nicht als seine Pflicht, sich um jeden Preisdenjenigen Beschlüssen des ZK zu fügen, die sich aus der Durchführung derBedingungen des Friedensvertrages mit Österreich und Deutschland ergebenwerden." Die Resolution wurde einstimmig angenommen.

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Seltsames und TAngeheuerlidhes 53

sequenten revolutionär-kommunistischen Elemente zusammenzufassen, die

in gleicher Weise sowohl gegen die Anhänger des Abschlusses eines Sepa-ratfriedens als auch gegen alle gemäßigten opportunistischen Elemente derPartei kämpfen. 3m Interesse der internationalen Revolution halten wir esfür zweckmäßig, es auf die Möglichkeit ankommen zu lassen, der Sowjet-macht, die jetzt rein formal wird, verlustig zu gehen. Wir sehen nach wievor unsere Hauptaufgabe in der Ausbreitung der Ideen der sozialistischenRevolution auf alle übrigen Länder und in der entschiedenen Durchfüh-rung der Arbeiterdiktatur, in der schonungslosen Unterdrückung der bür-gerlichen Konterrevolution in Rußland."

Wir haben hier die Worte hervorgehoben, die... seltsam und unge-heuerlich sind.In diesen Worten liegt der Angelpunkt.Diese Wo rte führen die ganze Linie der Resolutionsverfasser ad absur-

dum. Diese Worte enthüllen mit ungewöhnlicher Klarheit die Wurzelihres Fehlers.

„Im Interesse der internationalen Revolution ist es zweckmäßig, es aufdie Möglichkeit ankommen zu lassen, der Sowjetmacht verlustig zugehen..." Das ist seltsam, denn hier besteht nicht einmal ein Zusammen-

hang zwischen den Prämissen und der Schlußfolgerung. „Im Interesse derinternationalen Revolution ist es zweckmäßig, es auf eine militärische Nie-derlage der Sowjetmacht ankommen zu lassen" — eine solche These könnterichtig oder falsch sein, aber man könnte sie nicht als seltsam bezeichnen.Das zum ersten.

Zweitens: Die Sowjetmacht „wird jetzt rein formal". Das ist schonnicht mehr nur seltsam, sondern geradezu ungeheuerlich. Es ist klar, daßdie Verfasser hier in das Gestrüpp schlimmster Verworrenheit geratensind. Wir müssen die Sache entwirren.

In der ersten Frage besteht der Gedanke der Verfasser offenbar darin,es sei im Interesse der internationalen Revolution zweckmäßig, es auf dieMöglichkeit einer Niederlage im Kriege ankommen zu lassen, die zumVerlust der Sowjetmacht führt, d. h. zum Sieg der Bourgeoisie in Rußland.Mit diesem G edanken geben die Verfasser indirekt zu, daß es richtig war,was ich in den Thesen (vom 8. Januar 1918, veröffentlicht in der „Prawda"vom 24 . Februar 1918*) ausgesprochen habe, nämlich daß die Ablehnung~ * Siehe Werke, 4. Ausgabe, Bd. 26, S. 401-408, russ. Die Red.

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54 W. 1. Lenin

der uns von Deutschland vorgelegten Friedensbedingungen Rußland zur

Niederlage und zum Sturz der Sowjetmacht führen werde.Also, la raison finit toujours par avoir raison — die Wahrheit setzt sich

immer durch! M eine „extremen" Gegner , d ie M oskauer , d ie mit der Spal-tung drohen, mußten — gerade weil sie so weit gingen, offen von Spaltungzu sprechen — auch ihre konkreten Erwägungen bis zu Ende aussprechen,Erwägungen, wie sie von Leuten, die sich mit allgemeinen Phrasen vomrevolutionären Krieg herausreden, am liebsten umgangen werden. Derganze W esens kern meiner Thes en un d meiner Arg um ente (wie jeder sehenwird , der gewillt ist , meine These n vom 7. Jan uar 1918 aufmerksam durch-

zulesen) besteht in dem Hinweis darauf, daß es notwendig ist, den unge-heuer schweren Frieden jetzt, im gegebenen Augenblick, anzunehmen^gleichzeitig aber uns ernstlich auf einen revolutionären Krieg vorzuberei-

ten (und zwar ebenfalls gerade im Interesse einer solchen ernstlichen Vor-berei tung) . Den ganzen W esenskern m einer Argum ente haben diejenigenumgangen oder nicht bemerkt, nicht bemerken wollen, die sich auf allge-meine Phrasen vom revolutionären Krieg beschränkten. Und jetzt muß ichgerade meinen „extremen" Gegnern, den Moskauern, aus t iefstem Her-zen dafür danken, daß sie mit der „Verschwörung des Schweigens" über

das Wesen meiner Argumente Schluß gemacht haben. Die Moskauerhaben als erste auf sie geantwortet.

Und wie sah nun ihre Antwort aus?Die Antwort bestand in der Anerkennung der Richtigkeit meines kon-

kreten Arg um ents : jawohl, gaben die M oska uer zu,.uns steht wirklich eineNiederlage bevor, wenn wir jetzt den Kampf gegen die Deutschen auf-nehm en *. Jawo hl, diese Niederlage w ird wirklich zum S turz d er Sowjet-macht führen.

Noch und noch einmal: Ich bin meinen „extremen" Gegnern, den Mos-

kauern, von ganzem Herzen dankbar dafür, daß sie mit der „Verschwö-

* Auf den Gegeneinwand, daß man sowieso einen Kampf nicht umgehenkonnte, ist die Antwort durch die Tatsachen erteilt wo rden: am 8. Janu ar wur-den meine Thesen verlesen; am 15. Januar konnten wir Frieden haben. EineAtempause wäre ganz sicher gewesen (und für uns hatte auch die kürzesteAtempause gigantische Bedeutung, eine sowohl materielle als auch moralischeBedeutung, denn die Deutschen hätten ja einen neuen Krieg erklären müssen),,wenn... wenn nicht die revolutionäre Phrase gewesen wäre.

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Seltsames und lAngeheuerlidbes 55

rung des Schweigens" gegen das Wesen meiner Argumente, d. h. gegen

meinen konkreten Hinweis auf die Bedingungen des Krieges, für den Fall,daß wir ihn sofort aufnehmen, Schluß gemacht haben , und ebenso dafür,daß sie die Richtigkeit meines konkreten Hinweises furchtlos anerkannthaben.

Weiter. Worin besteht denn nun die Widerlegung meiner Argumente,die die Moskauer der Sache nach als richtig anzuerkennen gezwungenwaren?

In der Erklärung, man müsse es im Interesse der internationalen Revolu-tion auf die Preisgabe der Sowjetmacht ankommen lassen.

Warum machen die Interessen der internationalen Revolution das er-forderlich? Hier ist der Angelpunkt, hier ist das eigentliche Wesen derArgum entation für diejenigen, die meine Argumente w iderlegen möchten.Und gerade über diesen, den wichtigsten, den grundlegenden, den fun-damentalen Punkt ist weder in der Resolution noch in dem erläuterndenText auch nur ein einziges Wörtchen gesagt worden. Die Verfasser derResolution haben Zeit und Platz gefunden, um über allgemein Bekanntesund Unstrittiges zu sprechen — sowohl über die „schonungslose Unter-drückung der bürgerlichen Konterrevolution in Rußland" (etwa mit den

Mitteln und Methoden einer Politik, die zum Verlust der Sowjetmachtführt?) als auch über den Kampf gegen alle gemäßigten opportunistischenElemente in der Pa rtei, gerade darüber aber, was strittig ist, was den Kernder Auffassung der Friedensgegner betrifft — keine Silbe!

Seltsam. Außerordentlich seltsam. Haben die Verfasser der Resolutionnicht vielleicht deswegen Schweigen darüber bewahrt, weil sie sich in die-sem P unk t besonders schwach fühlten? Klar aussprechen warum (die In-teressen der internationalen Revolution erfordern das), würde wohl be-deuten, sich selbst zu entlarven...

W ie dem auch sein mag, wir müssen die Argumente sudben, von denensich die Verfasser der Resolution haben leiten lassen können.

Vielleicht sind die Verfasser der Meinung, daß die Interessen der inter-nationalen Revolution jeden wie immer gearteten Frieden mit Imperia-listen verbieten? Eine solche Auffassung ist von einigen Gegnern des Frie-dens in einer Petrograde r Beratung vertreten w orden, wurde aber n ur voneiner verschwindenden Minderheit derjenigen unterstützt, die sich gegenden Separatfrieden wandten.26 Es ist klar, daß diese Auffassung dazu

5 Lenin, We r ke , Bd. 27

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56 W. % Centn

führt, die Zweckmäßigkeit der Brester Verhandlungen zu leugnen und

den Frieden abzulehnen, „selbst" wenn Polen, Lettland und Kurland zu-rückgegeben werden. Die Unrichtigkeit derartiger Ansichten (die beispiels-weise von der Mehrheit der Petrograder Friedensgegner abgelehnt wer-den) springt ins Auge. Nach diesen Auffassungen könnte eine sozialistischeRepublik, die von imperialistischen M ächten umgeben ist, überhaupt keineWirtschaftsverträge schließen, sie könnte nicht existieren, es sei denn aufdem Mond.

Vielleicht sind die Verfasser der Meinung, die Interessen der internatio-nalen Revolution erforderten es, daß man sie anpeitsfht, und daß nur der

Krieg ein solches Anpeitschen sein kann, auf keinen Fall der Frieden, derimstande wäre, bei den Massen den Eindruck zu erwecken, als ob derImperialismus „legitimiert" werden solle? Eine solche „Theorie" wäre einvölliger Bruch mit dem Marxismus, denn dieser hat stets das „Anpeit-schen" von Revolutionen abgelehnt, die sich in dem Maße entwickeln,wie die Klassengegensätze, die Revolutionen hervorrufen, immer größereSchärfe gewinnen. Eine solche Theorie w äre gleichbedeutend m it der Auf-fassung, der bewaffnete Aufstand sei eine Kampfform, die stets und unterallen Umständen obligatorisch wäre. Tatsächlich erfordern die Interessen

der internationalen Revolution, daß die Sowjetmacht, die die Bourgeoisieihres Landes gestürzt hat, dieser Revolution helfe, daß sie aber die formihrer Hilfe entsprechend ihren Kräften wähle. Da ß man der sozialistischenRevolution im internationalen Maßstab hilft, wenn man es auf die Mög-lichkeit einer Niederlage dieser Revolution in dem betreffenden Landeankommen läßt — eine solche Auffassung ergibt sich nicht einmal aus derTheorie des Anpeitschens.

Vielleicht sind die Verfasser der Resolution der Meinung, daß die Revo-lution in Deutschland bereits begonnen habe , daß sie do rt bereits in einen

offenen, die ganze Nation erfassenden Bürgerkrieg übergegangen sei, daßwir deshalb unsere Kräfte für die Unterstützung der deutschen Arbeitereinsetzen müßten, daß wir selber untergehen müßten („Verlust der Sowjet-macht"), um die deutsche Revolution zu retten, die bereits ihren entschei-denden Kampf begonnen habe und schweren Schlägen ausgesetzt sei? Vondiesem Standpunkt aus würden wir mit unserem U ntergang einen Teil derKräfte der deutschen Konterrevolution ablenken und damit die deutscheRevolution re tten.

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Seltsames und TAngeheuerlidies 57

Durchaus denkbar wäre, daß es unter solchen Voraussetzungen nicht

nur „zweckmäßig" (wie sich die Verfasser der. Resolution ausdrückten),sondern geradezu unerläßlich ist, es auf die Möglichkeit einer Niederlageund auf die Möglichkeit des Verlustes der Sowjetmacht ankommen zu las-sen. Es ist jedoch klar, daß diese Voraussetzungen nicht gegeben sind. Diedeutsche Revolution reift heran, aber es ist in Deutschland offenkundignoch nicht bis zum Ausbruch der Revolution, bis zum Bürgerkrieg ge-kommen. Wenn wir „es auf die Möglichkeit, der Sowjetmacht verlustigzu gehen, ankommen ließen", so würden wir das Ausreifen der deutschenRevolution keineswegs fördern, sondern hindern. Wir würden damit der

deutschen Reaktion helfen, würden ihr in die Hände arbeiten, würden diesozialistische Bewegung in Deutschland erschweren, würden breite Massender Proletarier und Halbproletarier Deutschlands, die noch nicht zumSozialismus übergegangen sind, vom Sozialismus abstoßen, denn sie wür-den durch die Niederschlagung Sowjetrußlands ebenso eingeschüchtertwerden, wie die englischen Arbeiter eingeschüchtert wurden durch dieNiederschlagung der Kommune im Jahre 1871.

Wie man es auch drehen und wenden mag, Logik ist in den Betrach-tungen des Verfassers nicht zu finden. Vernünftige Argumente dafür, daß

es „im Interesse der internationalen Revolution zweckmäßig ist, es auf dieMöglichkeit ankommen zu lassen, der Sowjetmacht verlustig zu gehen",gibt es nicht.

„Die Sowjetmacht wird jetzt rein formal" — das ist die ungeheuerlicheBehauptung, zu der sich, wie wir gesehen haben, die Verfasser der Mos-kauer Resolution verstiegen haben.

Erlegen uns die deutschen Imperialisten einen Tribut auf, verbieten sieuns die Propaganda und A gitation gegen Deutschland, so verliere auch dieSowjetmacht ihre Bedeutung, so „wird sie rein formal" — das ist wahr-

scheinlich der „Gedankengang der Verfasser der Resolution. Wir sagen„wahrscheinlich", denn die Verfasser haben nichts Klares und Genauesvorgebracht, was die fragliche These stützen könnte.

Eine Stimmung tiefsten, ausweglosen Pessimismus, ein Gefühl völligerVerzweiflung — das bildet den Inhalt der „Theorie" von der angeblichformalen Bedeutung der Sowjetmacht und der Zulässigkeit einer Taktik,die es auf die Möglichkeit ankommen läßt, der Sowjetmacht verlustig zugehen. Es gibt sowieso keine Rettung, also möge sogar auch die Sowjet-

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58 TV. 1. Cenin

macht untergehen — dieses Gefühl hat die ungeheuerliche Resolution dik-

tiert. Die angeblich „ökonomischen" Argumente, in die man solche Gedan-ken mitunter kleidet, laufen auf denselben ausweglosenPessimismus hinaus:was wäre denn das für eine Sowjetrepublik, wenn man ihr so einen Tribu t,und so einen zweiten, und dann noch so einen auferlegen kann!

Nichts als Verzweiflung: untergehen werden wir so oder so!Das ist ein Gefühl, das in der ungeheuer schweren Lage, in der sich

Rußland befindet, begreiflich ist. „Begreiflich" jedoch nicht bei bewußtenRevolutionären. Charakteristisch ist es gerade, weil es die Auffassungender Moskauer ad absurdum führt. Die Franzosen von 1793 würden nie-

mals gesagt haben, daß ihre Errungenschaften, die Republik und der De-rnokratismus, rein formal werden, daß man es auf die Möglichkeit an-kommen lassen müsse, der Republik verlustig zu gehen. Sie waren nichtvon Verzweiflung, sondern von Glauben an den Sieg erfüllt. Jedoch zumrevolutionären Krieg auffordern und gleichzeitig in einer offiziellen Reso-lution davon sprechen, man wolle es „auf die Möglichkeit, der Sowjet-macht verlustig zu gehen, ankommen lassen", heißt sich restlos entlarven.

Preußen und eine Reihe anderer Länder hatten zu Beginn des 19. Jahr-hunderts, zur Zeit der Napoleonischen Kriege, unvergleichlich, unermeß-

lich größere Bürden und Lasten der Niederlage, der Eroberung, der Ernied-rigung, der Unterdrückung durch den Eroberer zu erdulden als Rußland1918. Und dennoch sind die besten Männer Preußens, als sie von Napo-leon hundertmal stärker unter den Militärstiefel getreten w urden, als manuns jetzt treten konnte, nicht verzweifelt und haben nicht von „rein for-maler" Bedeutung ihrer nationalen politischen Einrichtungen gesprochen.Sie zuckten nicht mit den Achseln, überließen sich nicht dem Gefühl, „so-wieso unterzugehen". Sie unterzeichneten unermeßlich viel schwerere, be-stialischere, schändlichere, drückendere Friedensverträge, als es der Brester

ist, sie verstanden dann abzuwarten, ertrugen standhaft das Jodi des Er-oberers, führten abermals Krieg, gerieten abermals unter das Joch desEroberers, unterzeichneten abermals schmachvolle und immer schmach-vollere Friedensverträge, erhoben sich wieder und befreiten sidh zu guterLetzt (nicht ohne die Zwistigkeiten zwischen den stärkeren Eroberern, diemiteinander konkurrierten, ausgenutzt zu haben).

Warum könnte sich etwas Ähnliches nicht in unserer Geschichte wie-derholen?

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Seltsames und Ungeheuerliches 59

Warum müssen wir in Verzweiflung geraten und Resolutionen schrei-

ben — Resolutionen, die weiß Gott schändlicher sind als der schändlichsteFrieden —, Resolutionen, die besagen, daß „die Sowjetmacht rein formalwird"?

Warum sollen die überaus schweren militärischen Niederlagen imKampfe gegen die Kolosse des modernen Imperialismus nicht auch in Ruß-land imstande sein, den Volkscharakter zu stählen, die Selbstdisziplin zustraffen, Prahlerei und Phrasendrescherei auszuräuchern, Ausdauer zulehren, die Massen zu der richtigen Taktik der Preußen , die von Napoleonerdrückt wurden, zu bringen: unterzeichne die schändlichsten Friedens-

verträge, wenn du keine Armee hast, sammle deine Kräfte und erhebedich dann wieder und immer wieder?

W aru m m üssen wir gleich bei dem ersten unerhört schweren Friedens-vertrag in Verzweiflung geraten, wenn andere Völker es verstanden haben,auch schlimmere Heimsuchungen standhaft zu ertragen?

Ist es die Standhaftigkeit des Proletarie rs, der weiß , daß man sich fügenmuß, wenn man keine Kräfte hat, und es dann nichtsdestoweniger, trotzalledem, versteht, sich immer wieder zu erheben, unter allen UmständenKräfte zu sammeln — ist es die Standhaftigkeit des Proletariers, die d ieser

Verzweiflungstaktik entspricht, oder die Charakterlosigkeit des Klein-bürgers, der bei uns in Gestalt der Partei der linken Sozialrevolutionäreden Rekord in Phrasen vom revolutionären K rieg geschlagen ha t?

Nein, meine werten „extremen" Moskauer Genossen! Jeder Tag derPrüfungen wird gerade die klassenbewußtesten und standhaftesten Arbei-ter von euch abstoßen. Sie werden sagen, daß die Sowjetmacht nicht reinformal »'st noch werden wird, weder dann, wenn der Eroberer in Pskowsteht und uns einen Zehnmilliardentribut in Getreide, Erz und Geld auf-erlegt, noch dann, wenn der Feind in Nishni-Nowgorod und in Rostow

am Don stehen und uns einen Zwanzigmilliardentribuf auferlegen wird.Niemals wird irgendeine ausländische Eroberung eine vom Volke ge-

tragene politische Einrichtung (die Sowjetmacht aber ist nicht nur einepolitische Einrichtung, die viel, viel höher steht als alles, was die Geschichtejemals gekann t hat) „rein formal" machen. Im Gegenteil, eine ausländischeEroberung wird die Sympathien des Volkes für die Sowjetmacht nur stär-ken, wenn s i e .. . wenn sie sich nicht auf Abenteuer einläßt.

W enn man keine Arm ee hat, so ist die Weigerung, einen schmachvollen

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60 TV. 7. Centn

Frieden zu unterzeichnen, ein Abenteuer, und das Volk ist berechtigt, eine

Regierung, die das verweigert hat, anzuklagen.Es ist in der Geschichte vorgekommen, daß ein unermeßlich schwererer

und schändlicherer Frieden, als es der Brester ist, unterzeichnet wurde (Bei-spiele siehe oben), und das hat nicht dazu geführt, daß die Staatsmachtihr Prestige einbüßte, hat sie nicht formal gemacht, hat weder die Staats-macht noch das Volk zugrunde gerichtet, hat vielmehr das Volk gestählt,das Volk in der schweren und komplizierten Wissenschaft unterwiesen,eine ernst zu nehmende Armee selbst in einer verzweifelt schwierigen Lage

unter dem Militärstiefel eines Eroberers zu schaffen.

Rußland geht einem neuen Krieg, einem wirklich vaterländischen Kriegentgegen, einem Krieg für die Erhaltung und Festigung der Sowjetmacht.Es ist möglich, daß eine andere Epoche — wie es die Epoche der Napoleo-nischen Kriege war — eine Epoche der Befreiungskriege (der K riege, undnicht nur eines Krieges) sein wird, die Sowjetrußland von den Eroberernaufgezwungen werden. Das ist möglich.

Schändlicher daher als irgendein schwerer, entsetzlich schwerer Frieden,den man uns vorschreiben kann , weil wir keine Armee haben, schändlicherals jeder beliebige Schandfrieden — ist schändliche Verzweiflung. Selbst

infolge eines Dutzends überaus schwerer Friedensverträge werden wirnicht untergehen, wenn wir den Aufstand und den Krieg ernst nehmen.Wir werden nicht von der Hand der Eroberer untergehen, wenn wir unsnicht von Verzweiflung und Phrasen zugrunde richten lassen.

„Vrawda" "Nr. 37 und 38, Nadb dem 7ext der „Vrawda".28. Februar und i. Mär z i9i8.Unterschrift: ?<!. Lenin.

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A U F S A C H L I C H E R B A S I S

Der revolutionäre Aufschwung, hervorgerufen durch den verräterischenVormarsch der deutschen Weißgardisten gegen die russische Revolution,ist eine Tatsache. Von überallher wird telegrafiert, daß man bereit ist, sichzur Verteidigung der Sowjetmacht zu erheben und bis zum letzten Mannzu kämpfen. Eine andere Haltung zur eigenen Arbeiter- und Bauernmachtwar auch nicht zu erwarten.

Aber Enthusiasmus allein genügt nicht, um einen Krieg gegen einenGegner wie den deutschen Imperialismus zu führen. Größte Naivität, ja

sogar ein Verbrechen wäre eine leichtfertige Einstellung zum gegenwär-tigen, ernsten, hartnäckigen, blutigen Krieg.Einen Krieg muß man richtig führen oder überhaupt nicht. Einen Mit-

telweg kann es hier nicht geben. Da die deutschen Imperialisten uns denKrieg aufzwingen, ist es unsere heilige Pflicht, unsere Lage nüchtern ein-zuschätzen, die Kräfte festzustellen und den Wirtschaftsmechanismus zuprüfen. Alles das muß mit der in Kriegszeiten notwendigen Schnelligkeitgetan werden, denn in unserer jetzigen Lage kommt jede Verzögerungwahrhaftig „dem Tod gleich". Hannibal vor den Toren! — das dürfen wir

keinen einzigen Augenblick vergessen.Um den Krieg ridhtig zu führen, braucht man ein festes, organisiertes

Hinterland. Die beste Armee, die der Sache der Revolution ergebenstenMenschen werden vom Gegner sofort vernichtet werden, wenn sie nichtgenügend bewaffnet, verpflegt und ausgebildet sind. Das ist so klar, daßes keiner Erläuterung bedarf.

In welchem Zustand befindet sich das Hinterland unserer revolutio-nären Armee? In dem traurigsten — um nicht mehr zu sagen. Durch den

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62 W. 7. Lenin

vorangegangenen Krieg ist unser Verkehrswesen vollends lahmgelegt, der

Warenaustausch zwischen Stadt und Land zerrüttet worden, was direktund unmittelbar Hungersnot in den großen Städten zur Folge hat.

Unter den Schlägen des Feindes nimmt unsere Armee eine völlig durch-greifende Umstellung vor. Die alte Armee, die die Bedingungen der Krieg-führung unter modernen Verhältnissen kannte, besteht nicht mehr. Durchden vorangegangenen Krieg völlig erschöpft, von den dreieinhalb Jahrenim Schützengraben tödlich ermattet, ist sie in militärischer Hinsicht gleichNull. Die Rote Armee hat bestimmt ein prächtiges Kampfmaterial, aberein rohes, unbearbeitetes Material. Damit sie nicht zum Kanonenfutter

für die deutschen Geschütze werde, muß man sie ausbilden und diszi-plinieren.

Wir stehen vor kolossalen Schwierigkeiten. Alle örtlichen Sowjets müs-sen sofort, gleich nach Absendung des Telegramms über die Bereitschaft,gegen den äußeren Feind zu kämpfen, mitteilen, wieviel Waggons Ge-treide nach Petrograd abgesandt worden sind, wieviel Truppen sie sofortan die Front schicken können, wieviel Rotarmisten militärisch ausgebildetwerden. Sämtliche Waffen und Munitionsvorräte müssen registriert underfaßt werden. Die Herstellung neuer Waffen und Geschosse ist sofort

wiederaufzunehmen. Die Eisenbahnen sind von Hamsterern und Rowdyszu säubern, überall muß die strengste revolutionäre Disziplin hergestelltwerden. Nur wenn man alle diese Bedingungen einhält, kann man ernst-lich von Krieg reden. Sonst wird alles Gerede vom „revolutionärstenKrieg" zur Phrase. Und Phrasen sind immer schädlich, ja im gegenwär-tigen kritischen Augenblick können sie eine verhängnisvolle Rolle spielen.

Ich bin tief überzeugt, daß unsere Revolution mit den kolossalen augen-blicklichen Schwierigkeiten fertig werden wird. Sie hat bereits eine gran-diose Arbeit vollbracht, um aber unser Werk erfolgreich zu beendigen,

müssen wir unsere Energie verhundertfachen.N ur dann werden wir siegen.

„Prawda" 9Vr. 38, . "Naäi dem Jexf der „Prawda".1. März 1918.

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E N T W U R F

E I N E S B E F E H L S A N A L L E D E P U T I E R T E N S O W J E T S 2 7

Wir nehmen an, daß morgen, den 3. III., der Frieden unterzeichnetwird, doch geben uns Meldungen unserer Vertreter im Zusammenhangmit den gesamten Umständen Veranlassung zu der Befürchtung, daß beiden Deutschen in den nächsten Tagen die Befürworter des Krieges gegenRußland die Oberhand gewinnen werden. Deshalb der unbedingte Befehl:die Demobilisierung der Rotarmisten h inziehen; die Sprengung der Eisen-bahnstrecken, Brücken und Chausseen stärker vorbereiten; die Abteilun-gen sammeln und bewaffnen; die Evakuierung beschleunigt fortsetzen;

die Waffen ins Innere des Landes abtransportieren.

Der Vorsitzende des Rats der VolkskommissareW. Wjanow [Lenin)

Qesdhrieben am 2. März i9l8.

Zuerst verö ffentlicht 1929 "Nadb dem Manuskript.im £enin-Sammelband XI.

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E I N E E R N S T E L E H R E

U N D E I N E E R N ST E V E R A N T W O R T U N G

Unsere jammervollen „Linken", die gestern mit einer eigenen Zeitung„Kommunist"28 (man sollte hinzufügen: Kommunist der vormarxschenEpoche) hervorgetreten sind, wollen sich der Lehre und den Lehren derGeschichte entziehen, drücken sich vor der Verantwortung.

Vergebliche Fisimatenten! Es wird ihnen nicht gelingen, sich zu drücken.Die Leute überschlagen sich schier, füllen die Zeitungsspalten mit zahl-

losen Artikeln und m ühen sich im Schweiße ihres Angesichts ab ; sie sparen„nicht einmal" mit Druckerschwärze, um die „Theorie" von der „Atem-

pause" als eine unhaltbare und schlechte „Theorie" hinzustellen.Aber ach! Ihre Bemühungen sind nicht imstande, Tatsachen umzusto-ßen. Tatsachen sind ein hartnäckig Ding, wie es mit Recht in einem eng-lischen Sprichwort heißt. Tatsache ist, daß wir seit dem 3. März, wo dieDeutschen um 1 Uhr mittags die militärischen Operationen einstellten,und bis zum 5. März, 7 Uhr abends, wo ich diese Zeilen schreibe, eineAtempause haben und uns diese zwei Tage bereits zunutze gemacht habenfür eine tatkräftige (nicht in Phrasen, sondern in Taten sich äußernde)Verteidigung des sozialistischen Vaterlands. Das ist eine Tatsache, die mit

jedem Tag für die Massen immer offenkundiger werden wird. Es ist eineTatsache, daß in dem Augenblick, wo die zur Kriegführung unfähige Feld-armee panisch flieht, Geschütze im Stiche läß t und nicht einmal Zeit finde t,um die Brücken zu sprengen, die Verteidigung des Vaterlands und die'Hebung seiner Wehrkraft nidit in Geschwätz vom revolutionären Kriegbesteht (einem Geschwätz, das angesichts der panischen Flucht der A rmee,von der die Anhänger des revolutionären Kriegs keine einzige Abteilungzurüdkgehalten haben, einfach eine Schande ist), sondern in geordnetem

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Eine ernste Lehre und eine ernste Verantwortung 65

Rückzug zwecks Rettung der Überreste der Armee, in der Ausnutzung

eines jeden Tages der Atempause für diesen Zweck.Tatsachen sind ein hartnäckig Ding.Unsere jammervollen „Linken", die sich vor den Tatsachen, vor den

Lehren der Tatsachen, vor der Verantw ortung drücken, suchen dem Leserdie jüngste, ganz frische, historisch bedeutsame Vergangenheit zu ver-heimlichen und sie mit Berufung auf längst Vergangenes und Unwesent-liches zu vertuschen. Ein Beispiel: K. Radek erinnert in seinem Artikeldaran , daß er im Deze mber (im Dezem ber!) geschrieben habe, man müsseder Armee helfen, sich zu halten, daß er darüber „in einem M emorandum

an den Rat der Volkskommissare" geschrieben habe. Ich hatte nicht dieMöglichkeit, dies Schriftstück zu lesen, und ich frage mich: Weshalb ver-öffentlicht Karl Radek es nicht vollständig? Weshalb erklärt er nicht klippund klar, was er denn damals unter einem „Kompromißfrieden" verstan-den hat? Weshalb erinnerte er sich nicht der näheren Vergangenheit, alser in der „Prawda" von seiner Illusion (der allerschlimmsten) sprach, eswerde möglich sein, einen Frieden mit den deutschen Imperialisten unterder Bedingung der Rückgabe Polens abzuschließen?

Weshalb?

Deshalb, weil die jammervollen „Linken" gezwungen sind, die Tat-sachen zu vertuschen, die ihre, der „Linken", Verantwortung für die Ver-breitung von Illusionen enthüllen, die praktisch den deutschen Imperia-listen geholfen und das Heranwachsen und die Entwicklung der Revolutionin Deutschland behindert haben.

N . Bucharm sucht jetzt sogar die Tatsache zu bestreiten, daß er undseine Freunde behauptet haben, der Deutsche werde nicht angreifen kön-nen. Aber sehr, sehr viele wissen, daß dies eine Tatsache ist, daß Bucharinund seine Freunde das behauptet haben, daß sie durch die Verbreitung

einer solchen Illusion dem deutschen Imperialismus geholfen und dasHeranwachsen der deutschen Revolution behindert haben, die jetzt da-durch geschwächt worden ist, daß der großrussischen Sowjetrepublik beider panischen Flucht der Bauernarmee Tausende und aber Tausende Ge-schütze, Reichtümer im Wert von Hunderten und aber Hunderten Mil-lionen weggenommen worden sind. Ich hatte das in den Thesen vom7. Januar klipp und klar vorausgesagt.* W enn N . Bucharin jetzt zur „ Ver-

* Siehe Werke, 4 . Ausgabe, Bd. 26, S. 40 1-4 08; russ. Die Red.

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66 W. 1. Lenin

leugnung" gezwungen ist, um so schlimmer für ihn. Jeder, der sich der

Worte Bucharins und seiner Freunde, den Deutschen sei eine Offensiveunmöglich, erinnert, wird darüber die Achseln zucken, daß N. Bucharinseine eigenen Worte „verleugnen" mußte.

Wer sich ihrer aber nicht erinnert, wer sie nicht gehört hat, den ver-weisen wir auf ein Dokument, das jetzt ein klein wenig wertvoller, inter-essanter und lehrreicher ist als die Schreibereien K. Radeks vom Dezem-ber. Dieses Dokument, das die „Linken" leider ihren Lesern verheimlichthaben, das sind die Resultate (erstens) der Abstimmungen vom 21. Januar1918 in der Beratung des ZK unserer Partei zusammen mit der jetzigen

„linken" Opp osition und (zweitens) der Abstimmung des ZK vom 17. Fe-bruar 1918.

Als am 21. Januar 1918 die Frage behandelt wurde, ob man die Ver-handlungen mit den Deutschen sofort abbrechen solle, da stimmte (vonden Mitarbeitern des pseudolinken „Kommunist") nur Stukow dafür.Alle übrigen waren dagegen.

Bei der Frage, ob die Unterzeichnung eines Annexionsfriedens zulässigsei, wenn die Deutschen die Verhandlungen abbrechen oder ein Ultimatumstellen, stimmten nur Obolenski (wann werden „seine" Thesen veröffent-

licht werden? weshalb schweigt der „Kommunist" über sie?) und Stukowdagegen. Alle übrigen stimmten dafür.

Bei der Frage, ob man in einem solchen Fall den angebotenen Frie-den unterzeichnen müsse, stimmten nur Obolenski und Stukow dagegen,die übrigen „Linken" enthielten sidh der Stimme!! Das ist eine Tat-sache.

Als am 17. Februar 1918 die Frage behandelt wurde, wer für den revo-lutionäre n Krieg sei, lehnten Bucharin und Lomow es ab , „angesichts einersolchen Fragestellung an der Abstimmung teilzunehmen". Dafür stimmte

niemand. Das ist eine Tatsache!Bei der Frage, ob man „mit der Wiederaufnahme der Friedensverhand-

lungen so lange warten solle, bis die deutsche Offensive in genügendemMaße (buchstäblich so!) in Erscheinung treten und ihr Einfluß auf diedeutsche Arbeiterbew egung sich zeigen we rde ", stimmten von den jetzigenMitarbeitern der „linken" Zeitung dafür Bucharin, Lomow und Urizki.

Bei der Frage, „ob wir Frieden schließen, wenn die deutsche Offensivezur Tatsache wird, der revolutionäre Aufschwung in Deutschland und

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Eine ernste Lehre und eine ernste Verantwortung 67

Österreich aber nicht einsetzt", enthielten sich Lomow, Buchar inund

Urizki der Stimme.Tatsachen sind ein hartnäckig Ding. Die Tatsachen aber besagen, daßBucharin eine deutsche Offensive für un möglich ge halten, d aß e r Illusionengesät hat, womit er prdktisdb, gegen seinen eigenen Wunsch, den deut-schen Imperialisten geholfen, das Heranwachsen der deutschen Revolutionbehindert hat. Eben das ist das Wesen der revolutionären Phrase. Erwollte in ein Zimmer und geriet in ein anderes.

N . Bucharin wirft mir vor, daß ich die Bedingungen des jetzigen Frie-dens nicht konkret analysiere. Es ist aber nicht schwer zu verstehen, daß

das für meine Argumentation und dem Wesen der Sache nach gar nichtnotwe ndig wa r u nd nicht notw endig ist. Es genügte der Beweis, daß es füruns nur ein wirkliches, nicht zusammenphantasiertes Dilemma gibt: Ent-weder solche Bedingungen, die uns wenigstens auf einige Ta ge eine Atem -pause gewä hren, ode r die Lage Belgiens un d Serbiens. U nd das hat Bucha-rin nicht einmal für Petrograd widerlegt. Das hat sein Kollege M. N. Po-krowski zugegeben.

Daß aber die neuen Bedingungen schlimmer, schwerer, erniedrigendersind als die schlimmen, schweren und erniedrigenden Brester Bedingungen,

daran tragen die Sdhuld gegenüber der großen Sowjetrepublik Rußlandunsere jammervollen „Cinken" Bucharin, Lomow, Urizki und Konsorten.Das ist eine geschichtliche Tatsache, die durch die obenerwähnten Ab-stimmungen bewiesen ist. Diese Tatsache läßt sich durch keinerlei Aus-flüchte aus der Welt schaffen. Man gab Ihnen die Brester Bedingungen, Sieaber antworteten darauf mit Aufschneiderei und Schwadronage und ver-

sdhledhterten die Bedingungen. Das ist eine Tatsache. Und die Verant-wortung dafür werden Sie nicht von sich abwälzen können.

In meinen The sen vom 7 . Jan uar 1918 habe ich m it voller Klarheit vor-

ausgesagt, daß infolge des Zustands unserer Armee (dem mit Phrasen-drescherei „gegen" die ermüdeten Bauernmassen nicht abgeholfen werdenkonnte) Rußland einen schlechteren Separatfrieden wird schließen müs-

sen, wenn es den Brester Frieden nicht annimmt.

Die „Linken" sind der russischen Bourgeoisie in die Falle gegangen, diees nötig hatte, uns in einen Krieg zu verwickeln, der für uns am ailer-

ungünstigsten ist.

Daß die „linken Sozialrevolutionäre" dadurch, daß sie für einen

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sofortigen Krieg eintreten, offenkundig in Gegensatz zur Bauernschaft ge-

raten sind, ist eine Tatsache. Und diese Tatsache spricht dafür, daß diePolitik der linken Sozialrevolutionäre unernst ist, ebenso wie die scheinbar„revolutionäre" Politik aller Sozialrevolutionäre im Sommer 1917 un-ernst war.

Daß die klassenbewußtesten und fortgeschrittensten Arbeiter den Rausch

der revolutionären Phrase rasch überwinden, zeigt das Beispiel Petrogradsund M oskaus. In Petrograd sind die besten Arbeiterbezirke, der Wiborgerund der Bezirk Wassiljewski-Ostrow, bereits zur Besinnung gekommen.Der Petrograder Sowjet der Arbeiterdeputierten ist nicht für einen so -

fortigen Krieg, er hat begriffen, daß man ihn vorbereiten muß, und be-reitet ihn auch vor.29 In Moskau haben in der Stadtkonferenz der Bolsche-wiki am 3. und 4. März 1918 bereits die Gegner der revolutionären Phrase .gesiegt.30

Bis zu welchen ungeheuerlichen Selbstverblendungen sich die „Linken"verstiegen haben, ersieht man aus einem Satz in Pokrowskis Artikel, indem es heiß t: „Wenn man Krieg führen will, so muß man ihn jetzt füh-ren" (hervorgehoben von Pokrowski), „...wo" — hört, hört! — „die rus-sische Armee, einschließlich der neugebildeten Truppenteile, noch nicht

demobilisiert ist."W er über Tatsachen nicht einfach hinweggeht, der weiß, daß das g rößte

"Hindernis für einen Widerstand gegen die Deutschen sowohl in Groß-rußland als auch in der Ukraine und in Finnland im Februar 1918 unserenidbt demobilisierte Armee war. Das ist eine Tatsache. Denn sie konntenicht anders als panikartig flüchten und riß dabei die Rotarmistenabtei-lungen mit sich.

W er aus den Lehren der Geschichte lernen will, sich nicht vor der Ver-antwortung für diese Lehren drücken will, nicht über sie hinweggehen

will, der w ird sich, sagen wir, der Kriege Napoleons I. gegen Deutschlanderinnern.

Preußen und Deutschland haben viele Male m it dem Eroberer zehnfad)drückendere und emiedrigendere (als unsere) Friedensverträge abgeschlos-sen, mußten sogar eine fremdländische Polizei anerkennen, m ußten sichsogar verpflichten, ihre Truppen zu stellen, damit diese die Eroberungs-feldzüge Napoleons I. unterstützten. In seinen Verträgen mit Preußen un-terjochte und zerstückelte Napoleon I. Deutschland zehnmal so sehr, wie

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Eine ernste Lebte und eine ernste Verantwortung 69

Hindenburg und Wilhelm jetzt uns niedergedrückt haben. Und nichts-

destoweniger fanden sich in Preußen Männer, die nicht schwadronierten,sondern e rz„schändliche" Friedensverträge unterzeichneten, sie unterzeich-neten, weil sie keine Armee hatten, zehnmal so drückende und erniedri-gende Bedingungen unterzeichneten, sich dan n ab er trotzdem zum Auf-stand und zum K rieg erhoben . So war es nicht einmal, sondern viele M ale.Die Geschichte kennt m ehrere solche Friedensverträge u nd m ehre re solcheKriege. Mehrere Fälle von Atempause. Mehrere neue Kriegserklärungendes Eroberers. Mehrere Fälle des Bündnisses einer unterdrückten Nationmit einer Unterdrückernation, die der Konkurrent des Eroberers und eine

ebensolche Eroberernation war (den Anhängern des „revolutionären Krie-ges" ohne Annahme einer Unterstützung von den Imperialisten zurKenntnis!).

So verlief die Geschichte.So war es. So wird es sein. Wir sind in die Epoche einer Reihe von

Kriegen eingetreten. Wir gehen einem neuen vaterländischen Krieg ent-gegen. W ir gehen ihm entgegen unter den Bedingungen einer h eranreifen-den sozialistischen Revolution. Und auf diesem schweren Wege werdendas russische Proletariat und die russische Revolution sich vom Schwadro-

nieren, von der revolutionären Phrase befreien, werden es verstehen, auchdie allerdrückendsten Friedensverträge anzunehmen und sich von neuemzu erheben.

Wir haben einen 7ilsiter frieden geschlossen. Wir werden auchzu unse rem Sieg gelangen, zu unserer Befreiung, ebenso wie die Deutschennach dem Tilsiter Frieden von 1807 ihre Befreiung von Napoleon in denJahren 1813 und 1814 erlangt haben. Der Zeitraum, der unseren TilsiterFrieden von unserer Befreiung trennt, wird wahrscheinlich kürzer sein,denn die Geschichte schreitet schneller voran.

Nie der mit dem Schwadronieren ! Für ernste Arbe it, Disziplin und O rga-nisation!

Qesdbrieben am S.März i9is.

Veröffentlicht am 6. März i9l8 Wacfo dem Manuskript.in der „Prawda" 5Vr. 42 .Unterschrift: 5V. £enin.

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SIEBENTER PARTEITAG DER KPR(B)S1

6.-8 . März 1918

Zuerst vollständig veröffentlicht 1923 Nad dem Text des Buches „Pro-in dem Buch „ Siebenter Parteitag der tokolle der Parteitage und JCon-Xomm unistisdhen Partei Rußlands. ferenzen der XPdSU (B) — Sie-Stenografisdher Bericht. 6.—8. "März I9i8". benter Parteitag. Mä rz 1918",

1928, verglichen mit dem Steno-gramm und dem Hext der Aus-gabe von 1923.

6 Lenin, W erke, Bd. 27

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REFERAT ÜBER KRIEG UND FRIEDEN7. MÄRZ

Der politische Bericht könnte aus einer Aufzählung der Maßnahmendes ZK bestehen, aber zur Zeit ist nicht ein solcher Bericht notwendig,sondern ein Abriß unserer Revolution in ihrer G esamtheit; nur ein solcherÜberblick kann die einzige marxistische Begründung für alle unsere Be-schlüsse liefern. Wir müssen den ganzen bisherigen Entwicklungsgang derRevolution untersuchen und klären, w arum ihre weitere Entwicklung sichgeändert hat. In unserer Revolution haben wir Wendepunkte, die für dieinternationale Revolution von gewaltiger Bedeutung sein werden — näm-lich die Oktoberrevolution.

Die ersten Erfolge der Februarrevolution waren dadurch bedingt, daßdem Proletariat nicht nur die Bauernmasse, sondern auch die Bourgeoisiefolgte. Daher die Leichtigkeit des Sieges über den Zarismus, den wir imJahre 1905 nicht zu erringen vermochten. Die eigenmächtige, spontaneSchaffung von Sowjets der Arbeiterdeputierten in der Februarrevolutionwiederholte die Erfahrungen von 1905 — wir hatten die Aufgabe, dasPrinzip der Sowjetmacht zu proklamieren. Die Massen lernten auf Grundihrer eigenen Kampferfahrungen die Aufgaben der Revolution verstehen.

Die Ereignisse vom 20. und 21. April waren eine eigenartige Kombinationvon Demonstration und einer Art bewaffneten Aufstands. Das genügtezum Sturz der bürgerlichen Regierung. Es beginnt eine langwierige Pak-tiererpolitik, die sich aus dem ganzen Wesen der an die Macht gelangtenkleinbürgerlichen Regierung ergab. Die Juliereignisse waren noch nichtimstande, die Diktatur des Proletariats zu verwirklichen — die Massenwaren noch nicht vorbereitet. Deshalb hatte auch keine einzige verant-wortliche Organisation sie dazu aufgerufen. Aber im Sinne einer Erkun-

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düng des feindlichen Lagers waren die Juliereignisse von gewaltiger Bedeu-

tung. Der Kornilowputsch und die darauffolgenden Ereignisse erbrachtendie praktischen Lehren, die den O ktobersieg möglich machten. Der Fehlerderjenigen, die auch im Oktober die Macht teilen w ollten32 , bestand darin,daß sie den Oktobersieg nicht mit den Julitagen, der Offensive, der Kor-nilowiade usw. usf. in Verbindung brachten, was die Millionenmassen zuder Erkenntnis geführt hatte, daß die Sowjetmacht unvermeidlich gewor-den war. Dann folgte unser Triumphzug durch ganz Rußland, begleitetvom Streben aller nach Frieden. Wir wissen, daß wir durch einen einsei-tigen Verzicht auf den Krieg nicht den Frieden erlangen werden; darauf

haben wir bereits auf der Aprilkonferenz* hingewiesen. Die Soldaten er-kannten in der Zeit vom April bis zum Oktober ganz klar, daß die Pak-tiererpolitik den Krieg immer mehr in die Länge zieht, zu tollen, sinnlosenVersuchen der Imperialisten führt, zur Offensive überzugehen, sich nochtiefer in den Krieg zu verstricken, der sich Jahre hinziehen wird. Eben ausdiesen Gründen mußte man um jeden Preis möglichst schnell zu eineraktiven Friedenspolitik übergehen, mußte die Macht in die Hände derSowjets gelegt und der gutsherrliche G rundbesitz restlos beseitigt w erden.Und Sie wissen, daß nicht nur Kerenski, sondern auch Awksentjew den

Großgrundbesitz unterstützte und daß sie dabei sogar so weit gingen, dieMitglieder der Bodenkomitees zu verhaften. Und diese Politik, diese Lo-sung „Die Macht den Sowjets", die wir in das Bewußtsein der breitestenVolksmassen einpflanzten, gaben uns im Oktober die Möglichkeit, inPetersburg so leicht zu siegen, und verwandelten die letzten Monate derrussischen Revolution in einen einzigen Triumphzug .

Der Bürgerkrieg ist zur Tatsache geworden. Was wir zu Beginn derRevolution und sogar zu Beginn des Krieges voraussagten, und was da-mals ein bedeutender Teil der sozialistischen Kreise mit Mißtrauen oder

sogar mit Spott aufnahm, nämlich die Umwandlung des imperialistischenKrieges in den Bürgerkrieg, ist am 25. Oktober 1917 für eines der größ-ten und rückständigsten Länder, die am Kriege teilgenommen haben, zurTatsache geworden. Es zeigte sich, daß die erdrückende Mehrheit der Be-völkerung in diesem Bürgerkrieg auf unserer Seite stand, deshalb fiel unsder Sieg ungewöhnlich leicht.

Die von der Front zurückkehrenden Truppen brachten, wohin sie nur

* Siehe Werke, Bd. 24, S. 255/256. Die Red.

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Siebenter Parteitag der XPR CB) 75

kamen, von dort die größte revolutionäre Entschlossenheit mit, der Pak-

tiererpolitik ein Ende zu bereiten, und die paktiererischen Elemente, dieweiße Garde, die Gutsbesitzersöhnchen verloren jede Stütze in der Be-völkerung. Der Krieg gegen sie verwandelte sich allmählich, mit dem Üb er-gang der breiten Massen und der gegen uns eingesetzten Truppenteile aufunsere Seite, in einen siegreichen Triumphzug der Revolution. Das sahenwir in Petrograd, an der Gatschinafront, wo die Kosaken, die Kerenskiund Krasnow gegen die rote Hauptstadt zu führen versuchten, schwan-kend wurden, das sahen wir dann in Moskau, in Orenburg, in der Ukraine,über ganz Rußland ergoß sich eine Welle des Bürgerkriegs, und überall

siegten wir mit ungewöhnlicher Leichtigkeit, eben weil die Frucht reif war,weil die Massen bereits die ganzen Erfahrungen der Paktiererpolitik mitder Bourgeoisie durchgemacht hatten. Unsere Losung „Alle Macht denSowjets" w ar von den M assen durch lange historische Erfahrungen prak-tisch erprob t worden, w ar ihnen in Fleisch und Blut übergegangen.

Das war der Grund, weshalb die ersten Monate der russischen Revo-lution nach dem 25. Oktober 1917 ein einziger Triumphzug waren. An-gesichts dieses einzigartigen Triumphzugs wurden die Schwierigkeiten,auf die die sozialistische Revolution sofort stieß und unweigerlich stoßen

mu ßte, vergessen und in den Hinte rgrund gedrängt. Einer der Ha uptunter-schiede zwischen der bürgerlichen und der sozialistischen Revolution be-steht darin, daß für die bürgerliche Revolution, die aus dem Feudalismushervorwächst, im Schöße der alten Ordnung die neuen Wirtschaftsorga-nisationen allmählich en tstehen, die nach und nach alle Seiten der feudalenGesellschaft ändern. Die bürgerliche Revolution stand nur vor einer Auf-gabe: alle Fesseln der früheren Gesellschaft hinwegzufegen, beiseite zuwerfen, zu zerstören. Jede bürgerliche Revolution, die diese Aufgabe er-füllt, erfüllt alles, was von ihr verlangt wird: sie stärkt das Wachstum des

Kapitalismus.In einer ganz anderen Lage befindet sich die sozialistische Revolution.

Je rückständiger das Land ist, das infolge der Zickzackwege der Geschichtedie sozialistische Revolution beginnen mußte, desto schwieriger ist fürdieses Land der Übergang von den alten, den kapitalistischen Verhält-nissen zu sozialistischen. Hier kommen zu den Aufgaben der Zerstörungneue, unerhört schwierige Aufgaben hinzu, nämlich organisatorische.Wenn die in der russischen Revolution zutage getretene Schöpferkraft des

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76 IV . 7. £enin

Volkes, das die großen Erfahrungen des Jahres 1905 durchgemacht hat,

nicht schon im Februar 1917 die Sowjets geschaffen hätte, so wären dieseauf keinen Fall imstande gewesen, im Oktober die Macht zu ergreifen,denn der Erfolg hing allein davon ab, ob bereits fertige Organisations-formen der Bewegung vorhanden waren, die Millionen umfaßte. Diesefertige Form waren die Sowjets, und deshalb erwarteten uns auf poli-tischem Gebiet jene glänzenden Erfolge, jener ununterbrochene Triumph-zug, den wir erlebten, denn die neue Form der politischen Macht war da,und wir brauchten nur mit einigen Dekreten die Sowjetmacht aus demEmbryonalzustand, in dem sie sich in den ersten Monaten der Revolution

befand, zur gesetzlich anerkannten Form zu machen, die im RussischenStaat feste Form angenommen hat in Gestalt der Russischen Sowjetrepu-blik. Sie entstand mit einem Schlag, sie entstand so leicht, weil die Massenim Februar 1917 die Sowjets geschaffen hatten, sogar noch bevor irgend-eine Partei diese Losung ausgegeben hatte. Die große Schöpferkraft desVolkes, das die bitteren Erfahrungen von 1905 durchgemacht hatte, durchsie gewitzigt war — das war es, was diese Form der proletarischen Staats-macht schuf. Die Aufgabe, den inneren Feind zu besiegen, war eine sehrleichte Aufgabe. Die Aufgabe, eine politische Staatsmacht zu schaffen,

war sehr leicht, denn die Massen gaben uns das Skelett, die Grundlagedieser Macht. Die Republik der Sowjets entstand mit einem Schlag. Esblieben aber noch zwei ungeheuer schwierige Aufgaben, deren Lösung aufkeinen Fall in einem solchen Triumphzug erfolgen konnte, wie ihn unsereRevolution in den ersten Monaten erlebte — es gab keinen und konnteauch keinen Zweifel daran bei uns geben, daß die sozialistische Revolutionin der Folgezeit vor Aufgaben von gigantischer Schwierigkeit gestellt wer-den würde.

Erstens waren das Aufgaben der inneren Organisation, vor denen jedesozialistische Revolution steht. Der Unterschied zwischen der sozialisti-schen und der bürgerlichen Revolution besteht gerade darin, daß die bür-gerliche Revolution die fertigen Formen der kapitalistischen Verhältnissevorfindet, während die Sowjetmacht, die proletarische Macht, diese fer-tigen Verhältnisse nicht vorfindet, abgesehen von den entwickeltsten For-men des Kapitalismus, die im Grunde genommen nu r einige wenige Spit-zen der Industrie erfaßt und die Landwirtschaft erst ganz wenig berührthaben. Die Organisierung der Rechnungsführung, die Kontrolle über die

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Großbetriebe, die Umwandlung des ganzen staatlichen Wirtschaftsmecha-

nismus in eine einzige große Maschine, in einen Wirtschaftsorganismus,der so arbeitet, daß sich Hunderte Millionen Menschen nach einem ein-zigen Plan richten — das ist die gigantische organisatorische Aufgabe, dieuns zugefallen ist. Unter den jetzigen Arbeitsbedingungen war eine Be-wältigung dieser Aufgabe im Sturmlauf, in der Art, wie wir die Aufgabendes Bürgerkriegs zu lösen vermochten, in keiner Weise möglich. Das ganzeWesen der Sache machte eine solche Lösung unmöglich. Wenn wir unsereKaledinbande so leicht besiegt und die Sowjetrepublik ohne nennenswer-ten Widerstand geschaffen haben, wenn dieser Gang der Ereignisse durch

die ganze objektive vorangegangene Entwicklung vorherbestimmt war, sodaß uns nichts zu tun blieb, als das letzte Wort zu sagen, das Aushänge-schild zu ändern, die Inschrift: „Der Sowjet besteht als eine beruflicheOrganisation" umzuändern in: „Der Sowjet ist die einzige Form derStaatsmacht" — so verhielt es sich mit den organisatorischen Aufgabenganz anders. Hier stießen wir auf gigantische Schwierigkeiten. Hier wurdejedem, der sich in die Aufgaben unserer Revolution hineinzudenken ge-willt war, sofort klar, daß man nur auf dem schweren, langen Weg derSelbstdisziplin jener Zersetzung Herr werden kann, die der Krieg in die

kapitalistische Gesellschaft hineingetragen hat, daß wir nur auf einemaußerordentlich schweren, langen und beharrlich zu verfolgenden Wegdiese Zersetzung überwinden und die sie verstärkenden Elemente be-siegen können, die die Revolution als ein Mittel betrachten, die alten Fes-seln loszuwerden und möglichst viel für sich herauszuschlagen. Das Auf-tauchen dieser Elemente in großer Zahl war in einem kleinbürgerlichenLande in einer Zeit unglaublicher Zerrüttung unvermeidlich, und derKampf gegen sie wird hundertmal schwerer sein, ohne irgendwelche effekt-volle Position zu verheißen, ein Kampf, den wir eben erst begonnen haben.Wir befinden uns im ersten Stadium dieses Kampfes. Hier stehen unsschwere Prüfungen bevor. Hier können wir uns auf G rund der objektivenSachlage auf keinen Fall auf einen Triumphzug mit flatternden Fahnenbeschränken, wie wir ihn im Kampfe gegen die Kaledinbande gehaltenhaben. Jeder, der versuchen wollte, diese Kampfmethode auf die orga-nisatorischen Aufgaben zu übertragen, vor denen die Revolution steht,würde als Politiker, als Sozialist, als Führer der sozialistischen Revolutionvölligen Bankrott erleiden.

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Das gleiche Schicksal erwartete einige unserer vom anfänglichen

Triumphzug der Revolution hingerissenen jungen Genossen, als vor derRevolution konkret die zweite gigantische Schwierigkeit auftauchte, diesie zu bewältigen hatte — die internationale Frage. Wenn wir mit denBanden Kerenskis so leicht fertig geworden sind, wenn wir so leicht eineStaatsmacht bei uns geschaffen haben, wenn wir ohne d ie geringste M ühedas Dekret über die Sozialisierung des Bodens, über die Arbeiterkon-trolle 33 bekamen, wenn wir das alles so leicht erreichten, so nur deshalb,weil die Umstände sich so glücklich gestalteten, daß sie uns für kurze Zeitvor dem internationalen Imperialismus schützten. Der internationale Im-

perialismus mit der ganzen Macht seines Kapitals, mit seiner hochorga-nisierten militärischen Technik, die eine wirkliche Macht, eine wirklicheFestung des internationalen Kapitals darstellt, konnte sich auf keinen Fall,unter keinen U mständen mit der Sowjetrepublik vertragen sowohl wegenseiner objektiven Lage als auch wegen der ökonomischen Interessen derKapitalistenklasse, die in ihm verkörpert war — er konnte es nicht wegender Handelsverbindungen, der internationalen Finanzbeziehungen. Hierist ein Konflikt unvermeidlich. Hier haben wir die größte Schwierigkeitder russischen Revolution, ihr größtes historisches Problem: die Notwen-

digkeit, die internationalen Aufgaben zu lösen, die Notwendigkeit, dieinternationale Revolution auszulösen, den Übergang zu vollziehen vonunserer Revolution als einer eng nationalen zur Weltrevolution. DieseAufgabe erstand vor uns in ihrer ganzen unglaublichen Schwere. Ich wie-derhole, daß sehr viele unserer jungen Freunde, die sich für Linke halten,das Wichtigste vergessen, nämlich: warum wir im Laufe der W ochen undMonate des größten Triumphes nach dem Oktober die Möglichkeit hatten,so leicht von einem Triumph zum andern zu eilen. Indessen* war das nu rmöglich, weil eine besondere internationale Konstellation uns zeitweiliggegen den Imperialismus deckte. Er hatte andere Sorgen als uns. Uns wie-derum schien es, daß auch wir andere Sorgen hatten als den Imperialismus.Den einzelnen Imperialisten aber war es nur deswegen nicht um uns zutun, weil die ganze gewaltige soziale, politische und m ilitärische M acht desmodernen Weltimperialismus um diese Zeit durch den Krieg gegenein-ander in zwei Gruppen gespalten war. Die imperialistischen Räuber, diesich in diesen Kampf verwickelt hatten, waren unglaublich weit gegangen,sie hielten einander mit tödlichen Griffen umklammert, es war so weit

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gekommen, daß keine dieser Gruppen einigermaßen bedeutsame Kräfte

gegen die russische Revolution zu konzentrieren vermochte. Ein solcherAugenblick bot sich uns gerade im Oktober: unsere Revolution erfolgtegerade — das klingt paradox, ist aber richtig — zu dem glücklichen Zeit-punkt, als unerhörte Leiden über die große Mehrzahl der imperialistischenLänder hereingebrochen waren in Gestalt der Vernichtung von MillionenMenschenleben, als der Krieg die Völker durch unerhörte Leiden erschöpfthatte, als im vierten Kriegsjahr die kriegführenden Länder in eine Sack-gasse geraten, an einem Scheideweg angelangt waren, wo sich objektiv dieFrage erhob: können die bis zu einem solchen Zustand gebrachten Völker

weiter Krieg führen? Nur dank dem Um stand, daß unsere Revolution mitdiesem glücklichen Augenblick zusammenfiel, wo keine der beiden gigan-tischen Räubergruppen imstande war, sich sofort auf die andere zu stür-zen oder aber sich gegen uns zusammenzuschließen, nur diesen Z eitpunktder internationalen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse konnteunsere Revolution sich zunutze machen und hat sie sich zunutze gemacht,um ihren glänzenden Triumphzug durch das Europäische Rußland an-zutreten, nach Finnland überzugreifen, mit der Eroberung des Kaukasusund Rumäniens zu beginnen. Nur dadurch erklärt es sich, daß sich in den

führenden Kreisen unserer Partei intellektuelle „Übermenschen" unterden Parteifunktionären fanden, die sich durch diesen Triumphzug hin-reißen ließen und erklärten: Mit dem internationalen Imperialismus wer-den wir schon fertig werden; auch dort werden wir einen Triumphzugerleben, eine wirkliche Schwierigkeit gibt es dort nicht. Das aber entsprichteben nicht der objektiven Lage der russischen Revolution, die sidi nurdie zeitweilige Gehemmtheit des internationalen Imperialismus zunutzemachte, weil die Maschine zeitweilig zum Stoppen kam, die sich gegen unsin Bewegung setzen sollte, so wie ein Eisenbahnzug sich gegen eine Schub-karre in Bewegung setzt und sie zertrümmert — ins Stoppen kam aberdie Maschine, weil zwei Gruppen von Räubern zusamm engestoßen waren.Hier und dort ist die revolutionäre Bewegung gewachsen, aber in aus-nahmslos allen imperialistischen Ländern befand sie sich meistens noch imAnfangsstadium. Ihr Entwicklungstempo war keineswegs das gleiche wiebei uns. Jedem, der sich in die ökonomischen V oraussetzungen der sozia-listischen Revolution in Europa hineingedacht hat, mußte es klar sein, daßes in Europa unermeßlich schwieriger ist, die Revolution anzufangen, daß

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es bei uns unermeßlich leichter ist, anzufangen, aber schwieriger als dort

sein wird, die Revolution fortzuführen. Diese objektive Lage führte dazu ,daß wir eine ungewöhnlich schwierige, schroffe Wendung der Geschichtedurchmachen mußten. Von dem einzigartigen Triumphzug im Oktober,November, Dezember an unserer inneren Front, gegen unsere Konter-revolution, gegen die Feinde der Sowjetmacht, mußten wir zum Kampfgegen den wirklichen internationalen Imperialismus in seiner wirklichenfeindlichen Haltung gegen uns übergehen. Von der Periode des Triumph-zugs mußten wir übergehen zur Periode einer ungewöhnlich schwerenund komplizierten Situation, die man natürlich nicht mit W orten , mit glän-

zenden Losungen abtun kann — so angenehm das auch w äre —, denn wirhatten in unserem zerrütteten Land unglaublich erschöpfte Massen, ineinem Z ustand , der eine Fortsetzung des Krieges in keiner W eise möglichmachte, die durch den qualvollen dreijährigen Krieg derart zermürbtwaren, daß sie militärisch völlig untauglich wurden. Schon vor der O ktober-revolution sahen wir Vertreter der Soldatenmassen, die nicht zur Parteider Bolschewiki gehörten, sich aber nicht scheuten, vor der gesamten Bour-geoisie die Wahrheit auszusprechen, die darin bestand, daß die russischeArmee nicht mehr kämpfen werde. Dieser Zustand der Armee rief eine

gigantische Krise hervor. Das seiner Zusammensetzung nach kleinbäuer-liche Land, das durch den K rieg zerrüttet und in einen unerhörten Zustandgebracht worden ist, befindet sich in einer ungewöhnlich schweren Lage:wir haben keine Armee, müssen aber weiter neben einem bis an die Zähnebewaffneten Räuber leben, der vorläufig ein Räuber geblieben ist und einRäuber bleibt und sich natürlich durch unsere Agitation für einen Friedenohne Annexionen und Kontributionen nicht anfechten ließ. Ein friedlichesHaustier lag neben einem Tiger und w ollte ihn überzeugen, daß ein Frie-den ohne Annexionen und Kontributionen geschlossen werden müsse,

während man dies nur durch einen Angriff auf den Tiger erreichen konnte,über diese Perspektive versuchten sich die Spitzen unserer Partei — In-tellektuelle und ein Teil der Arbeiterorganisationen — hauptsächlich mitPhrasen, mit Ausflüchten hinwegzusetzen: so darf es nicht sein. DieserFrieden war eine allzu unwahrscheinliche Perspektive: wie konnten wir,die wir bisher mit flatternden Fahnen in den offenen Kampf gezogenwaren und alle Feinde mit Hurrageschrei überrann t ha tten, zurückweichenund demütigende Bedingungen annehmen? Niemals. Wir sind viel zu

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stolze Revolutionäre, wir erklären vor allem: „Der Deutsche wird nicht

angreifen können!"Das war die erste Ausrede, mit der sich diese Leute trösteten. Die Ge-

schichte hat uns jetzt in eine außerordentlich schwierige Lage gebracht;wir müssen eine unerhört schwierige organisatorische Arbeit bewältigen,müssen über eine Reihe qualvoller Niederlagen hinwegkommen. Wennman den welthistorischen Maßstab anlegt, so kann kein Zweifel daran be-stehen, daß der Endsieg unserer Revolution eine hoffnungslose Sachewäre , wenn sie allein bliebe, wenn es in den anderen Ländern keine revo-lutionäre Bewegung gäbe. Wenn wir,die bolschewistische Partei, das ganze

Werk allein in unsere Hände genommen haben, so haben wir das in derÜberzeugung getan, daß die Revolution in allen Ländern heranreift, daßdie internationale sozialistische Revolution, welche Schwierigkeiten wirauch durchzumachen haben werden, welche Niederlagen uns auch be-schieden sein werden, zu guter Letzt — und nicht beim ersten Anfang —

kommen w ird — denn sie ist unterwegs; daß sie reif werden w ird — dennsie reift heran und wird völlig ausreifen. Unsere Rettung aus all diesenSchwierigkeiten ist, wie gesagt, die Revolution in ganz Europa. Ausgehendvon dieser Wahrheit, von dieser ganz abstrakten Wahrheit und geleitet

von ihr, müssen wir darüber wachen, daß sie nicht mit der Zeit zur Phrasewerde, denn jede abstrakte W ahrheit w ird zur Phrase, wenn man sie ohnejegliche Analyse anwendet. Wenn man sagt, daß in jedem Streik dieHydra der Revolution lauert, daß der kein Sozialist ist, der das nicht be-greift, so ist das richtig. Jawohl, in jedem Streik lauert die sozialistischeRevolution. W enn man jedoch sagt, jeder gegebene Streik sei ein unmittel-barer Schritt zur sozialistischen Revolution, dann ist das eine völlig leerePhrase. Das haben wir „jeden Tag, den G ott gibt, an dieser selben Stelle"gehört und uns so an den Hacken abgelaufen, daß die Arbeiter alle dieseanarchistischen Phrasen in den Wind schlagen, denn ebenso wie es un-zweifelhaft ist, daß in jedem Streik die Hydra der sozialistischen Revolu-tion lauert, so klar ist es auch, daß die Behauptung, man könne von jedemStreik zur Revolution übergehen, eine Flause ist. Ebensowenig wie manirgendwie bestreiten kann, daß alle Schwierigkeiten unserer Revolutionerst dann überwunden sein werden, wenn die sozialistische W eltrevolu tion,die jetzt überall heranreift, vollständig ausgereift sein wird, ebenso völligabsurd ist auch die Behauptung, daß wir jede gegebene konkrete momen-

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tane Schwierigkeit unserer Revolution bemänteln müssen mit den Worten:

„Ich setze auf die internationale sozialistische Bewegung, ich darf nachHerzenslust Dummheiten machen." „Liebknecht wird uns heraushelfen,weil er sowieso siegen wird." Er werde eine so großartige Organisationschaffen, werde alles im voraus so anordnen, daß wir nur die fertigen For-men zu übernehmen brauchen, so wie wir die fertige marxistische Lehrevon Westeuropa übernommen haben — und deshalb vielleicht habe sie beiuns in wenigen Mona ten gesiegt, während im We sten zu ihrem Sieg Jahr-zehnte erforderlich waren. Also ein ganz sinnloses Abenteuer — Über-tragung der alten Methode, eine Frage des Kampfes im Triumphzug zu

lösen, auf die neue historische Periode, die angebrochen ist, die uns nichtJammerlappen wie Kerenski und Kornilow entgegengestellt hat, sonderneinen internationalen Räuber — den Imperialismus Deutschlands, wo dieRevolution erst heranreift, aber offensichtlich noch nicht ausgereift ist. Einsolches Abenteuer war die Behauptung, daß der Feind sich nicht zur Offen-sive gegen die Revolution entschließen werde. Bei den Brester Verhand-lungen war es noch nicht so, daß wir beliebige Friedensbedingungen hät-ten annehmen müssen. Das objektive Kräfteverhältnis war so, daß die Er-langung einer Atempause für uns zuwenig gewesen wäre. Die Brester

Verhandlungen mußten zeigen, daß der Deutsche angreifen wird, daß diedeutsche Gesellschaft noch nicht so mit der Revolution schwanger geht,daß sie sofort ausbrechen kann, und man sollte es den deutschen Imperia-listen nicht als Schuld anrechnen, d aß sie durch ihr Verhalten diesen Aus-bruch noch nicht vorbereitet haben oder, wie sich unsere jungen Freunde,die sich für Linke halten, ausdrücken, noch keine Situation geschaffenhaben, wo der Deutsche nicht angreifen k ann. W enn man ihnen sagt, daßwir keine Armee haben, daß wir gezwungen waren, zu demobilisieren —

daß wir dazu gezwungen waren, obwohl wir keineswegs vergessen haben,daß neben unserem friedlichen Haustier ein Tiger liegt —, dann w ollen sienicht begreifen. Wenn wir gezwungen waren, die Armee zu demobilisie-ren, so haben wir doch keineswegs vergessen, daß man durch den einsei-tigen Befehl, das Bajonett in den Boden zu stoßen, dem Krieg kein Endemachen kan n.

W ie kam es übe rhau pt, daß keine einzige Strömung, keine einzige Rich-tung, keine einzige Organisation unserer Partei gegen diese Demobilisie-rung war? Hatten wir etwa ganz den Verstand verloren? Keineswegs.

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Siebenler Parteitag der TCPRCB) 83

Offiziere, keine Bolschewiki, erklärten bereits vor dem Oktober, daß die

Armee nicht mehr kämpfen könne, daß es unmöglich sei, sie auch nureinige Wochen an der Front zusammenzuhalten. Nach dem Oktoberwurde das für jeden augenscheinlich, der die Tatsachen, d ie unerfreuliche,bittere Wirklichkeit sehen und sich nicht verstecken oder sich die Mützeüber die Augen ziehen und sich mit stolzen Phrasen davonmachen wollte.Eine Armee gibt es nicht mehr, sie zusammenzuhalten ist unmöglich. DasBeste, was ma n tun ko nnte , war, sie möglichst rasch zu demobilisieren. Sieist ein krankes Glied des Organismus, das unerhörte Leiden ertragen hat,durch die Entbehrungen des Krieges zermürbt ist, in den es technisch un-

vorbereitet hineingegangen und aus dem es in einem Zustand heraus-gekommen ist, daß jeder Angriff es in Panik versetzt. Die Schuld dafürdarf man nicht den Menschen geben, die solche unerhörten Leiden ertra-gen haben. In Hunderten Resolutionen, in aller Offenheit, noch in derersten Periode der russischen Revolution, haben die Soldaten erklärt : „Wirstehen bis zum Hals im Blut, wir können nicht mehr kämpfen." Mankonnte die Beendigung des Krieges künstlich hinauszögern, man konnteKerenskis Betrügereien praktizieren, man konnte das Ende um einigeWochen hinausschieben, aber die objektive Wirklichkeit brach sich Bahn.Die Armee ist ein krankes Glied des russischen Staatsorganismus, das dieBürden dieses Krieges nicht länger ertragen kann. Je schneller wir siedemobilisieren, je schneller sie in den weniger kranken Teilen des Orga-nismus aufgeht, desto schneller wird unser Land imstande sein, neueschwere Prüfungen zu ertragen. Dies waren unsere Empfindungen, als wireinstimmig, ohne den geringsten Protest, den vom Standpunkt der äußerenEreignisse unsinnigen Beschluß faßten, die Armee zu demobilisieren. Daswar ein richtiger Schritt. Wir sagten, daß es eine leichtfertige Illusion ist,die Armee zusammenhalten zu wollen. Je schneller wir die Armee demo-bilisieren, desto schneller wird die Gesundung des ganzen gesellschaft-

lichen Organismus insgesamt beginnen. Deshalb war es ein so tiefgreifen-der Fehler, eine so bittere Oberschätzung der Ereignisse, die revolutio-näre Phrase zu prägen: „Der Deutsche kann nicht angreifen", aus der sichdie zweite Phrase ergab: „Wir können den Zustand des Krieges für be-endet erklären. Weder Krieg noch Unterzeichnung des Friedens." Wennaber der Deutsche doch angreifen wird? „Nein, der Deutsche wird nichtangreifen können." Und ihr habt das Recht, nicht das Schicksal der inter-

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nationalen Revolution aufs Spiel zu setzen, sondern die konkrete Frage zu

stellen, ob ihr nicht als Helfershelfer des deutschen Imperialismus da-stehen werdet, wenn dieser Zeitpunkt eintritt. Wir aber, die wir alle seitdem Oktober 1917 Vaterlandsverteidiger geworden sind, die die Vertei-digung des Vaterlands anerkennen, wir alle wissen, daß wir mit den Im-perialisten nicht in Worten, sondern durch die Tat gebrochen haben: wirhaben die Geheimverträge zerrissen, haben die Bourgeoisie bei uns besiegtund einen offenen ehrlichen Frieden vorgeschlagen, so daß alle Völkerunsere Absichten praktisch sehen konnten. Wie konnten Männer, dieernstlich den Standpunkt der Verteidigung der Sowjetrepublik vertreten,sich auf dies Abenteuer einlassen, das seine Früchte gezeitigt hat? Das istaber eine Tatsache, denn die schwere Krise, die unsere Partei durchmachtangesichts der Entstehung einer „linken" Opposition innerhalb der Partei,ist eine der größten Krisen, die die russische Revolution durchzumachen hat.

Wir werden diese Krise überwinden. Auf keinen Fall wird sie unsererPartei oder unserer Revolution das Genick brechen, obwohl das im ge-gebenen Augenblick ganz nahe lag, durchaus möglich war. Eine Garantiedafür, daß wir uns an dieser Frage nicht das Genick brechen werden, bil-det der Umstand, daß an Stelle der alten M ethode, über fraktionelle Mei-nungsverschiedenheiten zu entscheiden, die in der Produktion einer un-

gewöhnlichen Menge Literatur, in unendlichen Diskussionen und in einerbeträchtlichen Anzahl von Spaltungen bestand, daß die Ereignisse denMenschen an Stelle dieser alten Methode eine neue Methode des Lernensbeigebracht haben. Diese Methode besteht darin, alles an Hand der Tat-sachen, Ereignisse und Lehren der Weltgeschichte nachzuprüfen. Ihr sagt,der Deutsche könne nicht angreifen. Aus eurer Taktik folgte, daß manden Zustand des Krieges für beendet erklären konnte. Die Geschichte hateuch eines Besseren belehrt, sie hat diese Illusion zunichte gemacht. Ja-wohl, die deutsche Revolution wächst, aber nicht so, wie wir es haben

möchten, nicht mit der Schnelligkeit, die den russischen Intellektuellen an-genehm wäre, nicht in dem Tempo, das unsere Geschichte im Oktober an-schlug, als wir in eine beliebige Stadt kam en, die Sowjetmacht proklamier-ten, und nach wenigen Tagen neun Zehntel der Arbeiter zu uns kamen.Die deutsche Revolution hat das Unglück, nicht so rasch voranzuschreiten.Aber wer muß nun mit wem rechnen: wir mit ihr oder sie mit uns? Ihrwünschtet,, daß sie mit euch rechne, aber die Geschichte hat euch eines

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Besseren belehrt. Das ist eine Lehre, denn es ist eine absolute Wahrheit,

daß wir ohne die deutsche Revolution verloren sind — vielleicht nicht inPetrograd, nicht in Moskau, wohl aber in Wladiwostok oder in noch ent-fernteren Gegenden, wohin wir uns werden zurückziehen müssen und diewohl noch weiter entfernt liegen, als Petrograd von Moskau entfernt ist,aber wir werden in jedem Fall angesichts aller nur denkbaren Peripetienzugrunde gehen, wenn die deutsche Revolution nicht eintritt. Nichtsdesto-weniger wird das nicht im geringsten unsere Gewißheit erschüttern, daßwir auch die schwierigste Lage ohne Schwadronieren zu ertragen wissenmüssen.

Die Revolution kommt nicht so rasch, wie wir erwartet haben. Das hatdie Geschichte bewiesen, das müssen wir als Tatsache hinnehmen; wirmüssen damit rechnen, daß die sozialistische Weltrevolution in den fort-geschrittenen Ländern nicht so leicht beginnen kann, wie die Revolution inRußland begonnen hat, dem Lande eines Nikolaus und Rasputin, wo eseinem gewaltigen Teil der Bevölkerung absolut gleichgültig war, welcheVölker da in den Randgebieten wohnten und was dort vor sich ging. Ineinem solchen Lande war der Beginn der Revolution leicht, er war wie einKinderspiel.

Ohne V orbereitung aber die Revolution zu beginnen in einem Land, indem der Kapitalismus hoch entwickelt ist und auch dem letzten Menschendemokratische Kultur und Organisiertheit beigebracht hat — wäre falsch,wäre U nsinn. D ort nähern wir uns erst der qualvollen Periode des Beginnsder sozialistischen Revolutionen. Das ist eine Tatsache. Wir wissen esnicht, niemand weiß es, vielleicht — das ist durchaus möglich — wird sie ineinigen Wochen oder sogar in einigen Tagen siegen, aber bauen darf mandarauf nicht. Wir müssen gefaßt sein auf ungewöhnliche Schwierigkeiten,auf ungewöhnlich schwere Niederlagen, die unvermeidlich sind, weil dieRevolution in Europa noch nicht begonnen hat, obwohl sie morgen be-

ginnen kann; und wenn sie beginnt, dann werden uns natürlich unsereZweifel nicht mehr plagen, dann w ird es keine Fragen wegen des revolu-tionären Krieges mehr geben, sondern es wird einen einzigen Triumph-zug geben. Das wird eintreten, w ird unweigerlich eintreten, aber noch istes nicht soweit. Das ist die einfache Tatsache, die uns die Geschichte ge-lehrt hat, mit der sie uns sehr schmerzhaft geprügelt hat — aber ein Ge-prügelter ist das Doppelte wert. Deshalb bin ich der Auffassung, daß,

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86 "W:i. Lenin

nachdem uns die Geschichte wegen unsere r Hoffnung — daß der Deutsche

nicht werde angreifen können und wir „mit Hurra" loslegen können —sehr schmerzhaft geprügelt hat, diese Lektion dank unseren Sowjetorgani-sationen sehr rasch ins Bewußtsein der Massen ganz Sowjetrußlands ein-dringen wird. Sie sind in dauernder Bewegung, halten Versammlungen ab,bereiten sich zum Kongreß vor, nehmen Resolutionen an , denken ü ber dasnach, was geschehen ist. Bei uns w erden nicht mehr die alten vorrevo lutio-nären Streitigkeiten geführt, die im engen Parteikreis blieben, sondernalle Beschlüsse werden den Massen zur Erörterung unterbreitet, die for-dern, daß man sie an Hand der Erfahrung, in der Praxis prüfe, die sich

nie durch leichtfertige Reden hinreißen lassen, sich niemals von dem durchden objektiven Gang der Ereignisse vorgezeichneten Weg abbringen las-sen. Natürlich kann man die Schwierigkeiten, vor denen wir stehen, mitRedensarten abtun, wenn man ein Intellektueller oder ein linker Bolsche-wik ist: er kann sich natürlich darüber hinwegsetzen, daß wir keine Arm eehaben, daß die Revolution in Deutschland noch nicht eintritt. Die Millio-nenmassen aber — und die Politik beginnt do rt, wo man m it Millionen zutun hat; nicht dort, wo man mit Tausenden, sondern dort, wo man mitMillionen zu tun hat, beginnt erst die ernste Politik —, die Millionen wis-

sen, was eine Armee ist, sie haben die Soldaten gesehen, die von der Frontzurückkehren. Sie wissen — wenn man nicht einzelne Personen, sonderndie wirkliche Masse nimmt —, daß wir nicht Krieg führen können, daßjeder Mann an der Front alles ertragen hat, was nur denkbar war. DieMasse hat die Wahrheit begriffen, daß wir den schwersten, erniedrigend-sten Friedensvertrag unterzeichnen müssen, weil wir keine Armee habenund n eben uns ein Raubtier liegt. Das ist unvermeidlich, solange die Revo-lution nicht ausbricht, solange wir unsere Armee nicht gesund machen, so-lange wir sie nicht nach Hause gehen lassen. Bis dahin wird der Krankenicht genesen. Den deutschen Räuber aber werden wir nicht „mit Hurra"überwältigen, nicht so abschütteln, wie wir Kerenski und Kornilow ab-geschüttelt haben. Das ist die Lehre, die die Massen gezogen haben, ohnedie Vorbehalte, mit denen einige ihnen zu kommen suchten, die sich überdie bittere Wirklichkeit hinwegsetzen möchten.

Zuerst der ununterbrochene Triumphzug im Oktober, November —

dann plötzlich wird die russische Revolution in ein paar Wochen von demdeutschen Räuber geschlagen, und die russische Revolution ist bereit, die

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Siebenter Parteitag der KPKB) 87

Bedingungen des Raubvertrags anzunehm en. Jawohl, die Wendun gen der

Geschichte sind sehr schwer — bei uns sind alle solche W endungen schwer.Als wir im Jahre 1907 den unerhört schändlichen inneren Vertrag mitStolypin unterzeichneten, als wir gezwungen waren, durch den Stall derStolypinschen Duma hindurchzugehen, durch Unterzeichnung monarchi-stischer Dokumentes* Verpflichtungen übernahmen, da machten wir inkleinerem Maßstab — im Vergleich zu heute — dasselbe durch. Damalssagten Leute, die zum besten Vortrupp der Revolution gehörten (sie heg-ten ebenfalls nicht den Schatten eines Zweifels an der Richtigkeit ihrerMeinung): „Wir sind stolze Revolutionäre, wir glauben an die russische

Revolution; wir werden niemals in die legalen Stolypinschen Institutionenhineingehen." Ihr geht dennoch. Das Leben der Massen, die Geschichteist stärker als eure Versicherungen. Wenn ihr nLht hineingehen wollt, sowird euch die Geschichte dazu zwingen. Es waren sehr linke Leute, vonderen Fraktion nach der ersten Wendung der Geschichte nichts als Rauchübrigblieb. Wenn wir es verstanden haben, Revolutionäre zu bleiben,unter qualvollen Bedingungen zu arbeiten und aus jener Situation wiederherauszukommen, so werden wir das auch jetzt verstehen, weil das keineLaune von uns, weil das eine objektive Notwendigkeit ist, die in dem aufsäußerste zerrütteten Lande dadurch entstand, daß sich die europäischeRevolution entgegen unseren Wünschen erlaubt hat, sich zu verspäten,während der deutsche Imperialismus entgegen unseren Wünschen sich er-laubt hat, zur Offensive überzugehen.

Hier muß man verstehen, sich zurückzuziehen, über die unglaublichbittere, traurige Wirklichkeit kann man sich nicht durch Phrasen hinweg-täuschen,- wir müssen sagen: Hoffentlich können wir uns halbwegs ge-ordnet zurückziehen. Uns geordnet zurückziehen können wir nicht,hoffentlich gelingt es uns halbwegs geordnet und mit einem wenn auch

ganz geringfügigen Zeitgewinn, damit der kranke Teil unseres Organis-mus wenigstens einigermaßen aufgesogen werde. Der Organismus alsGanzes ist gesund: er wird die Krankheit überwinden. Aber man kannnicht verlangen, daß er sie mit einem Schlag, augenblicklich, überwinde,man kann die fliehende Armee nicht aufhalten. Als ich einem unserer jun-gen Freunde, der ein Linker sein wollte, sagte: „Genosse, gehen Sie an dieFront und sehen Sie zu, was dort in der Armee vor sich geht", wurde dasals ein beleidigender Vorschlag aufgefaßt: „M an will uns in die Ver-

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14>.3.£enin

bannung schicken, damit wir hier nicht für die großen Prinzipien des revo-

lutionären Krieges agitieren." Als ich das vorschlug, dachte ich wahrlichnicht an eine Verbannung der Fraktionsgegner: es war der Vorschlag, sichdavon zu überzeugen, daß die Armee in unerhörter Weise auseinander-zulaufen begonnen hat. Wir wußten das auch früher schon und durftenauch früher nicht die Augen davor verschließen, daß die Zersetzung dortzu unerhörten Dingen führte, zum Verkauf unserer Geschütze an dieDeutschen für wenige Groschen. Wir wußten das ebenso, wie wir wissen,daß man die Armee nicht zu halten vermag, und die Ausflucht, daß derDeutsche nicht angreifen werde, war das schlimmste Abenteuer. Wenn

sich die europäische Revolution verspätet, so stehen uns schwerste Nieder-lagen bevor, denn wir haben keine Armee, denn wir haben keine O rgani-sation, denn wir können diese beiden Aufgaben nicht sofort lösen. Wennman es nicht versteht, sich anzupassen, wenn man nicht gewillt ist, aufdem Bauch durch den Schmutz zu kriechen, dann ist man kein Revolutio-när, sondern ein Schwätzer, denn so vorzugehen schlage ich nicht des-wegen vor, weil mir das gefällt, sondern weil es keinen anderen W eg gibt,weil die Geschichte es nicht so angenehm gefügt hat, daß die Revolutionüberall zu gleicher Zeit ausreift.

Die Sache entwickelt sich so, daß der Bürgerkrieg als Versuch einesZusammenstoßes mit dem Imperialismus begonnen hat, ein Versuch, derbewies, daß der Imperialismus durch und durch verfault ist und daß sichdie proletarischen Elemente innerhalb einer jeden Armee erheben. Jawohl,wir werden die internationale Weltrevolution erleben, aber vorläufig istsie ein sehr gutes, ein sehr schönes Märchen — ich verstehe durchaus, daßKinder schöne Märchen lieben. Ich frage jedoch: Steht es einem ernstenRevolutionär an, an Märchen zu glauben? In jedem Märchen sind Ele-mente der Wirklichkeit enthalten: wollte man den Kindern ein Märchen

erzählen, in dem Ha hn und Katze sich nicht in menschlicher Sprache unter-halten, so würde es sie nicht interessieren. Genauso aber, wenn ihr demVolke sagt, daß der Bürgerkrieg in Deutschland kommt, und gleichzeitigdie Bürgschaft dafür übernehmt, daß wir an Stelle des Zusammenstoßesmit dem Imperialismus eine auf dem Schlachtfeld ausgelöste Weltrevolu-tion bekommen, wird das Volk sagen, daß ihr betrügt. Damit kommt ihrnur in eurer Vorstellung, in euren Wünschen über die Schwierigkeitenhinweg, die die Geschichte aufgetürmt hat. G ut, wenn das deutsche Prole-

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tariat imstande sein wird, in Aktion zu treten. Habt ihr das aber ausge-

messen, habt ihr ein Gerät gefunden, um zu bestimmen, daß die deutscheRevolution an dem und dem Tage ausbrechen wird? Nein, ihr wißt dasnicht, und wir wissen es ebenfalls nicht. Ihr setzt alles aufs Spiel. Wenndie Revolution ausbricht, dann ist alles gerettet. Natürlich! Aber wenn sienicht so kommt, wie wir es wünschen, wenn sie vielleicht nicht schon mor-gen siegt, was dann? Dann wird die Masse euch sagen: Ihr habt wieAbenteurer gehandelt, ihr habt auf diesen glücklichen Verlauf der Ereig-nisse gesetzt, der ausgeblieben ist, ihr habt versagt in der Situation, die anStelle der internationalen Revolution eingetreten ist, die zwar unvermeid-

lich kommen wird, aber jetz t noch nicht ausgereift ist.Eine Periode schwerster Niederlagen hat begonnen, der bis an die

Zähne bewaffnete Imperialismus hat sie einem Lande beigebracht, dasseine Armee demobilisierte, demobilisieren mußte. Was ich vorausgesagthabe, ist in vollem Umfang eingetroffen: an Stelle des Brester Friedenshaben wir einen viel demütigenderen Frieden bekommen, durch Verschul-den derjenigen, die den Brester Frieden nicht angenommen haben. Wirwußten, daß wir wegen des Zustands der Armee mit dem ImperialismusFrieden schließen. Wir saßen an einem Tisch mit Hoffmann35 , nicht mit

Liebknecht — und damit haben wir der deutschen Revolution geholfen.Jetzt aber helft ihr dem deutschen Imperialismus, weil ihr ihm Millionen-werte ausgeliefert habt — Geschütze, Munition —, und das mußte jedervoraussagen, der den Zustand der Armee, diesen entsetzlichen Zustand,gesehen hat. W ir wü rden auch bei der geringsten Offensive der Deutschenunweigerlich und unvermeidlich zugrunde gehen — das sagte jeder wahr-heitsliebende Mensch, der von der Front kam. Wir wären in wenigen Ta-gen eine Beute des Feindes geworden.

Nachdem wir diese Lektion eingesteckt haben, werden wir unsere Spal-

tung, unsere K rise überw inden, w ie schwer auch diese Krankheit sein mag,denn uns wird ein viel verläßlicherer Verbündeter zu Hilfe kommen: dieWeltrevolution . W en n man uns nach der Ratifizierung dieses Tilsiter Frie-dens, dieses unerhörten Friedens fragt, der demütigender, räuberischer istals der Brester, so antw orte ich: unbedingt j a! W ir müssen es tun, weil wirdie Dinge vom Gesichtspunkt der Massen betrachten. Der Versuch, die imOktober—November, in dieser Periode des Triumphs der Revolution, ineinem Lande angewandte Taktik mit Hilfe unserer Phantasie auf den

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90 W. 1. Lenin

Gang der Ereignisse der Weltrevolution zu übertragen — dieser Versuch

ist zum Scheitern verurteilt. W enn man sagt, die Atempause sei eine Phan-tasie, wenn eine Zeitung, die sich „Kom munist" nennt — offenbar nach derKommune —, Spalte für Spalte vollschreibt und versucht, die Theorie derAtempause zu widerlegen, dann sage ich: ich habe viele fraktionelle Zu-sammenstöße und Spaltungen durchzumachen gehabt, so daß ich darineine große praktische Erfahrung habe, aber ich muß sagen: ich sehe ganzklar; diese Krankheit wird nicht mit dem alten M ittel — mit fraktionellenParteispaltungen — geheilt werden, weil das Leben sie früher kurierenwird. Das Leben schreitet sehr rasch voran. In dieser Beziehung arbeitet es

großartig. Die Geschichte wird von ihrer Lokomotive so rasch vorwärtsgejagt, daß die Mehrheit der Arbeiter in Petrograd — bevor noch dieRedaktion des „Kommunist" ihre nächste Nummer herausbringt — sichvon den Ideen dieser Zeitschrift enttäuscht abwenden w ird, weil das Lebenzeigt, daß die Atempause eine Tatsache ist. Wir unterzeichnen jetzt denFrieden, wir haben eine Atempause, wir nutzen sie zur Verteidigung desVaterlands besser aus — denn wenn wir Krieg führten, so hätten w ir jenepanisch davonlaufende Armee, die man aufhalten müßte und die unsereGenossen nicht aufhalten können und nicht aufhalten konnten, weil der

Krieg stärker ist als Predigten, als zehntausend Räsonnements. Wenn siedie objektive Situation nicht begriffen haben, dann können sie die Armeenicht aufhalten, dann w ürden sie sie nicht aufhalten. Diese kranke Armeeverseuchte den ganzen Organismus, und wir mußten eine neue beispiel-lose Niederlage einstecken, einen neuen Schlag des deutschen Imperialis-mus gegen die Revolution — einen schweren Schlag, weil wir aus Leicht-sinn uns ohne Maschinengewehre den Schlägen des Imperialismus aus-gesetzt haben. Indessen werden wir diese Atempause benutzen, um dasVolk zu überzeugen, daß es sich zusammenschließen und kämpfen muß,

um den russischen Arbeitern und Bauern zu sagen: „Schafft eine Selbst-disziplin, eine strenge Disziplin, sonst werdet ihr auch weiter unter demMilitärstiefel der Deutschen liegen, wie das jetzt der Fall ist und unver-meidlich der Fall sein wird, bis das Volk es lernt, zu kämpfen, eine Armeezu schaffen, die nicht die Flucht ergreift, sondern imstande ist, unerhörteLeiden auf sich zu nehmen." Das ist unvermeidlich, weil die deutsche Re-volution noch nicht da ist und man nicht dafür bürgen kann, daß sie mor-gen ausbricht.

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Das ist der Grund dafür, daß die Theorie der A tempause, die in einer

Unmenge von Artikeln im „Kommunist" vollständig abgelehnt wird, vomLeben selbst aufgestellt wird. Jeder sieht, daß die Atempause eine Tat-sache ist, daß jeder sie sich zunutze m acht. W ir glaubten, daß wir Petro-grad in wenigen Tagen verlieren würden, als die anmarschierenden deut-schen Truppen nur wenige Tagemärsche von der Stadt en tfernt waren unddie besten Matrosen und Putilowarbeiter bei all ihrem großen Enthusias-mus allein dastanden, als ein unerhörtes Chaos, eine Panik entstand, diedie Truppen veranlaßte, bis Gatschina zu fliehen, als wir erlebten, daßzurückgenommen w urde , was gar nicht aufgegeben worden w ar. Das gingso vor sich, daß ein Telegrafist zur Eisenbahnstation fuhr, sich an denApparat setzte und telegrafierte: „Kein einziger Deutscher. Station vonuns besetzt." Einige Stunden später teilte man mir telefonisch aus demVolkskommissariat für Verkehrswesen mit: „Nächste Eisenbahnstationeingenommen, nähern uns Jamburg. Kein einziger Deutscher. Der Tele-grafist nimmt seinen Posten ein." Solche Dinge haben wir erlebt. Das istdie reale Geschichte jenes elftägigen Krieges.36 Geschildert haben sie unsdie Matrosen und Putilowarbeiter, und diese müssen wir zum Sowjetkon-greß einladen. Sollen sie dort die W ahrheit erzählen. Das ist eine furcht-bar bittere, kränkende, peinigende, demütigende Wahrheit, aber sie ist

hundertmal nützlicher, das russische Volk versteht sie.Ich überlasse es euch, von einer auf dem Schlachtfeld ausgelösten W elt-

revolution zu schwärmen, denn kommen wird sie. Alles wird zu seiner Zeitkommen, jetzt aber beginnt mit der Selbstdisziplin, ordnet euch um jedenPreis unter, damit wir eine musterhafte Ordnung bekommen, damit dieArbeiter wenigstens eine Stunde am Tage kämpfen lernen. Das ist etwasschwieriger, als sich ein schönes Märchen auszudenken. So ist die Lageheute, damit helft ihr der deutschen Revolution, der internationalen Revo-lution. Wie viele Tage unsere Atempause dauern wird, wissen wir nicht,

aber wir haben sie. Wir müssen die Armee recht schnell demobilisieren,denn sie ist ein krankes Organ, vorläufig aber werden wir der finnlän-dischen Revolution helfen.37

Gew iß, wir verletzen den Vertrag, wir haben ihn bereits dreißig-, vier-zigmal verletzt. Nur Kinder können nicht begreifen, daß in einer solchenEpoche, wo die qualvolle, langwierige Periode der Befreiung beginnt, dieeben erst die Sowjetmacht geschaffen und sie um drei Stufen ihrer Ent-

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92 IV . 1. Lenin

widdung emporgehoben hat — nur Kinder können nicht begreifen, daß

hier ein langwieriger, umsichtiger Kampf geführt werden muß. Der schänd-liche Friedensvertrag fördert den Aufstand, aber wenn die Genossen vom„Kommunist" über den Krieg urteilen, dann appellieren sie an das Gefühlund vergessen dabei, daß die Menschen die Hä nde zu Fäusten ballten undvor Wut die Zähne zusammenbissen. Was sagen sie? „Niemals wird einbewußter Revolutionär so etwas überleben, niemals wird er sich auf einesolche Schmach einlassen." Ih re Zeitung trägt den Namen „Komm unist",sollte aber „Schlachtschitz" heißen, denn sie betrachtet die Dinge vomStandpunkt des Schlachtschitzen, der mit dem Degen in der Hand , in schö-ner Pose sterbend, ausrief: „Der Frieden ist eine Schmach, der Krieg eineEhre!" Sie betrachten die Dinge vom Standpunkt des Schlachtschitzen, ichaber vom Standpunkt des Bauern.

Wenn ich den Frieden zu einem Zeitpunkt annehme, wo die Armeeflieht und fliehen muß, wenn sie nicht Tausende Menschen verlieren will,so tue ich das, um Schlimmeres zu verhüten. Ist etwa ein Vertrag eineSchande? Jeder ernste Bauer und Arbeiter wird mir recht geben, denn erversteht, daß der Frieden ein Mittel ist,Kräfte zu sammeln. Die Geschichtekennt — darauf habe ich mich bereits mehrmals berufen —, die Geschichtekennt die Befreiung der Deutschen von Napoleon nach dem Tilsiter Frie-den; ich habe den Frieden absichtlich einen Tilsiter Frieden genannt, ob-wohl wir nicht das unterschrieben haben, was es dort gab: die Verpflich-tung, dem Eroberer unsere Truppen zur Unterstützung bei seinen Er-oberungszügen gegen andere Völker zur Verfügung zu stellen — soweitaber ist es in der Geschichte schon gekommen, und soweit wird es auch beiuns kommen, wenn wir uns nur auf eine auf dem Schlachtfeld ausgelösteWeltrevolution verlassen. Seht zu, daß die Geschichte euch nicht bis zudieser Form der militärischen Sklaverei bringt. Und solange die soziali-stische Revolution nicht in allen Ländern gesiegt hat, kann die Sowjet-

republik in die Sklaverei geraten. Napoleon zwang in Tilsit die Deutschenzu unerhört schmählichen Friedensbedingungen. Dort entwickelten sichdie Dinge so, daß mehrmals Frieden geschlossen wurde. Der damaligeHoffmann — Napoleon — ertappte die Deutschen bei der- Verletzung desFriedens, und uns wird Hoffmann ebenfalls dabei ertappen. Nu r werdenwir uns bemühen, daß er uns nicht so bald ertappe.

Der letzte Krieg hat dem russischen Volk eine bittere, qualvolle, aber

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94 W. 3. Lenin

vertrag zu unterzeichnen, um wenigstens einige Tage Zeit für die Evakuie-

rung Petrograds zu bekommen, denn dadurch erleichtere ich die Leidender Arbeiter, die sonst unter das Joch der Deutschen geraten können; icherleichtere dadurch den Abtransport von Materialien, Pulver usw. ausPetrograd, die wir brauchen, weil ich ein Vaterlandsverteidiger bin, weilich für die Heranbildung einer Armee bin, sei es auch im fernsten Hin ter-land, wo augenblicklich die jetzige, demobilisierte, kranke Armee kuriertwird.

W ir wissen nicht, wie lange die Atempause dauern wird — wir werdenversuchen, den Augenblick zu nutzen. Vielleicht wird die Atempause von

längerer Dauer sein, vielleicht aber wird sie nur einige Tage dauern. Allesist möglich, niemand weiß es, niemand kann es wissen, denn alle Groß-mächte sind gebunden und bedrängt, alle sind gezwungen, an mehrerenFronten zu kämpfen. Die Haltung Hoffmanns wird erstens dadurch be-stimmt, daß er vor der Aufgabe steht, die Sowjetrepublik zu zerschlagen,zweitens dadurch, daß Deutschland an einer ganzen A nzahl von FrontenKrieg führen muß, und drittens dadurch, daß in Deutschland die Revolu-tion heranreift, daß ^ie wächst, und Hoffmann weiß das, er kann nicht,wie behauptet wird, jetzt sofort Petrograd nehmen, Moskau nehmen. Aberer kann das morgen tun , das ist durchaus möglich. Ich wiederhole, in einem

Augenblick, wo die Erkrankung der Armee eine Tatsache ist, wo wir jedeGelegenheit um jeden Preis ausnutzen/um auch nur einen Tag Atempausezu bekommen, sagen wir, daß jeder ernste Revolutionär, der mit den Mas-sen verbunden ist,der weiß, was Krieg, was Masse heißt,diese Masse diszi-plinieren muß, sie heilen, sie für den neuen Krieg auf die Beine zu brin-gen versuchen muß — daß jeder derartige Revolutionär uns recht geben,den Abschluß eines jeden, auch des schändlichsten Vertrags als richtig an-erkennen wird, denn dies liegt im Interesse der proletarischen Revolutionnnd der Erneuerung Rußlands, seiner Befreiung von einem kranken Organ.

Wenn wir diesen Frieden unterschreiben, so stellen wir, wie jeder ver-nünftig denkende Mensch versteht, unsere Arbeiterrevolution nicht ein;jeder versteht, daß wir, indem wir den Frieden mit den Deutschenunterzeichnen, unsere militärische Unterstützung nicht einstellen: wirschicken den Finnen Waffen/ aber keine Truppen, die sich als untauglicherweisen.

Vielleicht werden wir den Krieg annehmen; möglicherweise werden wir

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Siebenter Parteitag der XPXCB) 95

morgen auch Moskau aufgeben, aber dann werden wir zur Offensive

übergehen: gegen die feindliche Armee unsere Armee vorschicken,wenn jener Umschwung in der Volksstimmung eintritt, der heranreift,der vielleicht viel Zeit braucht, aber er wird eintreten, wenn die breitenMassen etwas anderes sagen werden als jetzt. Ich bin gezwungen, auchden drückendsten Frieden anzunehmen, weil ich jetzt noch nicht sagenkann, daß diese Zeit gekommen ist. Wenn die Zeit der Erneuerung kommt,dann werden es alle fühlen, alle sehen, daß der russische Mensch keinDummkopf ist; er sieht, er begreift, daß man sich zurückhalten, daß mandiese Losung durchführen muß — darin besteht die Hauptaufgabe unseres

Parteitags und des Sowjetkongresses.W ir müssen es verstehen, auf dem neuen W eg zu arbeiten. Das ist un-

ermeßlich schwerer, aber es ist keineswegs hoffnungslos. Es wird die So-wjetmacht keineswegs zu Fall bringen , wenn wir sie nicht durch ein ganzdummes Abenteuer selbst zu Fall bringen. Die Zeit wird kommen, wo dasVolk sagen wird: Ich lasse mich nicht länger quälen. Aber das kann nureintreten, wenn wir uns nicht auf dies Abenteuer einlassen, sondern esverstehen, unter den schweren Bedingungen, angesichts des unglaublicherniedrigenden Vertrags zu arbeiten, den wir in diesen Tagen unterschrie-

ben haben, denn durch einen Krieg, durch einen Friedensvertrag alleinwird eine solche historische Krise nicht entschieden. Das deutsche Volkwar im Jahre 1807 durch seine monarchistische Organisation gebunden,als es, nach mehreren demütigenden Friedensverträgen, die zu einer Atem-pause für eine neue Demütigung und eine neue Vertragsverletzung wur-den, seinen Tilsiter Frieden unterschrieb. Die sowjetische Organisationder Massen wird unsere Aufgabe erleichtern.

Unsere Losung muß allein sein: das Kriegswesen wirksam erlernen,Ordnung auf den Eisenbahnen schaffen. Ohne Eisenbahnen ist ein sozia-

listischer revolutionärer Krieg schlimmster Verrat. Wir müssen Ordnungschaffen, müssen all jene Energie und Stärke aufbringen, die das Besteschaffen wird, was die Revolution bringen kann.

Nehm t die Atempause wahr, nachdem ihr sie bekommen habt, und seies für eine Stunde, um Kontakt mit dem fernen Hinterland zn unterhal-ten, um dort neue Armeen aufzustellen. Fort mit den Illusionen, für dieeuch das Leben gestraft hat und noch mehr strafen wird. Vor uns zeichnetsich eine Epoche schwerster Niederlagen ab, sie ist da, wir müssen mit ihr

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96 W. 3." Centn

zu rechnen wissen, müssen bereit sein zu hartnäckiger Arbeit unter ille-

galen Bedingungen, unter Bedingungen völliger Versklavung durch dieDeutschen: h ier gibt es nichts zu beschönigen; das ist wirklich ein TilsiterFrieden. Wenn wir so zu handeln verstehen, dann werden wir trotz derNiederlagen mit absoluter Gewißheit sagen können, daß der Sieg unsersein wird. (B eif all .)

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Siebenter Parteitag der XTOfBJ 97

S C H L U S S W O R T

ZUM REFERAT ÜBER KRIEG UND FRIEDEN

8. M ÄR Z

Genossen, gestatten Sie mir, mit einigen verhältnismäßig kleinen Be-merkungen vom Schluß anzufangen. Gen. Bucharin ha t sich am Schluß seinerRede so weit verstiegen, daß er uns mit Petljura verglich. Wenn er meint,daß dem so ist, wie kann er dann in einer Partei mit uns bleiben? Ist dasnicht eine Phrase? Natürlich, wenn das wirklich der Fall wäre, so säßenwir nicht in ein und derselben Partei. Die Tatsache, daß wir zusammensind, beweist, daß wir zu neun Zehnteln mit Bucharin übereinstimmen.Allerdings hat er einige revolutionäre Phrasen hinzugefügt, die besagen,

wir wollten die Ukraine verraten. Ich bin überzeugt, daß es sich nichtlohnt, über solche offenkundigen Flausen zu reden. Ich komme auf denGenossen Rjasanow zurück, und hier möchte ich bemerken, daß ebenso,wie eine Ausnahme, die einmal in zehn Jahren passiert, nur die Kegelbestätigt, es diesmal auch ihm passiert ist, unversehens einen ernsten Satzzu sagen. (B e i f a 11.) Er sagte, Lenin gibt Raum auf, um Zeit zu gewinnen.Das ist eine fast philosophische Betrachtung. Diesmal hat es sich so gefügt,daß Gen. Rjasanow einen ganz ernsten Satz geprägt hat, worin das ganzeWesen steckt: ich will dem faktischen Sieger Raum abtreten, um Zeit zu

gewinnen. Darin besteht das ganze Wesen der Sache, und n ur darin. Allesübrige sind nur Redereien: die Notwendigkeit des revolutionären Krieges,die Erhebung der Bauernschaft usw. W enn Gen. Bucharin die Sache so dar-stellt, als ob es über die Möglichkeit eines Krieges keine zwei verschie-denen Meinungen geben könne, und erklä rt: „Fragt einen beliebigen Mili-tär" (ich habe mir seine Worte notiert), wenn er die Frage so stellt, daßer einen beliebigen Militär fragt, so antworte ich ihm: Ein solcher be-liebiger Militär war ein französischer Offizier, mit dem ich eine Unter-

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98 IV . 3. Lenin

redung hatte. Dieser französische Offizier, der mich natürlich mit bösen

Blicken musterte — ich habe doch Rußland an die Deutschen verkauft —,erklärte: „Ich bin Royalist, ich bin ein Anhänger der Monarchie auch inFrankreich, ein Anhänger der N iederlage D eutschlands, glauben Sie nicht,daß ich ein Anhänger der Sowjetmacht bin — wie könnte man das auchannehmen, wenn er Monarchist ist —, aber ich war dafür, daß Sie denVertrag in Brest unterzeichnen, weil das notwendig ist."39 Da habt ihreuer „Fragt einen beliebigen Militär". Jeder beliebige Militär müßte dassagen, was ich gesagt habe: man mußte den Frieden in Brest unterzeich-nen. W enn sich jetzt aus der Rede Bucharins ergibt, daß unsere Meinungs-

verschiedenheiten sich sehr verringert haben, so deshalb, weil seine An-hänger den Hauptpunkt der Meinungsverschiedenheiten unterschlagenhaben.

Wenn jetzt Bucharin gegen uns wettert, wir hätten die Massen demo-ralisiert, so hat er absolut recht, nur wettert er gegen sich selbst, nichtgegen uns. Wer hat diesen Brei ins ZK gebracht? Sie, Gen. Bucharin!( H e i t e r k e i t . ) Wie sehr Sie auch „Nein" schreien mögen, die Wahrheitwird sich durchsetzen: Wir sind unter uns als Genossen, wir sind aufunserem eigenen Parteitag, da gibt es nichts zu verheimlichen, und wir

müssen die Wahrheit sagen. Die Wahrheit aber ist, daß es im ZK dreiRichtungen gab. Am 17. Februar nahmen Lomow und Bucharin nicht ander Abstimmung teil. Ich bat, über die Abstimmung eine Aufstellung zumachen und diese Tabelle zu vervielfältigen, damit jedes Parteimitglieddie Möglichkeit hat, sidi im Sekretariat mit der Abstimmung bekannt zumachen, mit der historischen Abstimmung vom 21 . Januar, die zeigt, daßsie es waren, die geschwankt haben, während wir nicht im geringstenschwankten, wir sagten: „Nehmen wir den Frieden in Brest an — einenbessern werden wir nicht bekommen —, um einen revolutionären Krieg

vorzubereiten." Jetzt haben w ir bereits fünf Tage gewonnen, um Petro-grad zu evakuieren. Jetzt liegt ein Aufruf vor von Krylenko und Podwoi-ski40, die nicht zu den Linken gehörten und die Bucharin sehr von obenherab behandelte, als er sagte, daß wir Krylenko „vorschieben", als obwir uns das ausgedacht hätten, was Krylenko berichtet hat. Wir sind da-mit absolut einverstanden, denn so liegt die Sache ja, die Militärs haben jabewiesen, was ich gesagt habe, ihr aber redet euch damit heraus, daß derDeutsche nicht angreifen werde. Kann man etwa diese Situation mit der

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Siebenter Parteitag der XPR(B) 99

im O ktober vergleichen, wo es nicht auf die Technik ankam ? Nein, wenn

ihr den Tatsachen Rechnung tragen wollt, so zieht in Betracht, daß dieMeinungsverschiedenheiten sich darum drehten, daß man keinen Kriegbeginnen darf, wenn er offenkundig unvorteilhaft ist. Als Gen. Bucharinsein Schlußwort mit der donnernden Frage begann: „Ist ein Krieg in näch-ster Zukunft möglich?", da hat er mich sehr erstaunt. Ich antworte darauf,ohne zu schwanken: Er ist möglich, aber jetzt müssen wir den Friedenannehmen. Hierin liegt kein Widerspruch.

Nach diesen kurzen Bemerkungen komme ich zu den detaillierten Ant-worten an meine Vorredner. Bezüglich Radeks muß ich eine Ausnahme

machen. Aber da war noch eine Rede: die des Gen. Urizki. Was war indieser Rede außer Canossa, „Verrat", „zurückgewichen", „angepaßt"?Nun, was soll das? Stammt Ihre Kritik etwa nicht aus der Zeitung derlinken Sozialrevolutionäre? Gen. Bubnow hat uns eine Erklärung ver-lesen, gerichtet ans ZK von ZK -Mitgliedern, die sich für sehr links halten

-und wirklich das Beispiel einer Demonstration vor aller Welt gegebenhaben: „Die Haltung des ZK ist ein Schlag gegen das internationale Pro-letariat." Ist das etwa keine Phrase? „Vor aller Welt seine Ohnmachtdemonstrieren!" Womit demonstrieren wir? Damit, daß wir Frieden an-

geboten haben? Damit, daß die Armee davongelaufen ist? Haben wirdenn nicht bewiesen, daß der Beginn eines Krieges mit Deutschland sofort,ohne den Brester Frieden angenommen zu haben, der Welt zeigen würde,daß unsere Armee krank ist, daß sie nicht kämpfen will? Ganz unsinnigist es, wenn Bubnow behauptet, diese Schwankungen seien ausschließlichvon uns hervorgerufen worden — das ist eingetreten, weil unsere Armeekrank ist. Irgendeinmal m ußten wir eine Atempause geben. W enn ihr einerichtige Strategie befolgt hättet, dann hätten wir eine Atempause voneinem Monat gehabt, da ihr aber eine falsche Strategie befolgt habt, so

haben wir eine Atempause von nur fünf Tagen—und auch das ist gut. DieKriegsgeschichte zeigt, daß, um eine panisch flüchtende Armee zurück-zuhalten, mitunter sogar Tage genügen. Wer jetzt den teuflischen Friedennicht annimmt, nicht unterzeichnet, ist ein Mann der Phrase und nicht derStrategie. Das ist das Schlimme. Wenn mir ZK-Mitglieder schreiben:„Demonstration der Ohnmacht", „Verrat", so ist das die schädlichste,hohlste kindische Phrase. Unsere Ohnmacht demonstriert haben wir da-durch, daß w ir zu kämpfen versuchten, als man nicht demonstrieren durfte,

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100 W. 1. Lenin

als die Offensive gegen uns unvermeidlich w ar. W as die Bauern von Pskow

betrifft, so werden wir sie auf den Sowjetkongreß bringen, damit sie er-zählen, wie die Deutschen sich benehmen, damit sie jene Stimmung schaf-fen, wo der von panischer Flucht befallene Soldat anfängt zu genesen undsagt: „Jawohl, jetzt habe ich begriffen, daß das nicht derselbe Krieg ist,den die Bolschewiki zu beenden versprachen — das ist ein neuer Krieg, dendie Deutschen gegen die Sowjetmacht führen." Dann wird die Gesundungeintreten. Ihr aber stellt eine Frage, über die man nicht entscheiden kann.Niemand kennt die Dauer der Atempause.

Ferner muß ich auf den Standpunkt des Gen. Trotzki eingehen. In

seiner Tätigkeit muß man zwei Seiten unterscheiden: als er die Verhand-lungen in Brest aufnahm und sie ausgezeichnet zu Agitationszwecken aus-nutzte, waren wir alle mit Gen. Trotzki einverstanden. Er hat einen Teilder Unterredung mit mir zitiert, aber ich füge hinzu, wir hatten ausge-macht, daß wir uns bis zum Ultimatum der Deutschen halten und nachdem Ultimatum kapitulieren. Der Deutsche hat uns übers Ohr gehauen:von den sieben Tagen hat er uns fünf gestohlen. 41 Trotzkis Taktik warrichtig, insofern sie darauf ausging, die Sache in die Länge zu ziehen: siewurde unrichtig, als der Zustand des Krieges für beendet erklärt und der

Frieden nicht unterzeichnet wurde. Ich schlug in der bestimmtesten Formvor, den Frieden zu unterzeichnen. Einen besseren Frieden als den Bresterkonnten wir nicht bekommen. Es ist allen klar, daß wir dann eine Atem-pause von einem Monat gehabt, daß wir nicht verspielt hätten. Da dieGeschichte diese Möglichkeit zunichte gemacht hat, so lohnt es sich nicht,daran zu erinnern, aber es ist lächerlich, wenn Bucharin sagt: „Das Lebenwird zeigen, daß wir recht hatten." Ich habe recht behalten, denn ich habedarüber bereits 1915 geschrieben: „Man muß sich darauf vorbereiten,einen Krieg zu führen, er ist unvermeidlich, er kommt, er wird komm en." *

Ab er man muß te den Frieden annehmen und nicht unnütz bramarbasieren.Den Frieden mußte man um so mehr annehmen, als der Krieg kommt,jetzt aber erleichtern wir zum mindesten die Evakuierung Petrograds, wirhaben sie bereits erleichtert. Das ist eine Tatsache. Wenn Gen. Trotzkidie neue Forderung aufstellt: „Versprecht, daß ihr keinen Frieden mitWinnitschenko unterzeichnen werdet", so sage ich, daß ich eine solcheVerpflichtung auf keinen Fall übernehm e.42 W enn der Parteitag diese Ver-

* Siehe Werke, 4. Ausgabe, Bd. 21, S. 368, russ. Die Red.

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Siebenter Parteitag der KPRCB) 101

pflichtung einginge, so würde weder ich noch irgendeiner meiner Gesin-

nungsgenossen die Verantwortung dafür übernehmen. Das würde bedeu-ten, daß w ir, anstatt eine Ware Linie des Manövrierens zu befolgen — unszurückziehen, wenn es geht, zuweilen angreifen —, uns anstatt dessenabermals durch einen formalen Beschluß binden. Niemals darf man sichin einem Krieg durch formale Erwägungen binden. Es ist lächerlich, dieKriegsgeschichte nicht zu kennen, nicht zu wissen, daß ein Vertrag einMittel ist, um Kräfte zu sammeln: ich habe mich bereits auf die preußischeGeschichte berufen. Einige urteilen entschieden wie die Kinder: Wir habenden Vertrag unterzeichnet, also haben wir uns dem Satan verkauft, sind

in die Hölle geraten. Das ist einfach lächerlich, wo doch die Kriegsgeschichteganz klar zeigt, daß die Unterzeichnung eines Vertrags angesichts einerNiederlage ein Mittel zum Sammeln der Kräfte ist. Es ha t in der GeschichteFälle gegeben, daß ein Krieg auf den anderen folgte, das haben wir allesvergessen, wir sehen, der alte Krieg verwandelt sich in.. .*. Wenn eseuch beliebt, dann bindet euch für immer durch formale Erwägungen undgebt die verantwortlichen Posten den linken Sozialrevolutionären. Wirwerden die Verantwortung dafür nicht übernehmen. Das hat ganz undgar nichts mit dem Wunsch nach Spaltung zu tun . Ich bin überzeugt, daß

das Leben euch belehren wird. Am 12. März — also in wenigen Tagen —werdet ihr umfangreiches Material erhalten.43

Genosse Trotzki sagt, das wäre Verrat im vollen Sinne des Wortes. Ichbehaupte, daß das ein ganz falscher Standpunkt ist. Um das konkret zuzeigen, will ich ein Beispiel anführen: zwei Menschen gehen ihres Weges,sie werden von zehn Mann überfallen, der eine kämpft, der andere flieht —

das ist Verrat. Nehmen wir aber zwei Armeen zu je Hunderttausend an,und gegen sie stehen fünf Armeen,- die eine Armee ist von zweihundert-tausend Mann umzingelt worden, die andere soll ihr zu Hilfe eilen, weiß

jedoch, daß dreihunderttausend Mann so aufgestellt sind, daß das einerFalle gleichkommt: kann man da zu Hilfe eilen? Nein, das kann mannicht. Das ist kein V errat, keine Feigheit: einfache V ergrößerung der Zahlhat alle Begriffe verändert, jeder Militär weiß das, hier handelt es sichnicht um eine persönliche Auffassung: indem ich so handele, erhalte ichmeine Armee,' mag die andere gefangengenommen werden, ich werdemeine erneuern, ich habe Verbündete, ich werde abwarten, die Verbün-

* Im Stenogramm sind einige Worte ausgelassen. Die Red.

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102 W. J. Lenin

deten werden kommen. Nu r so darf man argum entieren; wenn aber in die

militärischen Erwägungen andere hineingemengt werden, dann kommtdabei nichts als Phrasen heraus. So kann man keine Politik treiben.Alles, was getan werden kann, haben wir getan. Durch Unterzeichnung

des Vertrags haben wir Petrograd gerettet, wenigstens für einige Tage.(Die Sekretäre und Stenografen sollen sich nicht einfallen lassen, das auf-zuschreiben.) Der Vertrag enthält die Bestimmung, daß unsere Truppenaus Finnland zurückgezogen werden, Truppen , die offenkundig unbrauch-bar sind; es ist uns jedoch nicht verboten, Waffen nach Finnland einzu-führen. Wenn Petrograd vor einigen Tagen gefallen wäre, so wäre es von

einer Panik erfaßt worden, und wir hätten nichts herausschaffen können,in diesen fünf Tagen aber haben wir unseren finnischen Genossen ge-holfen — ich will hier nicht sagen, in welchem Umfang, das wissen sieselber.

Die Behauptung, daß wir Finnland verraten hätten, ist eine ganz kin-dische Phrase. Wir haben ihnen gerade dadurch geholfen, daß wir unsrechtzeitig vor den Deutschen zurückzogen. Rußland wird niemals unter-gehen, auch wenn Petrograd fällt, hier hat Gen. Bucharin tausendmalrecht, aber wenn man so wie Bucharin manövriert, kann man eine gute

Revolution zugrunde richten. (H e it e r k e it .)Wir haben weder Finnland noch die Ukraine verraten. Kein einziger

klassenbewußter Arbeiter wird uns einen solchen Vorwurf machen. Wirhelfen, womit wir können. Wir haben aus den Reihen unserer Truppenkeine einzige gute Kraft abgezogen und werden das auch nicht tun. W ennihr sagt, daß Hoffmann uns ertappen und fangen wird — natürlich, das istmöglich, das bezweifle ich nicht, aber in wieviel Tagen er das tun wird —

das weiß er nicht, und niemand weiß das. Außerdem sind eure Betrach-tungen, daß er ertappt, daß er fängt, Betrachtungen über das politische

Kräfteverhältnis, auf das ich noch zu sprechen komm e.Nachdem ich dargelegt habe, warum ich den Vorschlag Trotzkis absolut

nicht akzeptieren kann — so kann man keine Politik treiben —, muß ichsagen, daß ein Beispiel dafür, wie sehr die Genossen auf unserem Partei-tag der Phrase den Rücken gekehrt haben , an der U rizki faktisch festhält,Radek gegeben hat. Für diese Rede kann ich ihm auf keinen Fall den Vor-wurf der Phrase machen. Er hat gesagt: „Keine Spur von Verrat, vonSchmach, denn es ist klar, daß ihr vor einer erdrückenden militärischen

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Siebenter Parteitag der KPJiCB) 103

Übermacht zurückgewichen seid." Das ist eine Einschätzung, die die ganzeAuffassung Trotzkis zerschlägt. Wenn Radek sagte: „Wir müssen dieZähne zusammenbeißen und unsere Kräfte vorbereiten", so ist das rich-tig — das unterschreibe ich voll und ganz: nicht bramarbasieren, sonderndie Zähne zusammenbeißen und sich vorbereiten.

Man beiße die Zähne zusammen, bramarbasiere nicht, sondern bereitedie Kräfte vor. Der revolutionäre Krieg kommt, darüber gibt es bei unskeine Meinungsverschiedenheiten; Meinungsverschiedenheiten gibt es be-züglich des Tilsiter Friedens — soll man unterzeichnen? Das schlimmste istdie kranke Armee, jawohl, und deshalb muß das ZK eine feste Liniehaben und nicht Meinungsverschiedenheiten oder eine mittlere Linie, die

auch Gen. Bucharin unterstützt hat. Ich schildere die Atempause nicht inrosigen Farben,- niemand weiß, wie lange die Atempause dauern wird,auch ich weiß es nicht. Lächerlich sind die Bemühungen, aus mir heraus-holen zu wollen, wie lange die Atempause dauern wird. Dank der Tat-sache, daß wir die Haupteisenbahnlinien behalten haben, helfen wir so-wohl der Ukraine als auch Finnland. Wir nutzen die Atempause aus,indem wir manövrieren und zurückgehen.

Man kann dem deutschen Arbeiter nicht mehr erzählen, die Russenseien launenhaft, denn jetzt ist ja klar, daß der deutsche und der japanischeImperialismus marschieren, und das wird allen und jedem klarwerden;der Deutsche will nicht nur die Bolschewiki erdrosseln, er möchte auch imWesten unter seinen Feinden aufräumen, alles ist durcheinandergeraten,und in diesem neuen Krieg wird und mu ß man z u manövrieren verstehen.

W as die Rede des Gen. Bucharin betrifft, so mu ß ich feststellen: w ennes ihm an Argumenten fehlt, dann führt er etwas von Urizki ins Feld underklärt: „Der Vertrag macht uns-ehrlos." Hier bedarf es keiner Argu-mente: wenn wir ehrlos gemacht worden wären, dann hätten wir unserePapiere nehmen und davonlaufen müssen, aber auch wenn man uns „ehr-

los gemacht" hat, glaube ich nicht, daß unsere Positionen erschüttert wor-den sind. Gen. Bucharin versuchte, die Klassengrundlage unserer Positio-nen zu analysieren, aber statt dessen hat er eine Anekdote von einemverstorbenen Moskauer Ökonomen erzählt. Als man in unserer Taktikeinen Zusammenhang mit der Hamsterei entdecken wollte, da hat man —

weiß Gott, es ist lächerlich — vergessen, daß die Haltung der Klasse inihrer Gesamtheit — der Klasse, und nicht der Hamsterer — uns zeigt, daß

8 Lenin, W erke , Bd. 27

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104 W.ü. Centn

die russische Bourgeoisie und alle ihre Handlanger — die Leute vom „D eloNaroda" und von der „Nowaja Shisn" — mit allen Kräften versuchen, uns

in diesen Krieg hineinzuhetzen. Diese klassenbedingte Tatsache unter-streicht ihr allerdings nicht. Jetzt Deutschland den Krieg erklären heißtauf die Provokation der russischen Bourgeoisie hereinfallen. Das ist nichtsNeues , denn das ist der sicherste — ich will nicht sagen: der absolut sichere,denn es gibt nichts absolut Sicheres —, der sicherste Weg, uns sofort zustürzen. Als Gen. Bucharin sagte, das Leben spreche für sie, alles werdedamit enden, daß wir den revolutionären Krieg anerkennen — da feierteer einen leichten Sieg, denn die Unvermeidlichkeit des revolutionärenKrieges haben wir bereits 1915 vorausgesagt. Verschiedener Meinung

waren wir darüber, was der Deutsche tun werde: ob er angreifen wirdoder nicht, ob wir den Zustan d des Krieges für beende t erklären sollen, obman im Interesse des revolutionären Krieges physisch den Rückzug an-treten, Land aufgeben solle, um Zeit zu gewinnen. Strategie und Politikschreiben diesen allerschändlichsten Friedensvertrag vor. Unsere Mei-nungsverschiedenheiten werden alle verschwinden, wenn wir diese Taktikanerkennen.

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Siebenter Parteitag der 7CPKCB; 105

3

R E S O L U T I O N ÜB ER K R IE G U N D F R I E D E N «

Der Parteitag erkennt es für notwendig, den von der Sowjetmachtunterzeichneten, überaus schweren, überaus erniedrigenden Friedensver-trag mit Deutschland zu bestätigen, weil wir keine Armee haben, weil diedemoralisierten F ronttrup pen sich in einem außerordentlich schlimmen Zu -stand befinden, weil es notwendig ist, sich jede, und sei es 4ie geringsteMöglichkeit einer Atempause zunutze zu machen, bevor der Imperialis-mu s die Offensive gege n die Sozialistische Sow jetrepu blik eröffnet.

Wiederholte militärische Angriffe der imperialistischen Staaten (sowohlvom Westen als auch vom Osten) gegen Sowjetrußland sind historisch

unvermeidlich in der jetzigen Periode, mit der die Ära der sozialistischenRevolution begonnen hat. Die historische Unvermeidlichkeit solcher An-griffe kann, bei der jetzigen äußersten Verschärfung aller innerstaatlichen,klassenmäßigen und ebenso internationalen Beziehungen, jederzeit, auchim nächsten Augenblick, sogar in wenigen Tagen, zu neuen imperialisti-schen Angriffskriegen gegen die sozialistische Bewegung überhaupt, gegendie Russische Sozialistische Sowjetrepublik im besonderen führen.

Deshalb erklärt der Parteitag, daß die erste und grundlegende Aufgabesowohl unserer Partei als auch der gesamten Vorhut des klassenbewußten

Proletariats und ebenso der Sowjetmacht darin besteht, die energischstenMaßnahmen, schonungslos entschlossene und drakonische Maßnahmen zuergreifen zwecks H ebu ng der Selbstdisziplin un d der Disziplin der A rbei-ter und Bauern Rußlands, zwecks Aufklärung über die Unvermeidlichkeitdes historischen Heranrückens Rußlands an einen vaterländischen, sozia-listischen Befreiungskrieg, zwecks Schaffung von Massenorganisationenan allen Ecken und Enden, von Massenorganisationen, die aufs strengste

8*

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106 TV. J.Lenin

untereinander verbunden sind und durch einen einheitlichen eisernen Wil-

len zusammengehalten werden, von Organisationen, die zum geschlosse-nen und opfermütigen Handeln sowohl im Alltagsleben als auch und be-sonders in kritischen Augenblicken des Volkslebens fähig sind — undschließlich zwecks allseitiger, systematischer, allgemeiner Unterweisungder erwachsenen Bevölkerung, ohne Unterschied des Geschlechts, in mili-tärischen Kenntnissen und militärischen Operationen.

Der Parteitag sieht die sicherste Garantie für die Festigung der sozia-listischen Revolution, die in Rußland gesiegt hat, nur in ihrer Umwandlungin eine internationale Arbeiterrevolution.

Der Parteitag ist überzeugt, daß vom Standpunkt der Interessen derinternationa len Revolution der von der Sowjetmacht unternommene Schrittbei dem gegebenen Kräfteverhältnis in der W eltarena unvermeidlich undnotwendig war.

In der Überzeugung, daß die Arbeiterrevolution in allen kriegführen-den Ländern unablässig heranreift und die unvermeidliche und völligeNiederlage des Imperialismus vorbereitet, erklärt der Parteitag, daß dassozialistische Proletariat Rußlands mit allen Kräften und allen ihm zurVerfügung stehenden Mitteln die brüderliche revolutionäre Bewegung des

Proletariats aller Länder unterstützen wird.Zuerst veröffentlicht am 1. Januar 1919 "Nach dem 7ext des „Komm unar",in der Zeitung „Xom mun ar" 7ir. l. verglichen mit dem Ma nuskript.

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Siebenter Parteitag der KPR CB) 107

R E D E N G E G E N D I E A B Ä N D E R U N G S A N T R Ä G E T R O T Z K I SZ U R R E S O L U T I O N Ü B E R K R I E G U N D F R I E D E N «

8. MÄRZ (MO RGEN S)

Genossen, ich habe in meiner Rede bereits gesagt, daß weder ich nochmeine Anhänger die Annahme dieses Abänderungsantrags für möglichhalten. Wir dürfen uns auf keinen Fall, bei keinem einzigen strategischenManöver die Hä nde binden. Alles hängt ab vom Kräfteverhältnis und vomZeitpunkt des Angriffs dieser oder jener imperialistischen Staaten gegenuns, hängt davon ab, wann die Gesundung unserer Armee, die zweifels-

ohne einsetzt, so weit gediehen sein wird, daß wir imstande und verpflich-tet sein werden, uns nicht nur von dem unterzeichneten Frieden loszu-sagen, sondern auch Krieg zu erklären. Ich wäre einverstanden, anstattder Abänderungsanträge, die Gen. Trotzki eingebracht hat, folgende an-zunehmen:

Erstens müssen wir sagen — und das werde ich unbedingt verfechten —,

daß die vorliegende Resolution nicht in der Presse veröffentlicht, sondernnur eine Mitteilung über die Ratifizierung des Vertrags gebracht wird.

Zweitens, in bezug auf die Form der Publikation und den Inhalt wird

im Zusammenhang mit einem möglichen Angriff der Japaner dem ZK dasRecht erteilt, Änderungen vorzunehmen.

Drittens müssen wir sagen, daß der P arteitag dem ZK der Pa rtei Voll-macht gibt, sowohl alle Friedensverträge zu zerreißen als auch jeder impe-rialistischen Macht und der ganzen W elt den Krieg zu erklären , sobalddas ZK der Partei den Zeitpunkt für geeignet erachtet.

Diese Vollmacht zur Zerreißung der Verträge in jedem Augenblickmüssen wir dem ZK erteilen, aber das bedeutet keineswegs, daß wir jetzt

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108 W. 7. Lenin

gleich, in der Situation, die heute gegeben ist, die Verträge zerreißen.

Jetzt dürfen wir uns durch nichts die Hände binden. Die Worte, derenEinfügung Gen. Trotzki beantragt, werden die Stimmen derjenigen aufsich vereinigen, die gegen die Ratifizierung überhaupt sind, die Stim-men für eine mittlere Linie, die wiederum eine Situation schafft, wo keineinziger Arbeiter, kein einziger Soldat etwas von unserer Resolution ver-stehen wird.

Wir werden jetzt beschließen, daß die Ratifizierung des Vertrags not-wendig ist,und werden dem Zentralkomitee die Vollmacht erteilen, jeder-zeit den Krieg zu erklären , weil gegen uns eine Offensive vorbereitet w ird,

möglicherweise von drei Seiten; England oder Frankreich werden unsArchangelsk wegnehmen wollen — das ist durchaus möglich, aber aufkeinen Fall dürfen wir weder in bezug auf die Zerreißung des Friedens-vertrags noch in bezug auf die Erklärung eines Krieges unsere zentraleParteikörperschaft beengen. Wir unterstützen die Ukrainer finanziell, wirhelfen, womit wir nur können. Auf jeden Fall darf man sich nicht bindendurch einen Beschluß, daß wir überhaupt keinen Friedensvertrag unter-zeichnen werden. In einer Epoche sich ausbreitender Kriege, die einanderablösen, entstehen neue Kombinationen. Der Friedensvertrag ist ein ein-

ziges lebendiges Manövrieren — entweder stehen wir zu dieser Bedingungdes Lavierens, oder wir binden uns formal von vornherein die Hände so,daß w ir nicht imstande sein werden, uns zu bewegen: weder Frieden nochKrieg — das ist unmöglich.,

II

Ich' habe doch wohl gesagt: nein, das ist für mich nicht annehmbar.Dieser Abänderungsantrag enthält eine Andeutung, drückt das aus, wasGen. Trotzki sagen will. Andeutungen soll man nicht in eine Resolution

hineinbringen.Der erste Punkt spricht davon, daß wir die Ratifikation des Vertrags

annehmen und es für notwendig halten, jede, und sei es auch die geringsteMöglichkeit einer Atempause vor dem Beginn der Offensive des Imperia-lismus gegen die Sozialistische Sowjetrepublik auszunutzen. Wenn wirvon der Atempause reden, so vergessen wir nicht, daß die Offensive gegenunsere Republik fortdauert. Das ist mein Gedanke, den ich in meinemSchlußwort unterstrichen habe.

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Siebenter Parteitag der XPR (B) 109

R E D E G E G E N D E N A B Ä N D E R U N G S A N T R A G R A D E K SZUR RESOLUTION ÜBER KRIEG UND FRIEDEN

8.MÄRZ (MORGENS)

Ich habe nicht die Möglichkeit, jetzt auf die Polemik des Gen. Radekzu antworten — da ich nicht mitstimme, so kann ich meine Abstimmungnicht begründen. Auf gewöhnlichem Wege kann ich nicht antworten, undich will den Parteitag nicht mit der Bitte aufhalten, m ir zur Beantwortungdieser Polemik das Wort zu erteilen. Ich erinnere deshalb nur an das, wasich im Schlußwort gesagt habe, und zweitens protestiere ich dagegen, daßdie Ausführungen zur Begründung der Abstimmung in eine Polemik ver-wandelt werden, auf die zu antworten ich keine Möglichkeit habe.

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110 W.l Lenin

E R G Ä N Z U N G S A N T R A GZUR RESOLUTION OBER KRIEG UND FRIEDEN

Der Parteitag hält es für notwendig, die angenommene Resolution nichtzu veröffentlichen, und verpflichtet alle Parteimitglieder, diese Resolutiongeheimzuhalten. In der Presse w ird lediglich — und zwar nicht heute, son-dern nach Anweisung des ZK — mitgeteilt, daß der Parteitag für die Rati-fizierung ist.

Außerdem hebt der Parteitag besonders hervor, daß das ZK bevoll-mächtigt wird, jederzeit alle Friedensverträge mit imperialistischen undbürgerlichen Staaten zu zerreißen und ebenso ihnen den Krieg zu er-

klären. dem Manuskript.

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Siebenter Parteitag der XPRCB) 111

RED E G EG EN D EN A BÄ N D ERU N G SA N TRA GS I N O W J E W S Z U R E R G Ä N Z U N G D E R R E S O L U T I O N

ÜBER KRIEG UND FRIEDEN8. M Ä R Z

Idi glaube, Genossen, dieser Abänderungsantrag, den Gen. Sinowjeweinbringt, ist nicht notwendig.46 Ich hoffe, daß im Saale nur Parteimitglie-der anwesend sind, ich glaube, daß man wegen der Staatswichtigkeit derFrage beschließen kann, von jedem im Saal Anwesenden die persönlicheUnterschrift zu verlangen.

Das ist keineswegs eine so überflüssige Maßnahm e, wir befinden uns ineiner Situation, wo militärische Geheimnisse für die Russische Republikzu sehr wichtigen, zu den wesentlichsten Fragen werden. W enn wir in der

Presse sagen, daß der P arteitag die Ratifikation anerkannt ha t, dann wer-den keine Mißverständnisse möglich sein. Ich schlage nur vor, nicht gleichdarüber abzustimmen, weil noch Änderungen eintreten können: heutenoch müssen Nachrichten eintreffen, wir haben besondere Maßnahmenergriffen, damit man uns aus dem Nordosten und Süden unterrichte —

diese Nachrichten können einige Änderungen bringen. Wenn der Partei-tag sich damit einverstanden erklärt, daß wir im Interesse des revolutionä-ren Krieges manövrieren müssen, wenn er das ZK sogar bevollmächtigt,Krieg zu erklären, so ist es klar, daß beide Teile der Partei damit ein-

verstanden sind, der Streit ging ja nur darum, ob man den Krieg ohne jedeAtempause fortsetzen soll oder nicht. Ich bin der Auffassung, daß ich mitder Einbringung dieses Abänderungsantrags eine für die Mehrheit wie fürdie Opposition unstrittige Sache sage; ich glaube, daß es keine anderenAuslegungen geben kann. Ich halte es für praktischer, lediglich zu bestä-tigen, daß man diese Resolution geheimhalten muß. Außerdem müssenweitere Maßnahmen ergriffen und in dieser Hinsicht die persönliche Unte r-schrift von allen im Saale Anwesenden verlangt werden.

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112 W. 3. Lenin

8 .

A N TRA G ZU R RESO LU TIO N O BER K RIEG U N D FRIED EN8. MÄ RZ

I

Könnte man nicht, da die Resolution verteilt worden ist, jetzt gleich be-schließen, daß jeder, der die Resolution erhalten hat, sie sofort auf diesenTisch zu legen hat? Das wäre eine Maßnahme zur Wahrung des militä-rischen Geheimnisses.

II

Ich bitte abzustimmen. U nsere zentralen Parteistellen bestehen aus er-wachsenen Menschen, die verstehen werden, daß Mitteilungen, die einmilitärisches Geheimnis enthalten, mündlich erfolgen. Ich bestehe deshalbunbedingt darauf, daß sofort alle Texte der Resolutionen, die sich in Hän-den der Delegierten befinden, hier auf diesen Tisch gelegt werden.

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Siebenter Parteitag der XPR(B) 115

sion des Parteiprogramm s50, die gedruckt vorliegen; in den beiden führen-

den theoretischen Organen unserer Partei: „Prosweschtschenije"

51

, das inPetersburg, und „Spartak"52, der in Moskau erschien, sind Artikel ver-öffentlicht w orden, die diese oder jene Richtung für die Abänderungen amtheoretischen Teil unseres Parteiprogramm s zu begründen suchten. In die-ser Hinsicht liegt ein gewisses Material vor. Es sind zwei Hauptauffassun-gen hervorgetreten, die einander meines Erachtens zum mindesten nichtwesentlich, nicht grundsätzlich widersprechen; die eine Auffassung, die ichvertrat, besteht darin, daß wir keine Veranlassung haben, den alten theo-retischen Teil unseres Programms zu streichen, ja, das wäre sogar un-

richtig. Wir müssen diesen Teil nur durch eine Charakteristik des Imperia-lismus als der höchsten Entwicklungsstufe des Kapitalismus ergänzen, fer-ner durch eine Charakteristik der Ära der sozialistischen Revolution, aus-gehend davon, da ß diese Ära der sozialistischen Revolution begonnen h at.Welches auch das Schicksal unserer Revolution, unseres T rupps der inter-nationalen proletarischen Armee sein möge, welches auch die weiterenPeripetien der Revolution sein mögen, auf jeden Fall ist die objektiveLage der imperialistischen Länder, die sich in diesen Krieg verstrickthaben, der die fortgeschrittensten Länder bis zur Hungersnot, zum Ruin,zur Verwilderung gebracht hat — eine objektiv ausweglose Lage. Und hiermuß man das sagen, was Friedrich Engels vor dreißig Jahren, 1887, sagte,als er über die wahrscheinliche Perspektive eines europäischen Kriegesurteilte. Er sprach davon, daß die Kronen zu Dutzenden in Europa überdas Pflaster rollen werden und niemand sich findet, der sie aufhebt, ersprach davon, welche unglaubliche Zerrüttung in den europäischen Län-dern eintreten werde und daß das Endergebnis der Schrecken des euro-päischen Krieges nur eines sein könne — er drückte sich so aus, dann sei„der Sieg des Proletariats entweder schon errungen oder doch unvermeid-lich" 5S. In dieser Beziehung hat sich Engels außerordentlich exakt und vor-sichtig ausgedrückt. Zum Unterschied von Leuten, die den M arxismus ent-stellen, die mit ihren verspäteten Pseudoklugheiten komm en, daß auf demBoden der Zerrüttung der Sozialismus nicht möglich sei, verstand Engelsausgezeichnet, daß jeder Krieg, sogar in jeder fortgeschrittenen Gesell-schaft, nicht nur Zerrüttung, Verwilderung, Qualen und Leiden für dieMassen schafft, die bis an den H als in Blut stehen werden , daß man nichtgarantieren könne, daß das zum Sieg des Sozialismus führen werde; er

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Siebenter Parteitag der XPRCB) 117

auch die weiteren Peripetien des Kampfes sein mögen, wie viele Zickzack-wege wir auch im einzelnen zurückzulegen haben werden (und ihrer wer-

den sehr viele sein; wir sehen an der Erfahrung, welche gigantischen Wen-dungen die Geschichte der Revolution vollzieht, un d das zun ächst nur beiuns ; wieviel komp lizierter u nd rasch er wird sich die Sache entwickeln, wie-viel toller wird das Entwicklungstempo we rden und w ieviel kom pliziertereSchwenkungen werden kommen, wenn die Revolution zur europäischenRevolution wird) — um sich in diesem Zickzack, diesen schroffen W en du n-gen der Geschichte nicht zu verlieren und die allgemeine Perspektive zubehalten, um den roten Faden zu sehen, der die gesamte Entwicklung desKapitalismus und den ganzen Weg zum Sozialismus verknüpft, den wir

uns natürlich als einen geraden W eg vo rstellen und vorstellen müssen, umden Anfang, die Fortsetzung und das Ende zu sehen — im Leben wird erniemals gerade sein, er wird außerordentlich kompliziert sein —, um sichin diesen Wendungen nicht zu verlieren, um in den Perioden des Zurück-gehens, der Rückzüge, der zeitweiligen Niederlagen oder wenn uns dieGeschichte oder der Feind zurückwirft, um sich hier nicht zu verlieren,wird es meines Erachtens wichtig und theoretisch das einzig Richtige sein,wenn wir unser altes, grundlegendes Programm nicht beiseite werfen.Denn wir befinden uns jetzt bei uns in Rußland erst auf der ersten Über-

gangsstufe vom Kapitalismus zum Sozialismus. Die Geschichte hat unsnicht jene friedliche Situation gegeben, an die wir theoretisch für eine ge-wisse Zeit dachten und die für uns wünschenswert wäre, die uns ermög-lichen w ürd e, diese Überga ngsstufen rasch durchzumachen. W ir sehen aufeinmal, wie viele Schwierigkeiten der Bürgerkrieg in Rußland geschaffenhat und wie dieser Bürgerkrieg sich mit einer ganzen Reihe von Kriegenverknüpft. Die Marxisten haben niemals vergessen, daß die Gewalt-anwendung unvermeidlich eine Begleiterscheinung des Zusammenbruchsdes Kapitalismus auf der ganzen Linie und des Entstehens der sozialisti-

schen Gesellschaft sein wird . Un d diese Gew altanw endun g w ird eine welt-geschichtliche Periode umfassen, eine ganze Ära verschiedenartigsterKriege — imperialistischer Kriege, Bürgerkriege im Inne rn des L ande s,Verflechtung beider, nationaler Kriege, Befreiungskriege von Nationali-täten, zertreten von den Imperialisten, Kriege von verschiedenen Kombi-nationen imperialistischer Staaten, die unvermeidlich in der Epoche dergewaltigen staatskapitalistischen und militärischen Trusts und Syndikate

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118 W . 1. Lenin

diese oder jene Bündnisse eingehen. Diese Epoche ist eine Epoche gigan-

tischer Zusammenbrüche, massenhafter militärischer gewaltsamer Ent-scheidungen und Krisen—sie hat begonnen, das sehen wir ganz deutlich—,es ist nur der Anfang. Deshalb haben wir keine Veranlassung, alles hin-auszuwerfen, was sich auf die Charakteristik der Warenproduktion über-haupt, des Kapitalismus überhaupt bezieht. Wir haben soeben die erstenSchritte getan, um den Kapitalismus völlig abzuschütteln und den Über-gang zum Sozialismus zu beginnen. Wieviel Etappen des Übergangs zumSozialismus noch vor uns liegen, wissen wir nicht und können wir nichtwissen. Das hängt davon ab, wann die europäische sozialistische Revolu-tion im richtigen Maßstab anfangen wird, davon, wie leicht, rasch oderlangsam sie mit ihren Feinden fertig w erden und die freie Bahn der sozia-listischen Entwicklung beschreiten wird. Das wissen wir nicht, das Pro-gramm einer marxistischen Partei aber muß von absolut genau festgestell-ten Tatsachen ausgehen. Nur darin besteht die Stärke unseres Programm s,das sich in allen Wechselfällen der Revolution bewährt hat. Nur auf die-ser Basis müssen Marxisten ihr Programm aufbauen. W ir müssen von denabsolut genau festgestellten Tatsachen ausgehen, die darin bestehen, daßdie Entwicklung des Austauschs und der Warenproduktion in der ganzenWelt zu der vorherrschenden geschichtlichen Erscheinung geworden istund zum Kapitalismus geführt hat, der Kapitalismus aber sich zum Impe-rialismus entwickelt hat — das ist eine absolut unwiderlegliche Tatsache,das muß man vor allen Dingen im Programm feststellen. Daß dieser Im-perialismus die Ära der sozialen Revolution eröffnet, ist ebenfalls eineTatsache, die für uns augenscheinlich ist, über die wir uns klar äußernmüssen. Wenn wir diese Tatsache in unserem Programm konstatieren, soerheben wir vor den Augen der ganzen W elt die Fackel der sozialen Revo-lution nicht nur im Sinne einer Agitationsrede — wir erheben sie als neuesProgramm, indem wir allen Völkern Westeuropas sagen: „Diese Schluß-folgerung hier haben wir mit euch zusammen aus den Erfahrungen derkapitalistischen Entwicklung gezogen. Das war der Kapitalismus, so ha t ersich zum Imperialismus entwickelt, und das ist die Ära der sozialen Revo-lution, die beginnt und in der zeitlich die erste Rolle uns zugefallen ist."W ir werden vor allen zivilisierten Ländern mit diesem Manifest auftreten,das nicht bloß ein flammender Aufruf sein wird, das absolut genau begrün-det, aus Tatsachen hervorgehen wird, die alle sozialistischen Parteien an-

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Siebenter Parteitag der KPRCB) 119

erkennen. Um so klarer wird der Widerspruch w erden zwischen der T ak-

tik dieser Parteien, die jetzt den Sozialismus verraten haben, und dentheoretischen Voraussetzungen, die wir alle teilen, die jedem klassen-bew ußte n Arb eiter in Fleisch u nd Blut übergegang en sind: die Entwicklungdes Kapitalismus und sein Übergang in Imperialismus. Am Vorabend derimperialistischen Kriege gaben die Kongresse in Chemnitz und in Basel inResolutionen eine Charakteristik des Imperialismus, die in schreiendemWiderspruch zu der jetzigen Taktik der Sozialverräter s teht . 6 4 Deshalbmüssen wir dieses Grundlegende wiederholen, um den werktätigen Mas-sen Westeuropas um so klarer zu zeigen, wessen ihre Führer angeklagt

werden.Das ist der Hauptgrund, warum ich einen solchen Aufbau des Pro-

gramms für den einzigen theoretisch richtigen halte. Die Charakteristikder Warenproduktion und des Kapital ismus wie alten Plunder hinauszu-werfen — das folgt nicht aus dem historischen Charakter dessen, was jetztvor sich geht, denn wir sind über die ersten Stufen des Übergangs vomKapitalismus zum Sozialismus nicht hinausgegangen, und unser Übergangwird kompliziert durch die Besonderheiten Rußlands, die es in den mei-sten zivilisierten Ländern nicht gibt. Es ist also nicht nur möglich, sondern

unvermeidlich, daß diese Übergangsstadien in Europa andere sein werden;und deshalb wäre es theoretisch falsch, alle Aufmerksamkeit auf diejenigennationalen, spezifischen Übergangsstufen zu konzentrieren, die für unsnotwendig sind, aber für Europa nicht notwendig zu sein brauchen. Wirmüssen mit der al lgemeinen Grundlage der Entwicklung der Warenpro-duktion, des Übergangs zum Kapitalismus und der Entartung des Kapita-lismus zum Imperialismus anfangen. Damit nehmen wir theoretisch eineStellung ein und stärken diese Stellung, die uns niemand, der nicht Verratam Sozialismus begangen hat, streitig machen wird. Daraus ergibt sich

ebenso unvermeidlich die Schlußfolgerung: Die Ära der sozialen Revolu-tion beginnt.

Wir tun das und bleiben dabei auf dem Boden der unanfechtbar fest-gestellten Tatsachen.

Ferner müssen wir eine Charakteristik des sowjetischen Staatstypusgeben. Ich habe mich bemüht, meine theoretischen Ansichten in dieserFrage in dem Buch „Staat und Revolution" * darzulegen. Mir scheint, daß

* Siehe We rke, 4 . Ausgabe, Bd. 25, S. 353^ *62 , russ. Die Red.

9 Lenin, W erke , Bd. 27

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120 "W.1. Lenin

die marxistisdie Auffassung vom Staat durdi den herrschenden offiziellen

Sozialismus Westeuropas in hödhstem Grade verfälsdit worden ist, wasdu rdi die Erfahrungen der sowjetisdien Revolution und die Sdiaffung derSowjets in Rußland wunderbar anschaulich bestätigt worden ist. In unse-ren Sowjets gibt es nodi viel Rohes, Unvollendetes, das unterliegt keinemZweifel, das ist jedem klar, der sidi ihre Arbeit näher angesehen ha t, aberwas an ihnen widitig, was historisdi wertvoll ist, was einen Sdiritt vor-wärts in der weltumspannenden Entwiddung des Sozialismus darstellt, istdies, daß hier ein neuer Typus des Staates gesdiaffen worden ist. In derPariser Kommune gab es das einige Wodien lang, in einer einzigen Stadt,

ohne daß man sidi bewußt war, was man tat. D ie die Kommune sdiufen,verstanden sie nidit, sie sdiufen mit dem genialen Instinkt der erwaditenMassen, und keine einzige Fraktion der französisdien Sozialisten w ar sidibewußt, was sie tat. W ir befinden uns in einer Situation, wo wir dank derTatsadie, daß wir auf den Sdiultern der Pariser Kommune und der viel-jährigen Entwiddung der deutsdien Sozialdemokratie stehen, klar sehenkönnen, was wir tun, wenn wir die Sowjetmadit sdiaffen. Trotz aller Un-gesdiladitheit und Undiszipliniertheit, die es in den Sowjets gibt und dieein Überbleibsel des kleinbürgerlidien Charakters unseres Landes sind —

trotz alledem ist von den Volksmassen ein neuer Typus des Staates ge-sdiaffen worden. Er wird nidit seit einigen Wodien, sondern sdion seitmehreren Monaten, nidit in einer einzigen Stadt, sondern in einem ge-waltigen Lande und von mehreren Nationen angewandt. Dieser Typusder Sowjetmadit hat sidi bewährt, wenn er auf ein in jeder Hinsidit soanders geartetes Land wie Finnland übergegriffen hat, wo es keine Sowjetsgibt, wohl aber einen wiederum neuen, einen proletarisdien Typus derStaatsmacht. So beweist das, was theoretisch unbestritten ist, daß dieSowjetmacht ein neuer Typus des Staates ist, ohne Bürokratie, ohne

Polizei, ohne stehendes Heer, mit Ersetzung des bürgerlichen Demokra-tismus durch eine neue Demokratie — eine Demokratie, die die Vorhutder werktätigen Massen in den Vordergrund rückt, sie sowohl zum Ge-setzgeber als auch zum Vollstredcer der Gesetze sowie zur militärisdienSdiutzw adie macht und einen Apparat schafft, der die Massen umerziehenkann.

In Rußland ist das eben erst begonnen und schlecht begonnen worden.Wenn wir uns bewußt sind, was schledit an dem ist, was wir begonnen

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Siebenter Parteitag der KPJZCB) 121

haben , so werden wir es überwinden, falls die Geschichte uns die Möglich-

keit gibt, an dieser Sowjetmacht eine halbwegs angemessene Zeit zu arbei-ten. Mir scheint deshalb, daß die Charakteristik des neuen Staatstypus inunserem Programm einen hervorragenden Platz einnehmen muß. Leidermußten w ir am Programm arbeiten zu einer Zeit, wo wir von Regierungs-geschäften in Anspruch genommen sind, in einer unglaublichen Hast, sodaß wir nicht einmal imstande waren, unsere Kommission einzuberufenund einen offiziellen Programmentwurf auszuarbeiten. Was an die Ge-nossen Delegierten verteilt worden ist, bezeichnen wir nur als ersteSkizze *, und jeder wird das klar erkennen. In dieser Skizze wird der Frage

der Sowjetmacht ein ziemlich großer Platz eingeräumt, und mir scheint,daß hier die internationale Bedeutung unseres Programms zum Ausdruckkommen muß. Es wäre, wie mir scheint, ganz falsch, wenn wir die inter-nationale Bedeutung unserer Revolution auf Appelle, Losungen, Demon-strationen, Aufrufe usw. beschränken wollten. Das genügt nicht. Wirmüssen den europäischen A rbeitern konkret zeigen, was wir in Angriff ge-nommen haben, wie wir es in Angriff genommen haben und wie es aufzu-fassen ist,- das wird sie konkret auf die Frage bringen, wie man zumSozialismus gelangt. Hier sollen sie sich ansehen: D ie Russen nehm en eine

gute Sache in Angriff, und wenn sie es schlecht machen, so werden wir esbesser machen. Deshalb müssen wir möglichst viel konkretes Materialbringen und sagen, was wir Neues zu schaffen versucht haben. In der So-wjetmacht haben wir einen neuen Staatstypus; versuchen wir seine Auf-gaben, seine Konstruktion zu schildern, versuchen wir zu erklären, wasdieser neue Typus der Demokratie, in dem es so viel Chaotisches, Un-gefüges gibt, was sein lebendiger Odem ist — der Übergang der Macht andie Werktätigen, die Beseitigung der Ausbeutung, des Unterdrückungs-apparats. Der Staat ist ein Apparat zur Unterdrückung. Man muß dieAusbeuter unterdrücken, aber man kann sie nicht mittels der Polizei unter-drücken, nur die Masse selbst kann das tun, der Apparat muß mit denMassen verbunden sein, muß in der Form der Sowjets die Massen reprä-sentieren. Die Sowjets stehen den Massen viel näher, sie geben die Mög-lichkeit, näher an sie heranzukomm en, sie geben uns größere M öglichkeit,diese Masse zu erziehen. Wir wissen sehr gut, daß der russische Bauerdanach strebt, lernen zu können, aber wir wollen, daß er nicht aus Büchern,

* Siehe den vorliegenden Band, S. 139—145. Die Red.

9*

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122 IV . 1. Lenin

sondern aus den eigenen Erfahrungen lerne. Die Sowjetmacht ist ein

Apparat, ein Apparat, dazu-bestimmt, daß die Masse sofort anfange, dieStaatsverwaltung und die Organisation der Produktion im gesamtnationa-len Maßstab zu erlernen. Das ist eine gigantisch schwierige Aufgabe. Histo-risch wichtig aber ist es, daß wir die Lösung dieser Aufgabe in Angriff neh-men, und zwar nicht nur vom Standpunkt unseres Landes allein, sondern daßwir auch die europäischen Arbeiter zu Hilfe rufen. Wir müssen unser Pro-gramm gerade von diesem allgemeinen Standpunkt aus konkret erklären.Das ist der Grund, weshalb wir glauben, den Weg der Pariser Kommunefortzusetzen. Das ist der Grund, weshalb wir überzeugt sind, daß die

europäischen Arbeiter, nachdem sie diesen Weg beschriften haben v/erden,uns werden helfen können. Sie werden das, was wir tun, besser machen,wobei sich der Schwerpunkt vom formalen Gesichtspunkt auf die konkre-ten Bedingungen verschiebt. Wenn einstmals eine Forderung wie die Ga-rantierung des Versammlungsrechts besonders wichtig war, so bestehtunsere Auffassung vom Versammlungsrecht darin, daß jetzt niemand Ver-sammlungen verhindern kann und daß die Sowjetmacht nur den Saal fürVersammlungen zur Verfügung stellen muß. Für die Bourgeoisie wichtigwar die allgemeine Proklamierung großspuriger Grundsätze: „Alle Bür-

ger haben das Recht, sich zu versammeln, aber nur unter freiem Himmel,denn Räumlichkeiten werden wir euch nicht geben." Wir dagegen sagen:„Weniger Phrasen und mehr Taten." Man muß die Paläste in Beschlagnehmen, und zwar nicht nur den Taurischen Palast, sondern auch vieleandere — über das Versammlungsrecht aber bew ahren wir Stillschweigen.Und das muß auch für alle übrigen Punkte des demokratischen Programmsgelten. W ir müssen selbst Richter sein. Die Bürger müssen in ihrer Gesamt-heit am Gerichtswesen und an der Verwaltung des Landes teilnehmen.Wichtig für uns ist die Heranziehung aller Werktätigen ohne Ausnahme

zur Verwaltung des Staates. Das ist eine gigantisch schwierige Aufgabe.Den Sozialismus aber kann nicht eine Minderheit — die Partei — einfüh-ren. Einführen können ihn Dutzende von Millionen, wenn sie es lernen,das selbst zu tun. Wir sehen unser Verdienst darin, daß wir danach stre-ben, der Masse zu helfen, das sofort selbst in Angriff zu nehmen, nichtaber es aus Büchern, aus Vorträgen zu lernen. W enn w ir diese unsere Auf-gaben konkret und klar aussprechen, so werden wir alle europäischen Mas-sen dazu bringen, diese Frage zu erörtern und sie praktisch zu stellen.

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Siebenter Parteitag der XVRCB) 123

Vielleicht machen wir schlecht, was gemacht werden muß, aber wir fähren

die Massen an das heran, was sie machen müssen. Wenn das, was unsereRevolution macht, kein Zufall ist — und davon sind wir tief überzeugt —,

wenn es nicht das Produkt eines Beschlusses unserer Partei ist, sondern dasunvermeidliche P rodukt einer jeden Revolution, die M arx als Volksrevolu-tion bezeichnet hat, d. h. als eine Revolution, die von den Volksmassenselbst mit ihren eigenen Losungen, ihren eigenen Bestrebungen durch-geführt wird, und nicht durch Wiederholung des Programms der altenbürgerlichen Republik — wenn wir die Frage so stellen, dann werden wirdas Wesentlichste erreichen. Hier kommen wir zu der Frage, ob man die

Unterscheidung zwischen dem M aximalprogramm und dem Minimalpro-gramm beseitigen soll. Ja und n ein. Ich fürchte diese Beseitigung nicht, weilder Standpunkt, der noch im Sommer vertreten worden ist, jetzt nichtmehr eingenommen w erden darf. Ich sagte „verfrüht", als wir noch nichtdie Macht ergriffen hatten, jetzt aber, wo wir diese Macht ergriffen undsie erprobt haben, ist das nicht mehr ve rfrüht.* W ir m üssen jetzt an Stelledes alten Programms ein neues Programm der Sowjetmacht schreiben,dürfen uns aber keineswegs darauf festlegen, den bürgerlichen Parlamen-tarismus nicht ausnutzen zu wollen. Zu glauben, daß wir nicht mehr zu-

rückgeworfen werden, wäre eine Utopie.Es ist historisch nicht zu bestreiten, daß Rußland die Sowjetrepublik

geschaffen hat. Wir sagen: bei jedem Rückschlag werden wir, ohne auf dieAusnutzung des bürgerlichen Parlamentarismus zu verzichten — wenn diefeindlichen Klassenkräfte uns auf diese alte Position zurückwerfen soll-ten —, das erstreben, was durch die Erfahrung gewonnen worden ist — dieSowjetmacht, den sowjetischen Staatstypus, einen Staat vom Typus derPariser Kommune. Das muß im Programm zum Ausdruck gebracht wer-den. An Stelle des Minimalprogramms nehmen wir das Programm der

Sowjetmacht auf. D ie Charak teristik des neuen S taatstypus mu ß einen be-deutenden Platz in unserem Programm einnehmen.

Es ist klar, daß wir jetzt kein Programm ausarbeiten können . Wi r müs-sen seine grundlegenden Sätze ausarbeiten und sie einer Kommission oderdem Zentralkomitee zur Ausarbeitung der grundlegenden Thesen über-weisen. Sogar noch einfacher: die Ausarbeitung ist möglich auf Grund derResolution über die Brest-Litowsker Konferenz, die bereits Thesen ent-

•"Siehe Werke, 4 . Ausgabe, Bd. 26, S. 142—146, ross. Die Red.

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124 TV.1. Lenin

hält.* Auf Grund der Erfahrungen der russischen Revolution muß eine

solche Charakteristik der Sowjetmacht gegeben werden, und dann müssendie praktischen Umgestaltungen vorgeschlagen werden. Hier müssen wir,scheint mir, im historischen Teil feststellen, daß jetzt die Expropriationdes Grund und Bodens und der Produktionsmittel begonnen hat. W ir stel-len hier die konkrete Aufgabe, den Verbrauch zu organisieren, die Bankenuniversal zu gestalten, sie in ein Netz von staatlichen Institutionen um-zuwandeln, die das ganze Land erfassen und uns eine gesellschaftlicheBuchführung, Abrechnung und Kontrolle schaffen, die von der Bevölke-rung selbst durchgeführt wird und den weiteren Schritten des Sozialismus

zugrunde liegt. Ich glaube, daß dieser Teil, der schwierigste Teil, formu-liert werden muß in Form von konkreten Forderungen unserer Sowjet-macht — was wir jetzt sofort tun wollen, welche Reformen wir durch-zuführen beabsichtigen auf dem G ebiet der Bankpolitik, der Organisierungder Produktion, der Organisierung des Austauschs, der Rechnungsführungund Kontrolle, der Einführung der Arbeitsdienstpflicht usw. Wenn es ge-lingt, werden wir hinzufügen, welche Schritte, Schrittchen und halbenSchrittchen wir in dieser Hinsicht getan haben. Hier muß ganz klipp undklar festgestellt w erden, was wir begonnen und was wir nicht zu Ende ge-

führt haben. W ir alle wissen sehr gut, daß ein gewaltiger Teil dessen, waswir begonnen haben, noch nicht zu Ende geführt worden ist. Ohne auchnur im geringsten zu übertreiben, ganz objektiv, ohne den Boden der Tat-sachen zu verlassen, müssen wir im Programm aussprechen, was ist undwas wir zu tun beabsichtigen. Diese Wahrheit werden wir dem europä-ischen Proletariat zeigen und ihm sagen: dies muß getan werden — damitsie sagen: das und das machen die Russen-schlecht, wir aber werden esbesser machen. Und wenn dieser Drang die Massen ergreift, dann wirddie sozialistische Revolution unbesiegbar sein. Vor aller Augen geht der

imperialistische, dieser durch und durch räuberische Krieg vor sich. Dasmüssen wir entlarven, müssen den Krieg kennzeichnen als einen Zusam-menschluß der Imperialisten gegen die sozialistische Bewegung. Das sinddie allgemeinen Erwägungen, die ich Ihnen mitzuteilen für notwendig halteund auf Grund deren ich den praktischen Vorschlag mache, daß wir unsjetzt die hauptsächlichsten Ansichten in dieser Frage anhören, um dannvielleicht einige grundlegende Thesen gleich hier auszuarbeiten; wenn das

* Siehe den vorliegenden Band, S. 105/106. Die Hed.

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Siebenter Parteitag der XPRCB) 127

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R E S O L U T I O N Ü B E R D I E Ä N D E R U N G DE S N A M E N S

D E R P A R T EI U N D DE S P A R T E I P R O G R A M M S

Der Parteitag beschließt, unsere Partei (die Sozialdemokratische Arbei-terpartei Ru ßlands, die der Bolschewiki) von n un anKommunistiscbePartei Rußlands in Klammern „Bolschewiki" zu nennen.

Der Parteitag beschließt, das Programm unserer Partei zu ändern durchUmarbeitung des theoretischen Teils oder durch Einfügung einer Charak-teristik des Imperialismus und der begonnenen Ära der internationalensozialistischen Revolution.

Ferner muß die Änderung des politischen Teils unseres Programms in

einer möglichst genauen und ausführlichen Charakterisierung des neuenStaatstypus, der Sowjetrepublik, bestehen, als einer Form der Diktaturdes Proletariats und als Fortsetzung jener Errungenschaften der inter-nationalen Arbeiterrevolution, mit denen die Pariser Kommune begonnenhat. Das Programm muß darauf hinweisen, daß unsere Partei auf dieAu snutz ung auch des bürgerlichen Parlamen tarismu s nicht verzichten wird,wenn der Verlauf des Kampfes uns für eine gewisse Zeit auf diese, vonunserer Revolution jetzt überholte historische Stufe zurückwerfen sollte.Auf jeden Fall aber und unter allen Umständen wird die Partei für die

Sowjetrepublik kämpfen, als den seinem Demokratismus nach höchstenStaatstypus und als Form der Diktatur des Proletariats, des Sturzes desAusbeuter jochs und der Unterdrückung des Widerstands der Ausbeuter .

Eben in diesem Geiste und in dieser Richtung müssen das Wirtschafts-programm, darunter auch das Agrarprogramm, ferner der pädagogischeTeil und die übr igen Teile unseres Programms umgearbeitet werden . D erSchwerpunkt muß in der genauen Charakterisierung der von unsererSowjetmacht in Angriff genommenen ökonomischen und anderen Um-

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128 •W.J.Lenin

gestaltungen sowie in der konkreten Darlegung der nächsten konkreten

Aufgaben bestehen, die sich die Sowjetmacht gestellt hat und die sich ausden von uns bereits getanen praktischen Schritten der Expropriation derExpropriateure ergeben.

Der Parteitag beauftragt eine besondere Kommission, auf Grund derdargelegten Weisungen möglidist ohne Aufschub ein Programm unsererPartei auszuarbeiten und es als Programm unserer Partei zu bestätigen.

„Prawda" TJr. 45, Nadb dem Manuskript9.März 1918.

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Siebenter Parteitag der K?R (B) 131

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REDE ZUM ANTRAG MGELADSESÜBER D IE H I N Z U Z I E H U N G

D ER G R Ö S S T E N P A R T E I O R G A N I S A T I O N E NZUR AUSARBEITUNG DES PARTEIPROGRAMMS

8. MÄ RZ (ABENDS)

Angesichts der Verhältnisse, in denen sich Rußland jetzt befindet — imZustand des Bürgerkriegs, wo bestimmte Teile abgeschnitten sind —, istdas unzulässig. Es versteht sich von selbst, daß die Kommission, die dieKorrekturen vornehmen wird, sobald sich auch nur die geringste Mög-lichkeit bietet, sofort drucken lassen wird, und jedesmal werden die ört-lichen Organisationen sich äußern können, sich äußern müssen, aber sichformell durch etwas binden, was in nächster Zeit undurchführbar ist, wäreein noch größerer Aufschub als bis zum Parteitag.

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Siebenter Parteitag der KPJICB) 133

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RED E G EG EN D EN A BÄ N D ERU N G SA N TRA G PELSCH ESZU R RESO LU TIO N Ü BER D A S PA RTEIPRO G RA MM

8. MÄRZ (ABENDS)

Mir scheint, daß der Vorredner nicht recht hat.60 Die M assen sind nicht

solche Kinder und begreifen, daß der Kampf außerordentlich ernst ist. Siehaben gesehen, wie wir früher, z. B. im Juli, zurückgeworfen worden sind.Diese Worte wegzulassen ist unmöglich. Wir dürfen uns auf keinen Fallden Anschein geben, als ob wir die bürgerlichen parlamentarischen Ein-richtungen überhaupt nicht schätzen. Sie sind ein gewaltiger Schritt vor-wärts im Vergleich mit dem Vorangegangenen. Wenn wir also diese W orteweglassen, so rufen wir einen Eindruck hervor von etwas, was noch nichtda ist — den Eindruck absoluter Festigkeit der erreichten Stufe. Wir wis-sen, daß das noch nicht der Fall ist. Das w ird der Fall sein, wenn die inter-

nationale Bewegung uns unterstü tzt. Ich bin bereit, die Worte „auf keinenFall" zu streichen, die Worte „die Partei wird auf die Ausnutzung nichtverzichten" kann man belassen, einer rein anarchistischen Ablehnung desbürgerlichen Parlamentarismus aber können wir nicht den Weg bahnen.Das sind Stufen, die unmittelbar miteinander verbunden sind; werdenwir zurückgeworfen, so besteht die Möglichkeit, daß wir wieder zu dieserStufe zurückkehren. Ich bin nicht der Auffassung, daß das unter den Mas-sen eine Depression hervorrufen würde. Wenn man unter Massen poli-tisch ganz ungebildete Menschen versteht, so werden sie das nicht be-greifen, die Parteimitglieder aber und die Sympathisierenden werden esbegreifen, sie werden begreifen, daß wir die eroberten Positionen nichtfür endgültig gefestigt halten. Wenn wir durch eine gigantische Willens-anspannung die Energie aller Klassen entfalten und diese Position festigen,dann werden wir nicht mehr an die Vergangenheit erinnern. Aber dazubedarf es der Hilfe Europas. Sagen wir jetzt aber, daß w ir auch unter denschlimmsten Bedingungen arbeiten können, so wird unter den Massennicht die geringste Depression eintreten.

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Siebenter Parteitag der KPRCB) 135

vollendete Sozialismus aussehen wird — nein, das wissen wir nicht. Theo-retisch, in theoretischen Werken, in Artikeln, in Reden, in Vorlesungenwerden wir den Gedanken entwickeln, daß Kautsky den Kampf gegen dieAnarchisten nicht richtig führt, aber ins Programm können wir das nichtaufnehmen, weil es noch keine Materialien für eine Charakteristik desSozialismus gibt. Die Ziegel sind noch nicht hergestellt, aus denen derSozialismus aufgebaut wird. Weiter können wir nichts sagen, und manmuß möglichst vorsichtig und genau sein. Darin und nur darin wird diewerbende Kraft unseres Programms bestehen. Prätendieren wir aber imgeringsten auf Dinge, die wir nicht geben können, so wird das die Kraftunseres Programms schwächen. Man wird argwöhnen, daß unser Pro-

gramm nur eine Phantasie sei. Das Programm ist eine Charakteristik des-sen, was wir zu tun begonnen haben, und gibt die nächsten Schritte an,die wir tun wollen. Den Sozialismus zu charakterisieren sind wir nichtimstande, und diese Aufgabe war unrichtig formuliert worden.

II

Da die Formulierung nicht in schriftlicher Form vorlag, so ist natürlichein Mißverständnis möglich. Aber Gen. Bucharin hat mich nicht überzeugt.Der Name unserer Partei drückt klar genug aus, daß w ir den vollen Kom-munismus anstreben, daß wir solche abstrakten Sätze aufstellen wie: Jedervon uns wird nach seinen Fähigkeiten arbeiten und nach seinen Bedürf-nissen empfangen, ohne jede militärische Kontrolle und Gewalt. Davonjetzt zu reden, wäre verfrüht. Mit dem Absterben des Staates hat es nochgute Weile. Bis dahin haben wir noch Zeit, mehr als zwei Parteitage ab-zuhalten, um sagen zu können: Da, seht, wie unser Staat abstirbt. Bisdahin aber ist es noch zu früh. Im voraus das Absterben des Staates zuproklamieren, wäre eine Verletzung der historischen Perspektive.

10 Lenin, W erke , Bd. 27

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136 W. 3. Lenin

16

REDE ÜBER DIE FRAGEDER WAHL DES ZENTRALKOMITEES 6 2

8. MÄRZ (ABENDS)

Lomow hat sich außerordentlich scharfsinnig auf meine Rede berufen,in der ich forderte, daß das Zentralkomitee imstande sein müsse, einereinheitlichen Linie zu folgen. Das bedeutet nicht, daß alle im Zentral-komitee ein und dieselbe Überzeugung haben müssen. Wollte man sodenken, dann hieße das, der Spaltung entgegengehen; deshalb habe ichdem Parteitag vorgeschlagen, eine solche Erklärung nicht anzunehmen, umden Genossen die Möglichkeit zu geben, nach Beratung mit ihren örtlichenOrganisationen sich ihre Entscheidung zu überlegen. Ich war ebenfalls imZentralkomitee in einer solchen Lage, als der Antrag angenommen wurde,

den Frieden nicht zu unterzeichnen, und ich schwieg, obwohl ich keines-wegs die Augen davor verschloß, daß ich die Verantwortung dafür nichtübernehme. Jedes Mitglied des Zentralkomitees hat die Möglichkeit, dieVerantwortung abzulehnen, ohne aus dem Zentralkomitee auszutretenund ohne Lärm zu schlagen. Natürlich, unter gewissen Umständen, Ge-nossen, ist das zulässig, mitunter unvermeidlich, aber daß das jetzt beidieser Organisation der Sowjetmacht notwendig sein soll, die uns dieMöglichkeit gibt, uns zu prüfen, ob wir nicht den Kontakt mit den M assenverlieren — daran zweifle ich. Ich denke, wenn die Frage Winnitschenko

aufgeworfen wird, so können die Genossen ihren Standpunkt vertreten,ohne aus dem Zentralkomitee auszuscheiden. Wenn wir uns auf denStandpunkt der Vorbereitung zum revolutionären Krieg und auf den Stand-punkt des Manövrierens stellen, dann muß man im Zentralkomitee blei-ben, man kann erklären, daß die Meinungsverschiedenheiten unten ent-standen sind, das zu erklären haben wir das volle Recht. Es besteht nichtdie geringste Gefahr, daß die Geschichte Urizki und Lomow die Verant-

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Siebenter Parteitag der KPRCB) 137

wortung dafür auferlegen werde, daß sie die Mitgliedschaft im Zentral-

komitee nicht niederlegen. Es muß versucht werden, einen gewissen Zügelzu finden, um den Austritt aus dem Zentralkomitee aus der Mode zubringen. Es muß gesagt werden, daß der Parteitag hofft, die Genossenwerden ihre Nichtübereinstimmung durch Proteste zum Ausdruck bringen,nicht aber durch Austritte aus dem Zentralkomitee, und daß man unterBerücksichtigung dieser ihrer Erklärung die Zurückziehung der Kandidatureiner Grupp e von Genossen ablehnen, die W ahlen durchführen und dieseGenossen ersuchen werde , ihre Eingaben zurückzunehmen.

10*

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140 W. 1 Lenin

Weiter muß man alles ungefähr folgendermaßen umarbeiten:

Die Revolution vom 25 . Oktober (7. Novem ber) 1917 verwirklichte inRußland die Diktatur des Proletariats, das von der armen Bauernschaftbzw. den H albproletariern unterstützt wird.

Diese Diktatur stellt die Kommunistische Partei in Rußland vor dieAufgabe, die bereits begonnene Expropriation der Gutsbesitzer und derBourgeoisie zu Ende zu führen, zu vollenden, alle Fabriken, W erk e, Eisen-bahnen, Banken, die Flotte und sonstige Produktions- und Umlaufmittelzum Eigentum der Sowjetrepublik zu machen;

das Bündnis der städtischen Arbeiter und der armen Bauern, das bereits

die Aufhebung des Privateigentums an Grund und Boden erbracht hat,und das Gesetz über jene Übergangsform von der kleinbäuerlichen Wirt-schaft zum Sozialismus, die die heutigen Ideologen der auf die Seite derProletarier übergegangenen Bauernschaft als Sozialisierung des Bodensbezeichnet haben, auszunutzen für den allmählichen, aber unentwegtenÜbergang zur gemeinsamen Bearbeitung des Bodens und zum sozialisti-schen Großbetrieb in der Landwirtschaft;

die föderative Republik der Sowjets zu stärken und auszubauen als eineunermeßlich höhere und fortschrittlichere Form der Demokratie, als es der

bürgerliche Parlamentarismus ist, und als den einzigen Staatstypus, der,auf Grund der Erfahrungen der Pariser Kommune von 1871 und ebensoder Erfahrungen der russischen Revolutionen von 1905 und 1917/1918,der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus, d. h. der Peri-ode der Diktatur des Proletariats entspricht;

die in Rußland entzündete Fackel der sozialistischen Weltrevolutionnach allen Seiten und auf jede Weise dazu auszunutzen, die Versuche derimperialistischen bürgerlichen Staaten, sich in die inneren AngelegenheitenRußlands einzumischen oder sich zum direkten Kampf und Krieg gegen

die sozialistische Sowjetrepublik zusammenzuschließen, zu paralysieren,um die Revolution in die fortgeschritteneren und überhaupt in alle L änderzu tragen.

Zehn Thesen über die SowjetmachtS t ä r k u n g u n d A u s b a u d e r S o w j e t m a c h t

Stärkung und A usbau der Sowjetmacht als der bereits durch die Erfah-rung erprobten, durch die Massenbewegung und den revolutionären Kampf

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Siebenter Parteitag der KPRCBJ . 141

hervorgebrachten Form der Diktatur des Proletariats und der armen

Bauernschaft (Halbproletarier).Die Stärkung und der Ausbau müssen bestehen in der Verwirklichung

(einer möglichst umfassenden, allgemeinen und planmäßigen Verwirk-lichung) der Aufgaben, die dieser Form der Staatsmacht, diesem neuenStaatstypus von der Geschichte gestellt werden, nämlich:

1. Zusammenfassung und Organisierung der durch den Kapitalismusunterjochten werktätigen und ausgebeuteten Massen und nur dieser Mas-sen, d. h. nur der Arbeiter und der armen Bauern, der Halbproletarier,bei automatischem Ausschluß der Ausbeuterklassen und der reichen Ver-

treter der Kleinbourgeoisie;2. Zusammenfassung des tatkräftigsten, aktivsten, bewußten Teils der

unterdrückten Klassen, ihrer Avantgarde, die die gesamte werktätige Be-völkerung zur selbständigen Teilnahme an der Verwaltung des Staatesnicht theoretisch, sondern praktisch erziehen muß.

4: (3.) Beseitigung des Parlamentarismus (als Trennung der legislativenvon der exekutiven Tätigkeit); Vereinigung der legislativen und der exe-kutiven staatlichen Tätigkeit. Verschmelzung von Verwaltung und Gesetz-gebung.

3. (4.) Engerer Kontakt des gesamten Apparats der Staatsmacht undder Staatsverwaltung mit den Massen als bei den früheren Formen desDemokratismus.

5. Schaffung einer bewaffneten Macht der Arbeiter und Bauern, dievom Volke am wenigsten isoliert ist (Sowjets = bewaffnete Arbeiter undBauern), Organisiertheit der allgemeinen Volksbewaffnung als einer derersten Schritte zur vollständigen Verwirklichung der Bewaffnung des ge-samten Volkes.

6. Ein vollkommenerer Demokratismus infolge des weniger formalen

Charakters, der größeren Leichtigkeit der Wahl und der Abberufung.7. Enger (und unmittelbarer) Kontakt mit den Berufen und ökono-

mischen Produktionseinheiten (Wahl nach Betrieben, nach lokalen bäuer-lichen und kustargewerblichen Kreisen). Dieser enge Kpntakt bietet dieMöglichkeit, tiefgreifende sozialistische Umgestaltungen durchzuführen.

8. (Ist teilweise, wenn nicht vollständig, im Vorhergehenden enthal-ten) — die Möglichkeit, die Bürokratie zu beseitigen, ohne sie auszukom -men, Beginn der Realisierung dieser Möglichkeit. .

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142 W. 1 Lenin

9. Verlagerung des Schwerpunkts in Fragen des Demokratismus von

der formalen Anerkennung der formalen Gleichheit von Bourgeoisie undProletariat, Armen und Reichen auf die praktisch gesicherte Ausnutzungder Freiheit (der Demokratie) durch die werktätige und ausgebeuteteMasse der Bevölkerung.

10. Die weitere Entwicklung der sowjetischen Staatsorganisation mußdarin bestehen, daß jedes Mitglied eines Sowjets neben der Teilnahme anden Sitzungen des Sowjets unbedingt eine ständige Arbeit im Rahmen derStaatsverwaltung leiste; ferner darin, daß die gesamte Bevölkerung nachund nach sowohl zur Mitarbeit an der Sowjetorganisation (unter der Be-

dingung der Unterordnu ng u nter die Organisationen der Werktätigen) alsauch zur Dienstleistung in d er Staatsverwaltung herangezogen we rde.

D i e D u r c h f ü h r u n g d i e s e r A u f g a b e n e r f o r d e r t :

a) auf politischem Gebiet: den Ausbau der Sowjetrepublik.Vo rzüg e der Sowjets („Prosweschtschenije", S. 13/14)*,- [sechs

Punkte];Ausdehnung der Sowjetverfassung, in dem Maße, wie der W ider-

stand der Ausbeuter aufhört, auf die gesamte Bevölkerung;Föderation der Nationen , als Übergang zu einer bewußten und engeren

Einheit der Werktätigen, die es gelernt haben, sich freiwillig über dienationale Zwietracht zu erheben,-

unbedingt schonungslose Unterdrückung des Widerstands der Ausbeu-ter; die Normen der „allgemeinen" (d. h. der bürgerlichen) Demokratiewerden diesem Ziel untergeordn et, räumen ihm den Platz ein:

„Freiheit" und Demokratie nidbt für alle, sondern für die werktätigenund ausgebeuteten Massen im Interesse ihrer Befreiung von der Ausbeu-

tung; schonungslose Unterdrückung der Ausbeuter;der Schwerpunkt verlagert sich von der formalen Anerkennung

der Freiheiten (wie das unter dem bürgerlichen Parlamentarismus der Fallwar) zur tatsächlichen Garantierung der Nutzung der Freiheiten durchdie Werktätigen, die die Ausbeuter stürzen, z. B. von der Anerkennungder Versammlungsfreiheit zur Übergabe aller besten Säle und Räumlich-

* Siehe Werke, 4. Ausgabe, Bd. 26, S. 79, russ. D<e Red.

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Siebenter Parteitag der XPH(2 ) 143

keiten an die Arbeiter, von der Anerkennung der Freiheit des Worts zur

Übergabe aller besten Druckereien an die Arbeiter usw.Kurze Aufzählung dieser „Freiheiten" aus dem alten Minimalprogramm.[Bewaffnung der Arbeiter und Entwaffnung der Bourgeoisie.]Auf dem Wege über den Sowjetstaat zur allmählichen Abschaffung

des Staates durch systematische Heranziehung einer immer g rößeren Zahlvon Bürgern und später ausnahmslos aller Bürger zur unmittelbarenund täglichen Beteiligung an den Bürden der Staatsverwaltung.

b) Auf ökonomischem Gebiet:Sozialistische Organisation der Produktion im gesamtstaatlichen M aß-

stab: die Arbeiterorganisationen (Gewerkschaften, Betriebskomitees usw.)üben unter der allgemeinen Leitung der Sowjetmacht, die allein souveränist, die Verwaltung aus.

Das gleiche gilt für das Transportwesen und die Verteilung (zunächststaatliches „Handels"monopol, dann völlige und endgültige Ersetzung des„Handels" durch eine planmäßig organisierte Verteilung vermittels derVerbände der Handels- und Industrieangestellten, unter Leitung derSowjetmacht).

— Zwangsweise Zusamm enfassung der gesamten Bevölkerung in

Konsum- und Produktionskommunen.Ohne (vorläufig) das Geld abzuschaffen und ohne den einzelnen Fami-

lien einzelne Käufe und Verkäufe zu verbieten, müssen wir es vor allemgesetzlich zur Pflicht machen, daß alle solche Käufe und Verkäufe ver-mittels der Konsum- und Produktionskommunen durchgeführt werden.

— Sofortige Inangriffnahme der vollständigen Durchführung der all-gemeinen Arbeitsdienstpflicht, bei möglichst vorsichtiger und allmählicherAusdehnung der Arbeitsdienstpflicht auf die Kleinbauernschaft, die vonihrer Wirtschaft lebt und keine Lohnarbeit anwendet;

die erste Maßnahme, der erste Schritt zur allgemeinen Arbeitsdienst-pflicht mu ß die Einführung (obligatorische Einführung) von Konsum- undArbeitsbüchern (Haushaltsbüchern) für alle Reichen (das sind Personenmit einem Einkommen von über 500 Rubel monatlich, dann für Besitzervon Betrieben mit Lohnarbeitern, für Familien mit Dienstpersonal usw.)sein.

Kauf und Verkauf ist auch ohne Vermittlung der eigenen Kommunezulässig (bei Reisen/ auf Märkten usw.), doch muß der Vorgang (wenn er

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144 W.1. Centn

einen gewissen Betrag überschreitet) in die Konsum- und Arbeitsbücher

eingetragen werden.— Völlige Konzentrierung des Bankwesens in den Händen des Staates

und des gesamten Geld- und Handelsverkehrs in den Banken. Universali-sierung der laufenden Bankkonten: allmählicher Übergang zunächst dergrößten Betriebe und dann aller Betriebe des Landes zur obligatorischenlaufenden Kontenführung in der Bank. Obligatorische Aufbewahrung desGeldes in den Banken und Geldüberweisungen nur durch die Banken.

— Universalisierung der Rechnungsführung und Kontrolle über die ge-samte Produktion und Verteilung der P roduk te, und zwar muß diese Rech-

nungsführung und Kontrolle zunächst von den Arbeiterorganisationenund dann von der gesamten Bevölkerung durchgeführt werden.

— Organisierung des Wettbewerbs zwischen den verschiedenen (allen)Konsum- und Produktionskommunen des Landes zur unablässigen He-bung der Organisiertheit, Disziplin und Arbeitsproduktivität, zum Über-gang zur höheren Technik, zur Einsparung von Arbeit und Produkten,zur allmählichen Verkürzung des Arbeitstages auf 6 Stunden täglich, zurallmählichen Ausgleichung aller Arbeitslöhne und Gehälter in allenBerufen und Kategorien.

— Unentwegte, systematische Maßnahmen (zum Übergang zur Mas-senspeisung*) zur Ersetzung des individuellen Wirtschaften der Einzel-familien durch Gemeinschaftsspeisung großer Gruppen von Familien.

Auf pädagogischem Qebietalte Punkte, plus.Auf finanziellem QebietErsetzung der indirekten Steuern durch eine progressive Einkommen-

und Vermögenssteuer, ferner durch Abführung von (bestimmten) Ein-nahmen aus den Staatsmonopolen. Im Zusammenhang damit Zuteilung

von Getreide in natura und anderen Lebensmitteln an die Arbeiter, diefür Rechnung des Staates bestimmte Arten gesellschaftlich notwendigerArbeiten ausführen.

Internationale Po litik

Unterstützung der revolutionären Bewegung des sozialistischen Prole-tariats, in. erster L inie in den fortgeschrittenen Länd ern.

?-vMas.senspeiSang" bei Lenin.deutsch. Der- Tibers. • ..

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Siebenter Parteitag der XPR (BJ 145

Propaganda. Agitat ion. Verbrüderung.

Schonungsloser Kampf gegen Opportunismus und Sozialchauvinismus.Unterstützung der demokratischen und revolutionären Bewegung in

allen Ländern überhaupt, insbesondere in den Kolonien und abhängigenLändern .

Befreiung der Kolonien, Föderation als Übergang zur freiwilligen Ver-schmelzung.

„Kom munist" Nr. 5, TJadh dem Manuskript.9. März 1918.

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DIE HAUPTAUFGABE UNSERER TAGE«3

Du bist armselig und reich,Mächtig und ohnmächtig zugleich,Mütterchen Rußland!64

Die Geschichte der Menschheit vollführt in unseren Tagen eine dergrößten, eine der schwierigsten W endungen, die von unabsehbarer — mankann ohne d ie geringste Übertre ibung sagen: von weltgeschichtlicher — Be-

deutung für die Befreiung ist. Vom Krieg zum Frieden,- vom Krieg zwi-schen Räubern, die Millionen Ausgebeuteter und Werktätiger auf dieSchlachtbank schicken, um die Verteilung der von den stärksten Räubernzusammengeraubten Beute neu zu regeln, zum Krieg der Unterdrücktengegen die Unterdrücker, für die Befreiung vom Joch des Kapitals; von derHölle der Leiden und Qualen, der Hungersnot und der Verwilderung zurlichten Zukunft der kommunistischen Gesellschaft, allgemeinen Wohl-stands und dauerhaften Friedens; — kein Wunder, daß an den schwie-rigsten Punkten dieser schroffen Wendung, wo ringsum das Alte unter

schrecklichem Getöse und Krachen birst und zusammenstürzt, währenddaneben unter unbeschreiblichen Qualen das Neue geboren wird, man-cher von Schwindel befallen, von Verzweiflung erfaßt wird, mancher vorder mitunter allzu bitteren Wirklichkeit unter den Fittichen schöner, hin-reißender Phrasen Rettung sucht.

Rußland hat die schroffsten der schroffen Wendungen der Geschichte,die vom Imperialismus zur kommunistischen Revolution umschwenkt, be-sonders deutlich beobachten, besonders schwer und qualvoll durchleben

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Die Hauptaufgabe unserer Jage 147

müssen. Wir haben in wenigen Tagen eine der ältesten, mächtigsten, bar-

barischsten und bestialischsten Monarchien zerstört. Wir habe n in wenigenMonaten eine Reihe von Etappen des Paktierertunis mit der Bourgeoisie,der Überwindung der kleinbürgerlichen Illusionen zurückgelegt, wozu an-dere Länder Jahrzehnte brauchten. Wir haben nach dem Sturz der Bour-geoisie im Laufe von ein paar Wochen ihren offenen Widerstand im Bür-gerkrieg gebrochen. W ir haben den Bolschewismus im siegreichen Trium ph-zug von einem Ende des gewaltigen Landes zum andern getragen. Wirhaben die untersten der vom Zarismus und der Bourgeoisie unterjochtenSchichten der werktätigen Massen zur Freiheit und zum selbständigenLeben emporgehoben. Wir haben die Sowjetrepublik geschaffen und ge-festigt, einen neuen Staatstypus, der unermeßlich höher und demokra-tischer ist als die besten der bürgerlich-parlamentarischen Republiken.Wir haben die Diktatur des Proletariats errichtet, das von der armenBauernschaft unte rstützt wird, und habe n ein umfassend angelegtes Systemsozialistischer Umgestaltungen in Angriff genommen. Wir haben in Mil-lionen und aber Millionen Arbeitern aller Länder den Glauben an ihreeigenen Kräfte geweckt und das Feuer der Begeisterung entzündet. Wirhaben überall den Schlachtruf der internationalen Arbeiterrevolution aus-gegeben. W ir haben den imperialistischen Räubern aller Länder den Fehde-

handschuh hingeworfen.

Und im Laufe von ein paar Tagen warf uns ein imperialistischer Räu-ber, der über Wehrlose hergefallen ist, zu Boden. Er zwang uns, einenunglaublich schweren und erniedrigenden Frieden zu unterzeichnen — einTribut dafür, daß wir es gewagt hatten, uns, wenn auch nur auf ganzkurze Zeit, aus den eisernen Fängen des imperialistischen Krieges los-zureißen. Der Räuber drosselt und würgt Rußland, er reißt es in Stückemit um so größerem Ingrimm, je drohender sich vor ihm das Gespenst derArbeiterrevolution im eigenen Lande erhebt.

Wir waren gezwungen, einen „Tilsiter" Frieden zu unterzeichnen. Wirdürfen uns keinen Selbsttäuschungen hingeben. Wir müssen den Muthaben, der ungeschminkten bitteren Wahrheit gerade ins Gesicht zu sehen.Wir müssen den ganzen Abgrund der Niederlage, der Zerstückelung, derVersklavung, der Erniedrigung, in den man uns jetzt gestoßen hat, restlos,bis auf den Grund durchmessen. Je klarer wir das verstehen werden, destofester, härter, stählerner wird unser Wille zur Befreiung sein, unser Stre-

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Die "Hauptaufgabe unserer Jage 149

gen, ihm zu helfen mit allem, womit wir konnten, mit allem, was uns zurVerfügung stand. Der Heerführer, der die Reste einer geschlagenen oderpanisch flüchtenden Armee in das Innere des Landes zurückführt, der die-sen Rückzug schützt, im äußersten Fall sogar mit dem schwersten und er-niedrigendsten Frieden, begeht keinen Verrat an den Truppenteilen, denener nicht helfen kann und die der Feind abgeschnitten hat. Ein solcher Heer-führer erfüllt seine Pflicht, wenn er den einzigen Weg wählt, um zu retten,was noch zu retten ist, sich nicht auf Abenteuer einläßt, wenn er vor demVolke die bittere Wahrheit nicht beschönigt, „Raum aufgibt, um Zeit zugewinnen", wenn er jede, selbst die kleinste Atempause ausnutzt, umKräfte zu sammeln, um die Armee, die an Zersetzung und Demoralisie-rung leidet, Atem schöpfen und gesunden zu lassen.

Wir haben einen „Tilsiter" Frieden unterzeichnet. Als Napoleon I. imJahre 1807 Preußen den Tilsiter Frieden aufzwang, da hatte der Erobereralle Armeen der Deutschen geschlagen, die Hauptstadt und alle großenStädte besetzt, seine eigene Polizei eingeführt, die Besiegten gezwungen,ihm Hilfskorps zur Führung neuer Raubkriege zur Verfügung zu stellen,hatte Deutschland zerstückelt und mit den einen deutschen Staaten Bünd-nisse gegen andere deutsche Staaten geschlossen. Und nichtsdestoweniger,sogar nach einem soidhen Frieden, hat sich das deutsche Volk behauptet,hat es verstanden, seine Kräfte zu sammeln, hat es verstanden, sich zuerheben und sich das Recht auf Freiheit und Selbständigkeit zu er-kämpfen.

Jedem, der denken will und zu denken versteht, zeigt das Beispiel desTilsiter Friedens (der nur einer von jenen vielen drückenden und ernied-rigenden Verträgen war, wie sie den Deutschen in der damaligen Epocheaufgezwungen wurden) ganz klar, wie kindisch naiv der Gedanke ist, eindrückender Frieden bedeute unter allen Umständen den Abgrund des

Untergangs, ein Krieg aber den W eg zu Ruhm und Rettung. Die Epochender Kriege lehren uns, daß der Frieden in der Geschichte nicht selten dieRolle einer Atempause und der Sammlung der Kräfte für neue Schlachtengespielt hat. Der Tilsiter Frieden war die größte Erniedrigung Deutsch-lands und gleichzeitig eine Wendung zu einem gewaltigen nationalen Auf-schwung. Damals bot die historische Situation diesem Aufschwung keinenanderen Ausweg als den zum bürgerlichen Staat. Damals, vor mehr alshundert Jahren, machten ein paar Handvoll Adlige und ein paar Häuflein

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150 IV. 1 L enin

bürgerliche Intellektuelle Geschichte, während die Massen der Arbeiter

und Bauern schlummerten und schliefen. Damals konnte die Geschichtedeshalb nur entsetzlich langsam vorankriechen.Jetzt hat der Kapitalismus die Kultur überhaupt und die Kultur der

Massen im besonderen auf ein viel, viel höheres Niveau gehoben. DerKrieg hat die Massen aufgerüttelt, hat sie durch unerhörte Schrecken undLeiden geweckt. Der Krieg hat die Geschichte angetrieben, jetzt eilt siemit der Geschwindigkeit einer Lokomotive dahin. Je tzt sind es Millionenund aber Millionen Menschen, die selbständig Geschichte machen. DerKapitalismus ist jetzt reif geworden für den Sozialismus.

Wenn also Rußland jetzt — woran nicht gezweifelt werden kann — vom„Tilsiter" Frieden einem nationalen Aufschwung, einem großen vater-ländischen Krieg entgegengeht, so ist der Ausweg für diesen Aufschwungnicht der Ausweg zum bürgerlichen Staat, sondern der Ausweg zur inter-nationalen sozialistischen Revolution. Seit dem 25. Oktober 1917 sind wirVaterlandsverteidiger. Wir sind für die „Verteidigung des Vaterlands",aber der vaterländische Krieg, dem wir entgegengehen, ist ein Krieg fürdas sozialistische Vaterland, für den Sozialismus als Vaterland, für dieSowjetrepublik als Jrupp der Weltarmee des Sozialismus.

„Haß gegen die Deutschen, schlage den Deutschen!" — das war und istdie Losung des gewöhnlichen, d. h. bürgerlichen Patriotismus. Wir abersagen: „Haß gegen die imperialistischen Räuber, Haß gegen den Kapita-lismus, Tod dem Kapitalismus!" und gleichzeitig: „Lerne beim Deutschen!Bleibe dem brüderlichen Bündnis mit den deutschen Arbeitern treu. Siehaben sich mit der Hilfe für uns verspätet. Wir werden Zeit gewinnen,werden nicht vergebens auf sie warten, denn sie werden uns zu Hilfekommen."

Jawohl, lerne beim Deutschen! Die Geschichte geht im Zickzack und

macht Umwege. Es ist so gekommen, daß jetzt gerade der Deutsche nichtnur den bestialischen Imperialismus, sondern auch das Prinzip der Diszi-plin, der Organisation, des harmonischen Zusammenwirkens auf demBoden der modernsten maschinellen Industrie, der strengsten Rechnungs-führung und Kontrolle verkörpert.

Und das ist gerade das, woran es uns mangelt. Es ist gerade das, waswir lernen müssen. Es ist gerade das, was unserer großen Revolution fehlt,um vom siegreichen Anfang über eine Reihe schwerer Prüfungen zum

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R E D E I M M O S K A U E R S O W J E T D E R A R B E I T E R - ,

B A U ER N - U N D R O T A R M I S T E N D E P U T I E R T E N

12. M Ä R Z 1 9 1 8

Stenografischer Bericht

Genossen! W ir feiern den Jahrestag der russischen Revolution zu einemZeitpunkt, wo die Revolution schwere Tage durchmacht, wo viele draufund dran sind, dem Kleinmut und der Enttäuschung anheimzufallen. W ennwir aber um uns blicken, wenn wir uns an das erinnern, was die Revolutionin diesem Jahr getan hat und wie die internationale Lage sich gestaltet,so bleibt bei niemand von uns, davon bin ich überzeugt, P latz weder fürVerzweiflung noch für Kleinmut. Es kann keinen Zweifel daran geben,daß die Sache der internationalen sozialistischen Revolution, die im Ok-tober begonnen worden ist, trotz der Schwierigkeiten und Hindernisse,trotz aller Anstrengungen ihrer Feinde siegen wird.

Genossen, erinnern Sie sich, welche Wege die russische Revolution ge-gangen i st .. . W ie im Februar, dank dem Zusammengehen des P roletariatsund der Bourgeoisie, die erkannt hatte, daß unter dem Zarismus die Exi-stenz sogar der bürgerlichen Gesellschaft unmöglich war, im Laufe vonwenigen Tagen, dank dem Zusammenwirken der Arbeiter und des auf-geklärtesten Teils der Bauernschaft, nämlich der Soldaten, die alle Schrek-ken des Krieges erlebt hatten — wie es ihnen im Laufe von wenigen Tagengelang, die Monarchie zu stürzen, die in den Jahren 1905 ,19 06 ,1907 sichgegen unvergleichlich schwerere Schläge zur Wehr gesetzt und das revo-lutionäre Rußland in Blut ertränkt hatte. Und als nach dem Februarsiegdie Bourgeoisie an die Macht kam, begann die Revolution sich mit un-glaublicher Schnelligkeit weiterzuentwickeln.

Die russische Revolution schuf etwas, wodurch sie sich kraß von denRevolutionen in Westeuropa unterscheidet. Sie schuf eine revolutionäreMasse, die durch das Jahr 1905 zur selbständigen Aktion vorbereitet w or-

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156 'W.J.Lenin

landsverteidiger sind. W ir verteidigen keine Geheimverträge, wir ver-teidigen den Sozialismus, wir verteidigen das sozialistische Vaterland. U maber die Möglichkeit zu bekommen, es zu verteidigen, mußten wir dieschlimmsten Demütigungen in Kauf nehmen. W ir wissen, daß es in derGeschichte eines jeden Volkes Zeiten gibt, wo man vor dem Ansturm einesFeindes mit stärkeren Nerven zurückweichen muß. W ir haben einen Auf-schub erhalten und müssen ihn ausnutzen, damit die Armee'sich einiger-maßen erhole, damit sie in ihrer Masse begreife — nicht nur die Zehn-tausende, die in den großen Städten die Kundgebungen besuchen, sondernauch die Millionen und Dutzende Millionen, die sich in die Dörfer ver-

laufen haben —, damit sie begreifen, daß der alte Krieg zu Ende ist, daßein neuer Krieg beginnt, ein Krieg, auf den wir mit einem Friedensangebotgeantwortet haben, ein Krieg, in dem wir Zugeständnisse gemacht haben,um unsern Mangel an Disziplin, unsere Trägheit, unsere Schlappheit zuüberwinden, mit denen behaftet wir wohl den Zarismus und die russischeBourgeoisie besiegen konnten, aber nicht die europäische, die internatio-nale Bourgeoisie besiegen können. Wenn wir es verstehen, sie zu über-winden, so werden wir gewonnenes Spiel haben, denn wir haben Verbün-dete, und dessen sind wir gewiß.

Was sich auch die internationalen Imperialisten jetzt herausnehmenmögen, wo sie unsere Niederlage sehen, in ihren Ländern reifen ihreFeinde und unsere Verbündeten heran. W ir wußten und wissen mit Be-stimmtheit, daß in der deutschen Arbeiterklasse dieser Prozeß vielleichtlangsamer vor sich geht, als wir es erwartet haben, als wir es vielleichtwünschen, aber unzweifelhaft ist es, daß die Empörung gegen die Impe-rialisten wächst, daß die Zahl der Bundesgenossen in unserer Arbeitwächst und daß sie uns zu Hilfe kommen werden.

Versteht es , Kräfte zu sammeln, versteht es, eine Losung auszugeben,

führt Disziplin ein — das ist unsere Pflicht gegenüber der sozialistischenRevolution. Unter solchen Umständen werden wir imstande sein, uns zubehaupten, bis das verbündete Proletariat uns zu Hilfe kommt, und zu-sammen mit ihm werden wir alle Imperialisten und alle Kapitalisten be-siegen.

„Jswestija WZJX" Nr. 47, Tlaön dem Text der „Jswestija TVZJK",i4 . März 19IS. verglichen mit dem Stenogramm.

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159

1

E N T W U R F E I N E R R E S O L U T I O NAUS ANLASS DER BOTSCHAFT WILSONS 6 6

Der Kongreß bring t dem amerikanischen Volk, in erster Linie den werk-tätigen und ausgebeuteten Klassen der Vereinigten Staaten von Nord-amerika, seine Erkenntlichkeit dafür zum Ausdruck, daß Präsident Wilsonüber den Sowjetkongreß dem russischen Volk seine Sympathie ausgedrückthat in den Tagen, wo die Sozialistische Sowjetrepublik Rußlands schwerePrüfungen durchmacht.

Die Russische Sowjetrepublik, die ein neutrales Land geworden ist,nimmt die Botschaft des Präsidenten Wilson zum Anlaß, um allen Völ-kern, die unter den Schrecken des imperialistischen Krieges leiden undzugrunde gehen, das heißeste Mitgefühl auszusprechen und die feste Über-zeugung zum Ausdruck zu bringen, daß die glückliche Zeit nicht mehrfern ist, wo die werktätigen Massen aller bürgerlichen Länder das Jochdes Kapitals stürzen und eine sozialistische Gesellschaftsordnung errich-ten werden, die allein imstande ist, einen dauerhaften und gerechten Frie-den sowie Kultur und W ohlstand für alle Werktätigen zu sichern.

Qesdbrieben am 13 . oder 14. März 1918.

Veröffentlicht am 15. März 1918 TJadj dem Manuskript.in der „Vrawda" ?Jr. 49.

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REFERAT OBER DIER A T I F I Z I E R U N G D E S F R I E D E N S V E R T R A G S

14. M Ä R Z

Genossen, wir haben heute eine Frage zu entscheiden, die einen Wende-punkt in der Entwicklung der russischen und nicht nur der russischen,sondern auch der internationalen Revolution dokum entiert, und um richtigzu entscheiden über diesen überaus schweren Frieden, den die Vertreterder Sowjetmacht in Brest-Litowsk geschlossen haben und den die Sowjet-macht zu bestätigen bzw. zu ratifizieren empfiehlt, um diese Frage richtigzu entscheiden, müssen wir vor allem den historischen Sinn des Wende-punkts begreifen, an dem wir angelangt sind, müssen wir verstehen, worindie wichtigste Besonderheit der Entwicklung der Revolution bisher bestandund worin die wichtigste Ursache der schweren Niederlage und jenerEpoche schwerer Prüfungen besteht, die wir durchgemacht haben.

M ir scheint, daß die Hauptquelle der Meinungsverschiedenheiten inner-halb der sowjetischen Parteien in dieser Frage gerade darin besteht, daßeinige sich allzusehr hinreißen lassen von dem Gefühl der berechtigtenund gerechten Entrüstung über die Niederlage, die der Imperialismus derSowjetrepublik beigebracht hat, sich mitunter allzusehr der Verzweiflunghingeben, und anstatt die historischen Entwicklungsbedingungen der Revo-lution zu berücksichtigen — wie sie sich vor diesem Frieden gestaltetenund wie sie sich, uns jetzt nach dem Frieden darbieten —, anstatt dessenversuchen sie die Frage nach der Taktik der Revolution auf Grund desunmittelbaren Gefühls zu beantworten. Indessen lehren uns die gesamtenErfahrungen der Geschichte aller Revolutionen, daß w ir, wenn wir es miteiner Massenbewegung oder mit dem Klassenkampf zu tun haben, ins-besondere einem solchen wie dem jetzigen, der sich nicht nur auf demganzen Gebiet eines einzigen, wenn auch riesigen Landes entfaltet, son-

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Außerordentlicher IV. Qesamtrussisdher Sowjetkongreß 161

dem alle internationalen Beziehungen erfaßt, in einem solchen Fall unserer

Taktik vor allem und in erster Linie die Einschätzung der objektiven Lagezugrunde legen m üssen, analytisch betrachten m üssen, wie die Revolutionbisher verlaufen ist und warum ihr Verlauf sich so drohend, so jäh, soungünstig für uns geändert hat.

Betrachten wir von diesem Standpunkt die Entwicklung unserer Revo-lution, so sehen wir klar, daß sie bisher eine Periode relativer und inbedeutendem Maße scheinbarer Selbständigkeit und zeitweiliger Unab-hängigkeit von den internationalen Beziehungen durchgemacht hat. DerW eg, den unsere Revolution von Ende Februar 1917 bis zum 11 . Februar

dieses Jahres, an dem die deutsche Offensive begann, zurückgelegt hat,war im großen und ganzen ein Weg leichter und rascher Erfolge. Betrach-ten wir die Entwicklung dieser Revolution im internationalen Maßstab,vom Standpunkt der Entwicklung der russischen Revolution allein, so sehenwir, daß wir in diesem Jahr drei Perioden durchgemacht haben. In derersten Periode fegte die Arbeiterklasse Rußlands zusammen mit allem,was in der Bauernschaft fortschrittlich, aufgeklärt, beweglich war, unter-stützt nicht nur von der Kleinbourgeoisie, sondern auch von der Groß-bourgeoisie, in ein paar Tagen die Monarchie hinweg. Dieser schwindel-erregende Erfolg erklärt sich dadurch, daß das russische Volk einerseitsaus den Erfahrungen des Jahres 1905 einen gigantischen Vorrat an revo-lutionärer Kampfkraft geschöpft hat, anderseits dadurch, daß Rußland,als ein besonders rückständiges Land, unter dem Krieg besonders schwerzu leiden hatte und besonders früh in einen Zustand geriet, wo es ganzunmöglich wurde, diesen Krieg unter dem alten Regime fortzusetzen.

Auf den kurzen, stürmischen Erfolg, die Entstehung einer neuen Orga-nisation — der Organisation der Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- undBauerndeputierten —, folgten für unsere Revolution lange Monate einerÜbergangsperiode, einer Periode, in der die Macht der Bourgeoisie, diesofort durch die Sowjets untergraben w ar, von den kleinbürgerlichen Pak-tiererparteien — den Menschewiki und Sozialrevolutionären — unterstütztund gestärkt wurde. Dies war eine Regierungsmacht, die den imperia-listischen Krieg, die imperialistischen Geheimverträge unterstützte und dieArbeiterklasse mit Versprechungen fütterte, eine Regierung, die absolutnichts tat und die die Zerrüttung förderte. In dieser für uns, für die rus-sische Revolution so langen Periode sammelten die Sowjets ihre Kräfte;

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Außerordentlicher IV . Qesamtrussisdher Sow jetkongreß 163

der werktätigen Kosaken, fielen von den Ausbeutern ab, die sie der Sowjet-

macht zu entfremden versucht hatten.Diese Periode des triumphalen Siegeszugs der Dikta tur des Proletariatsund der Sowjetmacht, in der sie gigantische Massen der Werktätigen undAusgebeuteten in Rußland unbedingt, entschieden und unwiderruflich aufihre Seite brachte, manifestierte den letzten und höchsten Punkt in derEntwicklung der russischen Revolution, die während dieser ganzen Zeitgleichsam unabhängig vom internationalen Imperialismus vor sich ging.Das war die Ursache, warum das Land, das am meisten zurückgebliebenund durch die Erfahrungen von 1905 am meisten auf die Revolution vor-

bereitet war, so rasch, so leicht, so planmäßig, die einzelnen politischenKombinationen überwindend, eine Klasse nach der anderen an die Machtbrachte und schließlich zu dem politischen Ergebnis ge langte, das das letz teWort nicht nur der russischen Revolution, sondern auch der westeuropäi-schen Arbeiterrevolutionen war, denn die Sowjetmacht h at sich in Rußlandgefestigt und die unwiderruflichen Sympathien der Werk tätigen und Aus-gebeuteten erobert, weil sie den alten Unterdrückungsapparat der Staats-macht vernichtete, weil sie in den Grundzügen einen neuen und höherenStaatstypus schuf, wie er als Keimform in der Pariser Kommune vorhan-den war, die den alten A pparat beseitigte und an seine Stelle die unmittel-bare bewaffnete Macht der Massen setzte, den bürgerlich-parlamenta-rischen Dem okratismus durch den Demokratismus der werktätigen Massenersetzte, unter Ausschluß der Ausbeuter, und deren Widerstand syste-matisch unterdrückte.

Das hat die russische Revolution in dieser Periode getan, deshalb ist beieiner kleinen Avantgarde der russischen Revolution der Eindruck entstan-den, daß dieser Triumphzug, dieser schnelle Marsch der russischen Revo-lution auf weitere Siege rechnenJkann. Und darin bestand der Fehler, denn

die Periode, in der sich die russische Revolution entwickelte, in der dieMacht in Rußland von einer Klasse zur anderen überging und das Klas-senpaktierertum auf dem Gebiet Rußlands allein überwunden wurde —

diese Periode war historisch nur deshalb möglich, weil die größten Räuber-giganten des Weltimperialismus in ihrer offensiven Bewegung gegen dieSowjetmacht vorübergehend lahmgelegt waren; eine Revolution, die inein paa r Tagen die Monarchie gestürzt, in ein paar M onaten alle Versuchedes Paktierens mit der Bourgeoisie erschöpft und in ein paar Wochen im

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bei der Bourgeoisie anfangen, sie hat es mit einem Feind zu tun, der un-vergleichlich ernster zu nehmen ist, und zwar unter unermeßlich schwe-reren Bedingungen. Für die europäische Revolution wird der Anfangunermeßlich viel schwerer sein. Wir sehen, daß es ihr unermeßlich vielschwerer ist, die erste Bresche in das System zu schlagen, das sie nieder-hält. Es wird ihr beträchtlich leichter fallen, zur zweiten und dritten Stufeihrer Revolution zu kommen. Und das ist auch nicht anders möglich beidem Kräfteverhältnis zwischen den revolutionären und den reaktionärenKlassen, das wir jetzt in der internationalen Arena haben. Das ist jenerentscheidende W endepunkt, der stets von Leuten außer acht gelassen w ird,die die jetzige Lage, die ungewöhnlich schwere Lage der Revolution nichtvom historischen Standpunkt, sondern vom Standpunkt des Gefühls undder Empörung betrachten. Und die Erfahrungen der Geschichte sagen uns,daß stets, in allen R evolutionen — in Zeiten , da die Revolution einen jähenUmschwung und den Übergang von schnellen Siegen zu einer Periodeschwerer Niederlagen durchmacht — eine Periode der pseudorevolutio-nären Phrase eintrat, die stets der Entwicklung der Revolution den größtenSchaden zufügte. U nd erst dann, Genossen, wenn wir es uns zur Aufgabemachen, dem Umschwung Rechnung zu tragen, der uns von raschen, leich-ten und vollständigen Siegen zu schweren Niederlagen geführt hat, erst

dann w erden wir imstande sein, unsere Tak tik richtig einzuschätzen. DieseFrage ist eine außerordentlich komplizierte, eine außerordentlich schwie-rige Frage, sie ergibt sich aus dem Umschwung in der Entwicklung derRevolution im gegenwärtigen Augenblick: von leichten Siegen im Innernzu ungewöhnlich schweren Niederlagen von außen; der Wendepunkt inder gesamten internationalen Revolution — von der Epoche der propa-gandistisch-agitatorischen Tätigkeit der russischen Revolution, bei abwar-tender Haltung des Imperialismus, von dieser Epoche zu den offensivenAktionen des Imperialismus gegen die Sowjetmacht — stellt die gesamte

internationale westeuropäische Bewegung vor eine besonders schwierige,akute Frage. Wenn wir dieses historische Moment nicht vergessen, dannwerden wir uns darüber klarwerden müssen, wie es sich mit den Haupt-interessen Rußlands in der Frage des jetzigen, überaus schweren, soge-nannten Schandfriedens verhält.

Ich habe in der Polemik gegen diejenigen, die die Notw endigkeit, diesenFrieden anzunehmen, bestritten, wiederholt den Hinweis zu hören be-

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kommen, daß der Standpunkt der Unterzeichnung des Friedens angeblich

nur die Interessen der ermüdeten bäuerlichen Massen, der deklassiertenSoldaten usw. usf. zum Ausdruck bringe. Und ich habe mich immer beisolchen Berufungen und solchen Hinweisen gewundert, wie die Genossenden Klassenmaßstab der nationalen Entwicklung auß er acht lassen können.Das sind Leute, die ihre Erklärungen einfach an den Haaren herbeiziehen—als ob die Partei des Proletariats, die die Macht ergriff, nicht schon imvoraus damit gerechnet hatte, daß nur das Bündnis des Proletariats undder armen Bauernschaft, d. h. der Mehrheit der Bauernschaft Rußlands,daß nur ein derartiges Bündnis imstande war, die Macht in Rußland der

revolutionären Regierung der Sowjets zu übergeben — der Mehrheit, derwirklichen Mehrheit des Volkes —, daß ohne dieses Bündnis jeder Versuch,die Staatsmacht zu errichten, besonders in schwierigen Kurven der Ge-schichte, sinnlos ist. Als ob man sich jetzt über diese von uns allen an-erkann te W ahrh eit hinwegsetzen und sich mit dem verächtlichen Hinweisauf den ermüdeten Zustand der Bauern und der deklassierten Soldatenbegnügen kann. Was den ermüdeten Zustand der Bauernschaft und derdeklassierten Soldaten betrifft, so müssen wir sagen, daß das Land sichzum Widerstand bereit finden wird, daß die arme Bauernschaft nur in-soweit Widerstand wird leisten können, als sie fähig ist, ihre Kräfte fürden Kampf zu mobilisieren.

Als wir im O ktober die Mach t ergriffen, war es klar , daß der G ang derEreignisse mit Unvermeidlichkeit dazu führt, daß die Schwenkung derSowjets zum Bolschewismus einen Um schwung im ganzen Lande bedeutet,daß eine Regierung des Bolschewismus unvermeidlich ist. Als wir in dieserErkenntnis die Macht im Oktober ergriffen, da sagten wir uns und demganzen Volk ganz klipp und klar, daß das ein Übergang der Madit in dieHände des Proletariats und der armen Bauernschaft ist,, daß das Prole-

tariat sicher ist, von der Bauernschaft unterstützt zu werden, und wobei,das wissen Sie selbst: in seinem aktiven Kampf für den Frieden, in seinerBereitschaft, den Kampf gegen das große Finanzkapital weiter fortzu-setzen. Darin irren wir uns nicht, und niemand, der halbwegs auf demBoden der Klassenkräfte und der Klassenbeziehungen bleibt, kann sichüber die unanfechtbare W ahrh eit hinwegsetzen, daß wir von einem klein-bäuerlichen Lande , das so viel sowohl für die europäische als auch für dieinternationale Revolution getan hat, nicht verlangen können , einen Kampf

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Außerordentlidher IV. Qesämtrussisdber Sowjetkongreß. 167

unter so schweren und schwersten Bedingungen zu führen, wo das west-

europäische Proletariat zweifelsohne uns zu Hilfe eilen wird — das istdurch Tatsachen, durch Streiks usw. bewiesen —, wo sich aber diese Hilfe,die wir erhalten werden , zweifelsohne verspätet ha t. Deshalb sage ich, daßeine derartige Berufung auf die Müdigkeit de r Bauernmassen usw. einfachresultiert aus dem Fehlen von Argumenten, aus der völligen Hilflosigkeitderjenigen, die zu diesen Argumenten greifen, aus ihrer völligen Unfähig-keit, alle Klassenverhältnisse in ihrer Gesamtheit, in ihrem Gesamtmaß-stab, im Maßstab der Revolution des Proletariats und der Bauernschaft inihrer Masse, zu erfassen; nur dann, wenn wir bei jeder schroffen Wen-dung der Geschichte das Wechselverhältnis der Klassen in ihrer Gesamt-heit, aller Klassen, in Betracht ziehen und nicht einzelne Beispiele undSpezialfälle herausgreifen, nur dann haben wir das Gefühl, fest auf derAnalyse der glaubwürdigen Tatsachen zu fußen. Ich verstehe durchaus,daß die russische Bourgeoisie uns jetzt in den revolutionären Krieg treibenwill, wo er für uns ganz unmöglich ist. Das erfordern die Klasseninteressender Bourgeoisie.

Wenn sie nur „Schandfrieden" schreien und kein Wort darüber ver-lieren, wer die Armee in diesen Zustand gebracht hat, so verstehe ich

durchaus, daß die Bourgeoisie mit den Leuten vom „Delo Naroda", denmenschewistischen Zereteli, den Tschernow und ihren Nachbetern das tut( B e i f a l l ) , ich verstehe durchaus, daß die Bourgeoisie nach einem revo-lutionären Krieg schreit. Das erfordern ihre Klasseninteressen, das erfor-der t ihr Bestreben, die Sowjetmacht zu einem falschen Z ug zu veranlassen.Da s ist verständlich bei Leuten, die einerseits die Spalten ihrer Zeitungenmit ihrem konterrevolutionären Geschreibsel füllen... ( Z w i s c h e n -r u f e : „Sind ja alle verboten worden.") Leider noch nicht alle, aber wirwerden sie alle verbieten. (Beifall.) Ich möchte das Proletariat sehen,das den K onterrevolutionären, den Anhängern der Bourgeoisie und denen,die mit ihr paktieren, erlauben wird, das Monopol des Reichtums zur Ver-dummung des Volkes mit ihrem bürgerlichen O pium weiter auszunutzen.Ein solches Proletariat hat es nicht gegeben. (B e if a l l. )

Ich begreife durchaus, daß in den Spalten derartiger Organe gegen denSchandfrieden nur so gezetert, geschrien und gewettert wird, ich verstehedurchaus, daß für diesen revolutionären Krieg Leute eintreten, die gleich-zeitig — von den Kadetten bis zu den rechten Sozialrevolutionären — die

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läge und demütigt die Sowjetmacht, aber wenn ihr davon ausgeht, euch

darauf beschränkt und an das Gefühl appelliert, Entrüstung hervorruftund so die größte historische Frage zu entscheiden sucht, so geratet ihr indieselbe lächerliche und klägliche Lage, in der sich einmal die gesamtePartei der Sozialrevolutionäre befand, als sie im Jahre 1907 in einer ingewisser Hinsicht ähnlichen Situation in gleicher Weise an das Gefühl desRevolutionärs appellierte, als Stolypin nach der sehr schweren Niederlageunserer Revolution in den Jahren 1906 und 1907 uns die Gesetze über diedritte Duma — diese schändlichsten und schwersten Arbeitsbedingungenin einer der schändlichsten Vertretungskörperschaften — diktierte, als un-

sere Partei nach einer kleinen Schwankung im Innern (Schwankungen indieser Frage gab es damals mehr als jetzt) die Frage so entschied, daß wirkein Recht haben, uns dem Gefühl hinzugeben, daß wir, wie groß auchunsere Empörung und Entrüstung gegen die schändliche dritte Duma seinmag, zugeben müssen, daß hier kein Zufall, sondern eine historische Not-wendigkeit des sich entwickelnden Klassenkampfes vorliegt, dessen Kräftenicht ausreichten, der aber sogar unter diesen schändlichen Bedingungen,die uns diktiert wurden, seine Kräfte sammeln wird. Wir haben rechtbehalten. Diejenigen, die versuchten, mit revolutionären Phrasen anderemitzureißen, sie mit dem Wort „Gerechtigkeit" anzufeuern, das ein drei-fach berechtigtes Gefühl zum Ausdruck bringt, erhielten eine Lehre, diekein einziger vernünftiger und denkender Revolutionär vergessen wird.

Revolutionen verlaufen nicht so glatt, daß sie uns einen raschen undleichten Aufschwung sichern könnten. Es hat keine einzige große Revo-lution gegeben, sogar im nationalen Rahm en, die nicht eine schwere Periodevon Niederlagen durchgemacht hätte, und man darf sich zu der ernstenFrage von Massenbewegungen, von sich entwickelnden Revolutionen nichtso verhalten, daß man erklärt, ein Revolutionär könne sich nicht mit einem

schändlichen, erniedrigenden Frieden abfinden; es genügt nicht, Agitations-phrasen anzuführen, uns mit Schmähungen wegen dieses Friedens zu über-häufen — das ist das bekannte Abc der Revolution, das ist die bekannteErfahrung aller Revolutionen. Da ist unsere Erfahrung von 1905, undwenn wir irgend etwas in Fülle haben, wenn aus irgendeinem Grunde derrussischen Arbeiterklasse und der armen Bauernschaft die äußerst schwie-rige und ehrenvolle Rolle zugefallen ist, die internationale sozialistischeRevolution zu beginnen, so eben deshalb, weil es dejn russischen Volk

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dank dem besonderen Zusammentreffen historischer Um stände zu Beginn

des 20. Jahrhunderts gelang, zwei große Revolutionen durchzuführen, somüssen wir aus den Erfahrungen dieser Revolutionen lernen, müssen be-greifen, daß wir nur bei Berücksichtigung des geänderten Verhältnisses derKlassenbindungen zwischen dem einen Staat und dem anderen eindeutigfeststellen können, daß wir nicht imstande sind, jetzt den Kampf auf-zunehmen; wir müssen das berücksichtigen, müssen uns sagen: Was füreine Atempause es auch sein mag, wie unbeständig, kurz, schwer und er-niedrigend dieser Frieden auch sein mag, er ist besser als der Krieg, denner wird den Volksmassen die Möglichkeit geben, etwas aufzuatmen, weil

er die Möglichkeit bieten wird, das wieder gutzumachen, was die Bour-geoisie getan hat, die jetzt überall schreit, wo sie nur kann, besondersunter dem Schutz der Deutschen in den besetzten Gebieten.

Die Bourgeoisie schreit, die Bolschewiki hätten ja die Armee zersetzt,es sei keine Armee vorhanden, und daran seien die Bolschewiki schuld.Aber werfen wir einen Blick in die Vergangenheit, Genossen, betrachtenwir vor allem die Entwicklung unserer Revolution. W issen Sie denn nicht,daß die Desertion und die Zersetzung in unserer Armee lange vor derRevolution begonnen hat, schon im Jahre 1916, daß jeder, der die Armee

gesehen hat, das zugeben muß? Und was hat unsere Bourgeoisie getan,um das zu verhindern? Ist es denn nicht klar, daß d ie einzige Chance zurRettung vor den Imperialisten damals in ihren Händen lag, daß sich dieseChance im März und April bot, als die Sowjetorganisationen mit einereinfachen Handbew egung gegen die Bourgeoisie die Macht ergreifen konn-ten, und wenn die Sowjets damals die Macht ergriffen hätten, wenn diebürgerliche und die kleinbürgerliche Intelligenz mit den Sozialrevolutio-nären und Menschewiki, anstatt Kerenski zu helfen, das Volk zu betrü-gen, die Geheimverträge zu verstecken und die Armee zur Offensive zu

treiben, damals der Armee zu Hilfe gekommen wäre, sie mit Waffenund Lebensmitteln versorgt und die Bourgeoisie gezwungen hätte, demVaterland zu helfen, unter Mitwirkung der gesamten Intelligenz, nichtdem Vaterland der Schacherer, nicht dem Vaterland der Verträge, diehelfen, das Volk auszurotten (Beifall); wenn die Sowjets die Bour-geoisie gezwungen hätten, dem Vaterland der W erktätigen, der Arbe iter,zu helfen, wenn sie der ohne Kleidung, ohne Schuhwerk, ohne Proviantdastehenden Armee geholfen hätten — nur dann hätten wir vielleicht eine

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Periode von zehn M onaten bekommen, die genügt hätte, damit die Armee

sich erhole, damit man sie einmütig unterstütze, damit sie, keinen Schrittvon der Front zurückweichend, einen allgemeinen demokratischen Frie-den anbiete und die Geheimverträge zerreiße, aber sich an der Front halteund keinen Schritt zurückweiche. Das waren die Chancen für einen Frie-den, den die Arbeiter und Bauern zuwege gebracht und gebilligt hätten.Das ist eine Taktik der Verteidigung des Vaterlands, nicht des Vaterlandsder Romanow, Kerenski, Tschernow, eines Vaterlands der Geheimver-träge, eines Vaterlands der käuflichen Bourgeoisie, sondern eines Vater-lands der werktätigen Massen. Hier sehen wir, wer es dahin gebracht hat,

daß der Übergang vom Krieg zur Revolution und von der russischen Revo-lution zum internationalen Sozialismus unter so schweren Prüfungen vorsich geht. Deshalb klingt ein Vorschlag, wie der revolutionäre Krieg, wieeine leere Phrase, wissen wir doch, daß wir keine Armee haben, wissenwir doch, daß es unmöglich w ar, die Armee zusamm enzuhalten, und Leute,die die Dinge kannten, mußten sehen, daß unsere Demobilisierungs-anordnung nicht von uns ausgeheckt worden ist, sondern das Ergebniseiner augenscheinlichen Notwendigkeit, der einfachen Unmöglichkeit war,die Armee zusammenzuhalten. Es war unmöglich, die Armee zusammen-

zuhalten. U nd recht hatte ein Offizier, kein Bolschewik, der noch vor demOktobenimsturz erklärte, daß die Armee nicht kämpfen könne und nichtkämpfen werde.67 Das w ar das Resultat des monatelangen Schacherns mitder Bourgeoisie und aller Reden von der Notwendigkeit, den Krieg fort-zusetzen,- von welchen edlen Gefühlen sich dabei auch viele oder wenigeRevolutionäre leiten ließen, diese Reden haben sich als leere revolutionärePhrasen erwiesen, die uns den Anschlägen des internationalen Imperialis-mus ausliefern, damit er noch einmal soviel und noch mehr zusammen-raube, als er es nach unserem taktischen oder diplomatischen Fehler, nach

der Weigerung, den Brester Frieden zu unterzeichnen, fertiggebracht hat.Als wir den G egnern der Unterzeichnung des Friedens sagten: wenn dieAtempause halbwegs von Dauer wäre, so würden Sie begreifen, daß dieInteressen der Gesundung der Armee, die Interessen der werktätigen Mas-sen höher stehen als alles und daß deswegen der Frieden geschlossen w er-den muß — da behaupteten sie, daß eine Atempause nicht möglich sei.

Unsere Revolution unterschied sich aber von allen früheren Revolutio-nen gerade dadurch, daß sie unter den Massen den Drang zur Aufbau-

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arbeit und zur schöpferischen Tätigkeit weckte, wo in den entlegensten

Dörfern die werktätigen Massen, die durch Zaren, Gutsbesitzer, Bour-geois gedemütigt, getreten, unterjocht wurden, sich erheben, und diesePeriode der Revolution wird erst jetzt zum Abschluß gebracht, wo sichdie Revolution im Dorfe vollzieht, die das Leben auf neuen Grundlagenaufbaut. Und um dieser Atempause willen, wie kurz und geringfügig sieauch sein mag, sind wir verpflichtet, wenn wir die Interessen der werk-tätigen Massen höher stellen als die Interessen der bürgerlichen Kämpen,die den Säbel schwingen und uns zum Kampf rufen, waren wir verpflich-tet, diesen Vertrag zu unterzeichnen. Das lehrt uns die Revolution. Die

Revolution lehrt uns: Wenn wir diplomatische Fehler begehen, wenn wirglauben, daß die deutschen Arbeiter uns morgen zu Hilfe kommen wer-den, wenn wir glauben, daß Liebknecht jetzt gleich siegen werde (wirwissen, daß Liebknecht so oder anders siegen wird, das ist unvermeidlichin der Entwicklung der Arbeiterbewegung [Beifall]), so bedeutet das,daß die revolutionären Losungen der mit Schwierigkeiten kämpfendensozialistischen Bewegung, wenn man sich hinreißen läßt, zur Phrase wer-den. U nd kein einziger Vertreter der W erktätigen, kein einziger ehrlicherArbeiter wird es ablehnen, das größte Opfer zu bringen, um die sozia-

listische Bewegung Deutschlands zu unterstützen, denn in dieser ganzenZeit hat er an der Front unterscheiden gelernt zwischen den deutschenImperialisten und den von der deutschen Disziplin gepeinigten Soldaten,die zum größten Teil mit uns sympathisieren. Das ist es, weshalb ich sage,daß die russische Revolution praktisch unseren Fehler korrigiert hat, ihndurch diese Atempause korrigiert ha t. Aller W ahrscheinlichkeit nach w irdsie von sehr kurzer Dauer sein, aber wir haben eine wenn auch noch sokurze Atempause bekommen, damit die Armee, die erschöpft und aus-gehungert ist, erkenne, daß sie die Möglichkeit bekommen hat, sich zuerholen. Für uns ist es klar, daß die Periode der alten imperialistischenKriege zu Ende ist und daß neue Schrecken des Ausbruchs neuer Kriegedrohen, aber Perioden solcher Kriege hat es in vielen historischen Epochengegeben, wobei sie ihre schärfsten Formen vor ihrer Beendigung annah-men. Und es ist nötig, daß man das nicht nur auf den Meetings in Petro-grad und Moskau begreift, begreifen müssen das viele Dutzende Millio-nen auf dem Lande, damit der von der Front zurückgekehrte, am meistenaufgeklärte Teil des Dorfes, der alle Schrecken des Krieges durchgemacht

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hat, helfe, das klarzumachen, und die gewaltige Masse der Bauern und

Arbeiter sich von der Notwendigkeit der revolutionären Front überzeugeund sage, daß wir richtig gehandelt haben.Man sagt, wir hätten die Ukraine und Finnland verraten — oh, welche

Schmach! Aber die Dinge gestalteten sich so, daß wir von Finnland ab-geschnitten sind , mit dem wir früher, vor der Revolution, einen stillschwei-genden und jetzt einen formellen Vertrag geschlossen haben. Man sagt,wir gäben die Ukraine preis, die Tschernow, Kerenski und Zereteli zu-grunde richten wollen; man sagt uns: ihr Verräter, ihr habt die Ukraineverraten! Ich sage: Genossen, ich habe genug gesehen und erlebt in der

Geschichte der Revolution, um mich nicht durch feindliche Blicke undSchreiereien von Leuten irremachen zu lassen, die sich dem Gefühl über-lassen und nicht urteilen können. Ich will Ihnen ein einfaches Beispiel an-führen. Stellen Sie sich vor, daß zwei Freunde nachts unterwegs sind undplötzlich von zehn Leuten überfallen werden. Wenn diese Schufte einenvon beiden abschneiden, was bleibt dann dem anderen übrig? — zu Hilfeeilen kann er nicht; wenn er die Flucht ergreift, ist er dann etwa ein Ver-räter? Und stellen Sie sich vor, daß es sich nicht um Personen oder Be-reiche handelt, in denen Fragen des unmittelbaren Gefühls entschieden

werden, sondern daß fünf Armeen zu je hunderttausend Mann sich tref-fen, die eine Armee von zweimal hunderttausend Mann einkreisen, undeine andere Armee soll der eingekreisten Armee zu Hilfe kommen. Wenndiese Arm ee jedoch weiß , daß sie bestimmt in eine Falle gerät, so muß siesich zurückziehen; sie kann nicht anders als sich zurückziehen, auch wennzur Deckung des Rückzugs die Unterzeichnung eines schändlichen, gemei-nen Friedens notwendig sein sollte, man schimpfe, wie man will, aberunterschreiben muß man doch. Man darf sich nicht von dem Gefühl einesDuellanten leiten lassen, der den Degen zieht und ausruft: Ich muß ster-

ben, weil man mich zwingt, einen demütigenden Frieden zu unterzeichnen.Wir alle wissen doch, daß wir, welche Beschlüsse man auch fassen mag,keine Armee haben und daß keinerlei Gesten uns der Notwendigkeit ent-heben werden, uns zurückzuziehen und Zeit zu gewinnen, damit dieArmee Luft holen könne; damit wird sich jeder einverstanden erklären,der der Wirklichkeit ins Auge sieht und sich nicht selbst mit revolutionärenPhrasen betrügt.

Wenn wir das wissen, so ist es unsere revolutionäre Pflicht, auch einen

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schweren, furchtbar schweren Gewaltfrieden zu unterzeichnen, denn wir

werden dadurch die Lage sowohl für uns als auch für unsere Bundesgenos-sen verbessern. Haben wir denn verloren dadurch, daß wir am 3. Märzden Friedensvertrag unterzeichnet haben? Jeder,der die Dinge vom Stand-punk t der Massenbeziehungen und nicht vom S tandpunkt eines sich duel-lierenden Edelmanns betrachtet, wird verstehen, daß m an, wenn man ohneArmee bzw. mit dem kranken Überrest einer Armee einen Krieg auf-nimmt und diesen Krieg als revolutionären Krieg bezeichnet, einen Selbst-betrug, einen schweren Betrug am Volke verübt. Es ist unsere Pflicht, demVolke die Wahrheit zu sagen: jawohl, der Frieden ist sehr schwer, die

Ukraine und Finnland gehen zugrunde, aber wir müssen auf diesen Frie-den eingehen, und das ganze bewußte werktätige Rußland wird auf ihneingehen, weil es die ungeschminkte Wahrheit kennt, weil es weiß, wasKrieg heißt, weil es weiß, daß es Selbstbetrug ist, wenn man alles auf eineKarte setzt, in der Hoffnung, daß je tzt gleich die deutsche Revolution aus-brechen werde. Durch die Unterzeichnung des Friedens haben wir dasbekommen, was unsere finnländischen Freunde von uns erhalten haben —

eine Atempause, Hilfe, aber keinen Untergang.

Ich kenne Beispiele in der Geschichte der Völker, wo ein viel gewalt-

samerer Friede unterzeichnet wurde, wo durch einen solchen Friedenlebensfähige Völker dem Sieger auf Gnade oder Ungnade ausgeliefertwurden. Vergleichen wir diesen unseren Frieden m it dem Tilsiter Frieden;der Tilsiter Frieden wurde Preußen und D eutschland von dem siegreichenEroberer aufgezwungen. Dieser Frieden war so schwer, daß nicht nur alleHauptstädte aller deutschen Staaten besetzt und die Preußen bis Tilsitzurückgeworfen wurden, was soviel bedeutete, als wenn man uns bis Omskoder Tomsk zurückgeworfen hätte. Nicht genug damit — das größte Un-heil bestand darin, daß Napoleon die besiegten Völker zwang, Hilf strup-

pen für seine Kriege zu stellen, und als sich die Situation nichtsdestoweni-ger so gestaltete, daß die deutschen Völker den Ansturm des Eroberersertragen mußten, als die Epoche der revolutionären Kriege Frankreichsabgelöst wurde von einer Epoche imperialistischer Eroberungskriege, datrat das klar zutage, was die von der Phrase hingerissenen Leute nichtbegreifen wollen, die die Unterzeichnung des Friedens als den U nterganghinstellen. Vom Standpunkt eines sich duellierenden Edelmanns ist dieseMentalität begreiflich, aber nicht vom Standpunkt des Arbeiters und des

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Außerordentlicher IV. Qesamtrussisdher Sowjetkongreß 175

Bauern. Dieser letztere ist durch die harte Schule des Krieges gegangen

und ha t gelernt, sich eine Meinung zu bilden. Es ha t noch schwerere Prü -fungen gegeben, und auch rückständigere Völker haben sie überstanden.Es ist vorgekommen, daß ein noch schwererer Frieden geschlossen wurde,und zwar von den Deutschen zu einer Zeit, wo sie keine Armee hattenoder ihre Armee k rank war, so wie unsere Armee krank ist. Sie schlösseneinen überaus schweren Frieden mit Napoleon. Und dieser Frieden be-deutete nicht den Untergang Deutschlands, im Gegenteil, er wurde zueinem Wendepunkt, führte zur nationalen Verteidigung, zu einem Auf-schwung. Auch wir stehen am Vorabend eines solchen Wendepu nkts, auch

wir durchleben analoge Bedingungen. Man muß der Wahrheit ins Augesehen und Phrase und Deklamation von sich weisen. Man muß sagen:Wenn es notwendig ist, so muß der Frieden geschlossen werden. Der Be-freiungskrieg, der Klassenkrieg, der Volkskrieg wird den NapoleonischenKrieg ablösen. Das System der Napoleonischen Kriege wird sich ändern,der Frieden wird den Krieg, der Krieg den Frieden ablösen, und jederneue drückende Frieden hat stets eine breitere Vorbereitung zum Kriegzur Folge gehabt. De r schwerste der Friedensverträge — der Tilsiter — istin die Geschichte eingegangen als Wendepunkt zu einer Zeit, wo im deut-

schen Volk ein Umschwung einsetzte, wo es sich bis Tilsit, bis nach Ruß-land zurückzog, in Wirklichkeit aber Zeit gewann und abwartete, bis dieinternationale Situation, die eine Zeitlang Napoleon, einem ebensolchenRäuber wie jetzt die Hohenzollern und Hindenburg, die Möglichkeit ge-geben hatte, zu triumphieren, bis diese Lage sich änderte, bis das Bewußt-sein des von den viele Jahre währenden N apoleonischen Kriegen u nd vonNiederlagen erschöpften deutschen Volkes gesundete und es wieder zuneuem Leben erstand. Gerade das lehrt uns die Geschichte, deshalb istjede Verzweiflung, jede Phrase ein Verbrechen, deshalb wird jeder sagen:Jawohl, die alten imperialistischen Kriege gehen zu Ende. Der geschicht-liche Umschwung ha t begonnen .

Seit dem Oktober war unsere Revolution ein einziger Triumph, jetztaber haben lange und schwere Zeiten begonnen; wir wissen nicht, wielange sie dauern werden, wir wissen aber, da ß es eine lange und schwerePeriode der Niederlagen und Rückzüge ist, weil das Kräfteverhältnis sobeschaffen ist, weil wir durch den Rückzug dem Volke die Möglichkeitgeben, sich zu erholen. Sorgen wir dafür, daß jeder Arbeiter und Bauer

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176 TV. 7. Lenin

die Wah rheit begreifen kann , daß neue K riege der imperialistischen Räu-

ber gegen die unterjochten Völker beginnen werden, wo der A rbeiter undBauer verstehen wird, daß wir uns zur Verteidigung des Vaterlands er-heben müssen, denn wir sind seit dem Oktober Vaterlandsverteidiger ge-worden. Seit dem 25 . Ok tober haben wir offen erklärt, daß wir für dieVerteidigung des Vaterlands sind, denn wir haben dieses Vaterland, ausdem wir die Kerenski und Tschernow hinausgejagt habe n; denn wir habendie Geheimverträge vernichtet, haben die Bourgeoisie unterdrückt, vor-derhand noch schlecht, aber wir werden es lernen, das besser zu machen.

Genossen, es besteht ein noch wichtigerer Unterschied zwischen dem

Zustand des russischen Volkes, dem die deutschen Eroberer die schwerstenNiederlagen beigebracht haben, und dem deutschen Volk, es besteht eingewaltiger Unterschied, über den gesprochen werden muß, obwohl ich indem vorhergehenden Teil meiner Rede kurz darauf eingegangen bin. Ge-nossen, als das deutsche Volk vor über hundert Jahren in eine Periodeschwerster Eroberungskriege hineingeriet, in eine Periode, wo es sich zu-rückziehen und einen Schandfrieden nach dem anderen unterzeichnenmußte, bevor das deutsche Volk erwachte — da stand die Sache so, daßdas deutsche Volk nur ein schwaches und rückständiges Volk war — nichts

weiter. Es stand nicht nur der militärischen Macht und Stärke des Er-oberers Napoleon gegenüber, es stand einem Land gegenüber, das inrevolutionärer und politischer Beziehung höher stand als Deutschland, dasin allen Beziehungen höher stand, das sich unermeßlich hoch über alleanderen Länder erhoben hatte, das das letzte Wort gesprochen hatte.Dieses Land stand unermeßlich viel höher als das Volk, das in der Hörig-keit von Imperialisten und Gutsbesitzern vegetierte. Ein Volk, das, wiegesagt, nu,r ein schwaches und rückständiges Volk war, verstand es, ausden bitteren Lehren zu lernen und sich zu erheben. Wir sind in einer

besseren Lage: wir sind nicht nur ein schwaches und nicht nur ein rück-ständiges Volk, wir sind das Volk, das es verstanden hat — nicht dank be-sonderen Verdiensten oder historischer Vorbestimmung, sondern dankeiner besonderen Verke ttung historischer Umstände —, das es verstandenhat, die ehrenvolle Aufgabe zu übernehmen, das Banner der internatio-nalen sozialistischen Revolution zu erheben. (Beifall.)

Ich weiß sehr gut, Genossen, und ich habe es wiederholt offen ausge-sprochen; daß dieses Banner sich in schwachen Händen befindet und daß

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178 W. 1. Centn

bers Alexander I. und der Räuber der englischen Monarchie — das blieb

damals den von der Leibeigenschaft Unterjochten als einzige Chance übrig ,und nichtsdestoweniger ist das deutsche Volk nicht am Tilsiter Friedenzugrunde gegangen. Wir aber, wie gesagt, befinden uns in besseren Ver-hältnissen, da wir einen mächtigen Verbündeten in allen westeuropäischenLändern haben — das internationale sozialistische Proletariat, das mit unsist, was unsere Feinde auch sagen mögen. ( B e if a ll .) Freilich fällt es die-sem Verbündeten nicht leicht, seine Stimme zu erheben, wie das für unsbis Ende Februar 1917 nicht leicht war. Dieser Verbündete lebt in derIllegalität, unter den Bedingungen eines Militärzuchthauses, in das alle

imperialistischen Länder verwandelt sind, aber er kennt uns und verstehtunsere Sache; es ist schwer für ihn, uns zu Hilfe zu eilen, deshalb brauchendie Sowjettruppen viel Zeit, viel Geduld und müssen viele schwere Prü-fungen auf sich nehmen, um diese Zeit abzuwarten — wir werden die ge-ringsten Chancen wahrnehmen, um Zeit zu gewinnen, denn die Zeitarbeitet für uns. Unsere Sache erstarkt, die Kräfte der Imperialisten wer-den schwächer, und wie schwer auch die Prüfungen und Niederlagen in-folge des „Tilsiter" Friedens sein mögen, wir leiten die Taktik des Rück-zugs ein, und, ich wiederhole nochmals: es besteht kein Zweifel, daß

sowohl das klassenbewußte Proletariat als auch die aufgeklärten Bauernfür uns sind; und w ir werden nicht nur verstehen, heldenhaft anzugreifen,sondern uns auch heldenhaft zurückzuziehen, werden abwarten, bis dasinternationale sozialistische Proletariat uns zu Hilfe kommt, und werdendie zweite sozialistische Revolution bereits im Weltmaßstab beginnen.( B e i f a l l . )

„Vrawda" („Sozialdemokrat") Nr. 47 und 48, "Nadh dem Stenogramm,i6. und n.TAärz 1918. verglichen mit dem 7ext

der „Trawda".

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Außerordentlidher IV . Qesamtrussisdier Sowjetkongreß 179

S C H L U S S W O R T Z U M R E F E R A T Ü B E R D I ER A T I F I Z I E R U N G D E S F R I E D E N S V E R T R A G E S

15. M Ä R Z

Genossen, wenn ich eine Bestätigung suchen wollte für das, was ich inmeiner ersten Rede über den Charakter des uns empfohlenen revolutio-nären Krieges gesagt habe, so würde der Bericht des Vertreters der linkenSozialrevolutionäre mir die beste und anschaulichste Bestätigung gelieferthaben, und ich glaube, daß es am zweckmäßigsten sein wird, wenn ichnach dem Stenogramm seine Rede zitiere, dann werden wir sehen, welcheArgum ente sie zur Bekräftigung ihrer Thesen anführen.

Ein Beispiel dafür, auf welche Argumente sie sich stützen. Hier ist von

de r Am tsbezirksversammlung die Rede gewesen. Diejenigen, denen dieseTagung eine solche Versammlung zu sein scheint, können zu solchen Argu-menten greifen, es ist jedoch klar, daß hier Menschen unsere W or te nach-sprechen, sie aber nicht zu durchdenken verstehen. Die Leute wieder-holen, was die Bolschewiki die linken Sozialrevolutionäre gelehrt haben,als sie noch mit den rechten Sozialrevolutionären zusammen waren, undwenn sie sprechen, so erkennt m an, da ß sie das auswendig gelernt haben,was wir gesagt haben , aber womit das begründet war, h aben sie nicht be-griffen, und wiederholen es jetzt bloß. Zereteli und Tschernow waren

Vaterlandsverteidiger, jetzt aber sind wir Vaterlandsverteidiger, sind wir„Abtrünn ige", sind wir „Verräter". Die Handlange r de r Bourgeoisie redenhier von Amtsbezirksversammlung, sie machen schöne Augen, wenn siedavon reden, aber jeder Arbeiter versteht sehr gut die Ziele derjenigenVaterlandsverteidigung, von denen sich Zereteli und Tschernow leitenließen, und die Beweggründe, die uns veranlassen, V aterlandsverteidigerzu sein.

Wenn wir die russischen Kapitalisten unterstützten, die die Dardanel-

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180 W. 3. Lenin

len, Armenien, Galizien haben wollten, wie das im Geheimvertrag stand,

so wäre das eine Vaterlandsverteidigung im Geiste Tschernows und Zere-telis, und diese Vaterlandsverteidigung hat sich damals mit Schande be-deckt, jetzt aber ist unsere Vaterlandsverteidigung eine Ehre. (Beifall.)

Und Wenn ich neben solchen Argumenten zweimal im Stenogramm derRede Kamkows dasselbe Wort finde, die Bolschewiki seien Handlangerdes deutschen Imperialismus (Händeklatschen rechts) , ein schar-fes Wo rt — ich freue mich sehr, daß alle diejenigen, die die Politik Keren-skis durchgeführt haben, das durch Beifall unterstreichen. ( B e if a ll .) Undnatürlich steht es mir nicht zu, Genossen, gegen scharfe Worte Front zu

machen. Niemals werde ich dagegen Einwände erheben. Aber wer einescharfe Sprache führt, der muß ein Recht dazu haben, das Recht, scharfzu werden, erwirbt man jedoch dadurch, daß Wort und Tat miteinanderübereinstimmen. Das ist eine kleine Vorbedingung dafür, die viele In-tellektuelle nicht zu schätzen wissen, die Arbeiter und Bauern aber auchin den Amtsbezirksversammlungen — wie kläglich, so eine Amtsbezirks-versammlung! —, sie haben das sowohl in diesen Versammlungen als auchin den Sowjetorganisationen erfaßt, und bei ihnen stimmen W ort und T atüberein. Wir aber wissen doch ausgezeichnet, daß sie, die linken Sozial-

revolutionäre, bis zum Oktober in der Partei der rechten Sozialrevolutio-näre saßen, als jene an den Privilegien teilnahmen, als jene Handlangerwaren, weil man ihnen einen Ministerposten dafür versprochen h atte, daßsie über die Geheimverträge schweigen. (Beifall.) Man kann jedoch aufkeinen Fall als Handlanger des Imperialismus Leute bezeichnen, die ihmdurch die Tat den Krieg erklärt haben, die die Verträge zerrissen, dasdamit verbundene Risiko in Kauf nahmen, es auf die Hinzögerung derVerhandlungen in Brest ankommen ließen, wohl wissend, daß dies dasLand zugrunde rich tet, eine militärische Offensive, eine Reihe unerhörter

Niederlagen aushielten und nichts davon dem Volke verheimlichten.M artow h at hier versichert,den Vertrag nicht gelesen zu haben. Glaubeihm, wer will. W ir wissen, daß diese Leute gewohnt sind, viele Zeitungenzu lesen, den Vertrag aber haben sie nicht gelesen. (B e if a ll .) Glaubedas, wer will. Ich aber sage Ihnen: Wenn die Partei der Sozialrevolutio-näre wohl weiß, daß wir der Gewalt weichen, die wir selbst vollständigentlarvt haben, daß wir das bewußt tun und offen, darüber reden, daß wirjetzt nicht kämpfen können, sondern zurückweichen — die Geschichte

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182 W.lCenm

now waren wir keine Defätisten. Wir haben in der „Prawda" einen Auf-

ruf veröffentlicht, den Krylenko, damals noch ein Verfolgter, in der Armeeverbreiten ließ: „Warum ich nach Petrograd fahre." Er sagte: „Wir for-dern euch nicht zu Revolten auf." Das war keine Zersetzung der Armee.Die Armee haben diejenigen zersetzt, die diesen Krieg für einen groß-artigen Krieg ausgaben.

Die Arm ee haben Zereteli und Tschernow zersetzt, weil sie dem Volkegroßartige Worte sagten, wie sie verschiedene linke Sozialrevolutionäregewöhnlich in den Wind reden. Worte wiegen leicht, das russische Volkaber ist es gewohnt, in den Amtsbezirksversammlungen nachzudenken

und die Dinge ernst zu nehmen. Wenn man ihm aber sagte, wir wolltenden Frieden, und erörtern die Bedingungen des imperialistischen Krieges,so frage ich: Wie aber war es mit den Geheimverträgen und der Juni-offensive? D as ist es, womit man die Armee ze rsetzt hat. W en n m an demVolke von dem Kampf gegen die Imperialisten, von der Verteidigung desVaterlands sprach, so fragte sich das Volk, geht man denn irgendwo denKapitalisten an den Kragen? Das ist es, womit man die Armee zersetztha t; und das ist es, weshalb ich gesagt habe, und n iemand hat es widerlegt,daß die Armee hätte gerettet werden können, wenn wir im März undApril die Macht ergriffen hätten — und wenn anstatt des tollen Hassesde r Ausbeuter, weil wir sie unterdrückten — ihr Haß gegen uns ist durch-aus berechtigt —, wenn sie anstatt dessen die Interessen des Vaterlandsder Werktätigen und Ausgebeuteten über die Interessen des VaterlandsKerenskis und der Geheimverträge Rjabuschinskis und über die Absichtenauf Armenien, Galizien und die Dardanellen gestellt hätten — das wäredie Rettung gewesen,- statt dessen aber, angefangen von der großen rus-sischen Revolution, besonders aber seit M är z, wo ein halbschlächtiger Auf-ruf an die Völker aller Länder68 herauskam, statt dessen machte die Re-gierung, die in ihrem Aufruf dazu aufforderte, die Bankiers aller Länderzu stürzen, sich selbst daran, mit den Bankiers Einkünfte und Privilegienzu teilen — das war es, was die Armee zersetzte, deshalb hat die Armeenicht standhalten können. (Beifall.)

Und ich behau pte, daß w ir seit diesem Aufruf Krylenkos, der nicht dererste69 war und an den ich mich erinnere, weil er sich mir besonders ein-geprägt hat, die Armee nicht zersetzt, sondern gesagt haben: Haltet dieFront, je schneller ihr die Macht ergreift, desto leichter werdet ihr sie

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190 rW. 1. £enin

Jetzt, nach der Oktoberumwälzung, nach dem Sturz der politischen

Macht der Bourgeoisie in Rußland, nachdem wir alle imperialistischenGeheimverträge für null und nichtig erklärt und veröffentlicht haben,nachdem wir die Auslandsanleihen annulliert haben, nachdem die Arbei-ter- und Bauernregierung allen Völkern ohne Ausnahme einen gerechtenFrieden angeboten hat, hat Rußland, das den Fängen des imperialistischenKrieges entronnen ist, das Recht, zu erklären, daß es an der Plünderungund Unterdrückung fremder Länder nicht teilnimmt.

Die Russische Föderative Sowjetrepublik, die Raubkriege einmütig ver-urteilt, hält es von jetzt an für ihr Recht und ihre Pflicht, das sozialistische

Vaterland gegen alle möglichen Angriffe jeder der imperialistischen Mächtezu verteidigen.Der K ongreß hält es deshalb für die unbedingte Pflicht aller werktätigen

Massen, alle Kräfte anzuspannen zur Wiederherstellung und H ebung derWehrkraft unseres Landes, zur Wiederherstellung seiner militärischenMacht auf der Grundlage der sozialistischen Miliz und der allgemeinenAusbildung aller Jugendlichen und erwachsenen Bürger beiderlei Ge-schlechts in militärischen Kenntnissen und im Kriegswesen.

Der Kongreß bringt seine unerschütterliche Überzeugung zum Aus-

druck, daß die Sowjetmacht, die alle Verpflichtungen der internationalenSolidarität der Arbeiter aller Länder in ihrem Kampf gegen das Joch desKapitals und für den Sozialismus standhaft erfüllt hat, auch weiterhinalles tun wird, was in unseren Kräften steht, um die internationale sozia-listische Bewegung zu unters tützen, den Vormarsch zu sichern und zu be-schleunigen, der die Menschheit zur Befreiung vom Joch des Kapitals undvon der Lohnsklaverei, zur Schaffung der sozialistischen Gesellschaft undeines dauerhaften, gerechten Friedens unter den Völkern führt.

Der Kongreß ist zutiefst überzeugt, daß die internationale Arbeiter-

revolution nicht mehr fern und daß der volle Sieg des sozialistischen Pro -letariats sicher ist, obgleich die Imperialisten aller Länder vor den bru tal-sten Mitteln zur Unterdrückung der sozialistischen Bewegung nicht zu-rückschrecken.

„Prawda" (.„Sozialdemokrat") Nr. 47, Nadh dem 7ext deri9i8. „Traw da", verglidben

mit dem ^Manuskript,

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U R S P R Ü N G L I C H E R E N T W U R F D E S A R T I K E L S

„ D IE N Ä C H S T E N AU F G A B E N D E R S O W J E T M A C H T " 7 0

Stenografische Niederschrift

K A P I T E L X

. . .* Die Sowjetpresse hat jenen Kleinigkeiten der Politik, jenen persön-lichen Fragen der politischen Führung, mit denen die Kapitalisten allerLänder die Aufmerksamkeit der Volksmassen abzulenken suchen von denwirklich ernsten, tiefen und grundlegenden Fragen ihres Lebens, über-mäßig viel Platz und Aufmerksamkeit gewidmet. Und in dieser Hinsichtmüssen wir noch fast ganz von neuem an die Lösung einer Aufgabe her-angehen, für deren Lösung alle materiellen Voraussetzungen vorliegen,

nur nicht das Bewußtsein von der Notwendigkeit dieser Aufgabe und dieBereitschaft, sie zu lösen. Es handelt sich nämlich um die Aufgabe, diePresse aus einem Organ, das vorwiegend politische Tagesneuigkeiten mel-det, zu einem ernsten Organ ökonomischer Erziehung der Volksmassenzu machen. Es muß erreicht werden, und wir werden es erreichen, daß diePresse, die für sowjetische Massen schreibt, den Fragen der personellenZusammensetzung der politischen Führung bzw. neuntrangigen politischenMaßnahmen, die die tagtägliche Tätigkeit, die Routinearbeit aller politi-schen Institutionen ausmachen, weniger Platz einräume. An erste Stelledagegen muß die Presse die Fragen der Arbeit in ihrer unmittelbar prak-tischen Form stellen. Die Presse muß ein Organ der Arbeitskommune indem Sinne werden, daß sie gerade das der Öffentlichkeit unterbreitet, wasdie Leiter kapitalistischer Unternehmungen den Massen zu verheimlichensuchten. Für den Kapitalisten war die innere Organisation seines Betriebsetwas, was durch das Geschäftsgeheimnis vor den Blicken des unbefugtenPublikums geschützt wurde, etwas, wo man, wie es scheint, allmächtig

* Der Anfang des Stenogramms ist nicht erhalten geblieben. Die Red.

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194 TV. 3. Cenin

den Vorzügen des Sozialismus zu überzeugen und seine Einführung zu er-

möglichen, Arbeitskommunen schufen. Unter den revolutionären Marxi-sten ruft ein solcher Standpunkt, rufen solche Methoden durchaus be-rechtigten Spott hervor, denn unter der kapitalistischen Sklaverei wäreder Versuch, mit isolierten Beispielen irgendwelche einschneidenden Ände-rungen herbeiführen zu wollen, wirklich eine leere Phantasterei, die in derPraxis entweder zu lebensunfähigen Unternehmungen oder aber zur Ver-wandlung dieser Unternehmungen in Verbände kleiner Kapitalisten führt.

Diese Gewohnheit, die Bedeutung des Beispiels in der von den Massengetragenen Volkswirtschaft zu verspotten und geringzuschätzen, tritt auch

jetzt mitunter bei Leuten zutage, die nicht über die grundlegende Ände-rung nachgedacht haben, die seit der Eroberung der politischen Machtdurch das Proletariat eingetreten ist. Jetzt, wo der Boden aufgehört hat,Privateigentum zu sein, wo die Fabriken und W erke fast aufgehört haben,Privateigentum zu sein, und es zweifellos in der allernächsten Zukunft garnicht mehr sein werden — (die entsprechenden Dekrete zu erlassen be-reitet der Sowjetmacht in ihrer jetzigen Lage nicht die geringste Mühe) —,

jetzt hat das Beispiel der Arbeitskommune, das besser als irgendwelcheanderen Methoden die organisatorischen Aufgaben löst, gigantische Be-

deutung erlangt. Wir müssen gerade jetzt dafür sorgen, daß die Fülle un-gewöhnlich wertvollen Materials, das in Form von Erfahrungen bei derNeuorganisation der Produktion in den einzelnen Städten, in den einzel-nen Betrieben, in den einzelnen Dorfgemeinden vorliegt — daß diese Er-fahrungen zum Gemeingut der Massen werden.

Wir stehen bisher immer noch unter einem beträchtlichen Druck deralten öffentlichen Meinung der Bourgeoisie. Blickt man in unsere Zeitun-gen, so kann man sich leicht davon überzeugen, wie übermäßig viel Platzwir noch den Fragen einräumen, die von der Bourgeoisie gestellt werden,

Fragen, mit denen sie die Aufmerksamkeit der Werk tätigen von den kon-kreten praktischen Aufgaben der sozialistischen Umgestaltung ablenkenwill. Wir müssen — und werden — die Presse aus einem Sensationsorgan,aus einem bloßen Apparat zur Mitteilung politischer Neuigkeiten, auseinem Organ des Kampfes gegen die bürgerliche Lüge in ein Werkzeugökonomischer Umerziehung der Massen verwandeln, in ein Werkzeug,das die Massen darüber informiert, wie man die Arbeit auf neue Art organi-sieren muß. Betriebe oder Dorfgemeinden, die auf keinerlei Aufrufe und

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Entwurf de s Artikels „Die nädhsten Aufgaben der Sowjetmacht" 197

einem wirklich demokratischen Zentralismus. Am Beispiel der Russischen

Sowjetrepublik zeigt sich uns gerade besonders anschaulich, da ß je tzt d ieFöderation, die wir einführen und die wir einführen werden, eben dersicherste Schritt ist zur dauerhaftesten Vereinigung der verschiedenenNationalitäten Rußlands zu einem einheitlichen demokratischen zentra-lisierten Sowjetstaat.

Und genauso, wie der demokratische Zentralismus keineswegs Autono-mie und Föderation ausschließt, schließt er auch keineswegs die völligeFreiheit der verschiedenen Gebiete und sogar der verschiedenen Gemein-den des Staates bei der Ausarbeitung mannigfaltiger Formen sowohl desstaatlichen als auch des gesellschaftlichen und ökonomischen Lebens aus,sondern setzt- sie vielmehr voraus. Nichts ist irriger als die Verwechslungdes demokratischen Zentralismus mit Bürokratismus und Schabionisierung.Unsere Aufgabe besteht jetzt darin, gerade den demokratischen Zentra-lismus auf dem Gebiet der Wirtschaft zu verwirklichen, für ein absolutreibungsloses und einheitliches Funktionieren solcher ökonomischer Unte r-nehmungen zu sorgen wie Eisenbahnen, Post, Telegraf, sonstige Trans-portmittel usw., gleichzeitig aber setzt der Zentralismus, in wirklich demo-kratischem Sinne verstanden, die zum erstenmal von der Geschichtegeschaffene Möglichkeit völliger und unbehinderter Entwicklung nicht nurder örtlichen Besonderheiten, sondern auch der örtlichen Initiative, derMannigfaltigkeit der Wege, Methoden und Mittel des Vormarschs zumgemeinsamen Ziel voraus. Deshalb hat die Aufgabe, den Wettbewerb zuorganisieren, zwei Seiten: einerseits erfordert sie die Verwirklichung desdemokratischen Zentralismus so, wie wir das oben geschildert haben,anderseits bedeutet sie die Möglichkeit, den richtigsten, den haushälte-rischsten Weg zu finden zur Reorganisierung der ökonomischen OrdnungRußlands. Allgemein gesprochen ist dieser Weg bekannt. Er besteht imÜbergang zu dem auf der maschinellen Industrie aufgebauten Großbetrieb,

im Obergang zum Sozialismus. Aber die konkreten Bedingungen und For-men dieses Übergangs sind unvermeidlich und notwendigerweise mannig-faltig, je nach den Bedingungen, unter denen die auf den Aufbau desSozialismus abzielende Bewegung beginnt. Sowohl die örtlichen Unter-schiede als auch die Besonderheiten der Wirtschaftsweise, sowohl dieLebensformen als auch der Bildungsgrad der Bevölkerung, und ebenso dieVersuche, diesen oder jenen Plan durchzuführen — alles das muß sich aus-

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198 TV. J. Lenin

wirken auf die Eigenart des Weges zum Sozialismus in dieser oder jener

Arbeitskommune des Staates. Je größer diese Mannigfaltigkeit sein wird—vorausgesetzt natürlich, daß sie nicht in Originalitätshascherei ausartet —,

desto sicherer und schneller werden wir sowohl den demokratischen Zen-tralismus als auch die sozialistische Wirtschaft verwirklichen. Wir habenjetzt nur noch den Wettbewerb zu organisieren, d. h. für eine Publizitätzu sorgen, die allen Gem einden des Staates die Möglichkeit gibt, sich dar-über zu informieren, wie denn nun die ökonomische Entwicklung in denverschiedenen Gegenden vor sich gegangen ist, zweitens dafür zu sorgen,daß die Ergebnisse des Vormarschs zum Sozialismus in der einen und der

anderen Kommune des Staates miteinander verglichen werden können,drittens dafür zu sorgen, daß Erfahrungen, die in der einen Gemeinde ge-macht worden sind, von anderen Gemeinden praktisch wiederholt werdenkönnen, daß der Austausch derjenigen materiellen und menschlichenKräfte ermöglicht werde, die sich auf dem betreffenden Gebiet der Volks-wirtschaft oder der Staatsverwaltung von der besten Seite gezeigt haben.Niedergedrückt vom kapitalistischen System, können w ir uns gegenwärtignicht einmal genau vorstellen, welche reichen Kräfte in den Massen derWerktätigen, den mannigfaltigen Arbeitskommunen eines großen Staates,

in den intellektuellen Kräften stecken, die bisher als willenlose und stummeVollstrecker der Vorschriften der Kapitalisten arbeiteten, welche Kräftenoch da sind und in der sozialistischen Gesellschaftsordnung entfaltet wer-den können. Unsere Aufgabe besteht lediglich darin, allen diesen Kräftenden Weg zu ebnen. Und wenn wir die Organisierung des Wettbewerbszu unserer staatlichen Aufgabe machen, dann w erden sich—vorausgesetzt,daß die sowjetischen Prinzipien der Staatsordnung durchgeführt werden,vorausgesetzt, daß das Privateigentum am Boden, an den Fabriken, denWerken usw. beseitigt ist — die Resultate unweigerlich einstellen und unsweitere Formen des Aufbaus weisen.

K A P I T E L X I

Die Resolution des Außerordentlichen Sowjetkongresses, die ich zu An-fang erwähnt habe, spricht unter anderem von der Notwendigkeit derSchaffung einer gut funktionierenden und festgefügten Organisation.*

* Siehe den vorliegenden Band, S. 189. Die Red.

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202 H > . 1 . Lenin

gesetze als auch an der Wahl seiner Vertreter und ebenso an der Verwirk-

lichung der S taatsgesetze teilzunehm en. Keineswegs aber folgt daraus, daßdas geringste Chaos oder die geringste Unordnung zulässig ist hinsichtlichder Frage, wer in jedem einzelnen Fall für bestimm te Exekutivfunktionen,für die Durchführung bestimmter Anordnungen, für die Leitung eines be-stimm ten Prozesses der allgemeinen Arbeit in einem bestimmten Zeitraumverantwortlich ist. Die Masse muß das Recht haben, sich verantwortlicheLeiter zu wählen. Die Masse muß das Recht haben, sie abzusetzen, dieMasse muß das Recht haben, jeden kleinsten Schritt ihrer Tätigkeit zukennen und zu kontrollieren. Die Masse muß das Recht haben, ausnahms-

los alle Arbeiter aus ihrer Mitte mit Exekutivfunktionen zu betrauen. Dasbedeutet jedoch keineswegs, daß der Prozeß der kollektiven Arbeit ohneeine bestimmte Leitung, ohne eine genaue Festlegung der Verantwortungdes Leiters, ohne strengste Ordnung, hergestellt durch den einheitlichenWillen des Leiters, bleiben kann. W eder die Eisenbahnen noch das Trans-portwesen, ja auch nicht die großen Maschinen und Betriebe können über-haupt ichtig funktionieren, wenn es keine Einheit des W illens gibt, die allebeteiligten Werktätigen zu einem einzigen wirtschaftlichen Organ zu-sammenfaßt, das mit der Genauigkeit eines Uhrwerks arbeitet. Der Sozia-

lismus ist durch die maschinelle Großindustrie erzeugt w orden. U nd wenndie werktätigen M assen, die den Sozialismus einführen, es nicht verstehen,ihre Institutionen der Arbeitsweise der maschinellen Großindustrie anzu-passen, dann kann von einer Einführung des Sozialismus gar nicht dieRede sein. Deshalb t ritt in der Situation, die wir heute durchleben, wo dieSowjetmacht und die Diktatur des Proletariats genügend e rstarkt sind, wodie Hauptkampflinien des Widerstand leistenden Feindes, d. h. der sichwidersetzenden Ausbeuter, genügend zerstört und unschädlich gemachtworden sind, wo die Bevölkerungsmassen durch das Funktionieren der

Sowjetinstitutionen zur selbständigen Teilnahme am gesamten öffentlichenLeben genügend vorbereitet sind — in dieser Situation tritt die Aufgabeauf die Tagesordnung, die Diskussionen und Versammlungen aufs strengstezu trennen von der unbedingten Durchführung aller Anordnungen desLeiters. Das bedeutet, die notwendige, nützliche und von jedem Sowjetvollauf anerkannte Vorbereitung der Massen auf die Durchführung einerbestimmten Maßnahme und auf die Kontrolle der Durchführung dieserMaßnahme — zu trennen von der eigentlichen Durchführung dieser Maß-

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Entwurf d es Artikels „ Die nädbsten Aufgaben der Sowjetmacht" 20 3

nähme. Die Massen können jetzt — das ermöglichen ihnen die Sowjets —

die ganze Macht in ihre H ände nehmen und diese Macht festigen. Dam itaber nicht jene Vielherrschaft und jene Verantwortungslosigkeit entstehe,unter denen wir jetzt so unglaublich schwer zu leiden haben, ist es not-wendig, daß w ir bei jeder Exekutivfunktion genau wissen, welche Perso-nen, die zu verantwortlichen Leitern gewählt worden sind, die Verant-wortung tragen für das Funktionieren des gesamten wirtschaftlichen Orga-nismus überhaupt. Dazu ist notwendig, daß möglichst häufig, bei dergeringsten sich bietenden Möglichkeit,wählbare verantwortliche Personenbestimm t werden, die die persönliche Verfügungsgewalt über den gesam-

ten Wirtschaftsorganismus haben. Notwendig ist eine freiwillige Durch-führung der Anordnungen dieses persönlich verantwortlichen Leiters, not-wendig ist der Übergang von jener gemischten Form der Diskussionen,der Versammlungen, der Durchführung — und gleichzeitig der Kritik, derKontrolle und der Korrektur — zum fehlerfreien Funktionieren einesmaschinellen Betriebs. Diese Aufgabe nehmen die Arbeitskommunen inRußland, die Arbeiter- und Bauernmassen in ihrer gewaltigen Mehrheitbereits in Angriff und haben sie bereits in Angriff genommen. Es ist dieAufgabe der Sowjetmacht, den jetzt beginnenden Umschwung zu erläu-tern und seine Notwendigkeit gesetzlich zu verankern.

K A P I T E L X I I

Die Losung der praktischen Arbeit und der Sachlichkeit erfreute sichkeiner großen Popularität unter den Revolutionären. Man kann sogarsagen, daß bei ihnen keine Losung weniger populär war. Man begreiftdurchaus, daß die Revolutionäre, solange ihre Aufgabe darin bestand, diealte kapitalistische Gesellschaft zu zerstören, eine solche Losung ablehnen

und verspotten mußten. Denn im Grunde genommen steckte damalshinter dieser Losung in dieser oder jener Form das Bestreben, sich mit demKapitalismus auszusöhnen oder den Ansturm des Proletariats auf dieGrundlagen des Kapitalismus zu schwächen, den revolutionären Kampfgegen den Kapitalismus zu schwächen. Es ist völlig klar, wie sich nach derEroberung der Macht durch das Proletariat, nach der Sicherung dieserMacht, nachdem mit der Arbeit an der Schaffung der Grundlagen derneuen, df h. der sozialistischen Gesellschaft auf breiter Ebene begonnen

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204 W. 1. Lenin

worden ist, die Dinge von Grund auf ändern mußten. Wir haben auch jetzt,

wie ich bereits oben bemerkte, nicht das Recht, auch nur im geringstennachzulassen in unserm Bemühen, die Massen der Bevölkerung von derRichtigkeit unserer Ideen zu überzeugen, and ebenso in unserem Kampfum die Brechung des Widerstands der Ausbeuter. Die Hauptsache aber inder Erfüllung dieser beiden Funktionen haben wir bereits getan. DasWichtigste und Aktuelle ist jetzt gerade die Losung der praktischen Ar-beit und der Sachlichkeit. Daraus folgt, daß die Heranziehung der bürger-lichen Intelligenz zur Arbeit jetzt eine aktuelle, lösungsreife und not-wendige A ufgabe des Tages ist. Es wäre unsinnig bis zur Lächerlichkeit, in

dieser Heranziehung irgendeine Erschütterung der Macht, irgendeine A b-weichung von den Prinzipien des Sozialismus oder irgendein unzulässigesKompromiß mit der Bourgeoisie zu sehen. Wer eine solche Meinungäußert, würde ohne jeden Sinn Worte wiederholen, die für eine ganzandere Tätigkeitsperiode der revolutipnären proletarischen Parteien Gel-tung hatten. Im Gegenteil, gerade zur Erfüllung unserer revolutionärenAufgaben, gerade damit diese Aufgaben keine Utopie und kein frommerWunsch bleiben, sondern tatsächlich zur Realität werden, damit sie sofortverwirklicht werden, gerade um dieses Zieles willen müssen wir jetzt diepraktische Arbeit und die Sachlichkeit der organisatorischen Arbeit zuunserer ersten, aktuellen und wichtigsten Aufgabe machen. Es kommt jetztgerade darauf an, von allen Seiten an d ie praktische Errichtung jenes Ge-bäudes heranzugehen, dessen Plan wir bereits längst entworfen haben,für das wir den Boden energisch genug erkämpft und gründlich genug ge-sichert haben, für das wir in genügender Menge M aterial zusamm engetra-gen haben und das wir jetzt mit einem G erüst umgeben, um, die Arbeits-bluse angetan und ohne Angst, unsere Bluse mit allen möglichen Hilfs-materialien zu beschmutzen, in strenger Befolgung der Anweisungen derPersonen, die die praktische Arbeit leiten — an diesem Gebäude zu bauen,

zu bauen und abermals zu bauen.

Bis zu welchem Grade mitunter die obenerwähnten Änderungen unse-rer A ufgabenstellung unverstanden bleiben, ersieht man übrigens aus derunlängst vor sich gegangenen Diskussion über die Rolle der Gewerkschaf-ten.71 Es wurde die Ansicht ausgesprochen (die von den Menschewikiunterstützt wurde, selbstverständlich mit ausgesprochen provokatorischenAbsichten, d. h. mit der Absicht, uns zu Schritten zu provozieren, die nur

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Entwurf des Artikels „ Die nädbsten Aufgaben der Sowjetmacht" 205

für die Bourgeoisie von Vorteil sind), es wurde die Ansicht ausgespro-

chen, daß die Gewerkschaften im Interesse der Erhaltung und Stärkungder Klassenselbständigkeit des Proletariats keine staatlichen Organisatio-nen werden dürfen. Diese Ansicht wurde mit den wohlklingenden, satt-sam bekannten und zur Genüge auswendig gelernten W orten vom Kampfder Arbeit gegen das Kapital, von der Notwendigkeit der Klassenselb-ständigkeit des Proletariats bemäntelt. In Wirklichkeit aber w ar und bleibtdiese Ansicht entweder eine bürgerliche Provokation gröbster Machartoder eine große Dummheit, eine sklavische Wiederholung der Losungenvon gestern, was eine Analyse der veränderten Bedingungen in der jetzi-

gen Geschichtsepoche zeigt. Gestern war die Hauptaufgabe der Gewerk-schaften der Kampf gegen das Kapital und die Verteidigung der Klassen-selbständigkeit des Proletariats. Gestern war die Losung des Tages dasMißtrauen gegen den Staat, denn dieser war ein bürgerlicher Staat. Heutewird der Staat ein proletarischer Staat und ist ein solcher geworden. DieArbeiterklasse wird die herrschende Klasse im Staat und ist dazu gewor-den. Die Gewerkschaften werden und müssen Staatsorganisationen wer-den, denen in erster Linie die Verantwortung zufällt für die Reorganisa-tion des gesamten wirtschaftlichen Lebens nach den Grundsätzen des

Sozialismus. Deshalb wäre die Anwendung der Losungen der alten Ge-werkschaftsbewegung auf die jetzige Epoche eine Lossage von den sozia-listischen Aufgaben der Arbeiterklasse.

Das gleiche muß auch von den Genossenschaften gesagt werden. DieGenossenschaft ist ein Krämerladen, und keinerlei Änderungen, Vervoll-kommnungen, Reformen werden etwas daran ändern, daß sie ein Krämer-laden ist. Diese Auffassung hat die kapitalistische Epoche den Sozialistenbeigebracht. Und es besteht kein Zweifel, daß diese Ansichten der richtigeAusdruck des Wesens der Genossenschaften waren , solange sie ein kleines

Anhängsel am Mechanismus der bürgerlichen Ordnung blieben. Aber dasist es ja eben, daß die Lage der Genossenschaften sich seit der Eroberungder Staatsmacht durch das Proletariat, seitdem die proletarische Staats-macht systematisch darangegangen ist, eine sozialistische Ordnung zuschaffen, von Grund auf prinzipiell ändert. Hier schlägt die Quantität inQualität um. Die Genossenschaft als kleine Insel in der kapitalistischenGesellschaft ist ein Krämerladen. Die Genossenschaft ist jedoch Sozialis-mus, wenn sie die gesamte Gesellschaft umfaßt, in der der Boden soziali-

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206 l/V. J. Centn

siert, die Fabriken und Werke nationalisiert sind. Die Aufgabe der So-

wjetmacht nach der politischen und ökonomischen Expropriation derBourgeoisie besteht offenbar (hauptsächlich) darin, die genossenschaft-lichen Organisationen auf die gesamte Gesellschaft auszudehnen, aus-nahmslos alle Bürger des betreffenden Landes zu Mitgliedern einer ge-samtnationalen oder ichtiger gesamtstaatlichen Genossenschaft zu machen.Tun wir mit Berufung auf den Klassencharakter der Arbeitergenossen-schaften diese Aufgabe geringschätzig ab, so werden wir zu Reaktionären,die von der Epoche, die nach Erringung der politischen Macht durch dasProletariat eingetreten ist, zurückdrängen zur Epoche vor dieser Erobe-

rung. Die Arbeiterklasse hat unter dem Kapitalismus zwei Tendenzen inihrer politischen und ökonomischen Tätigkeit entwickelt. Die eine Tendenzbestand darin, sich möglichst bequem und erträglich unter dem Kapitalis-mus einzurichten, was nur für eine kleine Oberschicht des Proletariatsmöglich war. Die andere Tendenz bestand darin, an die Spitze aller werk-tätigen und ausgebeuteten Massen zu treten zum revolutionären Sturz derHerrschaft des Kapitals überhaupt. Sobald diese zweite Tendenz gesiegthat, sobald das Kapital gestürzt ist und es gilt, eine sozialistische Genos-senschaft des ganzen Volkes aufzubauen, ändert sich begreiflicherweise

unsere Ansicht von den Aufgaben und Bedingungen der Genossenschafts-bewegung von Grund auf. Wir müssen sowohl mit den bürgerlichen alsauch mit den proletarischen Genossenschaften Vereinbarungen treffen.W ir dürfen keine Angst davor haben. Es wäre lächerlich von uns, Verein-barungen mit bürgerlichen Genossenschaften zu fürchten, denn wir sindjetzt die herrschende Macht. W ir brauchen eine solche Verständigung, umpraktisch durchführbare, passende, für uns geeignete Formen des Über-gangs von den einzelnen zersplitterten Genossenschaften zu einer einheit-lichen, das ganze Volk umfassenden Genossenschaft zu finden. Als Staats-

macht brauchen wir Vereinbarungen mit den bürgerlichen Genossenschaf-ten nicht zu fürchten, denn durch solche Vereinbarungen werden sie unsunvermeidlich untergeordnet werden. Gleichzeitig müssen wir verstehen,daß wir eine neue proletarische Staatsmacht sind, daß die Arbeiterklassejetzt zur herrschenden Klasse im Staat geworden ist. Deshalb müssen die.Arbeitergenossenschaften an die Spitze der Bewegung treten, die die ein-zelnen Genossenschaften in die einheitliche Genossenschaft des ganzenVolkes überführt. Die Arbeiterklasse darf sich nicht von den übrigen Tei-

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209

Z U M D E K R E T Ü B E R D I E R E V O L U T I O N S T R I B U N A L E 7 2

A

AN DIE KOLLEGIUMSMITGLIEDER DES KOMMISSARIATSF Ü R J U S T I Z U N D K O P I E A N D E N V O R S I T Z E N D E N

DES ZENTRALEXEKUTIVKOMITEES

30. III. 1918

Das Dekret über die sowjetischen Tribunale ist meiner Meinung nachvöllig falsch und bedarf einer grundlegenden Um arbeitung.

Es ist falsch, das Dekre t über die Pressetribunale außer K raft zu setzen,ohne daß vorher die Ergebnisse ihrer Arbeit zusammengefaßt (und er-örtert) worden sind.

Es ist falsch, den Posten eines mit alleiniger Verfügungsgewalt ausge-statteten „Tribuns" zu schaffen, der außerhalb des Kollegiums des Kom-missariats für Justiz steht. Es entsteht dabei etwas vom Schlage derschlimmsten Präzedenzfälle eines „Generalprokurors".

Statt die Aufmerksamkeit auf die Reform der Institutionen zu richten,geringfügige Reformen oder solche, die sich fast nur auf Worte beziehen(„Tribun"), muß die Aufmerksamkeit darauf gelenkt werden, welchepraktischen Ergebnisse das Kollegium für Justiz erzielt hat bei seinen Be-mühungen um die Schaffung eines wirklich revolutionären Gerichts, dasrasch und schonungslos streng gegen Konterrevolutionäre, Rowdys, Fau-lenzer und Desorganisatoren vorgeht.

Centn

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211

VORWORT ZUM SAMMELBAND„GEGEN DEN STROM"

Die meisten Aufsätze, die in diesem Band zusammengefaßt sind, er-schienen in dem Auslandsorgan „Sozial-Demokrat" (Zentralorgan der

SDAPR-Bolschewiki), das von Ende 1914 bis Anfang 1917 in der Schweizherausgegeben wu rde. Nu r ein großer Zeitschriftenaufsatz entstammt derZeitschrift „Kommunist"TS (von der nur eine Nummer 1915 in der Schweiz

erschienen ist).Um den Zusammenhang zwischen den einzelnen Aufsätzen richtig zu

verstehen, muß man sich die chronologische Reihenfolge ihrer Veröffent-lichung in der Zeitung vor Augen halten.

Die Aufsätze teilen sich in zwei grundlegende Kategorien. Der eineTeil beschäftigt sich mit der Einschätzung des Krieges und den sich aus

dieser Einschätzung ergebenden Aufgaben der Politik. Der andere Teilbehandelt die innerparteilichen Beziehungen, jenen Kampf der Fraktionen,der kurzsichtigen Menschen lange Zeit ein „Chaos" oder ein „persönlicherKonflikt" zu sein schien, praktisch aber jetzt, w ie jeder sieht, zur Abgren-zung der wirklichen Sozialisten von den Lakaien der Bourgeoisie, denHerren Liberdan74 , Martow und Konsorten geführt hat.

Man begreift, daß der erste Teil oder die erste Kategorie der Aufsätzevon unvergleichlich größerer Bedeutung ist. Oh ne die Kenntnis dieser Auf-sätze wird kein einziger klassenbewußter Arbeiter auskommen, der die

Entwicklung der Ideen der internationalen sozialistischen Revolution undihres ersten Sieges vom 25. Oktober 1917 begreifen will.

W. LeninQesdbrieben im März 1918."Veröffentlicht 1918 in dem Sammelband Tiach dem 7ext des„ Qegen den Strom". Verlag des Sammelbandes.Vetrograder Sowjets der Arbeiter-

und Soldatendeputierten.

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THESEN ZUR BANKPOLITIK 75

1. Es muß ein Bericht über das in den Privatbanken Vorgefundene zu-sammengestellt werden, in den die Liquidierung aller Geschäfte jeder ein-zelnen Privatbank einzubeziehen ist.

a) Dem früheren Angestelltenpersonal jeder einzelnen Privatbank (wo-bei das Kommissariat der Staatsbank das Recht ha t, einige von ihnen aus-zuschalten) wird der ultimative Auftrag erteilt, in kürzester Frist alleGeschäfte der Bank in Ordnung zu bringen und die Bilanz in endgültigerForm aufzustellen, erstens pe r 14. Dezember 191776 , zweitens per letztenGeschäftstag.

b) Bei Erfüllung dieser Funktion der Zusammenstellung der Berichteund der Liquidierung aller Geschäfte der Banken handeln die Privatban-ken ausnahmslos als Filialen der einheitlichen Volksbank der RussischenRepublik und nur zum Zwecke der Liquidierung, also ohne irgendwelcheneuen Operationen vorzunehmen.

2. Die gesamte Tätigkeit der Zusammenstellung der Berichte leitet dasKommissariat der Staatsbank.

Es wird eine möglichst große Zahl erfahrener Mitarbeiter herange-zogen, darunter auch ehemaliger Angestellter der Staatsbank und privater

Banken.3. Die Bankpolitik darf sich nicht auf die Nationalisierung der Bankenbeschränken, sondern muß allmählich, aber unbeirrt ausgerichtet werdenauf die Umwandlung der Banken in einen einheitlichen Apparat der Buch-führung und Regulierung des sozialistisch organisierten Wirtschaftslebensdes ganzen Landes überhaupt.

4. Außerordentliche Maßnahmen zur Eröffnung möglichst vieler Filialender Volksbank im ganzen Land.

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JhesenzurBankpolitik 213

Zweckmäßigste Verteilung dieser Filialen innerhalb der Städte und auf

die Dörfer zur größeren Bequemlichkeit für das Publikum.Die vorhandenen Filialen ehemaliger Privatbanken sind als Filialen der

Volksbank auszunutzen.5. Die Einlagen werden als unantastbar erklärt (was selbstverständlich

nicht im geringsten das Recht des Staates auf Steuererhebung schmälert).6. Freier Scheckverkehr.7. Völlige Aufrechterhaltung der Arbeiterkontrolle über die Geldaus-

zahlungen der Banken.. 8. Die Normierung der Geldauszahlungen für den täglichen Verbrauch

yf'iTd beibehalten.Zur Beschleunigung der Geldeinzahlungen und -auszahlungen in den

Banken sowie zur Vereinfachung der Formalitäten wird eine Reihe vonErleichterungen für das Publikum eingeführt.

9. Es sind Maßnahmen zu ergreifen, damit die Bevölkerung alles Geld,das nicht unbedingt für den täglichen Verbrauch notwendig ist, auf denBanken hält. Ein Gesetz und praktische Schritte zur zwangsweisen Ver-wirklichung dieses Prinzips sind vorzube reiten.

10. Alle Filialen der Volksbank auf dem Territorium der Föderativen

Russischen Sowjetrepublik lassen sich in ihrer Tätigkeit genau von denInstruktionen und Direktiven der Zentralverwaltung leiten; sie habennicht das Recht, irgendwelche örtlichen Bestimmungen oder Beschränkun-gen einzuführen. Ausnahmen sind nur mit Einverständnis der Zentral-verwaltung gestattet.

Qesdhrieben im März oder April i9i8.

Zuerst veröffentlidht 1926 in der TJadb dem ManuskriptZeitschrift „Proletarskaja

Rewoluzija" Nr. 6 (53).

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214

REDE AUF EINER

KUNDGEBUNG IN DER ALEXEJ-MANEGE

7. APRIL 1918"

Zeitungsbericht

(Lenin wird bei seinem Erscheinen auf der Tribüne mit

stürmischem Beifall begrüßt.) Wir machen jetzt, sagt Lenin, die

schwersten Monate der Revolution durch. Eine Hungersnot rückt heran,

und mit Aufbietung aller Kräfte müssen wir sie bekämpfen, bekämpfen

angesichts der ständigen hämischen Aufmerksamkeit der rechten Sozial-

revolutionäre und der Menschewiki. Ihre Taktik ist die Taktik Dutows

und Kornilows, die Taktik der Offiziersschüler, die sich in Moskau gegen

die Sowjetmacht erhoben haben. In dieser Hinsicht sind die Menschewiki,

die die Sowjetmacht zu stürzen suchen, auf ihrer Seite, auf der Seite derBourgeoisie, und damit verraten sie uns. Wenn wir Erschießungen vor-

nehmen, verwandeln sie sich in Tolstoianer, vergießen Krokodilstränen

und schreien, wir seien grausam. Sie haben vergessen, wie sie zusammen

mit Kerenski die Arbeiter zur Schlachtbank trieben, wobei sie die Geheim-

verträge in der Tasche versteckt hielten. Sie haben das vergessen und sind

zu frommen Christen geworden, die sich um die Barmherzigkeit sorgen.

Ohne Waffen können wir unsere Feinde Ijcht bezwingen, das wissen

sie sehr gut, aber trotzdem versuchen sie, uns zu diskreditieren.

Wir müssen die Volkswirtschaft in Gang bringen, und dieses gigan-tische Werk ist um so schwieriger, als unsere Revolution als erste auf dem

Wege der sozialen Umgestaltung so weit gegangen ist. Um diese schwie-

rige Aufgabe zu erleichtern, müssen wir lernen, aber lernen nicht aus

Büchern, sondern praktisch, aus der Erfahrung. Die Volkswirtschaft auf-

zubauen ist nur die Sowjetmacht imstande, und deshalb schlage ich Ihnen

vor, Tausende unserer Genossen im ganzen Land in die Sowjets zu wäh-

len. Außerdem müssen wir eine kameradschaftliche Disziplin schaffen.

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Rede auf einer Kundgebung in der Atexej-!Mane()e 215

Die Arbeiter und Bauern müssen begreifen, daß der Boden und die Fabri-ken ihr Eigentum sind und daß sie mit ihnen behutsam umgehen müssen,

wie mit eigenem Gu t.Erst jetzt, wenn wir zurückschauen, wenn wir die ganze Hilflosigkeit

der Bourgeoisie und die Nichtswürdigkeit der sabotierenden Intelligenzsehen, überzeuge ich mich davon, was für einen gewaltigen Schritt vor-wärts wir getan haben. Und um weiter erfolgreich vorwärtszuschreiten,müssen wir die Unwissenheit und die Schlamperei von uns abschütteln,das aber ist viel schwieriger, als den Idioten Romanow oder den Dümm-ling Kerenski zu stürzen.

Deutschland würgt uns, Japan greift uns an.78 Und in dieser schweren

Zeit schreien die Menschewiki und die rechten Sozialrevolutionäre, diesezarten Lämmer, wir seien grausam, wobei sie vergessen, daß sie den G al-gen für den Genossen Sdiaum ian79 errichtet haben . Zur Erwiderung kannich ihnen sagen: Jawohl, wir verneinen die Gewalt nicht, die wir gegen-über den Ausbeutern anwenden.

Diese Tränen der Menschewiki und der rechten Sozialrevolutionäre,die durch unsere Här te hervorgerufen worden sind — sind ihr letzter Ver-such, sich am politischen Leben des Landes zu beteiligen, und gleichzeitigein Symbol ihrer Schwäche. Wir werden sie schonungslos bekämpfen.

W ir müssen jetzt zahlen für das ganze Erbe des Zarismus, für die Zeiten,da Nikolaus und Kerenski ihr Unwesen trieben. Wenn wir die Desorga-nisation und die Apathie besiegen, so werden w ir in unermüdlicher Arbeitden gewaltigen Sieg des Sozialismus erringen. (L e b h a f t e r B ei fa ll .)

„Iswestija Saratowskowo Sowjeta' Nadb dem 7ext der(TJadhridhten des Saratow er Sowjets) 7ir. 71, „Jswestija Saratow-13 . April 19i8. skowo Sowjeta".

15 Lenin, We rke, Bd. 27

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D I R E K T IV E N A N D E N W L A D I W O S T O K E R S O W J E T 8 0

Nach Irkutsk (für Wladiwostok) muß über direkte Leitung telegrafiertwerden:Wir halten die Lage für überaus ernst und warnen die Genossen aufs

kategorischste. Machen Sie sich keine Illusionen: die Japaner werden be-stimmt angreifen. Das ist unvermeidlich. Ihnen werden wahrscheinlichausnahmslos alle Alliierten helfen. D eshalb muß ohne den geringsten V er-zug mit den Vorbereitungen begonnen werden, und zwar mit ernsten Vor-bereitungen, mit Vorbereitungen unter Aufbietung aller Kräfte. Die größteAufmerksamkeit muß dem ordnungsgemäßen A bzug, dem Rückzug, demAbtransport der Vorräte und des Eisenbahnmaterials gewidmet werden.Stecken Sie sich keine unrealisierbaren Ziele. Bereiten Sie die Unterminie-rung und Sprengung der Gleise, den Abtransport der Waggons und derLokomotiven vor, bereiten Sie Minensperren bei Irkutsk oder in Trans-baikalien vor. Geben Sie uns zweimal in der Woche genaue Nachricht,wie viele Lokomotiven und Waggons abtransportiert worden und wieviele geblieben sind. Sonst glauben wir nichts und werden auch nichtsglauben. Banknoten haben wir jetzt keine, aber ab Mitte April werdenwir viel haben, allerdings machen wir unsere Hilfe abhängig von Ihrenpraktischen Erfolgen beim Abtransport der Waggons und Lokomotiven

aus Wladiwostok, bei der Vorbereitung zur Sprengung der Brücken undso weiter.

Centn7. April

Veröfientlidht i934 in dem Sam melband : Tlaäi dem Ma nuskript"W. 1. Lenin, „Au s der Epodhe des Bürgerkriegs".

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218 TV.!. Centn

den einzelner Gruppen liegt, die oft mit den Sowjets in Streit liegen, sich

den Sowjets nicht unterordnen und denen zum Unglück eine bestimmteBajonettgewalt zur Verfügung steht. Um den Beweis nicht schuldig zubleiben, will ich ein Beispiel anführen. Nicht weit hier von Moskau, imGouvernement Rjasan, habe ich folgende Erscheinung beobachtet. Dortgibt es einen Sowjet. Außer dem Sowjet gibt es einRevolutionäres Militär-komitee. Das Revolutionäre Militärkomitee hält sich für unabhängig vomSowjet und erhebt selbst Steuern, sogar ohne dem Sowjet Bericht zu er-statten. Der Sowjet erhebt ebenfalls selbst Steuern. Wie Sie sehen, wird,wenn wir angesichts einer solchen Sachlage versuchen, von hier aus einenPlan durchzuführen, dabei natürlich nichts herauskommen, nichts erreichtwerden, weil sogar dort, draußen im Lande, das Revolutionäre Militär-komitee sich dem Sowjet nicht unterordnet, und deshalb auch der Sowjetnichts tun kann für die Zentralgewalt. Deshalb muß etwas unternommenwerden. Wir müssen eine andere Organisation schaffen, damit alle er-lassenen Dekrete nicht bloß Dekrete bleiben, sondern damit sie durch-geführt werden können und nicht in der Luft hängenbleiben.

Ein kurzer Zeitungsbericht wurdeam i9. April i9l8 in den.Jswestija WZJK" 5Vr. 77 veröffentlicht.

Zuerst vollständig veröfientlidht 1920 'Nach dem 7ext des Buches.in dem Budb Protokolle der Tagun gen desgesamtrussischen Z£K der 4. Wahlperiode.Stenografischer Bericht", Moskau.

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R E D E I M M O S K A U E R S O W J E T D E R A R B E I T E R - ,

B A U E R N- U N D R O T A R M I S T E N D E P U T I E R T E N

23. A P R I L 1918

Stenografischer Bericht

Genossen! Gestatten Sie mir vor allem, den Moskauer Sowjet der Ar-beiter- und Bauerndeputierten in seiner neuen Zusammensetzung zu be-grüßen.

Sie haben die Neuwahlen zu einem außerordentlich schwierigen Zeit-punkt, in dem tragischen Augenblick durchgeführt, wo der Prozeß derEntwicklung unserer Revolution in die gefährlichste und schwerste Phaseeintritt. Die der Revolution feindlichen Elemente, alle, die die Feinde desVolkes unterstützen, alle, die der Bourgeoisie nachtrotten, haben großeHoffnungen auf die Neuwahlen zu unserem Sowjet gesetzt, denn gegen-wärtig machen wir eine außerordentlich schwierige Periode durch, wo dieRevolution ihren Siegeszug beendet hat und in einen Zeitraum schwererPrüfungen und sogar Niederlagen eingetreten ist. Und in dieser Situationhat uns das Proletariat wiederum die ganze Stärke seines Klassenbewußt-seins vor Augen geführt. Die Arbeiter, die sich über die ganze Schwierig-keit der jetzigen Periode im klaren sind, begreifen durchaus, daß die Be-

hebung der großen Leiden, die das werktätige Volk jetzt ertragen muß,nicht von uns, sondern vom gesamten Verlauf der historischen Ereignisseabhängt. Und die Arbeiter werden mit heroischer Entschlossenheit neueEntbehrungen auf sich nehmen, nur um die. großen Errungenschaften derOktoberrevolution zu behaupten. . . . . .

. Kein Zweifel, daß die Revolution -- neben den schweren Prüfungen —

doch in einen Zeitraum neuer,, unmerklicher, nicht in die Augen fallen-•der-Siege eingetreten £st,.dje nicht weniger..wichtig sind als die.glänze»-

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220 W. J. Lenin

den Siege zur Zeit der Oktoberbarrikaden. Vor uns stehen in ihrer gan-zen Größe unsere beiden Todfeinde: vor uns stehen in voller Rüstungdie äußeren und die inneren Feinde, die bereit sind, die Revolution inStücke zu reißen, die den geeigneten Augenblick abwarten, um den end-gültigen Schlag zu führen. Der äußere Feind ist der bis an die Zähnebewaffnete, an technischen Kräften reiche internationale Imperialismus,der den geeigneten Augenblick abwartet, um einen neuen Raubüberfallauf Sowjetrußland zu unternehmen. Und dessen eingedenk, müssen wirmit schonungsloser Klarheit der drohenden Wahrheit gerade ins Gesichtsehen.

Infolge des reaktionärsten aller Kriege, den unser gepeinigtes Landdurchmachen mußte, haben wir im gegenwärtigen Augenblick nicht ge-nügend Kräfte für einen aktiven bewaffneten Kampf gegen die Welt-reaktion; wir haben keine Armee, wir haben keine Kräfte, die wir denglänzend organisierten Truppen der internationalen Konterrevolution ent-gegenstellen könnten, in deren Händen die Macht der modernen T edinikund einer idealen Disziplin liegt. Wir stehen zunächst allein da und sindvon Todfeinden umgeben.

Zu r Zeit des Oktoberaufstands des werktätigen Volkes, als wir vor denArbeitern das rote Banner der sozialistischen Revolution entrollten, er-lebten wir eine Periode leichter, blendender Erfolge. Und die Arbeiter deranderen Länder, die auf das ferne Getöse der russischen Revolution horch-ten, begriffen, was in Rußland vor sich geht, erkannten, daß das russischeProletariat ihr eigenes, ihr ureigenes Werk verrichtet. Damals wurden wirmit den reaktionären Banden leicht fertig, damals unterdrückten wir leichtdie gegen das Volk rebellierenden Überres te der menschewistischen Ban-den, die uns nicht im offenen Kampf mit der Waffe in der H and entgegen-traten, sondern mit der schmutzigen Waffe der Lüge, der Verleumdungund des unerhörten Verrats. Als Ergebnis unseres Kampfes gegen dieKonterrevolution können wir einen so großen Sieg buchen wie die Tat-sache, daß der dreisteste K onterrevolutionär, Kornilow, von seinen eignenempörten Soldaten niedergemacht worden ist.81

Während wir an allen Fronten einen breiten Kampf gegen die ein-heimische Konterrevolution führten, machten wir uns die Schwierigkeitender internationalen Bourgeoisie zunutze und führten rechtzeitig einenmächtigen Schlag gegen die Konterrevolution, die jetzt zertreten ist. Man

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222 W. 1. Lenin

und Lakai dieser oder jener Imperialistengruppe w äre. Un d wer gegen die

Taktik auftritt, an die wir uns in letzter Z eit gehalten haben — mag er sichauch als ganz „linker", sogar als ultralinker Kommunist bezeichnen —, is tein schlechter Revolutionär, ich sage noch mehr, der ist überhaupt keinRevolutionär. (Beifall.)• Unsere Rückständigkeit hat uns vorwärtsgetrieben, und wir werdenuntergehen, wenn wir uns nicht so lange zu behaupten verstehen, bis wireine, mächtige Unterstützung durch die aufständischen Arbeiter der an-deren Länder erhalten. Unsere Aufgabe ist die unermüdliche Fortsetzungunserer proletarischen Kampftaktik.

Wir haben einen außerordentlich gefährlichen geheimen Feind, dergefährlicher ist als viele offene Konterrevolutionäre; dieser Feind — einTodfeind der sozialistischen Revolution und der Sowjetmacht, d ie ein noch'nirgends dagewesenes Volksparlament von neuem Typus für die Annenist — ist die Elementargewalt des Kleineigentümers. Kein Zweifel, daß wirjetzt herangerückt sind an die Überwindung der schwierigsten Hinder-nisse auf dem Wege der Entwicklung der sozialistischen Revolution. Wasuns bevorsteht, ist in erster Linie die Aufgabe, in vollem Maße dieDiktatur des Proletariats auf allen Gebieten zu verwirklichen: in der

Organisierung der Arbeitsdisziplin, in der Produktion, in der Vertei-lung der erzeugten Produkte. Der Feind, von dem ich gesprochen habe,ist die Elementargewalt des Kleineigentümers, der nur dem Gedankenlebt: „Ich reiße an mich, was ich kann, alles andere ist mir schnuppe",dieser Feind ist stärker als alle Kornilow, Dutow und Kaledin zusammen-genommen.

Diese kleinen Kulaken, Kleinbesitzer, Eigentümer sagen : „Man hat unsimmer unterjocht, uns immer unter Druck gehalten — da können wir docheinen so günstigen Moment nicht ungenutzt vorbeigehen lassen." DieseErscheinung ist ein ernstes H indernis, ohne dessen Üb erwind ung ein Siegundenkbar ist, denn mit jedem Kleinbesitzer, mit jedem gierigen Rafferwächst ein neuer Kornilow heran.

Neben dieser Gefahr erheben sich vor uns als drohendes Gespenst diePerspektiven der herannahenden Hungersnot und der Massenarbeitslosig-keit, aber wir sehen, daß jeder klassenbewußte Arbeiter — ihrer aber wer-den täglich und stündlich immer mehr und mehr —, daß jeder klassen-bewußte Arbeiter, sage ich, merkt un d versteht, daß in der gegenwärtigen

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Rede im Moskauer Sowjet 223

Situation das einzige Mittel zum Kampf gegen die drohenden Gefahren

stahlharte Anspannung aller Kräfte und eiserne Ausdauer ist. Und mögendiejenigen, die in Augenblicken der schweren Prüfungen unserer Revo-lution von Verzweiflung, Kleinmut und Schwäche erfaßt werden, darandenken, was wir stets gesagt haben, daß wir nicht auf dem unblutigenund leichten Wege des Überredens und Paktierens vom Kapitalismuszum vollen Sieg des Sozialismus gelangen werden, sondern daß die Er-reichung unseres Zieles nur das Ergebnis eines heftigen Kampfes seinkann.

Die Diktatur des Proletariats ist für die Gewaltanwendung gegen die

Ausbeuter. Unser Weg ist Ausdauer, proletarische Geschlossenheit, eiserneDiktatur des werktätigen Volkes. Ohne Zweifel hat die Sowjetmacht invielen Fällen nicht genügend Entschiedenheit im Kampfe gegen die Kon-terrevolution an den T ag gelegt, und hier war sie kein Eisen, sondern einebreiartige Masse, auf der man keinen Sozialismus aufbauen kann. Wirhaben die kleinbürgerliche Elementargewalt nicht besiegt. Die Lage desruinierten, ausgebluteten Landes, das durch den Gang der Geschichte voralle anderen auf das Schlachtfeld der Weltrevolution gestellt wurde, istaußerordentlich schwer, und man wird uns erdrosseln, wenn wir demZerfall, der Desorganisation und der Verzweiflung nicht die eiserne Dik-tatur der klassenbewußten Arbeiter entgegenstellen. Wir werden sowohlgegen unsere Feinde als auch gegen alle schwankenden und schädlichenElemente aus unseren eigenen Reihen schonungslos vorgehen, die es wagensollten, in unsere schwere schöpferische Arbeit am Aufbau eines neuenLebens des werktätigen Volkes Desorganisation hineinzutragen.

Wir sind herangegangen an die Lösung einer Aufgabe, deren Bewäl-tigung den Sozialismus völlig sichern und festigen wird. Zur Überwin-dung aller Schwierigkeiten, zum erfolgreichen Kampf gegen Hungersnot

und Arbeitslosigkeit werden wir eine wenig sichtbare, bescheidene, aberschwere, staatswichtige Arbeit leisten, und wer sich uns entgegenstellt,wird sich als ärgster Feind des Weltproletariats erweisen.

Die Wahlen zum Moskauer Sowjet haben gezeigt, wie groß das Ver-ständnis für die sich abspielenden Ereignisse bei den A rbeitern ist, die be -griffen haben, daß die Sowjetmacht kein Paradeschmuck, sondern ihreeigene, ihre ureigene Sache ist. Durch den letzten A kt, den A kt der N eu-wahlen zu unserem Sowjet, sind alle diejenigen besiegt worden, die große

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DIE NÄCHSTEN AUFGABEN

DER SOWJETMACHT 82

Qesdorieben im März u nd April i9l8.

Veröffentlicht am 28. April I9i8 "Nadb dem Jext der 'Broschüre-,in der „Prawda" "Nr. 83 und in den N.Cenin, „"Die nädbsten Auf-„Iswestija TV2JK." 7ir. 85. gaben der Sowjetmad rt", 2. Auf-IXntersänrift-. 7J. Lenin. läge, Mo skau 1948, verglichen

mit dem Manuskript.

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""£**

. Erste Seite von W . I. Lenins M anuskript„Thesen über die Aufgaben der Sowjetmadit in der gegenwärtigen Situation"

März-April 1918

"Verkleinert

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229

DIE INTERNATIONALE LAGEDER RUSSISCHEN SOWJETREPUBLIK UND DIE

H A U P T A U F G A B E N D E R S O Z I A L I S T I S C H E N R E V O L U T I O N

Dank dem erreichten Frieden — trotz all seiner Schwere und all seinerUnbeständigkeit — erhält die Russische Sowjetrepublik die Möglichkeit,für eine gewisse Zeit ihre Kräfte auf die wichtigste und schwierigste Seiteder sozialistischen Revolution zu konzentrieren, nämlich auf die orga-nisatorische Aufgabe.

Diese Aufgabe wurde vor allen werktätigen und unterjochten Massenim 4. Absatz (4 . Teil) der am 15. März 1918 auf dem AußerordentlichenSowjetkongreß in Moskau angenommenen Resolution klipp und klar ge-stellt, in demselben Absatz (bzw. in demselben Teil) der Resolution, wo

von der Selbstdisziplin der Werktätigen und dem schonungslosen Kampfgegen Chaos und Desorganisation die Rede ist.*

Unbeständig ist der von der Russischen Sowjetrepublik erlangte Frie-den natürlich nicht deshalb, weil sie jetzt etwa an die Wiederaufnahmeder Kriegshandlungen denkt; — an so etwas denkt außer bürgerlichen Kon-terrevolutionären und ihren Mitläufern (den Menschewiki usw.) kein ein-ziger zurechnungsfähiger Politiker. Unbeständig ist der Frieden deshalb,weil in den an Rußland im Westen und Osten grenzenden imperialistischenStaaten, die über eine gewaltige militärische Macht verfügen, jeden Augen-blick die Kriegspartei die Oberhand gewinnen kann, verlockt durch diemomentane Schwäche Rußlands und angespornt von den den Sozialismushassenden, raublüsternen Kapitalisten.

Angesidits einer solchen Sachlage ist eine reale — nicht papierene —

Friedensgarantie für uns ausschließlich die Zwietracht zwischen den impe-rialistischen Mächten, die ihren Höhepunkt erreicht hat und einerseits in

* Siehe den vorliegenden Band, S. 189. Die Red.

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230 "W. 1. Lenin

der Wiederaufnahme des imperialistischen Völkergemetzels im Westen,

anderseits in dem aufs äußerste verschärften imperialistischen Wettstreitzwischen Japan und Amerika um die Beherrschung des Großen Ozeansund seiner Küsten zum Ausdruck kommt.

Man begreift, daß unsere Sozialistische Sowjetrepublik unter einem sounsicheren Schutz sich in einer außerordentlich labilen, unbedingt kri-tischen internationalen Lage befindet. W ir m üssen alle unsere Kräfte aufsäußerste anspannen, um die uns durch das Zusammentreffen der Um-stände gewährte Atempause auszunutzen zur Heilung der schwerstenWunden, die der Krieg dem ganzen gesellschaftlichen Organismus Ruß-

lands geschlagen hat, und zur wirtschaftlichen Hebung des Landes, ohnedie von einer einigermaßen ernsten Steigerung der Wehrkraft keine Redesein kann .

Man begreift auch, daß wir der sozialistischen Revolution im Westen,die sich infolge einer Reihe von Ursachen verspätet, eine ernste Unter-stützung nur in dem Maße erweisen werden, in dem wir es verstehen, dieuns gestellte organisatorische Aufgabe zu lösen.

Die Hauptbedingung für die erfolgreiche Lösung der uns in erster Liniegestellten organisatorischen Aufgabe besteht darin, daß die politischen

Führer des Volkes, d. h. die Mitglieder der Kommunistischen P artei Ruß-lands (Bolschewiki), aber auch alle andern bewußten Vertreter der werk-tätigen Massen sich den grundlegenden Unterschied völlig klarmachen,der in dieser Hinsicht zwischen den früheren, den bürgerlichen Revolutio-nen und der jetzigen, der sozialistischen Revolution besteht.

In den bürgerlichen Revolutionen bestand die Hauptaufgabe der werk-tätigen Massen in der Durchführung der negativen oder zerstörendenArbeit, den Feudalismus, die Monarchie, die Mittelalterlichkeit zu ver-nichten. Die positive oder schöpferische Arbeit, die neue Gesellschaft zu

organisieren, besorgte die besitzende, bürgerliche Minderheit der Bevöl-kerung. Und sie löste diese Aufgabe trotz des Widerstands der Arbeiterund der armen Bauern verhältnismäßig leicht, nicht nur deshalb, weil derWiderstand der vom Kapital ausgebeuteten Massen damals infolge ihrerZersplitterung und mangelnden Entwicklung äußerst schwach war, son-dern auch deshalb, weil die grundlegende organisierende Kraft in deranarchisch aufgebauten kapitalistischen Gesellschaft der elementar in dieBreite und Tiefe wachsende nationale und internationale Markt ist.

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Die nädhsten Aufgaben der Sow jetmacht 231

Umgekehrt ist die Hauptaufgabe des Proletariats und der von ihm ge-

führten armen Bauernschaft in jeder sozialistischen Revolution — alsoauch in der von uns am 25 . Ok tober 1917 begonnenen sozialistischenRevolution in Ru ßland — die positive oder auch schöpferische Arbeit, diedarin bes teht, ein außerordentlich kompliziertes u nd feines Netz von neuenorganisatorischen Beziehungen herzustellen, die die planmäßige Produk-tion und Verteilung der Produkte erfassen, wie sie für die Existenz vonDutzenden Millionen Menschen notwendig sind. Eine solche Revolutionkann nur bei selbständigem historischem Schöpfertum der Mehrh eit der Be-völkerung, vor allem d er Meh rheit der W erktätigen, erfolgreich verwirk-licht werden. Nur wenn das Proletariat und die arme Bauernschaft ge-nügend Bewußtheit, Überzeugungskraft, Selbstaufopferung und Beharr-lichkeit aufbringen, wird der Sieg der sozialistischen Revolution gesichertsein. M it der Schaffung eines neuen, des sowjetischen Staatstyp us, der d enwerktätigen und unterjochten Massen die Möglichkeit erschließt, an demselbständigen Aufbau der neuen Gesellschaft tätigen Anteil zu nehmen,haben wir erst einen kleinen Teil der schwierigen Aufgabe gelöst. DieHauptschwierigkeit liegt auf ökonomischem Gebiet: überall die strengsteRechnungsführung und Kontrolle über Produktion und Verteilung derProdukte durchzuführen, die Arbeitsproduktivität zu steigern, die Pro-duktion tatsädhUdh zu vergeselhäiajten.

Die Entwicklung der Par tei de r Bolschewiki, die heu te Regierungsparteiin Rußland ist, zeigt besonders anschaulich, worin der jetzt vor sich gehendeund die Eigenart der gegenwärtigen politischen Situation bildende histo-rische Umschwung besteht, der von der Sowjetmacht eine Neuorientie-rung , d. h. eine neue Aufgabenstellung erford ert.

Die erste Aufgabe jeder Partei der Zukunft besteht darin, die Mehr-

heit des Volkes von der Richtigkeit ihres Programms und ihrer Taktik zuüberzeugen. Diese Aufgabe stand sowohl unter dem Zarismus als auchin der Periode des Paktierens der Tschernow und Z ereteli mit den Keren-ski und Kischkin an erster Stelle. Jetz t ist diese Aufgabe, die natürlich beiweitem noch nicht vollendet ist (und niemals ganz erschöpft w erden k an n),in der Hauptsache gelöst, denn die Mehrheit der Arbeiter und BauernRußlands steht, wie das der letzte Sowjetkongreß in Moskau unumstöß-lich gezeigt hat, offenkundig auf Seiten der Bolschewiki.

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232 rW. 1 . Centn

Die zweite Aufgabe unserer Partei war die Eroberung der politischen

Macht und die Niederhaltung des Widerstands der Ausbeuter. Auch dieseAufgabe ist keineswegs ganz erschöpft, auch sie kann unmöglich ignoriertwerden, denn die Monarchisten und Kadetten einerseits, ihre Helfers-helfer und H andlanger, die Menschewiki und rechten Sozialrevolutionäre,anderseits setzen ihre Versuche fort, sich zum Sturz der Sowjetmacht zu-sammenzuschließen. In der Hauptsache aber ist die Aufgabe, den Wider-stand der Ausbeuter niederzuhalten, bereits in der Zeit vom 25. Oktober1917 bis (ungefähr) Februar 1918 oder bis zur Kapitulation Bogajewskisgelöst worden.

Jetzt kommt als nächste und die Eigenart der gegenwärtigen Situationbildende Aufgabe die dritte Aufgabe an die Reihe, die Verwaltung Ruß-lands zu organisieren. Selbstverständlich wurde diese Aufgabe gleich amTage nach dem 25. Oktober 1917 von uns gestellt und in Angriff genom-men, aber bis jetzt, solange der Widerstand der A usbeuter noch die Formdes offenen Bürgerkriegs annahm, bis jetzt konnte die Aufgabe des Ver-waltens nicht die "Hauptaufgabe, die zentrale Aufgabe werden.

Jetzt ist sie das geworden. Wir, die Partei der Bolschewiki, haben Ruß-land überzeugt. W ir haben Rußland den Reichen, den Ausbeutern abge-

rungen zugunsten der Armen, der W erktätigen. Wir müssen jetzt Rußlandverwalten. Un d die ganze Eigenart der gegenwärtigen Situation, die ganzeSchwierigkeit besteht darin, die Besonderheiten des Tibergangs von derHauptaufgabe, das Volk zu überzeugen und die Ausbeuter mit W affenge-walt niederzuhalten, zu der Hauptaufgabe des Verwaltern zu begreifen.

Zum erstenmal in der Weltgeschichte hat eine sozialistische Partei esfertiggebracht, das Werk der Machteroberung und der Niederhaltung derAusbeuter in den Hauptzügen zu Ende zu führen und unmittelbar dieAufgabe des Verwaltens in Angriff zu n ehmen . Wir müssen uns als wür-

dige Vollbringer dieser schwierigsten (und dankbarsten) Aufgabe dersozialistischen Umwälzung erweisen. Wir müssen uns klarmadben, daßzum erfolgreichen Verwalten außer der Fähigkeit zu überzeugen, außerder Fähigkeit, im Bürgerkrieg zu siegen, noch die Fähigkeit, praktisch zuorganisieren, notwendig ist. Das ist die schwierigste Aufgabe, denn eshandelt sich um die Organisierung der tiefsten, der ökonomischen Grund-lagen des Lebens von Millionen und aber Millionen Menschen auf neueA rt. Und das ist die dankbarste Aufgabe, denn erst nach ihrer Lösung (in

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Die nädisten Aufgaben der Sowjetmacht 235

die Tagesordnung tritt deshalb eine neue, höhere Form des Kampfes gegen

die Bourgeoisie, der Übergang von der sehr einfachen Aufgabe der weite-ren Expropriierung der Kapitalisten zu der viel komplizierteren undschwierigeren Aufgabe der Schaffung von Bedingungen, unter denen dieBourgeoisie weder existieren noch von neuem entstehen kann. Es ist klar,daß das eine unermeßlich höhere Aufgabe ist und daß es ohne ihre Lösungnoch keinen Sozialismus gibt.

Nimm t man die westeuropäischen Revolutionen als Maßstab , so stehenwir jetzt ungefähr auf dem Niveau dessen, was in den Jahren 1793 und1871 erreicht worden ist. W ir haben das gute Recht, stolz darauf zu sein,

daß wir uns auf dieses Niveau erhoben haben und in einer Hinsicht zwei-fellos etwas weitergegangen sind, nämlich: daß wir in ganz Rußland denhöchsten Jypus des Staates, die Sowjetmacht, dekretiert und errichtethaben. W ir können uns jedoch auf keinen Fall mit dem Erreichten zufrie-dengeben, denn wir haben den Übergang zum Sozialismus erst begonnen,haben aber das Entscheidende in dieser Hinsicht nodh nicht verwirklicht.

Das Entscheidende ist die Organisierung einer strengen und vom ge-samten Volk ausgeübten Rechnungsführung und Kontrolle über die Pro-duktion und Verteilung der Produkte. Indessen haben wir in den Betrie-

ben, in den Wirtschaftszweigen und -gebieten, die wir der Bourgeoisieweggenommen haben, die Rechnungsführung und K ontrolle nodh nidbt er-reicht, ohne diese aber kann keine Rede sein von der zweiten, ebensowesentlichen, materiellen Bedingung für die Einführung des Sozialismus,nämlich von der Erhöhung der Arbeitsproduktivität im gesamtnationalenMaßstab.

Deshalb könnte die Aufgabe in der gegenwärtigen Situation nicht aus-gedrückt werden durch die einfache Formel: Fortsetzung der Offensivegegen das Kapital. Obwohl wir das Kapital zweifellos noch nicht völlig

vernichtet haben und es unbedingt notwendig ist, die Offensive gegen die-sen Feind der Werktätigen fortzusetzen, wäre eine solche Definition nichtgenau, nicht konkret, würde sie keine Berücksichtigung der Eigenart dergegenwärtigen Situation enthalten, wo man im Interesse des Erfolgs derweiteren Offensive jetzt die Offensive „zum Stehen bringen" muß.

Das kann man klarmachen, indem man unsere Lage im Kriege gegendas Kapital mit der Lage eines siegreichen Heeres vergleicht, das — sagen•wir — dem Feinde die Hälfte oder zwei D rittel seines Gebiets weggenom-

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236 W. 1. Lenin

men ha t und gezwungen ist, die Offensive zum Stillstand zu bringen, um

Kräfte zu sammeln, die Vorräte an Kampfmitteln zu vergrößern, die Ver-bindungslinien auszubessern und zu verstärken, neue Depots anzulegen,neue Reserven heranzubringen usw. Die Unterbrechung der Offensiveeines siegreichen H eeres unter solchen U mständen ist notwendig eben imInteresse der Eroberung des übrigen feindlichen Gebiets, d. h. im Interessedes vollständigen Sieges. W er nicht begriffen hat, daß es mit der uns durchdie objektive Sachlage im gegenwärtigen Augenblick diktierten „Einstel-lung" der Offensive gegen das Kapital eben diese Bewandtnis hat, der hatnichts von der gegenwärtigen politischen Situation begriffen.

Selbstverständlich kann man von einer „Einstellung" der Offensivegegen das Kapital nur in Anführungszeichen, d. h. bildlich sprechen. Ineinem gewöhnlichen Krieg kann man durch einen allgemeinen Befehl dieEinstellung einer Offensive veranlassen, kann man tatsächlich den Vor-marsch unterbrechen. Im Kriege gegen das Kapital kann man den Vor-marsch nicht zum Stehen bringen, und es kann gar nicht davon die Redesein, daß wir auf die weitere Expropriation des Kapitals verzichten. Eshandelt sich hier um eine Verlegung des Sdhwerpunkts unserer ökonomi-schen und politischen Arbeit. Bisher standen an erster Stelle die M aßnah-

men zur unmittelbaren Expropriation der Expropriateure. Jetzt tritt andie erste Stelle die Organisierung der Rechnungsführung und der Kon-trolle sowohl in den Betrieben, in denen die Kapitalisten bereits expropri-iert sind, als auch in allen übrigen Betrieben.

Wenn wir jetzt die Expropriation des Kapitals im früheren Tempoweiter fortsetzen wollten, so würden wir sicherlich eine Niederlage er-leiden, denn unser Bemühen um die Organisierung der proletarischenRechnungsführung und Kontrolle ist hinter der Arbeit der unmittelbaren„Expropriation der Expropriateure" für jeden denkenden Menschen un-

verkennbar, ganz offensichtlich, zurückgeblieben. Wenn wir uns jetzt mitallen Kräften auf die Organisierung der Rechnungsführung und Kontrolleverlegen, so werden wir diese Aufgabe lösen können, werden das Ver-säumte nachholen, werden unsere ganze „Kampagne" gegen das Kapitalgewinnen.

Ist aber das Eingeständnis, daß wir V ersäumtes nachholen m üssen, nichtgleichbedeutend mit dem Eingeständnis eines begangenen Fehlers? — Kei-neswegs. Stellen wir wieder einen militärischen Vergleich an. Wenn man

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Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht 237

den Feind allein mit Abteilungen leichter Kavallerie schlagen und zurück-

werfen kann, so muß man das tun. Kann man das aber nur bis zu einembestimmten Grade mit Erfolg tun, so ist es durchaus denkbar, daß dar-über hinaus die Heranschaffung von schwerer Artillerie notwendig wird.Wenn wir zugeben, daß man jetzt nachholen muß, was man in Heran-schaffung von schwerer Artillerie versäumt hat, so bezeichnen w ir keines-wegs die siegreiche Kavallerieattacke als einen Fehler.

Lakaien der Bourgeoisie haben uns oft vorgeworfen, wir hätten eine„rotgardistische" Attacke gegen das Kapital geritten. Ein alberner Vor-wurf, genau der Lakaien des Geldsacks würdig. Denn die „rotgardistische"

Attacke gegen das Kapital war seinerzeit durch die Verhältnisse unbedingtgeboten: erstens leistete das Kapital, vertreten durch Kerenski und Kras-now, Sawinkow und Goz, Dutow und Bogajewski, damals militärischenWiderstand (Gegetschkori leistet auch jetzt noch einen solchen Wider-stand). Militärischen Widerstand kann man nicht anders brechen als mitmilitärischen Mitteln, und die Rotgardisten haben die edelste und größtehistorische Tat vollbracht, die Werktätigen und Ausgebeuteten vom Jochder Ausbeuter zu befreien.

Zweitens hätten wir damals die Methoden der Verwaltung auch des-

halb nicht anstatt der Methoden der Unterdrückung an die erste Stellerücken können, weil die Kunst des Verwaltens den Menschen nicht ange-boren ist, sondern durch Erfahrung erworben sein will. Damals hatten wirsolche Erfahrungen nicht. Jetzt haben wir sie. Drittens konnten wir damalskeine Spezialisten der verschiedenen Zweige des Wissens und der Technikzu unserer Verfügung haben, weil sie entweder in den Reihen der Boga-jewski kämpften oder aber noch die Möglichkeit hatten, einen systema-tischen und hartnäckigen passiven Widerstand durch Sabotage zu leisten.Jetzt aberhaben wir die Sabotage gebrochen. Die „rotgardistische" Attackegegen das Kapital war erfolgreich, war siegreich, denn wir haben sowohlden militärischen W iderstand als auch den durch Sabotage geübten W ider-stand des Kapitals gebrochen.

Bedeutet das etwa, daß die „rotgardistische" Attacke gegen das Kapitalstets, unter allen Umständen angebracht ist, daß wir keine anderen Mitteldes Kampfes gegen das Kapital haben? So zu denken wäre Kinderei. Wirhaben mit der leichten Kavallerie gesiegt, aber wir haben auch schwereArtillerie. Wir haben mit den Methoden der Unterdrückung gesiegt, wir

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238 W. 3. Lenin

werden es verstehen, auch mit den Methoden des Verwaltens zu siegen.

Man muß es verstehen, die Methoden des Kampfes gegen den Feind zuändern, wenn sich die Verhältnisse ändern. Wir werden keinen Augen-blick auf die „rotgardistische" Niederhaltung der Herren Sawinkow undGegetschkori wie auch aller anderen gutsherrlichen und bourgeoisen Kon-terrevolutionäre verzichten. Aber wir werden nicht so dumm sein, die„rotgardistischen" Methoden in einer Zeit an die erste Stelle zu rücken,wo die Epoche, in der rotgardistische Attacken notwendig waren, imwesentlichen abgeschlossen (und siegreich abgeschlossen) ist und eineEpoche vor der Tür steht, wo die proletarische Staatsmacht die bürger-

lichen Spezialisten ausnutzen muß für eine derartige Umpflügung des Bo-dens, daß auf ihm überhaupt keine Bourgeoisie mehr gedeihen kann.

Das ist eine eigenartige Epoche oder, genauer gesagt, Phase der Ent-wicklung, und um das Kapital restlos zu besiegen, muß man es verstehen,die Formen unseres Kampfes den eigenartigen Bedingungen dieser Zeitanzupassen.

Ohne die Anleitung durch Spezialisten der verschiedenen Zweige desWissens, der Technik und der Praxis ist der Übergang zum Sozialismusunmöglich, denn der Sozialismus erfordert einen bewußten und massen-

haften Vormarsch zu einer höheren Arbeitsproduktivität als unter dem Ka-pitalismus, und zwar auf der Basis des durch den Kapitalismus Erreichten.Der Sozialismus muß auf seine Art, mit seinen Methoden — sagen wirkonkreter, mit sowjetischen Methoden — diesen Vormarsch verwirklichen.Die Masse der Spezialisten aber ist unvermeidlich bürgerlich infolge derganzen Beschaffenheit des gesellschaftlichen Lebens, das sie zu Spezia-listen gemacht hat. W enn unser Proletariat, nachdem es die Macht ergrif-fen, die Aufgabe der Rechnungsführung, der K ontrolle, der Organisationim Maßstab des ganzen Volkes rasch gelöst hätte — (das war infolge des

Krieges und der Rückständigkeit Rußlands unrealisierbar) —, dann hättenwir uns nach Brechung der Sabotage vermöge der allgemeinen Rechnungs-führung und Kontrolle auch die bürgerlichen Spezialisten vollständiguntergeordnet. Infolge der erheblichen „Verspätung" m it der Rechnungs-führung und Kontrolle überhaupt haben wir, obwohl wir die Sabotage zubesiegen vermochten, nodb nidbt die Verhältnisse geschaffen, die uns diebürgerlichen Spezialisten zu unserer Verfügung stellen; die Masse der Sa-boteure „geht zum D ienst", die besten Organisatoren und die bedeutend-

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Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht 239

sten Spezialisten aber kann sich der Staat entweder auf alte Art, auf bür-

gerliche Art (d. h. gegen hohe Bezahlung) nutzbar machen oder aber aufeine neue Art, auf proletarische Art (d. h. durch Schaffung jener Verhält-nisse allgemeiner Rechnungsführung und Kontrolle von unten, die zwangs-läufig und von selbst die Spezialisten unterordnen und heranziehen wür-den).

W ir mußten jetzt zu dem alten, bürgerlichen M ittel greifen und uns miteiner sehr hohen Bezahlung der „Dienste" der bedeutendsten bürger-lichen Spezialisten einverstanden erklären. Alle, die die Dinge kennen,sehen das, aber nicht alle überlegen sich die Bedeutung einer derartigen

Maßnahme des proletarischen Staates. Es ist klar, daß eine solche Maß-nahme ein Kompromiß, eine Abweichung von den Prinzipien der PariserKommune und jeder proletarischen Macht ist, die fordern, daß die Gehäl-ter dem Lohn des Durchschnittsarbeiters angeglichen werden und daßman den Kampf gegen den Karrierismus mit Taten und nicht mit Wortenführe.

Noch mehr. Es ist klar,daß eine solche Maßnahme nicht nur eine Unter -brechung — auf einem gewissen Gebiet und in einem gewissen Grade —

der Offensive gegen das Kapital bedeutet (denn Kapital ist nicht eine

Summe Geldes, sondern ein bestimmtes gesellschaftliches Verhältnis), son-dern auch einen Schritt zurüdk für unsere sozialistische, sowjetische Staats-macht, die von Anfang an eine Politik der Herabsetzung der hohen Ge-hälter auf den Lohn eines Durchschnittsarbeiters proklamiert und durch-geführt hat.88

Gewiß, die Lakaien der Bourgeoisie, besonders diejenigen kleinerenFormats, wie die Menschewiki, die Leute von der „Nowaja Shisn", dierechten Sozialrevolutionäre, werden kichern, wenn sie das Eingeständnishören, daß wir einen Schritt zurück machen. Wir aber brauchen dem

Kichern keine Beachtung zu schenken. Wir müssen die Besonderheiten desaußerordentlich schwierigen und neuen W eges zum Sozialismus studieren,ohne unsere Fehler und Schwächen zu verdecken, müssen vielmehr dasUnvollendete rechtzeitig zu vollenden suchen. Den Massen verheimlichen,daß die Heranziehung bürgerlicher Spezialisten durch außerordentlichhohe Gehälter eine Abweichung von den Prinzipien der Kommune ist,würde bedeuten, auf das Niveau bürgerlicher Politikaster hinabsinkenund die Massen betrügen . Offen erklären, wie und warum w ir den Schritt

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zurück gemacht haben, dann öffentlich beraten, welche Mittel vorhanden

sind, das Versäumte nachzuholen—das bedeutet, die Massen erziehen undzusammen mit ihnen aus der Erfahrung lernen, wie man den Sozialismusaufbauen muß. Es hat wohl kaum einen einzigen siegreichen militärischenFeldzug in der Geschichte gegeben, wo der Sieger nicht einzelne Fehlerbeging, teilweise Niederlagen erlitt und sich zeitweilig hier und da zurück-ziehen m ußte. Der von uns unternommene „Feldzug" gegen den Kapita-lismus aber ist millionenfach schwieriger als der schwierigste militärischeFeldzug, und wegen eines einzelnen und teilweisen Rückzugs kleinmütigwerden wäre töricht und schimpflich.

Treten wir an die Frage von der praktischen Seite heran. Angenommen,die Russische- Sowjetrepublik braucht 1000 erstklassige Gelehrte und Spe-zialisten verschiedener Gebiete des W issens, der Technik, der praktischenErfahrung zur Leitung der Arbeit des Volkes, um die Wirtschaft des Lan-des möglichst rasch zu heben. Angenommen, wir müßten jedem dieser„Sterne erster Größe" — die meisten von ihnen sind natürlich durch diebürgerlichen Sitten um so mehr verdorben, je bereitwilliger sie schreien,die Arbeiter seien verdorben — 25 000 Rubel jährlich zahlen. Angenom-men, wir müßten diese Summe (25 Millionen Rubel) verdoppeln (gedacht

ist an die Auszahlung von Prämien für besonders erfolgreiche und schnelleAusführung der wichtigsten organisatorisch-technischen Aufgaben) odersogar vervierfachen (gedacht ist an die Heranziehung von einigen hundertnoch anspruchsvolleren ausländischen Spezialisten). Fragt sich, ob manwirklich diese Ausgabe von fünfzig oder hundert Millionen Rubel jährlichfür die Umorganisierung der Volksarbeit nach dem letzten W or t der Wis-senschaft und Technik für die Sowjetrepublik übermäßig oder untragbarnennen kann? Natürlich nicht. Die erdrückende Mehrheit der bewußtenArbeiter und Bauern wird eine solche Ausgabe gutheißen, weil sie aus dem

praktischen Leben weiß, daß unsere Rückständigkeit uns- zwingt, Milliar-den zu verlieren, und daß wir nodb nidbt den Grad der Organisiertheit,der Rechnungsführung und Kontrolle erreicht haben, um eine allgemeineund freiwillige Beteiligung der „Sterne" der bürgerlichen Intelligenz anunserer Arbeit auslösen zu können.

Selbstverständlich.hat die Frage auch eine andere Seite. Unbestreitbarist die demoralisierende Wirkung hoher Gehälter sowohl auf die Sowjet-macht (um so mehr, als bei der Schnelligkeit des Umsturzes unvermeid-

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Aufgaben der Wirtschafts- und Finanzpolitik auf dem Gebiet der Natio-

nalisierung der Banken, der Monopolisierung des Außenhandels, der staat-lichen Kontrolle des Geldumlaufs, der Einführung einer dem proletarischenStandpunkt entsprechenden Vermögens- und Einkommensteuer, der Ein-führung der Arbeitsdienstpflicht richtig bestimmen.

Mit den sozialistischen Umgestaltungen auf diesen Gebieten (das abersind sehr, sehr wesentliche Gebiete) sind wir außerordentlich zurückge-blieben, und zwar deshalb zurückgeblieben, weil die Rechnungsführungund Kontrolle überhaupt ungenügend organisiert sind. Es versteht sich,daß das eine der schwierigsten Aufgaben ist und daß sie angesichts der

durch den Krieg heraufbeschworenen Zerrüttung nur langsam gelöst wer-den kann, aber man darf nicht vergessen, daß gerade hier die Bourgeoisie—und zwar besonders die zahlenmäßig starke Kleinbourgeoisie und diebäuerliche Bourgeoisie — uns eine ernste Schlacht liefert, indem sie diein Gang kommende Kontrolle untergräbt, beispielsweise das Getreide-monopol untergräbt und Positionen für Schiebungen und den Schleich-handel erobert. Was bereits dekretiert worden ist, haben wir bei weitemnoch nicht genügend in die Tat umgesetzt, und die Hauptaufgabe bestehtgegenwärtig gerade in der Konzentrierung aller Anstrengungen auf die

sachliche, praktische Verwirklichung der Grundlagen jener Umgestal-tungen, die bereits Gesetz (aber noch nicht Wirklichkeit) gewordensind.

Um die Nationalisierung der Banken weiter fortzusetzen und unent-wegt darauf hinzuarbeiten, sie zu Knotenpunkten der gesellschaftlichenBuchführung im Sozialismus zu machen, braucht man vor allem und inerster Linie reale Erfolge bei der Vermehrung der Filialen der Volksbank,der Gewinnung von Einlagen, der Erleichterung der Operationen der Ein-und Auszahlungen von Geld für das Publikum, der Beseitigung der

„Schlangen", der Ergreifung und Erschießung bestechlicher Elemente undGauner usw. Zuerst muß man das Einfachste wirklich durchführen, dasVorhandene anständig organisieren — und dann erst das Komplizierterevorbereiten.

Die bereits eingeführten Staatsmonopole (für Getreide, Leder usw.)muß m an festigen und voll arbeitsfähig machen — und damit die Monopo-lisierung des Außenhandels durch den S taat vorbereiten; ohne eine solcheMonopolisierung werden wir nicht imstande sein, uns durch Zahlung eines

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Die nächsten Aufgaben der Sowjetmadrt 243

„Tributs" vom ausländischen Kapital „loszukaufen". Die Möglichkeit des

sozialistischen Aufbaus aber hängt ganz davon ab, ob w ir im Laufe einerbestimmten Übergangszeit durch Zahlung eines gewissen Tributs an dasausländische Kapital imstande sein werden, unsere innere ökonomischeSelbständigkeit zu wahren.

Mit der Erhebung von Steuern überhaupt, der Vermögens- und Ein-komm ensteuer im besonderen sind wir ebenfalls außerordentlich stark zu-rückgeblieben. Die Tatsache, daß man der Bourgeoisie Kontributionen auf-erlegt — eine Maßnahme, die prinzipiell unbedingt annehmbar ist und dieBilligung des Proletaria ts verdient—, zeigt, daß wir in dieser Hinsicht nochden Methoden, mit denen wir Rußland den Reichen entrungen und denArmen gegeben haben, näherstehen als den Methoden des Verwaltens.Um aber stärker zu werden und fester Fuß zu fassen, müssen wir zu die-sen letzteren Methoden übergehen, müssen wir die der Bourgeoisie auf-erlegte Kontribution durch eine ständig und richtig zu erhebende Ver-mögens- und Einkommensteuer ersetzen, die dem proletarischen Staatmehr geben wird und die von uns gerade verlangt, daß wir uns besserorganisieren und die Rechnungsführung und Kontrolle besser in Gangbringen.

Unsere Verspätung mit der Einführung der Arbeitsdienstpflicht zeigtein übriges Mal, daß zur aktuellen Aufgabe gerade die vorbereitendeorganisatorische Arbeit wird, die einerseits das Errungene endgültig ver-ankern soll, anderseits aber notwendig ist, um die Operation vorzuberei-ten, die das Kapital „einkreisen" und es zur „K apitulation" zwingen wird.Mit der Einführung der Arbeitsdienstpflicht sollten wir unverzüglich be-ginnen, aber einführen müssen wir sie ganz allmählich und umsichtig, wo-bei wir jeden Schritt durch praktische Erfahrung prüfen und selbstver-ständlich als ersten Schritt die Arbeitsdienstpflicht für die Reidben einführenmüssen. Die Einführung eines Arbeits- und Konsumentenhaushaltsbuchesfür jeden Bourgeois, auch für den bäuerlichen, wäre ein ernster Schrittvorwärts zur völligen „Einkreisung" des Feindes und zur Schaffung einerwirklich vom gesamten Volk getragenen Rechnungsführung und Kontrolleüber die Produktion und V erteilung der Produ kte.

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244 W. 1. Cenin

D IE BED EU TU N G D ES K A MPFES

FÜ R D IE V O M G ESA MTEN V O LK E G ETRA G EN ER E C H N U N G S F Ü H R U N G U N D K O N T R O L L E

Der Staat, der jahrhundertelang ein Organ zur Unterjochung und Aus-plünderung des Volkes war, hat uns als Erbe den größten Haß und dasMißtrauen der Massen gegen alles Staatliche hinterlassen. Das zu über-winden ist eine sehr schwierige Aufgabe, der nur die Sowjetmacht ge-wachsen ist, die aber auch von ihr längere Zeit und gewaltige Beharrlich-keit fordert. In der Frage der Rechnungsführung und Kontrolle — dieser

Grundfrage für die sozialistische Revolution am Tage nach dem Sturz derBourgeoisie — zeigt sich dieses „Erbe" besonders kraß. Es wird unver-meidlich eine gewisse Zeit vergehen, bis die Massen, die sich nach demSturz der Gutsbesitzer und der Bourgeoisie zum erstenmal frei fühlten,verstehen w erden, nicht aus Büchern, sondern aus der eigenen, der sowje-tischen Erfahrung, verstehen und fühlen werden, daß ohne eine allseitige,staatliche Rechnungsführung und K ontrolle über die Produktion und Ver-teilung der Produkte die Macht der W erktätigen, die Freiheit der W erk-tätigen sich nicht behaupten kann und die Rückkehr unter das Joch des

Kapitalismus unvermeidlieh ist.Alle Gewohnheiten und Traditionen der Bourgeoisie überhaupt undder Kleinbourgeoisie im besonderen sind ebenfalls gegen die staatlicheKontrolle, für die Unantastbarkeit des „heiligen Privateigentums", des„heiligen" Privatunternehmens. Wir sehen jetzt besonders anschaulich,wie richtig der marxistische Leitsatz ist, daß Anarchismus und Anarcho-syndikalismus bürgerliche Strömungen sind, in welch unversöhnlichem Ge-gensatz sie zum Sozialismus, zur proletarischen Diktatur, zum Kommu-nismus stehen. D er Kampf für die Verwurzelung der Idee der sowjetischen

staatlichen Kontrolle und Rechnungsführung in den Massen, für die Ver-wirklichung dieser Idee, für den Bruch mit der verfluchten Vergangenheit,die gelehrt hat, den Erwerb von Brot und Kleidung als eine „Privat"sache,den Kauf und Verkauf als ein Geschäft, das „nur mich angeht", zu be-trachten — dieser Kampf ist eben der gewaltige Kampf der sozialistischenBewußtheit gegen das bürgerlich-anarchistische Element, ein Kampf vonweltgeschichtlicher Bedeutung.

Die Arbeiterkontrolle ist bei uns Gesetz geworden, aber ins Leben und

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"Die nädhsten Aufgaben der Sowjetmacht 245

selbst ins Bewußtsein der breiten Massen des Proletariats beginnt sie ge-

rade eben erst einzudringen. Daß das Fehlen einer Rechnungsführung undKontrolle in der Produktion, und Verteilung der Produkte die Keime desSozialismus vernichtet, Diebstahl am Staatseigentum ist (denn aller Besitzgehört dem Staat, der Staat aber ist die Sowjetmacht, die Macht der M ehr-heit der Werktätigen), daß Nachlässigkeit in der Rechnungsführung undKontrolle direkt den deutschen und russischen Kornilow Vorschub leistet,die die Macht der Werktätigen nur dann stürzen können, wenn wir dieAufgabe der Rechnungsführung und Kontrolle nicht bewältigen, und diemit Hilfe der gesamten bäuerlichen Bourgeoisie, mit Hilfe der Kadetten,der Menschewiki, der rechten Sozialrevolutionäre uns „auflauern", dengeeigneten Augenblick abwarten — davon sprechen wir nicht genug inunserer Agitation, daran denken und davon sprechen die fortgeschrittenenArbeiter und Bauern nicht genug. Solange aber die Arbeiterkontrolle nichtzur Tatsache geworden ist, solange die fortgeschrittenen Arbeiter nichtden siegreichen und schonungslosen Feldzug gegen diejenigen eingeleitetund durchgeführt haben, die diese Kontrolle hintertreiben oder sich umsie nicht kümmern — solange kann m an nicht nach dem ersten Schritt (derArbeiterkontrolle) den zweiten Schritt zum Sozialismus machen, das heißtzur Regulierung der Produktion durch die Arbeiter übergehen.

Der sozialistische Staat kann nur als Netz von Produktions- und Kon-sumkommunen entstehen, die ihre Produktion und ihren Konsum ge-wissenhaft verbuchen, Arbeit einsparen, die Arbeitsproduktivität unauf-hörlich steigern und dadurch die Möglichkeit erlangen, den A rbeitstag aufsieben, auf sechs und noch weniger Stunden täglich herabzusetzen. Ohnedie Einführung der strengsten, vom gesamten Volk getragenen, allumfas-senden Rechnungsführung und Kontrolle über Qetreide und Qetreide-produktion (und dann auch über alle anderen notwendigen Produkte)

kommt man hier nicht aus. Der Kapitalismus hat uns als Erbe Massen-organisationen hinterlassen, die den Übergang zur Rechnungsführung undKontrolle durch die Massen bei der Verteilung der Produkte erleichternkönnen — die Konsumgenossenschaften. In Rußland sind sie schwächerentwickelt als in den fortgeschrittenen Ländern, aber dennoch umfassensie in Rußland mehr als zehn Millionen Mitglieder. Das in diesen Tagenerlassene Dekret über die Konsumgenossenschaften84 ist eine außer-ordentlich bemerkenswerte Erscheinung, die die Eigenart der Lage und

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der Aufgaben der Sozialistischen Sowjetrepublik im gegebenen Augen-

blick anschaulich zeigt.Das Dekret stellt ein Abkommen dar mit den bürgerlichen Genossen-schaften und mit den Arbeitergenossenschaften, die auf dem bürgerlichenStandpunkt verharren. Das Abkommen oder das Kompromiß bestehterstens darin, daß die Vertreter der genannten Institutionen nicht nur ander Erörterung des Dekrets teilnahmen, sondern auch faktisch beschlie-ßendes Stimmrecht erhielten, denn die Teile des Dekrets, die bei diesenInstitutionen auf eine entschiedene Opposition stießen, wurden fallen-gelassen. Zweitens besteht das Kompromiß dem Wesen nach in einem

Verzicht der Sowjetmacht auf das Prinzip des unentgeltlichen Eintritts indie Genossenschaft (das einzige konsequent proletarische Prinzip) wieauch auf die Zusammenfassung der gesamten Bevölkerung der jeweiligenGegend in einer einzigen Genossenschaft. Als Abweichung von diesemeinzig sozialistischen Prinzip , das der Aufgabe, die Klassen zu beseitigen,entspricht, wurde den „proletarischen Klassengenossenschaften" (die sichin diesem Fall nur deshalb „Klassengenossenschaften" nennen, weil siesich den Klasseninteressen der Bourgeoisie unterordnen) das Recht weiter-zubestehen gegeben. Schließlich wurde auch der Vorschlag der Sowjet-

macht, die Bourgeoisie aus den Genossenschaftsvorständen ganz auszu-schließen, sehr abgeschwächt und dasVerbot,den Vorständen anzugehören,nur auf Inhaber von Handels- und Industrieunternehmen privatkapita-listischen Charakters erstreckt.

Wenn das Proletariat vermittels der Sowjetmacht es vermocht hätte, dieRechnungsführung und Kontrolle im gesamtstaatlichen Maßstab oder zu-mindest die Grundlagen einer solchen Kontrolle zu organisieren, dannwären derartige Kompromisse nicht nötig. Durch die Lebensmittelabtei-lungen der Sowjets, durch die Versorgungsorgane bei den Sowjets hätten

wir die Bevölkerung zu einer einzigen proletarisch geleiteten Genossen-schaft zusammengefaßt, ohne Mitwirkung bürgerlicher Genossenschaften,ohne Zugeständnisse an jenes rein bürgerliche Prinzip, das die Arbeiter-genossenschaft veranlaßt, als Arbeitergenossenschaft neben der bürger-lichen weiterzubestehen, anstatt sich diese bürgerliche Genossenschaftgänzlich unterzuordnen, sie beide zu verschmelzen und die gesamteLeitung und die Aufsicht über den Konsum der Reichen in die eigene Handzu nehmen.

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Die nädosten Aufgaben der Sowjetmadlrt 247

Durch den Abschluß eines solchen Abkommens mit den bürgerlichenGenossenschaften hat die Sowjetmacht ihre taktischen Aufgaben und diebesonderen Methoden ihrer Tätigkeit für den gegebenen Zeitraum derEntwicklung konkret bestimmt, und zwar: Dadurch, daß wir die bürger-lichen Elemente leiten, sie uns zunutze machen, ihnen gewisse Teilzuge-ständnisse machen, schaffen wir die Bedingungen für einen Vormarsch, derlangsamer sein wird, als wir ursprünglich annahmen, aber gleichzeitigmehr von Dauer, mit soliderer Sicherung der Stützpunkte und der Kom-munikationslinie, mit besserer Befestigung der eroberten Positionen. DieSowjets können (und müssen) jetzt übrigens ihre Erfolge beim sozia-listischen Aufbau an einem außerordentlich klaren, einfachen und prak-tischen Ma ßstab m essen: nämlich da ran, in wieviel Gemeinden (Kommu-nen oder Ortschaften, Stadtvierteln usw.) und wieweit die Entwicklungder Genossenschaften sich dem Ziel nähert, die gesamte Bevölkerung zuerfassen.

D I E S T E I G E R U N G

D E R A R B E I T S P R O D U K T I V I T Ä T

In jeder sozialistischen Revolution, nachdem die Aufgabe der Erobe-rung der Macht durch das Proletariat gelöst ist und in dem Maß e, wie dieAufgabe, die Expropriateure zu expropriieren und ihren Widerstand zubrechen, in der Hauptsache und im wesentlichen gelöst wird, tritt not-wendigerweise in den Vordergrund die Grundaufgabe, eine Gesellschafts-form zu schaffen, die höher ist als der Kapitalismus, nämlich: die Steige-rung der Arbeitsproduktivität und im Zusammenhang damit (und zu die-sem Zweck) die höhere Organisation der Arbeit. Mi t unserer Sowjetmachtsteht es ja so, daß sie dank den Siegen über die Ausbeuter — von Kerenski

bis Kornilow — die Möglichkeit erhalten hat, unmittelbar an diese Auf-gabe heran zutreten und sie frontal anzupacken. Und hier wird sofort kla r:W enn man sich der zentralen Staatsgewalt in ein paar Tagen bemächtigenkann, wenn man den militärischen (und den durch Sabotage geübten) Wi-derstand der Ausbeuter sogar in den verschiedenen Ecken und Enden einesgroßen Landes in ein paar Wochen brechen kann , so erfordert eine dauer-hafte Lösung der Aufgabe, die Arbeitsproduktivität zu steigern, auf jedenFall (besonders nach dem qualvollen und verheerenden Krieg) mehrere

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Jahre. Die objektiven Umstände verleihen der Arbeit hier zwangsläufig

einen langwierigen Charakter.Die Hebung der Arbeitsproduktivität erfordert vor allem die Siche-rung der materiellen Grundlage der Großindustrie: die Entwicklung derProduktion von Brennstoffen und Eisen, des Maschinenbaus, der chemi-schen Industrie. Die Russische Sowjetrepublik befindet sich insofern ingünstigen Verhältnissen, als sie — sogar nach dem Brester Frieden — übergigantische Vorkommen an Erzen (im Ural), an Brennstoffen in West-sibirien (Steinkohle), im Kaukasus und im Südosten (Erdöl), im Zentrum(Torf), über gigantische Reichtümer an Wäldern, Wasserkräften, Roh-stoffen für die chemische Industrie (Karabugas) usw. verfügt. Die Er-schließung dieser Naturschätze mit den Methoden der modernsten Tech-nik wird die Grundlage schaffen für einen beispiellosen Fortschritt derProduktivkräfte.

Eine andere Bedingung für die Steigerung der Arbeitsproduktivität isterstens die Hebung des Bildungs- und Kulturniveaus der Masse der Be-völkerung. Dieser Aufstieg geht jetzt mit ungeheurer Schnelligkeit vorsich, was die von der bürgerlichen Routine geblendeten Menschen nichtsehen, die nicht begreifen können, welcher Drang zum Licht und wievielInitiative sich jetzt dank der sowjetischen Organisation im „niederen"Volk entfaltet. Voraussetzung des wirtschaftlichen Aufstiegs ist zweitensdie Hebung der Disziplin der Werktätigen, ihres produktiven Könnens,ihrer Geschicklichkeit, die Steigerung der Arbeitsintensität und die bessereArbeitsorganisation.

Von dieser Seite her steht die Sache bei uns besonders schlecht, ja sogarhoffnungslos, wenn man den Leuten glauben will, die sich durch die Bour-geoisie einschüchtern ließen oder ihr eigennützig dienen. Diese Leute be-greifen nicht, daß es keine Revolution gegeben ha t und geben kann, in dernicht die Anhänger des Alten über Zerfall, Anarchie usw. gezetert hätten.Es ist natürlich, daß es in den Massen, die eben erst ein unglaublich bar-barisches Joch abgeworfen haben, außerordentlich stark brodelt und gärt,daß die Herausbildung neuer Grundlagen der Arbeitsdisziplin durch dieMassen ein sehr langwieriger Prozeß ist, daß vor dem vollen Sieg überdie Gutsbesitzer und die Bourgeoisie diese Herausbildung nicht einmalbeginnen konnte.

Ab er wenn wir uns auch nicht im geringsten von jener oft geheuchelten

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des Kapitalismus. Man muß in Rußland das Studium des Taylorsystems,

die Unterweisung darin, seine systematische Erprobung und Auswertungin Angriff nehmen. Indem wir zur Steigerung der Arbeitsproduktivitätschreiten, müssen wir gleichzeitig die Besonderheiten der Übergangszeitvom Kapitalismus zum Sozialismus berücksichtigen, die einerseits erfor-dern, daß die Grundlagen geschaffen werden für die sozialistische Orga-nisierung des Wettbewerbs, anderseits aber die Anwendung von Zwangerheischen, damit die Losung der Diktatur des Proletariats nicht be-schmutzt werde durch die Praxis eines breiartigen Zustands der prole-tarischen M acht.

DIE ORGANISIERUNG DES WETTBEWERBS

Zu den unsinnigen Behauptungen, die die Bourgeoisie mit Vorliebeüber den Sozialismus verbreitet, gehört auch die, die Sozialisten leugnetendie Bedeutung des Wettbewerbs. In Wirklichkeit aber eröffnet erst derSozialismus durch die Beseitigung der Klassen und folglich der Verskla-vung der Massen zum ersten Male den Weg zu einem Wettbewerb tat-

sächlich im Massenmaßstab. U nd gerade die sowjetische Organisation, dievom formalen Demokratismus der bürgerlichen Republik übergeht zurwirklichen Teilnahme der werktätigen Massen an der Verwaltung, stelltzum ersten Male den Wettbewerb auf eine breite Basis. Auf politischemGebiet ist das viel leichter als auf wirtschaftlichem, aber für den Erfolg desSozialismus ist gerade das letztere wichtig.

Nehmen wir ein solches Mittel zur Organisierung des Wettbewerbswie die Publizität. Die bürgerliche Republik sichert sie nur formal, da siepraktisch die Presse dem Kapital unterstellt, den „Pöbel" mit pikanten

politischen Nichtigkeiten amüsiert und das, was in Werkstätten, bei Han-delsabschlüssen, bei Lieferungen usw. vor sich geht, verbirgt unter demDeckmantel des „Geschäftsgeheimnisses", das das „heilige Eigentum"schützt. Die Sowjetmacht hat das Geschäftsgeheimnis abgeschafft, hateinen neuen Weg beschritten, aber zur Ausnutzung der Publizität für denwirtschaftlichen Wettbewerb haben wir noch fast nichts getan. Man mußsystematisch zu W erke gehen und zugleich mit der schonungslosen Unter-drückung der durch und durch verlogenen und verleumderisch frechen

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Die nädhsten Aufgaben der Sowjetmacht 251

bürgerlichen Presse an der Schaffung einer Presse arbeiten, die die Masse

nicht mit politischen Pikanterien und Nichtigkeiten amüsiert und ver-dummt, sondern gerade die Fragen des tagtäglichen Wirtschaftslebens demUrteil der Masse unterbreitet und dieser hilft, sie ernsthaft zu studieren.Jede Fabrik, jedes Dorf ist eine Produktions- und Konsumkommune, diedas Recht und die Pflicht hat, auf ihre Art die allgemeinen sowjetischenGesetzgebungsakte an zuwenden („auf ihre Ar t" nicht im Sinne ihrer Ver-letzung, sondern im Sinne der Mannigfaltigkeit der Formen bei ihrerDurchführung), auf ihre Art das Problem rechnerischer Erfassung der Er-zeugung und Verteilung der Produkte zu lösen. Unter dem Kapitalismus

war das die „Privatsache" des einzelnen Kapitalisten, Gutsbesitzers, Ku-laken. Unter der Sowjetmacht ist es keine Privatsache, sondern eine höchstwichtige Staatsangelegenheit.

Und wir haben noch fast gar nicht mit der gewaltigen, schwierigen,dafür aber audi dankbaren Arbeit begonnen, den Wettbewerb der Kom-munen zu organisieren, die Rechenschaftslegung und Publizität im Prozeßder Erzeugung von Getreide, Kleidung usw. einzuführen, die trockenen,toten, bürokratischen Rechenschaftsberichte in lebendige — sowohl ab -stoßende als auch anziehende — Beispiele zu verwandeln. Bei der kapi-

talistischen Produktionsweise war die Bedeutung des einzelnen Beispiels,sagen wir, irgendeines Produktionsarteis, unvermeidlich in höchstem G radebeschränkt, und nur kleinbürgerliche Illusionisten konnten von einer „Kor-rektur" des Kapitalismus durch den Einfluß von Beispielen wohltätigerEinrichtungen träumen. Nach dem Übergang der politischen Macht in dieH änd e des Proletariats, nach der Expropriation der Exprop riateure ände rtsich die Sache von Gru nd auf und zum ersten Male erlangt — entsprechendden vielfachen Hinweisen der namhaftesten Sozialisten — die Kraft desBeispiels die Möglichkeit, eine Massenwirkung auszuüben. Die muster-

haften Kommunen müssen und werden für die zurückgebliebenen Kom-munen Erzieher, Lehrer und Helfer sein. Die Presse muß ein Werkzeugdes sozialistischen Aufbaus sein, indem sie über die Erfolge der Muster-kommunen in aller Ausführlichkeit informiert, die Ursachen ihres Erfolgs,ihre Wirtschaftsmethoden untersucht und anderseits diejenigen Kommu-nen „ans Schwarze Brett" bringt, die hartnäckig die „Traditionen desKapitalismus", d. h. Anarchie, Faulenzerei, Unordnung und Spekulation,beibehalten. Die Statistik war in der kapitalistischen Gesellschaft ein Ge-

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252 IV . J. Lenin

genstand, der ausschließlich von „Amtspersonen" oder auf ihr Fachgebietbeschränkten Spezialisten bearbeitet wurde — wir aber müssen sie in dieMassen tragen, sie popularisieren, damit die Werktätigen allmählich selbstverstehen und sehen lernen, wie und wieviel man arbeiten muß, wie undwieviel man sich erholen kann, damit die Vergleidbung der praktischenWirtschaftsergeimisse der einzelnen Kommunen zum Gegenstand des all-gemeinen Interesses und Studiums w erde, damit die hervorragenden Kom-munen sofort belohnt werden (durch Verkürzung des Arbeitstages füreine bestimmte Periode, durch Erhöhung des Lohns, durch Gewährungeiner größeren Zahl von kulturellen oder ästhetischen Leistungen und

Werten usw.). iW enn eine neue Klasse als Führer und Leiter der Gesellschaft die histo-

rische Bühne betritt, so geht das niemals einerseits ohne eine Periodestärksten „Schlingerns", der Erschütterungen, des Kampfes und der Stürmeab, und anderseits nicht ohne eine Periode von unsicheren Schritten, Ex-perimenten, nicht ohne eine Periode des Zögerns und Zauderns bei derWahl neuer Methoden, die der neuen objektiven Situation entsprechen.Der untergehende Feudaladel rächte sich an der siegenden und ihn ver-drängenden Bourgeoisie nicht bloß durch Verschwörungen, Aufstands-

und Restaurationsversuche, sondern auch durch Fluten von Spötteleienüber die Unbeholfenheit, Ungeschicklichkeit, die Fehler der „Emporkömm-linge", der „Frechlinge", die sich erdreisteten, das „heilige Ruder" desStaates in die Hand zu nehmen, ohne jahrhundertelang wie die Fürsten,Barone, Edelleute und Notabein dazu ausgebildet worden zu sein — ganzgenauso, wie jetzt in Rußland die Kornilow und Kerenski, die Goz undMartow, die ganze Heldenbrüderschaft bürgerlicher Geschäftemachereioder bürgerlicher Skepsis sich an der' Arbeiterklasse rächen für ihren„dreisten" Versuch, die Macht zu ergreifen.

Selbstverständlich sind nicht Wochen, sondern lange M onate und Jahrenotwendig, damit die neue Gesellschaftsklasse, und zwar eine Klasse, diebisher unterjocht, durch Not und Unwissenheit niedergedrückt war, sichin die neue Lage hineinfinden, sich umsehen, ihre A rbeit in Gang bringenund ihre Organisatoren hervorbringen kann. Man begreift, daß sich inder Partei, die das revolutionäre Proletariat führt, nicht die Erfahrungensammeln und die Fertigkeiten entwickeln konnten, die für große, auf Mil-lionen und aber Millionen von Bürgern berechnete organisatorische Un-

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Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht 253

ternehmungen notwendig sind, daß die Änderung der alten, fast aus-

schließlich agitatorischen T raditionen eine sehr langwierige Sache ist. Aberunmöglich ist hier nichts, und w enn wir uns de r Notw endigkeit der Ä nde-rung k lar bew ußt, w enn wir fest entschlossen sind, sie vorzunehm en, wennwir in der Verfolgung des großen und schwierigen Ziels Ausdauer haben —

dann werden wir sie verwirklichen. Organisatorische Talente sind im„Volke", d. h. unter den Arbeitern und denjenigen Bauern, die keinefremde Arbeit ausbeuten, in Menge vorhanden; sie wurden vom Kapitalzu Tausenden zertreten, zugrunde gerichtet und beiseite geworfen: wirverstehen es nur noch nicht, sie zu finden, zu ermutigen, auf eigene Füße

zu stellen, aufrücken zu lassen. Wir werden es jedoch lernen, wenn wiruns mit dem ganzen revolutionären Enthusiasmus, ohne den es keine sieg-reichen Revolutionen gibt, daranmachen, es zu lernen.

Bei keiner einzigen tiefen und mächtigen Volksbewegung in der Ge-schichte ist es ohne schmutzigen Schaum abgegangen, ohne daß sich an dieunerfahrenen Neuerer Abenteurer und Gauner, Prahlhänse und Schrei-hälse anbiederten, ohne sinnloses Durcheinander, ohne Kopflosigkeit, leereGeschäftigkeit, ohne Versuche einzelner „Führer", 20Sachen anzufangenund keine einzige zu Ende zu führen. Mögen die Möpse der bürgerlichen

Gesellschaft, von Belorussow bis Martow, über jeden überflüssigen Spanbeim Abholzen des großen, alten Waldes kläffen und bellen. Eben weilsie Möpse sind, bellen sie den proletarischen Elefanten an. Mögen siebellen. Wir werden unseren Weg gehen und uns bemühen, so vorsichtigund geduldig wie möglich wirkliche Organisatoren zu erproben und aus-findig zu machen, Menschen mit nüchternem Verstand und praktischerAder, Menschen, die die Treue zum Sozialismus mit der Fähigkeit ver-binden, ohne Lärm (und trotz des Durcheinanders und Lärms) eine festeund einmütige gemeinsame Arbeit einer großen Zahl von Menschen im

Rahmen der sowjetischen Organisation zustande zu bringen. "Nur solcheMenschen sollte man nach zehnfacher Erprob ung, wobei man sie von ein-fachsten zu schwierigsten Aufgaben übergehen läßt, auf die verantwort-lichen Posten von Leitern der Volksarbeit, Leitern der Verwaltung stellen.Da s haben wir noch nicht gelernt. W ir w erden es lernen.

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„ G UT F U N K T I O N I E R E N D E O R G A N I S A T I O N "U N D D I K T A T U R

Die Resolution des letzten (in Moskau abgehaltenen) Sowjetkongressesbezeichnet als wichtigste Aufgabe des Augenblicks die Schaffung „einergut funktionierenden Organisation" und die Hebung der Disziplin*. Alle„stimmen" jetzt bereitwillig für solche Resolutionen und „unterschreiben"sie, aber daß ihre Durchführung Zwang erfordert — und zwar Zwanggerade in der Form der Diktatur —, darüber macht man sich gewöhnlichkeine G edanken. Es wäre jedoch die größte Dummheit und der unsinnigste

Utopismus, wollte man annehmen, daß der Übergang vom Kapitalismuszum Sozialismus ohne Zwang und ohne D iktatur möglich sei. Die Theorievon Marx hat sich schon vor sehr langer Zeit und mit aller Bestimmtheitgegen diesen kleinbürgerlich-demokratischen und anarchistischen Unsinngewandt. Und das Rußland von 1917 und 1918 bestätigt in dieser Hin-sicht die Theorie von Marx mit einer solchen Anschaulichkeit, Handgreif-lichkeit und Eindringlichkeit, daß nur M enschen, die hoffnungslos stumpf-sinnig sind oder hartnäckig bei dem Entschluß bleiben, der Wahrheit denRücken zu kehren, in dieser Frage noch fehlgehen können. Entweder Dik-

tatur Kornilows (wenn man ihn als russischen Typus des bürgerlichenCavaignac nimmt) oder Diktatur des Proletariats — von einem anderenAusweg kann gar nidbt die Rede sein für ein Land, das eine ungewöhnlichschnelle Entwicklung mit ungewöhnlich schroffen Wendungen durchmacht,angesichts der fürchterlichen Zerrüttung, die dieser qualvolle Krieg her-vorgerufen hat. Alle Mittelwege sind entweder Volksbetrug von Seiten derBourgeoisie, die nicht die Wah rheit sagen kann, nicht sagen kann , daß sieeinen Kornilow braucht, oder Stumpfsinn kleinbürgerlicher Demokraten,der Tschernow, Zereteli und Martow, mit ihrem Geschwätz von der Ein-

heit der Demokratie, der Diktatur der Demokratie, der gesamtdemokra-tischen Front und ähnlichem U nsinn. W en sogar der G ang der russischenRevolution von 1917/1918 nicht darüber belehrt hat, daß Mittelwege un-möglich sind, der ist als hoffnungslos zu betrach ten.

Anderseits ist es nicht schwer, sich zu überzeugen, daß bei jedem Üb er-gang vom Kapitalismus zum Sozialismus die Diktatur aus zwei Haupt-gründen oder in zwei Hauptrichtungen notwendig ist. Erstens kann man

* Siehe den vorliegenden Band, S. 189. Die Red.

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Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht 255

den Kapitalismus nicht besiegen und ausrotten ohne schonungslose Un ter-

drückung des Widerstands der Ausbeuter, denen nicht mit einem Schlagihre Reichtümer, die Vorzüge ihrer Organisiertheit und ihres Wissensgenommen werden können, die folglich im Laufe einer ziemlich langenPeriode unweigerlich versuchen werden, die verhaßte Macht der Armenzu stürzen. Zweitens ist jede große Revolution, und ganz besonders einesozialistische, auch wenn es keinen äußeren Krieg gegeben hätte, undenk-bar ohne einen Krieg im Innern, d. h. einen Bürgerkrieg, der eine nochgrößere Zerrüttung als ein äußerer Krieg bedeutet, der Tausende undMillionen Fälle des Schwankens und Überlaufens von der einen Seite auf

die andere bedeutet, der einen Zustand größter Unbestimmtheit und Un-ausgeglichenheit, einen Z ustand des Chaos bedeutet. U nd selbstverständ-lich müssen bei einer so tiefgreifenden Umwälzung alle Elemente der Zer-setzung der alten Gesellschaft, die unvermeidlich recht zahlreich sind, dievorwiegend mit dem Kleinbürgertum zusammenhängen (weil jeder Kriegund jede Krise vor allem das Kleinbürgertum ruiniert und zugrunde rich-tet), zwangsläufig „zur Geltung kommen". Die Elemente der Zersetzungaber können nicht anders „zur Geltung kommen" als durch Vermehrungder Verbrechen, des Rowdytums, der Bestechung, des Schiebertums und

aller möglichen Scheußlichkeiten. Um damit fertig zu werden, brauchtman Zeit und braucht man eine eiserne Tianä.

Es hat keine einzige große Revolution in der Geschichte gegeben, wodas Volk das nicht instinktiv empfunden und nicht eine heilsame Festigkeitgezeigt hätte, indem es Diebe am Tator t erschoß. Das Unglück der frühe-ren Revolutionen bestand darin, daß der revolutionäre Enthusiasmus derMassen, der ihren gespannten Zustand aufrechterhält und ihnen die Kraftverleiht, die Elemente der Zersetzung schonungslos zu unterdrücken, nichtlange anhielt. Die soziale, d. h. die Klassenursache dafür, daß der revolu-

tionäre Enthusiasmus der Massen nicht von Dauer war, lag in der Schwächedes Proletariats, das einzig und aWein imstande ist (wenn es zahlenmäßiggenügend stark, klassenbewußt und diszipliniert ist), die Mehrheit derWerktätigen und Ausgebeuteten (die Mehrheit der Armen, um einfacherund populärer zu sprechen) für sich zu gewinnen und die Macht einegenügend lange Zeit zu behaupten, um sowohl alle Ausbeuter als auchalle Elemente der Z ersetzung völlig zu unterdrücken.

Diese historische Erfahrung aller Revolutionen, diese welthistorische —

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25 6 IV . 1. £enin

ökonomische und politische — Lehre hat eben Marx zusammengefaßt, als

er die kurze, scharfe, exakte, markante Formel prägte: Diktatur des Pro-letariats. Und daß die russische Revolution an die Verwirklichung dieserweltgeschichtlichen Aufgabe richtig herangegangen ist, das hat der Sie-geszug der sowjetischen Organisation unter allen Völkern und ZungenRußlands bewiesen. Denn die Sowjetmacht ist nichts anderes als die orga-nisatorische Form der Diktatur des Proletariats, der Diktatur der fort-geschrittensten Klasse, die Millionen und aber Millionen W erktätige undAusgebeutete zum neuen Demokratismus, zur selbständigen Teilnahmean der Verwaltung des Staates emporhebt, die durch eigene Erfahrung

lernen, in der disziplinierten und k lassenbewußten V orhut des Proletariatsihren zuverlässigsten Führer zu sehen.

Aber D iktatur ist ein großes Wo rt. U nd große W orte darf man nicht inden Wind reden. Die Diktatur ist eine eiserne Macht, die mit revolutio-närer Kühnheit und Schnelligkeit handelt, die schonungslos ist bei derUnterdrückung sowohl der Ausbeuter als auch der Rowdys. Unsere Machtaber ist übermäßig weich, ist sehr oft mehr einem Brei als Eisen ähnlich.Man darf keinen Augenblick vergessen, daß das bürgerliche und klein-bürgerliche Element in doppelter Weise gegen die Sowjetmacht kämpft:

Einerseits wirkt es von außen, mit den Methoden der Sawinkow, Goz,Gegetschkori, Kornilow, durch Verschwörungen und Aufstände, durchderen schmutzige „ideologische" Widerspiegelung, durch Ströme vonLügen und Verleumdungen in der Presse der K adetten, der rechten Sozial-revolutionäre und der Menschewiki; anderseits wirkt diese Anarchie voninnen und nutz t jedes Element der Zersetzung, jede Schwäche aus, um zubestechen, um die U ndiszipliniertheit, die Verlotterung, das Chaos zu ver-schlimmern. Je näher wir der völligen militärischen Unterdrückung derBourgeoisie kommen, um so gefährlicher wird für uns das Element der

kleinbürgerlichen Anarchie. Und den Kampf gegen dies Element kannman nicht allein durch Propaganda und Agitation, allein durch Organi-sierung des Wettbewerbs, allein durch Auslese von Organisatoren füh-ren — man muß den Kampf auch durch Zwang führen.

In dem Maße, wie zur Hauptaufgabe der Staatsmacht nicht die mili-tärische Unterdrückung, sondern die Verwaltung wird — wird zur typi-schen Erscheinungsform der Unterdrückung und des Zwanges nicht dieErschießung an Ort und Stelle, sondern das Gericht. Auch in dieser Hin-

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Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht 257

sieht haben die revolutionären Massen nach dem 25. Oktober 1917 den

richtigen Weg beschriften und die Lebensfähigkeit der Revolution be-wiesen, als sie schon vor irgendwelchen Dekreten über die Auflösung desbürgerlich-bürokratischen Gerichtsapparats anfingen, ihre eigenen Arbei-ter- und Bauerngerichte zu schaffen. Aber unsere Revolutions- und Volks-gerichte sind über die Maßen, sind unglaublich schwach. Man fühlt, daßdie aus der Zeit des Gutsbesitzer- und Kapitalistenjochs ererbte Ansichtdes Volkes vom Gericht als etwas Bürokratischem, Fremdem noch nichtendgültig überwunden ist. Es fehlt an der genügenden Erkenntnis, daß dasGericht ein Organ zur Heranziehung gerade der armen Bevölkerung, ohne

Ausnahme, zur Staatsverwaltung ist (denn die gerichtliche Tätigkeit isteine der Funktionen der Staatsverwaltung), daß das Gericht ein Organder 7/ladbt des Proletariats und der armen Bauernschaft ist, daß das Ge-richt ein Werkzeug der Erziehung zur Disziplin ist. Es fehlt an der ge-nügenden Erkenntnis der einfachen und offenkundigen Tatsache, daß man,wenn das Hauptunglück Rußlands Hungersnot und Arbeitslosigkeit sind,diese Übel durch keinerlei momentane Vorstöße besiegen kann, sondernnu r durch eine allseitige, allumfassende, vom ganzen Volk getragene Orga-nisation und Disziplin, um die Produktion von Brot für die Menschenund Brot für die Industrie (Brennstoff) zu steigern, es rechtzeitig heran-zuschaffen und richtig zu verteilen; daß deshalb an den Q ualen des H un-gers und der Arbeitslosigkeit jeder sdiuld ist, der die Arbeitsdisziplin ineinem beliebigen Betrieb, einer beliebigen Wirtschaft, einer beliebigenAngelegenheit verletzt; daß man es verstehen muß, diejenigen, die sichdessen schuldig gemacht haben, ausfindig zu machen, vor Gericht zu stel-len und schonungslos zu bestrafen. Die kleinbürgerliche Anarchie, gegendie wir jetzt den hartnäckigsten Kampf zu führen haben werden, äußertsich gerade darin, daß nicht genügend erkannt wird, wie die Hungersnotund die Arbeitslosigkeit volkswirtschaftlich und politisch zusammenhän-

gen mit der L iederlichkeit jedes einzelnen in bezug auf Organisation undDisziplin, daß die Ansicht des Xleineigentümers-. „Ich reiße an mich, wasich kann, alles andere ist mir schnuppe", sich fest behauptet.

Im Eisenbahnwesen, das wohl am anschaulichsten die wirtschaftlichenZusammenhänge eines vom Großkapitalismus geschaffenen Organismusverkörpert, tritt dieser Kampf der kleinbürgerlichen Zügellosigkeit gegendie proletarische Organisiertheit besonders plastisch hervor. Das „Ver-

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258 W. 3. Lenin

waltungs"element stellt Saboteure und Schmiergeldernehmer im Über-

fluß; das proletarische Element kämpft in seinem besten Teil für die Diszi-plin; aber unter den einen wie unter den anderen gibt es natürlich vieleSchwankende, „Schwache", die nicht fähig sind, der „Versuchung" desSchleichhandels, des Schmiergelds, des persönlichen Vorteils zu wider-stehen, erkauft um den Preis der Verderbnis des ganzen Apparats, vondessen richtigem Funktionieren der Sieg über Hungersnot und Arbeits-losigkeit abhängt.

Charakteristisch ist der Kampf, der sich auf diesem Boden entspann umdas letzte Dekret über die Verwaltung der Eisenbahnen, um das Dekret

über die Erteilung von diktatorischen Vollmachten (oder „unbeschränk-ten" Vollmachten) an einzelne Leiter.86 Bewußte (meistens jedoch wohlunbewußte) Vertreter der kleinbürgerlichen Zügellosigkeit wollten in derErteilung von „unbeschränkten" (d. h. diktatorischen) Vollmachten an ein-zelne Personen eine Abweichung von dem Grundsatz der Kollegialitätund vom Demokratismus sowie von den Prinzipien der Sowjetmacht sehen.Unter den linken Sozialrevolutionären entwickelte sich hier und da einegeradezu rowdyhafte, d. h. an üble Instinkte und an die den Kleinbesitzerneigenen Bestrebungen, „zu erraffen", appellierende Agitation gegen das

Dekret über die diktatorischen Vollmachten. Es erhob sich eine Frage vonwirklich gewaltiger Bedeutung: erstens die prinzipielle Frage, ob über-haupt die Ernennung einzelner Personen, die die unbeschränkten Voll-machten von Diktatoren erhalten, vereinbar ist mit den Grundprinzipiender Sowjetmacht; zweitens die Frage, in welchem Verhältnis dieser Fall —

dieser Präzedenzfall, wenn man will — zu den besonderen Aufgaben derStaatsmacht im gegebenen konkreten Augenblick steht. Auf beide Fragenmuß man sehr aufmerksam eingehen.

Daß in der Geschichte der revolutionären Bewegungen durch die Dik-

tatu r einzelner Personen sehr oft die Diktatur der revolutionären Klassenzum Ausdruck gebracht, getragen, vermittelt wurde, das bezeugen dieunwiderleglichen Erfahrungen der Geschichte. Mit dem bürgerlichen De-mokratismus war die Diktatur einzelner Personen zweifellos vereinbar.In diesem Punkt aber zeigen die bürgerlichen Schmäher der Sowjetmachtund ebenso ihre kleinbürgerlichen Nachbeter stets Fingerfertigkeit: einer-seits erklären sie die Sowjetmacht einfach für etwas Unsinniges, Anarchi-sches,, Barbarisches und umgehen sorgsam alle unsere historischen Par-

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"Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht 259

allelen und theoretischen Beweise dafür, daß die Sowjets die höchste Form

des Demokratismus, ja noch mehr — der Anfang der sozialistischen Formdes Demokratismus sind; anderseits fordern sie von uns einen höherenDemokratismus als den bürgerlichen und sagen: Mit eurem bolschewisti-schen (d. h. nicht bürgerlichen, sondern sozialistischen) Sowjetdemokratis-mus ist eine persönliche Diktatur absolut unvereinbar.

Solche Betrachtungen taugen ganz und gar nichts. Wenn wir keine An-archisten sind, müssen wir die Notwendigkeit des Staates, das beißt desZwangs, für den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus anerken-nen. Die Form des Zwangs wird bestimmt durch den Entwicklungsgrad

der gegebenen revolutionären Klasse, ferner durch solche besonderen Um -stände wie zum Beispiel die Erbschaft eines langen und reaktionären Krie-ges, ferner durch die Formen des Widerstands der Bourgeoisie und desKleinbürgertums. Deshalb gibt es entschieden keinerlei prinzipiellenWiderspruch zwischen dem sowjetischen (d. h. dem sozialistischen) De-mokratismus und der Anwendung der diktatorischen Gewalt einzelnerPersonen. Die proletarische Diktatur unterscheidet sich von der bürger-lichen dadurch, daß erstere ihre Schläge gegen die ausbeuterische Minder-heit im Interesse der ausgebeuteten Mehrheit richtet, und ferner darin,daß die erste — auch durch einzelne Personen — nicht bloß vonden Massen der Werktätigen und Ausgebeuteten, sondern auch von O rga-nisationen verwirklicht wird, die so aufgebaut sind, daß sie eben dieseMassen zu geschichtlichem Schöpfertum wecken und emporheben (diesowjetischen Organisationen gehören zu dieser Art Organisationen).

Zur zweiten Frage, zur Bedeutung gerade der diktatorischen Machteinzelner Personen vom Standpunkt der spezifischen Aufgaben des ge-gebenen Moments muß man sagen, daß jede maschinelle Großindustrie —

d. h. gerade die materielle, die produktive Quelle und das Fundament des

Sozialismus — unbedingte und strengste Einheit des Willens erfordert, derdie gemeinsame Arbeit von Hunderten, Tausenden und ZehntausendenMenschen leitet. Sowohl technisch als auch ökonomisch und historischleuchtet diese Notwendigkeit ein und ist von allen, die über den Sozialis-mus nachgedacht haben, stets als seine Voraussetzung anerkannt worden.Wie aber kann die strengste Einheit des Willens gesichert werden? Durchdie Unterordnung des Willens von Tausenden unter den Willen eineseinzelnen.

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260 W. 1. Lenin

Diese Unterordnung kann bei idealer Bewußtheit und Diszipliniertheit

der an der gemeinsamen Arbeit Beteiligten mehr an die milde Leitungeines Dirigenten erinnern. Sie kann die scharfen Formen der Diktator-schaft annehm en, wenn keine ideale Diszipliniertheit und Bewußtheit vor-handen ist. Aber wie dem auch sein mag, die widersprudishse 'Unter-ordnung unter einen einheitlichen Willen ist für den Erfolg der Prozesseder Arbeit, die nach dem Typus der maschinellen Großindustrie orga-nisiert wird, unbedingt notwendig. Für die Eisenbahnen ist sie doppeltund dreifach notwendig. Und eben dieser Übergang von der einen poli-tischen Aufgabe zu der anderen, die ihr äußerlich gar nicht ähnlich sieht,

bildet die ganze Originalität des gegenwärtigen Augenblicks. Die Revo-lution hat soeben die ältesten, festesten, schwersten Fesseln zerschlagen,denen sich die Massen zwangsweise gefügt hatten. Das war gestern. Heuteaber fordert dieselbe Revolution, eben im Interesse ihrer Entwicklung undFestigung, eben im Interesse des Sozialismus, die unbedingte Unterord-

nung der Massen unter den einheitlichen IViWen der Leiter des Arbeits-prozesses. Begreiflicherweise ist ein solcher Übergang nicht auf einmalmöglich. Man begreift, daß er nur zu verwirklichen ist um den Preis dergrößten Stöße, Erschütterungen, Rückschläge zum A lten, der gewaltigsten

Anspannung der Energie der proletarischen Avantgarde , die das Volk zumNeuen führt. Darüber denken diejenigen nicht nach, die in die spießer-hafte Hysterie der „Nowaja Shisn" oder des „Wperjod"87 , des „DeloNaroda" oder des „Nasch Wek"88 verfallen.

Man nehme die Denkweise eines einfachen Durchschnittsvertreters derwerktätigen und ausgebeuteten Masse, man vergleiche diese Denkweisemit den objektiven, materiellen Bedingungen seines gesellschaftlichenLebens. Vor der Oktoberrevolution hatte er praktisch noch nicht gesehen,daß die besitzenden, ausbeutenden Klassen tatsächlich etwas für sie wirk-

lich Bedeutendes geopfert, zu seinen G unsten auf etwas verzichtet hätten.Er hatte noch nicht gesehen, daß man ihm das so oft versprochene Landund die Freiheit, daß man ihm den Frieden gegeben hätte, daß man aufdie Interessen der „Großmachtstellung" und der von den Großmächtengeschlossenen Geheimverträge, daß man auf Kapital und Profite verzich-tet hätte. Er sah das erst nach dem 25. Oktober 1917, als er es selbst mitGewalt nahm und das Genommene gegen die Kerenski, Goz, Gegetschkori,Dutow und Kornilow mit Gewalt verteidigen mußte. Es ist begreiflich,

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Die na'dosten Aufgaben der Sowjetmacht 261

daß all seine Aufmerksamkeit, sein ganzes Trachten, alle seine Geistes-kräfte eine gewisse Zeit lang lediglich darauf gerichtet sind, ein wenig auf-zuatmen, sich aufzurichten, sich zu entfalten und nach den nächstliegen-den Gütern des Lebens zu greifen, die man nehmen kann und die ihm diegestürzten A usbeuter nicht gegeben hatten. Es ist begreiflich, daß eine ge-wisse Zeit notwendig ist, damit der einfache V ertreter der Masse nicht nurselbst sehe, nicht nur sich überzeuge, sondern auch fühle, daß man nichtso einfach „nehmen", an sich reißen, an sich raffen darf, daß das zu nochstärkerer Zerrü ttung, zum Untergang, zu r Rückkehr der Kornilow führt.Der entsprechende Umschwung in den Lebensbedingungen (und folglichauch in der Denkweise) der einfachen werktätigen Masse hat eben ersteingesetzt. Und unsere ganze Aufgabe, die Aufgabe der Partei der Kom-munisten (Bolsdiewiki), die das Streben der Ausgebeuteten nach Befreiungbewußt zum Ausdruck bringt, besteht darin, sich dieses Umschwungs be-wußt zu werden, seine Notwendigkeit zu begreifen, an die Spitze dererschöpften und müde nach einem Ausweg suchenden Masse zu treten,sie auf den richtigen Weg zu führen, den Weg der Arbeitsdisziplin, derKoordinierung der Aufgabe, Versammlungen über die Arbeitsbedingun-gen abzuhalten, mit der Aufgabe unbedingter Unterordnung unter denWillen des sowjetischen Leiters, des Diktators, während der Arbeit.

Die Bourgeois, die Menschewiki, die Leute von der „Nowaja Shisn",die nur Chaos, Wirrwarr und Ausbrüche von kleinbesitzerlichem Egois-mus sehen, lachen über den „Versammlungsrummel", und noch häufigerfauchen sie boshaft darüber. Aber ohne das Abhalten von Versammlun-gen hätte die Masse der Unterjochten niemals von der durch die Ausbeu-ter erzwungenen Disziplin zur bewußten und freiwilligen Disziplin über-gehen können. Das Abhalten von Versammlungen ist eben echter Demo-kratismus der Werktätigen, ihr Sichaufrichten, ihr Erwachen zum neuenLeben, es sind ihre ersten Schritte auf dem Felde, das sie selbst von demGeschmeiß (Ausbeutern, Imperialisten, Gutsbesitzern, Kapitalisten) ge-säubert haben und das sie selbst auf ihre Art, für sich, nach den Grund-sätzen ihres Staats, der Sowjetmacht, nicht aber der fremden, der guts-herrlichen, der bürgerlichen Macht, einrichten lernen wollen. Es bedurftedes Oktobersiegs der Werktätigen über die Ausbeuter, es bedurfte einesganzen historischen Zeitraums einleitender Erörterung der neuen Lebens-verhältnisse und neuen Aufgaben durch die Werktätigen selbst, damit ein

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262 W. J. Lenin

sicherer Übergang möglich werde zu höheren Formen der Arbeitsdisziplin,

zur bewußten Aneignung der Idee von der Notwendigkeit der Diktaturdes Proletariats, zur unbedingten Unterordnung unter die persönlichenAnordnungen der Vertreter der Sowjetmacht während der Arbeit.

Dieser Übergang ha t jetzt begonnen.Wir haben die erste Aufgabe der Revolution erfolgreich gelöst, wir

haben gesehen, wie sich die werktätigen Massen die Grundbedingungihres Erfolgs erarbeiteten: die Vereinigung der Anstrengungen zum Sturzder Ausbeuter. Solche Etappen wie der Oktober 1905, der Februar undOktober 1917 haben welthistorische Bedeutung.

Wir haben die zweite Aufgabe der Revolution erfolgreich gelöst, diedarin bestand, gerade diejenigen „unteren" Gesellschaftsschichten zuwecken und emporzuheben, die von den Ausbeutern hinabgestoßen wur-den und die erst nach dem 25. Oktober 1917 die volle Freiheit erlangten,die Ausbeuterzu stürzen und zu beginnen, sich umzuschauen und sich aufeigene Art einzurichten. Das Abhalten von Versammlungen gerade vonder am meisten unterjochten und verängstigten, am wenigsten geschultenMasse der Werktätigen, ihr Übergang auf die Seite der Bolschewiki, dieDurchsetzung der eigenen, der sowjetischen Organisation durch sie über-

all und a llerorts — das war die zweite große Etappe der Revolution.Es beginnt die dritte Etappe. Was wir selbst erobert, was wir selbstdekretiert, zum Gesetz gemacht, beraten und festgesetzt haben, müssenwir in dauerhaften Formen der täglidien Arbeitsdisziplin verankern. Dasist die schwerste, aber auch die dankbarste Aufgabe, denn nur, wenn wirsie lösen, werden wir sozialistische Verhältnisse erhalten. W ir müssen eslernen, den stürmischen, wie Hochwasser im Frühjahr über alle Ufer bran-denden Versammlungsdemokratismus der werktätigen Massen zu verbin-den mit eiserner Disziplin während der Arbeit,mit der unbedingtenilnter-

ordnung unter den Willen einer Einzelperson, des sowjetischen Leiters,während der Arbeit.

Das haben wir noch nicht gelernt.Das werden wir lernen.Die Restauration der bürgerlichen Ausbeutung bedrohte uns gestern in

der Person der Kornilow, Goz, Dutow, Gegetschkori, Bogajewski. Wirhaben sie besiegt. Diese Restauration, dieselbe Restauration bedroht unsheute in einer anderen Form, in Form der kleinbürgerlichen Zügellosigkeit

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Die nädbsten Aufgaben der Sowjetmacht 263

und des Anarchismus, des kleinbesitzerlichen „Was kümmert es mich?",in der Form der alltäglichen, kleinen, dafür aber zahlreichen AngrifEe und

Invasionen dieser Elementarkraft gegen die proletarische Diszipliniertheit.W ir m üssen diese elementare kleinbürgerliche Anarchie besiegen, und w irwerden sie besiegen.

D IE E N T W I C K L U N G DE R S O W J E T O R G A N I S A T I O N

Der sozialistische Charakter des sowjetischen Demokratismus, das heißtdes proletarischen Demokratismus in seiner konkreten, gegebenen An-

wendung besteht erstens darin, daß die werktätigen und ausgebeutetenMassen die Wähler sind, während die Bourgeoisie ausgeschaltet ist; zwei-tens darin, daß alle bürokratischen Formalitäten und Beschränkungen derWahlen wegfallen und die Massen die Ordnung und die Tennine derWahlen selbst bestimmen, bei voller Freiheit der Abberufung der Gewähl-ten; drittens darin, daß die beste Massenorganisation der Vorhut derWerktätigen, des großindustriellen Proletariats, geschaffen wird, die esihm möglich macht, die breitesten Massen der Ausgebeuteten zu leiten, sie

zum selbständigen politischen Leben zu bringen, sie an ihrer eigenen Er-

fahrung politisch zu erziehen; daß auf diese Weise zum erstenmal daran-gegangen wird, daß tatsächlich ausnahmslos die ganze Bevölkerung ver-walten lerne und zu verwalten anfange.

Das sind die hauptsächlichsten Unterscheidungsmerkmale des jetzt inRußland angewandten D emokratismus, der ein höherer Jypus des Demo-kratismus, der Bruch mit seiner bürgerlichen Entstellung, der Übergangzum sozialistischen Demokratismus und zu Bedingungen ist, die es er-möglichen, daß der Staat abzusterben beginnt.

Es versteht sich, daß das Element kleinbürgerlicher Desorganisation

(das in jeder proletarischen Revolution in diesem oder jenem Maße unver-meidlich hervortreten wird, in unserer Revolution aber infolge des klein-bürgerlichen Charakters des Landes, seiner Rückständigkeit und der Fol-gen des reaktionären Krieges besonders stark hervortritt) unweigerlichauch den Sowjets seinen Stempel aufdrücken muß.

An dem Ausbau der Organisation der Sowjets und der Sowjetmachtmuß unermüdlich gearbeitet werden. Es gibt eine kleinbürgerliche Ten-

18 Lenin, W erk e, Bd. 27

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26 4 W . 1 Lenin

denz zur Verwandlung der Mitglieder der Sowjets in „Parlamentarier"oder, anderseits, in Bürokraten. Dagegen muß man kämpfen, indem manalle Mitglieder der Sowjets zur praktischen Teilnahme an der V erwaltungheranzieht. D ie Abteilungen der Sowjets verwandeln sich an vielen O rtenin Organe, die nach und nach mit den Kommissariaten verschmelzen.Unser Ziel ist die ausnahmslose Heranziehung der armen Bevölkerungzur praktischen Teilnahme an der Verwaltung, und alle Schritte zur Ver-wirklichung dieses Ziels — je mannigfaltiger sie sind, desto besser — müs-sen sorgfältig registriert, studiert, systematisiert, durch größere Erfahrun-gen erprobt und gesetzlich verankert werden. Unser Ziel ist, daß jederWerktätige nach Erfüllung des achtstündigen „Pensums" produktiver Ar-

beit unentgeltlich an der Ausübung der Staatspflichten teilnimmt: derÜbergang dazu ist besonders schwierig, aber nur in diesem Übergangliegt das Unterpfand für die endgültige Festigung des Sozialismus.Die Neuheit und die Schwierigkeit des Wechsels machen natürlich eineMenge von Schritten unvermeidlich, die sozusagen tastend getan wer-den, eine Menge von Fehlern, Schwankungen — ohne das ist ein rascherVormarsch unmöglich. Die ganze Eigenart der gegenwärtigen Lage bestehtvom Standpunkt vieler, die als Sozialisten gelten möchten, darin, daß dieMenschen sich an die abstrakte Gegenüberstellung von Kapitalismus und

Sozialismus gewöhnt haben, wobei sie zwischen beide in tiefsinnigerWeise das Wort „Sprung" setzten (manche erinnerten sich, was sie beiEngels gelesen haben, und fügten noch tiefsinniger hinzu.- „Der Sprungaus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der F reih eit" S9 ). Da ß dieLehrmeister des Sozialismus einen Umschwung unter dem Gesichtswin-kel der Wendungen der Weltgeschichte als „Sprung" bezeichneten und d aßsolche Sprünge Perioden von 10 und vielleicht noch mehr Jahren umfas-sen, darüber verstehen die meisten sogenannten Sozialisten nicht nachzu-denken, die vom Sozialismus „in Büchern gelesen haben", aber niemalsernstlich in die Sache eingedrungen sind. Natürlich stellt die vielgerühmte

„Intelligenz" in solchen Zeiten eine unendliche Zahl von Klageweibern:die einen beweinen die Konstituierende Versammlung, die anderen diebürgerliche Disziplin, die dritten die kapitalistische Ordnung, die viertenden kultivierten Gutsbesitzer, die fünften die imperialistische Großm acht-stellung und so weiter und so fort.

Das wirklich Interessante an der Epoche großer Sprünge besteht darin,

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Die nädhsten Aufgaben der Sowjetmacht 265

daß die Unmenge von Trümmern des Alten, die sich mitunter schneller

anhäufen als die Keime des Neuen (die nicht immer sofort sichtbar wer-den), die Fähigkeit erfordert, das Wesentlichste in der Linie oder in derKette der Entwicklung herauszugreifen. Es gibt historische Momente, woes für den Erfolg der Revolution am wichtigsten ist, möglichst viele Trüm-mer anzuhäufen, d. h. möglichst viele alte Einrichtungen zu sprengen; esgibt Zeiten, wo genügend gesprengt worden ist und die „prosaische" (fürden kleinbürgerlichen Revolutionär „langweilige") Arbeit der Säuberungdes Bodens von den Trüm mern auf die Tagesordnung tri tt; es gibt Zeiten,wo die sorgsame Pflege der Keime des Neuen am wichtigsten ist, die unter

den Trüm mern auf dem vom Schutt noch schlecht gesäuberten Boden her-vorsprießen.

Es genügt nicht,Revolutionär und Anhänger des Sozialismus oder Kom-munist überhaupt zu sein. Man muß es verstehen, in jedem Augenblickjenes besondere Kettenglied zu finden, das mit aller Kraft angepackt wer-den muß, um die ganze Kette zu halten und den Ü bergang zum nächstenKettenglied mit fester Hand vorzubereiten, wobei die Reihenfolge derGlieder, ihre Form, ihre Verkettung, ihr Unterschied voneinander in derhistorischen Kette der Ereignisse nicht so einfach und nicht so simpel sind

wie in einer gewöhnlichen, von einem Schmied hergestellten Kette.Der Kampf gegen die bürokratische Entstellung der Sowjetorganisation

wird durch die Festigkeit der Verbindung der Sowjets mit dem „Volke",im Sinne der Werktätigen und Ausgebeuteten, durch die Geschmeidigkeitund Elastizität dieser Verbindung gesichert. Die bürgerlichen Parlamente,sogar in der hinsichtlich des Demokratismus besten kapitalistischen Repu-blik der Welt, werden niemals von der armen Bevölkerung als „ihre" Ein-richtungen angesehen. Die Sowjets aber sind für die Massen der Arbeiterund Bauern etwas „Eigenes" und nicht etwas Fremdes. Die jetzigen

„Sozialdemokraten" vom Schlage Scheidemanns oder, was fast dasselbeist, Martows fühlen sich von den Sowjets genauso angewidert und voneinem wohlanständigen bürgerlichen Parlament oder einer Konstituieren-den Versammlung genauso angezogen, wie es Turgenjew vor 60 Jahren zueiner gemäßigt monarchistischen und adligen Verfassung hinzog und wieihm der bäuerliche Demokratismus Dobroljubows und Tschernyschewskiswiderwärtig w ar.

Gerade die Verbundenheit der Sowjets mit dem „Volke" der Werk-

18*

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266 W . 3. Zenin

tätigen schafft besondere Formen der Abberufung und anderer Kontrollen

von unten, die jetzt besonders eifrig entwickelt werden müssen. Zum Bei-spiel verdienen die Sowjets der Volksbildung als periodische Konferenzensowjetischer Wähler und ihrer Delegierten zur Beratung und Kontrolleüber die Tätigkeit der sowjetischen Behörden auf diesem Gebiet vollsteSympathie und U nterstützung . Es gibt nichts Dümm eres als die Verwand-lung der Sowjets in etwas Starres und sich selbst Genügendes. Je entschlos-sener wir jetzt für eine rücksichtslos starke Macht, für die Diktatur ein-zelner Personen für bestimm te Arbeitsprozesse, in bestimmtenMomenten rein exekutiver Funktionen eintreten müssen, desto man-

nigfaltiger müssen die Formen und Methoden der Kontrolle von untensein, um jede kleinste Möglichkeit, die Sowjetmacht zu entstellen, zu para-lysieren, um das Unkraut des Bürokratismus immer wieder und unermüd-lich auszureißen.

SCH LU SS

Eine ungewöhnlich schwere, komplizierte und gefährliche Lage in inter-nationaler Hinsicht; die Notwendigkeit, zu lavieren und sich zurückzu-

ziehen; eine Periode des Abwartens neuer Ausbrüche der Revolution, diequalvoll langsam im W esten heran reift; innerhalb des Landes eine Periodelangsamen Aufbaus und schonungslosen „Durchgreifens", langwierigenund hartnäckigen Kampfes der proletarischen strengen Diszipliniertheitgegen die drohende Elementarkraft kleinbürgerlicher Zügellosigkeit undAnarchie — das sind in Kürze die kennzeichnenden Züge der besonderenPhase der sozialistischen Revolution, die wir durchmachen. Das ist jenesGlied in der historischen Kette der Ereignisse, das wir jetz t mit aller Kraftanpacken müssen, um auf der Höhe der Aufgabe zu sein bis zum Über-

gang zu dem nächstfolgenden Glied, das uns anzieht durch seinen beson-deren Glanz, den Glanz^ der Siege der internationalen proletarischenRevolution.

Man versuche, den üblichen, landläufigen Begriff des „Revolutionärs"zu vergleichen mit den Losungen, die sich aus den Besonderheiten des Zeit-raums, den wir durchleben, ergeben: lavieren, sich zurückziehen, abwarten,langsam aufbauen, schonungslos durchgreifen, streng disziplinieren, derZügellosigkeit zu Leibe ge he n. .. Ist es ein W under, daß manche „Revo-

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Die nädbsten Aufgaben der Sowjetmadht 267

lutionäre", wenn sie das hören, von edler Entrüstung erfaßt werden und

anfangen, gegen uns wegen Vergessens der Traditionen der Oktob errevo-lution, wegen Paktierens mit den bürgerlichen Spezialisten, wegen Kom-promissen mit der Bourgeoisie, wegen Kleinbürgerlidikeit, wegen Refor-mismus usw. usf. „zu wettern"?

Das Pech dieser Jammerrevolutionäre besteht darin, daß es sogar denenunter ihnen, die sich von den besten Motiven der Welt leiten lassen undsich durch unb edingte Ergebenheit für die Sache des Sozialismus auszeich-nen, an Verständnis mangelt für den besonderen und besonders „unan-genehmen" Zustand, durch den das rückständige Land unweigerlich hin-

durch mußte, das durch den reaktionären und unseligen Krieg verheertwar, das die sozialistische Revolution lange vor den fortgeschrittenerenLändern begonnen h at ; — daß es ihnen an Ausdauer mangelt in denschwierigen Augenblicken eines schwierigen Übergang s. Es ist ganz natür-lich, daß die „offizielle" Opposition solcher Art gegen unsere Partei vonder Partei der „linken Sozialrevolutionäre" ausgeht. Persönliche Aus-nahmen von den Gruppen- und Klassentypen sind natürlich vorhandenund werden stets vorhanden sein. Die sozialen Typen aber bleiben. Ineinem Land mit einer Bevölkerung, in der die Kleineigentümer ein un-geheures Übergewicht über die rein proletarischen Elemente haben, wirdunweigerlich der Unterschied zwischen dem proletarischen und dem klein-bürgerlichen Revolutionär hervortreten, und von Zeit zu Zeit äußerstscharf hervo rtreten . Der kleinbürgerliche Revolutionär wankt und schwanktbei jeder Wendung der Ereignisse, wechselt hin und her von ingrim-migem Revolutionarismus im Mär z 1917 zu Lobliedern auf die „Koalition"im Mai, zum Haß gegen die Bolschewiki (oder zum Beweinen ihres„Abenteurertums") im Juli, zum ängstlichen Abrücken von ihnen EndeOktober, zu ihrer Unterstützung im Dezember — und schließlich, im M ärzund April 1918, rümpfen diese Typen am häufigsten geringschätzig die

Nase und sagen: „Ich gehöre nicht zu denen, die Hymnen auf die orga-nische' Arbeit, den Praktizismus und die Allmählichkeit anstimmen."

Der soziale Ursprung dieser Typen ist der Kleineigentümer, der durchdie Schrecken des Krieges, den plötzlichen Ruin, die unerhörten Qualendes Hungers u nd der Zer rüttun g wild geworden ist, der hysterisch hin undher läuft, nach einem Ausweg und nach Rettung suchend, und schwankendzwischen Vertrauen zum Proletariat und seiner Unterstützung einerseits

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268 W. J. Lenin

und Anfällen von Verzweiflung anderseits. M an m uß sich klarmachen und

fest einprägen, daß auf dieser sozialen Basis kein Sozialismus aufgebautwerden kann. Führen kann die werktätigen und ausgebeuteten Massennur eine Klasse, die ohne Schwankungen ihren Weg geht, nicht kleinmütigwird und auch bei den mühsamsten, schwersten und gefährlichsten Über-gängen nicht in Verzweiflung gerät. Hysterische Aufwallung brauchenwir nicht. Wir brauchen den gemessenen Schritt der eisernen Bataillonedes Proletariats.

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TAGUNG DES GESAMTRUSSISCHEN

ZENTRALEXEKUTIVKOMITEES 90

29. April 1918

Zuerst veröffentlicht 1920 in dem Buch "Nach dem Jex t des Buches, ver-„Trotokolle der Tagungen des Qesamt- glidhen mit dem Stenogrammrussischen ZEK der 4. Wahlperiode. und dem 7ext der Brosdhüre:Stenografischer Beridht", Moskau. TU. Lenin (IV. 1. lAljanow), „Alte

Artikel über zeitnahe Jheme n",Moskau 1922.

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271

1

REFERAT ÜBER DIE NÄCHSTEN AUFGABEND E R S O W J E T M A C H T

Genossen! Ich muß in bezug auf mein Referat heute die Frage etwasungewöhnlich stellen. Die Sache ist die, daß das eigentliche Referat meinArtikel über die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht* ist, der am Sonntagin zwei Zeitungen erschienen ist, und ich darf wohl annehmen, daß dieMehrheit der Anwesenden ihn kennt.

Deshalb nehme ich an, daß es nicht nötig ist, das im Referat Gesagtehier zu wiederholen, und daß ich mich lediglich auf Ergänzungen und Er-läuterungen zum Referat beschränken kann. Ich glaube, daß die geeig-netste Form für diese Erläuterungen jetzt die Polemik ist, weil die Frage,die ich in diesen Thesen über die nächsten Aufgaben behandelt habe, nichtsanderes ist als die Weiterentwicklung der Resolution, die bereits vom Ge-samtrussischen Außerordentlichen Kongreß in Moskau am 15. März**angenommen worden ist — einer Resolution, die sich nicht auf die damalsakute Frage des Friedens beschränkte, sondern auch die Hauptaufgabe desgegenwärtigen Augenblicks hervorhob, die organisatorische Aufgabe, dieAufgabe der Selbstdisziplin, die Aufgabe, gegen die Desorganisation zukämpfen.

Auf diesem Boden nun, scheint mir, sind in letzter Zeit recht deutlichunsere politischen Richtungen oder doch die Hauptströmungen unsererpolitischen Richtungen hervorgetreten; und deshalb läßt sich, glaube ich,in polemischer Form am anschaulichsten das bekräftigen, was ich in posi-tiver Form in dem Artikel über die nächsten Aufgaben zu umreißen ver-sucht habe .

* Siehe den vorliegenden Band, S. 225—268. Die Red.** Ebenda, S. 189/190. D»e Red.

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272 W. 1 Centn

Genossen! Wenn Sie einen Blick werfen auf die politischen Strömungen

des heutigen Rußlands, so erwächst Ihnen vor allen Dingen — auch hier,wie immer, um sich in der Einschätzung nicht zu irren — die Aufgabe, allepolitischen Strömungen in ihrer Gesamtheit zu betrachten, denn nur so,nur un ter dieser Bedingung können wir uns sichern gegen die Gefahr vonFehlern beim Herausgreifen einzelner Beispiele. Natürlich kann man soviele Beispiele, wie man will, zur Bestätigung jeder beliebigen Behauptungfinden. Aber nicht darum handelt es sich. Nur unter dieser Bedingungkönnen wir versuchen, den Zusammenhang klarzustellen zwischen denGeschicken der politischen Strömungen im Lande, diese Strömungen als

Ganzes genommen, und den Geschicken der Klasseninteressen, die ingroßen, ernsten und bedeutenden politischen Strömungen stets hervor-treten, wenn wir diese Strömungen alle zusammen, in ihrer Gesamtheitbetrachten.

Wirft man also einen Blick auf die großen politischen Strömungen inRußland, so glaube ich, es läßt sich nicht bestreiten, daß sie sich unver-kennbar und unstreitig in drei große Gruppen gliedern. In der erstenhaben wir die gesamte Bourgeoisie, die sich wie ein Mann geschlossen undfest zusammengeschart hat zur entschiedensten, man kann sagen, drauf-

gängerischen „Opposition" gegen die Sowjetmacht, einer Opposition natür-lich in Anführungszeichen, denn in Wirklichkeit haben wir hier einenwütenden Kampf, der jetzt alle jene kleinbürgerlichen Parteien auf dieSeite der Bourgeoisie gezogen hat, die im Laufe der Revolution im Ein-vernehmen mit Kerenski waren.— die Menschewiki, die Leute von der„Nowaja Shisn" und die rechten Sozialrevolutionäre, die in bezug auf dieHeftigkeit ihrer Angriffe gegen uns sogar die Bourgeoisie übertrumpfthaben; denn es ist bekannt, daß sehr oft die Heftigkeit der Angriffe unddie Lautstärke des Gebells in einem umgekehrten Verhältnis stehen zur

Stärke des politischen Elements, von dem die heftigen Angriffe ausgehen.(Be ifa l l . )

Die gesamte Bourgeoisie und alle ihre Nachbeter und alle ihre Lakaienvom Schlage Tschernows und vom Schlage Zeretelis, sie alle fanden sichin wütenden Angriffen auf die Sowjetmacht. Sie alle sehnen sich nach jenerangenehmen Perspektive, die ihre Freunde, ihre politischen Gesinnungs-genossen in der Ukraine in die Wirklichkeit umgesetzt haben, einen Frie-den zu schließen, der ihnen die Möglichkeit gäbe, mit H ilfe der deutschen

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es gesamtrussischen Zentralexekutivkomitees 273

Bajonette und der einheimischen Bourgeoisie den Einfluß der Bolschewiki

zu brechen. Das ist nur allzu gut bekannt. Ein prächtiges Beispiel geradederartiger Freunde haben wir in der Person Tschchenkelis im Kaukasus.Allen und jedem ist das aus den Zeitungen erinnerlich.

M an begreift, daß das Proletariat, das die Macht ergriffen und die Dik-tatur der Werktätigen, die Diktatur der Ärmsten gegen die Ausbeuterdurchzuführen begonnen hat, natürlich nichts anderes erwarten konnte.

Einerseits haben wir einen Flügel, eine Front, die völlig einig ist. Wennman uns zuweilen mit Phantasien von einer demokratischen Einheitsfrontkommt, so denke ich, wenigstens in den seltenen Minuten, wo man bür-

gerliche Zeitungen zur Hand nimmt, in dem seltenen Fall, wo man dasVergnügen hat, solche Zeitungen zu lesen wie „Nasch Wek", „Delo Na-roda" usw., wenn ich alle diese Zeitungen auch nur flüchtig durchsehe, sodenke ich stets, was braucht ihr eigentlich noch mehr für die Einheit derdemokratischen Front?

Diese ganze Einheit der demokratischen Front bei ihnen ist die voll-ständigste, und wir können uns nur über diese Einheit freuen, denn wennBröckchen dieser bürgerlichen Publizistik unter die Massen geraten, so istdas nicht die Einheit der demokratischen Front, sondern die Einheit von

Angriffen auf die Bolschewiki. Und diese Einheitsfront, von Miljukow bisM artow , verdiente e s, daß w ir ihr zum 1. Mai ein Belobigungsschreibenfür die prächtige Propaganda zugunsten der Bolschewiki überreichen.

Genossen! Nehmen Sie das andere , das entgegengesetzte Lager, so wer-den Sie jetzt in diesem Lager nur unsere Partei, die Partei der Kommu-nisten-Bolschewiki sehen. Die Ereignisse haben sich so gefügt, daß unsereVerbündeten während des größten Teils der Nachoktoberperiode — dielinken Sozialrevolutionäre — sich gegenw ärtig von der formellen Te il-nahme an der Macht zurückgezogen haben. Ihr letzter Parteitag doku-

mentierte besonders anschaulich die außerordentlichen Schwankungen indieser Par tei, und das ist jetzt anschaulicher als je hervorgetre ten, obgleichdiese Partei auch in der Presse ihre vollkommene Kopflosigkeit und ihrständiges Schwanken offenbart.

W en n man auf den Gedanken käm e, eine Kurve zu zeichnen, die zeigt,wie diese Partei seit Februar 1917 — natürlich bis zur Spaltung der Sozial-revolutionäre in einen linken und einen rechten Flügel —, wenn man aufden Gedanken käme, eine Kurve zu zeichnen, die Monat für Monat zeigt,

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274 IV . J. Lenin

auf wessen Seite diese Partei sich stellte, auf die Seite des Proletariats

oder auf die Seite der Bourgeoisie, wenn man diese Kurve für das ganzeJahr durchführte, so würde die Kurve aussehen wie eine Krankengeschichte,bei deren Betrachtung jeder sich sagen wü rde: Das ist ja ein erstaunliches,ein erstaunlich hartnäckiges Fieber!

In der Tat, in der Geschichte der Revolution hat wohl kaum irgendeinePar tei solche ständigen und unaufhörlichen Schwankungen durchgemacht.

Wenn wir also alle diese drei Hauptströmungen nehmen und sie be-trachten, so wird uns klar, daß eine solche Gruppierung keine zufällige ist,daß sie vollständig das bestätigt, worauf wir Bolsdiewiki schon 1915 vom

Ausland her hingewiesen haben, als die ersten Meldungen eintrafen, daßdie Revolution in Rußland heranreift, daß sie unvermeidlich ist — und alswir die Fragen zu beantworten hatten: in welche Lage wird die Parteikomm en, wenn die Ereignisse sie noch w ährend des Krieges an die Machtbringen? — damals sagten wir: es ist möglich, daß die Revolution einenentscheidenden Sieg davontragen wird, das ist möglich vom Klassenstand-punkt, wenn in den entscheidenden Augenblicken, an den entscheidendenPunkten die führenden Elemente der Kleinbourgeoisie zum Proletariatherüberschwanken werden*; so ist es buchstäblich auch gekommen, so

verlief und verläuft jetzt die Geschichte der russischen Revolution. Natür-lich können diese Schwankungen kleinbürgerlicher Elemente uns nicht imgeringsten irgendeinen Grund zu Pessimismus, geschweige denn Verzweif-lung geben — und man begreift, daß die Revolution in einem Lande, dasfrüher als andere Länder gegen den imperialistischen Krieg Fron t gemachthat, daß die Revolution in einem rückständigen Land, das die Ereignissein bedeutendem Maße, wegen der Rückständigkeit dieses Landes, natür-lich auf kurze Zeit und natürlich in einzelnen Fragen vor die anderen, fort-geschritteneren Länder gestellt haben, daß natürlich diese Revolution un-

weigerlich dazu verurteilt ist, die kompliziertesten, die schwersten und innächster Zukunft unerfreulichsten Momente durchzumachen; daß sie insolchen Momenten ihre Front und ihre Helfer halten w erde, daß es ohneSchwankende abgehen werde — das wäre ganz widernatürlich; das würdebedeuten, den Klassencharakter des Umsturzes, die Natur der Parteienund der politischen Gruppierungen absolut nicht in Rechnung zu ziehen.

Und wenn wir jetzt die Gesamtheit der politischen Strömungen in Ruß-

*~Siehe Werke, Bd. 21, S. 410. Die Red.

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Jagung des Qesamtrussisdben Zentralexekutivkomitees 275

land vom Standpunkt der momentanen Aufgaben betrachten, unter dem

Gesichtswinkel, wie die heute aktuellsten und erstrangigsten Aufgabenuns gestellt werden, die Aufgaben der Organisation, der Disziplin, dieAufgaben der Rechnungsführung und K ontrolle, so sehen wir, daß in demLager, das die demokratische Einheitsfront von Miljukow bis Martow um-faßt, nicht der geringste Versuch unternommen wird, diese Aufgabe ihremWesen nach zu würdigen. Das ist nicht und kann auch nicht der Fall sein,weil dort nur ein einziger böser Wunsch vorhanden ist — und je böser,desto ehrenvoller für uns —, irgendeine Möglichkeit zu finden oder eineAndeutung darauf oder den Traum davon, die Sowjetmacht stürzen zu

können — nichts weiter. Und da haben Vertreter der Partei der linkenSozialrevolutionäre, tro tz der großen Ergebenheit einer ganzen Reihe vonMitgliedern dieser Partei für die Revolution, die stets sehr viel Initiativeund Energie gezeigt haben, gerade in der Frage der nächsten Aufgabendes gegenwärtigen Augenblicks im Sinne der proletarischen Disziplin,der Rechnungsführung, der Organisation und der Kontrolle am meistenSchwankungen gezeigt — bei Aufgaben, die für Sozialisten eine Selbst-verständlichkeit wurden, als die Macht erobert war, als die militärischenAttacken der Kerenski und Krasnow bis zu den Kornilow, Gegetschkori

und Alexejew zurückgeschlagen worden waren.Jetzt, wo wir zum erstenmal in das Innerste der Entwicklung der Revo-

lution eingedrungen sind, handelt es sich darum , ob die proletarische Diszi-plin und Organisiertheit oder die elementare Gewalt der kleinbürgerlichenEigentümer siegen wird, die in Rußland besonders stark ist.

Das wichtigste Kampffeld gegen uns ist für unsere Gegner aus demkleinbürgerlichen Lager die Arena der Innenpolitik und des wirtschaft-lichen Aufbaus; ihre Waffe ist die Untergrabung alles dessen, was dasProletariat dekretiert und beim Aufbau einer organisierten sozialistischen

Wirtschaft zu verwirklichen sucht. Hier tritt das kleinbürgerliche Ele-ment — das Element der Kleineigentümer und des zügellosen Egoismus —

als entschlossener Feind des Proletariats auf.Un d in dieser Kurve, die die Kleinbourgeoisie während aller Ereignisse

der Revolution beschrieben hat, sehen wir ihre schärfste Abkehr von uns;natürlich haben wir hier, in diesem Lager, die Hauptopposition in bezugauf die nächsten und aktuellsten Aufgaben des Augenblicks im genauerenSinne des Wortes vor uns; hier wird Opposition gemacht von Leuten, die

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276 W. J. Centn

ein prinzipielles Einvernehmen mit uns nicht ablehnen, die uns Unter-

stützung zuteil werden lassen in Fragen, wesentlicher als die, in denen sieuns kritisieren — eine Opposition, die mit Unterstützung kombiniert ist.

W ir werden uns nicht wundern, wenn wir in den Spalten der Presse derlinken Sozialrevolutionäre Erklärungen finden, wie ich sie im „SnamjaTruda"91 vom 2$. April gefunden habe. Darin heißt es: „Die rechtenBolschewiki sind Ratifikatoren" (ein schrecklich verächtlicher Spitzname).Wie wäre es, wenn man sie per Retourkutsche Kämpen nennen wollte?Würde dieser Name einen weniger schrecklichen Eindruck machen? Alsowenn man es mit solchen Strömungen im Bolschewismus zu tun bekommt,

so besagt das einiges. Gerade am 15. April hatte ich Gelegenheit, einenBlick auf Thesen in einer Zeitung zu werfen, die uns politisch charakteri-sierte. Als ich diese Thesen las, dachte ich: Ist hier nicht jemand von derZeitung der linken Kommunisten, vom „Kommunist", oder von ihrer Zeit-schrift? — Hier ist soviel Ähnliches; aber ich wurde enttäuscht, denn esstellte sich heraus, daß dies eine These von Issuw war, gedruckt in derZei tung „Wper jod" . (Hei terkei t , Bei fa l l . )

Genossen, wenn wir politische Erscheinungen solcher Art zu beobachtenhaben, wie die Solidarität des „Snamja Truda" mit einer besonderen Strö-

mung des Bolschewismus oder mit irgendwelchen formulierten mensche-wistischen Thesen der gleichen Partei, die eine Politik des Blocks mitKerenski getrieben hat, der gleichen Partei, in der Zereteli sich mit derBourgeoisie verständigte, wenn man auf Angriffe stößt, die Punkt fürPunkt zusammenfallen mit denen, die wir von der Gruppe der linkenKommunisten und aus der neuen Zeitschrift zu hören bekommen — sostimmt hier etwas nicht. Hier ist etwas, was Licht wirft auf die wirklicheBedeutung dieser Angriffe, und diese Angriffe verdienen unsere Beachtungschon deswegen, weil wir hier die Möglichkeit haben, die Hauptaufgaben

der Sowjetmacht in der Auseinandersetzung mit Leuten zu würdigen, mitdenen zu streiten interessant ist, weil es hier auch um die marxistischeTheorie geht, weil wir die Bedeutung der Ereignisse der Revolution be-rücksichtigen und es unzweifelhaft mit dem Wunsch zu tun haben, derWahrheit auf den Grund zu gehen. Die Hauptgrundlage für einen prin-zipiellen Streit bildet hier die Ergebenheit für den Sozialismus und dieunstreitige Entschlossenheit, auf die Seite des Proletariats zu tre ten, gegendie Bourgeoisie Front zu machen, ganz gleich, welche Fehler, nach Ansicht

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CTagung des Qesamtrussisdhen Zentralexekutivkomitees 277

dieser oder jener Personen, Gruppen oder Strömungen, das gegen die

Bourgeoisie kämpfende Proletariat hierbei macht.W enn ich sage, es sei interessant, mit ihnen zu streiten, so verstehe ichnatürlich unter einem interessanten Streit mit ihnen keine Polemik, son-dern daß diese Frage einen Streit betrifft, der die wesentlichste, funda-mentalste Frage der Gegenwart ist. Es ist kein Zufall, daß gerade aufdieser Linie gestritten wird. Auf dieser Linie verläuft jetzt objektiv diefundamentale Aufgabe, die Aufgabe des revolutionären Kampfes des Pro-letariats, gebieterisch vorgeschrieben von den gegenwärtigen VerhältnissenRußlands, eine Aufgabe, an deren Lösung mit allen Mitteln gearbeitetwerden m uß angesichts einer Unm enge mannigfaltigster kleinbürgerlicherStrömungen, bei aller Notwendigkeit für das Proletariat, sich zu sagen:in diesem Punkte kann es keinerlei Zugeständnisse geben, denn die sozia-listische Revolution begann damit, daß das Proletariat der Bourgeoisie dieMacht entr iß, und sie wurde dadurch fortgesetzt, daß es jeden W iderstandder Bourgeoisie brach, denn es muß die Fragen der Disziplin, der O rgani-sation, der Führung der W erktätigen mit strenger Sachlichkeit und K ennt-nis der Interessen der Großindustrie praktisch lösen, denn sonst wird eseine Niederlage erleiden. — Hier haben wir die wichtigste, die wirklicheSchwierigkeit der sozialistischen Revolution. — Gerade deshalb ist es so

interessant, so wichtig, im historischen und politischen Sinne des Wortes,mit den Vertretern der G ruppe der linken Kommunisten zu streiten, ob-gleich wir, wenn wir ihre These und ihre Theorie nehmen, um sie zuprüfen, in dieser Theorie, ich wiederhole das — und werde es gleich be-weisen —, entschieden nichts finden als die sattsam bekannten kleinbürger-lichen Schwankungen. Die G enossen von der Gruppe der linken Kommu-nisten, ganz gleich, wie sie sich nennen mögen, widerlegen in erster Linieihre eigenen Thesen. Ich nehme an, daß auch der großen Mehrheit derVersammelten ihre Auffassungen bekannt sind, weil wir sie in bolsche-

wistischen Kreisen im wesentlichen seit Anfang März diskutiert haben,und auch wer sich nicht für die große politische Literatur interessiert hat ,mußte von ihnen wissen, mußte zu ihnen Stellung nehmen im Zusammen-hang mit den Auseinandersetzungen, die sich auf dem letzten Gesamt-russischen Sowjetkongreß entspannen.

Und nun sehen wir vor allem in ihren Thesen dasselbe, was wir jetztin der gesamten Partei der Sozialrevolutionäre sehen, dasselbe, was wir

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278 W.I.Lenin

jetzt auch im rechten Lager, im Lager der Bourgeoisie, von Miljukow bis

Martow sehen, denen die jetzige schwere Lage Rußlands besonders driik-kend fühlbar wird vom Standpunkt des Verlustes seiner Großmachtstel-lung, vom Standpunkt der Umwandlung Rußlands aus einer alten Nation,aus einem Unterdrückerstaat in ein unterdrücktes Land, von einem Stand-punkt aus, wo man schon nicht mehr auf dem Papier, sondern praktischdie Frage entscheiden muß: ist die Schwere des Wegs zum Sozialismus,die Last der begonnenen sozialistischen Revolution es wert, daß das Landsogar die schwierigsten Situationen in bezug auf seine staatliche Existenz,seine nationale Unabhängigkeit durchmacht?

Hier verläuft der tiefste Grenzgraben zwischen denen, für die jenestaatliche Selbständigkeit und Unabhängigkeit, die für die gesamte Bour-geoisie das Ideal und das Maximum, das Allerheiligste ist — die unüber-schreitbare Grenze bildet und deren Verletzung gleichbedeutend ist mitVerneinung des Sozialismus, und denen, die sagen, daß die sozialistischeRevolution in der Epoche des tollen Gemetzels der Imperialisten wegender Aufteilung der Welt nicht vor sich gehen kann ohne die schwersteNiederlage für viele Nationen, die früher als Unterdrückernationen gal-ten; und daß Sozialisten, bewußte Sozialisten, wie schwer das auch für

die Menschheit sein möge, zu allen diesen Prüfungen bereit sein w erden.Auf dieser Grundlage, die am allerwenigsten annehmbar ist, auf dieser

Grundlage schwankten die linken Sozialrevolutionäre am meisten, undgerade auf dieser Grundlage sehen wir die meisten Schwankungen derlinken Kommunisten.

Jetzt kehren sie in ihren Thesen, die sie, wie uns bekannt, am 4. Aprilzusammen mit uns diskutiert92 und am 20. April veröffentlicht haben,bis heute kehren sie immer wieder zu r Frage des Friedens zurück.

Die größte Aufmerksamkeit widmen sie der Einschätzung der Friedens-

frage, und so wollen sie beweisen, daß der Frieden ein Ausdruck der Men-talität der ermüdeten und deklassierten M asse sei.

W ie komisch sind ihre Argum ente, wenn sie mit ihren Zahlen kommen,wonach 12 gegen und 28 für den Friedensschluß waren.93 Stellt man Z ah-len zusammen, erinnert man an eine Abstimmung, die vor rund andert-halb Monaten stattgefunden hat, sollte man dann nicht Zahlen nehmen,die näher liegen? Wenn man dieser Abstimmung eine politische Bedeu-tung beimißt, sollte man dann nicht an die Abstimmung des Gesamt-

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Jagung des Qesamtrussisdhen Zentralexekutivkomitees 279

ukrainischen Sowjetkongresses0* erinnern, bevor man sagt, der gesunde

Süden sei gegen den Frieden gewesen, aber der müde, deklassierte, indu-striell geschwächte Norden sei angeblich für den Frieden gewesen. Sollteman nicht an die Stimmabgabe der Fraktionsmehrheit auf dem Gesamt-russischen Sowjetkongreß erinnern, in der sich nicht einmal ein Zehntelder Stimmen gegen den Frieden fand? W enn man an Zahlen erinnert undihnen eine politische Bedeutung beimißt, so muß man die politische Ab-stimmung in ihrer Gesamtheit nehmen, und dann wird man sofort sehen,daß die Parteien, die bestimmte Losungen auswendig lernten und sich ausdiesen Losungen einen Fetisch machten, auf Seiten der Kleinbourgeoisie

landeten, während die Masse der Werktätigen und Ausgebeuteten, dieMasse der A rbeiter, Soldaten und Bauern den Frieden nicht ablehnte.

Und jetzt, wo man uns zugleich mit der Kritik dieses Friedensstand-punkts weismachen will, daß angeblich die müden deklassierten Massenden Frieden durchgesetzt hätten, wo wir klar sehen, daß gerade die de-klassierte Intelligenz gegen den Frieden war, wo man uns eine Einschät-zung der Ereignisse gibt, die ich in den Zeitungen lese — zeigt uns dieseTatsache, daß die Mehrheit unserer Partei in der Frage des Friedens-schlusses absolut recht hatte, als wir dennoch Frieden schlössen, obgleich

man uns sagte, die Sache sei nicht der Mühe wert, alle Imperialisten hättensich bereits gegen uns zusammengeschlossen, sie würden uns sowieso er-drosseln, uns in Schande bringen usw. Sie hielten ihn nicht nur für eineSchande, sie halten ihn für nutzlos. Man sagte uns, wir würden keineAtempause bekommen. U nd als wir antworteten: M an kann nicht wissen,wie sich die internationalen Beziehungen gestalten werden, wir wissenjedoch, daß die imperialistischen Feinde sich untereinander raufen — dahaben die Ereignisse das bestätigt, und die Gruppe der linken Kommurnisten, unserer ideellen und prinzipiellen Gegner, die im großen und gan-

zen auf dem Standpunkt des Kommunismus stehen, hat das zugegeben.Dieser eine Satz ist eine völlige Anerkennung der Richtigkeit unsererTaktik und die vollständigste Verurteilung jener Schwankungen in derFriedensfrage, die einen bestimm ten Flügel unserer A nhänger am meistenvon uns abgestoßen haben, sowohl den ganzen Flügel, der sich in der Par-tei der linken Sozialrevolutionäre gruppiert hat, als auch den Flügel, derin unserer Partei war, noch ist und, man kann sicherlich sagen, mit ihrzusammenbleiben wird, und der bei seinen Schwankungen besonders

19 Lenin, W erke, Bd. 27

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280 W. 1 £enin

anschaulich den Ursprung dieser Schwankungen offenbart. Jawohl, der

Frieden, den wir erreicht haben, ist in höchstem Maße unbeständig, dieAtempause, die wir bekommen haben, kann jeden Tag sowohl vom We-sten als auch vom Osten her zunichte gemacht werden — daran kann nichtgezweifelt werden; unsere internationale Stellung ist so kritisch, daß wiralle Kräfte anstrengen müssen, um uns möglichst lange zu halten, bis diewestliche Revolution heranreift, die viel langsamer heranreift, als wir daserwartet und gewünscht haben, aber ohne Zweifel heran reift; sie sammeltzweifelsohne immer mehr Brennstoff an und greift auf immer mehr Brenn-stoff über.

Wenn wir, als einzelner Trupp des Weltproletariats, als erste vorge-rückt sind, so nicht deshalb, weil dieser Trupp stärker organisiert wäre.Nein, er ist schlechter, schwächer, weniger organisiert als andere, es wärejedoch die größte Albernheit und Pedanterie, so zu urteilen, wie viele:nun ja, wenn der am besten organisierte Trupp das W erk begonnen hätte,ihm der weniger organisierte Trupp und dann der drittbeste Trupp gefolgtwären, dann wären wir alle bereitwillig Mithelfer der sozialistischen Revo-lution. Da es aber nun einmal nicht so gegangen ist, wie es im Buch steht,da sich herausgestellt hat, daß der führende Trupp nicht von den andern

Trupps unterstützt wurde, so sei unsere Revolution zum Untergang ver-urteilt. Wir aber sagen: Nein, unsere Aufgabe ist es, die gesamte Orga-nisation zu ändern, unsere Aufgabe besteht, da wir allein sind, darin, dieRevolution zu behaupten, ihr wenigstens eine gewisse Festung des Sozia-lismus zu sichern, wie schwach und wenig ausgedehnt sie auch sein mag,bis die Revolution in den anderen Ländern heranreift, bis die anderenTrupps eintreffen. Wer aber von der Geschichte erwartet, daß sie diesozialistischen Trupps der verschiedenen Länder in strenger Aufeinander-folge und Planmäßigkeit in Bewegung setzt, der hat keine Ahnung von

der Revolution, oder aber er lehnt es aus Dummheit ab, die sozialistischeRevolution zu unterstützen.

In dem Augenblick, wo wir uns klargemacht und bewiesen haben, daßwir in Rußland eine feste Position besitzen und daß wir gegen den inter-nationalen Imperialismus keine Kraft haben, ist unsere Aufgabe nur eine,unsere Taktik ist die Taktik des Lavierens, des Abwartens und des Zu-rückweichens. Ich weiß sehr wohl, daß diese Worte nicht auf Popularitätrechnen können, und wenn man sie entsprechend verdreht und mit dem

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7agung des Qesamtrussisdhen Zenträlexekutivkomitees 281

Wort „Koalition" in Verbindung bringt, so öffnet das Tür und Tor für

pikante Vergleiche, für alle möglichen Vorwürfe und für alle möglichenSpötteleien, aber wie sehr auch unsere Feinde — die Bourgeois — vonrechts, und unsere gestrigen Freunde von links, die linken Sozialrevolutio-näre, und unsere — ich bin überzeugt, gestrigen, heutigen und morgigenFreunde, die linken Kommunisten, die Pfeile ihres Witzes dagegen rich-ten und welche Beweise für ihre kleinbürgerlichen Schwankungen sie auchbeibringen mögen, diese Tatsachen können sie nicht widerlegen. Die Er-eignisse haben uns recht gegeben, wir haben eine Atempause nu r deshalbbekommen, weil im Westen das imperialistische Gemetzel weitergeht,

wäh rend im Fernen Osten die imperialistische Rivalität immer stärker ent-brennt — nur dadurch erklärt sich die Existenz der Sowjetrepublik, einevorläufig noch sehr schwache Leine, an der wir uns in diesem politischenAugenblick festhalten. Gewiß, uns wird nicht ein Papierchen, nicht derFriedensvertrag schützen, und auch nicht der Umstand, daß wir keinenKrieg mit Japan führen wollen; es stimmt, daß Japan ohne Rücksicht aufirgendwelche Verträge oder Formalitäten plündert — uns wird natürlichkein papierner Vertrag oder „Friedenszustand" schützen —, uns wird derfortdauernde Kampf zwischen den Imperialisten schützen und unsere Aus-

dauer, wenn wir vom Gesichtspunkt der internationalen Revolution im-stande sein werden , wenn wir die wichtigste marxistische Lehre nicht ver-gessen haben, die durch die russische Revolution so anschaulich bestätigtworden ist: man muß die Kräfte von Dutzenden Millionen in Rechnungstellen; weniger gilt in der Politik nicht, weniger wirft die Politik beiseite,als eine Größe, die ohne jede Bedeutung ist. Wenn wir von dieser Seitedie internationale Revolution betrachten, so ist die Sache sonnenklar: einrückständiges Land kann leicht den Anfang machen, weil sein Feind zer-setzt, weil seine Bourgeoisie unorganisiert ist, um aber das Werk fort-

zusetzen, braucht man hunderttausendmal mehr Umsicht, Vorsicht undAusdauer. In Westeuropa wird das anders sein, dort ist es unermeßlichviel schwieriger, den Anfang zu machen, dort ist es unermeßlich viel leich-ter, weiter voranzukommen. Das kann auch nicht anders sein, weil dortdas Proletariat unermeßlich viel organisierter und geschlossener ist. So-lange wir allein dastehen, müssen wir uns bei Einschätzung der Kräftesagen: Wir haben eine einzige Chance, solange die europäische Revolutionnoch nicht ausgebrochen ist, die uns von allen Schwierigkeiten befreien

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282 W. 1. £enin

wird, unsere einzige Chance ist die Fortdauer des Kampfes der internatior

nalen imperialistischen Riesen; diese Chance haben wir richtig wahrge-nomm en, wir haben diese Chance für ein paar Wochen festgehalten, abersie kann morgen vorbei sein. Daher die Schlußfolgerung: In unsererAußenpolitik müssen wir fortsetzen, was wir im März begonnen habenund was sich formulieren läßt mit den Worten: lavieren, zurückweichen,abwarten. W enn in diesem linken „Komm unist" die W or te „aktive Außen-politik" vorkommen, wenn man dort den Ausdruck Verteidigung dessozialistischen Vaterlands in Anführungszeichen setzt, d ie ironisch gemeintsind, dann sage ich mir: Diese Leute haben von der Lage des westlichen

Proletariats rein gar nichts begriffen. Wenn sie sich linke Kommunistennennen, so gleiten sie auf den Standpunkt der schwankenden Kleinbour-geoisie hinab, die in der Revolution die Sicherung einer bestimmten Artvon Ordnung sieht. Die internationale Konstellation zeigt sonnenklar:wer als Russe auf den Gedanken käme, sich, von den russischen Kräftenausgehend, den Sturz des internationalen Imperialismus als Aufgabe zustellen, der wäre ein Mensch, der den Verstand verloren ha t. Solange aberdort, im W esten , die Revolution erst heranreift, wenn sie jetzt auch schnel-ler heranreift als gestern, ist unsere Aufgabe nur folgende: Wir, ein

Trupp, der trotz unserer Schwäche an die Spitze gerückt ist, müssen allestun, jede Chance ausnutzen, um die eroberten Positionen zu halten. Alleübrigen Erwägungen müssen dem untergeordne t we rden : die Chance voll-ständig ausnutzen, damit wir den Augenblick, wo der internationale Impe-rialismus sich gegen uns zusammenschließt, um ein paar Wochen hinaus-schieben. Wenn wir so handeln, dann werden wir einen Weg gehen, denjeder klassenbewußte A rbeiter in den europäischen Ländern billigen wird ,denn er weiß, daß das, was wir erst seit 1905 gelernt haben und wasFrankreich und England im Laufe von Jahrhunderten gelernt haben — erweiß, wie langsam die Revolution in der freien Gesellschaft der vereinig-ten Bourgeoisie heranreift, er weiß, daß man solchen Kräften ein Agita-tionsbüro entgegenstellen muß, das Propaganda im wahren Sinne desWortes treiben wird, wenn wir Schulter an Schulter mit dem aufstän-dischen deutschen, französischen und englischen Proletariat stehen wer-den. Bis dahin, wie betrüblich das auch sein mag, wie sehr das auch denrevolutionären Traditionen zuwider sein mag, kann es nur eine einzigeTaktik geben: abwarten, lavieren und zurückweichen.

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Jagung des Qesamtrussisöhen Zentralexekutivkomitees 283

Und wenn man sagt, wir hätten keine internationale Außenpolitik, so

sage ich: Jede andere Politik irrt bewußt oder unbewußt dazu ab, eineprovokatorische Rolle zu spielen und Rußland zum W erkzeug eines Bünd-nisses mit den Imperialisten ä la Tschchenkeli oder ä la Semjonow zumachen.

Und wir sagen: Lieber unendlich viel schwerere nationale und staat-liche Erniedrigungen und Drangsale erleben, erdulden und tragen, aberauf seinem Posten bleiben als ein sozialistischer Trupp, der durch die Er-eignisse von den Reihen der sozialistischen Armee getrennt wurde undabzuwarten gezwungen ist,bis die sozialistische Revolution in den anderen

Ländern ihm zu Hilfe eilt. Und sie kommt uns zu Hilfe. Langsam, abersie kommt. Und der Krieg, der sich jetzt im W esten abspielt, revolutioniertdie Massen mehr als früher und bringt die Stunde des Aufstands näher.

Die Propaganda, die bisher getrieben wurde, besagte, daß der impe-rialistische Krieg ein durch und durch verbrecherischer und reaktionärerKrieg ist, der um Eroberungen willen geführt wird. Jetz t aber bestätigt essich, daß an der Westfront, wo Hunderttausende und Millionen franzö-sischer und deutscher Soldaten sich gegenseitig niedermetzeln — daß dortdas Heranreifen der Revolution rascher als früher vor sich gehen muß,

obwohl diese Revolution langsamer kommt, als wir e rwartet haben.Ich bin auf die Frage der Außenpolitik ausführlicher eingegangen, als

ich beabsichtigte, aber hier sehen wir, wie mir scheint, anschaulich, daßwir im Grunde genommen in der Frage der Außenpolitik zwei Haupt-linien vor uns haben — die proletarische Linie, die besagt, daß die sozia-listische Revolution für uns das W ertvollste und Höchste ist und daß manabschätzen muß, ob sie im Westen bald ausbrechen wird, und die andereLinie — die bürgerliche Linie, die besagt, daß ihr die staatliche Großmacht-stellung und die nationale Unabhängigkeit am teuersten ist und übe r alles

geht.In den Fragen der Innenpolitik sehen wir das gleiche bei der Gruppe

der linken Kommunisten, die die Hauptargumente wiederholen, welcheaus dem Lager der Bourgeoisie gegen uns gerichtet werden. Ein Beispiel:Das Hauptargument der Gruppe der linken Kommunisten gegen unsist, es sei eine rechtsbolschewistische Abweichung zu bemerken, die dieRevolution in die Gefahr bringt, den Weg des Staatskapitalismus ein-zuschlagen.

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284 W. J. Lenin

Evolution zum Staatskapitalismus — das ist das Übel, das ist der Feind,

gegen den zu kämpfen man uns auffordert.Und wenn ich diese Hinweise auf solche Feinde in der Zeitung der

linken Kommunisten lese, so frage ich: Was ist mit diesen Leuten ge-schehen, wie können sie über einzelnen Stellen aus Büchern die Wirklich-keit vergessen? Die Wirklichkeit besagt, daß der Staatskapitalismus füruns ein Schritt vorwärts wäre. Könnten wir in Rußland binnen kurzerZeit denStaatskapitalismus verwirklichen, so wäre das ein Sieg. Wie konn-ten sie nicht sehen, daß der kleine Eigentümer, das kleine Kapital unserFeind ist? Wie konnten sie im Staatskapitalismus den Hauptfeind sehen?

Beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus dürfen sie nicht ver-gessen, daß unser Hauptfeind die Kleinbourgeoisie ist, ihre Gepflogen-heiten, ihre Sitten, ihre ökonomische Stellung. Vor allem fürchtet derKleineigentümer den Staatskapitalismus, weil er einen einzigen Wunschha t: erraffen, recht viel einstecken, die Gutsbesitzer, die großen Ausbeuterruinieren und erledigen. Und dabei unterstützt uns der Kleineigentümergern.

Hier ist er revolutionärer als die Arbeiter, denn er ist erbitterter, em-pörter, weil er gestern aus dem schlimmsten Zustand herausgekommen ist

und deshalb gern dazu bereit ist, die Bourgeoisie zu erledigen, aber nichtwie ein Sozialist, nicht um — nachdem der Widerstand der Bourgeoisie ge-brochen ist—mit dem Aufbau einer sozialistischen Wirtschaft zu beginnennach den Prinzipien fester Arbeitsdisziplin, im Rahmen einer strengenOrganisation, unter der Bedingung richtiger Kontrolle und Rechnungs-führung, sondern um recht viel für sich zu erraffen, um für sich und seineZiele die Früchte des Sieges auszunutzen, ohne sich im geringsten zu inter-essieren für die gesamtstaatlichen Interessen und für die Interessen derKlasse der Werktätigen überhaupt.

Was bedeutet Staatskapitalismus unter der Sowjetmacht? Gegenwärtigden Staatskapitalismus verwirklichen hieße: jene Rechnungsführung undKontrolle einführen, die die kapitalistischen Klassen durchgesetzt haben.Ein Muster des Staatskapitalismus haben w ir in Deutschland. Wir wissen,daß Deutschland höher steht als wir. Wenn Sie aber nur ein wenig dar-über nachdenken, was in Rußland, in Sowjetrußland, die Schaffung derGrundlagen eines solchen Staatskapitalismus bedeuten würde, so wirdjeder, der nicht den Verstand verloren und sich nicht den Kopf vollge-

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Jagung des Qesamtrussisdhen Zentralexekutivkomitees 285

stopft hat mit Bruchstücken von Bücherwahrheiten, sagen müssen, daß der

Staatskapitalismus für uns eine Rettung wäre.Ich sagte, daß der Staatskapitalismus die Rettung für uns wäre; hättenwir ihn in Rußland, dann wäre der Übergang zum vollständigen Sozialis-mus leicht, dann hätten wir ihn mit Händen greifbar, weil der Staats-kapitalismus etwas Zentralisiertes, Durchgerechnetes, Kontrolliertes undVergesellschaftetes ist, und gerade das fehlt uns ja. U ns droh t die elemen-tarische Flut des kleinbürgerlichen Schlendrians, die in der geschichtlichenEntwicklung Rußlands und in seiner Wirtschaft den besten Nährbodenhatte und die uns gerade diesen Schritt, von dem der Erfolg des Sozialis-

mus abhängt, nicht tun läßt. Ich erlaube mir, Sie daran zu erinnern, daßich meine Worte vom Staatskapitalismus einige Zeit vor dem Umsturzschrieb, und es ist ein blühender Unsinn, uns mit dem Staatskapitalismuszu schrecken. Ich erinnere an das, was ich damals in meiner Broschüre„Die drohende Katastrophe"* schrieb... (L ie st. )

Das schrieb ich über den revolutionär-demokratischen Staat, den StaatKerenskis, Tschernows, Zeretelis, Kischkins und Konsorten, gegen denStaat, der auf bürgerlichem Boden stand, diesen nicht verließ und auchnicht verlassen konnte,- ich sagte damals, daß der Staatskapitalismus ein

Schritt zum Sozialismus is t; ich schrieb das im September 1917, und jetzt,im April 1918, nachdem das Proletariat im Oktober die Macht ergriffenund seine Fähigkeit bewiesen hat — viele Fabriken und W erke sind kon-fisziert, viele Unternehmungen und Banken nationalisiert, der militärischeWiderstand der Bourgeoisie und der Widerstand der Saboteure ist ge-brochen —, wenn man uns jetzt mit dem Kapitalismus schreckt, so ist daseine so lächerliche, eine so erzdumme Ungereimtheit und Erfindung, daßman sich verwundert fragt: wie konnten Menschen dazu kommen? Siehaben die Kleinigkeit vergessen, daß wir in Rußland eine Masse Klein-

bürger haben, die mit der Vernichtung der Großbourgeoisie aller Ländersympathisiert, aber nicht für die Rechnungsführung, die Vergesellschaf-tung und Kontrolle zu haben ist. Darin liegt die Gefahr für die Revo-lution, hier ist die Einheit der sozialen Kräfte, die die große französischeRevolution zugrunde gerichtet hat und zugrunde richten mußte, und dieallein die russische Revolution zugrunde richten kann, wenn das russischeProletariat sich schwach erweist. Die Kleinbourgeoisie durchtränkt, wie

* Siehe Werke, 4. Ausgabe, Bd. 25, S. 295—339, russ. Die Red.

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286 W . 1. Lenin

wir sehen, die gesamte gesellschaftliche Atmosphäre mit Kiemeigentümer-

tendenzen — mit Bestrebungen, die man schlicht so formulieren kann:Ich habe dem Reichen was genommen, die andern aber gehen michnichts an.

Darin besteht die Hauptgefahr. Wenn die Kleinbürger anderen Klas-senelementen untergeordnet wären, dem Staatskapitalismus untergeordnetwären, dann müßte der klassenbewußte Arbeiter das von ganzem Herzenwillkommen heißen, weil der Staatskapitalismus unter der DemokratieKerenskis ein Schritt zum Sozialismus gewesen wäre, unter der Sowjet-macht aber drei Viertel des Sozialismus wäre — denn wer Organisator

staatskapitalistischer Betriebe ist, den kann man zu seinem Gehilfenmachen. Die linken Kommunisten aber stehen dazu ganz anders, sie neh-men eine geringschätzige Haltung ein, und als wir am 4. April die ersteBeratung mit den linken Kommunisten abhielten, die übrigens bewies, daßdiese Frage, die eine lange Geschichte hat und lange diskutiert worden ist,bereits der Vergangenheit angehört, da sagte ich, daß wir, wenn wir un-sere Aufgaben richtig verstehen, bei den Organisatoren der T rusts Sozia-lismus lernen müssen.

Diese Worte haben die linken Kommunisten furchtbar empört, und

einer von ihnen — Gen. Ossinski — schrieb eigens einen ganzen Artikel,um diese Wo rte zu schmähen. Darauf läuft das Wesen seiner Argumentehinaus. — Wir wollen sie ja nicht belehren, sondern bei ihnen lernen. —

Wir „rechten" Bolschewiki, wir wollen bei den Organisatoren der Trustslernen, aber die wirklichen, linken Kommunisten wollen lehren. — Undwas wollt ihr sie lehren? Vielleicht den Sozialismus? — Diesen Pfeffer-säcken, diesen Geschäftemachern wollt ihr Sozialismus beibringen? (B ei-fall.) Nein, gebt euch damit ab, wenn ihr wollt, wir aber werden euchdabei nicht helfen, das ist ein vergebliches Unterfangen. — Diesen Inge-

nieuren, Geschäftemachern und Pfeffersäcken haben wir nichts beizubrin-gen. — Es ist zwecklos, ihnen den Sozialismus beibringen zu wollen. —

Wenn wir eine bürgerliche Revolution hätten, dann hätten wir bei ihnennichts zu lernen — es sei denn, wie man nimmt, was man kriegen kann,und damit basta, weiter gibt es da nichts zu lernen. — Nein, das ist nochkeine sozialistische Revolution. — Das ist das, was wir in Frankreich 1793hatten, das ist etwas, wo es noch keinen Sozialismus gibt, das ist vielmehrnur die Einleitung zum Sozialismus.

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Tagung des Qesamtrussisdben Zentralexekutivkomttees 287

Die Gutsbesitzer müssen gestürzt, die Bourgeoisie muß gestürzt wer-

den, und millionenmal werden die Bolschewiki vor der Geschichte rechthaben, werden alle Handlungen der Bolschewiki, wird ihr ganzer Kampf,ihre Gewaltanwendung gegen die Gutsbesitzer und Kapitalisten, die Ex-propriation, die gewaltsame Unterdrückung ihres Widerstands gerecht-fertigt werden. Im großen und ganzen war das eine gewaltige historischeAufgabe, aber es war nur der erste Schritt. Hier geht es darum, zu wel-chem Zweck wir sie unterdrückt haben; etwa um zu sagen, daß wir jetzt,nachdem wir sie endgültig untergekriegt haben, uns vor ihrem Kapitalis-mus verbeugen werden? Nein, jetzt werden wir bei ihnen lernen, weil es

uns an Kenntnissen mangelt, weil wir diese Kenntnisse nicht haben. Kennt-nis des Sozialismus haben wir, aber die Kenntnis der Organisation imMillionenmaßstab, die Kenntnis der Organisation und der Verteilung derProdukte usw. — die haben wir nicht. Das haben uns die alten bolsche-wistischen Führer nicht gelehrt. Dessen kann sich die Partei der Bolsche-wiki in ihrer Geschichte nicht rühmen. Diese Schule haben wir noch nichtdurchgemacht. Und wir sagen: Mag einer auch ein Erzgauner sein, wenner aber einen Trust organisiert hat, wenn er ein Kaufmann ist, der mitder Organisierung der Produktion und der Verteilung für Millionen undaber Millionen zu tun hatte, wenn er Erfahrungen gesammelt hat — somüssen wir bei ihm lernen. Wenn wir das nicht von ihnen lernen, so wer-den wir keinen Sozialismus bekommen, dann wird die Revolution auf derStufe stehenbleiben, die sie erreicht hat. Nur die Entwicklung des Staats-kapitalismus, nur die sorgfältige Organisierung der Rechnungsführungund Kontrolle, nur die strengste Organisation und Arbeitsdisziplin wer-den uns zum Sozialismus bringen. Ohne das ist kein Sozialismus möglich.(Bei fa l l . )

Es hat keinen Sinn, uns an die lächerliche Aufgabe zu machen, die

Organisatoren von Trusts zu belehren — die braucht man nicht zu be-lehren. Wir müssen sie expropriieren. Das kriegen wir schon fertig. Dasist absolut nicht schwer. (Beifall.) Das haben wir zur Genüge gezeigtund bewiesen.

U nd jeder Arbeiterdelegation, mit der ich zu tun hatte, wenn sie zu mirkam und sich darüber beschwerte, daß eine Fabrik stillgelegt wird, sagteich: Wollt ihr, daß eure Fabrik konfisziert werde? Gut, Vordrucke fürDekrete sind da, wir können sie sofort unterschreiben. (Beifall.) Aber

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288 W. J. Lenin

sagt: habt ihr es verstanden, die Produktion in eure Hände zu nehmen,

habt ihr ausgerechnet, was ihr produziert, kennt ihr den Zusammenhangzwischen eurer Produktion und dem russischen und dem internationalenMarkt? Und hier zeigt sich, daß sie das noch nicht gelernt hatten, daß inden bolschewistischen Büchern noch nichts darüber geschrieben steht, undauch in den menschewistischen Büchern wird nichts darüber gesagt.

Am besten steht die Sache bei den Arbeitern, die diesen S taatskapitalis-mus durchführen: bei den Lederarbeitern, im Textilfach, in der Zucker-produktion, weil sie mit der Nüchternheit des Proletariers ihre Produk-tion kennen und sie erhalten und erweitern wollen — weil gerade daraus

am meisten Sozialismus erwächst. Sie sagen: Ich werde jetzt noch nichtmit einer solchen Aufgabe fertig, ich werde Kapitalisten hinsetzen, ihnenein Drittel der Posten einräumen und bei ihnen lernen. Und wenn ich beiden linken Kommunisten die ironischen Worte lese: es steht noch nichtfest, wer wen ausnutzen wird, so erscheint mir ihre Kurzsichtigkeit selt-sam. Gewiß, wenn wir nach Ergreifung der Macht im Oktober und nachdem Siegeszug gegen die gesamte Bourgeoisie von Oktober bis April daranzweifeln können, wer wen ausnutzen wird — der Arbeiter die Organi-satoren der T rusts oder die Geschäftemacher und Gauner die Arbeiter —,

wenn dem so wäre, dann müßten wir unsere Sachen packen, uns nachHause scheren und den Miljukow und Martow Platz machen. Aber demist nicht so. Der klassenbewußte Arbeiter wird nicht daran glauben, undlächerlich ist die Furcht der Kleinbourgeoisie; sie wissen, daß der Sozia-lismus dort anfängt, wo die Produktion in größerem Maßstab beginnt,daß die Kaufleute und Geschäftemacher diese Sache auf Grund ihrereigenen Erfahrungen erlernt haben.

Und wir sagten: Nur diese materiellen Bedingungen, die Bedingungender maschinellen Großindustrie gigantischer Unternehmungen, die für

Du tzende Millionen arbeiten, nu r sie sind die Grundlage des Sozialismus,und diese Sache in einem kleinbürgerlichen, bäuerlichen Land zu erlernenist schwer, aber möglich. Die Revolution wird um den Preis des Bürger-kriegs kommen, aber sie ist um so schwieriger, je zivilisierter, je entwik-kelter ein Staat ist; in Deutschland herrscht der Staatskapitalismus, unddeshalb wird die Revolution in Deutschland hundertmal ruinierenderund verheerender sein als in einem kleinbürgerlichen Land — auch dortwird es gigantische Schwierigkeiten, ein ungeheures Chaos und Unausge-

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Tagung des Qesamtrussisdien Zentralexekutivkomitees 289

glichenheit geben. Deshalb sehe ich auch nicht den geringsten Grund für

Verzweiflung und Kleinmut darin, daß die russische Revolution zuerst dieleichte Aufgabe gelöst hat, den Gutsbesitzer und die Bourgeoisie zu stür-zen, und jetzt vor der schwierigeren, der sozialistischen Aufgabe steht:eine vom gesamten Volk ausgeübte Rechnungsführung und Kontrolle zuorganisieren, jener Aufgabe, mit der der wirkliche Sozialismus anfängt,einer Aufgabe, für die die Mehrheit der Arbeiter und aufgeklärten W erk-tätigen eintritt. Jawohl, die Mehrheit der Arbeiter, die besser organisiertist und die Schule der Gewerkschaften durchgemacht hat: sie steht ganzbei uns.

Die Fragen, die die Herrschaften aus dem „Wperjod" mit ihrem Spottbeiseite zu schieben suchen, die Fragen des Stücklohns und des Taylor-systems, hat diese Mehrheit schon früher als wir in den Gewerkschafts-räten gestellt, noch bevor die Sowjetmacht mit ihren Sowjets kam — siehaben dam it begonnen, Norm en der Arbeitsdisziplin auszuarbeiten. DieseMenschen haben gezeigt, daß sie in ihrer proletarischen Bescheidenheitdie Verhältnisse der Fabrikarbeit kennen, sie haben das Wesen des Sozia-lismus besser erfaßt als diejenigen, die mit revolutionären Phrasen um sichwarfen, praktisch aber bew ußt oder unbewußt hinabsanken auf das Niveauder Kleinbourgeoisie, die den Standpunkt vertrat: den Reichen muß manzum Teufel jagen, aber sich der Rechnungsführung und Kontrolle einerOrganisation zu unterwerfen liegt nicht in ihrem Interesse; das ist fürKleineigentümer überflüssig, das brauchen sie nicht — aber gerade darinliegt ja die Bürgschaft für die Dauerhaftigkeit und den Sieg unserer Re-volution.

Genossen, ich will nicht auf weitere Einzelheiten und Zitate aus derZeitung „Lewy Kommunist" eingehen, möchte aber in ein paar Wortensagen: Es ist zum Heu len, wenn M enschen sich so weit verstiegen haben,daß sie die Einführung der Arbeitsdisziplin als einen Rückschritt bezeich-nen — und ich muß sagen, daß ich darin etwas so unerhört Reaktionäressehe, eine solche Gefahr für die Revolution, daß ich, wenn ich nicht wüßte,daß es eine einflußlose Gruppe ist, die so redet, und daß das in jeder be-liebigen Versammlung klassenbewußter Arbeiter widerlegt werden wird,sagen würde: die russische Revolution ist verloren.

Die linken Kommunisten schreiben: „Die Einführung der Arbeitsdiszi-plin in Verbindung mit der W iedereinsetzung von Kapitalisten in die Lei-

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tung der Produktion kann die Arbeitsproduktivität nicht wesentlich stei-

gern, sie wird dagegen die klassenmäßige Selbständigkeit, Aktivität undOrganisiertheit des Proletariats verringern. Sie droht die Arbeiterklassezu versklaven..." Das ist nicht wahr; wenn dem so wäre, dann würdeunsere russische Revolution mit ihren sozialistischen Aufgaben, ihremsozialistischen Wesen vor dem Zusammenbruch stehen. Aber das ist nichtwahr. Es ist die deklassierte kleinbürgerliche Intelligenz, die nicht begreift,daß für den Sozialismus die Hauptschwierigkeit in der Sicherung derArbeitsdisziplin besteht; darüber haben die Sozialisten längst geschrieben,darüber haben die Sozialisten in ferner Vergangenheit am meisten nach-

gedacht, diese Frage haben sie mit größter Sorgfalt analysiert. Sie verstan-den, daß hier für die sozialistische Revolution die wirklichen Schwierig-keiten beginnen. Es hat auch bisher wiederholt Revolutionen gegeben, dieerbarmungslos die Bourgeoisie stürzten, nicht weniger energisch als wir;als wir aber so weit kamen, daß wir die Sowjetmacht schufen, da zeigtenwir damit, daß wir den praktischen Übergang von der ökonomischen Be-freiung zur selbstauferlegten Arbeitsdisziplin vollziehen, daß unser Staatein Staat ist, der wirklich der Staat der Arbeit sein muß. Wenn man unssagt, daß man die Diktatur des Proletariats in Worten anerkennt, prak-tisch aber Phrasen zusammenschreibt, so zeigt das eigentlich, daß man vonder Diktatur des Proletariats keine Ahnung hat; denn das bedeutet kei-neswegs bloß den Sturz der Bourgeoisie oder den Sturz der Gutsbesitzer —

das hat es in allen Revolutionen gegeben —, unsere Diktatur des Prole-tariats bedeutet die Sicherung der Ordnung, der Disziplin, der Arbeits-produktivität, der Rechnungsführung und Kontrolle, der proletarischenSowjetmacht, die fester und standhafter ist als die frühere. Das ist es, wasihr nicht fertigbringt, das ist es, was wir nicht gelehrt haben, das ist es, wasdie Arbeiter brauchen, eben deshalb ist es gut, ihnen einen Spiegel vor-zuhalten, worin alle diese Mängel deutlich sichtbar sind. Ich halte das füreine nützliche Aufgabe, denn sie wird alle denkenden, alle aufgeklärtenArbeiter und Bauern zwingen, ihre Hauptkräfte hierauf zu konzentrieren.Jawohl, damit, daß wir die Gutsbesitzer und die Bourgeoisie stürzten,haben wir den Weg geebnet, aber noch nicht das Gebäude des Sozialismuserrichtet. Und auf dem von der einen Generation gesäuberten Boden tre-ten in der Geschichte stets neue Generationen auf, wenn der Boden nurträchtig ist, und er trägt Bourgeois in Hülle und Fülle. Und die, die den

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Sieg über die Kapitalisten so sehen, wie das die Kleineigentümer tun —

„die haben gerafft, nun laßt auch mich die Gelegenheit wahrnehm en" —,sind doch jeder die Quelle einer neuen Generation von Bourgeois. Wennman uns sagt, daß die Einführung der Arbeitsdisziplin in Verbindung m itder Wiedereinsetzung von Kapitalisten als Leiter eine Gefahr für dieRevolution sei, so sage ich: Diese Leute haben gerade den sozialistischenCharakter unserer Revolution nicht begriffen, sie wiederholen gerade das,was sie leicht mit der K leinbourgeoisie in ein Lager bringt, die die Diszi-plin, Organisation, Rechnungsführung und Kontrolle fürchtet wie derTeufel das Weihwasser.

Wenn sie sagen: Ihr schlagt hier doch vor, Kapitalisten bei uns alsLeiter einzusetzen, zusammen mit den proletarischen Leitern — jawohl,sie werden eingesetzt, weil sie in der Praxis der O rganisation über Kennt-nisse verfügen, die uns fehlen. Der klassenbewußte A rbeiter wird niemalseinen solchen Leiter fürchten, weil er weiß, daß die Sowjetmacht seinStaat ist, weil er weiß, daß er die Praxis der Organisation erlernen muß.

Wir haben unter dem Zaren Tausende und unter Kerenski Hundert-tausende organisiert. Das ist nichts, das zählt in der Politik nicht. Das wareine vorbereitende Arbeit, das war die Vorschule. Und solange die fort-

geschrittenen Arbeiter es nicht lernen w erden, D utzende von Millionen zuorganisieren, solange werden sie keine Sozialisten und keine Schöpfereiner sozialistischen Gesellschaft sein und nicht die notwendigen organisa-torischen Kenntnisse erlangen. Der Weg der Organisation ist ein langerWeg, und die Aufgaben des sozialistischen Aufbaus erfordern hartnäckige,langwierige Arbeit und entsprechende Kenntnisse, an denen es uns man-gelt. Auch die nächste kommende Generation, die weiter entwickelt seinwird, wird wohl kaum den völligen Übergang zum Sozialismus vollziehen.

Erinnern Sie sich, was die früheren Sozialisten über die kömmende so-

zialistische Revolution schrieben; es ist zu bezweifeln, daß man zum So-zialismus übergehen kann, ohne bei den Trustorganisatoren zu lernen,denn sie haben sich mit dieser Produktion in großem M aßstab beschäftigt.Wir brauchen sie nicht den Sozialismus zu lehren, wir müssen sie expro-priieren, müssen ihre Sabotage brechen. Diese beiden Aufgaben haben wirbewältigt. Wir müssen sie zwingen, sich der Arbeiterkontrolle zu unter-werfen. Und wenn unsere Kritiker aus den Reihen der linken Kommu-nisten uns den Vorwurf gemacht haben, daß wir mit unserer Taktik nicht

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zum Kommunismus führen, sondern zurückgehen, so sind ihre Vorwürfe

lächerlich; sie vergessen, daß wir mit der Rechnungsführung und Kontrolledeshalb zurückgeblieben sind, weil es sehr schwer war, diesen W iderstandzu brechen und die Bourgeoisie und ihre Techniker und ihre bürgerlichenFachleute in unseren Dienst zu stellen. Ihre K enntnisse, ihre Erfahrungenund ihre Arbeit aber brauchen wir, ohne sie ist es unmöglich, sich prak-tisch jene Kultur anzueignen, die durch die alten gesellschaftlichen Ver-hältnisse geschaffen worden und als materielle Basis des Sozialismus ge-blieben ist. Wenn die linken Kommunisten das nicht bemerkt haben, sodeshalb, weil sie das wirkliche Leben nicht sehen, sondern ihre Losungen

herleiten aus einer Gegenüberstellung des Staatskapitalismus und einesidealen Sozialismus. Wir aber müssen den Arbeitern sagen: Jawohl, dasist ein Schritt zurück, aber wir müssen uns helfen, ein Mittel zu  finden. Esgibt ein einziges Mitte l: organisiert euch bis auf den letzten M ann, organi-siert die Rechnungsführung über die Produktion, organisiert die Rech-nungsführung und K ontrolle über den Verbrauch und verfahrt so, daß wirnicht Hunderte Millionen Papiergeld drucken müssen und daß jeder Hun-dertrubelschein, der irgend jemand unrechtmäßig in die Hände fällt, wiederin die Staatskasse zurückkehre. Das bringt man durch keinerlei revolu-

tionäre Aufwallung, durch keinerlei endgültige Zerschlagung der Bour-geoisie fertig. Zu schaffen ist das nur durch Selbstdisziplin, nur durchOrganisierung des Schaffens der Arbeiter und der Bauern, nur durch Rech-nungsführung und Kontrolle. Das haben wir noch nicht, und dafür habenwir als Tribut ein höheres Gehalt bezahlt, als die kapitalistischen Organi-satoren gezahlt haben. Das haben wir nicht gelernt, müssen es abererlernen, das ist der Weg zum Sozialismus, der einzige Weg— den Arbei-tern praktische Kenntnisse in der Leitung riesiger Betriebe, in der Organi-sierung der Großproduktion und großangelegter V erteilung beizubringen.

Genossen, ich weiß sehr wohl, wie leicht es ist, von Rechnungsführung,von Kontrolle, Disziplin und Selbstdisziplin zu reden, wenn ein Menschdavon spricht, der eine bestimmte gesellschaftliche Stellung einnimmt.Aber wieviel Material für W itze kann man daraus schöpfen und erklären:Als eure Partei nicht an der M acht war, da versprach sie den Arbeitern einLand, darin Milch und Honig fließt, als aber diese Leute zur Macht ge-langten, da begann die übliche Wandlung: man fängt an von Rechnungs-führung, von D isziplin, von Selbstdisziplin, von K ontrolle usw. zu reden.

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Jagung des Qesamtrussisdhen Zentralexekutivkomitees 293

Ich weiß sehr wohl, was für ein dankbares Material das ist für Publizi-

sten vom Schlage Miljukows und M artow s.Ich weiß wohl, was für ein reichhaltiges Material das ist für Leute, diesich für Zeilenhonorar oder Effekte interessieren und geneigt sind, sichauch die geringsten Argumente zunutze zu machen, die aber unter denklassenbewußten Arbeitern wenig Sympathie finden.

In der Zeitung „Lewy Kommunist" fand ich die Rezension eines sohervorragenden Publizisten wie Bucharin über mein Büchlein95, und zwareine wohlwollende Rezension; aber alles, was wertvoll darin war, verlorfür mich jeden Wert, als ich die Rezension ganz zu Ende gelesen hatte; ich

sah, daß Bucharin das, was man sehen mußte, übersehen hat, und das ge-schah deshalb, weil er seine Rezension im April schrieb, aber zitierte, wasbereits für den April veraltet war, was dem Gestern angehört, nämlichdaß man den alten Staat zerschlagen muß; das haben wir bereits getan,das war die Aufgabe des gestrigen Tages, wir müssen ab er vorw ärtsschrei-ten und nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft blicken undeinen Kommunestaat schaffen; er schrieb von dem, was bereits in denSowjetorganisationen verkörpert ist, verschwieg aber, was die Rechnungs-führung, die Kontrolle und die Disziplin betrifft. Wie gleicht die Geistes-

verfassung dieser Menschen, wie gleicht ihre Mentalität den Stimmungender Kleinbourgeoisie: den Reichen zum Teufel jagen, eine Kontrolle aberbrau chtm an nicht. So sehen sie die Sache; das bezaube rt sie und das trenn tden klassenbewußten Proletarier von der Kleinbourgeoisie und sogar vonden extremsten Revolutionären; das ist es, wenn der Proletarier sagt:Organisieren wir uns, nehmen wir uns zusammen, sonst werden dieseKleineigentümer, von denen es Millionen gibt, uns aus dem Sattel werfen.

Hier-trennt sich der klassenbewußte Proletarier vom Kleinbürger, hierrückt die Revolution von der Kleinbourgeoisie ab. Und wie blind solche

Menschen sind, davon reden sie nicht.Ich erlaube mir, noch an einige meiner Zita te zu erinnern; ich habe ge-

sagt, daß die Menschen ohne Gewalt auskommen könn en, wenn sie es ge-wohnt sein werden, so zu han deln; natürlich kann eine solche Gew ohnheitnur das Ergebnis einer langen Erziehung sein.

Wenn die linken Kommunisten das hören, dann fassen sie sich an denKopf und sagen: wieso haben wir das nicht bemerkt? Bucharin, weshalbhaben Sie das nicht kritisiert? Wir haben unsere Stärke gezeigt bei der

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294 "W. 1. £enin

Niederwerfung der Gutsbesitzer und der Bourgeoisie, und jetzt müssen

wir unsere Stärke zeigen in der Selbstdisziplin und Organisation, weil dasaus den vergangenen tausendjährigen Erfahrungen bekannt ist, und manmuß dem Volke sagen, daß nur darin die Stärke unserer Sowjetmacht,unserer Diktatur, unserer proletarischen Autorität liegt. Die Kleinbürgeraber verstecken sich vor dieser Wahrheit hinter dem Schild revolutionärerPhraseologie.

Man muß seine Kraft zeigen. Jawohl, die Kleinbesitzer, die Kleineigen-tümer sind bereit, uns Proletariern zu helfen, die Gutsbesitzer und Kapi-talisten zu stürzen. Sie mögen keine Organisation, keine Disziplin, sie sind

ihre Feinde. Und hier müssen wir gegen diese Eigentümer, gegen dieseKleinbesitzer den entschiedensten, schonungslosesten Kampf führen, einenKampf von anderem Maßstab, einen Kampf, der um so schwieriger ist,als er prinzipiell irrig zu sein scheint, obwohl erst hier der Sozialismusbeginnt.

Und wenn ich mich gegen Leute wende, die behaupten, Sozialisten zusein, und den Arbeitern versprechen, sie könnten haben, wieviel sie wollenund was sie wollen, so sage ich, daß der Kommunismus eine andere Ar-beitsproduktivität voraussetzt als die jetzige. Unsere Arbeitsproduktivität

ist zu niedrig, das ist eine Tatsache. Der Kapitalismus hinterläßt uns alsErbe, besonders in einem rückständigen Lande, eine Unmenge solcher Ge-wohnheiten, wonach alles, was dem Staat gehört, alles Gemeineigentumals etwas angesehen wird, was man böswillig beschädigen kann. DieseDenkweise der kleinbürgerlichen Masse spürt man auf Schritt und Tritt.Und auf diesem Gebiet ist der Kampf sehr schwierig. Nur das organisierteProletariat kann alles aushalten. Ich schrieb: „Bis die höhere Phase desKommunismus eingetreten sein wird, fordert der Sozialismus die strengsteKontrolle seitens der Gesellschaft und seitens des Staates" *.

Das habe ich vor dem O ktoberum sturz geschrieben und dabei bleibe ichauch jetzt.Jetzt ist die Zeit gekommen, wo wir, nach Niederwerfung der Bour-

geoisie, nach Brechung der Sabotage, die Möglichkeit erhalten haben, unsan dies Werk zu machen. Solange das nicht der Fall war, waren die Rot-gardisten die Helden des Tages und die Helden der Revolution, die ihrgroßes historisches Werk verrichteten. Sie ergriffen die Waffen gegen den

* Siehe Werke, 4. Ausgabe, Bd. 25, S. 441, russ. Die Red.

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O'agung des Qesamtrussisdhen Zentralexekutivkomtiees 295

Willen der besitzenden Klassen. Sie haben dieses gewaltige historische

Werk verrichtet. Sie ergriffen die Warren, um die Ausbeuter zu stürzenund ihr G ewehr in ein Werkzeug zum Schutz der Arbeiter zu verwandeln,um das Maß der Produktion und der Arbeit und das Maß des Verbrauchszu überwachen.

Wir haben das nicht erreicht, darin aber besteht der Angelpunkt unddie Grundlage des Sozialismus. Wenn jemandem eine solche Arbeit lang-weilig und uninteressant zu sein scheint, so den Vertretern der kleinbür-gerlichen Trägheit.

Wenn unsere Revolution hier stehenbliebe, dann würde sie nicht weni-

ger als die Revolution von 1793 in die Geschichte eingehen. Aber manwird uns sagen: das war im 18. Jahrhundert. Für das 18. Jahrhundert wardas genug, für das 20. Jahrhundert aber ist das zuwenig. Rechnungsfüh-rung und Kontrolle — das ist das Wichtigste, was zum richtigen Funktio-nieren der kommunistischen Gesellschaft erforderlich ist. So schrieb ichvor dem Oktoberumsturz.* Ich wiederhole, daß man dies Werk nicht inAngriff nehmen konnte, bevor die Alexejew, Kornilow, Kerenski nichtniedergeworfen waren. Jetzt ist der militärische Widerstand der Bour-geoisie gebrochen. Unsere Aufgabe ist: alle Saboteure unter unserer Kon-

trolle, unter der Kontrolle der Sowjetmacht zur Arbeit heranzuziehen,Verwaltungsorgane zu schaffen, damit die Rechnungsführung und Kon-trolle exakt funktioniere. Das Land geht zugrunde, weil nach dem Kriegedie elementarsten Bedingungen einer normalen Existenz fehlen. UnsereFeinde, die gegen uns marschieren, sind für uns nur deshalb gefährlich,weil wir die Rechnungsführung und K ontrolle noch nicht gemeistert haben.Wenn ich Hunderttausende von Klagen höre, wenn im Lande Hungerherrscht, wenn man sieht und weiß, daß diese Klagen berechtigt sind, daßwir G etreide haben, es aber nicht herbeischaffen können, wenn wir da bei

den linken Kom munisten auf Spott und W iderspruch gegen solche M aß-nahmen wie unser Dekret über die Eisenbahnen — sie haben es zweimalerwähnt — stoßen, so sind das Flausen.

In der Beratung mit den linken Kommunisten am 4 . April sagte ich:Legen Sie Ihren D ekretentwurf vor, Sie sind doch Bürger der Sowjetrepu-blik, Mitglieder sowjetischer Institutionen, Sie sind doch nicht Kritiker vonaußen, aus dem Hinterhalt, wie die bourgeoisen Geschäftemacher und

* Siehe ebenda, S. 444, rass. Die "Red.

20 Lenin, W erke, Bd. 27

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296 TV. 1. Lenin

Saboteure, die kritisieren, ,um ihre W ut auszulassen. Sie sind, ich wieder-

hole es, Leiter sowjetischer Organisationen; versuchen Sie, einen eigenenDekretentwurf vorzulegen. Sie können ihn nicht vorlegen und werden dasauch niemals tun, weil unser Eisenbahndekret richtig ist, weil das Dekret,da es die Diktatur einfährt, von den Massen und den aufgeklärten Eisen-bahnern mit Sympathie aufgenommen wird, aber bei denjenigen Verwal-tungsbeamten auf Opposition stößt, die ihre Taschen füllen und Schmier-gelder nehmen; weil alle diejenigen eine schwankende Haltung zu ihm ein-nehmen, die zwischen der Sowjetmacht und ihren Feinden schwanken —

das Proletariat aber, das in der Großproduktion Disziplin gelernt hat,

weiß, daß es keinen Sozialismus geben kann, solange nicht die Großpro-duktion organisiert sein und solange nicht eine noch strengere Disziplinherrschen wird. — Dieses Proletariat ist in der Eisenbahnerbewegung mituns; es wird in den Kampf ziehen gegen die Elementargewalt der Klein-besitzer und wird zeigen, daß die russische Revolution, die es verstellt,glänzende Siege zu erringen, es auch verstehen wird, ihre eigene Un-organisiertheit zu besiegen. Und unter den Losungen des 1. Mai wird esvom Standpunkt der Aufgaben des Augenblicks die Losung des ZK zuwürdigen wissen, die lautet: „Wir haben das Kapital besiegt, wir werden

auch unsere eigene Unorganisiertheit besiegen." Und erst dann werdenwir zum vollen Sieg des Sozialismus gelangen! (S t ü r m i s c h e r Be ifall.)

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Jagung des Qesamtrussisdhen Zentralexekutivkomitees 297

S C H L U S S W O R T Z U M . R E F E R A T

ÜBER DIE NÄCHSTEN AUFGABEN

Vor allen Dingen muß ich auf die Rede des G en. Bucharin eingehen: ichhabe bereits in der ersten Rede hervorgehoben, daß w ir zu neun Z ehntelnmit ihm einig sind, und deshalb halte ich die Tatsache für bedauerlich, daßwir zu einem Zehntel mit ihm auseinandergehen; er befindet sich zu einemZehntel in einer Lage, wo er die Hälfte seiner Rede dazu verwenden muß,entschieden von allen abzurücken, die für ihn aufgetreten sind. Und wiegroßartig auch seine Absichten und die seiner Gruppe sein mögen, dasFalsche ihrer Stellung wird gerade dadurch bewiesen, daß er immer Zeit

darauf verwenden muß, sich zu rechtfertigen, und darauf, sich bezüglichdes Staatskapitalismus abzugrenzen.Genosse Bucharin hat völlig unrecht; und ich werde darüber in der

Presse sprechen, weil diese Frage außerordentlich wichtig ist. Jetzt gleichwill ich ein paar W orte zu. dem Vorwurf sagen, den die linken Kommu-nisten uns machen, bei uns sei eine Abweichung zum Staatskapitalismus zubeobachten; gerade jetzt sagt Gen. Bucharin mit Unrecht, unter der So-wjetmacht könne es keinen Staatskapitalismus geben. Er widerspricht sichalso selbst, wenn er sagt, daß es unter der Sowjetmacht einen Staatskapi-

talismus nicht geben könne — das ist ein offenbarer Unsinn. Eine ganzeReihe von Betrieben und Werken, die unter der Kontrolle der Sowjet-macht stehen und dem Staat gehören — allein das zeigt schon den Über-gang vom Kapitalismus zum Sozialismus, und Gen. Bucharin will nichtkonkret darauf eingehen, sondern erinnert daran, wie wir in der Z immer-walder Linken96 saßen und gegen ihn schrieben. Aber das war zu OlimsZeiten, und jetzt daran zu erinnern, ein halbes Jahr nach der Entstehungder Sowjetmacht und nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben,

20 *

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298 W. 1 Lenin

machen konnten, nachdem wir expropriiert, konfisziert und nationalisiert

haben, nach alledem an das zu erinnern, was wir 1915 geschrieben haben—ist lächerlich... Jetzt können wir nicht umhin, die Frage des Staatskapi-talismus und des Sozialismus zu stellen, die Frage, wie wir in der Über-gangsepoche zu handeln haben — hier existieren unter der Sowjetmachtein Stück Kapitalismus und ein Stück Sozialismus nebeneinander. DieseFrage will Gen. Bucharin nicht begreifen, und mir scheint, daß w ir sie nichtauf einmal ausschalten können. Auch Gen. Bucharin schlägt das nicht vorund bestreitet nicht, daß dieser Staatskapitalismus höher steht als jenerÜberrest der kleinbesitzerlichen Stimmungen und ökonomischen Bedin-

gungen des Daseins und Lebens, die stark verwurzelt sind, was a.uch Gen.Bucharin nicht widerlegt hat — und man kann das auch nicht widerlegen,ohne das Wo rt M arxist vergessen zu haben.

Der Standpunkt von Ge, das Proletariat in Europa sei verseucht, pest-krank, das Proletariat in Deutschland verdorben, ist lächerlich.97 Ein sol-cher Standpunkt ist nationale Barbarei, ist derartiger Stumpfsinn, daß ich esmir schlimmer nicht vorstellen kann . Das Proletariat in Europa ist keines-wegs mehr verseucht als in Rußland, nur ist der Beginn der Revolution dortdeshalb schwieriger, weil do rt an der Spitze des Staates nicht solche Idioten

wie Romanow oder solche Prahlhänse wie Kerenski stehen, sondern ernstzu nehmende Leiter des Kapitalismus, was in Rußland nicht der Fall war.

Schließlich komme ich zu den H aupteinwänden, die von allen Seiten aufmeinen Artikel und meine Rede niederprasselten. Besonders schlecht weg-gekommen ist dabei die Losung „Raube das Geraubte", eine Losung, ander ich, wie sehr ich sie auch unter die Lupe nehme, nichts Unrichtiges findenkann, wenn die Geschichte auf den Plan tritt. Wenn wir die Worte „Ex-propriation der Expropriateure" gebrauchen, warum soll man dann nichtauch ohne lateinische W orte auskommen? (B ei fa ll .)

Und ich glaube, daß die Geschichte uns völlig recht geben wird. Abernoch bevor die Geschichte ihr W ort spricht, werden die werktätigen Mas-sen auf unsere Seite treten; wenn jedoch die Losung „Raube das Geraubte"ohne alle Einschränkungen in der Tätigkeit der Sowjets zur Geltung ge-kommen ist,und wenn sich erweist,daß wir in einer so praktischen und fun-damentalen Frage wie Hunger und Arbeitslosigkeit auf größte Schwierig-keiten stoßen, so ist es hier an der Zeit zu sagen, daß nach den Worten„Raube das G eraub te" die Divergenz beginnt zwischen der proletarischen

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ng des Qesamtrussisdhen Zentrakxekutivkomitees 299

Revolution, die sagt: Zähle das Geraubte zusammen, laß es nicht ver-

schleppen, wenn m an sich aber direkt oder indirekt daran vergreift, so laßsolche Disziplinbrecher erschießen...

Wenn man also dagegen zu schreien anfängt, wenn man lauthals er-klärt, das sei Diktatur, wenn man von Napoleon III., von Julius Cäsar zuzetern anfängt, wenn man sagt, daß das mangelnder Ernst der Arbeiter-klasse sei, wenn man Trotzki ank lagt, so haben w ir hier jenen W irrwarrin den Köpfen, jene politische Stimmung^ die gerade von dem kleinbürger-lichen Element ausgeht, das nicht gegen die Losung „Raube das G eraubte"protestiert ha t, sondern gegen die Losung: Zähle nach und verteile richtig.

Wir werden keine Hungersnot in Rußland haben, wenn wir das Getreidenachrechnen, wenn wir alle vorhandenen Warenmengen nachprüfen unddie Verletzung der festgesetzten Ordnung die strengste Strafe nach sichzieht. Das ist die Divergenz. Sie ist darauf zurückzuführen, daß nur dasProletariat ernstlich für die sozialistische Revolution eintritt, während dieKleinbourgeoisie schwankend zu ihr stößt, was wir immer gesehen, immerin Rechnung gestellt haben, und mit diesem Schwanken sind die Kleinbür-ger gegen uns. Uns wird das nicht wankelmütig machen, und wir werdenunseren Weg weitergehen in der Gewißheit, daß die Hälfte des Proleta-

riats uns folgen wird, weil die Proletarier sehr wohl wissen, wie die Fabri-kanten das Geraubte zusammengeraubt haben, damit es ja nicht die Armenbenutzen.

Alles das sind Jonglierkünste mit W orten: Diktatur, Napoleon III.,Julius Cäsar usw. Hier kann man einem in dieser Hinsicht Sand in dieAugen streuen, aber draußen im Lande, in jeder Fabrik, in jedem Dorfweiß man sehr wohl, daß wir in diesem Punkt zurückgeblieben sind, nie-mand w ird do rt diese Losung anfechten, jeder weiß, was sie bedeutet. Unddaß wir alle unsere Kräfte für die Organisierung des Rechnungswesens,

der Kontrolle und der richtigen Verteilung einsetzen werden, darüberkann ebenfalls kein Zweifel bestehen.

Bucharin sagte uns: „Ich grenze mich ab von denen, die mich küssen",aber ihrer sind so viele, daß Gen. Bucharin nicht von ihnen freikommt.Man sagt uns nicht, was man vorschlägt, weil man nicht weiß, was manvorschlagen soll. Und wissen Sie, was Sie vorschlagen sollten? Ich habeIhnen Vorwürfe gemacht, sowohl in der Presse als auch in Reden. In derFrage des Dekrets über die Eisenbahnen hatten wir das Vergnügen, an

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den 4 . April zu erinnern, worauf Sie sich in Ihrer Zeitschrift berufen, und

ich habe gesagt, wenn Sie mit diesem Dekret nicht ganz zufrieden sind, sounterbreiten Sie uns ein neues Dekret. Hiervon aber keine Silbe in derersten Num mer, und auch in der zweiten Nummer, deren Korrekturbogenman mir liebenswürdigerweise zur D urchsicht überließ — keine Silbe. Undin der Rede des Gen. Bucharin ebenfalls keine Silbe darüber, die Über-einstimmung ist vollständig. Sowohl Gen. Bucharin als auch G en. M artowbesteigen ihr Steckenpferd, das Dekret über die Eisenbahnen — und reitenes zuschanden. Sie reden von Diktatur, Napoleon III., Julius Cäsar usw.und liefern M aterial für hundert Num mern, die niemand lesen wird. Das

hier kommt der Sache ein bißchen näher. Es geht um die Arbeiter und dieEisenbahnen. Ohne Eisenbahnen aber wird es nicht nur keinen Sozialis-mus geben, sondern alle werden einfach vor Hunger krepieren wie dieHunde , während nebenan Getreide liegt. Das wissen alle sehr wohl. W ar-um haben Sie nicht geantwortet? Sie machen die Augen zu. Sie streuenden Arbeitern Sand in die Augen — die Leute von der „Nowaja Shisn"und die Menschewiki bewußt, Gen. Bucharin aus Irrtum — Sie versperrenden Arbeitern den Blick auf die Hauptfrage, wenn Sie von Aufbau reden.W as kann m an ohne Eisenbahnen bauen? U nd w enn ich einen Kaufmannsehe, der mir bei irgendwelchen Begegnungen oder beim Empfang vonDelegationen mitteilt, daß auf dieser oder jener Eisenbahnstrecke eineBesserung zu verzeichnen ist, so ist dieses Lob für mich eine Million M alsoviel wert wie 20 Resolutionen von Kommunisten und beliebigen anderenund wie alle möglichen Reden.

Und wenn Männer der Praxis — Ingenieure, Kaufleute usw. — sagen:bringt diese Staatsmacht auch nur ein wenig, auch nur einigermaßen dieEisenbahnen in O rdnung , so werden wir anerkennen, daß das eine Machtist. Und diese Einschätzung der M acht ist überaus w ichtig. Denn die Eisen-bahnen sind der Angelpunkt, sind eine der Erscheinungsformen engsterVerbindung zwischen Stadt und Land, zwischen Industrie und Landwirt-schaft, auf die sich der Sozialismus voll und ganz stützt. Um diese Ver-bindung zwecks planmäßiger Tätigkeit im Interesse der gesamten Bevölke-rung herzustellen, dazu braucht man die Eisenbahnen.

All diese Phrasen von Diktatur usw., in denen sich alle diese Martowund Karelin gefunden haben und die von der Kadettenpresse zweimalwiedergekäut werden, sind keinen Pfiff erling w ert.

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Jagung des Qesamtrussisdhen Zentrakxekutivkomitees 301

Ich habe Ihnen als Beispiel die Arbeiterorganisationen genannt, die das

tun, und den Staatskapitalismus anderer Betriebe, ariderer Industrie-zweige; bei den Tabakarbeitern, den Lederarbeitern gibt es mehr Staats-kapitalismus als bei den anderen und mehr Ordnung, und bei ihnen istder Weg zum Sozialismus gesicherter. Das läßt sich nicht verhehlen, undman kann nicht solche lächerlichen P hrasen dreschen wie Ge, daß er jedenmit dem Gewehr zwingen werde. Das ist doch völliger Unsinn und eineVerkennung dessen, wozu das Gewehr dient. Hiemach könnte man glau-ben, das Gewehr sei eine schlechte Sache, falls nicht der Kopf des Anarchi-sten Ge eine schlechte Sache wäre. (Beifall.) Das Gewehr war eine sehr

gute Sache, als es galt, den Kapitalisten, der gegen uns Krieg führte, zuerschießen, als es galt, Diebe auf frischer Tat zu ertappen und zu erschie-ßen. Wenn aber Gen. Bucharin sagt, daß es Leute gibt, die 4000 Rubelbeziehen, daß man sie an die Wand stellen und erschießen müsse, so istdas falsch. Ja, man muß solche Leute suchen. Bei uns gibt es nicht sehrviele Posten, wo 4000 gezahlt werden. Man reißt sie hierher und dort-hin — wir haben keine Fachleute, das ist der springende Punkt, deshalbmüssen wir lOOO'Leute, erstklassige Fachleute in ihren Tätigkeitszweigen,heranziehen, die ihr Fach schätzen, die die Großproduktion lieben, weilsie wissen, daß das den technischen Fortschritt bedeutet. Und wenn manhier sagt, man könnte den Sozialismus bekommen, ohne bei der Bourgeoi-sie in die Lehre gegangen zu sein, so entspricht das den Vorstellungen vo nBewohnern Zentralafrikas. Wir können uns keinen anderen Sozialismusvorstellen als den, der sich auf den Grundlagen aller Lehren aufbaut,die die großkapitalistische Kultur geschaffen hat. Sozialismus ohne Post,Telegraf, Maschinen — ist eine leere Phrase. Mit einem Schlag aber läßtsich das bürgerliche Milieu, lassen sich die bürgerlichen Gewohnheitennicht beseitigen, dazu bedarf es jener Organisation, auf der sich die ge-samte moderne Wissenschaft und Technik aufbaut. Bei dieser Gelegenheit

an das Gewehr zu erinnern ist die größte Dummheit. Die Organisiertheitdes ganzen Volkes macht es möglich, daß die ganze Bevölkerung Einkom-mensteuer zahlt, daß die Arbeitsdienstpflidit eingeführt wird, daß jederregistriert wird; solange einer nicht registriert ist, müssen wir ihn bezah-len. Wenn Bucharin sagte, daß er hier kein Prinzip sehe, so gehört dasnicht hierher. Marx dachte an einen Loskauf von der Bourgeoisie alsKlasse. Er schrieb von England, als es in England noch keinen Imperialis-

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302 W. 1 Lenin

mus gab, als dort ein friedlicher Übergang zum Sozialismus möglich war —

das ist keineswegs eine Berufung auf den früheren Sozialismus.98

Es han-delt sich jetzt nicht um die Bourgeoisie, sondern um die Heranziehung derFachleute. Ich habe ein Beispiel genannt, man könnte Tausende anführen.Hier haben wir einfach eine Heranziehung von Leuten, die man heran-ziehen kann, entweder indem m an sie mit einem hohen Gehalt kauft oderdurch eine ideelle Organisation, denn Sie werden es hier nicht verhindern,daß das ganze Geld ihnen gezahlt wird. Wir wissen aus dem Beispiel, dasich" angeführt habe — bisher haben Sie ja nur schweigend kritisiert, und dielinken Sozialrevolutionäre wissen ja sehr wohl, daß hohe Gehälter gezahlt

werden, das wissen auch die linken Kommunisten und die Leute von der„Nowaja Shisn".

Hier aber kritisieren sie nicht. Und das nennt man wahrhaftige Kritikan der Sowjetmacht! Als sie merkten, daß man anfing, ihren Ingenieurenanderthalb Tausend zu zahlen, da schwiegen sie. Es ist.viel nützlicher,solche Ingenieure zu bezahlen. Und hier kann keine Rede sein von JuliusCäsar oder von Diktatur. Das ist gerade politische Erziehung der Volks-massen. Wen n ich aber sage, daß wir 1500—2000 Rubel monatlich zu zah-len anfangen, so soll das ein Schritt rückwärts sein. Und dann treten auf

die Bildfläche Julius Cäsar und Napoleon III. und der Frieden von Brest-Litowsk und alles, was man will; von Ihren Fachleuten, von Ihren Inge-nieuren aber keine Silbe, Stillschweigen. Und wenn man sagt, und wenn-Bucharin sagt, daß das keine Verletzung des Prinzips sei, so sage ich, daßwir hier eine Verletzung des Prinzips der Pariser Kommune haben. DerStaatskapitalismus besteht nicht in Geld, sondern in den gesellschaftlichenVerhältnissen. Wenn wir auf Grund des Dekrets über die EisenbahnenGehälter von 2000 Rubel zahlen, so ist das Staatskapitalismus. Wenn Gen.Bucharin auf die Zimmerwalder Resolution von 1915 hingewiesen hat, so

kommt er von dieser schlecht verdauten Theorie nicht los. Machen Sie sichfrei davon, Gen. Bucharin. Jetzt sagte Gen. Bucharin, ich fiele über diekleinbürgerliche Elementargewalt her.

Ich habe nicht die werktätige Bauernschaft angegriffen, als ich von derkleinbürgerlichen Elementargewalt sprach. Lassen wir die werktätigeBauernschaft beiseite — nicht von ihr ist die Rede. Aber innerhalb derBauernschaft gibt es eine werktätige Bauernschaft und eine kleinbürger-liche Bauernschaft, die wie ein Kleineigentümer auf fremde Kosten lebt,

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die werktätige Bauernschaft dagegen wird von anderen ausgebeutet, will

aber auf eigene Rechnung leben. W enn man daher angefangen hat, überdie werktätige Bauernschaft herzufallen, so ist Gen. Karelin im Unrecht.Die arme Bauernschaft, die beim Raub des Geraubten nichts gewinnt, stehtauf unserer Seite. Dort werden unsere Losungen Anklang finden. Wirwissen sehr wohl und beobachten, wie man auf dem Lande die Losung„Raube das Geraubte" auffaßt. Wenn man m it der Agitation von der Dik-tatur und mit Phrasen vom Brester Frieden usw. dorthin geht, so werdendiejenigen, die gegen uns sprechen, allein dastehen und keine Unterstüt-zung finden. Das Proletariat, die Masse der Bauernschaft, die ruiniert ist

und sich mit ihrer individuellen Wirtschaft in einer hoffnungslosen Lagebefindet, wird auf unserer Seite sein, weil sie sehr wohl versteht, daß manRußland durch einfachen Raub nicht behaupten kann. Uns allen ist daswohlbekannt, und jeder sieht das und fühlt das, wo er auch zu Hause seinmag.

Hier handeln wir im Einklang mit den wirtschaftlichen Bedürfnissenund der Stimmung der werktätigen Massen. Und wenn daher die deklas-sierte Intelligenz der linken Komm unisten ihre Blitze gegen uns schleudert,so müssen wir überzeugt sein, daß, wie sehr sie uns auch schmähen mögen,

diese Losung der sozialistischen Revolution doch die einzig richtige Losungist, die die werktätigen Massen verstehen und sich zunutze machen müs-sen, damit wir die sozialistische Revolution stärken und vollenden. Umdiese Frage wird man in keiner Arbeiterversammlung herumkomm en; manwird Sie mit diesem Dekret, mit dieser Frage verfolgen, wir erheben kei-nen Anspruch auf Unfehlbarkeit, wir haben viele schlechte Dekrete. Ver-bessern Sie sie: Sie haben verschiedene Zeitschriften und Literatengrup-pen, sagen Sie doch, was in dem Dekret über die Eisenbahnen schlecht is t;wir haben Ihnen in der Beratung vom 4. April vorgeschlagen, das zu tun,

heute aber haben wir bereits den 29 . April — 25 Tage sind vergangen, aberdie ganze Gruppe dieser großartigen Schriftsteller schweigt, weil sie nichtszu sagen hat.

Sie wissen, daß unser Dekret über die Eisenbahnen trotz aller seinerFehler, die wir zu korrigieren bereit sind, das W esentlichste von dem, waswir brauchen, erfaßt hat; es stützt sich auf jene Masse der Arbeiter, dieder strengsten Disziplin ergeben ist, die zusammengefaßt werden mußdurch einzelverantwortliche Befehlsgewalt, deren Träger von den Sowjets

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ernannt und abgesetzt werden. Das erfordert während der Arbeit die

widerspruchslose Durchführung der Anordnungen im Arbeitsprozeß, woes notwendig ist, daß die Großproduktion wie eine Maschine arbeite, unddaß in dieser Zeit Tausende von Menschen von einem einzigen Willengeleitet werden, sich dem Befehl eines sowjetischen Leiters unterwerfen.(B ei fa ll. ) Und in diesem Zusammenhang an N apoleon und Julius Cäsarerinnern bedeutet entweder, daß m an verrückt geworden ist oder sich end-gültig verloren hat in den Zeilen jener Zensusliteratur, die nichts anderestut, als die Bolschewiki beschimpfen. Das Dekret über die Eisenbahnen,Genossen, ist ein Schritt, der zeigt, daß wir den ichtigen Weg beschatten

haben, daß wir aus dem Schlimmsten heraus sind. Und in meiner Redehabe ich Ihnen mitgeteilt, warum wir diesen Weg beschritten haben; wirhaben im Rat der Volkskommissare nicht räsoniert über Napoleon denGroßen und Julius Cäsar, wohl aber hundertmal darüber gesprochen, wieman das Eisenbahnwesen in O rdnung bringen kann , und wir wissen, wasman draußen im Lande darüber sagt, wir wissen aus einer Menge vonUnterredungen mit Eisenbahnerorganisationen, daß das proletarische Ele-ment für uns ist, daß es Disziplin sucht und Ordnung erwartet, es sieht,wie die Menschen in Zentralrußländ hungern, obgleich Getreide da ist,

nur daß es infolge der U nordnung im Transportwesen schwer ist, es her-beizuschaffen.

Wenn es aber schwankende Menschen gibt, die irre geworden sind, mitkleinbürgerlichen Stimmungen, die durch die einzelverantwortliche Be-fehlsgewalt erschreckt sind, die hysterische Anfälle bekommen und nichtmit uns gehen, worauf ist das zurückzuführen? Darauf, daß es einen rech-ten Flügel gibt, daß man hysterische Anfälle bekomm en hat, besonders dielinken Sozialrevolutionäre? Hier haben wir ein völliges Durcheinander,aus dem niemand klug wird. Und um keinen fruchtlosen Streit zu führen,

sagen wir: Nehmt die Hauptfrage und geht konkret an sie heran.W enn man hier von Versöhnung mit der Bourgeoisie redet, wie Karelin

und Martow, so sind das Flausen. Ich erinnere Sie daran, wie Kautsky inseiner autoritativen Broschüre sich das Leben am Tage nach der sozialenRevolution vorstellte. Ich will ungefähr wiedergeben, was er geschriebenha t: Die Organisatoren der T rusts werden nicht untätig dazusitzen brau-chen. Das schrieb ein Mann, der versteht, daß die Organisierung vonDutzenden Millionen Menschen.für die Erzeugung und.Verteilung der

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Jagung des Qesamtrussisdben ZentrakxekuUvkomitees 305

Produkte keine kleine Sache ist! Das haben wir nicht gelernt und konnten

es auch nirgends lernen, die Organisatoren der Trusts aber wissen, daß esohne das keinen Sozialismus geben wird. Auch wir müssen das wissen.Und deshalb sind alle Phrasen von Versöhnung und Verständigung mitder Bourgeoisie nichts als leeres Geschwätz. Sie werden die These Kautskysnicht widerlegen können, daß man die Großproduktion aus Erfahrungkennen m uß.

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S E C H S T H E S E N Ü B E R D I E N Ä C H S T E N A U F G A B E N

D E R S O W J E T M A C H T

1. Die internationale Lage der Sowjetrepublik ist in höchstem Gradeschwer und kritisch, denn die tiefsten und fundamentalsten Interessen desinternationalen Kapitals und des Imperialismus veranlassen ihn nicht n ur,nach einem militärischen Überfall auf Rußland, sondern auch nach einerVerständigung über die Aufteilung Rußlands und die Erdrosselung derSowjetmacht zu streben.

Nur die Verschärfung des imperialistischen Völkergemetzels im W estenEuropas und die imperialistische Rivalität zwischen Japan und Amerika imFernen Osten paralysieren oder hemmen diese Bestrebungen, und auch

das nur zum Teil und nur für eine bestimmte, wahrscheinlich kurze Zeit.Deshalb muß die Taktik der Sowjetrepublik unbedingt darin bestehen,

einerseits alle Kräfte aufs äußerste anzuspannen, um einen möglichstraschen ökonomischen Aufschwung des Landes herbeizuführen, seineWehrkraft zu steigern und eine mächtige sozialistische Armee zu schaffen;anderseits muß in der internationalen Politik die Taktik im Lavieren, Zu-rückweichen, Abwarten bestehen, bis zu dem Zeitpunkt, wo die inter-nationale proletarische Revolution endgültig ausreift, die jetzt in einer gan-zen Reihe fortgeschrittener Länder schneller als früher heranreift.

2. Auf dem Gebiet der Innenpolitik tri tt gegenwärtig, entsprechend derResolution des Gesamtrussischen Sowjetkongresses vom 15. März 1918,die organisatorische Aufgabe auf die Tagesordnung. Gerade diese Auf-gabe, angewandt auf die neue und höhere Organisation der Erzeugungund Verteilung der Produkte auf der Grundlage vergesellschaftetermaschineller (Arbeit) Großproduktion, bildet den Hauptinhalt — und dieHauptbedingung des völligen Sieges — der sozialistischen Revolution,, diein Rußland am 25. Oktober 1917 begonnen ha t.

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Sedhs Jbesen über die nädhsten Aufgaben der Sowjetmadbt 307

3. Vom rein politischen Standpunkt aus besteht der Angelpunkt gegen-

wärtig darin, daß die Aufgabe, das werktätige Rußland von der Richtig-keit des Programm s der sozialistischen Revolution zu überzeugen, und dieAufgabe, Rußland zugunsten der Werktätigen den Ausbeutern abzurin-gen, in den Hauptzügen gelöst sind und daß als Hauptaufgabe die Frage,wie man Rußland verwalten soll, auf die Tagesordnung tritt. Die Organi-sierung einer richtigen Verwaltung, der konsequenten Durchführung derBeschlüsse der Sowjetmacht—das ist die dringendste Auf gäbe der Sowjets,das ist die Bedingung für den vollen Sieg des sowjetischen Staatstypus; esgenügt nicht, diesen Staatstypus formal zu dekretieren, ihn überall im

Lande einzuführen, sondern man muß ihn auch praktisch auf die Beinestellen und in der regelmäßigen, tagtäglichen Verwaltungsarbeit erproben.

4. Auf dem Gebiet des ökonomischen Aufbaus des Sozialismus bestehtder Angelpunkt gegenwärtig darin, daß unser Bemühen um die Organi-sierung einer vom gesamten Volk ausgeübten und allumfassenden Rech-nungsführung und Kontrolle über die Erzeugung und Verteilung der Pro-dukte und um die Einführung einer proletarischen Produktionsregulierungstark zurückgeblieben ist hinter der Arbeit der unmittelbaren Expropria-tion der Expropriateure — der Gutsbesitzer und Kapitalisten. Das ist die

grundlegende Tatsache, die unsere Aufgaben bestimmt.Aus ihr ergibt sich einerseits, daß der Kampf gegen die Bourgeoisie in

eine neue Phase eintritt, nämlich: zum Schwerpunkt wird die Organisie-rung der Rechnungsführung und Kontrolle. Nur auf diesem Wege könnenalle jene ökonomischen Errungenschaften im Kampf gegen das Kapital undalle jene Maßnahm en zur Nationalisierung der einzelnen Volkswirtschafts-zweige verankert werden, die wir seit dem Oktober erreicht haben, undnur auf diesem Wege kann eine erfolgreiche Vollendung des Kampfesgegen die Bourgeoisie, d. h. die völlige Festigung des Sozialismus vor-

bereitet werden.Aus der erwähnten grundlegenden Tatsache ergibt sich anderseits die

Erklärung dafür, warum die Sowjetmacht in gewissen Fällen einen Schrittzurück tun oder ein Kompromiß mit bürgerlichen Tendenzen eingehenmußte. Ein solcher Schritt zurück und eine Abweichung von den Prinzipiender Pariser Kommune war beispielsweise die Einführung hoher Gehälterfür eine Reihe von bürgerlichen Spezialisten. Ein solches Kompromiß wardas Abkommen mit den bürgerlichen Genossenschaften über Schritte und

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308 W. J. Lenin

Maßnahmen zur allmählichen Einbeziehung der gesamten Bevölkerung in

die Genossenschaften. Solange die proletarische Staatsmacht nicht die all-umfassende Kontrolle und Rechnungsführung völlig auf die Beine bringt,sind Kompromisse solcher Art notwendig, und unsere Aufgabe bestehtdarin, ohne dem Volke ihre negativen Züge irgendwie zu verschweigen,die Kräfte anzuspannen, um die Rechnungsführung und Kontrolle zu ver-bessern, weil diese die einzigen Mittel und Wege sind zur völligen Besei-tigung aller solchen Kom promisse. Gegenwärtig sind solche Kom promissenotwendig, denn sie bieten (bei unserer Verspätung mit der Rechnungs-führung und Kontrolle) die einzige Garantie für einen zwar langsameren,

dafür aber auch sichereren Vormarsch. Wird die Rechnungsführung undKontrolle über die Erzeugung und Verteilung der Produkte vollständigdurchgeführt, dann werden diese Kompromisse nicht mehr notwendig sein.

5. Auf die Tagesordnung treten insbesondere Maßnahmen zur Hebungder Arbeitsdisziplin und der Arbeitsproduktivität. Die Schritte, die in die-ser Richtung bereits getan worden sind, besonders von den Gewerkschaf-ten, müssen mit allen Kräften unterstü tzt, unterma uert und verstärkt w er-den. Dazu gehört beispielsweise die Einführung des Stücklohns, die An-wendung von vielem, was an Wissenschaftlichem und Fortschrittlichem im

Taylorsystem enthalten ist, die Abstimmung des Verdienstes mit den ge-samten Arbeitsergebnissen der Fabrik bzw. mit dem Betriebsertrag derEisenbahnen, der Schiffahrt usw. Hierher gehört auch die Organisierungdes Wettbewerbs zwischen den einzelnen Produktions- und Konsum-kommunen, die Auswahl von Organisatoren usw.

6. Die D iktatur des Proletariats ist eine unbedingte Notwendigkeit beimÜbergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, und in unserer Revolutionhat diese W ahrhei t ihre volle praktische Bestätigung gefunden. D ie Dik ta-tur setzt jedoch bei der Niederhaltung sowohl der Ausbeuter als auch der

Rowdys eine wirklich feste und schonungslose revolutionäre Staatsgewaltvoraus, und unsere Staatsgewalt ist zu mild. Die Unte rordnung, und zw ardie unbedingte Untero rdnun g während der Arbeit, unter die einzelverant-wortlichen Anordnungen der sowjetischen Leiter, der Diktatoren, seiensie nun gewählt oder von Sowjetinstitutionen ernannt, die mit diktato-rischen Vollmachten ausgestattet sind (wie das beispielsweise das Dekretübe r die Eisenbahnen verlangt) , ist noch lange, lange nicht genügend sicher-gestellt. Hier äußert sich der Einfluß der kleinbürgerlichen Elementar-

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Sedhs Thesen über die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht 309

gewalt, der elementarischen Flut lcleinbesitzerlicher Gewohnheiten, Be-

strebungen und Stimmungen, die der proletarischen Disziplin und demSozialismus von Grund auf widersprechen. Alles Klassenbewußte im Pro-letariat muß ausgerichtet werden auf den Kampf gegen diese kleinbürger-liche Elementargewalt, die nicht nur ihren direkten Ausdruck findet (in derUnterstützung jeder Aktion gegen die proletarische Staatsmacht durch dieBourgeoisie und ihre Handlanger: Menschewiki, rechte Sozialrevolutio-nä re usw.), sondern auch ihren ind irekten A usdruck (in jenem historischenSchwanken, das in den Hauptfragen der Politik festzustellen ist sowohlbei der kleinbürgerlichen Partei der linken Sozialrevolutionäre als auch

bei der „linkskomm unistischen" Ström ung in unserer Parte i, die bis zu denMethoden kleinbürgerlichen Revoluzzertums hinabsinkt und den l inkenSozialrevolutionären nachahm t) .

Eiserne Disziplin und konsequenteste Ausübung der Diktatur des Prole-tariats gegen kleinbürgerliche Schwankungen — das ist die allgemeine undzusammenfassende Losung des Augenblicks.

Qeschrieben zwischen dem 30. Aprilund dem 3.7/lai i9i8.

Veröffentlicht i9l8 in der Brosc hüre: Hac h dem 1ext der zweiten73 . Lenin, „ Die nädhsten Aufgaben der Auflage der Broschüre vonSowjetmacht", herausgegeben vom i9i8, verglichen mit demQesamtrussischen Z£K. ^Manuskript.

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310

G R U N D L E G E N D E L E I T S Ä T Z E

Z U R W I R T S C H A F T S - U N D B E S O N D E R S

Z U R B A N K P O L I T I K

I. Zuendeführung der Nationalisierung der Industrie und des Aus-tauschs.

II. Nationalisierung der Banken und allmählicher Übergang zum So-zialismus.

III. Zwangsweise Vereinigung der Bevölkerung in Konsumgenossen-schaften.{+ Warenaustausch}

IV. Rechnungsführung und Kontrolle über die Erzeugung und Vertei-

lung der Produkte.V. Arbeitsdisziplin.

{+ Steuerpolitik}Zentralisierung.Maßnahmen für den Übergang zu zwangsweisen laufenden Konten

oder zur zwangsweisen Aufbewahrung des Geldes in Banken.Zwangsweise Vereinigung der Bevölkerung in Konsumgenossenschaf-

ten und entsprechende Übergangsmaßnahmen.Bedingungen eines Vertrags mit den Genossenschaftlern über die all-

mähliche Umstellung ihres Apparats auf den Zusammenschluß der ge-samten Bevölkerung in Konsumgenossenschaften.

Arbeitsdienstpflicht, angefangen von oben.Anerkennung der schonungslosesten Maßnahmen des Kampfes gegen

das Chaos, die Unordnung und die Faulenzerei, der entschiedensten unddrakonischsten Maßnahmen zwecks Hebung der Disziplin und Selbst-disziplin der Arbeiter und Bauern als unbedingt notwendig und unauf-schiebbar.

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grundlegende Leitsätze zur Wrtsdiafts- und "Bankpolitik 311

Verwandlung der Staatlichen Kontrolle in eine reale Kontrolle zwecks

Schaffung fliegender Gruppen von Kontrolleuren auf allen Gebieten desWirtschaftslebens.Praktische Bedingungen, damit die bürgerliche Intelligenz und die Sabo-

teure, die sich willens zeigen, mit der Sowjetmacht zu arbeiten, zur Arbeitherangezogen werden können.

Gewerbegerichte zur Rechnungsführung über die Produktion, die Vor-räte an Fertigwaren und die Arbeitsproduktivität.

(Sofort und unbedingt.)1. Zuendeführung der Nationalisierung der Industrie.

2. Allmählicher Übergang zur ausnahmslosen Vereinigung aller in Kon-sumgenossenschaften und Warenaustausch.3. Bankpolitik.4. Arbeitsdisziplin usw.5. Steuerpolitik (Finanzen).

1. Zuendeführung der Nationalisierung aller Fabriken, Werke, Eisen-,bahnen und Produktionsmittel sowie des Austauschs. Unbedingter undschonungsloser Kampf gegen eine syndikalistische und chaotische Haltung

zu Betrieben, die nationalisiert werden. Beharrliche Durchführung derZentralisierung des Wirtschaftslebens im gesamtnationalen Maßstab.Strikte Einf orderung vorläufiger P läne und Kostenanschläge, wöchentlicherBerichte und Forderung faktischer Erhöhung der Arbeitsproduktivität.Schaffung und praktische Erprobung eines Apparats zwecks Verwaltungder Industriezweige, die nationalisiert werden.

Qesdbrieben im April i9l8.

Zuerst veröflentlidbt 1933 3V«d> dem Manuskript.

im Cenin-Sammelband XXI.

21 Lenin, 'Werke, Bd. 27

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ENTWURF EINES PLANSWISSENSCHAFTLICH-TECHNISCHER ARBEITEN 89

Der Akademie der Wissenschaften, die mit der systematischen Unter-suchung und Erforschung der natürlichen Produktivkräfte* Rußlands be-gonnen hat, ist vom Obersten Volkswirtschaftsrat sofort der Auftrag zuerteilen,

Fachleute als Mitglieder einer Reihe von Kommissionen zu berufenzwecks möglichst rascher Ausarbeitung eines Plans für die Reorganisationder Industrie und den ökonomischen Aufstieg Rußlands.

In diesem Plan muß enthalten sein:

eine rationelle Standortverteilung der Industrie in Rußland unter demGesichtspunkt der Rohstoffnähe und des geringstmöglichen Verlustes anArbeit beim Übergang von der Rohstoffbearbeitung zu allen darauf fol-genden Fertigungsstadien der Halbfabrikate bis zur Erzielung des Fertig-produkts.

Eine vom Standpunkt der modernsten G roßindustr ie und besonders derTrusts rationelle Zusammenfassung und Konzentration der Produktion ineinigen wenigen Großbetrieben.

Eine möglichst vollständige, selbständige Eigenversorgung der jetzigen

Russischen Sowjetrepublik (ohne die Uk rain e und ohne die von den De ut-schen besetzten Gebiete) mit allen wichtigsten Rohstoffen und Industrie-erzeugnissen.

Besonders große Aufmerksamkeit für die Elektrifizierung der Industrie

* Die Herausgabe dieser Materialien ist mit aller Kraft zu beschleunigenun d ein Schreiben darü ber sowohl an das Volkskommissariat für Bildungswesenals auch an den Buchdruckerverband und das Kommissariat für Arbeit zuschicken.

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Entwurf eines "Plans wissensöhaftlidh-tedbnisdher Arbeiten 313

und des Verkehrswesens und für die Anwendung der Elektrizität in der

Landwirtschaft. Ausnutzung der weniger wertvollen Sorten von Brenn-stoffen (Torf, Kohle geringerer Qu alität) zur Erzeugung elektrischer Ener-gie bei geringsten Aufwendungen für die Beschaffung und den Transportdes Brennstoffs.

Die W asserkräfte und Windmotore überhaupt und ihre Anwendung inder Landwirtschaft.

Qesdbrieben im April 19i8.

Zuerst veröffentlicht am 4. März 1924 "Nad) dem Manuskript.

in der .Prawda" Nr. 52.

31*

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314

AN DAS ZKDER KOMMUNISTISCHEN PARTEI RUSSLANDS

Ich bitte, die Frage des Parteiausschlusses derjenigen Mitglieder auf dieTagesordnung zu setzen, die in der Bestechungssache (vom 2. V. 1918)als Richter fungierten und sich trotz der nachgewiesenen und eingestan-.denen Bestechung auf ein Urteil von H Jahr Gefängnis beschränkt haben .100

Es ist eine Sdhande für einen Kommunisten und Revolutionär, solchewie ein Hohn wirkende schwache und milde Urteile zu fällen, anstatt dieSchmiergeldnehmer erschießen zu lassen. Solche Genossen müssen vomGericht der öffentlichen Meinung verfolgt und aus der Partei ausgeschlos-

se n werden, denn ihr Platz ist neben Kerenski und Martow und nicht ander Seite komm unistischer Revolutionäre.

Lenin4. V. 1918

Zuerst veröffentlicht 1933 SVöd) dem Manuskript,im Lenin-Sammelband XXI.

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ÜBER „LINKE" KINDEREI

UND OBER KLEINBÜRGERLICHKEIT

Veröffentlicht am "Nach dem 7ext der Broschüre-.9., iO. und U.Mai i9i8 'N.Lenin, „Die Hau ptaufgabein der „Prawda" unserer Jage", Verlag „Priboi",'Nr. 88, 89 und 90. Moskau I9i8, verglichen mit demWntersd hrift:!N.£enin. 7ext der „Traw da" und derBro^

sdbüre •. 3V. Lenin ('W. l.Wjanow),„Alte Artikel über zeitnaheJbemen", Moskau 1922,

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317

Die von der kleinen Gruppe „linker Kommunisten" herausgegebeneZeitschrift „Kommunist"101 (Nr.l vom 20 . April 1918) und ihre „The-sen" bieten eine glänzende Bestätigung dessen, was ich in der Broschüreüber „Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht" * gesagt habe. Eine an-schaulichere Bestätigung — in der politischen Literatur — für die ganzeNaivität dieser Verteidigung der kleinbürgerlichen Zügellosigkeit, die sichmitunter hinter „linken" Losungen versteckt, könnte man sich gar nichtwünschen. Es ist nützlich und notwendig, auf die Gedankengänge der„linken Kommunisten" einzugehen, denn sie sind charakteristisch für diegegenwärtige Situation, sie zeigen außergewöhnlich klar — von der nega-tiven Seite — den „Angelpunkt" dieser Situation; sie sind lehrreich, dennwir haben vor uns die Besten derjenigen, die die heutige Situation nichtverstanden haben, die sowohl in bezug auf ihr Wissen als auch in bezugauf Treue zur Sache weit über den Dutzendvertretern desselben Fehlers,nämlich den linken Sozialrevolutionären, stehen.

Als politische — oder auf eine politische Rolle Anspruch erhebende —

Größe hat uns die Gruppe der „linken Kommunisten" ihre „Thesen überdie gegenwärtige Lage" vorgelegt. Es ist ein guter marxistischer Brauch,eine zusammenhängende und in sich geschlossene Darstellung der Grund-lagen der eigenen Ansichten und der eigenen Taktik zu geben. U nd dieser

* Siehe den vorliegenden Band, S. 225—368.

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318 TV.1. Lenin

gute marxistische Brauch hat geholfen, den Fehler unserer „Linken" zu

entlarven, denn schon der bloße Versuch zu argumentieren — und nicht zudeklamieren — enthüllt die Unhaltbarkeit der Argumentation.Vor allen Dingen fällt die Masse der Anspielungen, Andeutungen und

Ausflüchte in der alten Frage auf, ob der Abschluß des Brester Friedensrichtig war. Diese Frage offen zu stellen, konnten sich die „Linken" nichtentschließen, sie zappeln komisch hin und her, türmen ein Argument aufdas and ere, greifen verschiedene Erwägungen auf, haschen nach allen mög-lichen „einerseits" und „anderseits", lassen ihre Gedanken über alle Ge-genstände und vieles andere schweifen und bemühen sich, nicht zu sehen,

wie sie sich selber widerlegen. Die Zah l von 12 Stimmen gegen den Frie-den auf dem Parteitag, wo 28 für den Frieden waren, führen die „Linken"geflissentlich an, daß sie aber von den vielen Hunderten Stimmen in derbolschewistischen Fraktion des Sowjetkongresses weniger als ein Zehntelbekommen haben, verschweigen sie bescheiden. Sie stellen die „Theorie"auf, daß „Ermüdete und Deklassierte" den Frieden durchgesetzt hätten,daß „die Arbeiter und Bauern der ökonomisch lebensfähigeren und mitGetreide besser versorgten Gebiete des Südens" gegen den Frieden ge-wesen seien... Ist das nicht zum Lachen? Daß der GesamtukrainischeSowjetkongreß für den Frieden gestimmt hat — davon keinen Ton, überden sozialen und den Klassencharakter des typisch kleinbürgerlichen unddeklassierten politischen Konglomerats in Rußland, das gegen den Friedenwar (die Partei der linken Sozialrevolutionäre) — keine Silbe. Es ist einerein kindische Manier, durch komische Erklärungen mit „wissenschaft-lichem Anstrich" den eigenen Bankrott zu bemänteln, Tatsachen zu be-mänteln, deren bloße Aufzählung zeigen, würde, daß gerade die deklas-sierten, intelligenzlerischen „Spitzen" und Oberschichten der Partei mitden Losungen der revolutionären kleinbürgerlichen Phrase den Friedenbekämpften und daß gerade die Massen der Arbeiter und der ausgebeu-

teten Bauern den Frieden durchsetzten.

Durch alle diese Erklärungen und Ausflüchte der „Linken" in der Fragevon Krieg und Frieden bricht sich die einfache und klare Wahrheit den-noch Bahn. „Der Friedensschluß", müssen die Verfasser der Thesen zu-geben, „hat vorderhand das Streben der Imperialisten nach einer inter-nationalen Abmachung geschwächt" (das ist bei den „Linken" nicht exaktformuliert, aber hier ist nicht der O rt, auf Ungenauigkeiten einzugehen).

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Tiber „U nke" "Kinderei und über XUinbürgerlidbkeit 319

„Der Friedensschluß hat bereits zu einer Verschärfung des Ringens zwi-

schen den imperialistischen Staaten geführt."Jawoh l, das ist Tatsache. Das ist von entscheidender Bedeutung. Das istder Grund, weshalb die Gegner des Friedensschlusses objektiv ein Spiel-zeug in den Händ en der Imperialisten waren, in ihre Falle gerieten. Dennsolange nicht eine internationale, mehrere Länd er umfassende sozialistischeRevolution ausgebrochen ist, die so stark ist, daß sie den internationalenImperialismus besiegen könn te, solange ist es die direkte Pflicht der Sozia-listen, die in einem einzelnen (besonders rückständigen) Lande gesiegthaben, keinen Kampf gegen die Giganten des Imperialismus aufzunehmen,

dem Kampf aus dem Wege zu gehen, abzuwarten, bis das Ringen derImperialisten gegeneinander diese nodh mehr schwächt und die Revolutionin den anderen Ländern noch nähe r bringt. Diese einfache W ahrh eit habenunsere „Linken" im Januar, Februar und März nicht begriffen, sie fürch-ten sich auch jetzt, sie offen anzuerkennen; sie bricht sich Bahn durch alleihre verworrenen „einerseits und anderseits".

„Im Laufe des nächsten Frühjahrs und Sommers", schreiben die „Lin-ken" in ihren Thesen, „muß der Zusammenbruch des imperialistischenSystems beginnen, der im Falle eines Sieges des deutschen Imperialismus

in der jetzigen Phase des Krieges nur aufgeschoben werden kann und sichdann in noch schärferen Formen äußern wird."Diese Formulierung ist noch kindisch-ungenauer tro tz des ganzen Spiels

mit Wissenschaftlichkeit. Kindern ist es eigen, die Wissenschaft so „auf-zufassen", als ob sie imstande sei, zu bestimmen, in welchem Jahre, imFrühjahr und Sommer oder im Herbst und Winter „der Zusammenbruchbeginnen" „muß".

Es sind lächerliche Bemühungen, erfahren zu wollen, was man nichterfahren kann. Kein einziger ernster Politiker wird jemals sagen, wann

dieser oder jener Zusammenbruch eines „Systems" „beginnen muß" (umso mehr als der Zusammenbruch des Systems bereits begonnen hat undes sich um den Zeitpunkt der Explosion in den einzelnen Ländern han-delt). Aber durch die kindliche Hilflosigkeit der Formulierung bricht sichfolgende unbestreitbare Wahrheit Bahn: wir sind jetzt, einen Monat nachBeginn der m it dem Friedensschluß eingetretenen „Atem pause", revolutio-nären Ausbrüchen in den anderen, fortgeschritteneren Ländern näher alsvor einem Monat oder anderthalb Monaten.

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320 "W. 1. Zenin

Also?

Also waren die Anhänger des Friedens völlig im Recht und sind durchdie Geschichte bereits gerechtfertigt worden, wenn sie den Effekthaschernklarzumachen suchten, daß man verstehen muß, das Kräfteverhältnis inRechnung zu stellen, und den Imperialisten nidbt helfen darf, indem manihnen den Kampf gegen den Sozialismus erleichtert, wenn der Sozialismusnoch schwach ist und die Kampf chancen für den Sozialismus offenkundigungünstig sind.

Aber über das Kräfteverhältnis, über die Berücksichtigung des Kräfte-verhältnisses nachzudenken verstehen unsere „linken" Kommunisten nicht,

die sich auch gern „proletarische" Kommunisten nennen, weil bei ihnenrecht wenig Proletarisches und besonders viel Kleinbürgerliches zu findenist. Hier liegt der Angelpunkt des Marxismus und der m arxistischen Tak-tik, sie aber gehen an diesem „Angelpunkt" vorbei mit „stolzen" Phrasen,wie beispielsweise der folgenden:

„Die Verankerung der un tätigen ,M entalität des Friedens' in den M as-sen ist eine objektive Tatsache der gegenwärtigen politischen Si tuat ion... "

Das ist doch geradezu eine Perle! Nach dem dreijährigen qualvollstenund reaktionärsten aller Kriege hat das Volk dank der Sowjetmacht und

ihrer richtigen Taktik, die nicht in Phrasentum abirrt, eine ganz, ganzkleine, unbeständige und bei weitem nicht vollständige Atempause er-halten, die „linken" Intellektuellen aber orakeln mit der Großartigkeiteines in sich verliebten Narziß tiefsinnig von „Verankerung (!!!) der un-tätigen (!!!???) Mentalität des Friedens in den Massen (???)". Hatte ichetwa nicht recht, als ich auf dem Parteitag sagte, daß sich die Zeitung oderdie Zeitschrift der „Linken" nicht „Kom munist", sondern „Schlachtschitz"nennen müßte?*

Kann denn ein Kommunist, der halbwegs die Lebensbedingungen und

die Mentalität der werktätigen, ausgebeuteten Massen kennt, auf diesenStandpunkt eines typischen Intellektuellen, eines Kleinbürgers, eines De-klassierten, der wie ein Junker oder Schlachtschitz gesinnt ist, hinabglei-ten, der die „M entalität des Friedens" für „untätig" erklärt, das Herum -fuchteln mit dem Pappschwert aber für eine „Tätigkeit" hält? Denn es istnichts anderes als ein Herumfuchteln mit dem Pappschwert, wenn unsere„Linken" die allgemein bekannte und durch den Krieg in der Ukraine ein

.* Siehe den vorliegenden Band, S. 92. Die Red.

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"über „Unke" X inderei und über Xleinbürgerlidhkeit 321

übriges Mal bewiesene Tatsache umgehen, daß die durch das dreijährige

Gemetzel erschöpften Völker nicht ohne Atempause Krieg führen können,daß ein Krieg, wenn keine Kräfte da sind, um ihn im nationalen Maßstabzu organisieren, durchweg eine M enta lität kleinbesitzerlichen Ze rfalls u ndnicht proletarischer eiserner Disziplin erzeugt. An der Zeitschrift „Kom-munist" sehen wir auf Schritt und Tritt, daß unsere „Linken" keineAhnung haben von der proletarischen eisernen Disziplin und ihrer Vor-bereitung, daß sie völlig durchtränkt sind von der Mentalität des deklas-sierten kleinbürgerlichen Intellektuellen.

IIe

Aber vielleicht sind die Phrasen der „Linken" vom Krieg einfach kin-discher Eifer, der noch dazu der Vergan genheit zu gew andt ist und deshalbkeine Spur von politischer Bedeutung besitzt? So verteidigen manche un-sere „L inke n". Da s ist jedoch falsch. W en n m an auf die politische Füh rungAnspruch erhebt, dann muß man es verstehen, die politischen Aufgabenzu durchdenken, das Fehlen dieser Fähigkeit aber macht die „Linken" zu

charakterlosesten Pred igern des Schwankens, das objektiv nu r eine einzigeBedeutung hat: mit ihren Schwankungen helfen die „Linken" den Impe-rialisten, die Russische Sowjetrepublik zu einem für sie offenkundigungünstigen Kampf zu provozieren, helfen den Imperialisten, uns in dieFalle zu locken. M an h öre nu r:

„Die russische Arbeiterrevolution kann sich nicht ,erhalten', wenn sieden internationalen revolutionären We g verläßt , fortwährend dem Kampfaus dem W ege geht, vor dem Druck des internationalen Kapitals zurück-weicht und dem ,einheimischen Kapital ' Zugeständnisse macht.

Von diesem Standpunkt aus sind notwendig: eins entschlossene, vomKlassenstandpunkt ausgehende internationale Politik, die die internatio-nale revolutionäre Propaganda in Wort und Tat zusammenfaßt, und dieStärkung des organischen Zusammenhalts mit dem internationalen Sozia-lismus (und nicht mit der internationalen Bourgeoisie)."

Von den hier unternommenen Vorstößen ins Gebiet der Innenpoli t ikwird noch besonders die Rede sein. Man beachte aber diesen Phrasen-sdiwall — im Verein mit Ängstlichkeit in der Pra xis — auf dem Gebiet der

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322 TV. J. Lenin

Außenpolitik. Welche Taktik ist obligatorisch für jeden, der nicht ein

Werkzeug der imperialistischen Provokation sein und im gegebenenAugenblick in die Falle gehen will? Auf diese Frage muß jeder Politikereine klare, direkte Antwort erteilen. Die Antwort unserer Partei ist be-kannt: sich im gegebenen Augenblick zurückziehen, dem Kampf aus demWege gehen. Unsere „Linken" können sich nicht entschließen, das Gegen-teil zu sagen, und schießen in die Luft: „Entschlossene internationaleKlassenpolitik"!!

Das ist Betrug an den Massen. Wollt ihr sofort Krieg führen, dannmüßt ihr es offen sagen. Wollt ihr nicht, daß man sich jetzt zurückziehe,

dann sagt es offen. Sonst seid ihr entsprechend der objektiven Rolle, dieihr spielt, ein Werkzeug imperialistischer Provokation. Eure subjektive„Mentalität" aber ist die Mentalität eines wildgewordenen Kleinbürgers,der sich in die Brust wirft und prahlt, aber sehr wohl fühlt, daß der Prole-tarier redbt hat, wenn er sich zurückzieht und bemüht ist, sich organisiertzurückzuziehen, daß der Proletarier recht hat, wenn er in Betracht zieht,daß man, solange noch keine Kräfte vorhanden sind, sich zurückziehenmuß (vor dem Imperialismus im W esten und Osten ), und sei es auch biszum Ural, denn das ist die einzige Gewinnchance für die Zeit des H eran-

reifens der Revolution im Westen, die nicht (entgegen dem Geschwätz der„Linken") „im Frühjahr oder Sommer" beginnen „muß", die aber mitjedem TAonat immer näher rückt und wahrscheinlicher wird.

Eine „eigene" Politik haben die „Linken" nicht; sie wagen es nicht, denRückzug jetzt für unnötig zu erk lären. Sie drehen und winden sich hin undher, mit Worten spielend, und an Stelle der Frage des Ausweichens voreinem Kampf im gegebenen Augenblick, unterschieben sie die Frage des„fortwährenden" Ausweichens vor dem Kampf. Sie lassen Seifenblasenlos: „internationale revolutionäre Propaganda der Tat"!! Was bedeu-

tet das?Das kann nur von zwei Dingen eins"bedeuten: Entweder ist das die

Schwadronade eines Nosdrjow* oder ein Angriffskrieg zum Sturz desinternationalen Imperialismus. Einen solchen Unsinn offen aussprechengeht nicht an, und deshalb müssen die „linken" Kommunisten, um nichtvon jedem beliebigen klassenbewußten Proletarier ausgelacht zu werden,sich mit dröhnenden, völlig leeren Phrasen zu schützen suchen: vielleicht

* Gestalt ans dem Roman „Die toten Seelen" von N..W . Gogol. Der Tibers.

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"über „ linke" "Kinderei und über KleinbürgerHdhkeit 323

wird, meinen sie, der unaufmerksame Leser nicht merken/was „inter-

nationale revolutionäre Propaganda der Tat" eigentlich bedeutet.Mit lauten Phrasen um sich werfen ist eine Eigenheit der deklassierten

kleinbürgerlichen Intelligenz. Die organisierten'kommunistischen Prole-tarier werden diese „Manier" gewiß mit nichts Geringerem ahnden alsmit Spott und Vertreibung von jedem verantwortlichen Posten. Man mußden Massen die bittere Wahrheit schlicht, klar und direkt sagen: Es istmöglich und sogar wahrscheinlich, daß die Kriegspartei in Deutschlandnoch einmal die Oberhand gewinnt (im Sinne eines sofortigen Übergangszur Offensive gegen uns) und daß Deutschland zusammen mit Japan auf

Grund eines formellen oder stillschweigenden Abkommens uns aufzutei-len und zu erwürgen versuchen wird. Unsere Taktik bleibt, wenn wir nichtauf die Schreier hören wollen: abwarten, aufschieben, den Kampf ver-meiden, zurückweichen. Wenn wir die Schreier beiseite schieben und uns„zusammennehmen", eine wirklich eiserne, wirklich proletarische, wirk-lich kommunistische Disziplin schaffen, dann haben wir ernste Chancen,viele Monate zu gewinnen. Und dann werden wir mit unserem Rückzug,sogar (im schlimmsten der schlimmen Fälle) bis zum Ural, es unseremVerbündeten (dem internationalen Proletariat) erleichtern, uns zu Hilfe

zu kommen und die Strecke „aufzuholen" (um in der Sprache der Sportlerzu reden), die den Beginn revolutionärer Explosionen von der Revolutiontrennt.

Eine solche und nur eine solche Taktik stärkt praktisch den Zusamm en-halt des einen, zeitweilig isolierten Trupps des internationalen Sozialis-mus mit den anderen Trupps, aber bei euch, ihr lieben „linken Kommu-nisten", kommt nur — um die Wahrheit zu sagen — eine „Stärkung desorganischen Zusammenhalts" der einen tönenden Phrase mit einer an-deren tönenden Phrase heraus. Ein schlechter „organischer Zusammen-

halt"!Und ich will euch, meine Lieben, erklären, warum euch dies Malheur

passiert ist: weil ihr die Losungen der Revolution mehr auswendig zulernen und euch einzuprägen pflegt, als sie zu durchdenken. Deswegensetzt ihr die Worte „Verteidigung des sozialistischen Vaterlands" in An-führungszeichen, die wahrscheinlich euren W unsch, ironisch zu sein, zei-gen sollen, praktisch aber nichts anderes zeigen, als daß in eurem Kopfalles wie Kraut und Rüben durcheinandergeht. Ihr seid es gewohnt, die

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„Vaterlandsverteidigung" für eine niederträchtige und abscheuliche Sache

zu halten, ihr habt euch das eingeprägt und auswendig gelernt, ihr habtdas so eifrig hergeplappert, daß einige von euch sich bis zu der unsinnigenBehauptung verstiegen, die Verteidigung des V aterlands sei in der imperia-listischen Epodie eine unzulässige Sache (in Wirklichkeit ist sie nur ineinem imperialistischen, reaktionären Krieg unzulässig, der von der Bour-geoisie geführt wird). Aber ihr habt euch nicht überlegt, weshalb undwann die „Vaterlandsverteidigung" eine Niederträchtigkeit ist.

Die Verteidigung des Vaterlands anerkennen heißt die Legitimität undGerechtigkeit eines Krieges anerkennen. Legitimität und Gerechtigkeit

von welchem Standpunk t? N ur vom Standpunkt des sozialistischen Prole-tariats und seines Kampfes für seine Befreiung; einen anderen Standpunkterkennen w ir nicht an. We nn die Klasse der Ausb euter einen Krieg führt,um ihre Herrschaft als Klasse zu stärken, so ist das ein verbrecherischerKrieg, und die „Vaterlandsverteidigung" in einem solchen Krieg ist eineNiedertracht und ein Verrat am Sozialismus. Wenn das Proletariat, dasbei sich die Bourgeoisie besiegt hat, einen Krieg führt zur Festigung undEntwicklung des Sozialismus, dann ist der Krieg berechtigt und „heilig".

W ir sind seit dem 2 5. Ok tobe r 1917 Vaterlandsverteidiger. Ich habedas wiederholt mit aller Bestimmtheit erklärt, und ihr wagt es nicht, daszu bestreiten. Gerade im Interesse der „Stärkung des Zusammenhalts"mit dem internationalen Sozialismus ist es notwendig, das sozialistischeVaterland zu verteidigen. Wer sich leichtfertig verhielte zur Verteidigungeines Landes, in dem das Proletariat bereits gesiegt hat, zerstört den Zu-sammenhalt mit dem internationalen Sozialismus. Als wir Vertreter derunterdrückten Klasse waren, da nahmen wir keine leichtfertige Haltungzur Verteidigung des Vaterlands im imperialistischen Krieg ein, wir lehn -ten eine solche Verteidigung grundsätzlich ab. Seitdem wir Vertreter derherrschenden Klasse geworden sind, die den Sozialismus zu organisierenbegonnen hat, fordern wir von allen eine ernste Einstellung zur Verteidi-gung des Landes. Die Verteidigung des Landes ernst nehmen heißt sichgründlich vorbereiten und das Kräfteverhältnis streng in Rechnung stellen.Wenn wir offenkundig schwach sind, so ist das wichtigste Mittel der Ver-teidigung der Rückzug in das Innere des Landes (wer darin eine nur fürdiesen Fall zurechtgebogene Formel sieht, kann bei dem alten Clause-witz102, einem der großen Militärschriftsteller, über die Ergebnisse der

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Tiber „linke" "Kinderei und über Xleinbürgerlidbkeit 325

Lehren der Geschichte in dieser Beziehung nachlesen). Bei den „linken

Kommunisten" aber finden wir auch nicht andeutungsweise, daß sie dieBedeutung der Frage des Kräfteverhältnisses verstanden hätten .Als wir prinzipielle Gegner der Vaterlandsverteidigung waren, da hat-

ten wir das Recht, diejenigen zu verspotten, die ihr Vaterland angeblichim Interesse des Sozialismus „erhalten" wollten. Als wir das Recht er-langten, proletarische Vaterlandsverteidiger zu sein, da änderte sich dieganze Fragestellung von Grund auf. Es wird unsere Pflicht, die Kräfte aufsvorsichtigste zu berechnen und aufs sorgfältigste abzuwägen, ob unserVerbündeter (das internationale Proletariat) rechtzeitig zur Stelle sein

wird. Das Kapital ist daran interessiert, den Feind (das revolutionäre Pro-letariat) einzeln zu schlagen, noch bevor die Arbeiter aller Länder sich(praktisch, d. h. durch den Beginn der Revolution) zusammengeschlossenhaben. Wir dagegen sind daran interessiert, alles nur mögliche zu tun,selbst die kleinste Chance auszunutzen, um den entscheidenden Kampfaufzuschieben bis zu dem Zeitpunkt (bzw. „bis nadh" dem Zeitpunkt)einer solchen Vereinigung der revolutionären Trupps der großen inter-nationalen Armee.

III

Gehen wir nun über zu den Mißgeschicken unserer „linken" Kommu-nisten auf dem Gebiet der Innenpolitik. Man kann kaum ohne ein Lächelnsolche Phrasen in den Thesen über die gegenwärtige Lage lesen, wie:

„Eine planmäßige Ausnutzung der unversehrt gebliebenen Produktions-mittel ist nur bei entschlossenster Vergesellschaftung denkbar"... „KeineKapitulation vor der Bourgeoisie und ihren kleinbürgerlichen intelligenz-lerischen Handlangern, sondern gänzliche Vernichtung der Bourgeoisie

und endgültiges Brechen der Sa bo tag e... "Diese lieben „linken Kommunisten", wieviel Entschlossenheit ist beiihnen zu finden... und wie wenig Überlegung! Was heißt das — „ent-schlossenste Vergesellschaftung" ?

Man kann in der Frage der Nationalisierung, der Konfiskation ent-schlossen oder unentschlossen sein. Aber das ist es ja gerade, daß selbst dieallergrößte „Entschlossenheit" nicht hinreicht, um den Übergang von derNationalisierung und der Konfiskation zur Vergesellschaftung zu vollzie-

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326 IV . 1. £enin

hen. Das ist eben das Pech unserer „Linken", daß sie mit dieser naiven,

kindischen Wortverbindung „entschlossenste... Vergesellschaftung" offen-baren, daß sie den Angelpunkt der Frage, den Angelpunkt der „gegen-wärtigen" Lage absolut nicht verstehen. Darin besteht ja das Mißgeschickder „Linken", daß sie das eigentliche Wesen der „gegenwärtigen Lage",den Übergang von den Konfiskationen (bei deren Durchführung dieHaupteigenschaft des Politikers Entschlossenheit ist) zur Vergesellschaf-tung (bei deren Durchführung von einem Revolutionär eine andere Eigen-schaft gefordert wird) nicht bemerkt haben.

Gestern w ar es der Angelpunkt der gegebenen Lage, möglichst entschie-

den zu nationalisieren, zu konfiszieren, die Bourgeoisie zu schlagen undzu vernichten, die Sabotage zu brechen. Heu te sehen nur Blinde nicht, daßwir mehr nationalisiert, konfisziert, zerschlagen und zerbrochen haben,als wir zu erfassen vermochten. Die Vergesellschaftung aber unterscheidetsich gerade dadurch von einfacher Konfiskation, daß zum Konfiszierenbloße „Entschlossenheit", ohne die Fähigkeit, richtig zu registrieren undrichtig zu verteilen, genügt, während man ohne eine solche 7ähigkeit nichtvergesellschaften kann.

Unser geschichtliches Verdienst bestand darin, daß wir gestern, bei den

Konfiskationen, beim Niederschlagen der Bourgeoisie, beim Brechen derSabotage entschlossen vorgingen (und morgen vorgehen werden). Heutedarüber in „Thesen über die gegenwärtige Lage" schreiben heißt sich derVergangenheit zuwenden und den Übergang zur Zukunft nicht verstehen.

„Endgültiges Brechen der Sabotage..." Da haben sie das Richtige ge-funden! Die Saboteure bei uns sind ja völlig ausreichend „gebrochen".Uns fehlt es an etwas ganz, ganz anderem : an der 7estlegungl an welchenPlatz w ir diese oder jene Sabo teure stellen müssen; an einer O rganisationunserer Kräfte, damit, sagen wir, ein bolschewistischer Leiter oder Kon-

trolleur die Aufsicht über hundert Saboteure hat, die in unseren Diensttreten. Bei einer solchen Lage der Dinge mit Phrasen herumwerfen, wie„entschlossenste Vergesellschaftung", „gänzliche Vernichtung", „endgül-tiges Brechen", heißt am Ziel vorbeischießen. Es ist eine Eigenheit deskleinbürgerlichen R evolutionärs, nicht zu bem erken, daß für den Sozialis-mus vollständige V ernichtung, Brechen usw. nicht genügen. Das genügt fürden Kleineigentümer, der gegen den Großbesitzer w ütet, ein proletarischerRevolutionär aber könnte niemals in einen solchen Fehler verfallen.

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Tiber „ Unke " Kinderei und über KhinbürgerHdhkeit 327

Wenn die von uns angeführten Worte ein Lächeln hervorrufen, so ruft

die Entdeckung der „linken Kommunisten", daß der Sowjetrepublik an-gesichts einer „rechtsbolschewistischen Abweichung" eine „Evolution zumStaatskapitalismus" drohe, nun schon geradezu homerisches Gelächterhervor. Da haben sie uns aber wirklich einen Schreck eingejagt! Und mitwelchem Eifer wiederholen die „linken Kommunisten" sowohl in Thesenals auch in Artikeln diese schreckliche Entdeckung...

Sie haben nicht daran gedacht, daß der Staatskapitalismus ein Schrittvorwärts wäre gegenüber der jetzigen Lage der Dinge in unserer Sowjet-republik. Hätten wir in etwa einem halben Jahr den Staatskapitalismus er-

richtet, so wäre das ein gewaltiger Erfolg und die sicherste Garan tie dafür,daß sich in einem Jahr der Sozialismus bei uns endgültig festigt undunbesiegbar wird.

Ich kann mir vorstellen, mit welch edler Entrüstung der „linke Kommu-nist" vor diesen Worten zurückschrecken und was für eine „mörderischeKritik" er vor den Arbeitern gegen die „rechtsbolschewistische Abwei-chung" richten wird. Wie? In der Sozialistischen Sowjetrepublik soll derÜbergang zum Staatskapitalismus ein Schritt vorwärts sein?... Und daswäre kein Verrat am Sozialismus?

Gerade hier liegt die Wurzel des ökonomischen Fehlers der „linkenKommunisten". Gerade auf diesen Punkt müssen wir deshalb näher ein-gehen.

Erstens haben die „linken Kom munisten" nicht begriffen, wie denn nunder Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus aussieht, der uns Rechtund Grund gibt, uns Sozialistische Republik der Sowjets zu nennen.

Zweitens offenbaren sie ihre Kleinbürgerlichkeit gerade dadurch, daßsie die kleinbürgerliche Anarchie als den TJauptftind des Sozialismus beiuns nidht sehen.

Drittens zeigen sie, indem sie das Schreckgespenst des „Staatskapitalis-mus" umgehen lassen, daß sie den ökonomischen Unterschied zwischendem Sowjetstaat und dem bürgerlichen Staat nicht verstehen.

Prüfen wir alle diese drei Umstände.Es ha t wohl noch keinen Menschen gegeben, der sich die Frage nach der

Wirtschaft Rußlands gestellt und dabei den Übergangscharakter dieserWirtschaft bestritten hätte. Kein einziger Kommunist hat wohl auch be-stritten, daß die Bezeichnung Sozialistische Sowjetrepublik die Entschlos-

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328 TV.I.Zenin

senheit der Sowjetmacht bedeutet, den Übergang zum Sozialismus zu ver-

wirklichen, keineswegs aber, daß die neuen ökonomischen Zustände alssozialistisch bezeichnet werden.Was aber bedeutet das Wort Übergang? Bedeutet es nicht in Anwen-

dung auf die Wirtschaft, d aß in der betreffenden GesellschaftsordnungElemente, Teilchen, Stückchen sowohl des Kapitalismus ah audb des Sozia-lismus vorhanden sind? Jeder wird zugeben, daß dem so ist. Aber nichtjeder, der das zugibt, macht sich Gedanken darüber, welches denn nun dieElemente der verschiedenen gesellschaftlichen Wirtschaftsform en sind, diees in Rußland gibt. Das aber ist der ganze Kern der Frage.

Zählen wir diese Elemente auf:1. Die patriarchalische Bauernwirtschaft, die in hohem Grade Natural-wirtschaft ist;

2. die kleine Warenproduktion (hierher gehört die Mehrzahl derBauern, die Getreide verkaufen);

3. der privatwirtschaftliche Kapitalismus;4. der Staatskapitalismus;5. der Sozialismus.Rußland ist so groß und so bunt, daß sich alle diese verschiedenen Ty-

pen ökonomischer Gesellschaftsstruktur in ihm verflechten. Die Eigenartder Lage besteht gerade darin.Es fragt sich: Welche Elemente wiegen nun vor? Klar ist, daß in einem

kleinbäuerlichen Lande das kleinbürgerliche Element vorwiegt und vor-wiegen muß; die Mehrheit, und zwar die gewaltige Mehrheit der Land-wirte sind kleine Warenproduzenten. Die Hülle des Staatskapitalismus(Getreidemonopol, unter Kontrolle stehende Unternehmer und Händler,bürgerliche Genossenschaftler) wird bei uns bald hier, bald dort vonSchiebern zerrissen, und der Hauptgegenstand der Spekulation ist Qe-

treide.Der Hauptkampf entfaltet sich gerade auf diesem Gebiet. Zwischenwem und wem geht dieser Kampf vor sich, wenn man in den Termini öko-nomischer Kategorien wie „Staatskapitalismus" sprechen will? Etwa zwi-schen der vierten und der fünften Stufe in der Reihenfolge, wie ich sieeben aufgezählt habe? Gewiß nicht. Hier kämpft nicht der Staatskapita-lismus gegen den Sozialismus, sondern die Kleinbourgeoisie plus privat-wirtschaftlicher Kapitalismus kämpfen zusammen, gemeinsam, sowohl

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Tiber „ linke" Kinderei und über Xleinbürgerlidhkeit 329

gegen den Staatskapitalismus als auch gegen den Sozialismus. Die Klein-

bourgeoisie widersetzt sich jeder staatlichen Einmischung, Rechnungsfüh-rung und Kontrolle, mag sie nun staatskapitalistischer oder staatssozia-listischer N atu r sein. Das ist eine ganz unwiderlegbare Tatsache der W irk-lichkeit, in deren Verkennung die Wurzel des ökonomischen Fehlers der„linken Kommunisten" liegt. Der Schieber, der Marodeur des Handels,der Sprenger des Monopols — das ist unser „innerer" Hauptfeind, derFeind der ökonomischen Maßnahmen der Sowjetmacht. Wenn es vor125 Jahren den französischen Kleinbürgern, glühendsten und aufrichtig-sten Revolutionären, noch zu verzeihen war, daß sie den Schieber durch

Hinrichtung einzelner, weniger „Auserwählter" und durch donnerndeDeklamationen zu besiegen suchten, so ruft heute das bloße Phrasen-dreschen irgendwelcher linker Sozialrevolutionäre in dieser Frage beijedem bewußten Revolutionär nur Abscheu oder Ekel hervor. Wir wissensehr wohl, daß die ökonomische Grundlage der Spekulation die in Ruß-land außerordentlich breite Schicht der Kleineigentümer und der privat-wirtschaftliche Kapitalismus ist, der in jedem Kleinbürger seinen Agentenhat. Wir wissen, daß diese kleinbürgerliche Hydra mit ihren MillionenFangarmen bald hier, bald dort einzelne Schichten der Arbeiter erfaßt,daß die Spekulation an Stelle des Staatsmonopols in alle Poren unseressozialökonomischen Lebens eindringt.

Wer das nicht sieht, der zeigt gerade durch seine Blindheit, daß er imBanne kleinbürgerlicher Vorurteile steht. Gerade so steht es um unsere„linken Kommunisten", die in Worten (und natürlich in aufrichtigsterÜberzeugung) schonungslose Feinde des Kleinbürgertums sind, praktischaber nur ihm helfen, nur ihm dienen, nur seinen Standpunkt zum Aus-druck bringen, wenn sie — im April i9i8ü — gegen... den „Staatskapita-lismus" kämpfen! Da hab en sie schön vorbeigeschossen!

Der Kleinbürger ha t sein Sümmchen Geld, einige Tausend, das er „rech-tens" und besonders unrechtmäßig während des Krieges angehäuft hat.Da s ist der ökonomische Typus , der charakteristisch ist als Grundlage derSpekulation und des privatwirtschaftlichen Kapitalismus. Geld ist eine Be-scheinigung zum Empfang von gesellschaftlichen Gütern, und die vieleMillionen zählende Schicht der Kleineigentümer, die diesen Schein fest inHä nden hä lt, versteckt ihn vor dem „Staat", da sie an keinen Sozialismusund Kommunismus glaubt und nur „a bwa rtet", bis der proletarische Sturm22 *

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„vorüber" ist. Entweder werden wir diesen Kleinbürger unserer Kontrolle

und Rechnungsführung unterordnen (wir können das tun, wenn wir dieArmen, d. h. die Mehrheit der Bevölkerung oder die Halbproletarier, umdie klassenbewußte proletarische Vorhut organisieren), oder aber er wirdunsere Arbeitermacht ebenso unvermeidlich und unabwendbar zu Bodenwerfen, wie die Napoleon und Cavaignac, die ja gerade auf diesem klein-besitzerlichen Boden emporwuchsen, die Revolution zu Boden warfen. Soist die Frage gestellt. Nur die linken Sozialrevolutionäre sehen vor lauterPhrasen über die „werktätige" Bauernschaft diese einfache und klareW ahrheit nicht. Wer aber nimmt die im Strom der Phrasen ertrinkenden

linken Sozialrevolutionäre ernst?Der Kleinbürger, der seine paar Tausender aufbewahrt, ist ein Feinddes Staatskapitalismus, und diese Tausender will er unbedingt für sich undgegen die arme Bevölkerung, gegen jede gesamtstaatliche Kontrolle reali-sieren; die Summe der Tausender aber ergibt eine Basis von vielen Milliar-den für den Schleichhandel, der unseren sozialistischen Aufbau untergräb t.Angenommen, eine bestimmte Zahl von Arbeitern produziere im Laufeeiniger Tage eine Summe von Werten, die gleich 1000 ist. Nehmen wirferner an, 200 von dieser Summe gehen bei uns verloren infolge kleiner

Schiebungen, durch allerhand Veruntreuungen und dadurch, daß Klein-eigentümer die Dekrete und Anordnungen der Sowjetmacht „umgehen".Jeder klassenbewußte Arbeiter wird sagen: Könnte ich von den tausend300 geben, damit größere O rdnung und Organisation geschaffen wird, sowürde ich gern 300 statt 200 geben, denn diesen „Tribut" später zu ver-ringern, sagen wir bis auf 100 oder 50, wird unter der Sowjetmacht einleichtes sein, sobald Ordnung und Organisation herrschen, sobald dieSabotage der Kleineigentümer gegen jedes Staatsmonopol endgültig ge-brochen ist.

Dieses einfache Zahlenbeispiel, das wir der AUgemeinverständlichkeithalber absichtlich bis zum äußersten vereinfacht haben, beleuchtet dasVerhältnis der jetzigen Lage, des Staatskapitalismus und des Sozialismus.Die Arbeiter haben die Macht im Staate in Händen, sie besitzen juristischvollständig die Möglichkeit, das ganze Tausend zu „nehmen", d. h. keineKopeke ohne sozialistische Zweckbestimmung herzugeben. Diese juri-stische Möglichkeit, die sich auf den faktischen Obergang der Macht an dieArbeiter stützt, ist ein Element des Sozialismus.

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Tiber „Unke' Xinderei und über Xleinbürgerlidhkeit 331

Aber auf vielen Wegen unterspült die Flut der kleinbesitzerlichen und

privatkapitalistischen Anarchie die Rechtslage, schleppt die Spekulationherein, vereitelt die Durchführung der sowjetischen Dekrete. Der Staats-kapitalismus wäre ein gewaltiger Schritt vorwärts, sogar wenn (und ichhabe absichtlich ein solches Zahlenbeispiel angeführt, um das kraß zudemonstrieren) wir mehr bezahlen müßten als jetzt; denn es lohnt, „Lehr-geld" zu zahlen, denn dies ist von Nutzen für die Arbeiter, denn der Siegüber Unordnung, Zerrüttung, Schlamperei ist wichtiger als alles andere,denn das Fortbestehen der kleinbesitzerlichen A narchie ist die größte, dieschlimmste Gefahr, die uns (wenn wir ihrer nicht Herr werden) unbedingt

zugrunde richten wird, während die Zahlung eines größeren Tributs anden Staatskapitalismus uns nicht nur nicht zugrunde richten, sondern unsauf dem sichersten Wege zum Sozialismus führen wird. Die Arbeiter-klasse, die gelernt hat,wie die Staatsordnung gegen die Anarchie des Klein-eigentümers zu behaupten ist, die es gelernt hat, wie eine große, gesamt-staatliche Organisation der Produktion auf staatskapitalistischen Grund-lagen in G ang zu setzen ist, wird dann—man entschuldige den Ausdruck—alle Trümpfe in der Hand haben, und die Festigung des Sozialismus wirdgesichert sein.

Der Staatskapitalismus steht okonomisd) unvergleichlich höher als-unsere jetzige Wirtschaftsweise, das zum ersten.

Zweitens aber hat er nichts Schreckliches für die Sowjetmacht an sich,denn der Sowjetstaat ist ein Staat, in dem die Macht der Arbeiter und derarmen Bauern gesichert ist. Die „linken Kommunisten" haben dieseunbestreitbaren W ahrheiten nicht begriffen, die natürlich ein „linker Sozial-revolutionär" niemals begreifen wird, weil er überhaupt nicht imstandeist, irgendwelche Gedanken über politische Ökonomie zu fassen, die aberjeder Marxist anerkennen muß. M it einem linken Sozialrevolutionär lohnt

es nicht zu streiten, es genügt, auf ihn als „abschreckendes Beispiel" einesSchwätzers mit dem Finger zu zeigen, mit einem „linken Kommunisten"aber muß man streiten, denn hier begehen Marxisten einen Fehler, unddie Analyse ihres Fehlers wird der Arbeiterklasse helfen, den richtigenWeg zu finden.

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332 W. 7. Lenin

IVUm die Frage noch klarer zu machen, wollen wir zunächst ein ganz

konkretes Beispiel des Staatskapitalismus anführen. Alle wissen, was fürein Beispiel das ist: Deutschland. Hie r haben w ir das „letzte W or t" moder-ner großkapitalistischer Technik und planmäßiger Organisation, die demjunkerlidb-bürgerlidhen Imperialismus unterstellt sind. Man lasse die her-vorgehobenen Wörter aus, setze an Stelle des militärischen, junkerlichen,bürgerlichen, imperialistischen Staates ebenfalls einen Staat, aber einenStaat von anderem sozialem Typus, mit anderem Klasseninhalt, den So-

wjetstaat, d. h. einen proletarischen Staa t, und man wird die ganze Summeder Bedingungen erhalten, die den Sozialismus ergibt.

Sozialismus ist undenkbar ohne großkapitalistische Technik, die nachdem letzten Wort modernster Wissenschaft aufgebaut ist, ohne plan-mäßige staatliche Organisation, die Dutzende Millionen Menschen zurstrengsten Einhaltung einer einheitlichen Norm in der Erzeugung undVerteilung der Produkte anhä lt. Davon haben w ir Marxisten stets gespro-chen, und es lohnt nicht, auch nur zwei Sekunden für ein Gespräch mitLeuten zu verschwenden, die sogar das nicht begriffen haben (die Anarchi-

sten und die gute Hälfte der linken Sozialrevolutionäre).Sozialismus ist außerdem undenkbar ohne die Herrschaft des Proleta-

riats im Staate: das ist ebenfalls eine Binsenwahrheit. Und die Geschichte(von der niemand, vielleicht außer den menschewistischen Flachköpfenersten Ranges, erwartet hatte, daß sie uns glatt, ruhig, leicht und einfachden „vollen" Sozialismus bringen werde) nahm einen so eigenartigen Ver-lauf, daß sie im Jahre 1918 zwei getrennte Hälften des Sozialismus gebar,eine neben der anderen, wie zwei künftige Kücken unter der einen Schaledes internationalen Imperialismus. Deutschland und Rußland verkörpern

1918 am anschaulichsten die materielle Verwirklichung einerseits der öko-nomischen, produktionstechnischen, sozialwirtschaftlichen Bedingungenund anderseits der politischen Bedingungen für den Sozialismus.

Die siegreiche proletarische Revolution in Deutschland würde mit einemMale, mit größter Leichtigkeit, jede Schale des Imperialismus zerbrechen(leider ist sie aus bestem Stahl verfertigt und läßt sich deshalb nicht durchdie Anstrengungen eines jeden... Kückens zerbrechen), den Sieg desWeltsozialismus ohne Schwierigkeiten oder mit geringfügigen Schwierig-

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Vber „Unke" X inderei und über Xleinbürgertidbkeit 333

keiten bestimmt verwirklichen—freilich wenn m an den weltgeschichtlichen

Maßstab der „Schwierigkeit" nimmt, und nicht den engen Spießermaß-stab.

Solange in Deutschland die Revolution noch mit ihrer „G ebu rt" säumt,ist es unsere Aufgabe, vom Staatskapitalismus der Deutschen zu lernen,ihn mit aller Kraft zu übernehmen, keine diktatorischen Methoden zuscheuen, um diese Übernahm e noch stärker zu beschleunigen, als Peter dieÜbernahme der westlichen Kultur durch das barbarische Rußland be-schleunigte, ohne dabei vor barbarischen Methoden des Kampfes gegendie Barbarei zurückzuschrecken. Wenn es unter den Anarchisten und lin-

ken Sozialrevolutionären (mir fielen unwillkürlich die Reden von Karelinund Ge im Zentralexekutivkomitee ein) Leute gibt, die imstande sind, inder Art eines Narziß zu räsonieren, daß es uns Revolutionären nicht ge-zieme, vom deutschen Imperialismus „zu lernen ", so muß man eins sagen:Die Revolution, die solche Leute ernst nehmen wollte, wäre hoffnungslos(und durchaus verdientermaßen) verloren.

In Rußland überwiegt jetzt gerade der kleinbürgerliche Kapitalismus,von dem sowohl zum staatlichen Großkapitalismus als audb zum Sozialis-mus ein und derselbe Weg führt, der W eg über ein und dieselbe Zwischen-

station, die „allgemeine Rechnungsführung und Kontrolle über die Er-zeugung und Verteilung der Produkte" heißt. Wer das nicht versteht, derbegeht einen unverzeihlichen ökonomischen Fehler, entweder weil er dieTatsachen der Wirklichkeit nicht kennt, weil er nicht sieht, was ist, weil erder Wahrheit nicht ins Auge zu schauen vermag, oder aber weil er sichauf die abstrakte Gegenüberstellung von „Kapitalismus" und „Sozialis-mus" beschränkt und die konkreten Formen und Stufen dieses Übergangsheute bei uns nicht erfaßt. Nebenbei sei gesagt: Das ist derselbe theore-tische Fehler, der die Besten aus dem Lager der „Nowaja Shisn" und des

„Wperjod" in die Irre geführt hat; die Schlechtesten und die Mittelmäßi-gen unter ihnen, von der Bourgeoisie eingeschüchtert, trotten aus Stumpf-sinn und Charakterlosigkeit hinter ihr her; die Besten haben nicht begrif-fen, daß die Lehrmeister des Sozialismus nicht um sonst von einer ganzenPeriode des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus sprachen undnicht ohne Grund die „langen Geburtswehen" bei der Geburt der neuenGesellschaft hervorhoben, wobei diese neue Gesellschaft wiederum eineAbstraktion ist, die nicht anders verwirklicht werden kann als durch eine

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334 W. 1. Lenin

Reihe mannigfaltiger, unvollkommener konkreter Versuche, diesen oder

jenen sozialistischen Staat zu schaffen.Gerade weil man aus der jetzigen ökonomischen Lage Rußlands nicht

vorwärtskommen kann, ohne das durchzumachen, was dem Staatskapita-lismus und dem Sozialismus gemeinsam ist (allgemeine Rechnungsführungund Kontrolle), ist es ein einziger theoretischer Unsinn, andere und sichselbst zu schrecken mit „Evolution in Richtung zum Staatskapitalismus"(„Kommunist" Nr. 1, S. 8, Spalte 1). Das eben heißt, in G edanken abzu-schweifen „seitab" vom wirklichen Weg der „Evolution", diesen Weg zuverkennen; in der Praxis aber ist das gleichbedeutend mit einem Zurück-

zerren zum Kapitalismus der Kleineigentümer.Damit der Leser sich überzeuge, daß ich keineswegs erst jetzt den

Staatskapitalismus „hoch" einschätze, sondern das auch vor der Er-oberung der Macht durch die Bolschewiki getan habe, erlaube ich mir,folgendes aus meiner Broschüre „Die drohende Katastrophe und wieman sie bekämpfen soll", die im September 1917 geschrieben wurde, zuzitieren:

„Nun versuche man einmal, an Stelle des junkerlich-kapitalistischen, anStelle des gutsbesitzerlich-kapitalistischen Staates den revolutionär-demo-

kratischen Staat zu setzen, d. h. einen Staat, der in revolutionärer Weisealle Privilegien abschafft, der sich nicht davor fürchtet, auf revolutionäremWege den Demokratismus voll und ganz zu verwirklichen. Man wirdsehen, daß der staatsmonopolistische Kapitalismus in einem wirklich revo-lutionär-demokratischen Staat unweigerlich, unvermeidlich einen Schritt,ja mehrere Schritte zum Sozialismus hin bedeutet!

... Denn der Sozialismus ist nichts anderes als der nächste Schritt vor-wärts, über das staatskapitalistische Monopol hinaus.

...Der staatsmonopolistische Kapitalismus ist die vollständige mate-

rielle Vorbereitung des Sozialismus, ist seine unmittelbare Vorstufe,denn auf der historischen Stufenleiter gibt es zwischen dieser Stufe undderjenigen, die Sozialismus heißt, keinerlei Zwischenstufen mehr." (S. 27und 28*.)

Man beachte, daß das unter Kerenski geschrieben worden ist, daß hiernicht von der D iktatur des Proletariats, nicht von dem sozialistischen, son-dern von einem „revolutionär-demokratischen" Staat die Rede ist. Ist es

* Siehe Werke, 4. Ausgabe, Bd. 25, S. 332, 333, russ. Die Red.

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Tiber „linke' Xinderei und über Kleinbürgerlidbkeit 335

denn nicht klar, daß wir, je höher wir uns über diese politische Stufe er-

hoben, je vollständiger wir in den Sowjets den sozialistischen S taat und dieDiktatur des Proletariats verkörpert haben, um so weniger den „Staats-kapitalismus" zu fürchten brauchen? Ist es denn nicht klar, daß wir immateriellen, ökonomischen, produktionstechnischen Sinne noch nicht die„Vorstufe" des Sozialismus erreicht haben? Und daß wir anders als überdiese, von uns noch nicht erreichte „Vorstufe" nicht zur Tür des Sozialis-mus hineingehen können?

Von welcher Seite man auch an die Frage herangeh en m ag, die Schluß-folgerungbleibt ein und dieselbe: Die Me inung d er „linken Kommunisten"

über den uns angeblich bedrohenden „Staatskapitalismus" ist ein einzigerökonomischer Irrtum und ein offenbarer Beweis dafür, daß sie völlig imBann gerade der kleinbürgerlichen Ideologie stehen.

V

Höchst lehrreich ist noch folgender Um stand .Als wir im Zentralexekutivkomitee mit dem Genossen Bucharin strit-

ten*, bemerkte er unter anderem: In der Frage der hohen Gehälter fürSpezialisten stehen „wir" (offensichtlich wir „linken Kommunisten")„rechts von Lenin", denn wir sehen hier keinerlei Abweichung von denPrinzipien, eingedenk der Worte von Marx, daß es unter gewissen Um-ständen für die Arbeiterklasse am zweckmäßigsten w äre, „die ganz e Bandeauszukaufen" 10S (nämlich der Bande der Kapitalisten, d. h. der Bourgeoi-sie den Boden, die Fabriken, die Werke und sonstigen Produktionsmittelabzukaufen).

Diese außerordentlich interessante Bemerkung enthüllt erstens, daß

Bucharin die linken Sozialrevolutionäre und Anarchisten um zwei Köpfeüberragt, daß er keineswegs hoffnungslos im Sumpf der Phrasen versun-ken ist, sondern vielmehr bemüh t ist, sich in die konkreten Schwierigkeitendes Übergangs — des qualvollen und schwierigen Übergangs — vom Kapi-talismus zum Sozialismus hineinzudenken.

Zweitens enthüllt diese Bemerkung den Fehler Bucharins noch anschau-licher.

* Siehe den vorliegenden Band, S. 301/302. Die Red.

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336 W. J. Lenin

In der Tat. M an denke sich in den G edanken von M arx hinein.

Es handelte sich um das England der siebziger Jahre des vorigen Jahr-hunderts, um die Kulminationsperiode des vormonopolistischen Kapitalis-mus, um ein Land,das damals am wenigsten Militarismus und Bürokratiekannte, um ein Land, das damals die meisten Möglichkeiten eines „fried-lichen" Sieges des Sozialismus im Sinne des „Auskaufs" der Bourgeoisiedurch die Arbeiter hatte. Und Marx sagte: Unter gewissen Umständenwerden es die Arbeiter keineswegs ablehnen, die Bourgeoisie auszukaufen.Marx band sich — und den künftigen Führern der sozialistischen Revolu-tion — nicht die Hände in bezug auf die Formen, die Methoden, die A rt

und Weise der Umwälzung, denn er verstand sehr wohl, was für eineUnmenge neuer Probleme dann erstehen wird, wie sich im Laufe der Um -wälzung die gesamte Situation ändern, wie oft und wie stark sie sich imLaufe der Um wälzung ändern wird.

Nu n, und ist es denn in Sowjetrußland nado Eroberung der Macht durchdas Proletariat, nado Unterdrückung des militärischen und des durchSabotage geübten Widerstands der Ausbeuter nicht augenscheinlich, daßeinige Bedingungen dem Typus nach so sind, wie sie sich vor einem halbenJahrhundert in England hätten gestalten können, wenn es damals begon-

nen hätte, friedlich zum Sozialismus überzugehen? Die Unterordnung derKapitalisten unter die Arbeiter hätte damals in England durch folgendeUmstände gesichert werden können: 1. durch das völlige überwiegen derArbeiter, der Proletarier, in der Bevölkerung, da eine Bauernschaft nichtvorhanden war (in England waren in den siebziger Jahren Anzeichen vor-handen, die auf außerordentlich rasche Erfolge des Sozialismus unter denLandarbeitern hoffen ließen); 2. durch die ausgezeichnete Organisiertheitdes Proletariats in den Gewerkschaften (England war damals in dieserHinsicht das erste Land der Welt); 3. durch das verhältnismäßig hohe

Kulturniveau des Proletariats, das durch die Schule einer jahrhunderte-langen Entwicklung der politischen Freiheit gegangen war; 4. durch dielange Gewohnheit der großartig organisierten Kapitalisten Englands — da-mals waren sie die bestorganisierten Kapitalisten aller Länder der Welt(jetzt hat Deutschland diese Priorität übernommen) —, politische und öko-nomische Fragen durch Kompromisse zu lösen. Infolge dieser Umständealso konnte damals der Gedanke aufkommen, daß eine friedlidhe Unter-ordnung der Kapitalisten Englands unter seine Arbeiter möglich sei.

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Tiber „linke" Xinderei und über Kleinbürgerlichkeit 337

Bei uns ist diese Unterordnung gegenwärtig durch bestimmte grund-

legende Voraussetzungen verbürgt (durch den Sieg im Oktober und dieUnterdrückung des militärischen und des durch Sabotage geübten Wider-stands der Kapitalisten von Oktober bis Februar). Bei uns wurde, da voneinem völligen überwiegen der Arbeiter, der Proletarier, in der Bevölke-rung und von ihrer hohen Organisier thei t nicht die Rede sein kann, dieUnterstützung der Proletarier durch die arme und rasch ruinierte Bauern-schaft zu einem Faktor des Sieges. Schließlich gibt es bei uns auch keinhohes Kulturniveau und keine Gewohnheit, Kompromisse zu schließen.Du rchde nkt man diese konk reten Bedingungen, dann wird es klar, daß wir

jetzt die Methoden schonungsloser Abrechnung* mit den kulturell rück-ständigen Kapitalisten, die sich auf keinerlei „Staatskapitalismus" einlas-sen, von keinem Kom prom iß wissen wollen, die fortfahren, M aßn ahm ender Sowjetmacht durch Spekulation, Korrumpierung der armen Bevölke-rung usw . zu durch kreuzen , verbinden kön nen und müssen mit denMetho-den des "Kompromisses oder des Auskaufs gegenüber den kulturell hoch-stehenden Kapitalisten, die für den „Staatskapitalismus" zu haben undfähig sind, ihn durchzuführen, die dem Proletariat nützlich sind als klugeund erfahrene Organisatoren größter Betriebe, die wirklich Du tze nde M il-

l ionen Menschen mit Produkten versorgen.Bucharin ist ein ausgezeichnet gebildeter marxistischer Ökonom. Des-

halb erinnerte er sich daran, daß Marx im höchsten Grade recht hatte, alser die Arbeiter lehrte, daß es wichtig sei, die Organisation der Großpro-duktion gerad e im Interesse eines leichtern Überg angs zum Sozialismus zuerhalten, und daß der Gedanke durchaus zulässig sei, die Kapitalisten gut

* Man muß auch hier der Wahrheit ins Auge sehen: es mangelt bei unsimmer noch an der für den Erfolg des Sozialismus notwendigen Schonungs-

losigkeit, und zwar nicht, weil keine Entschlossenheit da wäre. Entschlossenheitist bei uns zur Genüge da. Es fehlt jedoch an der Fähigkeit, schnell genug einegenügende Zahl von Spekulanten, Marodeuren und Kapitalisten, die die Maß-nahmen der Sowjetmacht durchkreuzen, dingfest zu machen. Denn diese „Fähig-keit" erlangt man nur durch die Organisierung der Rechnungsführung undKontrolle! Zweitens fehlt es an der genügenden Festigkeit bei den Gerichten,die, anstatt Schmiergeldnehmer zu erschießen, sie mit einem halben Jahr Ge-fängnis bestrafen. Diese unsere beiden Mängel haben die gleiche soziale Wur-zel: den Einfluß des kleinbürgerlichen Elements, seine Kraftlosigkeit.

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338 W. 7. Lenin

zu bezahlen, sie auszukaufen, wenn (als Ausna hme: England war damals

eine Ausnahme) die Umstände sich so gestalten, daß sie die Kapitalistenzwingen, sich friedlich zu fügen und in kultivierter, organisierter Weise,unter der Bedingung des Auskaufs, zum Sozialismus überzugehen.

Bucharin ist jedoch in einen Fehler verfallen, weil er sich nicht hinein-gedacht hat in die konkrete Eigenart der jetzigen Situation in Rußland —

einer Situation, die einzigartig ist, da wir, das Proletariat Rußlands, mitunserer politischen Ordnung, mit der Stärke der politischen Macht derArbeiter England, Deutschland oder jedem beliebigen anderen Land vor-aus sind, zugleich aber in bezug auf die Organisation eines wohlgeordne-

ten Staatskapitalismus, in bezug auf die Höhe der Kultur, den Grad derVorbereitung auf die materiell-produktionstechnische „Einführung" desSozialismus hinter dem rückständigsten der westeuropäischen Staaten zu-rückstehen. Ist es etwa nicht klar, daß sich aus dieser eigenartigen Lagegegenwärtig gerade die Notwendigkeit eines „Auskaufs" eigener Art er-gibt, den die Arbeiter den kulturell am höchsten stehenden, talentvollsten,organisatorisch fähigsten Kapitalisten anbieten müssen, die bereit sind, inden Dienst der Sowjetmacht zu treten und gewissenhaft zu helfen, diegroße und größte „staatliche" Produktion zu organisieren? Ist es etwa

nicht klar, daß wir in dieser eigenartigen Lage bestrebt sein müssen,zweierlei Fehler zu vermeiden, von denen jeder auf seine Art ein klein-bürgerlicher Fehler ist? Einerseits wäre es ein nicht wiedergutzumachen-der Fehler, wenn man erklären wollte, da das Mißverhältnis zwischenunseren ökonomischen „Kräften" und unserer politischen Kraft eine an-erkannte Tatsache ist, hätte man „folglich" die Macht nicht ergreifen sol-len. So denken „Menschen im Futteral" *, die vergessen, daß es niemalseine „Übereinstimmung" geben wird, daß es sie in der Entwicklung derNatur ebensowenig geben kann wie in der Entwicklung der Gesellschaft,daß der vollständige Sozialismus nur entstehen wird aus der revoRitionä-ren Zusammenarbeit der Proletarier aller Länder, durch eine Reihe vonVersuchen — von denen jeder, einzeln genommen, einseitig sein, an einergewissen Nichtübereinstimmung leiden wird.

Anderseits wäre es ein ausgesprochener Fehler, den Schreihälsen undPhrasenhelden freies Spiel zu lassen, die sich an „feurigem" Revoluzzer-

* „Der Mann im Futteral" — Hauptfigur der gleichnamigen Novelle vonA. P. Tschechow. Der Tibers.

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Tiber „ Unke" Kinderei und über Xleinbürgerlidhkeit 339

tum begeistern, aber unfähig sind zu einer konsequenten, durchdachten,

abgewogenen, auch die schwierigsten Übergänge in Rechnung stellendenrevolutionären Arbeit.Glücklicherweise hat uns die Entwicklungsgeschichte der revolutionären

Parteien und die Geschichte des bolschewistischen Kampfes gegen siescharf ausgeprägte Typen vererbt, von denen die linken Sozialrevolutio-näre und die Anarchisten recht anschaulich den Typus schlechter Revo-lutionäre illustrieren. Sie kreischen jetzt bis zur Hysterie, überschlagensich mit gellenden Rufen gegen das „Paktierertum" der „rechten Bolsche-wiki". Sie sind jedoch nicht imstande, darüber nachzudenken, worin das

„Paktierertum" schlecht war und w eshalb die Geschichte und der Gangder Revolution mit Recht den Stab gebrochen haben über das" „Paktierer-tum".

Die Paktiererpolitik aus Kerenskis Zeiten trat die Macht ab an dieimperialistische Bourgeoisie, die Frage der Macht aber ist die Grundfrageeiner jeden Revolution. Das Paktierertum eines Teils der Bolschewiki imOktober/Novem ber 1917 entsprang entweder der Furcht vor der Macht-ergreifung durch das Proletariat oder dem W unsch, die Macht gleichmäßigzu teilen nicht nur mit „unzuverlässigen Mitläufern" vom Schlage der lin-

ken Sozialrevolutionäre, sondern auch mit den Feinden, den Tschernow-leuten, den Menschewiki, die uns unvermeidlich bei dem Wichtigsten ge-stört hätten: bei der Auseinanderjagung der Konstituante, bei der scho-nungslosen Niederschlagung der Bogajewskis, bei der vollen Durchsetzungsowjetischer Institutionen, bei jeder Konfiskation.

Jetzt ist die Macht erobert, behauptet, gefestigt in den Händen einerPartei, der Partei des Proletariats, sogar ohne „unzuverlässige Mitläufer".Jetzt von Paktierertum sprechen, wo nicht die Rede ist und gar nicht dieRede sein kann von einer Teilung der Tdadbt, von einem Verzicht auf die

Diktatur der Proletarier gegen die Bourgeoisie, heißt, wie ein Papagei,eingelernte, aber unverstandene Worte einfach wiederholen. Wenn manes „Paktierertum" nennt, daß wir in einer Lage, wo wir das Land verwal-ten können und müssen, bemüht sind, unter den vom Kapitalismus ge-schulten Elementen die kulturell am höchsten stehenden, ohne m it Geld zuknausern, heranzuziehen, sie in unseren Dienst zu stellen gegen den klein-besitzerlichen Zerfall, so heißt das, daß man überhaupt unfähig ist, überdie ökonomischen Aufgaben des sozialistischen Aufbaus nachzudenken.

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340 W. 3. Lenin

Und w ie sehr auch der U mstand für Gen. Bucharin spricht, daß er sich

im Zentralexekutivkomitee sofort des „Dienstes", den ihm die Karelinund Ge erwiesen, „schämte", so bleibt doch für die Strömung der „linkenKommunisten" der Hinweis auf ihre politischen Mitkämpfer eine ernsteWarnung.

Da haben Sie das „Snamja Truda", das Organ der linken Sozialrevo-lutionäre, das in der Nummer vom 25. April 1918 stolz erklärt: „Derjetzige Standpunkt unserer Partei solidarisiert sich mit der anderen Strö-mung des Bolschewismus (Bucharin, Pokrow ski u . a. )." Da haben Siedas menschewistische Organ „Wperjod" vom gleichen Tage, das unter

anderm folgende „These" des sattsam bekannten Menschewiks Issuwenthält:

„Die von Anfang an eines wirklich proletarischen Charakters entbeh-rende Politik der Sowjetmacht betritt in letzter Zeit immer offener denWeg der Verständigung mit der Bourgeoisie und nimmt einen ausgespro-chen arbeiterfeindlichen Charakter an. Unter der Flagge der Nationali-sierung der Industrie wird eine Politik der Züchtung von Industrietrustsdurchgeführt, un ter der Flagge der Wiederherstellung der Produktivkräftedes Landes werden Versuche unternomm en, den achtstündigen Arbeitstag

zu beseitigen, den Stücklohn und das Taylorsystem, schwarze Listen undpolitische Führungszeugnisse einzuführen. Diese Politik bringt das Pro-letariat in die Gefahr, seiner wichtigsten Errungenschaften auf ökono-mischem G ebiet verlustig zu gehen und zum O pfer grenzenloser A usbeu-tung durch die Bourgeoisie zu werden."

Einfach großartig, nicht wah r?Die Freunde Kerenskis, die zusammen mit ihm den imperialistischen

Krieg um der Geheimverträge willen führten, die den russischen Kapita-listen A nnexionen versprachen, die Kollegen Zeretelis, der am 11 . Juni die

Arbeiter entwaffnen wollte, die Liberdan, die die Macht der Bourgeoisiemit wohlklingenden Phrasen bemäntelten — ausgerechnet sie überführendie Sowjetmacht der „Verständigung mit der Bourgeoisie", der „Züchtungvon T rusts" (d. h. eben der Züchtung des „Staatskapitalismus"!), derEinführung des Taylorsystems!

Jawohl, die Bolschewiki müssen Issuw eine Medaille überreichen undseine These in jedem Arbeiterklub und Verband aushängen als Musterprovokatorischer Reden der Bourgeoisie. Die Arbeiter kennen jetzt gut,

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Vber „ Unke" Xinderei und über Xleinbürgerlidhkett 341

kennen auf Grund ihrer eigenen Erfahrung alle diese Liberdan, Zereteli,

Issuw, und eine gründliche Überlegung, warum soldbe Lakaien der Bour-geoisie die Arbeiter zum Widerstand gegen das Taylorsystem und die„Züchtung von Trusts" provozieren, wird für die Arbeiter außerordent-lich nützlich sein.

Die klassenbewußten Arbeiter werden die „These" des Freundes derHerren Liberdan und Z ereteli, die These Issuws, mit folgender These der„linken Kommunisten" aufmerksam vergleichen:

„Die Einführung der Arbeitsdisziplin in Verbindung mit der Wieder-einsetzung von Kapitalisten in die Leitung der Produktion kann die

Arbeitsproduktivität nicht wesentlich steigern, sie wird dagegen die klas-senmäßige Selbständigkeit, Aktivität und O rganisiertheit des Proletariatsverringern. Sie droht die Arbeiterklasse zu versklaven, sie wird Unzufrie-denheit sowohl in den rückständigen Schichten als auch in der Vorhutdes Proletariats hervorrufen. Zur Durchführung dieses Systems müßtesich die Kommunistische Partei angesichts des in den Reihen des Prole-tariats herrschenden Hasses gegen die ,kapitalistischen Saboteure' auf dasKleinbürgertum gegen die Arbeiter stützen, wodurch sie sich als Parteides Proletariats zugrunde richten w ürde ." („Komm unist" Nr. 1, S. 8,Spalte 2.)

Da hab en wir den anschaulichsten Beweis dafür, w ie die „Linken" in dieFalle geraten und auf die Provokation der Issuw und anderer Judasse desKapitalismus hereingefallen sind. Das ist eine gute Lehre für die Arbeiter,die wissen, daß gerade die Vorhut des Proletariats für die Einführung derArbeitsdisziplin ist, daß gerade das Kleinbürgertum nichts unversuchtläßt, um diese Disziplin zu erschüttern. Solche Reden, wie die angeführteThese der „Linken", sind die größte Schande und praktisch eine völligeLossage vom Kommunismus, ein völliger Übergang gerade auf die Seitedes Kleinbürgertums.

„In Verbindung mit der W iedereinsetzung von Kapitalisten in die Lei-tung", mit solchen Worten wollen die „linken Kommunisten" „sich ver-teidigen". Eine ganz untaugliche Verteidigung, denn erstens wird die „Lei-tung" den Kapitalisten übertragen von der Sowjetmacht mit ihren Arbe iter-kommissaren oder Arbeiterausschüssen, die jeden Schritt des Leitersüberwachen, von seiner Erfahrung als Leiter lernen und nicht nur dieMöglichkeit haben, die Anordnungen des Leiters anzufechten, sondern

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342 W. 7. Lenin

auch die, ihn durch die Organe der Sowjetmacht abzusetzen. Zweitens

wird den Kapitalisten die „Leitung" übertragen zwecks Ausübung vonexekutiven Funktionen während der Arbeit, deren Bedingungen geradevon der Sowjetmacht festgesetzt und von ihr auch abgeändert und revi-diert werden. Drittens erteilt die Sowjetmacht den Kapitalisten die „Lei-tung" nicht als Kapitalisten, sondern als technischen oder organisatorischenFachleuten gegen hohe Bezahlung. Und die Arbeiter wissen sehr wohl, daßdie Organisatoren der wirklich großen und größten Betriebe, Trusts oderanderen Einrichtungen zu 99 Prozent zur Kapitalistenklasse gehören,ebenso wie die erstklassigen Techniker — aber gerade sie müssen wir, die

proletarische Partei, als „Leiter" des Arbeitsprozesses und der Organi-sation der Produktion nehmen, denn andere Leute, die diese Sache aus derPraxis, aus der Erfahrung kennen, gibt es nicht. Denn die Arbeiter, dieüber das Kindesalter hinaus sind, wo sie durch die „linke" Phrase oderdurch die kleinbürgerliche Zügellosigkeit verleitet werden konnten, ge-langen zum Sozialismus gerade auf dem Wege über die kapitalistischeLeitung der Trusts, über die maschinelle Großproduktion, über Betriebemit Umsätzen von mehreren Millionen jährlich — nur auf dem Wege übersolche Produktionsmaßstäbe und Betriebe. Die Arbeiter sind keine Klein-

bürger.-Sie haben keine Angst vor dem größten „Staatskapitalismus", sieschätzen ihn als ihr proletarisches Instrument, das ihre Staatsmacht, dieSowjetmacht, tatkräftig anwenden w ird gegen den klembesitzerlichen Zer-fall und Zusammenbruch.

Nicht verstanden w ird das nur von deklassierten und deshalb durch unddurch kleinbürgerlichen Intellektuellen, als deren Typus in der Gruppeder „linken Kom munisten" und in ihrer Zeitschrift Ossinski auftritt, wenner schreibt:

„Die ganze Initiative bei der Organisierung und Leitung des Betriebs

wird den ,Organisatoren der Trusts' gehören: denn wir wollen sie ja nichtbelehren, sie nicht zu einfachen Mitarbeitern machen, sondern bei ihnenJemen." („Kom munist" N r. 1, S. 14, Spalte 2.)

Die ironisch sein sollende Bemerkung in diesem Satz richtet sichgegen meine Worte: „Bei den Organisatoren der Trusts Sozialismuslernen."

Ossinski erscheint das lächerlich. Er will die Organisatoren der Trustszu „einfachen Mitarbeitern" machen. Wenn das ein Mensch in einem

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Vber „linke" Kinderei und über Kleinbürgerlidhkeit 343

Alter geschrieben hä tte, von dem der Dichter sagte : „Erst fünfzehn Jahre

alt , nicht mehr?. . ."

1 0 4

— dann brauchten wir uns nicht zu wun dern.Von einem Marxisten aber, der gelernt hat, daß der Sozialismus un-möglich ist ohne Ausnutzung der Errungenschaften der Technik und Kul-tur, die der fortgeschrittenste Kapitalismus erreicht hat, solche Redenzu hören ist etwas seltsam. Vom Marxismus ist hier keine Spur übrig-geblieben.

Nein. Nur diejenigen sind würdig, sich Kommunisten zu nennen, dieverstehen, daß es unmöglich ist, den Sozialismus aufzubauen oder einzu-führen, ohne bei den Organisatoren der Trusts zu lernen. Denn der Sozia-

lismus ist keine Erfindung, sondern bedeutet, daß die proletarische Vorhut,die die Macht erobert hat, das, was die Trusts geschaffen haben, sich zueigen macht und anwendet. Wo sollen wir, die Partei des Proletariats, dieFähigkeit hernehmen, die Großproduktion nach dem Typus der Trusts,als Trusts, zu organisieren, wo sollen wir sie hernehmen, wenn nicht vonerstklassigen Fachleuten des Kapitalismus?

Es wäre müß ig von uns, sie belehren zu wollen, wenn man sich nicht daskindische Ziel stellen.will, bürgerlichen Intellektuellen Sozialismus „bei-zubringen" : man muß sie nicht belehren, sondern enteignen (was in Ruß-

land „entschlossen" genug getan wird), man muß ihre Sabotage brechen,muß sie als Schicht oder Gruppe der Sowjetmacht unterordnen. Wir unser-seits müssen bei ihnen — wenn wir keine Kommunisten im Kindesalterund mit dem Auffassungsvermögen von Kindern sein wollen —, wir müs-sen bei ihnen lernen, und es gibt so manches zu lernen, denn die Parteides Proletariats und die Vorhut des Proletariats hat keine Erfahrung inder selbständigen Organisierung von Riesenbetrieben, die für DutzendeMillionen Menschen arbeiten.

Und die besten Arbeiter in Rußland hab en das begriffen. Sie haben b e-

gonnen, von kapitalistischen Organisatoren, von leitenden Ingenieuren,von Technikern und Fachleuten zu lernen. Sie haben festen Sinnes undvorsichtig mit dem Leichteren angefangen und gehen allmählich zumSchwierigeren über. Wenn in der Hüttenindustrie und im Maschinenbaudie Sache langsamer vor sich geht, so deshalb, weil sie schwieriger ist. D ieTextilarbeiter, die Tabakarbeiter, die Lederarbeiter aber haben keineAngst vor dem „Staatskapitalismus" wie die deklassierten kleinbürger-lichen Intellektuellen, haben keine Angst davor, „bei den Organisatoren

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344 IV . 1. Lenin

der Trusts zu lernen". Diese Arbeiter in den leitenden Zentralstellen, wie

z. B. in der „H auptv erw altung für L ede rindus trie" ode r im „ Tex tilzen-trum", s i tzen neben den Kapital is ten, lernen von ihnen, organisierenTrusts, organisieren den „Staatskapitalismus", der unter der Sowjetmachtdie Vorstufe des Sozialismus, die Bedingung für einen dauerhaften Siegdes Sozialismus ist.

Diese Arbeit der fortgeschrittenen Arbeiter Rußlands ging und gehtHand in Hand mit ihrer Bemühung um Einführung der Arbeitsdisziplin,ohne Lärm, ohne viel Aufhebens, ohne Pauken und Trompeten vor s ich,was einige „Linke" nicht entbehren können, geht mit größter Vorsicht und

Allmählichkeit, unter Berücksichtigung der Lehren der Praxis vor sich.Diese schwere Arbeit, die Arbeit des praktischen Studiums des Aufbausder Großproduktion verbürgt uns, daß wir auf dem richtigen Wege sind,sie verbürgt uns, daß die klassenbewußten Arbeiter Rußlands den Kampfführen gegen den kleinbesitzerlichen Zerfall und Zusammenbruch, gegendie kleinbürgerliche Undiszipliniertheit*, sie verbürgt uns den Sieg desKommunismus.

VI

Zum Schluß zwei Bemerkungen.Als wir mit den „linken Kommunisten" am 4. April 1918 (siehe „Kom-

,mu nist" N r. 1, S. 4, Ahm .) stritten, richtete ich an sie die klare Aufforde-run g: Erklärt doch, wom it ihr im De kret übe r die Eisenbahnen unzufriedenseid, mac ht eure Ab ände rungs vorsch läge. Da s ist eu re Pflicht als sowjetischeFührer des Proletariats, sonst sind eure Worte nichts als Phrasen.

Am 20. April 1918 erschien Nr. 1 des „Kommunist", und darin ist kein

einziges Wort darüber enthalten, wie man nach Auffassung der „linken

* Außerordentlich charakteristisch ist, daß die Verfasser der Thesen keinenTon sagen über die Bedeutung der Diktatur des Proletariats auf ökonomischemGebiet. Sie sprechen nur „von O rganisiertheit" usw. Das aber erke nnt auch de rKleinbürger an, den gerade die Diktatur der Arbeiter in den ökonomischenBeziehungen schreckt. Ein proletarischer Revolutionär könnte in einem sol-chen Moment niemals diesen „Angelpunkt" der proletarischen Revolution„vergessen", die sich.gegen die wirtschaftlichen Grundlagen des Kapitalismusrichtet

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Über „ linke" Kinderei und über X leinbürgerlidhkeit 345

Komm unisten" das Dekret über die Eisenbahnen abändern oder verbessern

müßte.Mit diesem Stillschweigen haben die „linken Kommunisten" über sich

selbst das Urteil gesprochen. Sie beschränkten sich auf Ausfälle und An-spielungen gegen das Dekret über die Eisenbahnen (S. 8 und 16 in Nr. 1),auf die Frage aber „Wie soll man das Dekret verbessern, wenn es nichtrichtig ist?" haben sie keine artikulierte Antwort gegeben.

Kommentar überflüssig. Eine solche „Kritik" des Dekrets über dieEisenbahnen (eines Musters unserer Linie, einer Linie der Festigkeit, einerLinie der Diktatur, einer Linie der proletarischen Disziplin) werden die

klassenbewußten A rbeiter entweder als „Issuwsche Linie" oder als Phrasebezeichnen.

Die zweite Bemerkung. In Nr. 1 des „Kommunist" ist eine für michsehr schmeichelhafte Rezension des Gen. Bucharin über meine Broschüre„Staat und Revolution" veröffentlicht. Aber wie wertvoll mir auch dieMeinung von Menschen w ie Bucharin ist, so muß ich doch ehrlich gestehen,daß der Charakter der Rezension eine traurige und bezeichnende Tatsacheoffenbart: Bucharin betrachtet die Aufgaben der proletarischen Diktaturso, daß sein Gesicht der Vergangenheit und nicht der Zukunft zugewandt

ist. Bucharin hat bemerkt und hervorgehoben, was es in der Frage desStaates Gemeinsames zwischen einem proletarischen und einem kleinbür-gerlichen Revolutionär geben kann. Bucharin hat aber gerade das „nichtbem erkt", was den einen vom andern trennt.

Bucharin hat bemerkt und hervorgehoben, daß man den alten Staats-apparat „zerschlagen", „sprengen" muß, daß man die Bourgeoisie „end-gültig erdrosseln" muß usw. Das kann ein wildgewordener Kleinbürgerebenfalls wollen. Und das hat unsere Revolution von Oktober 1917 bisFebruar 1918 in den Hauptzügen bereits getan.

W as aber sogar der revolutionärste Kleinbürger nicht wollen kann, wasder klassenbewußte Proletarier will, was unsere Revolution nodh nidbtgetan hat — davon ist in meiner Broschüre ebenfalls die Rede. Und überdiese Aufgabe, über die Aufgabe des morgigen Tages, hat sich Bucharinausgeschwiegen.

Ich habe ab er um so mehr Gründe, d arüber nicht zu schweigen, erstens,weil man von einem Kommunisten mehr Aufmerksamkeit für die Auf-gaben des morgigen Tages als für die des gestrigen Tages erwarten muß

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346 TV. 1 Lenin

und zweitens, weil meine Broschüre vo r der Eroberung der Macht durch

die Bolschewiki geschrieben wurde, als man den Bolschewiki nicht mit vul-gären spießerhaften Betrachtungen kommen konnte wie: „Nun ja, nach-

dem man die Macht ergriffen hat, beginnt man natürlich das Lied von derDiszip l in anzus t immen. . . "

„Der Sozialismus wird in den Kommunismus hinüberwachsen. . . , denndie Menschen werden sich gewöhnen, die elementaren Regeln des gesell-schaftlichen Zusammenlebens ohne Gewalt und ohne Zwang einzuhalten."(„Staat und Revolution", S. 77/78*. Von den „elementaren Regeln" waralso vor der Eroberung der Macht die Rede.)

„Erst dann beginnt die Demokratie abzusterben. . ." , wenn die „Men-schen sich nach und nach gewöhnen werden, die elementaren, von altersher bekannten und seit Jahrtausenden in allen Vorschriften gepredigtenRegeln des Zusammenlebens einzuhalten, s ie ohne Gewalt , ohne Zwang,ohne den besonderen Zwangsapparat , der s ich Staat nennt, einzuhalten."(Ebenda, S. 84**; von den „Vorschriften" war die Rede vor der Macht-eroberung.)

„Die höhere Phase der Entwicklung des Kommunismus" (jedem nachseineruBedürfnissen, jeder nach seinen Fähigkeiten) „hat nicht die heutige

Arbeitsproduktivität und nicht den heutigen Spießer zur Voraussetzung,der es fertigbrächte, etwa wie die Seminaristen bei Pomjalowski, für nichtsun d wieder nichts M agaz ine gesellschaftlicher Vo rräte zu beschädigen u ndUnmögliches zu verlan gen." (Ebenda , S. 91 ***.)

„Bis die höh ere Pha se des Kom munism us eing etreten sein wird, forde rndie Sozialisten die strengste Kontrolle seitens der Gesellschaft und seitensdes Staates über das Maß der Arbeit und das Maß der Konsumtion"(ebenda) .

„Rechnungsführung und Kontrolle — das ist das Wichtigste, was zum

Ingangsetzen, zum richtigen Funktionieren der kommunistischen Gesell-schaft in ihrer e rsten Ph ase erforde rlich ist." (Eb end a, S. 95 + . ) Unddiese Kontrolle muß man nicht nur über „die verschwindend kleine Min-derheit der Kapitalisten, über die Herrchen, die die kapitalistischen Allü-

* Siehe W erke , 4 . Ausgabe, Bd. 25, S. 428, russ. Die Red.** Siehe ebenda, S. 434, russ. Die Red.

*** Siehe ebenda, S. 441, russ. Die Red.f Siehe ebenda, S. 444 , russ. Die Red,

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Tiber „ Unke" Xinderei und über Xleinbürgertidhkeit 347

ren gern bewahren möchten", einführen, sondern auch über diejenigen

Arbeiter, die „durch den Kapitalismus tief demoralisiert worden sind"(ebenda, S. 96* ) und über „Müßiggänger , Herrensöhnchen, Gaun er undähnliche Hüter der Traditionen des Kapitalismus" (ebenda**). '

Es ist bemerkenswert, daß Bucharin gerade das nicht hervorgehobenhat .

5. V. 1918

* Siehe ebenda, S.445, russ. Die Red.** Siehe ebenda, S. 446, russ. Die Red.

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BESCHLUSS DES ZK DER KPR(B)ZUR INTERNATIONALEN LAGE105

Dem deutschen Ultimatum gegenüber Nachgiebigkeit zeigen. Das eng-lische Ultimatum ist abzulehnen. (Denn der Krieg gegen Deutschlanddroht unmittelbar mit größeren Verlusten und Plagen als der gegen Japan.)

Angesichts des offenen politischen Bündnisses der ukrainischen Konter-revolution mit der russischen ist gegen die Bourgeoisie der Ausnahmezu-stand zu verhängen.

Alle Kräfte sind dafür einzusetzen, den Ural-Kusnezker Bezirk und dasTerritorium sowohl gegen Japan als auch gegen Deutschland zu vertei-

digen.*Mit Mirbach sind Verhandlungen zu führen, um zu klären, ob sie sichverpflichten, einen Frieden Finnlands und der Ukraine mit Rußland zu-stande zu b ringen, und dieser Frieden ist auf jede Weise zu beschleunigen,obgleich man sich bewußt sein muß, daß er neue Annexionen mit sichbringt.

Angenommen vom ZKam M ontag, 6. V. 1918,

nadbts.

Zuerst veröffentlidit i929 Nad b dem Ma nuskript.im Cenin-Sammelband XI.

* Es ist sofort damit zu beginnen, überh aup t alles, besonders aber die Staats-papierdruckerei, nach dem Ural zu evakuieren.

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G R U N D T H E S E N E I N E S D E K R E T S

O B ER D I E D I K T A T U R IM E R N Ä H R U N G S W E S E N 1 0 6

Der Entwurf des Beschlusses ist wie folgt zu ändern:1. die Hinweise auf die internationale Lage sind zu streichen;2. es ist einzufügen, daß uns nach dem Friedensschluß mit der Ukraine

nicht mehr Getreide bleiben wird als das knappste M inimum, das unbe-dingt nötig ist, um nicht Hungers zu sterben;

3. es ist einzufügen, daß die Anordnungen des Diktators von dessenKollegium geprüft werden, das berechtigt ist, ohne die Ausführung auf-zuha lten, beim Rat der Volkskommissare Beschwerde einzulegen;

4. — daß Beschlüsse, die ihrem Charakter nach mit dem Arbeitsbereichdes Verkehrswesens und des Obersten Volkswirtschaftsrates zusammen-hängen, nach Konsultierung der betreff enden Stellen angenommen werden;

5. die neuen Rechte des Kommissars für Ernährungswesen sind juri-stisch genauer zu formulieren;

6. stärker zu unterstreichen ist der Hauptgedanke von der Notwendig-keit, zur R ettung vor Hungersnot einen schonungslosen und terroristischenKampf und Krieg zu führen gegen die bäuerliche und sonstige Bourgeoisie,die Getreideüberschüsse zurückhält;

7. es ist genau festzulegen, daß die Besitzer von Getreide, die Über-schüsse an Getreide haben und diese nicht an die Bahn und zu den An-nahme- und Speicherplätzen bringen, zu 7einden des Volkes erklärtund m it Gefängnisstrafen nicht unter 10 Jahren, zur Konfiskation des ge-samten Vermögens und für immer zur Verbannung aus ihrer Dorfge-meinde bestraft werden;

8. es ist ein Zusatz aufzunehmen, wonach die Werktätigen, die un-vermögenden ond kein? Getreideüberschüsse besitzenden Bauern die

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350 W. J. Centn

Pflicht haben, sich zum schonungslosen Kampf gegen die Kulaken zu ver->

einigen;9. das Verhältnis der Delegiertenkommissionen zu den Ernährungs-

ausschüssen der Gouvernements sowie die Rechte und Pflichten der erste-ren bei Durchführung der Arbeiten im Ernährungswesen sind genau fest-zulegen.

Qesdhrieben am 8. Mai I9i8.

Zuerst veröffentlicht 193 i Nadh dem Manuskript.im Cenin-S'ammeiband XVIII.

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351

PROTEST AN DIE DEUTSCHE REGIERUNGGEGEN DIE OKKUPATION DER KRIM 10 7

U .V . 1918 *

Zu dem Funkspruch des Oberbefehlshabers der deutschen Truppen imOsten.

Der Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten hält es für er-forderlich, bei der deutschen Regierung seinen entschiedenen Protest ein-zulegen :

1. Die deutsche Regierung hat uns kein einziges M al auch nur in einem

einzigen Dokument erklärt, unsere Flotte habe an den Kämpfen gegen diedeutschen Truppen in der Ukraine teilgenommen.2. Deshalb ist die betreffende Erklärung in dem Funkspruch vom

11. V. 1918 offenkundig unrichtig und findet in den Akten der deutschenRegierung keine Bestätigung.

3. Wenn sich ein Teil der Flotte zur ukrainischen Flotte rechnet, so istdieser Teil doch in Sewastopol geblieben.

3 bis. W enn unsere Flotte Sewastopol verlassen ha t, so geschah das erstnach dem Vormarsch der Deutschen und dem Angriff auf Sewastopol,

folglich wurde in diesem Fall der Brester Vertrag eindeutig von den D eut-schen und nicht von uns verletzt.4. Die Tatsachen beweisen folglich, daß wir fest auf dem Boden des

Brester Vertrags stehen, die Deutschen aber von ihm abgewichen sind,indem sie die ganze Krim besetzten.

5. Sie haben sie nur mit deutschen Truppen besetzt, also alle Ukrainervon dort abgezogen.

6. Sie besetzten die Krim, nachdem die deutsche Regierung in ihrem

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352 19 .7. Lenin

eigenen Funkspruch vom Monat... 1918 10 8 ganz deutlich erklärt hatte,

daß sie die Krim nicht zum Territorium der Ukraine rechne.7. Der Botschafter Deutschlands, Mirbach, hat unserem Kommissar fürAuswärtige Angelegenheiten erklärt, daß Deutschland keine neuen terri-torialen Ansprüche stellt.

8. Wenn die deutsche Regierung jetzt einen anderen Standpunkt be-zogen hat und Ansprüche auf die Krim oder einen Teil der Krim erhebtoder andere territoriale Forderungen stellt, so hielten wir völlige Klarheitin dieser Angelegenheit für unbedingt notwendig, und wir erklären nocheinmal offiziell, daß wir unserseits auf dem Abschluß eines genau formu-

lierten Friedens mit Finnland, der Ukraine und der Türkei bestehen, dieentgegen dem Brester Friedensvertrag Krieg führen.

9. Wir ersuchen die deutsche Regierung noch einmal nachdrücklich, unsmitzuteilen, ob sie den Frieden mit der Ukraine, Finnland und der Türkeifür wünschenswert hält und welche Schritte sie zu diesem Zweck unter-nommen hat und noch unternehmen wird.

10. In der Frage der Schwarzmeerflotte sind wir bereit, beliebige neueGaran tien für ih re Nichteinmischung in den Krieg bzw. ihre Entwaffnungzu geben (worüber uns gestern, am 10. V. 1918, Botschafter Mirbach offi-

ziell Mitteilung machte), vorausgesetzt nur, daß die deutsche Regierunguns die genauen Bedingungen eines vollständigen Friedens, d. h. einesFriedens sowohl mit Finnland und der Ukraine als auch mit der Türkeibekanntgibt und dieser Frieden abgeschlossen wird, worauf wir bestehen.

11. W ir lehnen auch keineswegs die Rückführung der Flotte nach Sewa-stopol ab; sofern dieser Hafen — entsprechend der Erklärung Mirbachsvom 10. V. 1918 in der Unterredung mit dem Volkskommissar für Aus-wärtige Angelegenheiten — nicht von Deutschland in dieser oder jenerForm annek tiert und besetzt wird und wenn ein präziser und vollständiger

Frieden mit den Deutschen als Bestandteilen der finnischen, ukrainischenund türkischen Armeen verwirklicht wird.

Zum erstenmal veröffentlicht. Nach dem Man uskript.

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353

T H E S E N

O B E R D I E G E G E N W Ä R T I G E P O L I T I S C H E L A G E 1 0 9

I

Schon mehrfach wurde in der bolschewistischen Presse daraufhingewie-sen und in offiziellen Resolutionen der höchsten Organe der Sowjetmachtfestgestellt, daß die internationale Stellung der von imperialistischen Mäch-ten umgebenen Sowjetrepublik äußerst labil ist.

In den letzten Tagen, d. h. im ersten Drittel des Mai 1918, hat sich diepolitische Lage sowohl infolge äußerer als auch infolge innerer Ursachen

außerordentlich zugespitzt:Erstens verstärkte sich der direkte Angriff der konterrevolutionärenTruppen (Semjonows u. a.) mit Hilfe der Japaner im Fernen Osten, undim Zusamm enhang damit deutete eine Reihe von Anzeichen auf die Mög-lichkeit hin, daß sich die ganze antideutsche imperialistische Koalitionprogrammatisch darauf einigt, Rußland ein Ultimatum zu stellen: ent-weder ihr kämpft gegen Deutschland, oder die Japaner marschieren mitunserer Hilfe ein.

Zweitens hat in der deutschen Politik nach Brest überhaupt die Kriegs-

partei die Oberhand gewonnen, die auch jetzt jeden Augenblick in derFrage der sofortigen allgemeinen Offensive gegen Rußland die Oberhandgewinnen, d. h. die andere Politik bürgerlich-imperialistischer KreiseDeutschlands ganz und gar verdrängen könnte, die neue Annexionen inRußland anstreben, für einige Zeit aber einem Frieden mit ihm und nichteiner allgemeinen Offensive geneigt sind.

Drittens mußte die Restaurierung des bürgerlich-gutsherrlichen Mon-archismus in der Ukraine mit Unterstützung der kadettisch-oktobristischeo

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354 W. 1 Lenin

Elemente der allrussischen Bourgeoisie und mit Hilfe der deutschen Trup-

pen bei uns zwangsläufig den Kampf gegen die Konterrevolution ver-schärfen, mußte zwangsläufig die Pläne unserer Konterrevolution be-flügeln, ihren Geist ermuntern.

Viertens hat sich die Zerrüttung im Ernährungswesen aufs äußerste ver-schärft und sowohl infolge der Abtrennung Rostows am Don als auchinfolge der Bemühungen der Kleinbourgeoisie und der Kapitalisten über-haupt, das Getreidemonopol zu hintertreiben, an vielen Orten zur direk-ten Hungersnot geführt, -wobei die herrschende Klasse, d. h. das Prole-tariat, diesen Bestrebungen, Bemühungen und Versuchen nicht genügend

fest, diszipliniert und schonungslos entgegentrat.

II

Die Außenpolitik der Sowjetmacht darf in keiner Weise geändert wer-den. Unsere militärischen Vorbereitungen sind noch nidit beendet, unddeshalb bleibt die allgemeine Losung nach wie vor: Lavieren, zurück-weichen, abwarten und die erwähnten Vorbereitungen mit allen Kräften

fortsetzen.Obgleich wir militärische Abkommen mit einer der imperialistischen

Koalitionen gegen die andere in Fällen, wo ein solches Abkommen dieGrundlagen der Sowjetmacht nicht verletzt, ihre Stellung festigen und denAnsturm irgendeiner der imperialistischen Mächte paralysieren könnte,nicht überhaupt ablehnen, können wir uns auf ein militärisches Abkom-men mit der englisch-französischen Koalition im gegenwärtigen Augen-blick nicht einlassen. Denn von realer Bedeutung für sie ist der Abzugdeutscher Truppen aus dem Westen, d. h. das Vordringen vieler japa-

nischer Korps ins Innere des Europäischen Rußlands, aber diese Bedingungist unannehm bar, denn sie würde den völligen Zusammenbruch der Sowjet-macht bedeuten. Sollte uns die englisch-französische Koalition ein Ulti-matum solcher Art stellen, so würden wir es zurückweisen, denn die Ge-fahr des japanischen Vormarschs kann mit weniger Mühe paralysiert (oderlängere Zeit hinausgezögert) werden als die Gefahr, daß die DeutschenPetrograd, Moskau und den größten Teil des Europäischen Rußlands be-setzen.

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Jhesen über die gegenwärtige politische tage 355

III

Bei Erwägung der außenpolitischen Aufgaben der Sowjetmacht sindim gegenwärtigen Augenblick größte Vorsicht, Umsicht und Stand-haftigkeit geboten, damit nicht ein unbedachter oder voreiliger Schrittden extremen Elementen der Kriegsparteien Japans oder Deutschlandshilft.

Die Sache ist die, daß in diesen beiden Ländern die extremen Elementeder Kriegspartei sich für die sofortige und allgemeine Offensive gegenRußland einsetzen, um sein ganzes Territorium zu besetzen und die

Sowjetmacht zu stürzen. Und diese extremen Elemente können jedenAugenblick die Oberhand gewinnen.Anderseits steht zweifellos fest, daß in Deutschland die Mehrheit der

imperialistischen Bourgeoisie gegen eine solche Politik ist und im gegen-wärtigen Augenblick einen Annexionsfrieden mit Rußland dem weiterenKrieg vorzieht, in der Erwägung, daß ein solcher Krieg Kräfte vom We-sten ablenken, die ohnehin bereits spürbare Labilität der inneren LageDeutschlands verstärken und die Beschaffung von Rohstoffen aus den vomAufstand ergriffenen oder durch die Zerstörung von Eisenbahnen, durch

mangelnden Anbau usw. usf. in M itleidenschaft gezogenen Gegenden er-schweren würde.Die japanischen Bestrebungen, Rußland anzugreifen, werden gehemmt

erstens durch die Gefahr von Bewegungen und Aufständen in China;zweitens durch einen gewissen Antagonismus zwischen Japan und Ame-rika, das eine Stärkung Japans fürchtet und im Frieden leichter Rohstoffeaus Rußland zu erhalten hofft.

Es ist selbstverständlich durchaus möglich, daß sowohl in Japan als auchin Deutschland die extremen Elemente der Kriegspartei jeden Augenblick

die Oberhand gewinnen. Garantien dagegen kann es nicht geben, solangenicht in Deutschland die Revolution ausgebrochen ist. Die amerikanischeBourgeoisie kann mit der japanischen einig werden; die japanische m it derdeutschen. Deshalb ist es unsere unbedingte Pflicht, unsere militärischenVorbereitungen aufs nachdrücklichste zu betreiben.

Solange aber auch nur einige Chancen geblieben sind, den Frieden zuerhalten oder um den Preis gewisser neuer Annexionen oder neuer Ver-luste einen Frieden mit Finnland, der Ukraine und der Türkei abzuschlie-

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356 W. 1. £enin

ßen, dürfen wir auf keinen Fall auch nur einen Schritt tun, der den

extremen Elementen der Kriegspartei der imperialistischen Mächte helfenkönnte.

IV

In der Frage der verstärkten militärischen Vorbereitung wie auch in der

Frage des Kampfes gegen die Hungersnot rückt die organisatorische Auf-

gabe an die erste Stelle.Es kann gar keine Rede sein von einigermaßen ernsthafter militärischer

Vorbereitung ohne die Überwindung der Versorgungsschwierigkeiten,ohne die Sicherung geregelter Brotversorgung für die Bevölkerung, ohnedie Einführung strengster Ordnung im Eisenbahnverkehr, ohne die Schaf-fung einer wirklich eisernen Disziplin in den Massen der werktätigen Be-

völkerung (und nicht nur in ihren Spitzen). Eben auf diesem Gebiet sindwir am weitesten zurück.

Gerade die völlige Verkennung dieser Wahrheit ist die Hauptsündeder linkssozialrevolutionären und anarchistischen Elemente mit ihrem Ge-

zeter über „aufständische" Komitees, mit ihrem Geheul: „Zu den Waffen"

usw. Dieses Geschrei und Geheule ist der Gipfel des Stumpfsinns und derkläglichsten, verachtungswürdigsten und abscheulichsten Phrase, denn esist lächerlich, von „Au fstand" und „Aufständischenkomitees" zu sprechen,während die zentrale Sowjetmacht unter der Bevölkerung mit allen Kräf-

ten dafür agitiert, das Kriegshandwerk zu erlernen und sich zu bewaffnen;während wir bedeutend mehr Waffen haben, als wir zu erfassen und zu

verteilen vermögen; während gerade die Zerrüttung und das Fehlen von

Disziplin uns hindern, die vorhandenen Waffen auszunutzen, uns zwingen,die kostbare Vorbereitungszeit verstreichen zu lassen.

Die verstärkte militärische Vorbereitung auf einen ernsten Krieg er-fordert nicht Aufwallungen, Schlachtrufe, Kampflosungen, sondern einelangwierige, angestrengte, äußerst hartnäckige und disziplinierte Massen-arbeit. Man muß den linkssozialrevolutionären und anarchistischen Ele-

menten, die das nicht verstehen wollen, eine schonungslose Abfuhr zuteilwerden lassen und ihnen nicht gestatten, mit ihrer Hysterie irgendwelcheElemente unserer proletarisch-kommunistischen Partei zu infizieren.

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Cfhesen über die gegenwärtige politisdhe £age 557.

V

Gegen die Bourgeoisie, die in den letzten Tagen infolge der obenge-nannten Umstände ihr Haupt erhoben hat , bedarf es eines schonungs-losen Kampfes, der Verhängung des Ausnahmez ustands, des Verbots vonZeitungen, der Inhaftierung der Rädelsführer usw. usf. Diese Maßnahmensind genauso notwendig, wie der militärische Feldzug gegen die Dorf-

bourgeoisie notwendig ist, die Getreideüberschüsse zurückhält und dasGetreidemonopol hintertreibt. Ohne die eiserne Disziplin des Proletariatskönne n wir uns wede r vor der Konterrevolution noch vor der Hu ngersno t

re t ten .Besonders im Auge behalten werden muß, daß die Bourgeoisie in den

letzten Tagen mit unnachahmlicher Kunst, mit der Geschicklichkeit einesVirtuosen von der W affe der Panikm acherei gegen die proletarische M achtGebrauch macht. Und einige unserer Genossen, besonders diejenigen, dieanfällig sind für die linkssozialrevolutionäre und anarchistische revolutio-nä re Phra se, ließen sich hinreiß en, verfielen einem Z usta nd der Panik oderbeachteten die Grenze nicht, die die berechtigte und nötige Warnung vordrohenden Gefahren von der Panikmacherei trennt.

Notwendig ist es, die grundlegenden Besonderheiten der ganzen gegen-wärtigen ökonomischen und politischen Lage Rußlands fest im Auge zubeha lten, die es unmöglich machen , der Sache mit irgendwelchen Auf-wallungen weiterzuhelfen. Man muß sich fest die Wahrheit einprägen underreichen, daß alle Arbeiter sie sich einprägen, daß nur ein konsequentesun d geduldiges Bemühen um die Schaffung un d W iede rherstellu ng eisernerproletarischer Disziplin samt schonungsloser Abrechnung mit Rowdys,Kulaken und Desorganisatoren im gegenwärtigen Augenblick die Sowjet-macht rette n kan n, im Augenblick eines der schwierigsten und gefährlich-

sten Übergänge, der durch die Verspätung der Revolution im Westenunvermeidlich geworden ist.

Qesdhrieben am 12. oder 13.Mai 1918.

Zuerst veröffentlidht 1929 Nada dem. Manuskript,im £.enin-Samme\bandXI.

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35S

B E R I C H T Ü B E R D I E A U S S E N P O L I T I K

I N D E R G E M E I N S A M E N S I T Z U N G D E S

G E S A M T R U S S I S C H E N Z E N T R A L E X E K U T I V K O M I T E E S

U N D D E S M O S K A U E R S O W J E T S 1 1 0

14. MAI 1918

Genossen, gestatten Sie mir, Sie mit dem gegenwärtigen Stand derDinge in der Außenpolitik bekannt zu machen. Genossen, während derletzten Tage ha t sich unsere internationale Stellung infolge der Zuspitzungder allgemeinen Situation in vielen Beziehungen kompliziert. Auf demBoden dieser Zuspitzung verrichten die Provokationen, die vorsätzlichePanikmacherei der bürgerlichen Presse und ihres Nachbeters — der sozia-listischen Presse —, von neuem ihr finsteres und schmutziges Werk, um

für ein neues Kornilowabenteuer den Boden zu bereiten.Zunächst möchte ich Sie auf das aufmerksam machen, was die inter-nationale Stellung der Sowjetrepublik in ihrer Grundlage bestimmt, umdann zu den äußeren juristischen Formen überzugehen, die diese Stellungbestimmen, und, ausgehend davon, die neuerdings aufgetauchten Schwie-rigkeiten zu skizzieren oder, richtiger gesagt, den Wendepunkt aufzu-zeigen, an dem wir angelangt sind und der die Grundlage bot für die Ver-schärfung der politischen Situation.

Genossen, Sie wissen, und die Erfahrungen von zwei russischen Revo-

lutionen haben diese Erkenntnis besonders nachdrücklich bekräftigt, daßdie tiefsten Wurzeln sowohl der inneren als auch der äußeren Politikunsres Staates bestimmt werden durch die ökonomischen Interessen, durchdie ökonomische Stellung der herrschenden Klassen unseres Staates. DieseLeitsätze, die die Grundlage der ganzen Weltanschauung der Marxistenbilden und die uns russischen Revolutionären durch die großen Erfahrun-gen beider russischen Revolutionen bestätigt wurden — diese Leitsätzedarf man keinen Augenblick außer acht lassen, wenn man sich nicht in dem

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Beriefet über die Außenpolitik 359

Dickicht und in dem Labyrinth der diplomatischen Spitzfindigkeiten ver-

irren will, in einem Labyrinth, das mitunter sogar künstlich geschaffenund noch mehr verwirrt wird von Leuten, Klassen, Parteien und Gruppen,die aus Neigung oder Zw ang im trüben fischen möchten.

Gegenwärtig möchten auch unsere Konterrevolutionäre — die Kadetten,die Bourgeoisie und die Gutsbesitzer — und ihre ersten Nachbeter — dierechten Sozialrevolutionäre und die Menschewiki — ungeachtet der ent-standenen internationalen Lage im trüben fischen.

In allgemeinen Zügen ist die Situation die, daß die Sozialistische Sowjet-republik Rußland infolge der Ihnen bekannt gewordenen, wiederholt von

uns in der Presse geschilderten Ursachen ökonomischen und politischenCharakters, infolge eines anderen Entwicklungstempos, eines anderen Bo-dens für die Entwicklung als im W esten— daß infolgedessen unsere Sozia-listische Sowjetrepublik einstweilen eine Oase inm itten des tobenden M ee-res imperialistischer Räuberei bleibt. Der ökonomische Hauptfaktor imWesten ist, daß dieser imperialistische Krieg, der die Menschheit zer-fleischt und gem artert ha t, so kom plizierte, so heftige, so verworrene Kon-flikte erzeugt hat, daß immer wieder, auf Schritt und Tritt, eine Lageentsteht, wo die Entscheidung der Frage nach Krieg und Frieden, die Ent-

scheidung zugunsten der einen oder der anderen Gruppierung an einemHaar hängt. Gerade so war die Lage in den letzten Tagen. Die Wider-sprüche, die Konflikte, der Kampf, das erbitterte, in Krieg übergehendeRingen zwischen den imperialistischen Mächten, die in ihrer Politik keineMöglichkeit haben, diesem K rieg ein Ende zu m achen, alles das hat infolgeder ökonomischen Bedingungen, unter denen der Kapitalismus sich imLaufe einer ganzen Reihe von Jahrzehnten entwickelte, dazu geführt, daßdie Imperialisten selber schon nicht mehr die Macht haben, diesem KriegEinhalt zu gebieten. Eben das hat die grundlegenden Widersprüche her-

vorgerufen, hat die Lage verwirrt und kompliziert.Infolge dieser Widersprüche ist es so gekommen, daß das allgemeine

Bündnis der Imperialisten aller Länder, das dem ökonomischen kapita-listischen Bündnis zugrunde liegt, das Bündnis, das natürlich und unver-meidlich ist für die Verteidigung des Kapitals, das kein Vaterland kennt,in vielen großen, hervorragenden Episoden der Weltgeschichte bewiesenhat, daß es den Schutz seines Bündnisses, des Bundes der Kapitalisten allerLänder gegen die Werktätigen, höher stellt als die Interessen des Vater-

24 Lenin, W erke, Bd. 27

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360 W. 7. Lenin

lands, des Volkes und was immer sonst, daß dieses Bündnis nicht die trei-

bende Kraft der Politik ist.Selbstverständlich bleibt dieses Bündnis nach wie vor die grundlegendeökonomische Tendenz des kapitalistischen Systems, die sich zuletzt mitunwiderstehlicher Kraft geltend machen wird. Eine Ausnahme von dieserGrundtendenz des Kapitalismus ist es, daß der imperialistische Krieg dieimperialistischen Mächte, die gegenwärtig die ganze Erde — man kannwohl sagen restlos — unter sich aufgeteilt haben, in Gruppen, in einanderfeindliche Gruppen, in feindliche Koalitionen gespalten hat. Diese Feind-schaft, dieser Kampf, dieses Ringen auf Leben und Tod bedeutet unter

bestimmten Bedingungen, daß das Bündnis der Imperialisten aller Länderhier unmöglich ist. Wir sind Augenzeugen einer Situation, in der die tosen-den Wogen der imperialistischen Reaktion, des imperialistischen Völker-gemetzels sich auf die kleine Insel der Sozialistischen Sowjetrepublik stür-zen, bereit, wie es scheint, sie in der nächsten Sekunde zu überfluten, dochzeigt es sich, daß diese Wogen immer wieder aneinander zerschellen.

Die Hauptwidersprüche zwischen den imperialistischen M ächten habenzu einem so schonungslosen Kampf geführt, daß weder die eine noch dieandere Gruppe, mögen sie sich auch der Ausweglosigkeit des Kampfes

bewußt sein, imstande ist, sich nach Belieben den eisernen Fängen diesesKrieges zu entwinden. Zwei Hauptwidersprüche hat der Krieg hierbeiherausgestellt, und sie sind maßgebend für die internationale Stellung derSozialistischen Sowjetrepublik im gegebenen Augenblick. Der erste ist derKampf zwischen Deutschland und England an der Westfront, der denäußersten Grad der Erbitterung erreicht hat. Wir haben mehr als einmalgehört, wie die Vertreter bald des einen, bald des anderen dieser krieg-führenden Lager sowohl dem eigenen Volk als auch den anderen VölkernVersprechungen machten und Zusicherungen gaben: binnen kurzem , nach

einer letzten Anstrengung wird der Feind überwältigt sein, wird das Vater-land siegreich verteidigt und werden die Interessen der Kultur und desBefreiungskrieges für immer gesichert sein. Je länger sich dieser unerhörteKampf hinzieht, je tiefer die kämpfenden Parteien in ihn hineingezogenwerden, in um so weitere Ferne rückt der Ausweg aus diesem endlosenKrieg. Eben die Erbitterung dieses Ringens macht es den imperialistischenGroßmächten äußerst schwer, ja fast unmöglich, ein Bündnis gegen dieSowjetrepublik zu schließen, die sich während ihres kaum halbjährigen

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"Benäht über die Außenpolitik 361

Bestehens die heißen Sympathien und die ungeteilte Zustimmung aller

klassenbewußten Arbeiter in allen Ländern der Welt errungen hat.Der zweite Widerspruch, der die internationale Stellung Rußlands be-stimmt, ist die Rivalität zwischen Japan und Amerika. Die ökonomischeEntwicklung dieser Länder hat im Laufe mehrerer Jahrzehnte eine Un-masse Zündstoff angehäuft, der ein erbittertes Ringen dieser Mächte umdie Herrschaft über den Stillen Ozean und seine Küsten unvermeidlichmacht. Die ganze diplomatische und ökonomische Geschichte des FernenOstens macht es ganz unzweifelhaft, daß auf dem Boden des Kapitalismusder heranreifende scharfe Konflikt zwischen Japan und Amerika unmög-

lich abzuwenden ist. Dieser Widerspruch, der heute vorübergehend durchdas Bündnis Japans und Amerikas gegen Deutschland verhüllt wird, hältdie Offensive des japanischen Imperialismus gegen Rußland auf. De r Feld-zug, de r' gegen die Sowjetrepublik begonnen wurde (die Landung inWladiwostok, die Unterstützung der Banden Semjonows), wird gehemmt,denn er droht, den latenten Konflikt zwischen Japan und Amerika in einenoffenen Krieg zu verwandeln . Durchaus möglich ist es natürlich auch, unddas dürfen wir keineswegs vergessen, daß die Gruppierungen der impe-rialistischen Mächte, wie dauerhaft sie auch erscheinen mögen, in ein paarTagen über den Haufen geworfen werden können, wenn das die Inter-essen des heiligen Privateigentums, die heiligen Rechte auf Konzessionenusw. erheischen. Und vielleicht genügt ein ganz kleiner Funke, um die be-stehende Gruppierung der Mächte zu sprengen, und dann werden uns dieerwähnten Widersprüche schon nicht mehr als Schutz dienen können .

Gegenwärtig aber bietet die charakterisierte Situation die Erklärung da-für, weshalb unsere sozialistische Insel inmitten des tobenden Sturms er-halten bleiben kann, und gleichzeitig dafür, weshalb diese Lage so unsicherist und es bisweilen scheint, als ob zum großen Jubel der Bourgeoisie die

Wellen über der Insel jeden Augenblick zusammenschlagen wollten, wasunter dem Kleinbürgertum Panikstimmung hervorruft.Die äußere Hülle, die äußere Erscheinungsform dieser Situation bilden

einerseits der Brester Vertrag und anderseits die Gepflogenheiten undGesetze bezüglich neutraler Länder.

Sie wissen, was Verträge wert sind und was Gesetze wert sind arjge-sichts entbrannter internationaler Konflikte — sie sind nichts als ein FetzenPapier.

2 4 *

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362 IV. 1 Centn

Man pflegt diese Worte zu zitieren und sich ihrer zu erinnern als eines

Musterbeispiels für den Zynismus der Außenpolitik des Imperialismus,der Zynismus liegt aber nicht in diesen Worten, sondern in dem scho-nungslosen, grausam schonungslosen und qualvoll schonungslosen impe-rialistischen Krieg, in dem m an alle Friedensverträge und alle Neutralitäts-gesetze mit Füßen getreten hat, mit Füßen tritt und so lange mit Füßentreten wird, wie der Kapitalismus existiert.

Das ist der G rund, w eshalb wir, wenn wir uns mit der Frage befassen,die für uns die allerwichtigste Frage bildet, der Frage des Brester Frie-dens, der Möglichkeit, ihn zu verletzen, und der Folgen, die sich für uns

aus einer solchen Lage ergäben, falls wir fest auf unseren sozialistischenFüßen stehen und uns nicht aus dem Sattel werfen lassen wollen durch dieRänke und Provokationen der Konterrevolutionäre — hinter was für sozia-listischen Etiketten sie sich auch immer verstecken mögen —, die ökono-mische Grundlage aller Friedensverträge, auch des Brest-Litowsker, unddie ökonomische Grundlage jeder Neutralität, auch der unseren, keinenAugenblick vergessen dürfen. Nicht vergessen dürfen wir einerseits denStand der Dinge im internationalen Maßstab, den Stand der Dinge iminternationalen Imperialismus mit Bezug auf die Klasse, die heranwächst

und früher oder später, vielleicht sogar später, als wir es wollen und er-warten, aber dennoch der Erbe des Kapitalismus sein und den Kapitalis-mus in der ganzen Welt bezwingen wird. Anderseits aber dürfen wir dasVerhältnis der imperialistischen Länder untereinander, die Beziehungenzwischen den imperialistischen Wirtschaftsgruppen nicht vergessen.

Wenn wir uns diese Situation klargemacht haben, Genossen, so werdenwir, denke ich, ohne Mühe begreifen, welche Bedeutung jene diploma-tischen Spezialfragen, Details, mitunter sogar Kleinigkeiten haben, die inden letzten Tagen unsere Aufmerksamkeit am meisten fesseln, die uns in

den letzten Tagen im Sinn liegen. Es ist begreiflich, daß die Lab ilität derinternationalen Situation eine Grundlage für Panik bildet. Diese Panikgeht aus von den Kadetten, den rechten Sozialrevolutionären und denMenschewiki, den Steigbügelhaltern derjenigen, deren W ollen und Trach-ten darauf gerichtet ist, Panikstimmung zu verbreiten. Wir dürfen nichtim geringsten die Augen schließen vor der ganzen Gefährlichkeit undTragik der Situation und müssen nach der Analyse der ökonomischenVerhältnisse im internationalen Maßstab sagen: Jawohl, die Frage nach

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Bericht über die Außenpolitik 363

Krieg und Frieden hängt an einem Haar, im Westen ebensowohl wie im

Fernen Osten, denn es gibt zwei Tendenzen: die eine, die ein Bündnisaller Imperialisten unvermeidlich macht, die andere, die die einen Impe-rialisten den andern entgegenstellt — zwei Tendenzen, von denen keineauf einer festen Grundlage beruht. Gewiß, augenblicklich kann Japannicht wagen, mit ganzer Kraft anzugreifen, obgleich es mit seiner Mil-lionenarmee das offenkundig schwache Rußland bewältigen könnte. W an ndas geschehen wird, w eiß ich nicht, und niemand kann das wissen.

In der Form des U ltimatums liegt die Androhu ng eines Krieges mit denalliierten Völkern und einer Verständigung mit Deutschland, aber das

kann sich in ein paar Tagen ändern. Das kann sich jederzeit ändern, weildie amerikanische Bourgeoisie, die heute Japan feindlich gesinnt ist, sichmorgen mit ihm verständigen kann, weil die japanische Bourgeoisie sichmorgen mit der deutschen verständigen kann. Ihre grundlegenden Inter-essen sind Interessen der Aufteilung des Erdballs, Interessen der Guts-besitzer, des Kapitals, der, wie sie sich ausdrücken, Sicherung ihrer natio-nalen Würde und ihrer nationalen Interessen. Diese Sprache ist denensattsam bekannt, die — ich weiß nicht — das Unglück oder die Gewohnheithaben, Zeitungen wie die der Sozialrevolutionäre zu lesen. Und wenn

man uns so oft von nationaler Würde spricht, dann weiß jedermann, dannwissen wir alle nach den Erfahrungen von 1914 sehr woh l, welche Faktender imperialistischen Räuberei sidi hinter diesen Worten verstecken. Es istbegreiflich, warum die Lage im Fernen Osten infolge dieses Verhältnissesetwas Labiles darstellt. Wir müssen eins sagen: Es gilt, diese Wider-sprüche der kapitalistischen Interessen klar zu sehen, man muß wissen,daß die Stabilität der Sowjetrepublik ihr die stets wachsende Sympathieder gewaltigen Massen der Werktätigen, der gesamten werktätigen, aus-gebeuteten Bevölkerung aller Länder gewinnt.

Und gleichzeitig müssen wir von Minute zu Minute, von Tag zu Taggerüstet und auf einen Umschwung der internationalen Politik zugunsteneiner Politik der extremen Kriegsparteien gefaßt sein.

Die Situation der deutschen Koalition ist uns klar. Die Mehrheit derbürgerlichen Parteien Deutschlands tritt gegenwärtig für die Einhaltungdes Brester Friedens ein, möchte ihn aber natürlich sehr gern „verbessern"und noch einige Annexionen auf Kosten Rußlands erlangen. Was. sie ver-anlaßt, die Sache so zu betrachten, sind politische und militärische Erwä-

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364 W. 7. Lenin

gungen vom Standpunkt der, wie sie sagen, deutschen nationalen Inter-

essen — der imperialistischen Interessen; das veranlaßt sie, Frieden imOsten vorzuziehen, um im W esten freie Han d zu haben, wo der deutscheImperialismus schon oftmals den unverzüglichen Sieg versprochen hat undwo jede Woche oder jeder Monat zeigt, daß dieser Sieg um so weiter inunerreichbare Ferne entschwindet, je mehr Teilsiege errungen werden.Anderseits haben wir die Kriegspartei, die mehr als einmal beim BresterVertrag he rvortrat und die natürlich in allen imperialistischen Staaten vor-handen ist — eine Kriegspartei, die sich sagt: Man muß sich unverzüglich,ohne Rücksicht auf die weiteren Folgen, der Gewalt bedienen. Das sind die

Stimmen der extremen Kriegspartei, die in der Geschichte Deutschlandsbekannt ist, seitdem in der Geschichte die schwindelerregenden militä-rischen Erfolge begannen; sie ist bekannt seit 1866 beispielsweise, wo dieextreme Kriegspartei Deutschlands den Sieg über Österreich davontrugund diesen Sieg in vollste Niederwerfung Österreichs verwandelte. Allediese Zusam menstöße, alle diese Konflikte sind unvermeidlich, und sie be-wirken, daß von dieser Seite her gegenwärtig alles an einem Haar hängt,daß einerseits die bürgerliche imperialistische Mehrheit des deutschenParlaments, die besitzenden Klassen Deutschlands, die deutschen Kapita-

listen, es vorziehen, auf dem Boden des Brester Vertrags zu bleiben, aller-dings ohne, wie gesagt, darauf zu verzichten, ihn zu verbessern. Ander-seits muß man von Minute zu Minute, von Tag zu Tag darauf gefaßt,muß man gewärtig sein, daß ein Umschwung der Politik im Interesse derextremen Kriegspartei eintritt.

Hieraus begreift sich die Labilität der internationalen Lage, hieraus er -klärt es sich, wie leicht sich auf diesem Boden die eine oder die andereLage für die Partei ergeben kann, und hieraus erklärt es sich, welche Um-sicht und Vorsicht, welche Beherrschung und Kaltblütigkeit von der So-

wjetmacht gefordert wird , damit sie ihre Aufgabe k lar bestimme. Mag dierussische Bourgeoisie sich von der französischen Orientierung auf diedeutsche Orientierung werfen. Ihnen gefällt das. Sie haben an einigenOrten gesehen, welche schöne Garantie gegen den Mushik, der vom BodenBesitz ergreift, und gegen den Arbeiter, der die Grundlagen des Sozialis-mus legt, in der deutschen Unterstützung liegt. Sie haben noch gestern, siehaben im Laufe einer langen Zeit, im Laufe mehrerer Jahre, diejenigenals Vaterlandsverräter bezeichnet, die den imperialistischen Krieg verur-

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Bericht über die Außenpolitik 365

teilten und dem Volke die Augen über ihn öffneten; heute aber sind sie

alle bereit, in ein paar Wochen ihren politischen Glauben zu wechselnund vom Bündnis mit den englischen Räubern zum Bündnis mit den deut-schen Räubern gegen die Sowjetmacht überzugehen. Mag die Bourgeoisiealler Schattierungen, von den rechten Sozialrevolutionären und den Men-schewiki bis zu den linken Sozialrevolutionären, sich hin und her werfen.Das gehört sich für sie so. Mag sie Panik verbreiten, da sie selber in Panikist. Mag sie sich hin und her werfen, keinen anderen W eg wissend und hinund her pendelnd zwischen dieser oder jener Orientierung und einer alber-nen Phrase, die nicht in Betracht zu ziehen vermag, daß in einer Revolu-

tion, sobald sie große Ausmaße annimm t, zwecks Vertiefung dieser Revo-lution die verschiedensten G ruppierungen und Übergänge von einer Etappezur anderen durchgemacht werden müssen. Wir russischen Revolutionärehaben das Glück, die Erfahrungen zweier Revolutionen des 20. Jahrhun-derts vor Augen zu haben, deren jede uns eine Menge im Leben des Vol-kes selbst verankerter Erfahrungen vermittelt hat, die zeigen, wie die revo-lutionäre Bewegung vorbereitet wird, wenn sie ief, wenn sie ernst ist; wiesich die verschiedenen Klassen in dieser Bewegung zeigen, auf welchemWege, mitunter in langer Evolution, auf schwierigem, qualvollem Wege,

der Reifeprozeß neuer Klassen vor sich geht.Denken Sie daran, was es den Sowjets, die durch spontane Aktion im

Jahre 1905 geschaffen worden sind, was es ihnen 1917 gekostet hat, vonneuem in Aktion zu treten, und dann, als sie die ganze Qual des Paktie-rens mit der Bourgeoisie und mit den getarnten ärgsten Feinden der Ar-beiterklasse durchmachen mußten, die von der Verteidigung der Revolu-tion, von der roten Fahne redeten und im Juni 1917 das größte Verbrechenbegingen — jetzt, wo die Mehrheit der Arbeiterklasse hinter uns steht,denken Sie daran, was es uns gekostet hat, nach der großen Revolution

von 1905 m it den Sowjets der Arbeiter-, der Bauernklasse hervorzutreten.Denken Sie daran und überlegen Sie sich, in welchem Massenm aßstab sichder Kampf entfaltet, der gegen den internationalen Imperialismus geführtwird, denken Sie darüber nach, wie schwer der Übergang zu dieser Lageist, was die Russische Republik durchmachte, als sie an die Spitze allerübrigen Trupps der sozialistischen A rmee tra t.

Ich weiß natürlich, daß es neunmalkluge Leute gibt, die sich für sehr ge-scheit halten und sich sogar Sozialisten nennen, die behaupten , man hätte

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die Macht nicht ergreifen dürfen, solange die Revolution nicht in allen

Ländern ausgebrochen ist. Diese Leute ahnen nicht, daß sie mit solchemGerede der Revolution den Rücken kehren und auf die Seite der Bourgeoi-sie übergehen. Wollte man warten, bis die werktätigen Klassen die Revo-lution im internationalen M aßstab durchführen, so müßten alle in Erw ar-tung e rstarren. Das ist Unsinn. Die Schwierigkeit der Revolution ist allenbekannt. Nachdem sie in einem Land mit glänzendem Erfolg begonnenhat, wird sie vielleicht qualvolle Perioden durchmachen, denn endgültigsiegen kann man nur im Weltmaßstab und nur durch die gemeinsamenAnstrengungen der Arbeiter aller Länder. Unsere Aufgabe besteht darin,

durchzuhalten und Vorsicht zu üben, wir müssen lavieren und zurück-weichen, bis Verstärkungen zu uns stoßen. Der Übergang zu dieser Tak-tik ist unvermeidlich, wie immer auch Leute darüber spotten mögen, diesich zwar Revolutionäre nennen, aber von der Revolution keine blasseAhnung haben.

Dam it schließe ich die allgemeinen D arlegungen und gehe zu dem über,was in den letzten Tagen Unruhe und Panik verursacht und es den Kon-terrevolutionären ermöglicht hat, ihre auf die Unterwühlung der Sowjet-macht gerichtete Arbeit von neuem zu beginnen.

Ich habe schon gesagt, daß die äußere, juristische Form und Hülle allerinternationalen Beziehungen, die die Sozialistische Sowjetrepublik unter-hält, einerseits der Brest-Litowsker Vertrag und anderseits die allgemei-nen Gesetze und Gepflogenheiten bilden, die die Lage eines neutralenLandes inmitten anderer, kriegführender Länder bestimmen, und dieseLage bedingte die Schwierigkeiten, die in letzter Zeit in Erscheinung ge-treten sind. Aus dem Brest-Litowsker Vertrag ergab es sich von selbst, daßsowohl mit Finnland und der Ukraine als auch mit der Türkei ein vollständi-ger Frieden abgeschlossen werden muß, indessen dauert der Krieg mit jedem

dieser Länder an, und das ist nicht auf die innere Entwicklung des Landes,sondern auf den Einfluß der herrschenden Klassen dieser Länder zurück-zuführen. Un ter diesen U mständen lag der zeitweilige Ausweg einzig undallein in der zeitweiligen Atempause, die wir durdi die Unterzeichnungdes Brester Friedens erhielten; das war jene Atempause, über deren an-gebliche Unmöglichkeit so viele leere und unnütze W orte geredet wurden,die sich aber trotzdem als möglich erwies und die im Laufe von zweiMonaten ihre Resultate gezeitigt hat, die der Mehrheit der russischen Sol-

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Beriefet über die Außenpolitik 367

daten zugute gekommen ist, die ihnen die Möglichkeit gegeben hat, heim-

zukehren und nachzusehen, was bei ihnen zu Hause vor sich gegangenwar, sich die Errungenschaften der Revolution zunutze zu machen, zuNutznießern des Bodens zu werden, sich umzuschauen und neue Kräftefür die ihnen bevorstehenden neuen Opfer zu schöpfen.

Es ist begreiflich, daß diese zeitweilige Atempause ihrem Ende ent-gegenzugehen schien, als sowohl in Finnland und in der Ukraine als auchin der Türkei die Lage sich zuspitzte, als wir an Stelle des vollständigenFriedens nur einen Aufschub wiederum der brennenden ökonomischenFrage erhielten: Krieg oder Frieden? Und müssen wir jetzt von neuem in

einen Krieg eintreten, trotz aller friedlichen Absichten der Sowjetmachtund ihrer vollen Entschlossenheit, die sogenannten Großmachtansprüchezu opfern, d. h. das Recht, Geheimverträge zu schließen, sie mit Hilfe derTsdiernow, Zereteli und Kerenski dem Volk zu verheimlichen, räuberischeGeheimverträge zu unterzeichnen und einen imperialistischen Raubkriegzu führen? Immerhin hatten wir an Stelle eines vollständigen Friedens janur einen kurzen Aufschub derselben brennenden Frage nach Krieg undFrieden erhalten.

Das ist es, was sich aus diesem Punkt ergab, und wiederum sehen Sie

klar, worauf die endgültige Lösung hinausläuft: auf die Frage, wohin dieSchwankungen zwischen den beiden gegnerischen Gruppen, zwischen denimperialistischen Ländern — der amerikanische Konflikt im Fernen Ostenund der deutsch-englische Konflikt im europäischen Westen — im End-ergebnis führen werden. Man begreift, daß diese Widersprüche sich zu-gespitzt haben im Zusammenhang mit der Eroberung der U kraine, im Zu-sammenhang m it der Lage, die sich die deutschen Imperialisten, besondersdie führende Kriegspartei, häufig so rosig, so leicht ausgemalt hatten unddie gerade dieser extremen Kriegspartei Deutschlands so unglaubliche

Schwierigkeiten bereitet hat, der Lage, die jetzt die Hoffnungen der rus-sischen Kadetten, Menschewiki und rechten Sozialrevolutionäre vorüber-gehend beflügelt, die in heißer Liebe entbrannt sind für alles, was Skoro-padski der Ukraine bringt, und jetz t darauf hoffen, daß sich das wohl auchin Rußland leicht bewerkstelligen lassen werde. Diese Herren irren sich:ihre Hoffnungen werden verwehen wie Spreu im Winde, we il. .. ( s t ü r -m i s c h e r B e if a ll ) weil, sage ich, eben diese führende Kriegspartei inDeutschland, die es allzusehr gew ohnt ist, alles auf die Macht des Schwer-

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tes zu setzen, weil sogar sie in diesem Fall erleben muß, daß sie von der

Mehrheit der Imperialisten, von der Mehrheit der bürgerlichen imperia-listischen Kreise nicht unterstützt wird, nachdem diese die unerhörtenSchwierigkeiten gesehen haben bei der Eroberung der Ukraine, im Kampfum die Unterwerfung eines ganzen Volkes, in der erzwungenen Notwen-digkeit, zu einem schrecklichen Umsturz zu greifen.

Welche unerhörten Schwierigkeiten hat diese führende Kriegspartei inDeutschland aufgetürmt, als diese extreme K riegspartei, die sich vor ihremVolk und vor den Arbeitern verpflichtet hatte, die größten Siege an derWestfront zu erringen, als sie sich neuen, unglaublichen ökonomischen

und politischen Schwierigkeiten gegenübergestellt sah: Ablenkung mili-tärischer Kräfte auf Aufgaben, die ebenfalls zunächst leicht zu sein schie-nen , und ferner der V ertrag mit den ukrainischen M enschewiki und rech-ten Sozialrevolutionären, die den Friedensvertrag unterzeichnet hatten.

Die extreme Kriegspartei in Deutschland hatte sich eingebildet: Wirwerden starke Truppen einsetzen und Getreide erhalten, dann aber stelltesich heraus, daß man einen Staatsstreich durchführen mußte. Dort erwiessich das als leicht, weil die ukrainischen M enschewiki sehr leicht dafür zuhaben waren. Dann aber zeigte sich, daß der Staatsstreich neue gigantische

Schwierigkeiten schafft, weil jeder Schritt erkämpft werden muß, um Ge-treide und Rohstoffe zu bekommen, ohne die Deutschland nicht existierenkann und deren Aufbringung mit Waffengewalt in einem besetzten Landzu große Anstrengungen und zu viele Opfer kostet.

Das ist die Lage, die in der Ukraine entstanden ist und die die Hoff-nungen der russischen Konterrevolution beflügeln mußte. Man begreift,daß Rußland, das seine Armee nicht wiederherstellen konnte, in diesemKampf immer neue Verluste erlitt und erleidet. Un d die Friedensverhand-lungen führten zu neuen drückenden Bedingungen, zu neuen offenen und

maskierten Kontributionen. Ungeklärt blieb die Frage, nach welchem Un i-versal* man die Grenzen der Ukraine zu bestimmen wünscht. Die Rada,die den Universal unterzeichnete, ist abgesetzt worden. An ihrer Stellesteht wieder ein Großgrundbesitzer als Hetman. Und auf Grund dieserUnbestimm theit ist eine ganze Reihe von Fragen aufgetaucht, die zeigen,daß die Fragen nach Krieg und Frieden im früheren Zustand verharren.

* Universal—historisch veraltete, ukrainisch-polnische Bezeichnung für einenRegierungserlaß. Der Tibers.

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"Beridbt über die Außenpolitik 369

Die teilweisen Waffenstillstände, die zwischen russischen und deutschen

Truppen existieren, nehmen die Entscheidung in bezug auf die allgemeineLage keineswegs vorweg. Die Frage hängt in der Luft. Das gleiche gilt auchin bezug auf Georgien, wo wir es mit einem langen,.konterrevolutionärenKampf der Regierung der kaukasischen Menschewiki zu tun haben, einemlangen Kampf der Konterrevolutionäre, die sich Sozialdemokraten nennen.Nadidem jedoch der Sieg der Sowjetmacht und der werktätigen Massen,der ganz Rußland durcheilt hat, auch die nichtrussischen Randgebiete zuerfassen begann, nachdem es mit aller Deutlichkeit offensichtlich undunzweifelhaft geworden ist, daß der Sieg der Sowjetmacht, wie das die

konterrevolutionären Vertreter der Donkosakenschaft anerkannt haben,nicht aufgehalten werden kann, nachdem die menschewistische Regierungim Kaukasus von Schwankungen befallen ist — Gegetschkori und Shorda-nija, die zu spät zur Einsicht gekommen sind und davon zu reden begonnenhaben, ob sie nicht eine gemeinsame Sprache mit den Bolschewiki suchensollen —, nachdem Zereteli aufgetreten ist, der mit Hilfe türkischer Trup-pen gegen die Bolschewiki zog — werden sie ernten, was auch die Radageerntet hat. (B eifa ll.) '

Denken Sie aber daran , daß, wenn sie, diese Geschäftemacher der Kau-

kasischen Rada, wenn sie die Unterstützung der deutschen Truppen er-halten sollten, wie die Ukrainische Rada diese Unterstützung erhalten ha t,dies selbstverständlich für die Sowjetrepublik Rußland neue Schwierig-keiten, einen neuen unvermeidlichen Krieg, neue Gefahren und neue U n-gewißheiten mit sich bringen wird. Es gibt Leute, die unter Hinweis aufdiese Ungewißheit, auf diese Schwere der unbestimmten Lage — und tat-sächlich ist eine solche unbestimmte Lage m itunter schlimmer als jede be-liebige bestimmte Lage —, es gibt Leute, die da sagen, daß diese Ungew iß-heit leicht zu beseitigen sei, es wäre lediglich notwendig, von den Deut-

schen offen die Einhaltung des Brester Vertrags zu fordern.Ich habe Gelegenheit gehabt, solche naiven Leute anzuhören, die sichfür Linke halten, in Wirklichkeit aber nur die Beschränktheit unseresKleinbürgertums wide rspiegeln.. .*

Sie vergessen, daß man zuerst siegen muß und erst dann irgend etwasfordern kann. Wenn ihr nicht gesiegt habt, erhält der Feind die Möglich-

* Ein im Stenogramm unklar aufgeschriebener Satz wurde ausgelassen.Die Red.

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370 ~W. 7 . Lenin

keit, die Antwort hinauszuzögern oder sogar überhaupt nicht auf die For-

derungen zu an tworten. Das ist das Gesetz des imperialistischen Krieges.Ihr seid unzufrieden damit. Versteht es, euer Vaterland zu verteidigen.

Für den Sozialismus, für die Arbeiterklasse, für den Werktätigen — dasRecht auf Vaterlandsverteidigung hat er.

Ich will nu r noch sagen, daß diese unbestimmte Lage an der kaukasischenGrenze durch das absolut unverzeihliche Schwanken der Regierung Ge-getschkori entstanden ist, die zuerst erklärte, daß sie den Brester Friedennicht anerkenne, dann aber die Unabhängigkeit verkündet, ohne uns mit-zuteilen, auf welches Territorium sich diese erstrecken soll. Wir haben in

zahllosen Funksprüchen angefragt: Seien Sie so gut, uns m itzuteilen, aufwelches Territorium Sie Anspruch erheben . Auf Unabhängigkeit Anspruchzu erheben ist Ihr Recht, Ihre Pflicht aber ist es, wenn Sie von Unabhängig-keit reden , zu sagen, welches Territorium Sie vertreten. D as war vor einerWoche. Eine Unmenge von Funksprüchen wurde aufgesetzt, aber es gabkeine einzige Antwort. Das nutzt der deutsche Imperialismus für seineZwecke aus. Daher war es Deutschland und der Türkei als dessen Vasal-lenstaat möglich, vorzudringen und vorzudringen, ohne auf irgend etwaszu antworten, ohne auf irgend etwas Rücksicht zu nehmen, indem sie er-

klärten: Wir nehmen, was wir nehmen können, wir verletzen den BresterFrieden nicht, da ihn die transkaukasische Armee nicht anerkennt, da derKaukasus unabhängig ist.

Von wem ist die Regierung Gegetschkori unabhängig? Von der Sowjet-republik ist sie unabhängig, vom deutschen Imperialismus aber ist sie einbißchen abhängig, und das ist natürlich. (B e if a ll .)

Das, Genossen, ist die Lage, die entstanden ist — eine außerordentlicheZuspitzung der Beziehungen in den letzten Tagen, das ist die Läge, dieuns nur eine neue und recht anschauliche Bestätigung gebracht hat für die

Richtigkeit jener Taktik, die unsere Partei, die Russische KommunistischePartei der Bolschewiki, in ihrer ungeheuren Mehrheit angewandt hat unddie sie im Laufe der letzten M onate konsequent vertreten hat.

W ir verfügen über g roße revolutionäre Erfahrungen, und wir haben ausdiesen Erfahrungen gelernt, daß m an die Taktik des schonungslosen V or-stoßes anwenden muß, sobald die objektiven Verhältnisse es gestatten, so-bald die Erfahrungen mit der Paktiererpolitik gezeigt haben , daß die Mas-sen empört sind und daß der Vorstoß der Ausdruck dieses Umschwungs

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Beriefet über die Außenpolitik 371

sein wird. Wir müssen jedoch unsere Zuflucht nehmen zur Taktik des Ab-

wartens, zum langsamen Sammeln der Kräfte, wenn die objektiven Um-stände uns keine Möglichkeit geben, zum allgemeinen, schonungslosenGegenstoß aufzurufen.

W er nicht die Augen schließt,wer nicht blind ist, der w eiß, daß wir je tztnurwiederholen, was wir früher gesagt,was wir stets gesagt haben: wir ver-gessen nicht, daß die russische Arbeiterklasse schwach ist im Vergleich zuanderen Trupps des internationalen P roletariats. Nicht unser W ille, son-dern die historischen Umstände, das Erbe des zaristischen Regimes, dieSchlappheit der russischen Bourgeoisie — das ist es, was bewirkt hat, daß

dieser Trupp den anderen Trupps des internationalen Proletariats voran-geeilt ist, und nicht etwa deshalb, weil wir es gewollt haben, sondern w eildie Um stände es erforderten. W ir müssen jedoch auf unserem Posten blei-ben, bis unser Verbündeter kommt — das internationale Proletariat, dasherankomm en wird, unvermeidlich herankommen wird, das aber unermeß-lich langsamer herankommt, als wir es erwarten und wollen. Wenn wirsehen, daß dieses Proletariat infolge objektiver Umstände zu langsammarschiert, müssen wir dennoch unsere Taktik beibehalten, die Tak tik desAbwartens und der Ausnutzung der Konflikte und Gegensätze zwischenden Imperialisten, der langsamen Sammlung der Kräfte, die Taktik derErhaltung der Oase der Sowjetmacht inmitten des tobenden imperiali-stischen Meeres, der Erhaltung jener Oase, auf die schon jetzt die Blickeder Arbeiter und Werktätigen aller Länder gerichtet sind. Das ist derGrund, weshalb wir uns sagen: Wenn die extreme Kriegspartei vonMinute zu Minute jede beliebige imperialistische Koalition besiegen undeine neue, unerwartete imperialistische Koalition gegen uns ins Lebenrufen kann, so werden w ir ihr diese Sache auf keinen Fall erleichtern. Soll-ten sie gegen uns marschieren — jawohl, jetzt sind wir Vaterlandsvertei-diger —, so werden wir alles tun, was von uns abhängt, alles, was diplo-matische Taktik zu vollbringen vermag, wir werden alles tun, um diesenMoment hinauszuschieben, wir werden alles tun, damit die kurze undunsichere Atempause, die wir im März erhalten haben, recht lange an-dauere, weil wir fest davon überzeugt sind, daß Dutzende MillionenArbeiter und Bauern hinter uns stehen, die wissen, daß sie mit jederWoche und erst recht mit jedem Monat dieser Atempause neue Kraftschöpfen, daß sie die Sowjetmacht festigen, daß sie aus ihr etwas Dauer-

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372 TV. 1 Lenin

haftes und Unerschütterliches machen, daß sie einen neuen Geist herein-

bringen und daß sie nach der Erschöpfung und Ermüdung von dem auf-reibenden reaktionären Krieg einen Zustand der Festigkeit und Bereit-schaft zum entscheidenden letzten Gefecht schaffen werden, falls eine aus-wärtige Macht die Sozialistische Sowjetrepublik überfallen sollte.

Seit dem 25. Oktober 1917 sind wir Vaterlandsverteidiger, wir habenuns das Recht erkämpft, das Vaterland zu verteidigen. Wir verteidigennicht Geheimverträge — die haben wir zerrissen, die haben wir vor derganzen Welt enthüllt —, wir verteidigen das Vaterland gegen die Imperia-listen. Wir verteidigen es, wir werden siegen. Wir verteidigen nicht die

Großmachtstellung — vom Russischen Reich ist nichts übriggeblieben, alsdas eigentliche Rußland —, nicht nationale Interessen, wir behaupten, daßdie Interessen des Sozialismus, die Interessen des Weltsozialismus höherstehen als die nationalen Interessen, höher als die Interessen des Staates.W ir sind V erteidiger des Vaterlands: des sozialistischen V aterlands.

Das läßt sich nicht durch Deklarationen erreichen, das läßt sich nurdurch den Sturz der Bourgeoisie im eigenen Land, durch einen schonungs-losen Kampf auf Leben und Tod erreichen, der begonnen hat, und wirwissen, daß wir siegen werden . Es ist eine kleine Insel inmitten des Krie-

ges, der in der imperialistischen Welt tobt, doch haben wir auf dieserInsel gezeigt und bewiesen, was die A rbeiterklasse zu leisten vermag. Daswissen alle, und alle haben es anerkannt. W ir haben bewiesen, daß wir einRecht auf die Verteidigung des Vaterlands haben, wir sind Vaterlands-verteidiger und be treiben diese Verteidigung m it allem Ernst, den uns dervierjährige Krieg gelehrt hat, mit aller Ernsthaftigkeit und Vorsicht, diejeder Arbeiter, jeder Bauer begreift, der einen Soldaten gesehen und er-fahren hat, was der Soldat in diesen vier Kriegsjahren durchgemacht hat —

mit einer Vorsicht, die nur diejenigen nicht verstehen können , über die nurdiejenigen kichern und leichtfertig hinweggehen können, die bloß in W or-ten und nicht in der Tat Revolutionäre sind. Gerade weil wir Anhängerder V aterlandsverteidigung sind, sagen wir un s: Für die Verteidigung be-darf es einer festen und starken Armee, eines starken Hinterlands, einefeste und starke Armee aber erfordert in erster Linie eine straffe Organi-sation des Ernährungswesens. Dazu ist nötig, daß die Diktatur des Prole-tariats nicht nur in der Zentralgewalt ihren Ausdruck findet, das ist dererste Schritt und nur der erste Schritt, sondern die Dilctatur muß in ganz

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Rußland herrschen, das ist der zweite Schritt und nur der zweite Schritt,

und diesen Schritt haben wir noch nicht ganz getan. Notwendig, unum-gänglich für uns ist proletarische Disziplin, eine wirkliche proletarischeDik tatur, die die feste und eiserne Macht der klassenbewußten Arbeiter injedem entlegenen Winkel unseres Landes fühlbar macht, so daß kein ein-ziger Kulak, kein einziger Reicher und Gegner des Getreidemonopolsungestraft bleibt, daß die strafende eiserne Hand der disziplinierten Dik-tatoren der Arbeiterklasse, der proletarischen Diktatoren , jeden von ihnenfindet und straft. (B ei fa ll .)

Un d w ir sagen u ns : Bei der Verteidigung des Vaterlands lassen wir Vor-

sicht walten — alles, was unsere Diplomatie leisten kann, um den Krieghinauszuschieben, um die Pause zu verlängern, sind wir verpflichtet zutun; wir versprechen den Arbeitern und Bauern, alles für den Frieden zutun. Und wir werden das tun. Und die Herren Bourgeois und ihre Nach-beter, die da glauben, man könnte auch bei uns, wie in der Ukraine, woder Um stu rz so leicht vonstatten ging, neue Skoropadski auf die Bildflächebringen — mögen sie nicht vergessen, daß die Kriegspartei in Deutschland,der es so viel Mühe gekostet hat, den Umsturz in der Ukraine zustandezu bringen, in Sowjetrußland auf ausreichenden Widerstand stoßen wird.Jawohl, das ist durch alles erwiesen, diese Linie ha t die Sowjetmacht unter-stützt, sie hat alle Opfer gebracht, um die Lage der werktätigen Massenim Lande stabil zu gestalten.

Was die Frage des Friedens und Finnland betrifft, so wird die Lagecharakterisiert durch die Wo rte : Fort Ino und Mu rman . Das F ort Ino, dasPetrograd schützt, gehört wegen seiner territorialen Lage zum Gebiet desfinnischen Staats. Als wir mit der Arbeiterregierung Finnlands Friedenschlössen, da erkannten wir, die Vertreter des sozialistischen Rußlands,Finnlands volles Recht auf sein gesamtes Terr itorium an , jedoch wurde mit

gegenseitiger Zustimmung beider Regierungen das Fort Ino „zwecks Ver-teidigung der gemeinsamen Interessen der sozialistischen Republiken", wiees in dem abgeschlossenen Vertrag heiß t, Rußland belassen.11 1 Es ist klar,daß unsere Truppen diesen Frieden in Finnland unterschrieben, diese Be-dingungen unterzeichneten. Es ist klar, daß das bürgerliche und konter-revolutionäre Finnland nicht umhinkonnte, deswegen zu rebellieren. Manbegreift, daß die reaktionäre und konterrevolutionäre Bourgeoisie in Finn-land auf diese Festung Anspruch erhob. Man begreift, daß sich deswegen

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374 W. 1. Centn

die Frage wiederholt zuspitzte und daß die Lage nach wie vor äußerst ge-

spannt ist. Die Sache hängt an einem Haar. Man begreift, daß eine nochgrößere Zuspitzung die Frage von Murman hervorrief, auf das die Eng-länder und Franzosen Anspruch erhoben, weil sie Dutzende von Millio-nen in den Hafenbauten investiert haben, um sich das militärische H inter-land in ihrem imperialistischen Krieg gegen Deutschland zu sichern. Sieachten die Neutralität so großartig, daß sie alles mitgehen heißen, wasnicht niet- und nagelfest ist. Dabei dient als hinreichender Grund für ihreÜbergriffe der Umstand, daß sie einen Panzerkreuzer haben, wir abernichts, um ihn zu vertreiben. Man begreift, daß sich die Frage deshalb

unbedingt zuspitzen m ußte. Es gibt eine äußere Hülle, es gibt eine juristischeAusdrucksform, die durch die internationale Stellung der Sowjetrepublikbedingt ist und voraussetzt, daß keine bewaffnete Macht irgendeines krieg-führenden Staates neutrales Territorium betreten darf, ohne entwaffnetzu werden. Die Engländer haben in Murman militärische Kräfte gelandet,und wir haben keine Möglichkeit gehabt, sie mit gleicher militärischerMacht daran zu hindern. Das Ergebnis ist,daß man uns Forderungen stellt,deren Charakter einem Ultimatum nahekommt: Wenn ihr eure Neutra-lität nicht schützen könnt,werden wir auf eurem Territorium Krieg führen.

Aber schon ist eine Arbeiter- und Bauernarmee geschaffen. Sie hat inden Kreisen und Gouvernements die bäuerliche Bevölkerung vereinigt, diezu ihrer den Gutsbesitzern entrissenen Scholle zurückgekehrt ist — sieweiß, was es zu verteidigen gilt. Es ist eine Armee geschaffen, die angefan-gen hat, die Sowjetmacht aufzubauen, und die die Avantgarde sein wird,wenn auf Rußland die Invasion einstürmt; wir werden dem Feind begeg-nen wie ein Mann. Meine Zeit ist abgelaufen, und ich gestatte mir, mitder Verlesung eines Telegramms zu schließen, das wir von Gen. Joffe, demBotschafter der Sowjetrepublik in Berlin, durch Funkspruch erhaltenhaben. Dieses Telegramm unseres Botschafters wird Ihnen einerseits be-stätigen, daß ich die internationalen Beziehungen hier richtig geschilderthabe, und anderseits, daß unsere Außenpolitik, die Politik de» Sowjet-republik, eine ernste Politik, eine Vorbereitung auf die Vaterlandsvertei-digung ist, eine konsequente Politik, die es nicht gestattet, auch nur einenSchritt zu tun, der den extremen Parteien der imperialistischen M ächte desWestens und Ostens Vorschub leisten könn te. Diese Politik hat eine ernsteGrundlage und gibt sich keinen Illusionen hin . Stets bleibt es möglich, daß

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Bericht über die Außenp olitik 375.

von heute auf morgen eine militärische Macht auf uns einstürmt, und wir

Arbeiter und Bauern sagen uns and der ganzen Welt — und werden es zubeweisen wissen —, daß wir uns wie ein Mann zur Verteidigung der So-wjetrepublik erheben werden, und deshalb wird, hoffe ich, die Verlesungdieses Telegramms ein passender Abschluß meiner Rede sein und unszeigen, in welchem Geiste die Vertreter der Sowjetrepublik im Auslandzum N utz en der Sow jets, aller Sowjetinstitutionen und der S owjetrepubliktätig sind.

„Die letzten eingegangenen Funktelegramme melden heute, daß die deutscheKriegsgefangenenkommission Freitag, den 10. Mai, abreist. Wir haben bereits

von der deutschen Regierung eine Note erhalten, mit dem Vorschlag, eine Son-derkommission zur Erörterung aller Rechtsfragen hinsichtlich unseres Eigen-tums in der U krain e und in Finnland zu bilden. Ich habe mich mit einer solchenKommission einverstanden erklärt und habe Sie gebeten, geeignete Bevoll-mächtigte, Militärs und Juristen, hierherzusenden. Heute hatte ich eine Unter-redung anläßlich der weiteren V ormärsche, der Forderung, Fort Ino zu räumen,und der Haltung der Russen zu Deutschland. Ich erhielt die Antwort: Diedeutsche Oberste Heeresleitung erklärt, daß keine weiteren Vormärsche mehrstattfinden werden, daß die Rolle Deutschlands in der Ukraine und in Finn-land beendet ist, daß Deutschland einverstanden ist, unsere Friedensverhand-

lungen mit Kiew und Helsingfors zu fördern, und deshalb mit den genanntenRegierungen in Verbindung tritt. Zur Frage des Forts Ino bei den Friedens-verhandlungen mit Finnland: Laut Vertrag müssen Forts geschleift werden,Deutschland meint, daß man bei Feststellung der Grenzen unseren Vertragmit den Roten annehmen kann, die Weißen haben noch keine Antwort gegeben.Offiziell erklärt die deutsche Regierun g: Deutschland steht fest auf dem Bodendes Brester Vertrags, wünscht mit uns in friedlichen Beziehungen zu leben, hatkeinerlei aggressive Pläne und wird keinerlei Offensive gegen uns unternehm en.Deutschlan d verspricht, russische Staa tsbürg er, entsprechend meiner Forderung,den anderen Neutralen gleichzustellen."

Ein Zeitungsbericht wurde am "Nach dem Jext des Buches „Troto-15. und 16. Mai i9iSin der holte der Jagungen des Qesamt-„Vrawda" "Nr. 93 und 94 sowie russischen Z£X, 4. 'Wahlperiode,am 15.Mai 1918 in den „Jswestija Stenografischer Bericht", MoskauWZJX" SWr. 95 veröffentlicht 192 0, verglichen mit dem 7ext der

„Vetrogra dskaja Traw da" 7ir. loi,19.Mai 1918.

15 Lenin, Werke, Bd. 27

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R E F E R A T Ü B E R D I E G E G E N W Ä R T I G E L A G E

A U F D ER MO SK A U ER G E BIETSK O N FE REN Z D ER K PR(B)112

15. MAI 1918

Kurzer Zeitungsbericht

Lenin geht zunächst auf die Ansichten der „Linken" über die Außen-

politik ein und verweist auf die ungeheure agitatorische Bedeutung derBrester Verhandlungen, weil so das Proletariat im Westen die Möglichkeithat, vieles zu erfahren und zu begreifen, wer denn die Bolschewiki sind,wie die Lage bei uns nach der Revolution ist usw. Augenblicklich liegt dieganze Rettung nicht darin, den Brester Vertrag offen für null und nichtigzu erklären, sondern in der Fähigkeit, in der verwickelten internationalenSituation zu lavieren, die sich infolge der Interessengegensätze zwischenden einzelnen imperialistischen Ländern herausgebildet hat. In Rechnunggezogen werden müssen die Beziehungen zwischen Japan und Amerika,

Deutschland und England, die Meinungsverschiedenheiten innerhalb derkapitalistischen Partei und der Kriegspartei Deutschlands u. a. m. DieInnenpolitik erfordert proletarische Disziplin, Kampf gegen die Dorf-kulaken, Sorge um das Getreide, völlige Diktatur im Ernährungswesenund Diktatur der Arbeiterklasse im Lande. Lenin opponiert gegen die„Linlcen" in der Frage des Staatskapitalismus und setzt auseinander, daßdieser für uns nicht gefährlich ist, da es bei dem qualvollen Übergang vomKapitalismus zum Sozialismus, den wir durchmachen, unsere Hauptsorgeist, die Industrie durchzubringen. Nu r auf dem Wege ihrer Organisierungin großem Maßstab, wie sie gegenwärtig nur unter dem Staatskapitalis-mus möglich ist, kann die Produktion in Gang gebracht und das Produ-zierte wie das Konsumierte rechnerisch genau erfaßt werden . Unumgäng-liche Bedingung dafür ist die Arbeiterkontrolle. Als Beispiel nennt Lenindie Lederarbeiter, ihre straffe Organisiertheit, die Arbeiterkontrolle inPrivatbetrieben.

JPrawda" Nr.95, a.Mai 191S. Nadb dem 7ext der „Prawda".

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R E FE R A T A U F D E M G E S A M T R U S S I S C H E N K O N G R E S S

V O N V E R T R E T E R N

D E R F I N A N Z A B T E I L U N G E N D E R S O W J E T S 1 1 3

18. MAI 1918

Die Finanzlage des Landes ist kritisch. Die Aufgabe der sozialistischen

Umgestaltung des Landes bringt eine ganze Reihe von Schwierigkeitenmit sich, die manchmal die Kräfte zu übersteigen scheinen, ich denke aber,daß w ir, wie schwer unsere A rbeit auch sein mag, die bei jedem Schritt aufden Widerstand der Kleinbourgeoisie, der Spekulanten und der besitzen-den Klassen stößt, sie bewältigen müssen.

Ihnen, den Menschen der Praxis, den Menschen der Erfahrung ist besserals irgend jemand sonst bekannt, welche Schwierigkeiten es beim Über-gang von allgemeinen Plänen und Dekreten zum täglichen Leben gibt.Eine gigantische Arbeit steht bevor, denn der Widerstand der besitzenden

Klassen wird verzweifelt sein, aber je schwieriger die Arbeit, um so segens-reicher werden ihre Resultate sein, wenn wir die Bourgeoisie besiegen undsie unter die Kontrolle der Sowjetmacht bringen. Unsere Aufgaben sindderart, daß es lohnt, sich ihretwegen anzustrengen und der Bourgeoisiedas entscheidende und letzte Gefecht zu liefern, denn von der Verwirk-lichung dieser Aufgaben hängt der Erfolg der sozialistischen Umgestaltungdes Landes ab .

Die von der Sowjetmacht vorgesehenen grundlegenden Finanzaufgabenerfordern sofortige Durchführung im praktischen Leben, und die Beratung

mit Ihnen wird dazu beitragen, daß die von uns geplanten Umgestaltun-gen keine bloßen Deklarationen bleiben.

W ir müssen auf finanziellem Gebiet um jeden Preis dauerhafte Umge-staltungen durchsetzen, dürfen jedoch nicht vergessen, daß alle unsereradikalen Reformen zum Scheitern verurteilt sind,wenn wir in der Finanz-politik keine Erfolge haben.

Im Namen des Rats der Volkskommissare unterbreite ich Ihrer Auf-merksamkeit die Aufgaben, die sich in zahlreichen Beratungen ergeben

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378 TV. 7. Lenin

haben, und bitte Sie, sie eingehend auszuarbeiten, damit sie praktische An-

wendung im Leben finden können. Diese Aufgaben sind folgende:

Z E N T R A L I S I E R U N G D E S F I N A N Z W E S E N S

Wir müssen das Finanzwesen zentralisieren, unsere Kräfte konzentrie-ren; ohne Verwirklichung dieser Prinzipien werden wir nicht die ökono-mischen Umgestaltungen durchsetzen, die jedem Bürger das tägliche Brotund die Möglichkeit geben, seine kulturellen Bedürfnisse zu befriedigen.

Gegenwärtig kommt die Notwendigkeit der Zentralisierung den Volks-massen schon zum Bewußtsein; wenn dieser Umschwung langsam vor sichgeht, so wird er dafür tiefer und breiter sein; wenn Bestrebungen zurDezentralisierung zu beobachten sind, so ist das eine Krankheit der Ü ber-gangszeit, eine Wachstumskrankheit; sie ist durchaus natürlich, da derzaristische und der bourgeoise Zentralismus den Volksmassen Haß undAbscheu gegen jede Zentralgewalt eingeflößt hat.

Ich betrachte den Zentralismus als das Minimum einer gewissen Sicher-stellung der werktätigen M assen. Ich bin für die breiteste Autonomie der

örtlichen Sowjetorganisationen, gleichzeitig aber denke ich, daß für dieFruchtbarkeit unseres Bemühens um die bewußte Umgestaltung des Lan-des eine einheitliche, genau festgelegte Finanzpolitik und die Durchfüh-rung der Anordnungen von oben bis unten notwendig sind.

Wir erwarten von Ihnen ein Dekret über d ie Zentralisierung des Finanz-wesens des Landes.

E I N K O M M E N - U N D V E R M Ö G E N S S T E U E R

Die zweite Aufgabe, vor der wir stehen, ist die richtige Gestaltung derprogressiven Einkommen- und Vermögenssteuer. Sie wissen, daß alle So-zialisten gegen indirekte Steuern sind, denn die vom sozialistischen Stand-punkt aus einzig richtige S teuer ist die progressive Einkommen- und Ver-mögenssteuer. Ich verschweige nicht, daß wir bei Einführung dieser Steuerauf außerordentliche Schwierigkeiten stoßen w erden ; die besitzenden Klas-sen werden verzweifelten Widerstand leisten.

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Referat auf dem Qesamtrussisdhen Kongreß 379

Jetzt entzieht sich die Bourgeoisie der Besteuerung durch Bestechung

und Beziehungen; wir müssen ihr die Hin tertü ren versperren. Auf diesemGebiet haben wir uns vieles vorgenommen, der Boden für das Fundamentist gesäubert, das Fundament dieses Gebäudes selbst aber ist noch nichtgeschaffen. Jetzt rückt dieser Zeitpunkt heran.

Die Frage der Einkommensteuer ist so beschaffen, daß Dekrete alleinfür ihre Durchführung nicht genügen, es bedarf praktischer Methoden un dErfahrungen.

Wir sind der Meinung, daß wir zur monatlichen Erhebung der Ein-kommensteuer übergehen müssen. Der Anteil der Bevölkerung, der sein

Einkommen aus der Staatskasse bezieht, wächst; man muß Maßnahmenergreifen, um diesen Personen die Einkommensteuer vom Gehalt abzu-ziehen.

Die Einkommensteuer muß ausnahmslos von allen Einkommen undArbeitsentgelten erhoben werden,- die Tätigkeit d er N otenpresse, die bis-her praktiziert wurde, kann nur als zeitweilige Maßnahme gerechtfertigtwerden, und sie muß der progressiven Einkommen- und Vermögenssteuer,mit sehr häufigen Zahlungsfristen, Platz machen.

Ich möchte Sie bitten, diese Maßnahm e im einzelnen auszuarbeiten und

praktische und genaue Pläne aufzustellen, die wir in kürzester Frist inDekrete und Instruktionen umwandeln können.Auf die Frage der Kontributionen eingehend, sagt Lenin : Ich bin durch-

aus kein Gegner von Kontributionen überhaupt; um die Bourgeoisie zuvernichten, konnte das Proletariat nicht ohne Kontributionen auskomm en;das ist eine ichtige Maß nahm e der Ü bergangszeit, jetzt aber ist die Über-gangszeit vorüber und die Besteuerung der besitzenden Klassen muß einereinheitlichen, zentralen , staatlichen Steuer weichen.

Zweifellos wird die Bourgeoisie mit allen Kräften versuchen, unsere

Gesetze zu um gehen und kleinliche Betrügereien ins We rk zu setzen. W irwerden dagegen kämpfen, um den Resten der Bourgeoisie vollends denBoden zu entziehen.

A R B E I T S D I E N S T P F L I C H T

Die dritte Aufgabe unserer Finanzpolitik besteht in der Einführung derArbeitsdienstpflicht und der Registrierung der besitzenden Klassen,

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380 W. 7. £enin

Mit dem alten, auf der freien Konkurrenz fußenden Kapitalismus hat

dieser Krieg endgültig aufgeräumt — er ist dem Staatskapitalismus, demMonopolkapitalismus gewichen. Die fortgeschrittensten Länder des We-stens — England und Deutschland — sind im Zusammenhang mit demKrieg zur strengsten Rechnungsführung und Kontrolle über die gesamteProduktion übergegangen, sie haben die Arbeitsdienstpflicht für dieunbem ittelten Klassen e ingeführt, der Bourgeoisie aber eine Menge Hin ter-türen offengelassen. Wir müssen uns die Erfahrungen dieser Länder zu-nu tze machen, jedoch mit der Einführung der Arbeitsdienstpflicht in erste rLinie nicht für die Armen, die schon ohnehin genug Opfer auf dem Altar

des Krieges gebracht haben, sondern für die Besitzenden beginnen , die sicham Kriege bereichert haben .

Auf der Tagesordnung steht die Einführung der Arbeits-, Steuer- undHaushaltsbücher vor allem für die Bourgeoisie, damit zu sehen ist, welchenArbeitsanteil jeder zum Nutze n des Landes verrichtet. Die Kontrolle mußin den Händen der örtlichen Sowjets liegen. Gegenüber den Armen istdiese Maßnahme zur Zeit ganz überflüssig, denn sie müssen auch so ge-nügend arbeiten — und überdies ergreifen die Gewerkschaften alle Maß-nahmen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und zur Einführung der

Arbeitsdisziplin.Die ausnahmslose Registrierung der wohlhabenden Bevölkerung, ein

Gesetz, das die Reichen verpflichtet, Arbeits-, Steuer- und Haushaltsbücherzu haben — das ist die Aufgabe, die wir in erster Linie lösen müssen. DieseFrage muß praktisch und konkret ausgearbeitet werden. Diese Maßnahmewird es ermöglichen, die Steuerlasten den Reichen aufzuerlegen, wie esauch die Gerechtigkeit fordert.

N E U E G E L D S C H E I N E

Die vierte Aufgabe des Tages ist der Umtausch der alten Geldscheinegegen neue. Geld, Papierscheine — alles das, was man heute Geld nennt —,

diese Anweisungen auf gesellschaftlichen Wohlstand wirken zersetzendund sind dadurch gefährlich, daß die Bourgeoisie, die solche Scheine hortet,wirtschaftliche Macht behält.

Um diese Erscheinung abzuschwächen, müssen wir die strengste Erfas-

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Tieferat auf dem Qesamtrussisdhen Kongreß 381

sung des vorhandenen Papiergeldes in die Wege leiten, damit wir das ge-

samte alte Geld vollständig gegen neues umtauschen können. Zweifelloswerden wir bei der Durchführung dieser Maßnahme auf außerordentliche

ökonomische und politische Schwierigkeiten stoßen; wir werden eine sorg-

fältige Vorbereitungsarbeit zu leisten haben: die Bereitstellung einiger Mil-liarden neuen Geldes, die Schaffung von Sparkassen in jedem Amtsbezirk

und jedem Viertel einer großen Stadt. Wir werden jedoch vor den Schwie-

rigkeiten nicht haltmachen. Wir werden eine sehr kurze Frist ansetzen,

binnen welcher jedermann die Menge des in seinen Händen befindlichen

Geldes zu deklarieren und es gegen neues einzutauschen hat. Ist die Summe

nicht groß, so erhält er Rubel gegen Rubel. Geht sie aber über die Normhinaus, so erhält er nur einen Teil. Diese Maßnahme wird zweifellos auf

die stärkste Gegenwehr nicht nur der Bourgeoisie, sondern auch der Dorf-

kulaken stoßen, die sich am Kriege bereichert und Flaschen voll Papiergeld

im Werte von Tausenden in der Erde vergraben haben. Wir werden dem

Klassenfeind Auge in Auge gegenüberstehen. Es wird ein schwerer, aber

dankbarer Kampf sein. Bei uns gibt es keine Zweifel darüber, daß wir alle

Bürden dieses Kampfes auf uns nehmen müssen, denn er ist notwendig

und unvermeidlich. Die Durchführung dieser Maßnahme erfordert eine

gewaltige Vorarbeit: der Deklarationsvordruck muß entworfen, die Pro-paganda im Lande entfaltet, die Frist für den Umtausch alten Geldes

gegen neues festgesetzt werden usw. Aber wir werden das schaffen. Es

wird das entscheidende letzte Gefecht mit der Bourgeoisie sein, und das

wird uns die Möglichkeit geben, dem ausländischen Kapital einen zeit-

weiligen Tribut zu zahlen, bis im Westen die Stunde der sozialen Revolu-

tion schlägt — und die notwendigen Reformen im Lande durchzuführen.

Zum Schluß wünscht Lenin dem Kongreß im Namen des Rats der Volks-

kommissare eine fruchtbringende Arbeit. (LeninsRedew i rdw ieder -

holt von stürmischem Beifall unterbrochen.)

Ein Zeitungsbericht wurde Nach dem Jext des 1iudhes „'Bericht

am \9. TAai i9l8in den über die Arbeiten des ersten Qesamt-

Jswestija WZ7K" 5Vr. 99 russisdhenXongressesvonVertreternveröffentlicht. der 7inanzabteüungen der Qebiets-,

Qouvernements- und %reissowjets",Moskau i9i8.

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B R I E F A N D I E K O N F E R E N Z

VON VERTRETERN DER NATIONALISIERTEN BETRIEBE 1"

18. MAI 1918

Nach Entgegennahme eines Berichts der Genossen, die auf der Kon-ferenz der größten Metallbetriebe als Arbeiterdelegation gewählt wurden,und im Hinblick auf die Resolution der Konferenz kann ich sagen, daßmeiner M einung nach im Rat der Volkskommissare sicherlich Einmütigkeitzugunsten der unverzüglichen Nationalisierung bestehen wird, wenn dieKonferenz sich mit aller Energie daranmacht, eine planmäßige, straffeArbeitsorganisation zu sichern und die Arbeitsproduktivität zu steigern.

Es ist daher wünschenswert, daß die Konferenz: 1. unverzüglich einen

Provisorischen Rat wählt, der die Vereinigung der Betriebe vorzubereitenhat; 2. dem Zentralkomitee des Metallarbeiterverbands das Recht erteilt,im Einvernehmen mit dem Obersten Volkswirtschaftsrat diesen Proviso-rischen Rat umzugestalten und neue Ratsmitglieder zu berufen, um ausihm einen Vorstand des einheitlichen Verbands (oder der Vereinigung)aller nationalisierten Betriebe zu machen; 3. im Interesse einer strengenArbeitsdisziplin eine Betriebsordnung nach dem Typus der BrjanskerRichtlinien115 billigt bzw. durch Annahm e einer Resolution in Kraft setzt;4. aus den Reihen der Spezialisten, Ingenieure und Organisatoren der

Großproduktion Kandidaten zur Mitarbeit im Vorstand nominiert oderden Obersten Volkswirtschaftsrat beauftragt, solche ausfindig zu machenund zu ernennen; 5. es ist wünschenswert, daß Arbeiter aus den best-organisierten Betrieben oder solche, die in der Leitung der Großproduk-tion die größte Erfahrung besitzen (vom Provisorischen Rat oder vomZentralkomitee des Metallarbeiterverbands), in die minder erfolgreichenBetriebe geschickt werden, damit sie dort mithelfen, die Sache richtig zuorganisieren; 6. bei strenger Rechnungsführung und Kontrolle über samt-

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Brie/ an die "Konferenz von Vertretern der nationalisierten Betriebe 383

liehe Materialien im Interesse der Produktivität der A rbeit muß und kann

eine gewaltige Ersparnis an Rohstoffen und Arbeit erzielt werden.Ich denke, daß es bei energischer A rbeit der Konferenz und der von ihrgewählten Körperschaften möglich sein wird, in den nädhsten Jagen dieNationalisierung im Rat der Volkskommissare zu beschließen.

„Iswestija WZ1 X" 'Nr. 99, "Nadh dem Text der19. Mai 1918. Jswestija WZJX".

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E N T W U R F E I N E S T E L E G R A M M S

A N D I E P E T R O G R A D E R A R B E I T E R

21.MAI 191811 6

Die Sowjetmacht behaupten, den Sieg der Werktätigen und Ausgebeu-

teten über die Gutsbesitzer und Kapitalisten behaupten und festigen kannman nur bei strengster, eiserner Macht der klassenbewußten Arbeiter. Nureine solche Macht kann alle Werktätigen, die ganze Armut für sich ge-winnen und um sich vereinigen.

Genossen Arbeiter! Seid Euch bewußt, daß die Lage der Revolutionkritisch ist. Denkt daran , daß n u r J h r die Revolution retten könn t, sonstniemand.

Zehntausende auserlesene, fortgeschrittene, dem Sozialismus ergebeneArbeiter, die gegen Bestechung und Unterschlagung gefeit sind, die fähig

sind, eine eiserne Macht gegen die Kulaken, Spekulanten, Marodeure,Schmiergeldnehmer und Desorganisatoren aufzurichten, das ist es, wasnot tut.

Das ist es, was dringend und unverzüglich not tut.Sonst sind Hunger, Arbeitslosigkeit und der Untergang der Revolution

unvermeidlich. -

In der Organisation liegt die Stärke der Arbeiter und ihre Rettung. Daswissen alle. Jetzt ist eine besondere Art von Organisierung der Arbeiternötig, die Organisierung der eisernen Macht der Arbeiter für den Sieg

über die Bourgeoisie. Genossen Arbeiter! Die Sache der Revolution, dieRettung der Revolution liegt in Euren Händen.

Die Ze it drängt: auf den maßlos schweren Mai werden die noch schwe-reren Monate Juni und Juli und vielleicht auch noch ein Teil des Augustfolgen.

„Petrotjradskaja Vravjda" 5Vr. iO3, Jiado dem Manuskript.22.%iaii9l8.

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O B ER D IE H U N G E R S N O T

(Brief an die Petrograder A rbeiter)

Genossen! Dieser Tage war ein Delegierter von Euch bei mir, ein Par-teigenosse, ein Arbeiter aus den Putilow-Werken. Dieser Genosse schil-derte mir eingehend das außerordentlich drückende Bild der Hungersnotin Petrograd. W ir alle wissen, daß es in einer ganzen Reihe von Industrie-gouvernements um die Versorgung ebenso kritisch bestellt ist, daß derHunger ebenso quälend an die Tür der Arbeiter und der Armen über-haupt pocht.

Daneben aber beobachten wir eine Orgie von Schiebungen mit G etreideund anderen Lebensmitteln. Die Hungersnot rüh rt nicht daher, daß es inRußland kein Getreide gäbe, sondern daher, daß die Bourgeoisie und alleReichen der Herrschaft der Werktätigen, dem Staat der Arbeiter, der.Sowjetmacht in der wichtigsten und brennendsten Frage, der Frage desBrotes, das entscheidende, letzte Gefecht liefern. Die Bourgeoisie und alleReichen, einschließlich der Dorfreichen, der Kulaken, hintertreiben dasGetreidemonopol, sie untergraben die staatliche Verteilung des Getreideszugunsten und im Interesse der Brotversorgung der ganzen Bevölkerung,

in erster Linie der Arbeiter, der Werktätigen, der Bedürftigen. Die Bour-geoisie sabotiert die festen Preise, spekuliert mit Getreide, profitiert hun-dert, zweihundert und mehr Rubel an einem Pud Getreide, zerrüttet dasGetreidemonopol und die richtige Verteilung des Getreides, zerrüttet esdurch Bestechungsgelder, durch Korruption, durch böswillige Unterstüt-zung alles dessen, was der Arbeitermacht verderblich ist, die danach strebt,das erste, grundlegende Hauptprinzip des Sozialismus zu verwirklichen.-„W er nicht arbeitet, der soll auch nicht essen."

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386 W. 3. Lenin

„Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen" — das ist jedem Werk-

tätigen verständlich. D amit sind alle Arbeiter, alle armen Bauern und so-gar die Mittelbauern einverstanden, alle, die im Leben Not gekannt, alle,die jemals von ihrer Hände Arbeit gelebt haben. Neun Zehntel der Be-völkerung Rußlands sind mit dieser W ahrheit einverstanden. In dieser ein-fachen, überaus einfachen und offenkundigen Wahrheit liegt der Grund-gedanke des Sozialismus, die unerschöpfliche Quelle seiner Kraft, dasunzerstörbare Unterpfand seines Endsieges.

Aber das ist es ja eben, daß es eine Sache ist, sein Einverständnismit dieser Wahrheit zu bescheinigen, zu schwören, daß man sie teile,

ein Lippenbekenntnis zu ihr abzulegen, eine andere Sache aber, es zuverstehen, sie in die Tat umzusetzen. Wenn Hunderttausende und Mil-lionen Menschen Hungerqualen leiden (in Petrograd, in den nichtland-wirtschaftlichen Gouvernements, in Moskau)—in einem Land, in welchemMillionen und aber Millionen Pud Getreide von den Reichen, Kulakenund Schiebern versteckt gehalten werden, in einem Land, das sich Sozia-listische Sowjetrepublik nennt —, so ist das ein Grund für jeden auf-geklärten Arbeiter und Bauern, sich ernste und gründliche Gedanken zumachen.

„Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen" — wie ist das in die Tatumzusetzen? Es ist sonnenklar, daß zur Verwirklichung dieses Grund-satzes erstens das staatliche Getreidemonopol notwendig ist, d. h. dasunbedingte Verbot jedes Privathandels mit Getreide, die Pflichtablieferungaller Getreideüberschüsse zu Festpreisen an denStaat, das unbedingte Ver-bot für jedermann, wer er auch sein mag, Getreideüberschüsse zurückzu-halten und zu verstecken. Zweitens ist dazu die strengste Rechnungsfüh-rung über alle Getreideüberschüsse erforderlich sowie die einwandfreigeregelte Zufuhr von Getreide aus den Überschußgebieten nach den Ge-

treidezuschußgebieten, verbunden mit der Anlegung von Vorräten für denVerbrauch, die Verarbeitung und die Aussaat. Drittens ist dazu eine ge-regelte, gerechte, dem Reichen keinerlei Privilegien und Vorteile gewäh-rende Verteilung des Getreides an alle Bürger des Staates unter Kontrolledes proletarischen, des Arbeiterstaates notwendig.

Es genügt, auch nur ein klein wenig über diese Bedingungen des Siegesüber den Hunger nachzudenken, um den ganzen Abgrund der Borniert-heit jener verächtlichen Schwätzer des Anarchismus zu erkennen, die die

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Tiber die "Hungersnot 387

Notwendigkeit einer Staatsgewalt (und zwar einer Gewalt, schonungslos

hart gegen die Bourgeoisie, rücksichtslos streng gegen Desorganisatoren)für den Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus, für die Be-freiung der W erk tätigen von jeglichem Joch und jeglicher Ausbeutung ver-neinen. Gerade jetzt, wo unsere Revolution unmittelbar, konkret, prak-tisch — und darin liegt ihr unabschätzbares Verdienst — an die Aufgabender Verwirklichung des Sozialismus herangetreten ist, gerade jetzt undgerade in der Hauptfrage, in der Getreidefrage, zeigt sich mit vollsterKlarheit die Notwendigkeit einer eisernen revolutionären Macht, der Dik-tatur des Proletariats, die Notwendigkeit organisierter Beschaffung vonProdukten, ihrer Zufuhr und Verteilung im Massenmaßstab, im gesamt-nationalen Maßstab unter Berücksichtigung der Bedürfnisse von Dutzen-den und Hunderten Millionen Menschen, unter Vorausberechnung der Be-dingungen und der Ergebnisse der Produktion auf ein Jahr, ja auf vieleJahre (denn es kommen Jahre der M ißernte vor, es können Meliorationenzur Erhöhung des Ernteertrags notwendig sein und jahrelange Arbeitenerfordern usw.).

Romanow und Kerenski haben der Arbeiterklasse ein durch ihren räu-berischen, verbrecherischen und überaus verheerenden Krieg grauenhaft

zerrüttetes Land als Erbe hinterlassen, ein Land, das von den russischenund ausländischen Imperialisten bis aufs letzte ausgeplündert worden ist.Das Getreide langt für alle nur bei strengster Erfassung eines jeden Puds,nur bei unbedingt gleichmäßiger Verteilung eines jeden Pfunds. An Brotfür die Maschinen, das heißt an Brennstoff, herrscht gleichfalls äußer-ster Mangel: Eisenbahnen und Fabriken werden stillstehen, Arbeitslosig-keit und Hungersnot werden das ganze Volk zugrunde richten, wennnicht alle Kräfte angespannt werden, um schonungslos strenge Sparsam-keit im Verbrauch und geregelte Verteilung durchzusetzen. Wir stehen

vor der Katastrophe, sie ist ganz, ganz nahe herangerückt. Auf denmaßlos schweren Mai folgen die noch schwereren Monate Juni, Juli undAugust.

Das staatliche Getreidemonopol besteht bei uns laut Gesetz, praktischaber hintertreibt die Bourgeoisie es auf Schritt und Tritt. Der Dorfreiche,der Kulak, der Blutsauger, der jahrzehntelang den ganzen Umkreis aus-plünderte, zieht es vor, sich durch Spekulation und Schwarzbrennerei zubereichern : das ist ja so vorteilhaft für seine Tasche, und die Schuld an der

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388 W. 1 Lenin

Hungersnot schiebt er auf die Sowjetmacht. Genauso verfahren die poli-

tischen Verteidiger des Kulaken — die Kadetten, die rechten Sozialrevo-lutionäre, die Menschewiki —, die offen und geheim gegen das Getreide-monopol und gegen die Sowjetmacht „arbeiten". Die Partei der Charakter-losen, das heißt die linken Sozialrevolutionäre, ist auch hier charakterlos:sie gibt dem habgierigen Geschrei und Gejammer der Bourgeoisie nach,sie zetert gegen das Getreidemonopol, sie „protestiert" gegen die Er-nährungsdiktatur, sie läßt sich von der Bourgeoisie einschüchtern, sie fürch-tet den Kampf gegen die Kulaken, sie weiß in ihrer Hysterie nicht ausnoch ein und rät, die Festpreise zu erhöhen, den Privathandel zu gestatten

und ähnliches mehr.Diese Partei der Charakterlosen widerspiegelt in der Politik ungefährdas, was im Leben vorkommt, wenn der Kulak die Dorfarmut gegen dieSowjets aufhetzt, sie besticht, wenn er beispielsweise irgendeinem armenBauern ein Pud Getreide nicht für sechs, sondern für drei Rubel abläßt,damit der so korrumpierte Arme selber der Spekulation verfalle und „einenSchnitt" mache, damit er ebenfalls „profitiere" durch den spekulativenVerkauf dieses Puds für 150 Rubel, selber zum Schreier gegen die Sowjetswerde, die den Privathandel mit Getreide verbieten.

W er fähig ist zu denken, wer auch nur ein ganz klein wenig nachdenkenwill, dem ist klar, auf welcher Linie der Kampf vor sich geht:Entweder werden die fortgeschrittenen, klassenbewußten Arbeiter sie-

gen, nachdem sie die Masse der Armen um sich vereinigt, eine eiserneOrdnung, eine schonungslos strenge Macht, eine wirkliche Diktatur desProletariats hergestellt haben, werden den Kulaken zwingen, sich zu un-terwerfen, indem sie eine geregelte Verteilung des Getreides und desBrennstoffs im gesamtstaatlichen Maßstab herbeiführen;

— oder die Bourgeoisie wird mit Hilfe der Kulaken, mit der indirekten

Unterstützung charakterloser und verworrener Menschen (der Anarchi-sten und der linken Sozialrevolutionäre) die Sowjetmacht stürzen undeinen russisch-deutschen oder russisch-japanischen Kornilow einsetzen, derdem Volk den sechzehnstündigen Arbeitstag, ein Achtelpfund Brot dieWoche, Massenerschießungen von Arbeitern, Folterungen in den Kerkern,so wie in Finnland, wie in der Ukraine, bringen wird.

Entweder — oder.Einen Mittelweg g ibt es nicht

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Vber die "Hungersnot 389

Das Land befindet sich in einer äußerst kritischen Lage.

Wer sich ins politische Leben hineindenkt, der muß unbedingt sehen,daß die Kadetten samt den rechten Sozialrevolutionären und samt denMenschewiki darüber einig zu werden suchen, ob ein russisch-deutscheroder ein russisch-japanischer Kornilow „genehmer" ist, ob ein gekrönteroder ein republikanischer Kornilow die Revolution besser und sichererniederschlagen wird.

Es ist an der Z eit, daß sich alle klassenbew ußten, alle fortgeschrittenenArbeiter einig werden. Es ist Zeit für sie, sich aufzuraffen und zu be-greifen, daß jede Minute Säumnis das Land und die Revolution mit dem

Untergang bedroht.Halbe M aßnahm en sind keine Hilfe. Klagen führen zu nichts. Versuche,Getreide oder Brennstoffe „en detail", „für sich", d. h. für den „eigenen"Betrieb, für das „eigene" Unternehmen zu beschaffen, verschlimmern nurdie Desorganisation, erleichtern den Spekulanten nur ihr eigennütziges,schmutziges und dunkles H andw erk.

Und darum erlaube ich mir, an Euch, Genossen Petrograder Arbeiter,einen Brief zu richten. Pet rograd ist nicht Rußland . Die Petrograder Arbei-ter sind ein kleiner Teil der Arbeiter Rußlands. Sie sind jedoch einer der

besten, führenden, klassenbewußtesten, revolutionärsten, standfestesten,für hohle Phrasen , charakterlose Verzweiflung und Einschüchterung durchdie Bourgeoisie am wenigsten anfälligen Trupps der Arbeiterklasse undaller Werktätigen Rußlands. Und in kritischen Augenblicken im Lebender Völker ist es mehr als einmal vorgekommen, daß selbst zahlenmäßigschwache führende Trupps der führenden Klassen alle mit sich rissen, inden Massen das Feuer des revolutionären Enthusiasmus entzündeten undgrößte historische Heldentaten vollbrachten.

Wir hatten vierzigtausend Arbeiter in den Putilow-Werken, sagte mir

der Delegierte der Petrograder Arbeiter, aber die meisten von ihnen waren„zeitweilige" Arbeiter, keine Proletarier, unzuverlässige, schlappe Men-schen. Jetz t sind es nur noch fünfzehntausend, aber das sind Prole tarier,im Kampf erprobt und gestählt.

Eben diese Avantgarde der Revolution — in Petrograd wie im ganzenLand — muß den Kampfruf ertönen lassen, muß sidb ah Tdasse erheben,muß begreifen, daß in ihren Händen die Rettung des Landes liegt, daßvon ihr nicht weniger Heroismus gefordert w ird als im Januar und Ok to-

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390 "W. 1. lenin

ber 1905, als im Februar und im Oktober 1917, daß ein g roßer „Kreuz-

zug" gegen die Getreidespekulanten, die Kulaken, die Blutsauger des Dor-fes, die Desorganisatoren und die Schmiergeldnehmer organisiert werdenmuß, ein großer „Kreuzzug" gegen alle, die die strenge staatliche Ordnungbei der Beschaffung, Zufuhr und Verteilung des Brots für Menschen unddes Brots für Maschinen stören.

Nur wenn die fortgeschrittenen Arbeiter sieb in Massen erheben, sinddas Land und die Revolution zu retten. Man braucht Zehntausende vonVorkämpfern, von gestählten Proletariern, die klassenbewußt genug sind,um den Millionen von Armen in allen Ecken und Enden des Landes die

Sache klarzumachen und sich an die Spitze dieser Millionen zu stellen; diestandhaft genug sind, um schonungslos jeden von sich zu stoßen und er-schießen zu lassen, der sich — wie das mitunter vorkommt — durch dieVerlockungen der Spekulation „verführen" ließe und aus einem Kämpferfür die Sache des Volkes zu einem Plünderer würde,- die fest genug undder Revolution ergeben genug sind, um alle Bürden des 7eldzugs in allenWinkeln des Landes organisiert zu ertragen, eines Feldzugs, der der Her-stellung der Ordnung, der Festigung der örtlichen Organe der Sowjet-macht, der Kontrolle über jedes Pud Getreide, jedes Pud Brennstoff drau-

ßen im Lande gilt.Das zu tun ist etwas schwieriger, als ein paar Tage lang Heroismus an

den Tag zu legen, ohne von zu Hause weg zu müssen, ohne ins Feld zuziehen, als sich zu beschränken auf eine Aufwallung, einen Aufstand gegenden idiotischen Unmenschen Romanow oder den vertrottelten PrahlhansKerenski. Der Heroismus einer langwierigen und beharrlichen organisato-rischen Arbeit im gesamtstaatlichen Maßstab ist unermeßlich viel schwie-riger, dafür aber auch unermeßlich viel größer als der Heroismus vonAufständen. Die Stärke der Arbeiterparteien und der Arbeiterklasse be-

stand jedoch stets darin, der G efahr kühn, gerade und offen ins Gesicht zuschauen, sie furchtlos anzuerkennen, nüchtern abzuwägen, welche Kräftein „ihrem" und welche im „fremden" Lager, im Lager der Ausbeuter,stehen. Die Revolution schreitet vorwärts, entwickelt sich und wächst. Eswachsen auch die Aufgaben, vor denen wir stehen. Der Kampf wächst indie Breite und in die Tiefe. Die richtige Verteilung des Getreides und derBrennstoffe, ihre verstärkte Gewinnung, strengste Rechnungsführung undKontrolle darüber durdh die Arbeiter, und zwar im gesamtstaatlichen

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Über die Hungersnot 391

Maßstab —.das ist die eigentliche und wichtigste Vorstufe zum Sozialis-

mus. Das ist schon nicht mehr eine „allgemein revolutionäre", sonderneben eine kommunistische Aufgabe, es ist eine Aufgabe, mit der die Werk-tätigen und Armen dem Kapitalismus das entscheidende Gefecht liefernmüssen.

Es lohnt sich, für dies Gefecht alle Kräfte herzugeben: groß sind seineSchwierigkeiten, aber groß ist auch das Werk, für das wir kämpfen — dieAbschaffung der Unterdrückung und Ausbeutung.

Wenn das Volk hungert, wenn die Arbeitslosigkeit immer drohenderwütet, ist jeder, der ein überschüssiges Pud Getreide versteckt, jeder, der

den Staat eines Puds Brennstoff beraubt, der größ te Verbrecher.In einer solchen Zeit — und für die wahrhaft kommunistische Gesell-schaft trifft das immer zu — ist jedes Pud Getreide und Brennstoff einwahres Heiligtum, viel höher stehend als diejenigen Heiligtümer, mitdenen die Pfaffen den Dumm en den Kopf verdrehen, wenn sie das Him-melreich als Lohn für die irdische Sklaverei verheißen. Um aber von die-sem wirklichen Heiligtum jeden Rest pfäffischer „Heiligkeit" abzustreifen,muß man sich seiner praktisch bemächtigen, muß man in der 7at seinerichtige Verteilung durchsetzen, muß man ausnahmslos, restlos alle Ge-

treideüberschüsse einsammeln und der Staatsreserve zuführen, muß mandas ganze £and säubern von versteckten oder nicht eingesammelten Ge-treideüberschüssen, muß man mit harter Arbeiterfaust die äußerste An-spannung der Kräfte durchsetzen zwecks gesteigerter Gewinnung undsparsamster Verwendung der Brennstoffe, zwecks größter Ordnung beiihrem A ntransport und Verbrauch.

Notwendig ist ein Massen„kreuzzug" der fortgeschrittenen Arbeiternach jeder Stätte, wo Getreide und Brennstoffe gewonnen werden, nachjeder Stelle, wo sie antransportiert und verteilt werden , damit die Arbeits-

energie gesteigert, damit diese Energie verzehnfacht, damit den örtlichenOrganen der Sowjetmacht bei der Rechnungsführung und Kontrolle ge-holfen, damit Spekulation, Bestechlichkeit und Schlamperei mit Waffen-gewalt ausgerottet werden. Diese Aufgabe ist nicht neu. Neue Aufgabenstellt die Geschichte im Grunde genommen nicht — sie vergrößert nur dasAusmaß und die Reichweite der alten Aufgaben in dem M aße , wie sich dieReichweite der Revolution vergrößert, ihre Schwierigkeiten zunehmen,ihre weltgeschichtliche Aufgabe an Größe gewinnt.

26 Lenin, W erke, Bd. 27

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392 W. 1. Lenin

Eine der größten, unauslöschlichen Taten des sowjetischen Oktober-

umsturzes besteht darin, daß der fortgeschrittene Arbeiter als Leiter derArmen, als Jübrer der dörflichen werktätigen Masse, als Erbauer desStaates der Arbeit „ins Volk gegangen" ist. Petrograd und auch andereproletarische Zentren haben an das Dorf Tausende und aber Tausendeder besten Arbe iter abgegeben. Abteilungen von Kämpfern gegen Kaledinund Dutow , Abteilungen für Lebensmittelbeschaffung sind nichts Ne ues .Die Aufgabe besteht nur darin, daß die nah herangerückte Katastrophe,die Schwere der Lage zu einer zehnmal größeren Leistung als früher ver-pflichtet.

De r Arbeiter ist dadurch, daß er zum fortschrittlichen Führer der armenBevölkerung geworden ist, kein Heiliger geworden. Er führte das Volkvorwärts, wurde manchmal aber auch selbst von Krankheiten des klein-bürgerlichen Verfalls infiziert. Je weniger Trupps aus den bestorganisier-ten, klassenbewußtesten, diszipliniertesten und standhaftesten Arbeiternvorhanden w aren, desto häufiger zersetzten sich diese Tru pps , desto häu-figer kam es vor, daß die elementare Flut des Kleinbesitzertums der Ver-gangenheit über das proletarisch-kommunistische Klassenbewußtsein derZukunft den Sieg davontrug.

Nach Beginn der kommunistischen Revolution kann die Arbeiterklassenicht mit einem Schlag die Schwächen und Gebrechen abstreifen, die sieals Erbe überkomm en h at von der Gesellschaft der Gutsbesitzer u nd Kapi-talisten, von der Gesellschaft der Ausbeuter und Blutsauger, von der Ge-sellschaft des schmutzigen Eigennutzes und der persönlichen Bereicherungweniger angesichts des Elends vieler. Aber die Arbeiterklasse kann diealte Welt, ihre Gebrechen und ihre Schwächen besiegen — und wird sieschließlich bestimmt und unw eigerlich besiegen —, wenn gegen den Feindneue und immer neue, stets zahlreichere, durch die Erfahrung stets auf-

geklärtere, durch die Schwierigkeiten des Kampfes stets gestähltere Arbei-tertrupps eingesetzt werden.

So und nicht anders stehen heute die Dinge in Rußland. Vereinzelt undzersplittert kann man Hungersnot und Arbeitslosigkeit nicht besiegen.Notwendig ist einM assen „kreu zzug" fortgeschrittener Arbeiter nach allenEcken und Enden des Riesenlandes. Notwend ig sind zehnmal soviel eiserne7rupps des klassenbewußten und dem Kommunismus grenzenlos er-gebenen Proletariats. Dann werden wir Hungersnot und Arbeitslosig-

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Tiber die Hungersnot 393

keit besiegen. Dann werden wir die Revolution zu einer wirklichen Vor-

stufe des Sozialismus erheben. Dann werden wir auch in der Lage sein,einen siegreichen Verteidigungskrieg zu führen gegen die imperialistischenRäuber .

W. Lenin

22 . V. 1918

„Prawda" SVr. lOi, Nadh dem 3'ext der „Vrawda".24. Mai I9i8.

36*

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394

R E D E A U F D E M K O N G R E S S

D E R A R B E I T S K O M M I S S A R E 1 "

22 . M A I 1918

Genossen! Gestatten Sie mir vor allem, im Namen des Rats der Volks-kommissare den Kongreß der Arbeitskommissare zu begrüßen. (Stür-m i s c h e r B e i f a l l . )

Auf der gestrigen Sitzung des Rats der Volkskommissare hat GenosseSchljapnikow berichtet, daß Ihr Kongreß sich der Resolution de r G ewerk-schaften über die Arbeitsdisziplin und die Produktivitätsnormen ange-schlossen hat. Genossen, ich glaube, daß Sie mit diesem Beschluß einensehr großen Schritt getan haben, der nicht nur die Arbeitsproduktivitätund die Produktionsbedingungen betrifft, sondern der vom Standpunktder gegenwärtigen Lage überhaupt ein außerordentlich wichtiger prinzi-pieller Schritt ist. Sie stehen in ständiger beruflicher und nicht nur zu-fälliger Verbindung mit den ganzen breiten Massen der Arbeiter, und Sie

wissen, daß unsere Revolution gegenwärtig einen der wichtigsten undkritischsten M omente ihrer Entwicklung durchmacht.

Sie wissen sehr wohl, daß unsere Feinde, die Imperialisten des W estens,uns auflauern und daß vielleicht der Augenblick kommen wird, wo sie ihreHeerhaufen auf uns loslassen werden. Jetzt gesellt sich zu diesen äußerenFeinden ein gefährlicher Feind — ein innere r: Zersetzung, Chaos und Des-organisation, die von der Bourgeoisie überhaupt und vom Kleinbürgertumim besonderen sowie von den verschiedenen Helfershelfern und Mitläufernder Bourgeoisie noch verschlimmert werden. Sie wissen, Genossen, daß

uns nach dem überaus qualvollen Krieg, in den uns das zaristische Regimeund die Paktierer mit Kerenski an der Spitze hineingeführt hatten, Zer-setzung und äußerste Zerrüttung als unmittelbares Erbe zufielen. Jetztnähern wir uns dem kritischsten Augenblick, wo Hungersnot und Arbeits-losigkeit an die Tür einer immer größeren Zahl von Arbeitern pochen, woHunderte und Tausende von Menschen Hungerqualen erdulden, wo dieLage dadurch verschärft wird, daß kein Brot da ist, obzwar es da seinkönnte, da wir doch wissen, daß die richtige Brotverteilung von richtiger

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"Rede auf dem K ongreß der Arbeitskommissare 395

Zufuhr abhängt. Der Brennstoffmangel, der einsetzte, nachdem wir von

dem brennstoffreichen Gebiet abgeschnitten wurden, die katastrophaleLage der Eisenbahnen, denen möglicherweise Verkehrsstillegung droht —

das sind die Umstände, die der Revolution Schwierigkeiten bereiten, dassind die Umstände, die die Herzen der Kornilowianer aller Sorten undaller Färbungen mit Jubel erfüllen. Sie beratschlagen jetzt täglich, viel-leicht sogar stündlich darüb er, wie die Schwierigkeiten der Sowjetrepublikund der proletarischen Macht auszunutzen wären, um von neuem einenKornilow auf den Thron zu erheben. Ihr Streit geht darum, von welcherNationalität dieser Kornilow sein soll, jedenfalls aber soll er so beschaffen

sein, daß er für die Bourgeoisie von Vorteil ist — ob er nun eine Krone aufdem Kopf trägt oder ein republikanischer Kornilow ist. Heute wissen dieArbeiter schon, worum es sich handelt, und nach allem, was die russischeRevolution seit Kerenski erlebt hat, wundert sie das nicht im geringsten.Die Stärke der Arbeiterorganisation, der Arbeiterrevolution besteht aberdarin, sich genau Rechenschaft abzulegen über den Stand der Dinge undnicht die Augen vor der Wahrheit zu verschließen.

Wir sagten, daß ein Krieg von solchen Ausmaßen, der so unerhörteDrangsale bringt, die europäische Kultur mit dem vollständigen Unter-

gang bedroht. Die einzige Rettung kann nur darin liegen, daß die Machtin die Hände der Arbeiter übergeht, damit diese eine eiserne Ordnungorganisieren. Durch den Verlauf der russischen Revolution und infolge derbesonderen historischen Situation erwies sich unser russisches Proletariatnach dem Jahre 1905 für eine gewisse Zeit den anderen internationalenArmeen des Proletariats weit voraus. Wir durchleben jetzt jenen Zeit-abschnitt, wo in allen westeuropäischen Ländern die Revolution heran-reift und wo den Arbeiterarmeen Deutschlands die völlige Ausweglosig-keit ihrer Lage klar wird. Wir wissen, daß dort, im Westen, den Werk-

tätigen nicht das verfaulte Regime eines Romanow und müßiger Prahlhänsegegenübersteht, sondern eine bis auf den letzten M ann organisierte Bour-geoisie, die sich auf alle Errungenschaften der modernen Kultur undTechnik stützt. Eben darum war es für uns so leicht, die Revolution zubeginnen, aber schwerer, sie weiterzuführen, und eben darum ist es dort,im Westen, schwerer, die Revolution zu beginnen, sie wird jedoch leichterfortzuführen sein. Unsere Schwierigkeit ist dadurch bedingt, daß wir allesmit den Kräften des russischen Proletariats vollbringen und die Stellung

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396 W. 7. Lenin

halten müssen, bis unser Verbündeter, das internationale Proletariat aller

Länder, genügend erstarkt ist. Mit jedem Tage wird es fühlbarer, daß eskeinen anderen Ausweg gibt. Unsere Lage wird noch dadurch kom pliziert,daß wir, ohne Verstärkungen zu besitzen, der Z errüttung des Eisenbahn-,Transport- und Ernährungswesens von Angesicht zu Angesicht gegenüber-stehen. Hier muß die Frage klar für alle gestellt werden.

Ich hoffe, daß der Kongreß der Arbeitskommissare, der mehr als andereunmittelbare Berührung m it den Arbeitern ha t, daß dieser Kongreß nichtnur eine Etappe sein wird in der unmittelbaren Verbesserung der Arbeits-ordnung, die wir dem Sozialismus zugrunde legen müssen, sondern daß

dieser Kongreß auch als eine Etappe dienen wird zur Aufhellung des Be-wußtseins der A rbeiter hinsichtlich der S ituation, in der wir uns befinden.Die Arbeiterklasse steht vor einer schweren, aber dankbaren Aufgabe,von der die Entscheidung über das Schicksal des Sozialismus in Rußlandund vielleicht auch in anderen Ländern abhängt. Gerade aus diesemGrunde ist die Resolution über die Arbeitsdisziplin so wichtig.

Jetzt, wo die Macht in den Händen der Arbeiter gefestigt ist, jetzthängt alles von der proletarischen Disziplin und der proletarischen Orga-nisiertheit ab. Es handelt sich um die Disziplin und die Diktatur des Pro-

letariats, um eine eiserne Macht. Die Macht, die die heißeste Sympathie,die entschlossenste Unterstützung der Armut findet, diese Macht mußeisern sein, weil unerhörtes Unheil im Anzug ist. Die Masse der Arbeiterlebt im Banne des Alten und hofft, daß wir schon irgendwie aus dieserLage herauskommen werden.

Mit jedem Tage aber schwinden diese Illusionen dahin, und es wirdimmer offensichtlicher, daß der Weltkrieg ganze Länder mit Hungersnotund Verfall bedroht, wenn nicht die Arbeiterklasse diese Zerrü ttung durchihre Organisiertheit besiegt. Neben dem klassenbewußten Element derArbeiterklasse, dessen ganze Tätigkeit darauf gerichtet ist, auf einer neuenDisziplin der Kameradschaft aufzubauen, sehen wir die vielmillionen-köpfige Masse des kleinbesitzerlichen und kleinbürgerlichen Elements, dasalles vom Standpunkt seiner eigenen engen Interessen betrachtet. Es istunmöglich, die Hungersnot und die Katastrophe, die gegen uns heran-ziehen, anders zu bekämpfen als durch die Herstellung einer eisernenOrdnung der klassenbewußten A rbeiter — sonst werden w ir nichts zuwegebringen können. Infolge der gigantischen Ausdehnung R ußlands leben wir

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Hede auf dem "Kongreß der Arbeitskommissare 397

unter solchen Bedingungen, daß an einem Ende des Landes viel Getreide

vorhanden ist, am anderen aber gar keins. Man glaube nicht, daß es nichtzu einem Verteidigungskrieg kommen könnte, den man uns möglicher-weise aufzwingen wird. Es ist gar nicht daran zu denken, daß die Städteund die riesigen Industriezentren ohne geregelte Zufuhr ernährt werdenkönnen, über jedes Pud Getreide muß Buch geführt werden, damit keineinziges Pud Getreide verlorengeht. Wir wissen aber, daß diese Registrie-rung in Wirklichkeit nicht durchgeführt wird, sondern nur auf dem Papierbleibt. In Wirklichkeit wird die Dorfarmut von kleinen Spekulanten nurkorrumpiert, da sie ihr einreden, der M angel könne durch privaten Handel

behoben w erden. U nter solchen Bedingungen kann m an nicht aus der Kriseherauskommen. In Rußland kann das Brot für die Menschen und das Brot,d. h. der Brennstoff, für die Industrie ausreichen, wenn alles, was wirhaben, peinlich genau unter alle Bürger verteilt wird, dam it niemand auchnur ein einziges Pfund Brot zuviel nehmen kann, damit kein einzigesPfund Brennstoff unausgenutzt bleibt. Nur so kann das Land vor derHungersnot gerettet werden. Diese Lehre der kommunistischen Vertei-lung, daß über alles Buch geführt w erde, dam it Brot für die Menschen undBrennstoff für die Industrie da seien, diese Lehre stammt nicht aus Bü-

chern — wir haben sie in bitteren Erfahrungen gewonnen.Vielleicht wird die breite Arbeitermasse nicht mit einemmal begreifen,

daß wir vor einer Katastrophe stehen. Wir brauchen einen Kreuzzug derArbeiter gegen die Desorganisation und die Hinterziehung von Getreide.Ein K reuzzug ist nötig, damit die Arbeitsdisziplin, über die Sie einen Be-schluß gefaßt haben, über die innerhalb der Fabriken und Werke ge-sprochen wurde, sich über das ganze Land ausdehne, damit die breitestenMassen begreifen, daß es keinen anderen Ausweg gibt. In der Geschichteunserer Revolution bestand die Stärke der klassenbewußten A rbeiter stets

darin, der bittersten, gefahrvollsten Wirklichkeit ganz offen ins Auge zusehen, sich keine Illusionen zu machen, sondern die Kräfte genau abzu-schätzen. Wir können nur auf die klassenbewußten Arbeiter rechnen; dieübrige Masse, die Bourgeoisie und die Kleineigentümer, sind gegen uns,sie glauben nicht an die neue Ordnung, sie greifen jede Gelegenheit auf,um die N ot des Volkes zu verschärfen. Als Beispiel kann dienen, was wirin der Ukraine und in Finnland sehen : unerhörte Bestialitäten und Strömevon Blut, mit denen die Bourgeoisie und ihre Anhänger, von den K adetten

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398 'W. 7. Lenin

bis zu den Sozialrevolutionären, die Städte überschwemmen, die sie mit

Unterstützung ihrer Verbündeten besiegen. Alles das zeigt, was dem Pro-letariat in derZukunft bevorsteht, wenn es seine historische Aufgabe nichterfüllt. Wir wissen, wie dünn die Schichten der fortgeschrittenen und klas-senbewußten Arbeiter in Rußland sind. Wir wissen auch, wie groß dieNot des Volkes ist; wir wissen, wir werden dahin kommen, daß die brei-ten Massen begreifen, daß mit halben Maßnahmen aus der Lage nichtherauszukommen ist und daß es unmöglich ohne proletarische Umw älzungabgehen wird. Wir leben in einer Zeit, wo die Länder ruiniert und Mil-lionen Menschen zum Untergang verurteilt und zur Kriegsfron gezwungen

werden. Das eben ist die Umwälzung, die uns die Geschichte aufgezwun-gen hat, nicht durch den bösen Willen einzelner Personen, sondern weildas ganze kapitalistische System in seinen Grundfesten kracht und bricht.

Genossen Arbeitskommissare, benutzen Sie jede Ihrer Zusammenkünftein jeder Fabrik und in jedem Werk, jede Ihrer Zusammenkünfte mit jederbeliebigen Arbeiterdelegation, benutzen Sie jede Möglichkeit, diese Lagezu erklären, damit dieArbeiter wissen, daß uns entweder der Untergangbevorsteht oder Selbstdisziplin, Organisation und die Möglichkeit, uns zuverteidigen; daß uns die Wiederkehr von Kornilows — russischen, japa-

nischen oder deutschen — bevorsteht, die uns ein Achtelpfund Brot in derWoche bescheren werden, wenn nicht die klassenbewußten Arbeiter ander Spitze aller Armen einen Kreuzzug organisieren gegen das Chaos unddie Desorganisation, die das Kleinbürgertum überall verstärkt und die wirbesiegen müssen. Es handelt sich darum, daß der klassenbewußte Arbeitersich nicht nur als Herr in seinem Betrieb, sondern auch als Vertreter desLandes fühle, daß er sich verantwortlich fühle. Der klassenbewußte Arbei-ter muß wissen, daß er Vertreter seiner Klasse ist. Er muß siegen, wenn ersich an die Spitze der Bewegung gegen die Bourgeoisie und die Speku-lanten stellt. Der klassenbewußte Arbeiter wird begreifen, worin dieHauptaufgabe eines Sozialisten besteht, und dann werden wir siegen.Dann werden sich Kräfte finden, und wir werden kämpfen können . (Leb-h a f t e r , l a n g a n h a l t e n d e r B e if al l. )

.Isweslija WZJX" Nr. iO2, Nada dem 7ext der „Prawda",23 .Mai i9i8. verglichen mit dem Jext der

„Prawda" 5Vr. loi, 24 . Tdai I9i8. Jswesiija WZ3X".

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399

Ü B E R E I N E S O Z I A L I S T I S C H E A K A D E M I E

F Ü R G E S E L L S C H A F T S W I S S E N S C H A F T E N

ENTWURF DES BESCHLUSSESD E S R A T S D E R V O L K S K O M M I S S A R E 1 "

Der Rat der Volkskommissare billigt und begrüßt die dem Plan derGründung einer Sozialistischen Akademie zugrunde liegende Idee in vol-lem Umfang und beauftragt das Kommissariat für Volksbildung, diesenPlan auf folgender Grundlage umzuarbeiten:

1. — den Eckstein muß eine Verlagsgesellsdiaft marxistischer Richtungbilden;

2. — es sind ausländische marxistische Kräfte in besonders großer Zahlheranzuziehen;

3. —eine der vordringlichsten Aufgaben ist die, eine Reihe von For-schungsarbeiten auf sozialem Gebiet in Angriff zu nehmen;4. — es müssen sofort Maßnahm en ergriffen werden, um russische Lehr-

kräfte ausfindig zu machen, zusammenzuberuf en und einzusetzen.

geschrieben am 25. TAai i9l8.

Zuerst veröffentlicht 1933 "Naäi dem Manuskript.im Zenin-Sammelband XXL

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400 "W. 3. Lenin

II

D I R E K T I V E N F Ü R D I E K O M M I S S I O N

Die Kommission wird beauftragt: >1. die Satzung der Sozialistischen Akademie für Gesellschaftswissen-

schaften eingehend zu prüfen und sie dem Rat der Volkskommissareund dann dem Zentralexekutivkomitee zu unterbreiten;

2. sofort einen Meinungsaustausch mit rachtrussischen und ausländi-schen Marxisten über diese Frage sowie über die Frage der Zusam-mensetzung einzuleiten;

3. eine Liste der Kandidaten zusammenzustellen und zu besprechen, die

geeignet und bereit sind, als konstituierende Mitglieder und zugleichals Dozenten zu fungieren, und diese Liste dem Rat der Volks-kommissare und dem Zentralexekutivkomitee zu unterbreiten.

Qesdhrieben am 7. Juni i9i8.

Zuerst veröftentlidbt i933 Nadh dem Manuskript.im Cenin-Sammelband XXI.

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401

THESEN ZUR GEGENWÄRTIGEN LAGE 11 9

1. Das Militärkommissariat ist umzuwandeln in ein Militär- und Er-nährungskommissariat, d. h. neun Zehntel der Arbeit des Militärkommis-sariats sind darauf zu konzentrieren, für die 3 Monate Juni—August dieArmee auf den Krieg um das Brot und auf die Führung eines solchenKrieges umzustellen.

2. Für dieselbe Zeit ist der Kriegszustand über das Land zu ver-hängen.

3. Die Armee muß mobilisiert werden, wobei ihre gesunden Verbände

herauszuheben sind, und wenigstens in einigen Gebieten sind die 19jähri-gen einzuberufen, damit systematische militärische Aktionen unternom-men werden können, um G etreide und Brennstoffe zu erobern, zu gewin-nen, zusammenzufassen und abzutransportieren.

4. Für Disziplinlosigkeit wird die Todesstrafe durch Erschießen ein-geführt.

5. Der Erfolg der zu entsendenden Abteilungen ist zu messen an ihremErfolg bei der Getreideaufbringung und an den realen Ergebnissen derdurchgeführten Sammlung von Getreideüberschüssen.

6. Der militärische Feldzug verfolgt nachstehende Aufgaben:a) die Anlegung von Getreidevorräten zwecks Ernährung der Bevöl-kerung;

b) ebenso von Kriegsproviant für drei Monate;c) Schutz der Kohlenvorräte, ihre Zusammenfassung, verstärkte Pro-

duktion.7. In die Abteilungen der (gegen die Kulaken u. a.) operierenden Armee

sind zwischen einem D rittel und der Hälfte (in jeder Abteilung) Arbeiter

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402 W. 7. Centn

aus den hungernden Gouvernements und arme Bauern von ebendorther

aufzunehmen.8. Jeder Abteilung werden zwei verbindliche Instruktionen erteilt:a) eine ideologisch-politische, die von der Bedeutung des Sieges über die

Hungersnot und über die Kulaken, von der Diktatur des Proletariats alsdem Staat der Werktätigen hande lt;

b) eine militärisch-organisatorische, die von der Ordnung innerhalb derAbteilungen, von der Disziplin, von der Kontrolle und den schriftlichenKontrolldokumenten nach jeder Aktion usw. handelt.

9. Es wird eine solidarische Haftung der ganzen Abteilung eingeführt,

verbunden zum Beispiel mit der Drohung, in jedem einzelnen Fall vonRaub jeden Zehnten erschießen zu lassen.

10. Alle Transportmittel reicher Personen in den Städten werden fürden Abtransport von Getreide mobilisiert; die begüterten K lassen werdenals Schreiber und Handlungsgehilfen mobilisiert.

11 . Für den Fall, daß Anzeichen von Zersetzung der Abteilungen be-drohlich häufig werden, sind die „erkrankten" Abteilungen nach einemMonat abzulösen, d. h. an den Ort zurückzubringen, von wo sie aus-gesandt wurden, damit sie hier Rechenschaft ablegen und „Heilung"

finden.12. Vom Rat der Volkskommissare sowie vom Zentralexekutivkomitee

ist zu beschließen:a) daß das Land sich im Zustand einer drohenden Qefahr wegen

der Ernährungslage befindet;b) der Kriegszustand;c) die Mobilmachung der Armee zugleich mit der obenerwähnten Um-

gestaltung für den TeUzug ums Qetreide;d) in jedem Kreis und jedem Amtsbezirk mit Getreideüberschüssen sind

sofort Listen der reichen Bodenbesitzer (Kulaken), Getreidehändlerusw. auf zustellen, denen die persönliche Verantwortung für die Einziehungaller Getreideüberschüsse auferlegt wird;

e) jeder militärischen Abteilung sind — und sei es einer auf etwa zehnMann — Leute mit Parteiempfehlung der KPR und der linken Sozialrevo-lutionäre oder der Gewerkschaften zuzuteilen.

13 . Bei der Durchführung des Getreidemonopols müssen unbedingtohne Rücksicht auf finanzielle Opfer die entschlossensten Hilfsmaßnah-

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Thesen zur gegenwärtigen Lage 403

men für die Dorfarmut getroffen werden, wobei an diese ein Teil der auf-

gebrachten Getreideüberschüsse der Kulaken kostenlos zu verteilen ist,bei gleichzeitiger schonungsloser Unterdrückung der Kulaken, die Ge-treideüberschüsse zurückhalten.

Qesdhrieben am 26. Mai I9i8.

Zuerst verö ffentlicht I93i Tladb dem Manuskript.im Lenin-Sammelband XVIII.

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404

R E D E A U F D E M I . K O N G R E S S

D E R V O L K S W I R T S C H A F T S R Ä T E 1 2 0

26. MAI 1918

Genossen, erlauben Sie mir vor allem, den Kongreß der Volkswirt-schaftsräte im Namen des Rats der Volkskommissare zu begrüßen. (Bei-fal l . )

Genossen, dem Obersten Volkswirtschaftsrat obliegt jetzt eine schwie-rige und eine der dankbarsten Aufgaben. Es steht außer Zweifel: je wei-ter die Errungenschaften der Oktoberrevolution fortschreiten, je tieferdiese von ihr begonnene Umwälzung geht, je dauerhafter das Fundamentfür die Errungenschaften der sozialistischen Revolution gelegt und die

sozialistische Gesellschaftsordnung gefestigt wird, desto größer, destohöher wird die Bedeutung der Volkswirtschaftsräte, die unter allen staat-lichen Institutionen allein dazu berufen sind, einen festen Platz zu be-haup ten, der um so fester sein wird, je mehr wir der Errichtung der sozia-listischen Ordnung näherkommen, je geringer die Notwendigkeit einesrein administrativen Apparats sein wird, eines Apparats, der sich eigent-lich nur mit Verwaltung befaßt. Nachdem der Widerstand der Ausbeuterendgültig gebrochen sein wird, nachdem die Werktätigen gelernt habenwerden, die sozialistische Produktion zu organisieren, wird es diesem Ver-

waltungsapparat im eigentlichen, engeren Sinn des W ortes, einem Apparatdes alten Staates, beschieden sein abzusterben, während es einem Apparatvon der Art des Obersten Volkswirtschaftsrats beschieden ist, zu wachsen,sich zu entwickeln, zu erstarken und die gesamte wichtigste Tätigkeit derorganisierten Gesellschaft zu umfassen.

Betrachte ich daher, Genossen, die Erfahrungen unseres Obersten Volks-wirtschaftsrats und der örtlichen Räte, mit deren Tätigkeit er eng undunzertrennlich verbunden ist, so glaube ich, daß wir, obwohl vieles noch

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Rede auf dem I. Kongreß der Volksmrtsdhaftsräte 405

unfertig, noch unvollendet, noch unorganisiert ist, nicht den geringsten

Grund zu irgendwelchen pessimistischen Schlußfolgerungen haben. Denndie Aufgabe, die sich der Oberste Volkwirtschaftsrat stellt, und die Auf-gabe, die sich alle regionalen und alle örtlichen Räte stellen, ist eine sogigantische, so allumfassende Aufgabe, daß ganz und gar nichts an dem,was wir alle beobachten, zu Befürchtungen Anlaß gibt. Sehr oft — gewißvon unserem Standpunkt aus vielleicht auch zu oft — wurde das Sprich-wort „Siebenmal abmessen, einmal abschneiden" nicht angewandt. Soeinfach, wie die Sache in diesem Sprichwort aussieht, steht es mit derOrganisierung der Wirtschaft nach sozialistischen Prinzipien leider nicht.

Mit dem Übergang der ganzen Macht — diesmal nicht nur der poli-tischen und sogar hauptsächlich nicht der politischen, sondern der öko-nomischen Macht, d. h. derjenigen, die an die tiefsten Grundlagen des tag-täglichen Lebens der Menschen rührt — an eine neue Klasse, noch dazueine Klasse, die — zum erstenmal in der Geschichte der Menschheit — diegewaltige Mehrheit der Bevölkerung, die ganze Masse der Werktätigenund Ausgebeuteten führt, komplizieren sich unsere Aufgaben. — Es ver-steht sich von selbst, daß angesichts der außerordentlichen Wichtigkeitund der enormen Schwierigkeit der organisatorischen Aufgaben, wo wirdie tiefsten Grundlagen des menschlichen Lebens Hunderter von Millio-nen auf eine ganz neue Art zu organisieren haben, es ganz begreiflich ist,daß hier keine Möglichkeit besteht, die Sache so einfach zu handhaben,

• wie man es konnte nach dem Sprichwort „Siebenmal abmessen, einmalabschneiden". Es ist uns in der Tat unmöglich, vorher oftmals abzumessenund dann erst abzuschneiden und zu fixieren, was endgültig abgemessenund angepaßt ist. Wir müssen im Laufe der Arbeit selbst diese oder jeneEinrichtungen erproben, sie in der Praxis beobachten, sie an der gemein-samen kollektiven Erfahrung der Werktätigen und, was die Hauptsacheist, an der Erfahrung der Arbeitsergebnisse überprüfen; wir müssen so-fort, im Laufe der Arbeit selbst, und obendrein angesichts eines verzwei-felten Kampfes und des tollwütigen Widerstands der Ausbeuter, die umso tollwütiger werden, je näher w ir daran sind, endgültig die letzten faulenZähne der kapitalistischen Ausbeutung auszubrechen — unser ökonomi-sches Gebäude errichten. Man begreift, daß es unter diesen Umständennicht den geringsten Grund für Pessimismus gibt, obgleich es natürlich eingewichtiger Grund für gehässige Ausfälle der Bourgeoisie und der in ihren

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406 W. 7. £enin

besten Gefühlen verletzten Herren Ausbeuter ist, wenn wir manchmal

gezwungen sind, sogar innerhalb kurzer Zeit, die Typen, Statuten, Ver-waltungsorgane der verschiedenen Volkswirtschaftszweige mehrere Maleumzuändern. Gewiß, wer an dieser Arbeit, an der manchmal dreimaligenUmarbeitung von Statuten, Normen, Verwaltungsrichtlinien allzu naheund allzu unmittelbar teilnimmt, nun, sagen wir, die Schiffahrtsverwal-tung, dem ist gewiß mitunter keineswegs froh zum ute, und das Vergnügenan dieser Art A rbeit kann nicht gerade groß sein. W enn m an aber von derunmittelbaren Unannehmlichkeit allzu häufiger Umarbeitung von Dekre-ten ein klein wenig absieht, und wenn man etwas tiefer und weiter sieht

auf das gigantische, welthistorische Werk, das das russische Proletariatvorläufig noch mit seinen eigenen unzulänglichen Kräften zu bewältigenhat, dann wird es sofort begreiflich, daß sogar viel zahlreichere Umarbei-tungen und die praktische Erprobung verschiedener Verwaltungssysteme,verschiedener Normen zur Durchsetzung der Disziplin unvermeidlich sind,daß w ir bei einem so gigantischen Werk niemals Anspruch darauf erhebenkönnten — und kein einziger vernünftiger Sozialist, der über die Perspek-tiven der Zukunft geschrieben hat, dachte auch nur im geringsten daran —,

nach irgendeiner im voraus gegebenen Weisung die Organisationsformen

der neuen Gesellschaft sofort schaffen und mit einem Schlage gestaltenzu können.

Alles, was wir wußten, was uns die besten Kenner der kapitalistischenGesellschaft, die bedeutendsten Köpfe, die deren Entwicklung voraus-sahen, genau zeigten, war, daß sich die Umgestaltung historisch unver-meidlich auf der und der großen Linie vollziehen muß, daß das Privat-eigentum an den Produktionsmitteln von der Geschichte verurteilt ist, daßes untergehen wird, daß man die Ausbeuter unvermeidlich expropriierenwird. Das war mit wissenschaftlicher Genauigkeit festgestellt. Und das

wußten wir, als wir das Banner des Sozialismus in unsere Hände nahmen,als wir uns für Sozialisten erklärten, als wir sozialistische Parteien grün-deten, als wir uns um die Umgestaltung der Gesellschaft bemühten. Daswußten wir, als wir die Macht ergriffen, um die sozialistische Reorgani-sation in Angriff zu nehmen, aber weder die Formen der Umgestaltungnoch das Tempo, in dem sich die Reorganisation konkret entwickeln würde,konnten uns bekannt sein. Nur die kollektive Erfahrung, nur die Erfah-rungen von Millionen können uns in dieser Hinsicht entscheidende Finger-

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•Rede auf dem I. Kongreß der Volkswirtsdiaftsräte 407

zeige geben, eben weil für unser Werk, für das Werk des sozialistischen

Aufbaus, die Erfahrungen der Hunderte und der Hunderttausende ausjenen Oberschichten, die bisher sowohl in der gutsherrlichen als auch inder kapitalistischen Gesellschaft Geschichte machten, nicht ausreichen. W irkönnen nicht so vorgehen, eben weil wir mit den gemeinsamen Erfahrun-gen, mit den Erfahrungen von Millionen Werktätiger rechnen.

Daher wissen wir, daß die organisatorische Arbeit, die die wichtigste,die grundlegende, die Hauptaufgabe der Sowjets ist, daß sie unvermeid-lich eine Menge Experimente, viele Schritte, zahllose Umarbeitungen, eineUnmasse von Schwierigkeiten mit sich bringt, besonders wo es darum

geht, jeden einzelnen Menschen auf den geeigneten P latz zu stellen, dennhier fehlt es an Erfahrungen, hier muß jeder einzelne Schritt von uns selbsterarbeitet werden, und je schwerer die Fehler auf diesem W ege sind, destofester wird die Gewißheit, daß mit jedem neuen Ansteigen der Zahl derGewerkschaftsmitglieder, daß mit jedem neuen Tausend, mit jedem neuenHunderttausend Menschen, die aus dem Lager der bisher nach T raditionund Gewohnheit lebenden W erktätigen und Ausgebeuteten herüberkom-men ins Lager der Erbauer sowjetischer Organisationen, die Zahl derMenschen steigt, die der Aufgabe gewachsen sein und die Sache ins rich-

tige Geleis bringen sollen.Man nehme eine der zweitrangigen Aufgaben, die dem Volkswirt-

schaftsrat, dem Obersten Volkswirtschaftsrat, besonders oft zu schaffenmacht: die Verwendung bürgerlicher Spezialisten. Wir alle, wenigstensdiejenigen, die auf dem Boden der Wissenschaft und des Sozialismusstehen, wissen, daß diese Aufgabe erst dann verwirklicht werden kann,daß sie nur in dem Maße verwirklicht werden kann, wie der internatio-nale Kapitalismus die materiellen, technischen Voraussetzungen einer ingigantischem Ausmaß verrichteten Arbeit entwickelt hat, die auf den Er-

gebnissen der Wissenschaft und darum auf der Heranbildung eines ge-waltigen Stamms wissenschaftlich geschulter Spezialisten beruht. W ir wis-sen, daß sonst der Sozialismus unmöglich ist. Lesen wir in den Werkenjener Sozialisten nach, die im Laufe des letzten halben Jahrhunderts dieEntwicklung des Kapitalismus beobachteten und immer und imm er wiederzu der Schlußfolgerung kamen, daß der Sozialismus unausbleiblich ist, sohaben sie alle ohne Ausnahme darauf verwiesen, daß nur der Sozialismusdie Wissenschaft von ihren bürgerlichen Fesseln, von ihrer Unterjochung

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408 W. 1 Lenin

durch das Kapital, von ih rer sklavischen Bindung an die Interessen schmut-

ziger kapitalistischer Gewinnsucht befreien werde. Nur der Sozialismuswird es ermöglichen, die gesellschaftliche Erzeugung und Verteilung derGüter nach wissenschaftlichen Erwägungen umfassend zu verbreiten undrichtig zu meistern, ausgehend davon, wie das Leben aller Werktätigenaufs äußerste erleichtert, wie ihnen ein Leben in Wohlstand ermöglichtwerden kann. Nur der Sozialismus kann das verwirklichen. Und wir wis-sen, daß er das verwirklichen muß; im Begreifen dieser Wahrheit liegtdie ganze Schwierigkeit des Marxismus und seine ganze Kraft.

Verwirklichen müssen wir das, gestützt auf Elemente, die ihm feindlich

gesinnt sind, denn je m ehr sich das Kapital zusammenballt, desto schlim-mer wird das Joch der Bourgeoisie und die Unterdrückung der Arbeiter.Jetzt, wo die Macht in den Händen des Proletariats und der armen Bauern-schaft liegt, wo diese Macht sich ihre Aufgaben mit Unterstützung dieserMassen stellt, müssen wir diese sozialistischen Umgestaltungen mit Hilfevon bürgerlichen Spezialisten durchführen, von Fachleuten, die in derbürgerlichen Gesellschaft erzogen wurden, die keine anderen Verhältnissegekannt haben, die sich keine anderen gesellschaftlichen Verhältnisse vor-stellen können, und darum sind diese Leute selbst dann, wenn sie ganz

ehrlich und ihrer Sache ergeben sind, selbst in diesen Fällen voll von Tau-senden bürgerlichen Vorurteilen, sind sie durch Tausende für sie unmerk-liche Fäden verbunden mit der sterbenden, sich zersetzenden und dahertollwütigen Widerstand leistenden bürgerlichen Gesellschaft.

Diese Schwierigkeiten der Aufgabe und ihrer Erfüllung können unsnicht verborgen sein. Ich kann mich keines einzigen mir bekannten Werkeseines Sozialisten aus der Zahl derer, die darüber geschrieben haben, odereiner Meinung hervorragender Sozialisten über die künftige sozialistischeGesellschaft entsinnen, wo hingewiesen worden wäre auf die konkrete

praktische Schwierigkeit, vor der die zur Macht gelangte Arbeiterklassestehen wird, wenn sie es sich zur Aufgabe macht, die ganze Summe dervom Kapitalismus aufgespeicherten, überaus reichen, für uns historischunumgänglich notwendigen Schätze an Kultur, W issen und Technik, allesdas aus einem Werkzeug des Kapitalismus zu einem W erkzeug des Sozia-lismus zu machen. Das ist leicht in einer allgemeinen Formel, in abstrakterGegenüberstellung, aber im Kampf gegen den Kapitalismus, der nicht aufeinmal stirbt und um so tollwütiger Widerstand leistet, je mehr er sich

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Rede auf dem I. Kongreß der Volkswirtschaftsräte 409

dem Tode nähert, ist das eine Aufgabe von größter Mühseligkeit. Wenn

auf diesem Gebiet Experimente gemacht werden, wenn wir oftmals Teil-fehler berichtigen müssen, so ist das unvermeidlich, da es ja nicht m it einemSchlag gelingt, auf diesem oder jenem Gebiet der Volkswirtschaft die Spe-zialisten aus Dienern des Kapitalismus zu Dienern der werktätigen Mas-sen, zu ihren Ratgebern zu machen. Wenn uns das nicht auf Anhieb ge-lingt, so kann das nicht im geringsten Pessimismus hervorrufen, weil dieAufgabe, die wir uns stellen, eine Aufgabe von weltgeschichtlicher Schwie-rigkeit und Bedeutung ist. W ir verschließen nicht die Augen davor, daß esuns allein — der sozialistischen Revolution in einem Lande, selbst wenn

dieses viel weniger rückständig w äre als Rußland, selbst wenn wir in leich-teren Verhältnissen lebten als nach vier Jahren eines unerhörten, qual-vollen, schweren und verheerenden Krieges — nicht möglich ist, mit deneigenen Kräften die sozialistische Revolution in einem Lande voll undganz durchzuführen. Wer sich von der in Rußland vor sich gehendensozialistischen Revolution abwendet und dabei auf das unverkennbareMißverhältnis der Kräfte verweist, der gleicht dem verknöcherten „Mannim Futteral", der nicht über seine Nase hinaussieht und vergißt, daß eskeine einzige einigermaßen bedeutende geschichtliche Umwälzung gibt

ohne eine ganze Reihe von Fällen eines Mißverhältnisses der Kräfte. DieKräfte wachsen im Prozeß des Kampfes, mit der Entwicklung der Revolu-tion. Wenn das Land den Weg gewaltiger Umgestaltungen beschattenhat, so ist es das Verdienst dieses Landes und der Partei der in diesemLande siegreichen Arbeiterklasse, daß wir an die Aufgaben, die früherabstrak t, theoretisch gestellt wurden , unm ittelbar praktisch herangegangensind. Diese Erfahrung wird nicht vergessen werden. Diese Erfahrung kannden Arbeitern, die heute in Gewerkschaften und örtlichen Organisationenzusammengeschlossen sind und praktisch darangehen, die gesamte Pro-duktion im ganzen Land in Gang zu bringen, diese Erfahrung kann ihnennicht mehr genommen werden, was auch kommen mag und wie schwierigauch die Wendungen der russischen Revolution und der internationalensozialistischen Revolution sein mögen. Diese Erfahrung ist als Errungen-schaft des Sozialismus in die Geschichte eingegangen, und auf dieser Er-fahrung wird die künftige internationale Revolution ihr sozialistisches Ge-bäude errichten.

Ich erlaube mir, noch auf eine Aufgabe, und vielleicht die schwierigste,

27*

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410 W. 1. Lenin

hinzuweisen, die der Oberste Volkswirtschaftsrat praktisch zu bewältigen

hat. Das ist die Aufgabe der Arbeitsdisziplin. Wenn wir auf diese Auf-gabe hinweisen, so müssen wir eigentlich anerkennen und mit Genugtuunghervorheben, daß gerade die Gewerkschaften, ihre bedeutendsten Organi-sationen — das Zentralkomitee des Metallarbeiterverbands, der Gesamt-russische Gewerkschaftsrat —, die obersten Gewerkschaftsorganisationen,die Millionen Werktätiger vereinigen, daß sie als erste die Bewältigungdieser Aufgabe selbständig in Angriff genommen haben, und diese Auf-gabe ist von weltgeschichtlicher Bedeutung. Um sie zu verstehen, mußman absehen von den einzelnen kleinen Fehlschlägen, von den unglaub-

lichen Schwierigkeiten, die, einzeln genommen, unüberwindlich zu seinscheinen. Man muß von einer höheren Warte aus den geschichtlichenWechsel der ökonomischen Gesellschaftsformationen betrachten. Erst vondiesem Standpunkt aus wird klar, was für eine gigantische Aufgabe wirauf uns genommen haben und welche gigantische Bedeutung es hat, daßdiesmal der fortgeschrittenste Vertreter der Gesellschaft, die werktätigenund ausgebeuteten Massen, aus eigener Initiative eine Aufgabe auf sichnehmen, die früher, im Rußland der Leibeigenschaft bis zum Jahre 1861,ausschließlich von einem Häuflein Gutsherren gelöst wurde, die sie als

ihre Sache betrachteten. Damals war es ihre Angelegenheit, eine gesamt-staatliche Bindung und Disziplin zu schaffen.

Wir wissen, wie die Gutsbesitzer, die Fronherren, diese Disziplin zu-wege brachten. Das bedeutete Unterjochung, Erniedrigung und unsäglichqualvolle Zwangsarbeit für die Mehrheit des Volkes. Man erinnere sichdieses ganzen Übergangs von der Leibeigenschaft zur kapitalistischenWirtschaft. Was Sie beobachtet haben, obwohl die meisten von Ihnennicht beobachten konnten, und das, was Sie von den ä lteren Generationendarüber wissen — dieser Übergang nach 1861 zur neuen, kapitalistischen

Wirtschaft, der Übergang von der alten Knüppeldisziplin der Leibeigen-schaft, von der Disziplin widersinnigster, unverschämtester, brutalsterVerhöhnung des Menschen und nacktester Gewaltanwendung, zur kapita-listischen Disziplin, zur Disziplin des Hungers, der sogenannten freienLohnarbeit, zu einer Disziplin, die in Wirklichkeit eine Disziplin kapita-listischer Sklaverei war — dieser Übergang erschien historisch leicht, weildie Menschheit nur von dem einen Ausbeuter zu einem anderen Ausbeu-ter überging, weil nur die eine Minderheit von Plünderern und Ausbeu-

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Rede auf dem I. "Kongreß der Volkswirtsdiaftsräte 411

tem der Arbeit des Volkes einer anderen Minderheit, ebenfalls von Plün-

derern und ebenfalls von Ausbeutern der Arbeit des Volkes, Platz machte,weil die Gutsherren diesen Platz den Kapitalisten überließen — eine M in-derheit der anderen Minderheit, während die breiten Massen der werk-tätigen und ausgebeuteten Klassen unterdrückt blieben. Und selbst dieseErsetzung der einen Ausbeuterdisziplin durch eine andere kostete Jahre,wenn nicht Jahrzehnte der Anstrengungen, sie kostete Jahre, wenn nichtJahrzehnte einer Übergangszeit, wo die alten Gutsbesitzer, die Fronher-ren, ganz aufrichtig glaubten, alles werde zugrunde gehen, ohne Leib-eigenschaft könne man nicht wirtschaften, wo der neue, der kapitalistische

Unternehmer bei jedem Schritt auf praktische Schwierigkeiten stieß undan seiner Wirtschaft schier verzweifelte, wo ein materielles Zeichen, einerder greifbaren Beweise für die Schwierigkeit dieses Übergangs die Tat-sache war, daß Rußland sich damals ausländische Maschinen verschrieb,um mit ihnen, mit den allerbesten Maschinen, zu arbeiten, und wo sichherausstellte, daß es weder Leute gab, die damit umzugehen verstanden,noch die erforderlichen Leiter da waren. Und an allen Ecken und EndenRußlands war zu beobachten, wie die besten Maschinen unbenutzt herum -lagen, so schwierig war es, von der alten Disziplin der Leibeigenschaft

überzugehen zu der neuen, der bürgerlich-kapitalistischen Disziplin.So also w erden Sie die Sache betrachten, Genossen, wenn Sie sich nicht

von gewissen Leuten, von gewissen Klassen, von der Bourgeoisie, von denHelfershelfern der Bourgeoisie irreführen lassen, deren ganze Aufgabedarin besteht, Panikmacherei zu treiben, Niedergeschlagenheit zu ver-breiten, die gesamte Arbeit in den trostlosesten Farben zu schildern undsie als aussichtslos hinzustellen, von Leuten, die auf jeden einzelnen Fallvon Undiszipliniertheit und Zersetzung hinweisen und deswegen dieRevolution als eine verlorene Sache abtun möchten — als ob es auf der

Welt, als ob es in der Geschichte auch nur eine einzige wirklich großeRevolution gegeben hätte ohne Zersetzung, ohne Einbuße an Disziplin,ohne qualvolle Versuchsschritte, sobald die Masse eine neue Disziplin her-ausarbeitet. W ir dürfen nicht vergessen, daß wir als erste an einem solchenvorläufigen Punkt der Geschichte angelangt sind, wo in der T at von Mil-lionen W erktätigen und Ausgebeuteten eine neue Disziplin, eine Disziplinder Arbeit, eine Disziplin kameradschaftlicher Verbundenheit, eine sowje-tische Disziplin herausgearbeitet wird. Auf schnelle Fortschritte präten-

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412 W J.Lenin

dieren und rechnen wir dabei nicht. Wir wissen, daß diese Sache eine

ganze historische Epoche in Anspruch nehmen wird. Wir leiteten diesehistorische Epoche ein, währen d wir in einem noch bourgeoisen Lande dieDisziplin der kapitalistischen Gesellschaft zerschlagen, sie zerschlagen undstolz darauf sind, daß alle klassenbewußten Arbeiter und entschieden dieganze werktätige Bauernschaft mit allen Mitteln bei dieser Zerstörunghelfen — und während die Massen freiwillig, aus eigenem Antrieb, sichimmer stärker bewußt werden, daß sie diese auf Ausbeutung und Skla-verei der Werktätigen gegründete Disziplin nicht auf Weisung von oben,sondern aus ihrer eigenen Lebenserfahrung he raus ersetzen müssen durch

die neue Disziplin der vereinten Arbeit, durch die Disziplin der vereinig-ten organisierten Arbeiter und werktätigen Bauern ganz Rußlands, einesLandes mit Dutzend en u nd H unde rten von Millionen Einwohnern. Das isteine Aufgabe von gigantischer Schwierigkeit, dafür aber auch eine dank-bare Aufgabe, denn erst dann, wenn wir sie praktisch gelöst haben, wirdder letzte Nagel in den Sarg der kapitalistischen Gesellschaft, die wir zuGrabe tragen, geschlagen sein. (Beifall.)

Ein Zeitungsbericht wurde 5Vacb dem Jext des Buches

am 28. TAai i9l8 in den „"Die Verhandlungen des I. Qe-Jswestija 7VZ3K" 5Vr. 106 samtrussischen Kongresses derveröffentlicht Volkswirtsdbaftsräte. Stenogra-

fischer Bericht", Moskau i9l8.

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A U F R U F A N D I E E I S E N B A H N E R ,

S C H I F F E R U N D M E T A L L A R B E I T E R 1 2 1

Nach Anhörung von Vertretern der Organisationen der Eisenbahnerund Schiffer sowie von Vertretern der Hüttenarbeiter und der Gewerk-schaft der Eisenbahnarbeiter

— nach Anhörung des Vorschlags dieser Genossen, ihren Organisatio-nen, der „Eisenbahnerversorgung", der „Schifferversorgung" usw., selb-ständige Lebensmittelbeschaffungen zu gestatten,

macht der Rat der Volkskommissare alle organisierten, aufgeklärten unddenkenden Arbeiter und werktätigen Bauern nachdrücklich darauf auf-

merksam, daß derartige Vorschläge eine ins Auge springende Unklugheitsind. Es ist jedem klar, daß wir durch die Genehmigung einzelner, selb-ständiger Lebensmittelbeschaffungen der „Eisenbahnerversorgung", der„Schifferversorgung", der „Metallarbeiterversorgung", der „Gumm iarbei-terversorgung" und ähnlicher Organisationen das gesamte Emährungs-wesen völlig zerstören, jederlei staatliche Organisation der Arbeiter undarmen Bauern zunichte machen und einem Sieg der Kulaken und der Sko-ropadski gänzlich den Weg ebnen würden.

Alle Arbeiter und hungernden Bauern müssen begreifen, daß man nurdurch gemeinsame Anstrengungen, durch Entsendung Hunderter undTausender der besten Arbeiter in die allgemeinen Abteilungen für Lebens-mittelbeschaffung, nur durch den Einsatz der vereinigten, verschmolze-nen, gemeinsamen Kräfte der Arbeitermassen zum Kampf um Ordnung,zum Kampf um das Brot die Hungersnot besiegen, die Unordnung besie-gen, die Spekulanten und Kulaken besiegen kann.

Es wäre Irrsinn, denen zu glauben, die um selbständige Lebensmittel-beschaffungen für Organisationen wie die „Eisenbahnerversorgung", die

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414 W. 3. Lenin

„Schifferversorgung" ersuchen und dabei nicht bedenken, daß wir in

jedemXreis der nicht vorwiegend landwirtschaftlichen GouvernementsZehntausende und Hunderttausende hungernder Bauern haben,die monatelang überhaupt kein Brot erhalten.

Wäre es etwa kein Verfall, wenn man jedem Kreis der Bauern eigeneLebensmittelbeschaffungen gestattete? W äre es etwa gerecht, der „Eisen-bahnerversorgung", wie sie das möchte, 60 Millionen für selbständige Auf-bringungen zu geben, ohne jedem hungernden Kreis 10 Millionen zugeben, ohne ihm selbständige Aufbringungen zu gestatten?

Jede Eisenbahnw erkstatt, jedes Tausend Angestellter oder Schiffahrts-

arbeiter oder Fabrikarbeiter muß eine Abteilung der besten und zuver-lässigsten Menschen stellen, um in gemeinsamen, vereinten Anstrengungenmitzuarbeiten an der Sache aller Arbeiter und Bauern, deren Aufgabe esist, das Land vor der Hungersnot zu retten, die Hungersnot zu besiegen.

Einzelne, selbständige Beschaffungen wären der Untergang des ganzenErnährungswesens, der Untergang der Revolution, wären Desorganisationund Zerfall.

Wenn je tausend Angestellte und Arbeiter die besten und ergebenstenMenschen in Abteilungen entsenden, um eine gesamt proletarische

Kampfkraft zu bilden, die Ordnung schafft, bei der Beaufsichtigung hilft,alle Getreideüberschüsse zusammenholt und den vollständigen Sieg überdie Spekulanten erringt — so ist das die einzige Rettung.

Qesdbrieben am 29. Mai 1918.

Zuerst veröftentliäit 1931 Tiaäo dem Manuskript,im £enin-Sammelband XVIII.

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E R N E N N U N G J . W . S T A L I N S

Z U M L E IT E R D ES E R N Ä H R U N G S W E S E N S I M S Ü D E N

R U S S L A N D S

31. Mai 1918

E R N E N N U N G

Das Mitglied des Rats der Volkskommissare, Volkskommissar JosefWissarionowitsch Stalin, wird vom Rat der Volkskommissare zum Leiterdes gesamten Ernährungswesens im Süden Rußlands ernannt und mitaußerordentlichen Vollmachten ausgestattet. Die lokalen und regionalenRäte der Volkskommissare, die Deputiertensowjets, Revolutionskomitees,Stäbe und Abteilungschefs, Eisenbahnorganisationen und Stationsvor-steher, Organisationen der Handelsflotte — Binnen- und Seeschiffahrt —,

Post- und Telegrafenorganisationen sowie die Organisationen des Ernäh-rungswesens, alle Kommissare und Emissäre werden verpflichtet, die An-ordnungen des Genossen Stalin zu befolgen.

Der Vorsitzende des Rats der VolkskommissareW. Vljanow {Lenin)

Zuerst veröftentlidht i93l KSadb dem von W. 7. Leninim Lenin-Sammelband XVIII. unterzeidmeten Original

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GEMEINSAME SITZUNG DES GESAMTRUSSISCHEN

ZENTRALEXEKUTIVKOMITEES,

DES MOSKAUER SOWJETS DER ARBEITER-, BAUERN-

UN D ROTARM ISTENDEPUTIERTEN UN D DER ^GEWERKSCHAFTEN 12 2

4. Juni 1918

Zeitungsberichte wurden am Nach dem Jext des Buches „Proto-5. Juni 191S in der „Trawda" kolk der Jagungen des QesamU3Vr. Hl und in den „Jswestija russisdoen Z£X der 4.Wahlperiode.WZ )X" Nr. U3 veröffentlicht. Stenografischer Beridbt", Moska u

1920, verglichen mit dem Steno-gramm und dem Uext derBroschüre.-

7<!.£,enin, „D er Kampf ums Brot",Moskau 1918.

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1

REFERAT ÜBER DEN KAMPF GEGEN DIE HUNGERSNOT4.JUNI 1918

Genossen! Das Thema, worüber ich heute zu sprechen habe, ist die ge-waltige Krise, die heute über alle Länder hereingebrochen ist und die imgegenwärtigen Augenblick wohl am schwersten auf Rußland lastet, jeden-falls aber sich in Rußland unermeßlich viel stärker fühlbar macht als inanderen Ländern. Und von dieser Krise, von der Hungersnot, die wirdurchmachen, muß ich entsprechend der Aufgabe, vor der wir stehen, imZusammenhang mit der gesamten Lage sprechen. Wo aber von der ge-samten Lage die Rede ist, kann man sich natürlich nicht auf Rußland alleinbeschränken, zumal gegenw ärtig alle Länder der modernen kapitalistischenZivilisation drückender denn je, qualvoller denn je miteinander verbundensind.

überall, sowohl in den kriegführenden als auch in den neutralen Län-dern, brachte der Krieg, der imperialistische Krieg zweier Gruppen gigan-tischer Räuber eine völlige Erschöpfung der Produktivkräfte mit sich. Ruinund Verelendung gehen so weit, daß in den fortgeschrittensten, zivilisier-testen und kultiviertesten Ländern, die nicht nur seit Jahrzehnten , sondernsogar schon seit Jahrhunderten nicht mehr wußten, was Hungersnot ist,der Krieg zum Hunger im wahrsten, im buchstäblichen Sinne des Wortesgeführt hat. Gewiß, in den fortgeschrittenen Ländern, besonders in den-jenigen, in denen der am stärksten entwickelte Kapitalismus die Bevölke-rung schon längst an die unter ihm mögliche höchstentwickelte Methodewirtschaftlicher Organisation gewöhnt hat, in solchen fortgeschrittenenLändern ist es zwar gelungen, den Hunger richtig zu verteilen, ihn längerhinauszuzögern, ihn minder akut zu machen, doch leiden zum BeispielDeutschland und Österreich schon seit langem Hunger, den allerechtesten

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420 l/V. 1 Centn

Hunger, von den niedergeworfenen und versklavten Ländern schon gar

nicht zu reden. Wir können jetzt kaum auch nur eine einzige Zeitungs-numm er aufschlagen, ohne auf eine ganze Reihe von Nachrichten aus einerganzen Reihe fortgeschrittener, kultivierter Länder zu stoßen, nicht nurkriegführender, sondern auch neutraler Länder, wie die Schweiz, wie einigeskandinavische Länder, auf Meldungen über Hungersnot, über schreck-liche Heimsuchungen, die im Zusammenhang mit dem Krieg über dieMenschheit hereingebrochen sind. .

Genossen, für diejenigen, die die Entwicklung der europäischen Gesell-schaft beobachtet haben, stand es schon längst außer jedem Zweifel, daß

der Kapitalismus kein friedliches Ende nehmen kann, daß er entweder un-mittelbar zum Aufstand der breiten Massen gegen das Joch des Kapitalsführt oder daß er auf dem viel schwereren, qualvolleren und blutigeren.Wege des Krieges zu dem gleichen Ergebnis führt.

Schon viele Jahre vor dem Krieg haben die Sozialisten aller Länder dar-auf hingewiesen und auf ihren Kongressen feierlich erklärt, daß ein Kriegzwischen fortgeschrittenen Ländern nicht nur das größte Verbrechenwäre, daß dieser Krieg um die Aufteilung der Kolonien, um die Teilungder Beute der Kapitalisten nicht nur den völligen Bruch mit den E rrungen-schaften modernster Zivilisation und Kultur bedeuten wird, sonderndaß er auch zu r U ntergrabung der Existenzbedingungen der menschlichenGesellschaft führen kann und unweigerlich führen wird. Denn zum ersten-mal in der Geschichte werden die gewaltigsten Errungenschaften der Tech-nik in solchen Ausmaßen, so zerstörerisch und mit solcher Energie zurMassenvernichtung von M illionen Menschenleben verwendet. Bei solchemEinsatz aller Produktionsmittel im Dienste des Krieges sehen wir, daß diebitterste Prophezeiung in Erfüllung geht und daß Verwilderung, Hungers-not und vollständiger Verfall aller Produktivkräfte eine immer größerund größer werdende Zahl von Ländern erfassen.

Mir fällt deshalb ein, wie recht einer der großen Begründer des wissen-schaftlichen Sozialismus, Engels, hatte, als er 1887 schrieb, der europäischeKrieg werde nicht nur dazu führen, da ß die Kronen, wie er sich ausdrückte,zu Dutzenden von den gekrönten Häuptern rollen werden und niemand sichfinde n wird, der sie aufhebt, sondern daß dieser Krieg auch eine unerhö rteVertierung, Verwilderung und Rückständigkeit ganz Europas nach sichziehen wird, zugleich aber der Krieg entweder die Herrschaft der Arbeiter-

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Qemeinsame Sitzung des Qesamtrussisdben Z£X 421

Masse nach sich ziehen oder die Bedingungen herstellen werde, die diese

Herrschaft unvermeidlich machen.

123

Der Mitbegründer des Marxismusdrückte sich hier doppelt vorsichtig aus, denn er sah klar, daß es zum Z u-sammenbruch des Kapitalismus, zur Ausbreitung des Sozialismus führenwird, wenn die Geschichte diesen Weg einschlägt, daß man sich jedocheinen qualvolleren, schwereren Übergang, eine schlimmere Not, einehärte re, alle Produktivkräfte untergrabende Krise überhaupt nicht vorstel-len kann .

Und nun sehen wir anschaulich, was die Folgen des sich schon das vierteJahr hinziehenden imperialistischen Völkergemetzels bedeuten, wenn man

in allen, selbst den fortgeschrittenen Ländern fühlt, daß der Krieg in eineSackgasse geraten ist, daß es auf dem Boden des Kapitalismus keinen Aus-weg aus ihm gibt, daß er zum qualvollen Ruin führen wird. Und wennwir, Genossen, wenn die russische Revolution — die gar nicht durch einbesonderes Verdienst des russischen Proletariats, sondern durch den Ver-lauf des allgemeinen Zuges der historischen Ereignisse hervorgerufen wor-den ist, die dieses Proletariat nach dem Willen der Geschichte einstweilenauf den ersten Platz gestellt und zeitweise zur Vorhut der Weltrevolutiongemacht haben —, wenn die Qualen des Hungers, der schwerer und immer

schwerer auf uns einstürmt,besonders schwer, besonders akut für uns sind,so müssen wir uns fest einprägen, daß diese Leiden vor allem und in ersterLinie ein Erbe dieses verfluchten imperialistischen Gemetzels sind, das inallen Ländern zu unerhörten Verheerungen geführt hat, nur daß sie dortvor den Massen noch geheimgehalten und der übergroßen Mehrheit derVölker einstweilen nicht bekanntgegeben werden.

Solange noch das militärische Joch, solange noch der Krieg andauert,solange mit dem Krieg einerseits noch Hoffnungen verbunden sind aufeinen Sieg und auf die Möglichkeit, diese Krise durch den Sieg einer der

imperialistischen Gruppen zu überw inden, solange anderseits die Militär-zensur wütet und das ganze Volk noch dem K riegstaumel un terliegt, bleibtden Bevölkerungsmassen der meisten Länder eben dadurch verborgen, inwelchen Abgrund sie hineintaumeln, in welchem Abgrund sie schon zurHälfte versunken sind. Und wir bekommen das heute besonders hart zuspüren, denn nirgends gibt es so wie in Rußland einen so schreiendenWiderspruch zu der Fülle der Aufgaben, die sich das aufständische Prole-tariat gestellt hat, das begriffen hat, daß man den Krieg, den W eltkrieg der

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gewaltigsten imperialistischen Riesen des Erdballs, nicht ohne die gewal-

tigste, ebenfalls die ganze Welt erfassende proletarische Revolution be-siegen kann.Und da wir durch den Gang der Ereignisse eine der hervorragendsten

Stellungen in dieser Revolution einzunehmen hatten und für lange Zeit,mindestens seit Oktober 1917, ein abgeschnittener Trupp bleiben m ußten,dem die genügend schnelle Hilfe der anderen Trupps des internationalenSozialismus durch die Ereignisse versagt bleibt, müssen wir heute einezehnmal schwerere Lage durchmachen. Obgleich wir alles getan haben,was in den Kräften des sich unmittelbar erhebenden Proletariats und der

es unterstützenden armen Bauernschaft lag, um unseren Hauptgegner zustürzen, um die Wacht der sozialistischen Revolution zu übernehmen,sehen wir zur gleichen Zeit, wie uns auf Schritt und Tritt das Joch derRußland umringenden imperialistischen Raubmächte und das Erbe desKrieges schwerer und immer schwerer bedrücken. Diese Kriegsfolgenhaben sich noch nicht in vollem Umfang ausgewirkt. Jetzt, im Sommer1918, stehen wir vielleicht vor einem der m ühseligsten, der schwersten, derkritischsten Übergänge unserer Revolution, dem mühseligsten nicht nurvom internationalen Gesichtspunkt, wo wir unvermeidlich zu einer Politik

der Rückzüge verurteilt sind, solange unser treuer und einziger Bundes-genosse, das internationale Proletariat, erst zum Aufstand rüstet, erst reiffür ihn wird, aber noch nicht imstande ist, offen und einheitlich aufzutre-ten, obwohl alle Ereignisse in Westeuropa, die ganze tollwütige V erbissen-heit der letzten Schlachten an der Westfront, die ganze sich innerhalb derkriegführenden Länder verschärfende Krise zeigen, daß es bis zum Auf-stand der europäischen Arbeiter nicht mehr weit ist, daß er, wie sehr ersich auch verzögern mag, unausbleiblich kommen wird.

Gerade in dieser Situation müssen wir im Innern des Landes die größ-

ten Schwierigkeiten durchmachen, infolge deren eine Reihe von Schwan-kungen hervorgerufen wird vor allem durch die qualvolle Ernährungskrise,durch die qualvolle Hungersnot, die über uns hereingebrochen ist und unsvor eine Aufgabe stellt, die von uns ein Maximum an Kraftanspannung,größte Organisiertheit verlangt und uns zugleich nicht erlaubt, mit altenMethoden an die Bewältigung dieser Aufgabe heranzugehen. An die Be-wältigung dieser Aufgabe werden wir zusammen mit derjenigen Klasseherangehen, mit der wir gegen den imperialistischen Krieg vorgegangen

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sind, mit derjenigen Klasse, mit der wir sowohl die imperialistische M on-

archie als auch die imperialistische republikanische russische Bourgeoisiegestürzt haben, mit derjenigen Klasse, die im Zuge wachsender Schwierig-keiten, wachsender Aufgaben und wachsender Reichweite der Revolutionihre Waffen zu schmieden, ihre Kräfte zu entwickeln, ihre Organisation zuschaffen hat.

Heute stehen wir vor der elementarsten Aufgabe aller menschlichenGemeinschaft — den Hunger zu besiegen, zumindest unverzüglich zu mil-dern, den direkten quälenden Hunger, der beide Hauptstädte und Dut-zende von Kreisen des ackerbautreibenden Rußlands ergriffen hat. Und

diese Aufgabe haben wir in einer Situation des Bürgerkriegs, des toll-wütigsten, verzweifeltsten Widerstands der Ausbeuter aller Grade, allerSpielarten, aller Färbungen und Orientierungen zu bewältigen. Angesichtseiner solchen Lage befinden sich diese Elemente der politischen Parteien,die nicht mit dem Alten zu brechen, nicht an das Neue zu glauben ver-mögen, unzweifelhaft imZustand des Krieges, der um eines einzigen Zieleswillen — zum Zwecke der W iederherstellung der Ausbeutermacht — aus-genutzt wird.

Auf diese Frage, auf diese Verbindung der H ungersnot mit dem Kampf

gegen die Ausbeuter und gegen die das Ha up t erhebende Konterrevolutionmacht uns jede beliebige N achricht aus jedem beliebigen Winkel Rußlandsaufmerksam. Wir stehen vor der Aufgabe, vor der Notwendigkeit, dieHungersnot zu besiegen oder sie wenigstens bis zur neuen Ernte zu mil-dern, das Getreidemonopol zu behaupten, das Recht des Sowjetstaates zubehaupten, das Recht des proletarischen Staates zu behaupten. Wir müs-sen alle Getreideüberschüsse zusammenbringen und durchsetzen, daß alleVorräte dorthin gebracht werden, wo man Not leidet, und daß sie richtigverteilt werden. Das ist die Hauptaufgabe — Erhaltung der menschlichenGesellschaft, und gleichzeitig ist das eine unglaublich mühselige Arbeit, dienur auf einem W eg bewältigt werden kann : durch gemeinsame, verstärkteSteigerung der Arbeitsleistung.

In den Ländern, wo man diese Aufgabe durch den Krieg zu bewältigenversucht, geschieht das auf dem W ege der militärischen Versklavung, durchdie Einführung militärischer Sklaverei der Arbeiter und der Bauern, ge-schieht das auf dem Wege der Gewährung neuer, noch größerer Vorteilean die Ausbeuter. In Deutschland zum Beispiel, wo die Öffentlichkeit

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unterdrückt ist, wo jeder Versuch, gegen den Krieg zu protestieren, ver-

eitelt wird, wo aber die sozialistische Kriegsgegnerschaft dennoch fort-besteht, werden Sie keine gebräuchlichere Methode zur Wahrung derLage finden als das rasche Emporkommenlassen neuer Millionäre, die sicham Kriege bereichern. Diese neuen Millionäre haben sich hemmungslosund toll bereichert.

Der Hunger der Massen dient heute in allen imperialistischen Ländernals günstigster Nährboden für die Entwicklung tollster Spekulation, fürdie Erraffung unerhörter Reichtümer aus Not und Hunger.

Die imperialistischen Länder fördern das, wie zum Beispiel Deutsch-

land, wo der Hunger am besten organisiert ist. Und nicht umsonst wirdgesagt, das Zentrum des organisierten Hungers sei dort, wo Rationen undBrotrinden am besten unter der Bevölkerung verteilt sind. Wir sehen, daßdort die millionenschweren Neureichen zu einer alltäglichen Erscheinungdes imperialistischen Staates werden, anders kann man dort den Hungernicht bekämpfen. M an gibt doppelten, dreifachen, vierfachen Profit dem-jenigen, der viel Getreide hat, der zu spekulieren versteht, der es versteht,Organisation, Rationierung, Regelung, Verteilung in Spekulation zu ver-wandeln. Diesen Weg zu gehen sind wir nicht gewillt, wer immer uns auch

bewußt oder unbewußt auf diesen Weg drängen sollte. Wir sagen: Wirstanden und werden stehen Schulter an Schulter mit der Klasse, mit derwir gegen den Krieg vorgingen, mit der gemeinsam wir die Bourgeoisiegestürzt haben und mit der gemeinsam wir alle Lasten der gegenwärtigenKrise tragen. Wir müssen für das Getreidemonopol bis zum letzten ein-stehen, aber nicht so, daß wir kapitalistische Spekulation in großem oderkleinem Umfang legalisieren, sondern im Sinne der Bekämpfung des be-wußten Marodeurtums.

Und hier sehen wir große Schwierigkeiten, schwerere Kampf gefahren als

zu der Zeit, da der gegen das Volk bis an die Zähne bewaffnete Zarismusuns gegenüberstand oder die bis an die Zähne bewaffnete russische Bour-geoisie, die es nicht für ein Verbrechen hielt, bei der Junioffensive desvorigen Jahres das Blut von Tausenden und Hunderttausenden russischerArbeiter und Bauern zu vergießen, mit den Geheimverträgen in derTasche, mit Beteiligung an der aufzuteilenden Beute, die aber den Kriegder Werktätigen gegen ihre Unterdrücker für ein Verbrechen hält, jeneneinzig gerechten, heiligen Krieg, von dem wir schon zu Beginn des impe-

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rialistischen Kriegsgemetzels sprachen und den jetzt alle Ereignisse auf

Schritt und Tritt unvermeidlich mit der Hungersnot verknüpfen.W ir wissen, wie die Selbstherrschaft des Zaren gleich zu Anfang Fest-preise einführte und diese Getreidepreise erhöhte. Ja, freilich! Sie bliebihren Bundesgenossen treu: den Getreidehändlern, den Spekulanten, denBankhyänen, die dabei Millionen verdienten.

Wir wissen, wie die Paktierer aus der Kadettenpartei, gemeinsam mitden Sozialrevolutionären und Menschewiki, und wie Kerenski ein Ge-treidemonopol einführten, weil ganz Europa erklärte, ohne Monopolisie-rung könne man sich nicht länger halten, und wie derselbe Kerenski im

August 1917 das damalige demokratische Gesetz umging. DemokratischeGesetze und schlau ausgelegte Systeme sind ja dazu da, umgangen zu wer-den. Und wir wissen, wie derselbe Kerenski im August diese Preise ver-doppelte und wie damals die Sozialisten aller Färbungen gegen diese Maß-nahme protestierten und sich über diese Tatsache empörten. Damals gabes kein einziges Presseorgan, das sich nicht über dieses Verhalten Kerenskisentrüstet und das nicht enthüllt hätte, daß hier hinter dem Rücken derrepublikanischen M inister, des Kabinetts der Menschewiki und der Sozial-revolutionäre, die Spekulanten Schiebungen machten, daß m an ihnen durch

die Verdoppelung der Getreidepreise Konzessionen machte, daß es sichhier um nichts anderes als um Zugeständnisse an die Spekulanten han-delte. Wir kennen diese Geschichte.

Vergleichen wir jetzt die Art, wie die Sache mit dem G etreidemonopol unddem Kampf gegen die Hungersnot in den kapitalistischen Ländern Europasverlief, mit ihrem Verlauf bei uns. Wir sehen, wie jetzt die Konterrevolu-tionäre das ausschlachten. Aus dieser Lehre müssen wir feste und uner-schütterliche Schlüsse ziehen. Jawohl, der Gang der Ereignisse hat es da-hin gebracht, daß die Krise, zum quälenden Hunger geworden, nur zu einer

noch größeren Verschärfung des Bürgerkriegs geführt hat, nur zur Entlar-vung solcher Parteien geführt hat wie die Parteien der rechten Sozial-revolutionäre und der Menschewiki, die sich von der unverhohlen kapita-listischen Partei der Kadetten dadurch unterscheiden, daß die Kadetten-partei eine Partei ausgesprochener Schwarzhunderter ist. Die Kadettenhaben dem Volk nichts zu sagen, sie brauchen sich nicht an das Volk zuwenden, sie brauchen ihre Zwecke nicht zu verschleiern, diese Parteienaber, die mit Kerenski gemeinsame Sache machten, mit ihm die Macht

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teilten und an den Geheimverträgen festhielten, sie müssen sich an das

Volk wenden. (Beifall.) Und darum müssen sie sich von Zeit zu Zeit,entgegen ihrem Wollen und ihrem Plan, selbst entlarven.

Wenn wir sehen, wie auf dem Boden der Hungersnot einerseits Auf-stände und Revolten vom Hunger geplagter Menschen ausbrechen undanderseits sich wie ein Lauffeuer von einem Ende Rußlands zum anderenkonterrevolutionäre Aufstände ausbreiten, die bekanntermaßen geschürtwerden sowohl mit dem Geld der englischen und französischen Imperia-listen als auch durch die Anstrengungen der rechten Sozialrevolutionäreund der Menschewiki, dann sagen wir uns : Das Bild ist klar, wer Lust ha t,

mag fortfahren, von irgendwelchen Einheitsfronten zu schwärmen.Wir sehen jetzt besonders anschaulich, daß selbst nach der Niederlage

der russischen Bourgeoisie im offenen militärischen Zusammenstoß, nach-dem alle offenen Zusammenstöße zwischen den revolutionären und denkonterrevolutionären Kräften von Oktober 1917 bis Februar und März1918 den Konterrevolutionären, ja sogar den Anführern der Donkosaken,auf welche man am meisten rechnete, gezeigt hatten, daß ihre Sache ver-loren ist, weil die Mehrheit des Volkes überall gegen sie ist, auch jederneue Versuch, selbst in den patriarchalischsten Gegenden, wo eine Schicht

wohlhabendster und am meisten ständisch abgeschlossener Landwirte wiedie Kosaken sitzen, daß jeder Versuch der Konterrevolution überall ohneAusnahme nur dazu geführt hat, neue Schichten geknechteter Werktätigernicht in Worten, sondern mit der Tat gegen sie aufzubringen.

Die Lehren des Bürgerkriegs von Oktober bis März haben gezeigt, daßdie werktätigen Massen der Arbeiterklasse Rußlands und die von ihrerHände Arbeit lebenden, keine fremde Arbeit ausbeutenden Bauern inallen Gegenden Rußlands in ihrer gigantischen Mehrheit Mann für Mannfür die Sowjetmacht einstehen. Wer aber geglaubt hat, daß für uns jetzt

eine organischere Entwicklung beginnt, der mußte sich von seinem Irrtumüberzeugen.

Die Bourgeoisie sah sich besiegt... Und hier beginnt die Spaltung desrussischen Kleinbürgertums: die einen neigen zu den Deutschen, die ande-ren zur englisch-französischen Orientierung, und beide Richtungen findensich vereint in der Orientierung auf den Hunger.

Um Ihnen anschaulich zu zeigen, Genossen, wie nicht unsere Partei,sondern ihre Feinde und die Feinde der Sowjetmacht den Streit zwischen

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der deutschen und der englisch-französischen Orien tierung schlichten durch

die Einigung auf ein Programm: Sturz der Sowjetmacht mit Hilfe derHungersnot — um Ihnen zu zeigen, wie das vor sich geht, erlaube ich mir,einen Bericht über die letzte Beratung der Menschewiki kurz zu zitieren.Dieser Bericht wurde veröffentlicht in der Zeitung „Shisn"12 4. ( L ä r m ,Bei fa l l . )

Aus diesem in Nr. 26 der „Shisn" veröffentlichten Bericht erfahren wir,wie Tscherewanin, der Berichterstatter über die Frage der ökonomischenPolitik, an der Politik der Sowjetmacht Kritik üb te und eine Kompromiß-lösung vorschlug, nämlich als praktische Mitarbeiter Vertreter des Han-

delskapitals unter für diese besonders vorteilhaften Kommissionsbedin-gungen heranzuziehen. Aus dem gleichen Bericht erfahren wir, wie der inder Sitzung anwesende Vorsitzende des Ernährungsamts für Nordrußland,Groman, dem, wie es dort heißt, ein gewaltiger Vorrat persönlicher Be-obachtungen und die Erfahrungen aller möglichen Beobachtungen zur Ver-fügung stehen — nur in bürgerlichen Kreisen, füge ich von mir aus hinzu—,folgende Schlüsse zog: „Es müssen", meinte er, „zwei Mittel angewandtwerden : erstens müssen die gegenwärtigen Preise erhöht werden, zweitensmuß eine besondere Präm ie für schleunige Getreideanlieferung ausgesetzt

werden" usw. (Zwischenruf: „Warum ist denn das schlimm?") Ja-wohl, man wird bald hören, wie schlimm das ist, wenn auch der Redner,der zwar nicht das Wort erhalten hat, es aber von dieser Ecke aus ergreift(B e if a ll ), Sie überzeugen zu können glaubt, daß daran nichts Schlimmessei; er hat aber wahrscheinlich den Verlauf der menschewistischen Kon-ferenz vergessen. In der gleichen Zeitung „Shisn" heißt es, daß nach Gro-man der Delegierte Kolokolnikow einen solchen Standpunkt vertra t: „Manschlägt uns vor,uns an den bolschewistischen Ernährungsorganisationen zubeteiligen." Nicht wahr, das ist schlimm, muß man da wohl sagen in Er-

innerung an die Worte des Zwischenruf ers. Und wenn dieser Redner, dersich nicht beruhigen will, und der, obwohl er nicht das Wort hat, es sichtrotzdem nimmt, wenn dieser Redner ruft, das sei Lüge, denn Kolokol-nikow habe das niemals gesagt, so nehme ich dies zur Kenntnis und for-dere Sie auf, diese Richtigstellung laut und deutlich zu wiederholen. Icherlaube mir, Sie an die Resolution zu erinnern, die der sattsam bekannteMartow auf der Konferenz einbrachte und die zur Frage der Sowjetmachtmit anderen Worten und in anderen Redewendungen buchstäblich das

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gleiche sagt. (Lärm, Ruf e.) Ja, wie sehr Sie auch darüber lachen mögen,

es bleibt doch Tatsache — die Vertreter der Menschewiki bezeichnen imZusamm enhang mit dem Bericht über die Ernährungslage die Sowjetmachtnicht als proletarische, sondern als untaugliche Organisation.

In einem Augenblick, wo der Aufstand der Konterrevolutionäre in Ver-bindung mit dem Hunger und unter Ausnutzung der Hungersnot auf dieTagesordnung getreten ist, werden keine Dementis und keine Finten hel-fen, sondern das Faktum liegt auf der Hand. In dieser Frage haben wireine Politik vor uns, die sowohl Tscherewanin als auch Grom an und Kolo-kolnikow ausgezeichnet entwickelt haben. Wir sehen uns einer Belebung

des Bürgerkriegs gegenüber, wir sehen, wie die Konterrevolution ihrHaupt erhebt, und ich bin überzeugt, daß neunundneunzig von hundertrussischen Arbeitern und Bauern aus diesen Ereignissen ihren Schluß ge-zogen haben — nicht allen ist das schon bekannt —, ziehen und noch ziehenwerden, und dieser Schluß wird eben dieser sein: Nur wenn wir die Kon-terrevolution aufs Haupt schlagen, nur wenn wir in der Frage der Hun-gersnot die sozialistische Politik fortführen, werden wir im Kampf gegendie Hungersnot sowohl die Hungersnot als auch die Konterrevolutionärebesiegen, die sich diese Hungersnot zunutze m achen.

Genossen, wir kommen jetzt gerade in eine Zeit, wo die Sowjetmachtnach langem und schwerem Kampf gegen gewichtige und bedeutende kon-terrevolutionäre Gegner diese in offenen Zusammenstößen besiegt hatund, nachdem sie sowohl den militärischen Widerstand der Ausbeuter alsauch den in Sabotage zum Ausdruck kommenden Widerstand aller über-wunden, die organisatorische Arbeit energisch in Angriff genommen hat.Die ganze Schwierigkeit des Kampfes gegen die Hungersnot, die ganzeSchwere dieser Aufgabe erklärt sich eben daraus, daß w ir es hier unm ittel-bar m it der Aufgabe der Organisation zu tun haben.

Im Aufstand zu siegen ist unermeßlich leichter. Der Sieg über die sichwidersetzende Konterrevolution ist millionenmal leichter als die Bewälti-gung der organisatorischen Aufgabe, besonders dort, wo wir eben eineAufgabe gelöst haben, bei der sowohl der aufständische Proletarier alsauch der Kleineigentümer, bei der breite Schichten des Kleinbürgertums inbeträchtlichem Maße zusammengehen konnten, eine Aufgabe, die nochzahlreiche allgemein-demokratische, alle Werktätigen gemeinsam an-gehende Elemente enthielt. Nunm ehr sind wir von dieser Aufgabe zu einer

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anderen übergegangen. Der qualvolle Hunger hat uns mit Gewalt vor eine

rein kommunistische Aufgabe gestellt. Hier sind wir der Realisierung einerrevolutionär-sozialistischen Aufgabe von Angesicht zu Angesicht gegen-übergestellt worden, hier haben sich vor uns außergewöhnliche Schwierig-keiten erhoben .

Wir fürchten diese Schwierigkeiten nicht, wir kannten sie, wir habenniemals erklärt, daß es leicht sei, vom Kapitalismus zum Sozialismus über-zugehen. Das ist eine ganze Epoche höchst erbitterten Bürgerkriegs, es sindqualvolle Schritte, da zu dem einen Trupp des aufständischen Proletariatseines Landes das Proletariat eines anderen Landes stoßen wird, um in ge-

meinsamen Anstrengungen die Fehler zu korrigieren. Hier haben wir esmit organisatorischen Aufgaben zu tun, die die Massenbedarfsgüter be-treffen, die an die tiefsten Wurzeln der Spekulation rühren, die an dieSpitzen der bürgerlichen Welt und die Spitzen der kapitalistischen Aus-beutung rühren, an die Spitzen, die durch den Massensturm allein nichtleicht zu beseitigen sind. Wir haben es hier zu tun mit den feinen und inallen Ländern weitverzweigten Wurzeln und Wurzelfasern dieser bür-gerlichen Ausbeutung in Gestalt der Kleineigentümer, in Gestalt dieserganzen Lebensordnung, der Gewohnheiten und Stimmungen von Klein-eigentümern und K leinunternehmern, da sich vor uns der kleine Spekulanterhebt, da man an die neue Lebensordnung nicht gewöhnt ist, an sie nichtglaubt und verzweifelt.

Denn es ist Tatsache, daß sehr viele Vertreter der werktätigen Massensich angesichts der außerordentlichen Schwierigkeiten, vor die uns dieRevolution gestellt hat, der Verzweiflung hingegeben haben. Wir fürchtendas nicht. Es hat noch niemals irgendwo eine Revolution gegeben, in dernicht bestimmte Schichten von Verzweiflung erfaßt worden wären.

Wenn die Masse eine bestimmte disziplinierte Avantgarde hervorbringt,

wenn die Avantgarde weiß, daß die Diktatur, diese feste Macht, helfenwird, die ganze arme Bevölkerung heranzuziehen — das ist ein langwie-riger Prozeß, ein schwieriger Kampf —, so ist das der Beginn der soziali-stischen Revolution im vollsten Sinne des Wortes. Wenn wir sehen, daßdie vereinigten Arbeiter, die Masse der Armen sich gegen die Reichenwenden, gegen die Spekulanten, gegen die Unzahl der Leute, denen dieMenge der Intellektuellen bewußt oder unbewußt Spekulantenlosungenvorplappert, wie das dieTscherewanin und Groman tun, wenn irregeführte

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Arbeiter von freiem Getreideverkauf, von der Einfuhr von Transportmit-

teln reden, so antworten wir: Das bedeutet, den Kulaken zu Hilfe zukommen! Diesen Weg werden wir nicht gehen. Wir sagen: Wir werdenuns auf die Werktätigen stützen, mit denen wir den Oktobersieg errungenhaben, und nur mit unserer Klasse, nur durch Einführung proletarischerDisziplin in allen Schichten des werktätigen Volkes werden wir die vor unsstehende geschichtliche Aufgabe lösen.

Wir haben gewaltige Schwierigkeiten durchzumachen, wir müssen alleÜberschüsse und Vorräte sammeln, sie richtig verteilen und die Zufuhrvon Lebensmitteln für Dutzende Millionen M enschen richtig organisieren,

wir müssen eine absolut regelmäßige Arbeit durchsetzen, so daß die Ar-beit wie ein Uhrwerk funktioniert, wir müssen die Zerrüttung besiegen,die von den Spekulanten und den Kleinmütigen, den Panikmachern geför-dert wird. Nur klassenbewußte Arbeiter, die den praktischen Schwierig-keiten von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, sind fähig, dieseorganisatorische Aufgabe durchzuführen. Es lohnt sich, für diese Aufgabealle Kräfte einzusetzen und das entscheidende, das letzte Gefecht anzu-nehmen. Und in diesem Gefecht werden wir siegen. (B e if a ll .)

Genossen, die letzten Dekrete über die Maßnahm en der Sowjetmacht125

zeigen uns, daß der Weg der proletarischen D iktatur für jeden Sozialisten,der sich nicht zum Spott als Sozialist bezeichnet, zweifellos und unbestreit-bar ein Weg schwerer Prüfungen ist.

Die letzten Dekrete haben die wichtigste Grundfrage des Lebens, dieBrotfrage, aufgeworfen. Sie alle enthalten drei leitende Ideen: die Ideeder Zentralisation oder des Zusammenschlusses aller zu gemeinsamerArbeit unter Leitung eines Zentrums; es gilt, sich als ernst zu erweisenund jede Mutlosigkeit zu überwinden, die Einzeldienste jeglicher Schleich-händler abzulehnen; alle proletarischen Kräfte zusammenzufassen, denn

in der Frage des Kampfes gegen den Hunger stützen wir uns auf ebendiese unterdrückten Klassen und sehen den Ausweg nur in ihrem ener-gischen Kampf gegen die Ausbeuter, in der Zusammenfassung ihrer gan-zen Tätigkeit.

Nun verweist man uns darauf, wie das Getreidemonopol auf Schrittund Tritt durch Schleichhandel und Spekulation durchbrochen wird. Immerhäufiger müssen wir von der Intelligenz hören: die Schleichhändler erwei-sen ihnen ja D ienste, und sie alle werden mit ihrer Hilfe ernährt. Freilich,

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aber die Schleichhändler ernähren einen auf Kulakenart, sie handeln ge-

rade so, wie man handeln muß, um die Macht des Kulaken zu festigen,wiederaufzurichten und zu verewigen, damit derjenige, der die Macht be-sitzt, sie mit Hilfe seines Profits durch Einzelpersonen auf seine Um-gebung ausdehne. Wir aber behaupten, daß der Kampf um vieles leichterwäre, wenn diejenigen, die sich gegenwärtig zumeist nur des Kleinmutsschuldig machen, ihre Kräfte vereinigten. Gäbe es irgendwo einen Revo-lutionär, der ohne Schwierigkeit zur sozialistischen Ordnung übergehenzu können hoffte, so könnten wir sagen, daß solch ein Revolutionär, solchein Sozialist keinen ro ten Heller w ert ist.

Wir wissen ja, daß der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismusein im höchsten Grade schwieriger Kampf ist. Wir sind jedoch bereit,Tausende von Schwierigkeiten zu ertragen, Tausende Versuche zu unter-nehmen, und nach tausend Versuchen werden wir den tausendunderstenmachen. Wir ziehen jetzt alle Sowjetorganisationen zu neuem schöpfe-rischem Leben, zur Gewinnung neuer Kräfte heran. Wir gedenken dieneuen Schwierigkeiten durch Heranziehung neuer Schichten, durch Or-ganisierung der Dorfarmut zu überwinden, und hier komme ich zu derzweiten Hauptaufgabe.

Ich habe gesagt, daß unsere erste Idee die sich durch alle Dekrete hin-durchziehende Idee der Zentralisierung ist. Erst wenn wir alles Getreidein gemeinsame Säcke gefüllt haben, können w ir den Hunger besiegen, undauch dann wird das Brot nur knapp reichen. Den früheren Überfluß gibtes in Rußland nicht mehr, und es ist notwendig, daß der Kommunismustief in das Bewußtsein eines jeden eindringt, daß alle jeden Getreideüber-schuß als Gemeingut des Volkes betrachten, daß alle vom Bewußtsein derInteressen der Werktätigen erfüllt werden. Zur Erreichung dieses Zielsaber taugt nur das Mittel, das die Sowjetmacht vorschlägt.

Wenn man uns von anderen Mitteln spricht, dann antworten wir so,wie wir in der Sitzung des Zentralexekutivkomitees * geantwortet haben,als man uns von anderen W egen sprach: Geht zu Skoropadski, zur Bour-geoisie. Lehrt sie solche Methoden wie Erhöhung der Getreidepreise, Blockmit den Kulaken — dort w erdet ihr willige Ohren finden . Die Sowjetmachtaber wird das eine sagen: Die Schwierigkeiten sind unermeßlich, beant-wortet jede Schwierigkeit mit neuen und immer neuen Bemühungen um

*~Siehe den vorliegenden Band, S. 358—375. Die Jied.

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Organisation und Disziplin. Derlei Schwierigkeiten werden nicht in einem

Monat überwunden. Die Geschichte der Völker kennt Jahrzehnte, die derÜberwindung geringerer Schwierigkeiten gewidmet waren, und diese Jahr-zehnte sind als die größten und fruchtbarsten Jahrzehnte in die Geschichteeingegangen. Niemals werdet ihr erreichen, daß die Mißerfolge des erstenHalbjahres und des ersten Jahres unserer großen Revolution Mutlosigkeitunter uns verbreiten. Wir werden an unserer alten Losung der Zentrali-sation, des Zusammenschlusses, der proletarischen Disziplin im gesamtrus-sischen Maßstab festhalten.

Wenn man uns, wie das Groman in seinem Bericht tut, sagen wird:

„Eure Abteilungen, die Getreide beschaffen sollen, ergeben sich demTrunk und werden selber zu Schwarzbrennern, zu Plünderern", so wer-den wir antworten: Wir wissen ausgezeichnet, wie oft das vorkommt, insolchen Fällen verheimlichen wir das nicht, beschönigen es nicht, gehennicht mit angeblich linken Phrasen und Vorsätzen darüber hinweg. Jawohl,die Arbeiterklasse ist nicht durch eine chinesische Mauer von der alten, derbürgerlichen Gesellschaft getrennt. Und wenn die Revolution anbricht, sogeht es nicht so zu wie beim Tode eines einzelnen Menschen, wo die Leicheeinfach hinausgetragen wird. Wenn die alte Gesellschaft zugrunde geht,

kann man ihren Leichnam nicht in einem Sarg vernageln und ins Grabsenken. Dieser Leichnam geht mitten unter uns in Verwesung über, erverfault und steckt uns selbst an.

Anders ist es noch in keiner großen Revolution auf der Welt zugegan-gen und kann es auch nicht zugehen. Eben das, was wir bekämpfen müssen,•um die Keime des Neuen in einer von den Miasmen des verwesendenLeichnams verpesteten Atmosphäre zu erhalten und zur Entwicklung zubringen: jene literarische und politische Situation, jenes Spiel der poli-tischen Parteien, die — von den Kadetten bis zu den Menschewiki — von

diesen Miasmen des verwesenden Leichnams durchtränkt sind, das alleswollen sie uns als Knüppel zwischen die Beine werfen. Anders kann diesozialistische Revolution nie geboren werden, und anders als unter denBedingungen des verwesenden Kapitalismus und eines qualvollen Kampfesgegen ihn wird kein Land vom Kapitalismus zum Sozialismus übergehen.Und darum sagen wir: Unsere erste Losung ist die Zentralisation, unserezweite Losung der Zusammenschluß der Arbeiter. Arbeiter, vereinigt euch,und nochmals: vereinigt euch! Das ist alt, es erscheint nicht effektvoll,

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(gemeinsame Sitzung des Gesamtrussischen ZEX 433

nicht neu, es verspricht keine solchen Gauklererfolge wie die, mit denen

euch Leute wie Kerenski locken, der im August 1917 die Preise verdop-pelte, so wie sie von den deutschen Bourgeois verdoppelt und verzehnfachtwurden — Leute, die euch sofortige und unm ittelbare Erfolge versprechen,wenn ihr nur immer von neuem den Kulaken Vorschub leistet. Selbstver-ständlich werden wir diesen Weg nicht einschlagen, sondern wir sagen:Unser zweites Mittel ist zwar ein altes, aber zugleich ewiges Mittel: ver-einigt euch! (Beifall.)

Wir sind in einer schwierigen Lage: die Sowjetrepublik erlebt vielleichteine ihrer schwersten Übergangszeiten. Neue Arbeiterschichten werden

uns zu Hilfe kommen. Wir haben keine Polizei, wir werden keine be-sondere Militärkaste haben, wir haben keinen anderen Apparat als denbewußten Zusammenschluß der Arbeiter. Sie werden Rußland aus seinerverzweifelten und1 ungeheuer schwierigen Lage herausführen. (B e if a ll .)Vereinigung der Arbeiter, Organisierung von Arbeiterabteilungen, Orga-nisierung der Hungernden aus den nicht vorwiegend landwirtschaftlichen,vom Hunger heimgesuchten Kreisen — sie rufen wir zu Hilfe, an siewendet sich unser Ernährungskommissariat, ihnen sagen wir: Auf zumKreuzzug um Getreide, zum Kreuzzug gegen Spekulanten, gegen die Ku-

laken, für die Wiederherstellung der O rdnung.Die K reuzzüge waren Feldzüge, wo zur physischen Gewalt der Glaube

an Dinge hinzukam, die für heilig zu halten die Menschen vor Jahrhun-derten durch Folterungen gezwungen wurden. W ir aber wollen und glau-ben, wir sind überzeugt und wissen, daß die Oktoberrevolution bewirkthat, daß die fortgeschrittenen Arbeiter und die fortgeschrittenen Bauernaus den Reihen der armen Bauernschaft nunmehr die Aufrechterhaltungihrer Macht über die Gutsbesitzer und Kapitalisten für etwas Heiligeshalten. ( B e if a ll .) Sie wissen, daß physische Gewalt zur Einwirkung auf

die Bevölkerungsmassen nicht ausreicht. Wir brauchen physische Gewalt,da wir die Dikta tur errichten, wir wenden Gewalt gegen die Ausbeuter an,und jeden, der das nicht begreift, stoßen wir voll Verachtung von uns,damit wir nicht Worte vergeuden, um über die Form des Sozialismus zudiskutieren. (Beifall.)

W ir sagen jedoch: Wir stehen vor einer neuen geschichtlichen Aufgabe.W ir müssen dieser neuen geschichtlichen Klasse klarmachen, daß wir Ab-teilungen von Agitatoren aus den Reihen der Arbeiter brauchen. Wir

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434 W. 7. Lenin

brauchen A rbeiter aus den verschiedenen Kreisen der landwirtschaftlichen

Zuschußgebiete. Sie sollen von dort als bewußte Fürsprecher der Sowjet-macht kommen, sollen unseren Krieg um die Ernährung, unseren Krieggegen die Kulaken, unseren Krieg gegen die Mißstände zu einem heiligenKrieg machen, ihn legitimieren und die Durchführung sozialistischer Pro-paganda ermöglichen,- sie sollen jenen Unterschied zwischen arm und reichim Dorf auseinandersetzen, den jeder Bauer begreift und der der tiefsteQuell unserer Kraft ist, ein Quell, der schwer zu erschließen und zumSprudeln zu bringen, in vollem Strahl zum Sprudeln zu bringen ist, dennzahlreich sind bei uns noch die Ausbeuter, und sie unterwerfen sich die

Masse mit den verschiedensten M ethoden, angefangen von der Bestechungder Armen, dadurch, daß man sie, die Vertreter der Armen, etwas an derSchwarzbrennerei von Schnaps verdienen oder Getreide zu Spekulanten-preisen verkaufen läßt, wobei sie pro Rubel mehrere Rubel Gewinn her-ausschlagen. Mit solchen Mitteln wirken Kulaken und Bourgeois im Dorfeauf die Massen ein!

Der Dorfarmut können wir daraus keinen Vorwurf machen, denn wirwissen, daß sie Jahrzehnte, Jahrtausende versklavt war, daß sie sowohldie Leibeigenschaft als auch jene Zustände erfahren ha t, die Rußland nach

der Leibeigenschaft bestehen ließ. Wir müssen zur Dorfarmut nicht nurmit den gegen die Kulaken gerichteten Waffen kommen, sondern auch mitder Propaganda klassenbewußter Arbeiter, die ihre Organisationskraftins Dorf zu tragen wissen. Vertreter der Dorfarmut, vereinigt euch — dasist unsere dritte Losung. Das ist kein Liebäugeln mit den Kulaken undnicht die unsinnige Maßnahme der Preiserhöhung. Verdoppelten wir diePreise, so würden sie sagen: Man erhöht uns die Preise, sie sind ausge-hung ert; warten wir ab , man wird sie noch mehr erhöhen.

Ein ausgetretener Weg ist der Weg der Willfährigkeit gegenüber den

Kulaken und Spekulanten; es ist leicht, diesen Weg einzuschlagen und einverlockendes Bild zu entwerfen. Intellektuelle, die sich Sozialisten nennen,sind bereit, uns solche Bilder an die Wand zu malen, und solche Intellek-tuellen gibt es wie Sand am Meer. Wir aber sagen euch: Wer mit derSowjetmacht gehen will, wer sie schätzt und sie als Macht der Werk-tätigen, als Macht der ausgebeuteten Klasse betrachtet, den rufen wir auf,einen anderen Weg einzuschlagen. Diese neue geschichtliche Aufgabe isteine schwierige Sache. Sie lösen heißt eine neue Schicht aufrütteln, heißt

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(gemeinsame Sitzung des Qesamtrussisdben Z£X 435

eine neue Form der Organisation bieten für die jenigen Vertreter der W erk-

tätigen und Ausgebeuteten, die in ihrer Mehrheit geduckt, unwissend so-wie am allerwenigsten zusammengeschlossen sind und denen der Zusam-menschluß erst noch bevorsteht.

Die Vortrupps der städtischen Arbeiter, der Industriearbeiter habensich in der ganzen Welt vereinigt, haben sich Mann für M ann zusammen-geschlossen. Aber noch fast nirgends in der Welt wurden systematische,selbstlose und opfermutige Versuche gemacht, diejenigen zu vereinigen,die in den D örfern, in der landwirtschaftlichen Kleinproduktion, in Welt-verlorenheit und Finsternis leben und durch alle ihre Lebensbedingungenabgestumpft sind. Hier stehen wir vor einer Aufgabe, die nicht nur denKampf gegen die Hungersnot, sondern auch den Kampf für die ganzetiefgreifende und wichtige Ordnung des Sozialismus auf ein einziges Zielausrichtet. Wir haben hier einen solchen Kampf für den Sozialismus voruns, für den es sich lohnt, alle Kräfte herzugeben und alles aufs Spiel zusetzen, weil das der Kampf für den Sozialismus ist. (Beifall.)

Betrachten wir die Werktätigen als unsere Kampfgefährten auf diesemWege. Auf ihm erwarten uns dauerhafte und nicht nur dauerhafte, son-dern auch unveräußerliche Errungenschaften. Das ist unsere dritte denk-

würdige Losung!Das also sind unsere drei Hauptlosungen: Zentralisierung des Ernäh-rungswesens, Zusammenschluß des Proletariats, Organisierung der Dorf-armut. Und unser Aufruf, der Aufruf unseres Ernährungskommissariatsan jede Gewerkschaft, an jedes Betriebskomitee besagt: Ihr habt es schwer,Genossen; also helft uns, vereint eure Anstrengungen mit den unsrigen,verfolgt jede Verletzung der Ordnung, jede Abweichung vom Getreide-monopol. Das ist eine schwierige Aufgabe; aber wendet euch trotzdemwieder und immer wieder, zum hundertsten und zum tausendsten Malegegen Schleichhandel, Spekulation und Kulakentum, und wir werdensiegen, weil die Mehrheit der Arbeiter durch alle ihre Lebenserfahrungenund durch all die schweren Lehren unserer Fehlschläge im Ernährungs-wesen und unserer Prüfungen im Ernährungswesen auf diesen Weg ge-wiesen wird. Sie wissen: wenn zu der Zeit, als es in Rußland noch keinenabsoluten Getreidemangel gab, die Mängel der Ernährungsorganisationendurch isoliertes, individuelles Vorgehen wettgemacht wurden, so wird dasweiterhin nicht mehr der Fall sein. Nur gemeinsame Anstrengungen, nur

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436 rW. 1 . Lenin

der Zusammenschluß aller derjenigen, die in den hungernden S tädten und

Gouvernements am schwersten leiden, wird uns helfen. Und das ist derWeg, auf den die Sowjetmacht euch ruft: Zusammenschluß der Arbeiter,ihrer fortgeschrittenen Abteilungen zur Agitation überall im Lande, zumKrieg um das Getreide gegen die Kulaken.

Unweit von Moskau, in den Nachbargouvernements Kursk, Orjol undTambow, haben wir nach Berechnungen vorsichtiger Fachleute heute nochan die 10 Millionen Pud Getreideüberschüsse. Wir sind bei weitem nichtimstande, diese Überschüsse einzusammeln und zu staatlichen Reservenzusammenzufassen.

Mit großer Kraftanspannung wollen wir uns an dieses Werk machen.In jedem Betrieb, wo vorübergehend Verzweiflung die Oberhand gewinnt,wo Menschen, vom Hunger gepeinigt, nicht mehr aus noch ein wissen undbereit sind, Gauklerlosungen von Leuten aufzugreifen, die zu den Metho-den von Kerenski, zur Erhöhung der Festpreise zurückkehren wollen, sollder klassenbewußte Arbeiter vortreten und sagen: Wir sehen Menschen,die an der Sowjetmacht verzweifeln — tretet ein in unsere Abteilung kämp-fender Agitatoren. Laßt euch nicht dadurch beirren, daß es so viele Bei-spiele gibt, wo diese Abteilungen zerfielen und sich dem Trunk ergaben.

An Hand eines jeden solchen Beispiels werden wir beweisen, nicht daß dieArbeiterklasse untauglich ist, sondern daß sie die Mängel der alten, aufRäuberei aufgebauten Gesellschaft noch nicht abgestreift hat und nicht miteinem Schlag abstreifen wird. Laßt uns unsere Anstrengungen vereinen,laßt uns Dutzende von Abteilungen schaffen, laßt uns ihre Aktionen zu-sammenfassen, und wir werden mit diesen Mängeln aufräumen. Genos-sen, erlauben Sie mir zum Schluß, Sie auf einige Telegramme hinzuweisen,wie sie sowohl der Rat der Volkskommissare als auch besonders unserErnährungskommissariat erhalten.

Genossen, im Zusammenhang mit der Ernährungskrise, mit der qual-vollen Hungersnot, die alle Städte erfaßt, haben wir Gelegenheit zu be-obachten, wie sich das Sprichwort bewahrheitet: „Ein gutes Wort ver-borgen ruht, ein schlechtes rasche Wirkung tut." Ich möchte Dokumentebekanntgeben, eingegangen bei Organen und Institutionen der Sowjet-macht nach Erlaß des Dekrets vom 13. Mai über die Ernährungsdiktatur,worin gesagt wird, daß wir nach wie vor nur auf das Proletariat rechnen.Die Telegramme geben Hinweise darauf, daß man draußen im Lande

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Qemeinsame Sitzung des Qesamtrussisdben Z£% , 437

bereits jenen Weg des Kreuzzugs gegen das Kulakentum, jenen Weg der

Organisierung der Dorfarmut eingeschlagen hat, den einzuschlagen wiraufrufen. Die Telegramme, die wir erhalten haben , sind ein Beweis dafür.Sollen sie doch in alle Hörner stoßen, sollen sie doch von dem Tschere-

wanin- und Gromanschen Glockenturm aus Panik verbreiten, sollen vondort Stimmen laut werden, die zur Vernichtung und Niederreißung derSowjetmacht aufrufen! Wer arbeitet, wird von dieser Panikmacherei amallerwenigsten beunruhigt sein: er wird auf die Tatsachen eingehen, erwird sehen, daß es mit der Arbeit vorwärts geht und daß immer neueReihen sich zusammenschließen, daß es solche Reihen gibt.

Es bildet sich eine neue Form des Kampfes gegen die Kulaken, die Formdes Zusammenschlusses der Dorfarmut, der man helfen, die man ver-einigen muß. Wir müssen helfen, wenn man uns Prämien für Getreide-zufuhr in Vorschlag bringt. W ir sind bereit, den armen Bauern diese Prä-mien zu geben, und w ir sind schon dazu übergegangen. Gegen die Kulakenaber, gegen die Verbrecher, die das Volk durch Hunger quälen, derent-wegen Dutzende von Millionen leiden, gegen sie wenden wir Gewalt an.Der Dorfarmut geben wir alle möglichen Prämien, sie hat ein Recht dar-auf. Die armen Bauern haben zum ersten Male Zutritt zu den Gütern des

Lebens erhalten, und wir sehen, daß ihr Leben kümmerlicher ist als dasder Arbeiter. Dieser Dorf armut werden wir alle möglichen Prämien geben,wir werden ihr helfen, wenn sie uns helfen wird, die Getreideablieferungzu organisieren und von den Kulaken Getreide zu erhalten. Und damitdas in Rußland zur Wirklichkeit werde, dürfen wir keinerlei Aufwendun-gen scheuen.

Diesen Weg haben wir bereits beschritten. Jede Erfahrung der klassen-bewußten Arbeiter und neue Abteilungen werden ihn weiter und weiterbahnen.

Genossen, die Arbeit ist in Gang gekommen, die Arbeit läuft. Wir er-warten keinen schwindelerregenden Erfolg, aber der Erfolg wird sich ein-stellen. Wir wissen, daß wir jetzt in eine Periode neuer Verheerungeneintreten, in den Zeitraum der mühseligsten, der schwersten Perioden derRevolution. Es wundert uns keineswegs, daß die Konterrevolution ihrHaupt erhebt, daß auf Schritt und Tritt die Zahl der Schwankenden, dieZahl der Verzweifelnden in unseren Reihen zunimmt. Wir sagen: Hörtauf zu schwanken, laßt ab von eurer Verzweiflungsstimmung, die die

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438 W. J. Lenin

Bourgeoisie ausnutzen will, denn in ihrem Interesse liegt es, Panik hervor-

zurufen. Geht an die Arbeit! Mit unseren D ekreten über das Ernährungs-wesen, mit unserem Plan, der sich auf die Dorf armut stützt, befinden wiruns auf dem einzig richtigen Wege. Angesichts der neuen geschichtlichenAufgaben rufen wir euch wieder und immer wieder zu neuem Elan auf.Diese Aufgabe ist unermeßlich schwierig, aber, ich wiederhole es noch-mals, sie ist auch eine ungewöhnlich dankbare Aufgabe. W ir kämpfen hierfür die Grundlage kommunistischer Verteilung, für die wirkliche Schaf-fung fester Grundpfeiler der kommunistischen Gesellschaft. An die Arbeitalle miteinander! Wir werden den Hunger besiegen und den Sozialismus

erkämpfen. (Beifall.)

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gemeinsame Sitzung des Qesamtrussisdben Z£K 439

S C H L U S S W O R T Z U M R E F E R A T

4. J U N I 1918

Genossen, die Reden der Fraktionsredner haben, meiner Ansicht nach,das gezeigt, was zu erwarten gewesen war.

Ungeachtet des Unterschieds, der zwischen den Bolschewiki und man-chen Parteien und Gruppen besteht, haben wir uns davon überzeugt, daßder gewaltige Aufschwung in den Massen im Kampf gegen die Hungers-not zusammenschweißt und daß er nicht nur die bolschewistischen Orga-nisationen zusammenschweißt. Und je weiter der Kampf gegen die Hun-gersnot fortschreiten, je weitgehender sich die Konterrevolution entlarven

wird, die sich hinter dem Rücken der tschechoslowakischen und anderenBanden versteckt, desto stärker wird sich, d-ran zweifeln wir nicht, dieScheidung vollziehen zwischen den Anhängern der Bolschewiki, den werk-tätigen Arbeiter- und Bauernmassen, und jenen Feinden, wie immer siesich auch nennen mögen, deren Argumente wir bekämpfen. Diese Feindeführen nach wie vor dieselben alten, abgedroschenen Argum ente über denBrester Frieden und über den Bürgerkrieg ins Feld, als hätten in diesendrei Monaten, die seit dem Abschluß des Brester Friedens verflossen sind,die Ereignisse nicht eindeutig denjenigen recht gegeben, die da sagten, daß

nur die Taktik der Komm unisten dem Volk Frieden bringen und ihm freieHand geben wird für die Arbeit an der Organisation und am Zusammen-schluß, für die Vorbereitung neuer und großer Kriege, die ausbrechenwerden, wenn die Situation bereits eine andere ist. Die Ereignisse zeigenvollauf, daß das europäische Proletariat, das damals noch nicht zu Hilfekommen konnte, mit jedem Monat, das kann man heute ohne Übertrei-bung sagen, mit jedem Monat jener Situation näherkommt, wo der Auf-stand als eine Notwendigkeit klar erkannt wird und wo er unvermeidlich

29 Lenin, W erke, Bd. 27

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44 0 W. J. Cenin

wird. Die Ereignisse haben vollauf bewiesen, daß es nur die eine Wahl

gab, die Gewaltfrieden, Raubfrieden heißt.Jeder denkende Mensch fühlte, daß die rechten Sozialrevolutionäre aufdem III. Sowjetkongreß eine konterrevolutionäre Resolution eingebrachthatten; jeder Denkende muß angesichts der Resolution der Menschewikidas gleiche empfinden, die bis heute „Nieder mit dem Brester Frieden"schreien und so tun, als ob sie nicht wüßten, was dies tatsächlich bedeutet,nämlich daß sie uns mit Hilfe der tschechoslowakischen Aufrühre r12 6 undgedungener A genten in einen Krieg mit der deutschen Bourgeoisie hinein-zerren wollen.

Es lohnt nicht, auf den gegen die Kommunisten erhobenen Vorwurfeinzugehen, sie trügen die Schuld an der Hungersnot. Genauso war esauch während der O ktoberrevolution. Ein Sozialist oder Anarchist — nenntihn, wie es euch beliebt —, der nicht den Verstand verloren hat, kann nichtdie Stirn haben, vor irgendeiner Versammlung zu behaupten, man könneohne Bürgerkrieg zum Sozialismus gelangen.

Man mag die gesamte Literatur aller einigermaßen verantwortlichensozialistischen Parteien, Fraktionen und Gruppen durchsehen, bei keinemeinzigen verantwortlichen und ernsten Sozialisten wird m an einen solchen

Unsinn finden, daß irgendwann der Sozialismus anders kommen könneals durch den Bürgerkrieg und daß die Gutsbesitzer und Kapitalisten ihrePrivilegien freiwillig abtreten würden. Das ist eine Naivität, die an Dumm-heit grenzt. Und jetzt, nach einer Reihe von Niederlagen der Bourgeoisieund ihrer Anhänger, bekommen wir solche Eingeständnisse zu hören wiezum Beispiel das von Bogajewski, der am Don den für die Konterrevo-lution besten Boden von ganz Rußland hatte, der jedoch ebenfalls zugab,daß die Mehrheit des Volkes gegen sie sei — und darum werden ihnenkeinerlei Wühlereien der Bourgeoisie ohne ausländische Bajonette helfen.

Hier aber fällt man über die Bolschewiki wegen des Bürgerkriegs he r. D asheißt auf die Seite der konterrevolutionären Bourgeoisie übergehen, mitwelchen Losungen man das auch immer bemänteln mag.

Wie vor der Revolution, so weisen wir auch jetzt darauf hin, daß es ineiner Zeit, da das internationale Kapital den Krieg auf die Tagesordnungder Geschichte setzt, da Hunderttausende von Menschenleben zugrundegehen, da der Krieg die Sitten verändert und die Menschen daran ge-wöhnt, Fragen mit Waffengewalt zu entscheiden, daß es in einer solchen

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Qemeinsame Sitzung des Qesamtrussisöben ZEK 441

Zeit m ehr als seltsam ist, zu glauben, man könne aus diesem Krieg anders

herauskommen als durch seine Verwandlung in den Bürgerkrieg. Und das,was in Österreich, in Italien und in Deutschland heranreift, zeigt, daß derBürgerkrieg dort noch viel schroffere Formen annehmen, noch viel schärfersein wird. Für den Sozialismus gibt es keinen anderen Weg. Wer gegenden Sozialismus Krieg führt, der verrä t den Sozialismus vollständig.

Was die Maßnahmen auf dem Gebiet des Ernährungswesens betrifft,so hat man mir gesagt, ich sei auf diese Maßnahmen nicht ausführlich ein-gegangen. Das gehörte aber durchaus nicht zu meiner Aufgabe. Den Be-richt über die Ernährungslage haben meine Kollegen gegeben, die an

diesem Problem speziell gearbeitet — und nicht Monate, sondern Jahre ge-arbeitet — haben, die dieses Problem nicht nur in den Kanzleien von Petro-grad und Moskau studierten, sondern auch draußen im Lande, die sichpraktisch mit dem Studium der Frage beschäftigt haben, wie das Getreidegespeichert werden muß, wie die Speicher eingerichtet werden müssenusw. Diese Berichte wurden im Gesamtrussischen ZEK und im MoskauerSowjet gegeben, und dort findet man auch Materialien zu dieser Frage.Was aber die fachliche Kritik und die praktischen Hinweise betrifft, sowar das nicht meine Aufgabe. Für mich galt es, die Aufgabe, vor der wir

stehen, prinzipiell zu umreißen, und ich habe hier weder eine irgendwiebeachtenswerte Kritik noch eine vernünftige Bemerkung gehört, die eineprinzipielle Wertung verdient hätte. Zum Schluß, Genossen, möchte ichmeiner Überzeugung Ausdruck geben — ich bin sicher, daß das die Über-zeugung der gewaltigen Mehrheit sein wird —, daß die Aufgabe unsererVersammlung nicht darin besteht, eine bestimmte Resolution anzuneh-men — obgleich auch das gewiß wichtig ist, zeigt es doch, wie das Prole-tariat es versteht, seine Kräfte zusammenzuschweißen —. aber das istwenig, das ist unendlich wenig: wir müssen jetzt praktische Aufgabenlösen.

Wir wissen, besonders die Genossen Arbeiter wissen, wie im prak-tischen Leben auf Schritt und Tritt, in jeder Fabrik, jeder Versammlung,bei jeder zufälligen Straßenansammlung sich immer wieder die Frage derHungersnot in den Vordergrund drängt und daß sie immer schärfer ge-stellt wird. Und darum muß unsere Hauptaufgabe darin bestehen, auchdiese Versammlung, in der wir mit Vertretern des Gesamtrussischen ZEK,des Moskauer Deputiertensowjets und der Gewerkschaften zusammen-

29*

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442 . W. 7. £enin

gekommen sind, zum Ausgangspunkt einer Umwälzung in unserer ganzen

praktischen Arbeit zu machen. Alles übrige muß gänzlich dem einen unter-geordnet werden, daß unsere Propaganda, unsere Agitation und unsereorganische Arbeit erfolgreich sei, daß der Kampf gegen den Hunger völligin den Vordergrund gestellt und voll und ganz mit der Frage des prole-tarischen, schonungslos harten Kampfes gegen die Kulaken und Speku-lanten verbunden w erde.

Unser Kommissariat für Ernährungswesen hat sich schon an die Be-triebskom itees, an die Gewerkschaften und an jene großen proletarischenZentren gewandt, wo wir unmittelbar wirken müssen, hat an die engen

und zahlreichen Verbindungen erinnert, welche die Moskauer Arbeitermit Hunderttausenden organisierten Arbeitern der Fabriken und Werkesämtlicher bedeutenden Industriebezirke verknüpfen.

Um so mehr m üssen wir das ausnutzen.Die Lage ist kritisch. Die Hungersnot droht nicht nur, die Hungersnot

ist da. Es ist nötig, daß jeder Arbeiter, jeder Parteifunktionär sich sofortpraktisch die Aufgabe stellt, die Grundrichtung seiner Tätigkeit zu ändern.

Alle hinein in die Fabriken, unter die Massen, alle müssen sich sofortpraktisch an die Arbeit machen! Die Arbeit wird uns eine Menge prak-

tischer Fingerzeige geben, die uns viel reichere M ethoden erschließen w er-den, und sie wird gleichzeitig auch neue Kräfte erkennen und aufrückenlassen. Mit diesen neuen Kräften werden wir die Arbeit breit entfalten.Wir sind fest davon überzeugt, daß die drei Monate, die viel schwerersein werden als die vorhergehenden — uns dazu dienen werden, unsereKräfte zu stählen, daß sie uns zum vollen Sieg über den Hunger führenund die Erfüllung aller Pläne der Sowjetmacht erleichtern werden. (Bei-fal l . )

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Qemeinsame Sitzung des Qesamtrussisdben Z£X 443

E N T W U R F D E R R E S O L U T I O N Z U M R E F E R A TO B E R D E N K A M P F G E G E N D I E H U N G E R S N O T * "

4. J UNI 1918

Die gemeinsame Sitzung macht alle Arbeiter und werktätigen Bauern

darauf aufmerksam, daß die Hungersnot, die in vielen Gegenden des Lan-des ausgebrochen ist, von uns die entschlossensten und härtesten Kampf-maßnahmen gegen das Unheil erfordert.

Die Feinde der Sowjetmacht, die Gutsbesitzer, Kapitalisten und Kulakensamt ihrem zahlreichen Troß, möchten sich das Unheil zunutze machen,um Unruhen anzuzetteln, um Zerrüttung und Desorganisation zu ver-größern, um die Sowjetmacht zu stürzen, um die alten Zustände derKnechtschaft und Sklaverei für die Werktätigen wieder einzuführen undum die Macht der Gutsbesitzer und Kapitalisten wiederherzustellen, wie

dies in der Ukraine geschah.Nur die äußerste Anspannung aller Kräfte der Arbeiterklasse und derwerktätigen Bauernschaft kann das Land vor der Hungersnot retten unddie Errungenschaften der Revolution vor den Anschlägen der Ausbeuter-klassen sichern.

Die gemeinsame Sitzung erkennt die feste Politik, die die Sowjetmacht imKampfe mit dem Hunger befolgt hat, als unbedingt und einzig richtig an.

Nur die eiserne revolutionäre Ordnung auf allen Gebieten des Lebens,insbesondere im Eisenbahn- und Schiffsverkehr, nur die eiserne Disziplin

der Arbeiter, nur deren selbstlose Hilfe durch Abteilungen von Agitatorenund Kämpfern gegen die Bourgeoisie, gegen die Kulaken, nur die selb-ständige Organisation der Dorfarmut können das Land und die Revolu-tion retten.

Zu dieser Arbeit, zur einmütigen und gemeinsamen Arbeit, welche Zer-rüttung, Unordnung und zersplitterte Aktionen überwindet, ruft die ge-meinsame Sitzung alle Arbeiter und Bauern dringend auf.

dem ^Manuskript.

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R ED E A U F D E M G E S A M T R U S S I S C H E N K O N G R E S S

D ER I N T E R N A T I O N A L I S T I S C H E N L E H R ER 1 2 8

5. J U N I 1 9 1 8

Kurze protokollarische Niederschrift

( D e r K o n g r e ß e m p f ä n g t L e n i n m i t s t ü r m i s c h e n O v a -ti o n e n .) Lenin begrüßt den Kongreß im Namen des Rats der Volkskom-missare und führt aus, daß die Lehrerschaft, die früher nur langsam zurZusammenarbeit mit der Sowjetmacht übergegangen sei, sich jetzt immermehr davon überzeuge, daß diese gemeinsame Arbeit notwendig ist. Ana-loge Verwandlungen aus Gegnern der Sowjetmacht in deren Anhänger

seien auch in anderen Gesellschaftsschichten sehr zahlreich.Die Armee der Lehrer muß sich gewaltige Aufklärungsaufgaben stellen,

sie muß vor allem zur Hauptarmee der sozialistischen Aufklärung wer-den. Es gilt, das Leben und das Wissen von der Unterwerfung unter dasKapital, vom Joch der Bourgeoisie zu befreien. Man darf sich nicht aufden engen Rahmen der Tätigkeit als Lehrer beschränken. Die Lehrerschaftmuß sich mit der ganzen kämpfenden Masse der Werktätigen verschmel-zen. Es ist die Aufgabe der neuen Pädagogik, die Lehrertätigkeit mitder Aufgabe der sozialistischen Organisierung der Gesellschaft zu ver-knüpfen.

Gesagt werden muß, daß die Hauptmasse der Intellektuellen des altenRußlands sich als direkter Gegner der Sowjetmacht erweist und daß eszweifellos nicht leicht sein wird, die dadurch entstehenden Schwierigkeitenzu überwinden. Der Prozeß der Gärung unter den breiten Lehrermassenbeginnt eben erst, und die wahren Volkslehrer dürfen sich nicht in derOrganisation des Gesamtrussischen Lehrerverbands abkapseln, sondernmüssen voll Zuversicht mit der Propaganda unter die Massen gehen. Die-

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Rede auf dem Kongreß internationaUstisdier Lehrer 445

ser Weg führt zum gemeinsamen Kampf des Proletariats und der Lehrer-

schaft für den Sieg des Sozialismus. (Unter dem Beifall des gan-z e n S a a l e s v e r l ä ß t L e n i n d i e V e r s a m m l u n g . )

Ein Zeitungsberidht wurde !Nadh dem ü'ext des „Sammel-am 6. Juni i9i8 in den bandes des Qesam trussisdbenJswestija'WZJX" 9Vr. iu Verban des internationalisti-veröftentlidht. sdoer Lehrer" Tir.i, i9is.

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446

TELEGRAMM AN J. W. STALIN

ZARIZYNAN DIE VOLKSKOMMISSARE

S TA L IN U N D S C H L J A P N I K O W

Dritte Depesche und Memorandum Stalins habe ich erhalten.129 Er-greifen alle Maßnahmen. Zjurupa erklärt, Geld wird bestimmt morgenabgesandt, Verladung der Waren bereits für heute befohlen. SendetDurchgangszüge mit verdreifachter Bewachung. Saboteure und Banditen

festnehmen und hierher schicken.

Vorsitzender des Rats der VolkskommissareCentn

Qesdbrieben spätestensam ii.Juni i9i8.Zuerst veröftentUdht I93i "Nadb dem Manuskript.

im Lenin-Sammelband XVIII.

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Ü B ER D I E A B T E I L U N G E N

F Ü R L E B E N S M I T T E L B E S C H A F F U N G 1 3 0

Rede in Moskauer Arbeiterversammlungen20. Juni 1918

Kurzer Zeitungsbericht

Bei meinen Besuchen in Moskauer Arbeitervierteln habe ich die festeÜberzeugung gewonnen, daß die Arbeitermassen alle von der Erkenntnisder Notwendigkeit durchdrungen sind, Lebensmittelbeschaffungsabteilun-gen zu bilden. „Mißtrauisch" verhalten sich nur die Buchdrucker, die ge-wöhnlich besser leben als die übrigen Arbeiter, und zwar für Rechnungder Bourgeoisie, die die arme Bevölkerung durch ihre Presseverleumdun-gen verseucht. Die bewußte Einstellung breiter Arbeitermassen zu einerso wesentlichen Frage der russischen Revolution, wie es der Kampf gegendie H ungersnot ist, berechtigt mich zu dem Glauben, daß das sozialistischeRußland alle zeitweiligen Rückschläge sowie die von dem alten Regimehinterlassene Zerrüttung glücklich überwinden wird. Selbst wenn es unsnicht gelingen sollte, mit den Tschechoslowaken rasch Schluß zu machen(was am wenigsten wahrscheinlich ist), so werden uns doch die von Kula-ken in den Gouvernements Woronesh, Orjol und Tambow verborgen ge-haltenen großen Getreidereserven die Möglichkeit geben, die letzten zweischweren Monate bis zur nächsten Ernte durchzuhalten. Die Ernährungs-frage ist die brennendste Frage unserer Revolution. Ausnahmslos alle A r-beiter müssen begreifen, daß der Kampf ums Brot ihre eigene Sache ist.

Die Aufgabe der Abteilungen für Lebensmittelbeschaffung besteht nurdarin, zu helfen, bei den Kulaken die Getreideüberschüsse einzuziehen,nicht aber darin, bei Erfüllung dieser Aufgabe unterschiedslos allen alleswegzunehmen (womit unsere Feinde von vornherein das Dorf zu schrek-ken suchen)... Für das Getreide werden unbedingt Textilien, Garne,Haushaltswaren und landwirtschaftliche Geräte zur Verfügung gestellt.

Wir werden es so einrichten, daß Banditen und Gaunern, die stets ver-

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448 W. 7. Lenin

suchen, im trüben zu fischen, der Zutritt zu den aufs Land gehenden Ab-

teilungen verw ehrt w ird. Es ist besser,weniger, dafür aber geeignete Men-schen dorthin zu senden.

Es ist allerdings vorgekommen, daß in die Abteilungen Arbeiter ein-drangen, die nicht standhaft, nicht charakterfest waren, die von den Ku-laken mit Schnaps bestochen wurden. Darauf aber wird geachtet... Manmuß über die Vergangenheit eines jeden mit der Abteilung hinausfahren-den Arbeiters genaue Angaben besitzen. Es gilt, im Betriebskomitee, inder Gewerkschaft und ebenso in den Parteizellen Erkundigungen darübereinzuziehen, was für ein Mensch es ist, dem die Arbeiterklasse eine so

wichtige Sache anvertraut.In vielen Betrieben wollen Parteigenossen keine „Parteilosen" in die

Abteilung aufnehmen. Das wäre ganz verfehlt. Ein „parteiloser", abervöllig ehrlicher Mensch, dem nichts Schlechtes nachgesagt werden kann,kann im Getreidefeldzug der Hungrigen ein sehr wertvoller Kameradsein.

Solchen klassenbewußten Abteilungen wird der Rat der Volkskom-missare weitgehende Hilfe erweisen sowohl in Form von Geld und T exti-lien als auch von Warfen.

Wichtig ist nur, daß die Arbeiter tatkräftig und rasch ihre lebenswich-tige Sache — den Kampf gegen die Hungersnot — in Angriff nehmen!..,

„ Bednota" 5Vr. 69, 7la6i dem 7 ext der „ Bednota".21. Juni i9i8.

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R ED E A UF E I N E R K U N D G E B U N G I M S O K O L N I K I - K L U B

21 . J U N I 1 9 1 8

Kurzer Zeitungsbericht

Unsere Partei ha t es sich zur Aufgabe gemacht, heute in Moskau mög-lichst viele Versammlungen abzuhalten, um die Arbeiterklasse auf dieLage aufmerksam zu machen, in der sich die Sowjetmacht befindet, undihr klarzumachen, welche Anstrengungen sie aufbieten muß, um der ent-standenen Lage Herr zu werden.

Ihr wißt, wie die Konterrevolution in den letzten Monaten und ganzbesonders in den letzten Wochen ihr Haupt erhoben hat. Die rechtenSozialrevolutionäre und die Menschewiki beschuldigen die Sowjetmacht,

daß sie Rußland an den deutschen Imperialismus verraten habe und ver-rate.W ir haben jedoch, sehr gut gesehen, was im Kaukasus vor sich ging und

vor sich geht, wo die kaukasischen Menschewiki ein Bündnis mit dem tür-kischen Imperialismus geschlossen haben, und in der Ukraine, wo dieukrainischen rechten Sozialrevolutionäre ein Bündnis mit dem deutsebenImperialismus geschlossen haben. Nicht genug damit, Genossen, daß dortalle Errungenschaften der Sowjetmacht zunichte gemacht worden sind,daß dort Arbeiter verhaftet und erschossen werden, daß den Arbeitern

dort alle Errungenschaften genommen wurden, haben sie dort Skoropadskieingesetzt. Alle diese ihre Maßnahmen können ihnen natürlich keineSympathien bei der Arbeiterklasse erwerben. Deshalb eben setzt dieKonterrevolution im gegenwärtigen Augenblick ihre ganze Hoffnung aufdie Müdigkeit des russischen Volkes, auf den Hunger. Sie unternimmt dieletzten Versuche zum Sturz der Sowjetmacht.

Jetzt klammern sie sich an die Tschechoslowaken, die, wie gesagt wer-den muß, durchaus nicht gegen die Sowjetmacht vorgehen. Gegen die

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450 W. 7. Lenin

Sowjetmacht gehen nicht die Tschechoslowaken vor, sondern ihr konter-

revolutionäres Offizierskorps. Der Imperialismus ist bestrebt, Rußlandmit Hilfe dieses Offizierskorps in das fortdauernde Weltgemetzel hinein-zuzerren.

Was charakteristisch ist: sobald irgendwo die Macht in die Hände derMenschewiki und der rechten Sozialrevolutionäre übergeht, stellt sich so-fort heraus, daß sie uns mit irgendeinem Skoropadski beglücken wollen.Sobald aber die Massen sich davon überzeugen, wohin sie von den Men-schewiki und den rechten Sozialrevolutionären geführt worden sind, blei-ben diese ohne die Un terstützung der Massen.

M an verläßt sie. Dann nehmen sie als letzte Hoffnung ihre Zuflucht zu rSpekulation auf die Hungersnot, und wenn auch dabei nichts heraus-kommt, verschmähen sie selbst M ethoden nicht wie den Meuchelmord.

Ihr alle wißt, daß der alte Funktionär Genosse W olodarski1S 1, der seineÜberzeugung mit Leiden und Entbehrungen bezahlt hat, ermordet wor-den ist. Es ist natürlich möglich, daß es ihnen gelingt, noch einige aktiveFunktionäre der Sowjetmacht zu ermorden, aber das wird nu r die Sowjet-macht in den Massen festigen und uns dazu bewegen, an unseren Errun-genschaften noch entschlossener festzuhalten.

Gegenwärtig sind es zwei Um stände, die die Sowjetrepublik in eine be-sonders schwere Situation bringen: die Hungersnot und die internationaleLage.

Die internationale Lage ist deshalb schwer, weil der deutsche, der fran-zösische und der englische Imperialismus nur auf den Augenblick warten,um sich noch und noch einmal auf die Sowjetrepublik zu stü rzen. Die Auf-gabe unserer Partei besteht darin , das Joch des Kapitalismus abzuwerfen;dieses Abwerfen kann nur geschehen durch eine internationale Revolution.Aber, Genossen, ihr müßt einsehen, daß Revolutionen nicht auf Bestellung

gemacht werden. W ir sind uns bewußt, daß die Lage der Russischen Repu-blik sich so gestaltet hatte, daß es der russischen Arbeiterklasse als erstergelang, das Joch des Kapitals und der Bourgeoisie abzuschütteln, und wirsind uns bewußt, daß das nicht darum gelungen ist, weil die russischeArbeiterklasse entwickelter und ideal wäre, sondern darum, weil unserLand ein besonders rückständiges Land ist.

Der Kapitalismus wird dann endgültig gestürzt werden, wenn sich zu-mindest einige Länder zu solchem Sturmangriff vereinigen. Und wir wis-

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Rede auf einer Kundgebung im Sokolniki-Xlub 451

sen, daß wir es trotz aller Strenge der Zensur in allen Ländern doch er-

reicht haben, daß in allen Versammlungen die Erwähnung der Partei derKommunisten und des Namens der Russischen Republik Stürme der Be-geisterung auslöst. ( S tü r m is c h e r B eifa l l . )

W ir sagen: Solange dort im Westen das Weltgemetzel anhält, sind wirgesichert. Welche Folgen auch immer der Krieg nach sich ziehen mag, erwird unausbleiblich eine Revolution hervorrufen, die unser Verbündeterist und sein wird.

Nach einer Charakteristik der schweren Lage Sowjetrußlands, das vonäußeren Feinden umgeben und im Innern dem Druck der Konterrevolution

ausgesetzt ist, geht Lenin zur Frage der Hungersnot über.Unsere Revolution läßt die imperialistischen Klassen erzittern, die klarerkennen, daß ihre Existenz.davon abhängt, ob ihr Kapital erhalten blei-ben wird oder nicht; darum müssen wir durchhalten und Hand in Handmit der Klasse gehen, mit der zusammen wir die Errungenschaften derOktoberrevolution erfochten haben.

In den Kampf gegen die Hungersnot ziehen wir mit derselben Klasse.Jetzt gilt es, für einen, für anderthalb oder zwei Monate — es wer-

den die schwersten sein — alle Kräfte und alle Energie einzusetzen.

Im Leben der Völker hat es Augenblicke gegeben, wo die Staatsmachtin die Hände der Arbeiterklasse überging, diese aber nicht die Kraft hatte ,die Macht zu behaupten. Wir jedoch sind dazu imstande, weil wir dieSowjetmacht haben, welche die Arbeiterklasse vereinigt, die ihre eigeneSache in Angriff genommen hat.

Wie schwer unsere Lage auch sein mag, was für Verschwörungen dierechten Sozialrevolutionäre mit den Tschechoslowaken auch anstiftenmögen, wir wissen, daß selbst in den Gouvernements, die die Hauptstadtumgeben, Getreide vorhanden ist. Und dieses Getreide müssen wir neh-

men, wobei wir das Bündnis der Arbeiterklasse mit der armen Bauern-schaft erhalten und festigen müssen.Abteilungen von Rotarmisten verlassen die Hauptstadt mit den besten

Absichten, mitunter aber erliegen sie, an Ort und Stelle angelangt, derVersuchung, zu plündern und zu trinken. Daran ist das vierjährige Ge-metzel schuld, das die Menschen auf lange Zeit in Schützengräben ver-pflanzte und sie zwang, vertiert aufeinander einzuschlagen. Diese Vertie-rung läßt sich in allen Ländern beobachten. Jahre werden vergehen, bis

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452 IV. 1 Centn

die Menschen aufhören, wilde Tiere zu sein, bis sie wieder Menschen

werden.Wir wenden uns an die Arbeiter mit dem Appell, alle ihre Kräfte ein-zusetzen.

Wenn ich die Meldung lese, daß im Usmansker Kreis des Gouverne-ments Tambow eine Abteilung für Lebensmittelbeschaffung von denrequirierten 6000 Pud Getreide 3000 Pud der armen Bauernschaft abgibt,so sage ich: Selbst wenn man mir bewiese, daß es bisher nur eine einzigesolche Abteilung in Rußland gibt, würde ich dennoch sagen, daß die So-wjetmacht ihr W erk verrichtet. Denn in keinem andern Staate gibt es eine

solche Abteilung! ( S tü rm is c h e r B eifa l l . )Die Bourgeoisie ist sich sehr wohl ihrer Interessen bewußt und tut allesErdenkliche, um sie zu w ahren. Sie ist sich bew ußt, daß alle ihre Hoffnun-gen auf Restauration zusammenbrechen werden und daß die Sowjetmachterstarken w ird, wenn die Bauern in diesem H erbs t zum erstenmal seit vie-len Jahrhunderten die Früchte ihrer eigenen Arbeit ernten und die werk-tätige Klasse der Städte versorgen werden. Deshalb eben läßt die Bour-geoisie jetzt alle M inen springen.

Es ist notwendig, alle Kräfte anzuspannen zum Kampfe gegen die rei-

chen Bauern, gegen die Spekulanten und gegen die städtische Bourgeoisie.Eines der größten Ü bel unserer Revolution ist die Zaghaftigkeit unsererArbeiter, die bis jetzt davon überzeugt sind, daß zur Verwaltung desStaates nur „Oberste" (Oberste im Raubwesen) berufen sind.

In jeder Fabrik, in jedem Werk jedoch gibt es gute Arbeiter. Mögen sieauch parteilos sein — ihr müßt sie zusammenschweißen und vereinigen, derStaat aber wird alles tun, was möglich ist, um ihrer schwierigen A rbeit denErfolg zu sichern. ( S tü r m i s c h e r Be ifal l . )

„Iswestija WZ3X" 3Vr. 127 und 128, 7!aä> dem 7ext der22. und 23. Juni l9iS. Jswestija "W2.TK",

,Prawda" 5Vr. 126, 23. Juni 1P1S. verglichen mit dem7ext der „Vrawda".

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4 53

T E L E G R A M M Ü BE R D I E O R G A N I S I E R U N G

V O N A B T E I L U N G E N

F Ü R L E B E N S M I T T E L B E S C H A F F U N G 1 3 2

Da es für die Entsendung eines Delegierten des Kommissariats für Er-nährungswesen, zum Kongreß zu spät ist, bitte ich, dem Kongreß folgendesmitzuteilen: Die zur Sowjetmacht stehenden Kongreßteilnehmer müssendaran denken, erstens, daß das G etreidemonopol zugleich mit dem Mono-pol für Textilwaren und andere wichtigste Bedarfsartikel verwirklicht

wird, zweitens, daß die Forderung auf Abschaffung des Getreidemonopolsein politischer Schritt der konterrevolutionären Schichten ist, die bestrebtsind, dem revolutionären Proletariat das System der M onopolpreisregulie-rung als eines der wichtigsten Mittel des allmählichen Übergangs vomkapitalistischen Warenaustausch zum sozialistischen Produktenaustauschaus der Hand zu schlagen. Machen Sie dem Kongreß klar, daß die Auf-hebung des Getreidemonopols für den Kampf gegen die Hungersnot nichtnur zwecklos, sondern schädlich ist. Ein Beispiel dafür bietet die Ukraine,wo Skoropadski das Getreidemonopol aufgehoben hat und wo infolge-

dessen nach wenigen Tagen die Getreidespekulation so unerhörte Aus-maße annahm, daß das ukrainische Proletariat heute ärger hungert alsunter dem Monopol.

Verweisen Sie darauf, daß das einzig richtige Mitteln zur Erhöhungder Brotrationen der Beschluß des Rats der Volkskommissare ist, beiden Kulaken gewaltsam Getreide zu requirieren und es der Stadt-und Dorfarmut zu geben. Dazu ist es notwendig, daß die Armen rechtrasch und entschlossen in die Reihen der Lebensmittelbeschaffungsarmee

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454 W. 3. Lenin

eintreten, die vom Volkskommissariat für Ernährungswesen gebildet

wird.Schlagen Sie dem K ongreß vor, unter der Arbeiterschaft unverzüglich

die Agitation für den Eintritt in die Lebensmittelbeschaffungsarmee desPensaer Deputiertensowjets zu entfalten, und zwar unter Einhaltung fol-gender Regeln: 1. Jede Fabrik stellt für je 25 Arbeiter einen M ann. 2. DieMeldungen zur Lebensmittelbeschaffungsarmee werden vom Betriebs-komitee entgegengenommen, das eine namentliche Liste der Mobilisiertenin zwei Exemplaren aufzustellen hat: ein Exemplar wird dem Volkskom-missariat für Ernährungswesen zugestellt, das andere bleibt im Betriebs-

komitee. 3. Der Liste sind Bürgschaften beizufügen für die persönlicheGewissenhaftigkeit und revolutionäre D iszipliniertheit eines jeden Kandi-daten, ausgestellt vom Betriebskomitee oder von der Gewerkschaftsorgani-sation oder einem Sowjetorgan oder von verantwortlichen Vertreternsowjetischer Institutionen. Die Auswahl der Teilnehmer der Lebensmittel-beschaffungsarmee hat so zu erfolgen, daß dem Namen derjenigen, diezum Kampf gegen das Häuflein räuberischer Kulaken, für die Rettung derMillionenmassen der Werktätigen vom Hungertode aufs Land hinaus-ziehen, später nicht der geringste Makel anhaftet.

Genossen Arbeiter, nur unter dieser Bedingung wird es für alle offen-kundig sein, daß die Getreiderequisition bei den Kulaken keine Plünde-rung ist, sondern revolutionäre Pflicht gegenüber den Arbeiter- und

. Bauernmassen, die für den Sozialismus kämpfen!4. In jeder Fabrik wählen die Mobilisierten aus ihrer Mitte einen Ver-

treter, der alle erforderlichen organisatorischen Schritte unternimmt, da-mit die von der Fabrik vorgeschlagenen Kandidaten faktisch durch dasVolkskommissariat als Mitglieder in die Lebensmittelbeschaffungsarmeeeingereiht werden. 5. Die in die Armee Eingereihten erhalten ihren frühe-

ren Lohn sowie Verpflegung und Ausrüstung vom Tag ihres tatsächlichenEintritts in die Armee. 6. Die in die Armee Eingereihten verpflichten sichzur widerspruchslosen Ausführung der Instruktionen, die das Volkskom-missariat für Ernährungswesen bei der Entsendung der einzelnen Abtei-lungen in die Provinz erteilen wird, und sind den Kommissaren dieserAbteilungen unterstellt. Wenn an die Spitze der zur Requirierung vonLebensmitteln entsandten Abteilungen überzeugte, der Oktoberrevolutiontreu ergebene Sozialisten gestellt werden, so werden, dessen bin ich sicher,

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Organisierung von Abteilungen für Cebensmittelbesdhaffung 455

diese Abteilungen es verstehen, Komitees der Dorfarmut zu organisieren,

und werden gemeinsam mit diesen sogar ohne Anwendung von Waffen-gewalt den Kulaken das Getreide abnehmen können.

27. Juni 1918 D er Vorsitzende des Rats der Volkskomm issareLenin

Veröffentlicht im Juli i9ii Nad h dem 7ext derin der Zeitschrift „Jswestija Zeitsdorift.Narodnowo Komissariata poProdowolstwiju" CNadhridjten •

des Volkskommissariats fürErnährungswesen) SVr. iolli.

30 Lenin, W erke , Bd. 27

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IV. KO NFE REN Z

DER GEWERKSCHAFTEN UND DER BETRIEBSKOMITEES

MOSKAUS133

27. Ju n i- 2 . Juli 1918

Kurze Berichte wurden am

28. "Juni 1918 in der „Vrawda""Nr. 130 und in den „Istvestija WZJK'

7ir. 132 veröftentlidht.

Vollständig veröjfentlidit 1918 in dem TJad) dem 7ext des Budbes,Buch „Protokolle der IV. Konferenz der verglichen mit dem Stenogramm.Betriebskomitees und der QewerkschaftenMoskaus". Verlag des gesamtrussischenZentralrats der Qewerkschaften.

30*

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BERICHT OBER DIE GEGENWÄRTIGE LAGE27. JUNI 1918

Genossen! Sie wissen natürlich alle, wie sich über unserm Land jetzt dasallergrößte Unheil zusammengezogen ha t — die Hungersnot. Ehe wir nunübergehen zu der Frage nach den Kampfmaßnahmen gegen dieses Unheil,das sich gerade, jetzt am meisten verschärft hat, müssen wir vor allem dieFrage aufrollen, welche grundlegenden Ursachen es hervorgerufen haben.W enn wir diese Frage aufwerfen, so müssen wir uns sagen und daran den-ken, daß dieses Unheil heute nicht nur über Rußland, sondern über alle,selbst die kulturell höchststehenden, fortgeschrittensten, zivilisiertesten

Länder hereingebrochen ist.Im Laufe der letzten Jahrzehnte, ganz besonders aber jetzt, während

der Revolution, kam es in Rußland mehr als einmal vor, daß über ganzeGebiete unseres Agrarlands, in welchem die übergroße Mehrzahl der rus-sischen Bauernschaft von Zaren, Gutsbesitzern und Kapitalisten ruiniertund unterjocht war, die Hungersnot hereinbrach. Aber auch in den west-europäischen Ländern herrscht das gleiche Unheil. Viele dieser Länderhatten seit Jahrzehnten, ja schon seit Jahrhunderten vergessen, was H un-gersnot ist — so hochentwickelt war ihre Landwirtschaft, so gut waren die-

jenigen der europäischen L änder, denen es an eigenem Getreide mangelte,durch gewaltige Mengen importierten Getreides versorgt. Heute aber, imzwanzigsten Jahrhundert, sehen wir neben einem noch größeren Fort-schritt der Technik, neben den Wundern der Erfindungen, neben der wei-testgehenden Anwendung von Maschinen und Elektrizität, von modernenVerbrennungsmotoren in der Landwirtschaft — neben alledem sehen wirheute in ausnahmslos allen europäischen Ländern das gleiche über die Völ-ker hereingebrochene Unheil — die Hungersnot. Es ist, als ob die Länder

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460 W. J. Lenin

mit der Zivilisation, mit der Kultur wieder zur Barbarei der U rzeit zurück-

kehrten, sie durchleben wieder den Zustand, daß die Sitten verwildern unddie Menschen im Kampf um das Stück Brot zu Tieren werden. Wodurchist diese Wendung zur Barbarei in einer ganzen Reihe europäischer Län-der, in ihrer Mehrzahl, hervorgerufen? Wir wissen alle, daß das durchden imperialistischen Krieg hervorgerufen ist, durch den Krieg, der schonvier Jahre lang die Menschheit zerfleischt, der die Völker schon mehr, be-deutend mehr als zehn Millionen junger Menschenleben kostet, durch denKrieg, der von den profitgierigen Kapitalisten entfacht worden ist, durchden Krieg, der darüber entscheiden soll, wer, welcher der größten Räu-

ber, der englische oder der deutsche, die Welt beherrschen, Kolonien er-werben, die kleinen Völker würgen wird.

Dieser Krieg, der fast den ganzen Erdball erfaßte, der mindestens zehnMillionen Menschenleben verschlungen ha t, die M illionen Verstümmelter,Verkrüppelter und Kranker nicht gerechnet, der Krieg, der außerdem Mil-lionen der gesündesten und besten Kräfte der produktiven Arbeit entrissenhat — dieser Krieg ha t dazu geführt, daß die Menschheit sich heute im Z u-stand völliger Barbarei befindet. Es ist das in Erfüllung gegangen, was alsdas schlimmste, das qualvollste, das entsetzlichste Ende des Kapitalismus

zahlreiche Schriftsteller sozialistischer Richtung vorausgesehen hatten, alssie sagten: Die kapitalistische Gesellschaft, die darauf beruht, daß einHäuflein von Kapitalisten, von Monopolisten den Grund und Boden, dieFabriken, Werke und Produktionswerkzeuge als Privateigentum usurpierthat, wird sich in die sozialistische Gesellschaft verwandeln, die allein dieMöglichkeit hat, dem Krieg ein Ende zu setzen, denn die „zivilisierte", die„kultivierte" kapitalistische Welt geht einem unerhörten Zusammen-bruch entgegen, der geeignet ist, alle Grundlagen des Kulturlebens zusprengen, und sie unvermeidlich zerstören wird. Nicht nur in Rußland,

wie gesagt, sondern auch in den kulturell höchststehenden, fortgeschritten-sten Ländern wie Deutschland, wo die Arbeitsproduktivität unvergleich-lich höher ist, einem Land, das der W elt in gewaltigem Oberfluß technischeMittel liefern kann und, immer noch im freien Verkehr mit fernen Län-dern stehend, imstande ist, seine Bevölkerung mit Lebensmitteln zu ver-sorgen — selbst hier sehen wir Hunger, einen ungleich besser organisier-ten, auf längere Zeit als in Rußland verteilten, aber einen Hunger, dernoch schlimmer, noch qualvoller ist. Der Kapitalismus hat zu einem so

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IV . "Konferenz der Qewerksdhaften und der Betriebskomitees ̂ Moskaus 461

schweren und qualvollen Zusammenbruch geführt, daß es nunmehr allen

absolut ldar ist: ohne eine Reihe höchst schwerer und blutiger Revolutio-nen, von denen die russische Revolution nur die erste, nur der Anfang ist,kann der gegenwärtige Krieg nicht enden.

Sie hören jetzt Nachrichten darüber, daß zum Beispiel in Wien zumzweitenmal ein Arbe iterrat gebildet, daß die werktätige Bevölkerung zumzweitenmal von einem fast allgemeinen Massenstreik erfaßt wird.134 W irhören , daß es in Städten, die bisher Muster kapitalistischer Ordnung, Kul-tur und Zivilisation waren, wie z. B. Berlin, gefährlich wird, nach Eintrittder Dunkelheit auf die Straße zu gehen, weil trotz härtester Verf olgungs-

maßnahmen und strengster Überwachung Krieg und Hunger auch dortdie Menschen in einen Zustand völliger Verwilderung versetzt haben,zu einer solchen Anarchie, zu solcher Empörung geführt haben, daß nichtnur Handel mit Brot, sondern direkter Raub, direkter Krieg um das StückBrot in allen kultivierten, zivilisierten Staaten an der Tagesordnung ist.

Genossen, wenn w ir daher bei uns, in unserer H eimat, heute beobach-ten, welch qualvolle, schwere Lage im Zusammenhang mit der Hungers-not entstanden ist, so müssen wir den wenigen, aber immerhin noch vor-handenen gänzlich blinden, unaufgeklärten Leuten die wichtigsten und

hauptsächlichen Ursachen des Hungers erklären. Man kann bei uns nochLeute treffen, die so urteilen: Unter dem Zaren hat es doch immerhinBrot gegeben? dann ist die Revolution gekommen, und es gibt kein Brotmehr. Man begreift, daß für irgendwelche alten Weiber im Dorf die ganzegeschichtliche Entwicklung der letz ten zehn Jahre vielleicht wirklich daraufhinausläuft, daß es früher Brot gegeben hat und jetzt nicht mehr. Das istverständlich, weil der Hunger ein Unheil ist, das sämtliche anderen Fra-gen hinwegfegt, beiseite schiebt, sich allein in den Vordergrund dräng t undsich alles andere un terordnet. Unsere Aufgabe aber, die Aufgabe der klas-

senbewußten Arbeiter, besteht selbstverständlich darin, die breitestenMassen aufzuklären, alle Angehörigen der werktätigen Massen in Stadtund Land samt und sonders darüber aufzuklären, was die Hauptursachedes Hungers ist, denn ohne das klargestellt zu haben, können wir wederuns selbst noch die Angehörigen der werktätigen Massen zu der richtigenHaltung bringen, können kein ichtiges Verständnis erzielen für den Scha-den, den der Hunger stiftet, können nicht die feste Entschlossenheit unddie Stimmung schaffen, die für die Bekämpfung dieses Unheils erforderlich

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462 IV . 7. Lenin

ist. Wenn wir uns aber vergegenwärtigen, daß dieses Unheil durch den

imperialistischen Krieg erzeugt worden ist, daß jetzt selbst die reichstenLänder unerhörten Hunger leiden und die gewaltige Mehrheit der werk-tätigen Massen unglaubliche Qualen erduldet; wenn wir uns vergegen-wärtigen, daß dieser imperialistische Krieg schon vier Jahre lang die Arbei-ter der verschiedenen Länder zwingt, um der Vorteile, um der Profitgierder Kapitalisten willen Blut zu vergießen; wenn wir uns vergegenwärtigen,daß der Krieg desto auswegloser wird, je länger er sich hinzieht — dannwerden wir begreifen, welche gigantischen, unermeßlichen Kräfte der Be-wegung gegeben w erden m üssen.

Der Krieg währt schon bald vier Jahre. Rußland ist aus dem Krieg aus-geschieden, und da es allein ausschied, steht es zwischen zwei Rudelnimperialistischer Räuber, von denen jeder sich die zeitweilige Schutz- undWehrlosigkeit Rußlands zunutze macht,um es zu zerreißen, zu erwürgen.Schon vier Jahre zieht sich der Krieg hin. Die deutschen imperialistischenRäuber haben eine Reihe von Siegen erfochten und fahren fort, ihre Ar-beiter zu betrügen, von denen ein Teil, bestochen von der Bourgeoisie, aufderen Seite übergegangen ist und die niederträchtige blutige Lüge von derVaterlands Verteidigung wiederholt, während in Wirklichkeit die deutschen

Soldaten die eigennützigen Raubinteressen der deutschen Kapitalisten ver-teidigen, die ihnen versprechen, Deutschland werde Frieden, werde W ohl-stand bringen; praktisch aber sehen wir, daß die Siege Deutschlands, jegrößer sie werden, desto deutlicher Deutschlands hoffnungslose Lage offen-baren.

Zu r Zeit des Brester Friedens, beim Abschluß dieses gewaltsamen, aus-beuterischen, auf Gewalt, auf Unterjochung der Völker fußenden BresterVertrags, prahlte Deutschland, prahlten die deutschen Kapitalisten, siewürden den Arbeitern Brot und Frieden geben. Heute aber setzt man in

Deutschland die Brotration herab. Die Kampagne zur Eintreibung vonLebensmitteln in der reichen Ukraine erlitt, wie alle zugeben mußten,Schiffbruch, und in Österreich kam es wieder zu Hungerrevolten, zurMassenempörung des ganzen Volkes. Denn je mehr Siege Deutschlanddavonträgt, desto klarer w ird allen, selbst vielen V ertretern der deutschenGroßbourgeoisie, daß der Krieg ausweglos ist, daß die Deutschen, selbstwenn sie imstande sein sollten, an der Westfront Widerstand zu leisten,dadurch dem Kriegsende nicht im geringsten näher kommen, sondern daß

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IV. Konferenz der Qewerksdhaften und der Betriebskomüees Moskaus 463

dadurch noch ein neues geknechtetes Land geschaffen wird, das von deut-

schen Truppen okkupiert, besetzt werden müßte, und daß der Krieg wei-tergeführt werden müßte. Das führt zur Zersetzung der deutschen Armee,die sich aus einer Armee in eine Bande von Räubern verwandelt und immermehr verwandeln wird, von Menschen, die fremde Völker, wehrlose Völ-ker vergewaltigen und aus deren Ländern gegen den größten Widerstandder Bevölkerung die letzten Reste von Lebensmitteln und Rohstoffen her-auspumpen. Je w eiter Deutschland in die Grenzgebiete Europas vorrückt,desto klarer wird es, daß es England und Amerika gegen sich hat, unddiese sind viel entwickelter, verfügen über größere Produktivkräfte und

finden Zeit, Zehntausende der besten, frischen Kräfte nach Europa zusenden sowie alle Maschinen und alle Betriebe zu Mitteln der Zerstörungzu machen. Der Krieg beginnt aufs neue, und das bedeutet, daß jedes Jahr,ja jeder M onat eine Ausweitung dieses Krieges mit sich bringt. A us diesemKrieg gibt es keinen anderen Ausweg als die Revolution, als den Bürger-krieg, als die Umwandlung des von den Kapitalisten um ihre Profite, umdie Teilung der Beute, um die Unterwerfung der kleinen Länder geführ-ten Krieges in den Krieg der Unterdrückten gegen die Unterdrücker, inden einzigen Krieg, der in der Geschichte stets nicht nur die großen, son-dern überhaupt alle einigermaßen bedeutenden Revolutionen begleitet, inden einzigen Krieg, der vom Standpunkt der Interessen der werktätigen,der unterdrückten, der ausgebeuteten M assen ganz allein ein legitimer undgerechter, ein heiliger Krieg ist. ( B eif a ll .) Ohne einen solchen Krieg istaus der imperialistischen Sklaverei nicht herauszukommen. Wir müssen unsklar Rechenschaft darüber ablegen, welche neuen Nöte der Bürgerkriegfür jedes Land mit sich bringt. Dieses Elend wird um so schwerer sein, jehöher die Kultur des Landes ist. Stellen wir uns ein Land mit all seinenMaschinen, seinen Eisenbahnen in einem Bürgerkrieg vor, der den Ver-kehr zwischen den einzelnen Gebieten des Landes unterbindet. Man stelle

sich vor, in welcher Lage sich die Gebiete befinden werden, die seit Jahr-zehnten darauf eingerichtet waren, vom industriellen Warenaustausch zuleben, und m an wird begreifen, daß jeder Bürgerkrieg noch neue schwereUnbilden mit sich bringt, w ie sich das die bedeutendsten Sozialisten auchvorgestellt haben. Die Imperialisten verurteilen die Arbeiterklasse zu Un-bilden, zu Leiden und zum Aussterben. Wie schwer und qualvoll dieseLeiden der ganzen Menschheit auch sein mögen, so wird es angesichts der

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464 "W. 1 Lenin

neuen , der sozialistischen Gesellschaft doch mit jedem Tag k larer, daß den

Krieg, den die Imperialisten begonnen haben, nicht diese Imperialistenbeenden werden ; beenden werden ihn andere Klassen, die Arbeiterklasse,die in allen Ländern mit jedem Tag in immer größere Bewegung, Ent-rüstung und Empörung gerät, die, unabhängig von Gefühlen und Stim-mung, durch die Macht der Dinge zum Sturz der kapitalistischen Herr-schaft gezwungen wird. Wir müssen in Rußland zu einer Zeit, da die Nötedes Hungers sich besonders fühlbar machen, eine Periode durchleben, wiesie niemals einer Revolution bevorstand, und auf die unverzügliche Hilfeder westeuropäischen Genossen kann nicht gerechnet werden. Die ganze

Schwere der russischen Revolution besteht darin, daß es für die russischerevolutionäre Arbeiterklasse bedeutend leichter war als für die westeuro-päische Arbeiterklasse, die Revolution zu beginnen, daß es für uns aberschwerer ist, sie fortzusetzen. Dort, in den westeuropäischen Ländern, istes schwieriger, die Revolution zu beginnen, weil sich dort der hohe Standder Kultur gegen das revolutionäre Proletariat auswirkt und die Arbeiter-klasse sich in Kultursklaverei befindet.

Zugleich müssen wir schon infolge unserer internationalen Lage eineunglaublich schwere Zeit durchmachen, und wir, die Vertreter der werk-

tätigen Massen, wir Arbeiter, klassenbewußte Arbeiter, müssen in unsererganzen Agitation und Propaganda, in jeder Rede, in jedem Aufruf, injeder Aussprache im B etrieb, bei jedem Zusammentreffen mit Bauern denWerktätigen auseinandersetzen, daß das Unheil, das über uns hereinge-brochen ist, ein internationales Unheil ist, daß es aus ihm keinen anderenAusweg gibt als die internationale Revolution. Wenn wir eine so qualvollePeriode durchzumachen haben, wo wir zeitweilig allein geblieben sind, somüssen alle unsere Kräfte darauf gerichtet sein, diese schwere Zeit stand-haft zu ertragen, in dem Bewußtsein, daß wir schließlich ja nicht allein

sind, daß die Nöte, die wir durchleben, jedes europäische Land befallenund daß keines dieser Länder ohne eine Reihe von Revolutionen einenAusweg finden wird.

Über uns in Rußland ist die Hungersnot hereingebrochen, die dadurchverschärft wird, daß der Gewaltfrieden Rußland der getreidereichsten,der fruchtbarsten Gouvernements beraubt hat; sie wird noch dadurch ver-schärft, daß wir uns dem Ende der alten Aufbringungskampagne nähern.Bis zur neuen Ernte, die zweifellos reich sein wird , bleiben uns noch einige

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IV. Konferenz der Qewerksdhaften und der 'Betriebskomitees Moskaus 465

Wochen, die deshalb die schwerste Übergangszeit sind. Diese schon an

und für sich schwere Übergangszeit ist aber noch dadurch verschärft wor-den, daß die gestürzten Ausbeuterklassen der Gutsbesitzer und Kapita-listen in Rußland alle Anstrengungen aufbieten, alle Kräfte anspannen,um immer und immer wieder zu versuchen, die Macht zurückzuerlangen.Das ist eine der Hauptursachen dafür, daß gerade die getreidereichenGouvernements Sibiriens jetzt durch den tschechoslowakischen Aufstandvon uns abgeschnitten sind. Wir kennen aber sehr wohl die treibendenKräfte dieses Aufstands, wir wissen sehr wohl, wie die tschechoslowa-kischen Soldaten Vertretern unserer Truppen, unserer Arbeiter und unse-

rer Bauern erk lären, daß sie nicht gegen Rußland und die russische Sowjet-macht kämpfen w ollen, daß sie sich mit der Waffe in der Hand nur durch-schlagen wollen bis zur Grenze; doch stehen an ihrer Spitze dieselbenGenerale, Gutsbesitzer, Kapitalisten von gestern, die mit englisch-fran-zösischem Geld arbeiten und die Unterstützung der zu r Bourgeoisie über-gelaufenen russischen Sozialverräter genießen. (Beifall.)

Diese ganze famose Gesellschaft nu tzt die Hungersnot zu einem noch-maligen Versuch aus, den Gutsbesitzern und Kapitalisten wieder zur Machtzu verhelfen. Genossen, die Erfahrungen unserer Revolution bestätigen

die Worte, durch die sich die Vertreter des wissenschaftlichen Sozialismus,Marx und seine Anhänger, stets von den utopischen Sozialisten, von denkleinbürgerlichen. Sozialisten, von den intelligenzlerischen Sozialisten, vonden schwärmerischen Sozialisten unterscheiden. Intellektuelle Schwärmer,kleinbürgerliche Sozialisten — sie glaubten, glauben und schwärmen viel-leicht noch jetzt davon, daß es gelingen werde, den Sozialismus auf demW ege der Überzeugung einzuführen. Die Mehrheit des Volkes werde sichüberzeugen, und wenn sie sich überzeugt habe, werde die Minderheit sichfügen, die Mehrheit werde abstimmen, und der Sozialismus werde einge-

führt werden. (B e if a ll .) Nein, so glücklich ist die Erde nicht eingerichtet;die Ausbeuter, die Bestien von Gutsbesitzern, die kapitalistische Klasselassen sich nicht überzeugen. Die sozialistische Revolution bestätigt, wasalle gesehen haben — den allergrößten Widerstand der Ausbeuter. Je stär-ker der Druck der unterjochten Klassen ist, je näher sie dabei sind, jedesJoch, jede Ausbeutung abzuschütteln, je entschiedener die unterdrücktenBauern und unterdrückten Arbeiter ihre Initiative, ihre selbständige In-itiative entfalten, desto wütender wird der Widerstand der Ausbeuter.

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Und wir durchleben die schwerste, die qualvollste Periode des Über-

gangs vom Kapitalismus zum Sozialismus — eine Periode, die unvermeid-lich in allen Ländern eine lange, sehr lange Periode sein wird, weil, wiegesagt, die Unterdrücker auf jeden Erfolg der unterdrückten Klasse mitneuen und immer neuen Versuchen des Widerstands, des Sturzes derMacht der unterdrückten Klasse antworten. Der tschechoslowakische Auf-ruhr, offenkundig unterstützt vom englischen und französischen Imperia-lismus, dessen Politik auf den Sturz der Sowjetmacht gerichtet ist, zeigtuns, was es mit diesem Widerstand auf sich hat. Wir sehen, wie dieserAufruhr naturgemäß infolge des Hungers um sich greift. Man begreift,

daß es unter den breiten werktätigen Massen sehr viele Leute gibt, die —das wissen Sie besonders gu t: jeder von Ihnen beobachtet es in der Fabrik—keine aufgeklärten Sozialisten sind und es nicht sein können, denn siemüssen in der Fabrik schuften, und es bleibt ihnen weder die Zeit noch dieMöglichkeit, Sozialisten zu werden. Man begreift, daß diese Leute mitSympathie sehen, wie in der Fabrik Arbeiter aufsteigen, denen die Mög-lichkeit eröffnet wird, selber die Verwaltung der Betriebe zu erlernen —

eine mühselige, schwierige Sache, bei der Fehler nicht zu vermeiden sind,aber die einzige Sache, durch die die Arbeiter endlich ihr ständiges Be-streben verwirklichen können, daß die Maschinen, die Fabriken undW erke , die beste moderne Technik, die besten Errungenschaften derMenschheit nicht der Ausbeutung, sondern der Verbesserung des Lebens,der Erleichterung des Lebens der überwältigenden Mehrheit dienen sol-len. Wenn aber diese Menschen sehen, wie die imperialistischen Räubervom Westen, vom Norden und Osten her die Wehrlosigkeit Rußlandsausnutzen, um ihm das Herz aus dem Leibe zu reißen, und wenn sie einst-weilen nicht wissen, wie es mit der Arbeiterbewegung in den anderenLändern gehen wird, da werden sie begreiflicherweise von Verzweiflungerfaßt. Anders kann es gar nicht sein. Es wäre lächerlich zu erwarten und

sinnlos zu glauben, daß die auf Ausbeutung gegründete kapitalistische G e-sellschaft auf einmal das volle Bewußtsein von der Notwendigkeit desSozialismus und Verständnis für ihn hervorbringen könnte. Das kannnicht sein. Dieses Bewußtsein bilde t sich erst zu letzt und nur durch jenenKampf heraus, den man durchmachen muß in der qualvollen Periode, inder die eine Revolution den anderen vorausgeeilt ist, die anderen abernicht zu Hilfe kommen, und in der die Hungersnot naht. Natürlich be-

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IV. Konferenz der Qewerksdoaften und der 'Betriebskomitees Moskaus 467

mächtigt sich da mancher Schichten der Werktätigen unweigerlich Ver-

zweiflung und Unw illen, komm t eine Stimmung auf, alles, was es auch seinmöge, mit einer resignierten Handbewegung abzutun. Und es versteht sich,daß die Konterrevolutionäre, die Gutsbesitzer und Kapitalisten sowie ihreHehler und Spießgesellen diese Situation ausnutzen, um neue und immerneue Vorstöße gegen die sozialistische Staatsmacht zu unternehmen.

Wir sehen, wohin das in allen denjenigen Städten führte, wo es keineHilfe durch •ausländische Bajonette gab. W ir wissen, daß es nur dann ge-lang, die Sowjetmacht zu besiegen, wenn die Leute, die so viel Geschreivon Vaterlandsverteidigung und ihrem Patriotismus gemacht hatten, ihre

kapitalistische Natur offenbarten und anfingen, Abmachungen zu treffen,heute mit deutschen Bajonetten, um zusammen mit ihnen ukrainische Bol-schewiki niederzumetzeln, morgen mit türkischen Bajonetten, um über dieBolschewiki herzufallen, übermorgen mit tschechoslowakischen Bajonetten,um die Sowjetmacht in Samara zu stürzen und dort d ie Bolschewiki abzu-schlachten. Nur fremdländische Hilfe, nur die Hilfe ausländischer Bajo-nette, nur die Verschacherung R ußlands an japanische, deutsche, türkischeBajonette, nur das hat bisher den kapitalistischen Paktierern und denGutsbesitzern wenigstens den Schatten eines Erfolgs gebracht. W ir wissen

aber, daß jedesmal, wenn auf dem Boden der Hungersnot und der Ver-zweiflung der Massen ein Aufstand dieser Art ausbrach, wenn er ein Ge-biet ergriff, wo fremde Bajonette nicht zu Hilfe gerufen werden konnten,wie es in Saratow, Koslow, Tambow der Fall war, die Herrschaft der Guts-besitzer, der Kapitalisten und ihrer Freunde, die sich mit den schönen Lo-sungen der Konstituierenden Versammlung tarnten, nur nach Tagen, wennnicht nach Stunden zählte. Je weiter entfernt die Verbände der Sowjet-truppen von jenem Zentrum waren, dessen sich die Konterrevolution vor-übergehend bemächtigt hatte, desto entschlossener war die Bewegung

unter den städtischen Arbeitern, desto mehr Selbständigkeit legten dieArbeiter und Bauern an den Tag, um Saratow, Pensa, Koslow zu Hilfezu eilen und die dort errichtete Macht der Konterrevolution unverzüglichzu stürzen.

Genossen, wenn Sie diese Ereignisse vom Standpunkt des Gesamt-geschehens in der Weltgeschichte betrachten, wenn Sie sich vergegenwär-tigen, daß es Ihre Aufgabe — unsere gemeinsame Aufgabe — ist, sich selberklarzumachen sowie danach zu streben, den Massen klarzumachen, daß

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diese größten Unbilden nicht zufällig über uns hereingebrochen sind, son-

dern infolge des imperialistischen Krieges — das als erstes —, und danninfolge des tollwütigen Widerstands der Gutsbesitzer und Kapitalisten,der Ausbeuter, wenn wir uns darüber klarwerden, dann kann man dafürbürgen, daß diese richtige Erkenntnis, wie schwierig das auch sein mag,immer mehr unter den breiten M assen an Boden gewinnen wird, und daßes uns gelingen wird, die Disziplin herzustellen, die U ndiszipliniertheit inunsern Fabriken zu besiegen und dem Volke zu helfen, diese qualvolle,besonders schwere Periode zu überstehen, die sich vielleicht auf ein, zweiM onate, auf die wenigen Wochen erstreckt, die bis zur neuen Ernte ver-

blieben sind.Sie wissen, daß heute die Lage bei uns in Rußland im Zusammenhang

mit dem konterrevolutionären tschechoslowakischen Aufruhr, der Sibirienvon uns abgeschnitten hat, im Zusammenhang mit der ständigen Empö-rung im Süden, im Zusammenhang mit dem Krieg besonders schwer ist.Aber je schwieriger die Lage des Landes ist, über das die Hungersnot her-einbricht, um so entschlossener, um so härter müssen begreiflicherweiseunsere Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Hungersnot sein. Die wich-tigste Kampfmaßnahme ist die Durchsetzung des Getreidemonopols. In

dieser Hinsicht wissen Sie alle ausgezeichnet und beobachten rings herumin der Praxis, wie die Kulaken, die Reichen auf Schritt und Tritt gegendas Getreidemonopol keifen. Das ist begreiflich, denn dort, wo man dasGetreidemonopol vorübergehend aufhob, wie es Skoropadski in Kiewgetan hatte, dort erwies sich, daß die Spekulation unerhörte Ausmaße er-reichte, dort stieg der Getreidepreis bis auf 200 Rubel für ein Pud. Be-greiflicherweise kann, wo es an einem Produkt fehlt, das zum Lebenunerläßlich ist, jeder Besitzer dieses Produkts ein reicher Mann werden; diePreise erreichen eine unerhörte Höhe. Begreiflicherweise bewirkt das Ent-

setzen, die panische Furcht vor dem Hungertod, daß die Preise unerhörthinaufgeschraubt werden, und in Kiew mußte man erwägen, ob man dasGetreidemonopol nicht wieder einführen solle. Bei uns mußte sich dieRegierung trotz alles Getreidereichtums Rußlands schon längst, noch vorden Bolschewiki, von der Notwendigkeit des Getreidemonopols überzeu-gen. Gegen dieses Monopol sprechen können nur entweder gänzlichunwissende Leute oder solche, die sich direkt den Interessen des Geldsacksverkauft haben. (Beifall.)

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Aber, Genossen, wenn wir vom Getreidemonopol sprechen, müssen

wir daran denken, welche gewaltigen Schwierigkeiten der Verwirklichungin diesem Wort beschlossen sind. Getreidemonopol ist leicht gesagt, aberman muß sich überlegen, was das bedeutet. Es bedeutet, daß sämtlicheGetreideüberschüsse dem Staat gehören; es bedeutet, daß jedes Pud Ge-treide, das der Bauer in seiner Wirtschaft nicht für den Unterhalt seinerFamilie, für sein Vieh, für die Aussaat benötigt — daß jedes Pud über-schüssigen Getreides vom Staat eingezogen werden muß. Wie soll dasgemacht werden? Der Staat muß die Preise festsetzen, jedes überschüssigePud Getreide muß gefunden und eingebracht werden. Woher soll der

Bauer, dessen Bewußtsein d ie Gutsbesitzer und Kapitalisten jahrhunderte-lang abgestumpft, den sie ausgeplündert und bis zur Verblödung drang-saliert haben, den sie niemals sich satt essen ließen — woher soll er binnenwenigen Wochen oder Monaten die Erkenntnis nehmen, was das Getreide-monopol ist; woher kann diese Erkenntnis den Millionen und aber Millio-nen Menschen kommen, die der Staat bisher nur mit Unterdrückung, nurmit Gewalt, nur mit Beraubung und Ausplünderung durch die Beamtenabgespeist hat, diesen Bauern, die in der Finsternis des Dorfes leben unddort zur Verelendung verdammt waren? Woher sollen sie das Verständ-nis dafür nehmen, was das ist, die Arbeiter- und Bauernmacht, die Machtin den Händen der Armut, was das heißt, wenn Getreide, das sich alsüberschüssig erweist, nicht in die Hände des Staates übergeht, sondernvon dem Besitzer zurückgehalten wird, und daß derjenige, der es zurück-hält, ein Räuber, ein Ausbeuter ist, daß er die Schuld trägt an dem qual-vollen Hunger der Arbeiter von Petrograd, Moskau usw.? Woher soll erdas wissen, wenn er bisher in Unwissenheit gehalten wurde, wenn seineSache im Dorfe lediglich die war, Getreide zu verkaufen — woher soll erdiese Erkenntnis nehm en? W enn wir uns die Frage recht lebensverbundenstellen, wenn wir sie genau betrachten, so ist es kein Wunder, daß dann

vor uns die ganze unglaubliche Schwierigkeit dieser Aufgabe aufsteigt, wiees die Durchführung des Getreidemonopols in einem Lande ist, worin dieMehrheit der Bauern vom Zarismus und von den Gutsbesitzern inUnwissenheit gehalten wurde, in dem Lande einer Bauernschaft, die nachvielen Jahrhunderten das erste Jahr auf ihrer eigenen Scholle Getreidegesät hat. (Beifall.)

Aber je größer diese Schwierigkeit ist, je größer sie bei einem aufmerk-

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470 W . 1. Lenin

samen und durchdachten Verhalten zur Sache vor uns ersteht, desto klarer

müssen wir uns sagen, was wir stets gesagt haben, daß die Befreiung derArbeiter das Werk der Arbeiter selbst sein muß. Wir sagten stets: DieBefreiung der Werktätigen von der Unterdrückung kann nicht von außengebracht werden; die Werktätigen müssen selbst, durch ihren Kampf,durch ihre Bewegung, ihre Agitation lernen, die neue geschichtliche Auf-gabe zu lösen. Und je schwieriger, je größer, je verantwortungsvoller dieneue geschichtliche Aufgabe ist, desto mehr Menschen werden gebraucht,von denen Millionen zur selbständigen Beteiligung an der Lösung dieserAufgaben herangezogen w erden müssen. Um einem beliebigen Kaufmann,

einem beliebigen Händler Getreide zu verkaufen, dazu bedarf es keinerErkenntnis, keinerlei O rganisation. Dazu muß man so leben, wie die Bour-geoisie es wollte: man braucht nur als gehorsamer Sklave zu leben und dieW elt so, wie die Bourgeoisie sie eingerichtet hat, großartig zu finden undanzuerkennen. Um aber dies kapitalistische Chaos zu überwinden, um dasGetreidemonopol zu verwirklichen, um zu erreichen, daß jeder Überschuß,jedes überschüssige Pud Getreide dem Staat gehöre, dazu bedarf es einerlangwierigen, mühseligen, schweren Organisationsarbeit nicht der Orga-nisatoren, nicht der Agitatoren, sondern der Massen selbst.

Solche Menschen gibt es im russischen Dorf. Die M ehrzahl der Bauerngehört zu den ärmsten und armen Bauern, die nicht mit Getreideüber-schüssen, mit überflüssigem Getreide handeln und zu Räubern werdenkönnen, zu Räubern, die vielleicht Hunderte Pud Getreide zurückhalten,während der andere hungert. D ie Lage ist jetzt derart, daß ein jeder Bauersich vielleicht einen werktätigen Bauern nennt — manche lieben diesesW ort sehr. Aber kann m an denjenigen einen werktätigen Bauern nennen,der Hunderte Pud Getreide durch eigene Arbeit — ja selbst ohne jedeLohnarbeit — geerntet hat, jetzt aber sieht, wenn er diese Hunderte Pud

zurückhält, so könnte er sie vielleicht nicht zu je 6 Rubel verkaufen, son-dern wird sie an Spekulanten verkaufen oder an einen erschöpften, vomHunger gequälten städtischen Arbeiter, der mit hungriger Familie daher-kommt und 200 Rubel für ein Pud gibt. Ein solcher Bauer, der HundertePud verbirgt, der sie zurückhält, um den Preis in die Höhe zu treiben undvielleicht 100 Rubel für das Pud zu erhalten, wird zu einem A usbeuter, erist schlimmer als ein Räuber. Was ist in einer solchen Lage zu tun, aufwen können wir uns in unserem Kampf stützen? Wir wissen, daß die

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IV . 'Konferenz der Qewerksdhaften und der 'Betriebskomitees Moskaus 471

Sowjetrevolution und die Sowjetmacht sich von anderen Revolutionen und

von jeder anderen Staatsmacht dadurch unterscheiden, daß sie nicht nurdie Macht der Gutsbesitzer und der Kapitalisten gestürzt, nicht nur denfronherrlichen, den autokratischen S taat zerstört haben ; mehr als das : dieMassen haben sich gegen alles Beamtentum erhoben, sie haben einen neuenStaat geschaffen, in dem die Macht den Arbeitern und Bauern gehörenmuß und nicht nur gehören muß, sondern schon gehört. In diesem Staatgibt es keine Polizei, kein Beamtentum, gibt es auch kein stehendes Heer,das für lange Jahre in Kasernen gesperrt, vom Volk isoliert und dazu ge-drillt würde, aufs Volk zu schießen.

W ir bewaffnen die Arbeiter und Bauern, die das Waffenhandwerk er-lernen sollen. Es gibt Abteilungen, die der Versuchung, dem Laster unddem Verbrechen erliegen, weil sie durch keine chinesische Mauer getrenntsind von der Welt der Unterdrückung, der W elt des Hungers, der W elt,wo der Satte sich an seiner Sattheit bereichern will. Wir beobachten dahernicht selten die Erscheinung, daß Abteilungen klassenbewußter Arbeiter,die Petrograd und Moskau verlassen, draußen im Lande oft auf Abwegegeraten und zu Verbrechern werden. Und wir beobachten, wie die Bour-geoisie Beifall klatscht und in den Spalten ihrer käuflichen Presse das Volkauf jede Art zu schrecken sucht: schaut, so sehen eure Abteilungen aus,was ist das für eine Unordnung, um wieviel besser w aren doch die Abtei-lungen der Privatkapitalisten!

Besten Dank, ihr Herren Bourgeois! Nein, ihr werdet uns nicht insBockshorn jagen! Ihr wißt sehr wohl, daß man die Übel und Eiterbeulender kapitalistischen Welt nicht auf einmal heilen kann. Und wir wissen,daß Heilung nur im Kampf kommt. Wir werden jeden solchen Fall zurSprache bringen, nicht um dagegen zu wüten und nicht um den konter-revolutionären Schlichen der Menschewiki und Kadetten Vorschub zu lei-sten, sondern um recht breite Volksmassen zu belehren. Falls unsere Ab-teilungen ihrer Bestimmung nicht gerecht werden, so müssen aus klassen-bewußteren Arbeitern Abteilungen gebildet werden, die stärker sind inbezug auf die Zahl ihrer Klasse ergebener Arbeiter, deren Anzahl um einVielfaches die Zahl derjenigen übersteigt, die der Versuchung erlegen sind.Sie müssen organisiert werden, die unaufgeklärten Werktätigen, Ausge-beuteten und Hungernden muß man aufklären, jeder klassenbewußteArbeiter muß zu einem Mittelpunkt werden, um den sie sich zusammen-

31 Lenin, W erke , Bd. 27

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472 W. J. Lenin

schließen. Man muß die Dorfarmut aufrütteln, muß sie aufklären, muß ihr

zeigen, daß die Sowjetmacht zu ihrer Un terstützung alles irgend Erdenk-liche hergeben und tun wird, nur um das Getreidemonopol zu verwirk-lichen.

Und nun, als wir an diese Aufgabe herantraten, als die Sowjetmachtklar diese Fragen aufrollte, da erklärte sie: Genossen Arbeiter, organisierteuch, vereinigt die Kräfte, die Lebensmittel beschaffen; bekämpft jedenFall, wo solche Abteilungen nicht auf der Höhe ihrer Berufung stehen;organisiert euch fester, beseitigt eure Mängel, schließt die Dorfarmut umeuch zusammen. Die Kulaken wissen, daß ihr letztes Stündlein schlägt,

wenn der Gegner nicht nur mit Predigten, mit Worten und Phrasen an-rückt, sondern mit der Organisierung der Dorfarmut. — Wenn wir dieDorf armut organisieren, so werden wir über die Kulaken den Sieg davon-tragen. Die Kulaken wissen, daß jetzt der Augenblick des entscheidend-sten, des allerletzten, des erbittertsten Kampfes um den Sozialismuskommt. Es könnte scheinen, als sei das nur ein Kampf um das Brot, inWirklichkeit aber ist das der Kampf um den Sozialismus. Wenn die Ar-beiter lernen werden, solche Aufgaben selbständig zu lösen — niemandwird ihnen zu Hilfe kommen —, wenn sie lernen werden, die Dorfarmutum sich zusammenzuschließen, dann werden wir auch siegen, dann wirdes auch Brot, auch eine richtige Verteilung des Brotes, ja sogar eine richtigeVerteilung der Arbeit geben, weil wir durch richtige Brotverteilung zuHerrschern über alle Gebiete der Arbeit, auf allen G ebieten der Industriewerden.

Und eben weil die Kulaken das voraussahen, versuchten sie wiederholt,die Dorfarmut zu bestechen. Sie wissen, daß man dem Staat das G etreidefür 6 Rubel je Pud verkaufen muß. Sie verkaufen es dem N achbarn, einemverarmten Bauern, für 3 Rubel und sagen ihm : „Du kannst zu den Speku-lanten gehen und es ihnen für 40 Rubel verkaufen; wir haben die gleichenInteressen; wir müssen gegen den Staat, der uns ausplündert, zusammen-halten; man will uns nur 6 Rubel geben, nimm drei Pud, und du kannst,sagen wir, 60 Rubel profitieren; wieviel ich aber profitiere, brauchst dunicht zu wissen, das ist meine Sache."

Eben auf diesem Boden, ich weiß es, geht die Sache nicht selten bis zubewaffneten Zusammenstößen mit Bauern, und die Feinde der Sowjet-macht grinsen darob schadenfroh und bieten alle Kräfte auf, um die

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IV . "Konferenz der Qewerksdhaften und der Hetriebskomitees Moskaus 473

Sowjetmacht zu stürzen. W ir aber sagen: Das komm t daher, weil unsere

Abteilungen nicht bewußt genug waren, aber je größer die Abteilungenwaren, desto öfter sah man — und m an hat das wiederholt beobachtet —,

daß das Getreide ohne einen einzigen Fall der Gewaltanwendung her-gegeben wurde, weil klassenbewußte Arbeiter im Auge behalten, daß siekeine Gewalttäter sind. Ihre Hauptkraft liegt darin, daß sie die Vertreterder organisierten, der aufgeklärten Armut sind, während im Dorf dieMasse in Finsternis lebt, die Armut unaufgeklärt ist. Wenn man versteht,an sie heranzukommen, wenn man mit ihnen in einer Sprache ohne Buch-gelehrsamkeit spricht, ihnen einfach, menschlich erklärt, daß in Petrograd,

in Moskau, in Dutzenden von Kreisen die Menschen hungern, dem Hun-gertyphus verfallen, daß Zehntausende russischer Bauern und ArbeiterHungers sterben, daß die Reichen das Getreide zu Unrecht zurückgehaltenund m it dem Hunger des Volkes Spekulation getrieben haben, dann wirdes gelingen, die Dorf armut zu organisieren und zu erreichen, daß die Ge-treideüberschüsse eingezogen werden und daß das nicht durch Gewalt-anwendung getan werden wird, sondern durch Organisierung der Dorf-armut. Ich habe Gelegenheit, von Genossen, die mit Abteilungen fürLebensmittelbeschaffung in die Dörfer gehen und gegen die Konterrevolu-

tion käm pfen, öfters Berichte über den Kampf gegen die Kulaken zuhö ren.Ich möchte ein Beispiel anführen, das in meinem Gedächtnis deshalb be-sonders lebendig ist, weil ich gestern Gelegenheit hatte zu hören, was sichim Kreise Jelez begeben hat. Dank der Organisation des Deputierten-sowjets und weil sich dort klassenbewußte Arbeiter und arme Bauern ingenügender Anzahl gefunden hatten, gelang es, die Macht der Armenfest zu begründen. Als mir die Vertreter des Kreises Jelez zum erstenmalBericht erstatteten, glaubte ich ihnen nicht, ich dachte, die Leute schneidenein wenig auf, aber Genossen, die eigens aus Moskau in andere Gouver-nements gesandt worden w aren, bestätigten mir, man könne ihre Art undWeise, die Sache anzupacken, nur begrüßen; sie bestätigten, daß es in Ruß-land Kreise gibt, wo die örtlichen Deputiertensowjets sich auf der Höheihrer Aufgabe erwiesen, da sie es verstanden haben, die vollständige Be-seitigung von Kulaken und Ausbeutern aus den Sowjets zu erreichen unddie Werktätigen, die Armut zu organisieren. Wer seinen Reichtum zurProfitmacherei benutzt, der soll sich von der Sowjetmacht wegscheren!(Bei fa l l . )

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474 W. 7. Lenin

Als sie die Kulaken vertrieben hatten , zogen sie nach Jelez, einer H an-

delsstadt, und dort warteten sie nicht erst auf ein D ekret, um das Getreide-monopol zu verwirklichen, sondern dachten daran, daß die Sowjets dieTräger der Macht sind, die mit dem Volke eng verbunden ist, daß jeder,sofern er ein Revolutionär, ein Sozialist ist und wirklich auf Seiten derWerktätigen steht, rasch und entschlossen handeln muß. Sie organisiertenalle Arbeiter und armen Bauern und stellten so viele Abteilungen auf, daßin der ganzen Stadt Jelez Haussuchungen vorgenommen werden konnten.Sie ließen nur die Bevollmächtigten und die verantwortlichen Führer derAbteilungen in die Häuser hinein; keinen einzigen, dessen sie nicht ganz

sicher waren, ließen sie die Häuser betreten, denn sie wußten, wie oftSchwankungen vorkommen, sie wußten, daß der Sowjetmacht nichts solcheSchande bereitet wie Fälle von Plünderung durch Vertreter und unwürdigeDiener der Sowjetmacht. Sie erreichten, daß gewaltige Getreideüberschüsseaufgebracht wurden, daß in der ganzen Handelsstadt Jelez kein Hausblieb', wo die Bourgeoisie aus der Spekulation hätte Vorteile ziehenkönnen».

Natürlich weiß ich, daß so etwas in einer kleinen Stadt viel leichter zumachen ist als in einer Stadt wie Moskau, aber man darf auch nicht ver-

gessen, daß es in keiner Kreisstadt solche proletarischen Kräfte geben kann,wie sie in Moskau vorhanden sind.

In Tambow hatte vor kurzem die Konterrevolution für einige Stundengesiegt; sie gab sogar eine menschewistische und rechtssozialrevolutionäreZeitungsnummer heraus, in der sie zur Konstituierenden Versammlung,zum Sturz der Sowjetmacht aufrief und davon sprach, wie stabil der Siegder neuen Macht sei — bis aus dem Landkreis Rotarmisten und Bauernkamen, die im Laufe eines Tages diese neue, „stabile", sich angeblich aufdie Konstituierende Versammlung stützende Macht verjagten. (B ei fa ll .)

Ähnlich, Genossen, lagen die Dinge auch in anderen Kreisen des Gou-vernements Tambow, eines Gouvernements von gewaltigem Umfang.Seine nördlichen Kreise reichen bis an die nichtagrarische Zone, die süd-lichen sind außergewöhnlich fruchtbar; dort wird sehr viel geerntet. Esgibt dort viele Bauern, die Getreideüberschüsse haben, und man muß ver-stehen, dort mit besonderer Energie und mit besonders festem, klaremBewußtsein an die Sache heranzugehen, um , gestützt auf die armen Bauern,die Kulaken zu überwältigen. Dort sind die Kulaken jeder Arbeiter- und

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IV . "Konferenz der Qewerksdoaften und der Betriebskomitees ̂ Moskaus 475

Bauernmacht gegenüber feindlich gesinnt, dort ist man genötigt, die Unter-

stützung der Petrograder und Moskauer Arbeiter abzuwarten. Sie, diesich auf die Waffe ihrer Organisiertheit stützen, verjagen jedesmal dieKulaken aus den Sowjets, organisieren die Dorfarmut und sammeln ge-meinsam mit der örtlichen Bauernschaft Erfahrungen im Kampf um dasstaatliche Getreidemonopol, Erfahrungen bei der O rganisierung der Dorf-armut und der Werktätigen der Stadt, dieser Organisation, die uns denletzten, vollen Sieg bringen wird. Hier, Genossen, habe ich mir erlaubt,Ihnen an Hand dieser Beispiele zu schildern, wie die Dinge in bezug aufdie Ernährung liegen, weil mir scheint, daß vom Standpunkt der Werk-

tätigen eine Charakteristik des Kampfes um das Getreide, gegen die Kula-ken, für uns, für die Arbeiter, für das klassenbewußte Proletariat wichtigist nicht wegen der einzelnen zahlenmäßigen Berechnungen über die Mil-lionen Pud Getreide, die wir erhalten können. Das muß ich den Fachleutenim Ernährungswesen überlassen. Ich muß sagen: wenn es gelänge, dieGetreideüberschüsse aus denjenigen Gouvernements zu bekommen, diean die nichtagrarische Moskauer Zone sowie an das getreidereiche Sibiriengrenzen, so würden wir selbst da für diese schweren Wochen, die uns biszur neuen Ernte geblieben sind, genügend Getreide finden, um die hun-

gernden nichtagrarischen Gouvernements vor dem Hungertod zu retten.Zu diesem Zweck muß man eine noch größere Zahl klassenbewußter, fort-geschrittener Arbeiter organisieren. Das ist eine grundlegende Lehre allerfrüheren Revolutionen, es ist eine grundlegende Lehre auch unserer Revo-lution. Je größer die Organisation sein wird, je breiter sie in Erscheinungtreten wird, je besser die Arbeiter der Fabriken und Werke begreifenwerden, daß ihre Stärke nur darin liegt, daß sie sich und die Dorfarmutorganisieren, desto besser wird es um die Sache des Kampfes gegen denHunger und um die Sache des Kampfes für den Sozialismus bestellt sein;

denn, wie gesagt, unsere Aufgabe ist es nicht, eine neue Macht auszuklü-geln, sondern jeden Angehörigen der Dorfarmut im entlegensten Dorfaufzurütteln, aufzuklären, zu selbständigem Handeln zu organisieren.Einigen klassenbewußten städtischen Arbeitern aus Petrograd und Moskausollte es nicht schwerfallen, selbst im entlegensten Dorf den Leuten klar-zumachen, wie unrecht es ist, Getreide zurückzuhalten, damit zu speku-lieren, Fusel daraus zu brennen, während in Moskau Hunderttausendezugrunde gehen. Um das zu erreichen, müssen die Petrograder und Mos-

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kauer Arbeiter, müssen ganz besonders Sie, Genossen, Vertreter der Be-

triebskomitees, Vertreter der verschiedensten Berufe, Fabriken und Werk e,sich nur darüber klarwerden und sich fest einprägen, daß uns niemand zuHilfe kommen wird, daß aus einer anderen Klasse keine Helfer, sondernFeinde zu uns kommen, daß die Sowjetmacht keine ihr treu ergebeneIntelligenz in ihren Diensten hat. Die Intelligenz stellt ihre Erfahrungenund Kenntnisse — das höchste G ut des Menschen — in den Dienst der Aus-beuter und nutzt alles aus, um uns den Sieg über die Ausbeuter zu er-schweren; sie wird es so weit bringen, daß Hunderttausende verhungernwerden, aber sie wird den Wid erstand der W erktätigen nicht brechen. W ir

haben niemanden außer der Klasse, mit der wir die Revolution vollbrachthabe n, der Klasse, mit der wir durch die uns bevorstehenden allergewaltig-sten Schwierigkeiten, durch die allerschwerste Zeit hindurchgehen wer-den — die Industriearbeiterschaft, das städtische und ländliche P roleta riat,das die gleiche Sprache spricht, das in Stadt und Land alle Feinde — Ku-laken und Reiche — zu besiegen verstehen wird.

Aber um das zu schaffen, muß man daran denken, wie oft Arbeiter denwichtigsten Grundsatz der sozialistischen Revolution vergessen: um diesozialistische Revolution zustande zu bringen, um sie zu vollbringen, um

das Volk von der U nterdrü ckun g zu befreien — dazu muß man nicht sofortdie Klassen aufheben —, müssen die klassenbewußtesten und bestorgani-sierten Arbeiter die Macht in ihre Hände nehmen. Die Arbeiter müssenzur herrschenden Klasse im Staat werden. Das ist eine Wahrheit, die diemeisten von Ihnen schon in dem vor mehr als 70 Jahren v erfaßten, in allenLändern und Sprachen bekannten „Kommunistischen Manifest" von Marxund Engels gelesen haben, überall trat die Wahrheit zutage: Um dieKapitalisten zu besiegen, ist es nötig, daß für die Zeit des Kampfes gegendie Ausbeutung, solange noch Unwissenheit herrscht, solange man noch

nicht an die neue Ord nun g glaubt, die organisierten, städtischen Industrie-arbeiter die herrschende Klasse sind. Wenn Sie sich in Ihren Betriebs-komitees versammeln, um über laufende Angelegenheiten zu entscheiden,so denken Sie daran, daß die Revolution keine einzige ihrer Errungen-schaften behaupten kann, wenn sich die Betriebskomitees mit technischenFragen oder mit den rein finanziellen Interessen der Arbeiter beschäftigen.Schon mehr als einmal ist es den A rbeite rn, d en unterdrück ten Klassen ge-lungen, die Macht zu ergreifen, aber noch niemals ist es ihnen gelungen,

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IV. Konferenz der Qewerksdhaften und der "Betriebskomitees !Moskaus 477

diese Macht zu behaupten. Dazu ist es nötig, daß die Arbeiter nicht nur

über die Fähigkeit verfügen, sich zum heldenhaften Kampf zu erheben unddie Ausbeutung abzuschütteln, sondern sie müssen auch zu Organisation,Disziplin und Ausdauer fähig sein, sie müssen urteilsfähig sein, wennringsum alles wankt und schwankt, wenn man angegriffen wird, wennendlose unsinnige Gerüchte durch die Luft schwirren. Eben in solchenZeiten liegt auf den Betriebskomitees, die in allen Stücken eng mit derbreiten Millionenmasse verbunden sind, die gewaltige staatliche Aufgabe,in erster Linie zu einem Organ zur Lenkung des Staatslebens zu werden.Das ist die grundlegende Staatsfrage der Sowjetmacht: wie sollen wir eine

richtige Getreideverteilung sichern. Hat Jelez es vermocht, die örtlicheBourgeoisie zu bändigen, so ist das in Moskau wohl schwerer durchzufüh-ren, aber hier ist die Organisation unvergleichlich größer, und hier könnenSie leichter Zehntausende ehrlicher Menschen mobilisieren, die unsereParteiorganisationen, unsere Gewerkschaften stellen und für die sie ein-stehen können, M enschen, die imstande sein werden, Abteilungen zu füh-ren und die volle Verantwortung dafür zu tragen, daß sie trotz allerSchwierigkeiten, trotz aller Lockungen einerseits und ungeachtet allerHungerqualen anderseits prinzipienfest und treu bleiben. Eine andere

Klasse, die heute dieses Werk in Angriff nehmen könnte, die fähig wäre,das Volk zu führen, das häufig der Verzweiflung anheimfällt, eine anderesolche Klasse, außer dem städtischen Industrieproletariat, gibt es nicht.Die Betriebskomitees müssen aufhören, nur Betriebskomitees zu sein, siemüssen zu den staatlichen Grundzellen der herrschenden Klasse werden.(Beifall.) Von eurer Organisiertheit, von eurer Geschlossenheit, voneurer Energie hängt es ab, ob wir die schwere Übergangszeit so standhaftertragen werden, wie die Sowjetmacht sie ertragen muß. Geht selber ansW erk, nehmt es von allen Seiten in Angriff, enthüllt Tag für Tag die Miß-

brauche, korrigiert auf Grund eigener Erfahrungen jeden begangenenFehler — ihrer werden jetzt viele gemacht, denn die Arbeiterklasse istnoch unerfahren —, aber wichtig ist,daß die Arbeiterklasse selbst die Sache

in die Hand nimmt, daß sie selber ihre Fehler korrigiert. Wenn wir sohandeln werden, wenn jedes Betriebskomitee begreifen wird, daß es einFührer der größten Revolution der Welt ist, dann werden wir den Sozia-lismus für die ganze Welt erobern! (Beifall , der in eine stür-m i s c h e O v a t i o n ü b e r g e h t . )

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478 rW. 1. Cenin

S C H L U S S W O R T Z U M B E R I C H TÜBER DIE GEGENWÄRTIGE LAGE

28 . J U N I 1918

Genossen, erlauben Sie mir, vor allem auf einige Sätze des K orreferen-ten Paderin, der sich gegen mich gewandt hat, einzugehen. Aus dem Steno-gramm sehe ich, daß er gesagt hat: „Wir müssen alles Erdenkliche tun,damit das Proletariat, in erster Linie das englische und das deutsche Pro-letariat, die Möglichkeit habe, sich gegen seine Unterdrücker zu erheben.Was aber muß zu diesem Zweck getan werden? Sollen wir etwa diesenUnterdrückern Vorschub leisten? D adurch, daß wir in unserer Mitte Zwistentfachen, dadurch, daß wir das Land zerrütten, daß wir es schwächen,

festigen wir außerordentlich die Positionen der englischen, französischenund deutschen Imperialisten, die sich schließlich vereinigen werden, umdie Arbeiterklasse Rußlands zu erdrosseln." Das sind Betrachtungen, diezeigen, wie wenig fest die Menschewiki in ihrem Kampf und in ihrerOpposition gegen den imperialistischen Krieg stets waren ; denn diese vonmir verlesene Argumentation ist nur zu begreifen im Munde eines Men-schen, der sich einen Vaterlandsverteidiger nennt, der völlig die Positiondes Imperialismus bezieht ( B e if a ll ), eines Menschen, der den imperiali-stischen Krieg dadurch rechtfertigt, daß er den bürgerlichen Schwindel

wiederholt, die Arbeiter verteidigten in diesem Krieg ihr Vaterland. Stelltman sich in der Ta t auf den S tandpunkt, daß die Arbeiter in diesem Kriegdas Land nicht zerrütten und nicht schwächen dürfen, so heißt das die.Arbeiter auffordern, im imperialistischen Krieg das Vaterland zu vertei-digen. Sie wissen aber, was die bolschewistische Regierung getan hat, diees als ihre erste Pflicht erachtete, die Geheimverträge zu veröffentlichen,zu enthüllen, öffentlich anzuprangern. Sie wissen, daß die Alliierten wegender Geheimverträge Krieg führten und daß die Kerenskiregierung, die

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IV. Konferenz der Qewerksdhaften und der Betriebskomitees Moskaus 479

ihre Existenz der Hilfe und der Unterstützung der Menschewiki und der

rechten Sozialrevolutionäre verdankte, die Geheimverträge nicht nur nichtaufhob, sondern sie nicht einmal veröffentlichte. Sie wissen, daß das rus-sische Volk Krieg führte um geheimer Verträge willen, in denen den rus-sischen Gutsbesitzern und Kapitalisten für den Fall des Sieges die AnnexionKonstantinopels, der Meerengen, Lembergs, Galiziens und Armeniensversprochen worden war. W enn wir also auf dem Standpunkt der Arbeiter-klasse stehen, wenn wir gegen den Krieg sind, wie könnten w ir dann dieseGeheimverträge dulden? Solange wir die Geheimverträge duldeten, so-lange wir bei uns die Macht der Bourgeoisie duldeten, nährten wir bei den

deutschen Arbeitern die chauvinistische Überzeugung, in Rußland gebe eskeine klassenbewußten Arbeiter, ganz Rußland segle im Fahrwasser desImperialismus, Rußland führe den Krieg, um Österreich und die Türkeiauszuplündern. Umgekehrt, um die deutschen Imperialisten zu schwächen,die deutschen A rbeiter von ihnen loszulösen, tat die Arbeiter- und Bauern-regierung so viel, wie keine einzige Regierung der Welt. Denn als dieseGeheimverträge veröffentlicht und vor der ganzen Welt entlarvt waren,mußten selbst die deutschen Chauvinisten, selbst die deutschen Vaterlands-verteidiger, selbst diejenigen Arbeiter, die ihrer Regierung folgen, in ihrem

Blatt, dem „Vorwärts"

13 5

, zugeben, daß das die Handlungsweise einersozialistischen Regierung, eine wahrhaft revolutionäre Ta t sei. Sie mußtendas anerkennen, denn keine einzige der in den K rieg verstrickten imperia-listischen Regierungen hat das getan, nur unsere Regierung allein hat dieGeheimverträge zerrissen.

Natürlich, im Herzen jedes deutschen Arbeiters, wie gehetzt, geducktund von den Imperialisten bestochen er auch sein mag, regt sich der Ge-danke : H at etwa unsere Regierung keine Geheimverträge? ( Z w i s c h e n -ru f : „Sprechen Sie über die Schwarzmeerflotte!") Gu t, ich werde davon

sprechen, obwohl das nicht zum Thema gehört. Bei jedem deutschen Ar-beiter regte sich der Gedanke: Wenn der russische Arbeiter so weit ge-gangen ist, die Geheimverträge zu zerreißen — hat etwa die deutscheRegierung keine Geheimverträge? Als es zu den Brester Verhandlungenkam, da hallten die Enthüllungen des Gen. Trotzki durch die ganze W elt.Und hat nicht etwa diese Politik dazu geführt, daß in einem feindlichenLand, das in einem furchtbaren imperialistischen Krieg gegen andereRegierungen steht, unsere Politik bei den Volksmassen nicht Erbitterung,

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4 8 0 • W . 1. Centn

sondern Unterstützung hervorrief? Unsere Regierung war die einzige

Regierung dieser Art. Unsere Revolution hat erreicht, daß während desKrieges in einem feindlichen Land eine gewaltige revolutionäre Bewegungentsteht, hervorgerufen einzig dadurch, daß wir die Geheimverträge zer-rissen, daß wir erklärt haben: Wir weichen vor keinerlei Gefahren zurück.Wenn wir wissen, wenn wir erklären — nicht durch W orte , sondern durchdie Tat —, daß nur die internationale Revolution Rettung aus dem inter-

. nationalen Krieg, aus dem imperialistischen Völkergemetzel bringen kann,dann müssen wir in unserer Revolution auf dieses Ziel hinsteuern, ohneRücksicht auf alle Schwierigkeiten, auf alle Gefahren. Und als wir diesen

Weg betraten, da entbrannte zum erstenmal in der Welt während desKrieges in dem allerimperialistischsten, in dem diszipliniertesten Land, inDeutschland, im Januar ein Massenstreik, der hoch aufloderte. Gewiß, esgibt Leute, die da glauben, eine Revolution könne in einem fremden Landauf Bestellung, nach Übereinkunft entstehen. Diese Leute sind entwederWahnwitzige oder Provokateure. In den letzten 12 Jahren haben wir zweiRevolutionen durchgemacht. Wir wissen, daß sie weder auf Bestellungnoch nach Vereinbarung gemacht werden können, daß sie dann ausbrechen,wenn Millionen und aber Millionen zu dem Schluß kommen, man könne

so nicht mehr weiterleben. Wir wissen, unter welchen Schwierigkeiten dieRevolutionen von 1905 und 1917 geboren wurden, und wir haben niemalserwartet, daß die Revolution mit einem Schlag, auf einen Aufruf hin auchin anderen Ländern ausbrechen werde. Aber daß sie in Deutschland undÖsterreich heranzureifen beginnt, dazu hat die russische Oktoberrevolu-tion viel beigetragen. (Beifall.) Heute lesen wir in unseren Zeitungen,daß in W ien, wo die Brotrationen noch kleiner sind als bei uns, wo keineAusplünderung der Ukraine zu helfen vermag, wo die Bevölkerung sagt,sie habe noch niemals so entsetzlichen Hunger gelitten, daß dort ein Ar-beiterrat entstanden ist. In Wien brechen schon wieder allgemeine Streiksaus.

Und da sagen wir uns: Hier habt ihr den zweiten Schritt, hier habt ihrden zweiten Beweis, daß die russischen Arbeiter durch das Zerreißen derimperialistischen Geheimverträge, durch die Vertreibung ihrer Bourgeoisieeinen konsequenten Schritt als klassenbewußte Arbeiter und als Inter-nationalisten getan haben. Sie haben dadurch das Wachstum der Revolu-tion in Deutschland und Österreich gefördert, so wie noch keine Revolution

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IV. Konferenz der Qewerksdhaften und der 'Betriebskomitees Moskaus 481

der Welt einer Revolution in einem feindlichen Staat geholfen ha t, der sich

im Kriegszustand, im Zustand allergrößter Erbitterung befindet.W ollte man Ihnen voraussagen, wann die Revolution ausbrechen werde ,

wollte man Ihnen versprechen, daß sie morgen kommen werde, so hießedas Betrug üben. Erinnern Sie sich, besonders diejenigen von Ihnen, diebeide russische Revolutionen mitgemacht haben: Wer von Ihnen konnteim November 1904 dafür bürgen, daß zwei Monate später hunderttau-send Petrograder A rbeiter zum Winterpa last ziehen und eine große Revo-lution einleiten w erden?

Erinnern Sie sich: Wie hätten wir im Dezember 1916 dafür bürgen kön-

nen, daß zwei Monate später die Zarenmonarchie im Verlauf wenigerTage niedergeworfen sein wird? Wir in unserem Land, wo man zweiRevolutionen durchgemacht ha t, wissen und sehen, daß man den Verlaufder Revolution nicht voraussagen, daß man sie nicht hervorrufen kann.Man kann nur für die Revolution arbeiten. Wen n m an konsequent arbei-tet, wenn man selbstlos arbeitet, wenn diese Arbeit m it den Interessen derunterdrückten Massen, die die Mehrheit bilden, verbunden ist, dannkommt die Revolution, wo aber, wie, in welchem Augenblick, aus welchemAnlaß, das läßt sich nicht sagen. Darum werden wir uns auf keinen Fall

erlauben, die Massen zu täuschen und zu sagen: Die deutschen Arbeiterwerden uns morgen helfen, sie werden übermorgen ihren Kaiser zum Teu-fel jagen. Das kann man nicht sagen.

Unsere Lage ist um so schwieriger, als die russische Revolution denanderen Revolutionen vorausgeeilt ist. Daß wir aber nicht allein sind, daszeigen uns die fast jeden Tag eintreffenden Nachrichten, die besagen, wiesich die besten deutschen Sozialdemokraten alle für die Bolschewiki aus-sprechen, wie in der legalen deutschen Presse Clara Zetkin für die Bolsche-wiki eintritt; dann Franz Mehring, der jetzt in einer Reihe von Artikeln

den deutschen Arbeitern beweist, daß nur die Bolschewiki den Sozialismusrichtig begriffen haben; wie vor kurzem im württembergischen Landtagein Sozialdemokrat namens Hoschka mit aller Bestimmtheit erklärt hat,nu r in den Bolschewiki erblicke er ein Musterbeispiel von Konsequenz undrichtig geführter revolutionärer Politik. Glauben Sie, daß derlei Dingekeinen Widerhall finden unter Dutzenden, Hunderten, Tausenden deut-scher Arbeiter, die sich ihnen von vornherein anschließen werden? W ennes in Deutschland und Österreich so weit kommt, daß Arbeiterräte gebildet

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482 W. 1 Centn

werden und ein zweiter Massenstreik ausbricht, dann dürfen w ir ohne die

geringste Übertreibung, ohne jegliche Selbsttäuschung sagen, daß dies denBeginn der Revolution bedeutet. Wir sagen uns mit absoluter Bestimmt-heit: Unsere Politik war eine richtige Politik, unser Weg war der richtigeWeg, wir haben den österreichischen und den deutschen Arbeitern gehol-fen, sich nicht als unsere Feinde zu fühlen, die die russischen Arbeiter fürdie Interessen des Kaisers, für die Interessen der deutschen Kapitalistenwürgen; w ir haben ihnen geholfen, sich als Brüder der russischen Arbeiterzu fühlen, die genau solche revolutionäre Arbeit leisten. (B e if a ll .)

Ich möchte noch auf eine Stelle in der Rede Paderins hinweisen, die m ei-

nes Erachtens um so mehr Aufmerksamkeit verdient, als sie sich teilweisemit dem Gedanken des Vorredners13 6 deckt. Diese Stelle lautet: „Wirsehen, daß jetzt ein Bürgerkrieg innerhalb der A rbeiterklasse geführt wird.Dürfen wir das etwa zulassen?" Sie sehen also, der Bürgerkrieg wird alsKrieg innerhalb der A rbeiterklasse oder, wie der Vorredner ihn nannte, alsKrieg gegen die Bauern bezeichnet. Wir wissen aber ausgezeichnet, daßweder das eine noch das andere wahr ist. Der Bürgerkrieg in Rußland istein Krieg der Arbeiter und armen Bauern gegen die Gutsbesitzer undKapitalisten. Dieser Krieg wird verlängert, zieht sich hin, weil die rus-

sischen Gutsbesitzer und Kapitalisten im Oktober und im November mitverhältnismäßig geringen Opfern besiegt wurden, besiegt wurden durchden Elan der Volksmassen unter Verhältnissen, wo ihnen sofort klar war,daß sie vom Volk keine Unterstützung erwarten können. Es kam so weit,daß selbst im Dongebiet, wo die reichen Kosaken, die von A usbeutung derLohnarbeit leben, am zahlreichsten, wo die Hoffnungen auf die Konter-revolution am größten sind, daß sogar dort Bogajewski, der Führer deskonterrevolutionären Aufstands, anerkennen mußte und öffentlich aner-kannte: „Unsere Sache ist verloren, weil selbst bei uns die übergroße

Mehrheit der Bevölkerung für die Bolschewiki ist." (B eif a ll .)So lagen die Dinge, so haben die Gutsbesitzer und Kapitalisten im

Oktober und N ovember ihr Spiel, ihr konterrevolutionäres Spiel verloren.Das ist es, was bei ihrem A benteuer herauskam , als sie versuchten, aus

Offizieren, aus Offiziersschülern, aus Gutsbesitzer- und Kapitalistensöhn-chen eine weiße Garde gegen die Arbeiter- und Bauernrevolution zu bil-den. Und wissen Sie denn jetzt nicht — lesen Sie es heute in den Zeitun-gen —, daß das tschechoslowakische Abenteuer mit dem Geld der eng-

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IV. Konferenz der Qewerksdhaften und der TZetriebskomitees Moskaus 483

lischen und französischen Kapitalisten gespeist wird137 , die die Truppen

bestechen, um uns wieder in den Krieg hineinzuziehen? Haben Sie nichtgelesen, wie die Tschechoslowaken in Samara erklärten: Wir werden unsmit Dutow, mit Semjonow vereinigen und werden die Arbeiter Rußlandsund das russische Volk zwingen, zusammen mit England und Frankreichvon neuem gegen Deutschland Krieg zu führen; wir werden die gleichenGeheimverträge wiederherstellen und euch für vielleicht noch vier Jahre,verbündet mit der Bourgeoisie, in diesen imperialistischen Krieg stürzen.Statt dessen führen wir heute Krieg gegen unsere Bourgeoisie und gegendie Bourgeoisie anderer Länder, und nur weil wir diesen Krieg führen,haben wir die Sympathie und die Unterstützung der Arbeiter der anderenLänder gewonnen. Wenn der Arbeiter des einen kriegführenden Landessieht, daß in dem anderen kriegführenden Land eine enge Verbindungzwischen den Arbeitern und der Bourgeoisie entsteht, so spaltet das dieArbeiter nach Nationen, schweißt sie mit ihrer Bourgeoisie zusammen. Dasist das allergrößte Übel, das ist der Zusammenbruch der sozialistischenRevolution, der Zusammenbruch und der Untergang der ganzen Inter-nationale. (Beifall.)

Im Jahre 1914 ist die Internationale zugrunde gegangen, weil die Arbei-

ter aller Länder sich mit ihrer nationalen Bourgeoisie vereinigten und sichuntereinander spalteten. Heute geht diese Spaltung ihrem Ende entgegen.Sie haben vielleicht vor kurzem gelesen, daß in England der schottischeVolksschullehrer und Gewerkschaftsbeauftragte Maclean zum zweiten-mal, diesmal für fünf Jahre, ins Gefängnis geworfen wurde. Das erstemalkam er auf 1H Jahre ins Gefängnis, weil er den Krieg entlarvt und vondem verbrecherischen Charakter des englischen Imperialismus gesprochenhatte. Als er auf freien Fuß gesetzt worden war, gab es in England schoneinen Vertreter der Sowjetregierung, Litwinow; er ernannte Maclean so-

fort zum Konsul, zum Vertreter der Russischen Föderativen Sowjetrepu-blik in England. Die schottischen Arbeiter nahmen diese Ernennung mitBegeisterung auf. Die englische Regierung leitete nun zum zweitenmal einVerfahren ein gegen Maclean, nicht nur als schottischen Volksschullehrer,sondern auch als Konsul der Föderativen Sowjetrepublik. Maclean sitztim Gefängnis, weil er offen als Vertreter unserer Regierung aufgetretenist. Dabei haben wir diesen Mann niemals gesehen, er gehörte niemalsunserer Partei an. Er ist der geliebte Führer der schottischen Arbeiter. W ir

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484 W . 1. Zenin

haben uns mit ihm verbündet; der russische und der schottische Arbeiter

haben sich gegen die englische Regierung verbündet, obgleich diese dieTschechoslowaken kauft und eine fieberhafte Politik betreibt mit demZiel, die Russische Republik in den Krieg hineinzuziehen. Da haben SieBeweise, daß in allen Ländern, unabhängig von ihrer Stellung im Krieg,sowohl in Deutschland, das gegen uns kämpft, als auch in England, dasBagdad an sich reißen, die Türkei endgültig erdrosseln will — daß sichüberall die Arbeiter mit den russischen Bolschewiki zusammenschließen,mit der russischen bolschewistischen Revolution gehen. Wenn hier derRedner, dessen Worte ich zitiert habe, sagte, der Bürgerkrieg werde von

Arbeitern und Bauern gegen Arbeiter und Bauern geführt, so wissen wirsehr wohl, daß das nicht wahr ist. Die Arbeiterklasse, das ist eine Sache,eine andere Sache aber sind Gruppen, kleine Schichten der Arbeiterklasse.Die deutsche Arbeiterklasse war von 1871 bis 1914, fast ein halbes Jahr-hundert lang , für die ganze W elt ein Vorbild sozialistischer Organisation.Wir wissen, daß sie eine Partei von einer Million Mitglieder besaß, daßsie Gewerkschaften mit zwei, drei, vier Millionen Mitgliedern geschaffenhatte , aber nichtsdestoweniger gab es während dieses halben JahrhundertsHunderttausende deutscher Arbeiter, die in einem klerikalen, pfäffischen

Verband vereinigt blieben und glühend für den Pfaffen, für die Kirche, fürihren K aiser eintraten. Wer vertra t da in Wirklichkeit die deutsche Arbei-terklasse : die riesige Sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften,oder die Hunderttausende k lerikaler A rbeiter? Die Arbeiterklasse, die diegroße Mehrheit der klassenbewußten, fortgeschrittenen, denkenden Ar-beiter zusammenschließt, das ist eine Sache, eine andere Sache aber sinddie einzelne Fabrik, der einzelne Betrieb, die einzelne G egend oder einigeArbeitergruppen, die weiter auf Seiten der Bourgeoisie verbleiben.

Die Arbeiterklasse Rußlands in ihrer gigantischen, erdrückenden Mehr-

heit — das zeigen Ihnen alle Wahlen zu den Sowjets, zu den Betriebs-komitees, zu den Konferenzen —, sie steht zu 99 Prozent auf der Seite derSowjetmacht (B e if a ll ), denn sie weiß, daß diese Macht den Krieg gegendie Bourgeoisie, gegen die Kulaken führt, und nicht gegen die Arbeiterund Bauern. Es ist das ein gewaltiger U nterschied, wenn sich eine gering-fügige Gruppe von Arbeitern findet, die weiter in sklavischer Abhängigkeitvon der Bourgeoisie bleiben. Wir führen den Krieg nicht gegen sie, son-dern gegen die Bourgeoisie, und um so schlimmer für jene geringfügigen

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Gruppen, die bis zum heutigen Tag im Bunde mit der Bourgeoisie bleiben.

(Beifal l . )Es gibt eine Frage, die mir hier auf einem Zettel übergeben wurde. Sielautet: „Warum erscheinen bis heute noch konterrevolutionäre Zeitun-gen?" Einer der G ründe dafür ist der, daß es auch unter den BuchdruckernElemente gibt, die von der Bourgeoisie bestochen sind. (L ä r m , R u f e :„Das ist nicht wahr.") Sie können schreien, soviel Sie wollen, aber Siewerden mich nicht daran hindern, eine Wahrheit auszusprechen, die allenArbeitern bekannt ist und die ich eben zu erläutern begonnen habe. Wenneinem Arbeiter sein persönlicher Lohn in der bürgerlichen Presse über

alles geht und wenn er sagt: Ich will meinen hohen persönlichen Verdienstbehalten, den ich bekomme, weil ich der Bourgeoisie helfe, Gift zu ver-kaufen, das Volk zu vergiften, dann sage ich: Diese Arbeiter sind sovielwie von der Bourgeoisie bestochen (B e if a ll ), nicht in dem Sinne, als obirgend jemand von ihnen als einzelner von der Bourgeoisie gedungen wäre .Nicht in diesem Sinne wollte ich das sagen, sondern in dem Sinn, in demalle Marxisten von den englischen Arbeitern gesprochen haben, die mitihren Kapitalisten ein Bündnis schließen. Sie alle, die Sie Gewerkschafts-literatur gelesen haben, kennen auch das Beispiel, daß es in England nichtnur Arbeiterverbände gibt, sondern daß dort Arbeiter eines bestimmtenBerufszweigs und Kapitalisten desselben Berufszweigs in Verbänden orga-nisiert sind, die den Zweck verfolgen, die Preise in die Höhe zu treibenund alle übrigen auszuplündern. Alle Marxisten, sämtliche Sozialistenaller Länder weisen mit dem Finger auf solche Beispiele. Angefangen mitMarx und Engels, sprachen sie von Arbeitern, die infolge ihres mangeln-den Klassenbewußtseins, infolge ihrer beschränkten Zunftinteressen vonder Bourgeoisie bestochen worden sind. Diese Arbeiter haben ihr Erst-geburtsrecht, ihr Recht auf die sozialistische Revolution verkauft, indemsie gegen die gewaltige Mehrheit der Arbeiter und der unterdrücktenwerktätigen Schichten im eigenen Land, gegen ihre eigene Klasse ein Bünd-

nis mit ihren Kapitalisten schlössen. Das gleiche bei uns, wenn sich bei unseinzelne Arbeitergruppen finden, die sagen.- Was geht es uns an, wenndas, was wir setzen, Opium, Gift ist, wenn das Lüge und Provokationverbreitet. Ich erhalte meinen Höchstlohn, auf die anderen pfeife ich.Solche Arbeiter werden wir brandmarken, solchen Arbeitern haben wirimmer, in unserer ganzen Literatur, gesagt und offen gesagt: Solche Arbei-

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486 TV. J. Lenin

ter wenden sich von der Arbeiterklasse ab und gehen auf die Seite der

Bourgeoisie über. (Beifall.)Genossen! Ich komme nunmehr zur Behandlung der mir gestelltenFragen, aber zunächst will ich, um es nicht zu vergessen, die Frage nachder Schwarzmeerflotte1SS beantworten, die offenbar gestellt worden ist,um uns festzunageln. Ich kann Ihnen sagen, daß dort Genosse Raskol-nikow gearbeitet hat, den die Moskauer und Petrograder Arbeiter ausseiner Agitation und seiner Parteiarbeit ausgezeichnet kennen. GenosseRaskolnikow wird selber hier erscheinen und Ihnen berichten, wie erdafür agitiert hat, wir sollten die Flotte lieber vernichten, als zulassen,

daß die deutschen Truppen mit ihr gegen Noworossisk vorrücken. Soverhielt es sich mit der Schwarzmeerflotte. Die Volkskommissare Stalin,Schljapnikow und Raskolnikow treffen bald in Moskau ein. Sie werdenuns berichten, wie die Sache war. G enossen, Sie werden sehen, daß unserePolitik ebenso wie die Politik des Brester Friedens uns viele schwereHeimsuchungen gebracht hat, daß sie aber die einzige war, die der Sowjet-macht und der sozialistischen Arbeiterrevolution in Rußland die Mög-lichkeit gegeben hat, vor den Arbeitern aller Länder ihre Fahne hoch-zuhalten. Wenn jetzt in Deutschland mit jedem Tag die Zahl der Arbeiter

wächst, die ihre alten Vorurteile gegen die Bolschewiki aufgeben und dieRichtigkeit unserer Politik begreifen, so ist das das Verdienst jener Tak-tik, die wir, angefangen mit dem Brester Vertrag, befolgen.

Von den Fragen, die mir gestellt wurden, möchte ich auf zwei eingehen,die die Getreidezufuhr betreff en. Einzelne Arbeiter sagen: W arum verbietetihr das Heranschaffen von Getreide durch einzelne Arbeiter, wenn es fürihre Familie bestimmt ist? Die Antwort darauf ist einfach: Überlegt, washerauskäme, wenn die Tausende Pud, die für eine bestimmte Ortschaft,eine bestimmte Fabrik, einen bestimmten Bezirk oder einen bestimmten

Stadtteil notwendig sind, durch Tausende von Menschen herangebrachtwürden? Wenn wir das zuließen, so würde der völlige Zusammenbruchder Ernährungsorganisationen beginnen. Wir sprechen einen hungrigen,geplagten Menschen absolut nicht schuldig, der als einzelner auf die Suchenach Brot geht und es mit allen Mitteln zu beschaffen sucht, aber wirsagen: Wir sind als Arbeiter- und Bauernregierung nicht dazu da, denVerfall und den Zusammenbruch zu legalisieren und anzuspornen. Dazubedarf es keiner Regierung. Die Regierung ist dazu da, die Arbeiter zu

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vereinigen, sie zu organisieren, sie bew ußt zum Kampf gegen mangelnde

Bewußtheit zusammenzuschließen. Man kann nicht diejenigen schuldigsprechen, die aus Mangel an Bewußtheit alles im Stich lassen und aufnichts Rücksicht nehmen, um sich mit beliebigen M itteln herauszuhelfen —

um sich Brot zu beschaffen. Schuldig sprechen muß man aber diejenigen,die Parteimitglieder sind, und die, obwohl sie das Getreidemonopol pro-pagieren, die Bewußtheit und Geschlossenheit der Aktionen nicht ge-nügend unterstützen. Ja, der Kampf gegen die Hamsterer, gegen die indi-viduelle Getreidebeschaffung ist ein schwieriger Kampf, weil das einKampf gegen die Unwissenheit, gegen den Mangel an Bewußtheit, gegen

die Unorganisiertheit der breiten Massen ist, aber auf diesen Kampfwerden wir niemals verzichten. Jedesmal, wenn Leute sich auf individuelleBeschaffungen werfen, werden wir sie immer wieder zu proletarischen,sozialistischen Methoden der Bekämpf ung des Hungers auffordern: Schlie-ßen wir uns zusammen, laßt uns die krank gewordenen Abteilungen fürLebensmittelbeschaffung durch neue Kräfte ersetzen, ersetzen wir siedurch frische, stärkere, ehrlichere, bewußtere, erprobtere Menschen, undwir werden die gleiche Getreidemenge, die gleichen Tausende Pud heran -bringen, die 200 Personen mit zersplitterten Kräften einzeln zu je 15 Pudherbeischleppen, wobei sie die Preise steigern, die Spekulation verstärken.Wir hingegen werden diese 200 Mann zusammenschließen, wir werdeneine geschlossene, starke Arbeiterarmee schaffen. Wenn uns das nicht aufAnhieb gelingt, so werden wir unsere Anstrengungen wiederholen; wirwerden in jedem Betrieb, in jeder Fabrik danach trachten, daß die klassen-bewußten Arbeiter mehr Kräfte, zuverlässigere Leute für den Kampfgegen die Spekulation stellen, und wir sind überzeugt, daß das Klassen-bewußtsein, die Disziplin und die Organisiertheit der Arbeiter zu guterLetzt alle schweren Prüfungen überwinden werden. Wenn die Menschensich aus eigener Erfahrung davon überzeugt haben werden, daß Hundert-

tausende Hungernder nicht durch individuelle Hamsterei gerettet werdenkönnen, dann werden wir sehen, daß die Organisiertheit und das Klas-senbewußtsein siegen und daß wir auf dem Wege des Zusammenschlussesdie Bekämpfung des Hungers organisieren und eine richtige Brotverteilungerreichen werden.

Man fragt mich hier: Warum ist für andere, für Industrieerzeugnisse,die ebenso notwendig sind wie das Getreide, kein Monopol eingeführt?

32 Lenin, W erke, Bd. 27

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488 W. 3. Lenin

Darauf antworte ich: Die Sowjetmacht ergreift alle Maßnahmen dazu.

Sie wissen, daß die Tendenz besteht, die Textilfabriken, die Textilindu-strie zu organisieren, zu vereinigen. Sie wissen, daß in den meisten leiten-den Zentralstellen dieser Organisation Arbeiter sitzen, Sie wissen, daßdie Sowjetmacht die Nationalisierung aller Industriezweige in Angriffnimmt, Sie wissen, daß die Schwierigkeiten, die sich uns auf diesem W egeentgegenstellen, gewaltig sind, und daß es hier vieler Kräfte bedarf, umdas alles in organisierter Weise zu bewerkstelligen. Wir fassen diese Sachenicht so an, wie es Regierungen tun, die sich auf Beamte stützen. So istes leicht zu regieren : soll der eine vierhundert Rubel bekommen, soll der

andere mehr, soll er tausend Rubel bekommen, unsere Sache ist es, zubefehlen, und sie haben das auszuführen. So wird in allen bürgerlichenLändern regiert, man stellt gegen hohe Gehälter Beamte an, man stellteben die Söhnchen der Bourgeoisie an und beauftragt sie mit der Ver-waltung. Die Sowjetrepublik kann nicht in dieser Weise verwalten. Siehat keine Beamten, um die Vereinigung aller Textilfabriken, die Regi-strierung, die Einführung des Monopols für alle notwendigen Bedarfs-artikel und ihre richtige Verteilung zu lenken und zu leiten. Wir rufenauch hier die Arbeiter dazu auf, w ir rufen die Vertreter der Textilarbeiter-verbände und sagen ihnen: Ihr müßt im leitenden Kollegium der Textil-zentralstelle die Mehrheit bilden und ihr bildet darin die Mehrheit, sowie ihr in den leitenden Kollegien des Obersten Volkswirtschaftsrats dieMehrheit habt. Genossen Arbeiter, nehmt diese höchst wichtige Staats-angelegenheit selbst in Angriff; wir wissen, daß das schwerer ist, als sach-kundige Beamte anzustellen, aber wir wissen auch, daß es keinen anderenWeg gibt. Man muß die Macht in die Hände der Arbeiterklasse legenund trotz aller Schwierigkeiten die fortgeschrittenen Arbeiter lehren, auseigener Erfahrung, aus eigener Kraft, mit eigenen Händen dahinterzu-kommen, wie alle Artikel, alle Textilfabrikate im Interesse der Werk-

tätigen zu verteilen sind. (B ei fa ll .)

Das ist der Grund, warum die Sowjetmacht für die Einführung desstaatlichen Monopols, für die Ansetzung fester Preise alles tut, was siein der gegebenen Lage tun kann. Sie tut das durch die Arbeiter, gemein-sam mit den Arbeitern, sie gibt ihnen die Mehrheit in jeder Verwaltung,in jeder einzelnen Zentralstelle, sei es der Oberste Volkswirtschaftsrat,sei es die Vereinigung der Metallbetriebe oder die Vereinigung der in

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IV. Konferenz der Qewerksdbaften und der 'Betriebskomitees ^Moskaus 489

wenigen Wochen nationalisierten Zuckerfabriken. Dieser Weg ist ein

schwieriger Weg, aber, wie gesagt, ohne Schwierigkeiten ist es nicht zu er-reichen, daß Arbeiter, die früher gewohnt waren und von der BourgeoisieJahrhunderte hindurch nur dazu angehalten wurden, die Befehle der Bour-

geoisie sklavisch auszuführen — daß diese Arbeiter eine andere Stellungeinnehmen, daß sie fühlen: die Staatsmacht — das sind wir. Wir sind Herrder Industrie, Herr des Getreides, Herr aller Produkte im Lande. Wenndieses Bewußtsein tief in die Arbeiterklasse eindringt, wenn diese durcheigene Erfahrung, durch eigene Arbeit ihre Kräfte verzehnfacht, erstdann werden alle Schwierigkeiten der sozialistischen Revolution besiegt

sein.Zum Schluß richte ich an die Konferenz der Betriebskomitees noch ein-mal einen Appell: Hier, in der Stadt Moskau, wo die Schwierigkeiten be-sonders groß sind, denn Moskau ist ein gewaltiges Zentrum des Handelsund der Spekulation, wo Zehntausende Menschen seit vielen Jahren nurdadurch existieren, daß sie durch Handel und Spekulation ihren Lebens-unterhalt erwerben, hier sind die Schwierigkeiten besonders groß, aberdafür gibt es hier auch Kräfte, wie keine einzige kleine Stadt sie auf-zuweisen hat. Mögen die Arbeiterorganisationen, mögen die Betriebs-

komitees sich nur gut merken und fest einprägen, was alle gegenwärtigenEreignisse, was die jetzige Hungersnot, die die Werktätigen Rußlandsbetroffen hat, sie lehrt. Nur neue — immer neue und immer breitere —

Organisationen der klassenbewußten und fortgeschrittenen Arbeiter kön-nen die Revolution davor retten, daß die Macht an die Gutsbesitzer undKapitalisten zurückfällt. Diese Arbeiter bilden jetzt die Mehrheit, aberdas genügt nicht; sie müssen sich mehr der allgemeinen Staatsarbeit an-nehmen. In Moskau kommt es schrecklich oft vor, daß Spekulanten sichden Hunger zunutze machen, sich am Hunger bereichern, das Getreide-

monopol durchbrechen, wo die Reichen alles haben, was das Herz be-gehrt. In Moskau gibt es 8000 Mitglieder der Kommunistischen Parte i,in Moskau werden die Gewerkschaften 20000 bis 30000 Leute stellen,für die sie bürgen können, die zuverlässige, standhafte Wortführer derproletarischen Politik sein werden. Faßt sie zusammen, schafft Hundert-tausende von Abteilungen, nehmt die Sache der Ernährung in eure Hände,beginnt mit den Haussuchungen bei der ganzen reichen Bevölkerung —

und ihr werdet das erreichen, was ihr braucht. (B e if a ll .)

32 *

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490 W. 7. Lenin

Ich habe Ihnen voriges Mal geschildert, welcher Erfolg in dieser Sache

in der Stadt Jelez erzielt worden ist; in Moskau aber ist das schwierigerzu machen. Ich sagte, in Jelez sei es mit der Sache am besten bestellt. Esgibt viele Städte , wo die Dinge viel schlechter liegen, weil das eine schwie-rige Sache ist, weil es sich hier nicht um Mangel an Waffen handelt —

ihrer gibt es soviel man will —, sondern die Schwierigkeiten bestehendarin, daß es gilt, die leitenden, verantwortlichen Posten mit Hundertenund Tausenden unbedingt zuverlässiger Arbeiter zu besetzen, die zu be-greifen vermögen, daß die Sache, die sie verrichten, nicht ihren lokalenUmkreis, sondern ganz Rußland angeht; Arbeiter, die fähig sind, als

Vertreter der ganzen Klasse auf ihrem Posten zu stehen, nach einem be-stimmten, straffen Plan die Arbeit zu organisieren und das auszuführen,was vorgeschrieben ist, das, was der Moskauer Sowjet, die O rganisationendes ganzen proletarischen Moskaus beschließen. Die ganze Schwierigkeitbesteht darin, das Proletariat zu organisieren, es klassenbewußter zumachen, als es bisher war. Schaut euch die Petrograder Wahlen 13 9 an,und ihr werdet sehen, wie dort, obgleich der Hunger dort noch schlimmerwütet als in Moskau, obgleich das Unheil dort mit noch größerer Schwerehereinbrach, die Hingabe an die Arbeiterrevolution wächst, wie dortOrganisiertheit und Geschlossenheit zunehmen, und dann werdet ihr euchsagen, daß mit dem Wachstum der Leiden, die über uns hereingebrochensind, auch die Entschlossenheit der Arbeiterklasse wächst, alle dieseSchwierigkeiten zu überwinden. Beschreitet diesen Weg, verstärkt eureEnergie, schickt neue Abteilungen von Tausenden auf diesen Weg, umdas Ernährungswesen zu un terstützen, und wir werden mit euch, gestütztauf eure Hilfe, den Hunger besiegen und eine richtige Verteilung durch-setzen. (Beifall.)

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IV. Konferenz der Qewerksöhaften und der Betriebskomitees Moskaus 491

RESOLUTION ZUM BERICHT

ÜBER DIE GEGENWÄRTIGE LAGE

Die IV. Moskauer Konferenz der Betriebskomitees, die die Ernährungs-politik der Sowjetmacht voll und ganz unterstützt, billigt insbesonderedie Politik des Zusammenschlusses der Dorfarmut (und erklärt entschie-den, daß alle Arbeiter diese Politik unterstützen müssen).

Die Befreiung der Arbeiter kann nur das Werk der Arbeiter selbst sein,und nur das engste Bündnis der städtischen Arbeiter mit der Dorfarmutist imstande, den Widerstand der Bourgeoisie und der Kulaken zu be-siegen, alle Getreideüberschüsse zu erfassen und sie unter die Notleiden-

den in Stadt und Land richtig zu verteilen.Die Konferenz ruft alle Betriebskomitees auf, alle Kräfte anzuspannen,

um breitere Massen der Arbeiter in Abteilungen für Lebensmittelbeschaf-fung zu organisieren und diese unter der Führung der zuverlässigstenGenossen zur aktiven, allseitigen Unterstützung der Ernährungspolitikder Arbeiter- und Bauernregierung einzusetzen.

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492

R ED E A U F E I N E R K U N D G E B U N G

I M S I M O N O W - U N T E R B E Z I R K

28. J U N I 1 9 1 8

Kurzer Zeitungsbericht

( L e n i n w i r d v o n d e n A r b e i t e r n s t ü r m i s c h b e g r ü ß t . ) L e n i nspricht von der Unumgänglichkeit des Bürgerkriegs und fordert das Mos-kauer Proletariat auf, sich einmütig zum Kampfe sowohl gegen die kon-terrevolutionären Kräfte als auch gegen die Hungersnot und die Zerrüt-tung im Staate zu organisieren.

Beiläufig streift Lenin die Ereignisse in Saratow und Tam bow. Er weistdarauf hin, daß überall dort, wo es zu Aufständen kam, die von den

Parteien der Menschewiki und der rechten Sozialrevolutionäre inspiriertworden waren , die Arbeiterklasse von der Ideologie dieser Parteien raschenttäuscht wurde und ebenso rasch die Usurpato ren der Macht de r Arbei-ter und Bauern stürzte.

Wir wurden telegrafisch um Hilfe ersucht; unsere Truppen hattenjedoch noch nicht einmal die Hälfte des Weges zurückgelegt, als dieselbenArbeiter, die um Hilfe gebeten hatten, in einer neuen Mitteilung erklär-ten, daß die Notwendigkeit sofortiger Hilfe entfallen sei, da die Usur-patoren durch örtliche Kräfte besiegt worden seien. So war es in Saratow,

Tambow und anderen Städten.Lenin verweist darauf, daß der Krieg überhaupt den Bestrebungen derPartei der Kommunisten zuwiderläuft. Der Krieg aber, der heute propa-giert wird, ist ein heiliger Krieg, es ist der Bürgerkrieg, der Krieg derArbeiterklasse gegen ihre A usbeuter.

Ohne Mühe, ohne gewaltigen Energieaufwand werden wir nicht aufden Weg zum Sozialismus gelangen können. Zum erfolgreichen Kampffür die Ideale der Arbeiterklasse ist es notwendig, sich zu organisieren.

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Rede auf einer Kundgebung im Simonow-TAnterbezirk 493

Organisation ist auch notwendig, um imstande zu sein, alle um den Preis

schwerer Verluste undAnstrengungen erzielten Errungenschaften zu ver-ankern.

Es ist schwerer, die Macht zu behaupten, als sie zu ergreifen. An Bei-spielen aus der Geschichte sehen wir, daß die Arbeiterklasse die Machtoft in ihre Hände nahm, sie aber nur deshalb nicht behaupten konnte,weil sie über keine genügend starken Organisationen verfügte.

Das Volk ist ermüdet, fährt Lenin fort, man kann es natürlich zuirgendeiner Torheit treiben, man kann es sogar einem Skoropadski in dieArme treiben, denn das Volk ist in seiner Masse unaufgeklärt.

Jetzt bricht über uns der Hunger herein, wir wissen jedoch, daß auchohne Sibirien, ohne den Kaukasus und ohne die Ukraine das Getreidevollauf reicht. In den Gouvernements, die die Hauptstädte umgeben, gibtes bis zur neuen Ernte genug Getreide, aber das ganze Getreide wird vonden Kulaken versteckt gehalten. Man muß die Dorf armut organisieren,um mit ihrer Hilfe dieses Getreides habhaft zu werden. Notwendig istein schonungsloser Kampf gegen die Spekulation und gegen die Speku-lanten, ein Kampf nicht nur in Taten, sondern auch durchs Wort.

Nur die Arbeiterklasse, die durch ihre Organisation zusammenge-

schweißt ist, wird dem einfachen Volk die Notwendigkeit des Kampfesmit den Kulaken klarmachen können. Das russische Volk soll wissen, daßdie arme Bauernschaft am organisierten städtischen Proletariat einenmächtigen Bundesgenossen hat.

Die Arbeiterklasse und die Bauernschaft dürfen sich nicht allzusehr aufdie Intelligenz verlassen, da viele der Intellektuellen, die zu uns kommen,dauernd auf unseren Sturz warten.

Lenin schließt seine Rede mit dem Aufruf an die Arbeiter undBauern,sich zum Kampf gegen Kulakentum, Gutsbesitzer und Bourgeoisie zu

organisieren. (Lenins Rede geht im s t ü r m i s c h e n B e i f a l l derg e s a m t e n Z u h ö r e r s c h a f t u n t er .)

„Jswestija WZ3X" Wr. 133, Jiada dem 7ext der

29.!]unii9i8. „Jswestija WZJX".

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494

P R O P H E T I S C H E W O R T E

An Wunder wird heutzutage, Gott sei Dank, nicht mehr geglaubt. AufW undern beruhende Prophezeiung ist ein Ammenmärchen. Wissenschaft-liche Voraussage aber ist eine Tatsache. Und in unseren Tagen, da manringsum nicht selten schändlicher Mutlosigkeit oder sogar Verzweiflungbegegnen kann, ist es nützlich, an eine in Erfüllung gegangene wissen-schaftliche Voraussage zu erinnern.

Im Jahre 1887 geschah es, daß Friedrich Engels in der Einleitung zu

der Broschüre von Sigismund Borkheim „Zur Erinnerung für die deutschenMordspatrioten. 1806—1807" (diese Broschüre bildet den XXIV. Titelder „Sozialdem. Bibliothek", erschienen 1888 in Hottingen-Zürich) überden kommenden Weltkrieg schrieb.

Man höre, wie Friedrich Engels vor mehr als dreißig Jahren über denzukünftigen Weltkrieg urteilte:

„Und endlich ist kein andrer Krieg für Preußen-Deutschland mehrmöglich, als ein Weltkrieg, und zwar ein Weltkrieg von einer bisher niegeahnten Ausdehnung und Heftigkeit. Acht bis zehn Millionen Soldaten

werden sich untereinander abwürgen und dabei ganz Europa so kahlfressen wie noch nie ein Heuschreckenschwarm. Die Verwüstungen desDreißigjährigen Kriegs zusammengedrängt in drei bis vier Jahre und überden ganzen Kontinent verbreitet; Hungersnot, Seuchen, allgemeine, durchakute No t hervorgerufene Verwilderung der Heere wie der Volksmassen;rettungslose Verwirrung unsres künstlichen Getriebs in Handel, Industrieund Kredit, endend im allgemeinen Bankerott; Zusammenbruch der altenStaaten und ihrer traditionellen Staatsweisheit, derart, daß die Kronen zu

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Prophetische Worte 495

Dutzenden über das Straßenpflaster rollen und niemand sich findet, der

sie aufhebt; absolute Unmöglichkeit vorherzusehn, wie das alles endenund wer als Sieger aus dem Kampf hervorgehen wird; nur ein Resultatabsolut sicher: die allgemeine Erschöpfung und die Herstellung der Be-dingungen des schließlichen Siegs der Arbeiterklasse. —

Das ist die Aussicht, wenn das auf die Spitze getriebene System dergegenseitigen überbietung in Kriegsrüstungen endlich seine unvermeid-lichen Früchte trägt. Da s ist es, meine Herren Fürsten und Staatsmänner,wohin Sie in Ihrer Weisheit das alte Europa gebracht haben. U nd wennIhnen nichts andres mehr übrigbleibt, als den letzten großen Kriegstanz

zu beginnen — uns kann es recht sein. D er Krieg mag uns vielleicht m o-mentan in den Hintergrund drängen, mag uns manche schon erobertePosition entreißen. Aber wenn Sie die Mächte entfesselt haben, die Siedann nicht wieder werden bändigen können, so mag- es gehn, wie es will:Am Schluß der Tragödie sind Sie ruiniert und ist der Sieg des Prole-tariats entweder schon errungen oder doch unvermeidlich.

London, 15. Dezember 1887 _ . . , _ . ., „' • Jriedridb Engels"1*0

Welch geniale Voraussage! U nd wie unendlich reich an Gedanken jederSatz dieser genauen, klaren, knappen, wissenschaftlichen Klassenanalyse!Wieviel könnten diejenigen daraus schöpfen, die sich jetzt schändlicherKleingläubigkeit, Mutlosigkeit und Verzweiflung hingeben, wenn... ja ,wenn die Leute, denen Lakaientum gegenüber der Bourgeoisie zur Ge-wohnheit geworden is t oder die sich von ihr haben einschüchtern lassen,zu denken verstünden, fähig wären zu denken!

Einiges von dem, was Engels voraussagte, is t anders gekommen: wiesollten sich auch die Welt und der Kapitalismus in den dreißig Jahren

wahnsinnig schneller imperialistischer Entwicklung nicht geändert haben!Am erstaunlichsten aber ist, daß so vieles von dem , was Engels voraus-gesagt hat, eintrifft, „wie es geschrieben steht". Denn Engels hat eineeinwandfrei genaue Klassenanalyse gegeben, und die Klassen sowie ihreWechselbeziehungen sind die früheren geblieben.

„ . . . D er Krieg mag uns vielleicht momentan in den Hintergrund drän-gen . . ." Die Entwicklung folgte genau dieser Linie, ging aber noch weiterund war noch schlimmer: ein Teil der „zurückgedrängten" Sozialchauvi-

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496 . IV. J. Lenin

nisten und ihrer charakterlosen „halben Gegner", der Kautskyaner, be-

gannen ihren Krebsgang zu rühmen und wurden zu direkten Verräternund Abtrünnigen vom Sozialismus.

„ .. . Der Krieg . . . mag uns manche schon eroberte Position entrei-ßen ..." Eine ganze Reihe „legaler" Positionen wurde der Arbeiterklasseentrissen. Dafür ist sie durch die Prüfungen gestählt und empfängt dieharten, aber nützlichen Lehren der illegalen Organisation, des illegalenKampfes, der Vorbereitung ihrer Kräfte für den revolutionären Sturm.

„...daß die Kronen zu Dutzenden... rollen..." Einige Kronen sindschon gepurzelt, und unter ihnen i?t eine, die Dutzende andere wert ist:

die Krone des allrussischen Selbstherrschers N ikolaus Romanow.„...Absolute Unmöglichkeit, vorherzusehn, wie das alles enden...

w ir d .. ." Nach vier Jahren Krieg ist diese absolute Unmöglichkeit, wennman sich so ausdrücken darf, eine noch absolutere.

„...Rettungslose Verwirrung unsres künstlichen Getriebs in Handel,Industrie und Kredit..." Am Ende des vierten Kriegsjahres trat das ineinem der größten, einem der zurückgebliebensten Staaten, die von denKapitalisten in den Krieg hineingezogen worden waren — in Rußland —,

in vollem Umfang in Erscheinung. Aber zeigt nicht die wachsende Hun-

gersnot in Deutschland und Österreich, der Mangel an Kleidung undRohstoffen, die Abnutzung der Produktionsmittel, daß auch in ande-ren Ländern eine ebensolche Lage mit ungeheurer Schnelligkeit heran-naht?

Engels schildert die Folgen, die durch den „äußeren" Krieg allein her-vorgerufen werden; er berührt nicht den inneren, d. h. den Bürgerkrieg,ohne den noch keine einzige große Revolution in der Geschichte aus-gekommen ist, ohne den kein ernsthafter Marxist sich den Übergang vomKapitalismus zum Sozialismus hat vorstellen können. Und wenn der

äußere Krieg sich noch eine gewisse Zeit hinziehen kann, ohne eine „ret-tungslose Verwirrung" in dem „künstlichen Getrieb" des Kapitalismushervorzurufen, so liegt es auf der Hand, daß der Bürgerkrieg ohne einesolche Folge schon ganz und gar undenkbar ist.

Welchen Stumpfsinn, welche Charakterlosigkeit — um nicht von ge-winnsüchtiger Dienstbeflissenheit gegenüber der Bourgeoisie zu spre-chen — offenbaren diejenigen, die gleich unseren Leuten von der „NowajaShisn", den Menschewiki, den rechten Sozialrevolutionären usw. fort-

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Prophetisdbe Worte 497

fahren, sich „Sozialisten" zu nennen, dabei aber gehässig auf das Her-

vortreten dieser „rettungslosen Verw irrung" hinweisen und an allem demrevolutionären Proletariat, der Sowjetmacht, der „Utopie" des Übergangszum Sozialismus die Schuld geben! Die „Verwirrung" oder, auf gut rus-sisch ausgedrückt, die Zerrü ttung ist durch den Krieg hervorgerufen. Einenschweren Krieg ohne Zerrüttung kann es nicht geben. Ein Bürgerkrieg,die notwendige Bedingung und Begleiterscheinung der sozialistischen Re-volution, ist ohne Zerrüttung unmöglich. Der Revolution, dem Sozialis-mus „aus Anlaß" der Zerrüttung abschwören heißt lediglich seine Prin-zipienlosigkeit offenbaren und praktisch auf die Seite der Bourgeoisie

übergehen.„... Hungersnot, Seuchen, allgemeine, durch akute Not hervorgerufene

Verwilderung der Heere wie der Volksmassen..."Wie einfach und klar zieht Engels diese unbestreitbare Schlußfolgerung,

die offensichtlich ist für jeden, der auch nur im geringsten fähig ist, überdie objektiven Folgen eines mehrjährigen schweren, qualvollen Kriegesnachzudenken. U nd wie erstaunlich unk lug sind jene zahlreichen „Sozial-demokraten" und Jammer„sozialisten", die sich nicht in diese höchst ein-fache Überlegung hineindenken wollen oder können.

Ist ein mehrjähriger Krieg ohne Verwilderung sowohl der Heere alsauch der Volksmassen denkbar? Selbstverständlich nicht. Solche Folgeeines mehrjährigen Krieges ist für mehrere Jahre, wenn nicht für eineganze Generation, absolut unvermeidlich. Aber unsere „Menschen imFutteral", die Jammerlappen aus der bürgerlichen Intelligenz, die sich„Sozialdemokraten" und „Sozialisten" nennen, blasen in dasselbe Hörnwie die Bourgeoisie, indem sie für die Erscheinungen der Verwilderungoder für die unvermeidliche Härte der Kampfm aßnahmen gegen besonderskrasse Fälle von Verwilderung die Revolution verantwortlich machen —

obgleich es sonnenklar ist, daß diese Verwilderung dem imperialistischenKrieg geschuldet ist und daß sich keine einzige Revolution ohne langenKampf, ohne eine Reihe harter Repressalien von solchen Kriegsfolgenbefreien kann.

Sie sind bereit, die Revolution des Proletariats und der anderen unter-drückten Klassen „theoretisch" anzuerkennen, unsere süßlichen Schrei-berlinge von der „Nowaja Shisn", vom „Wperjod" oder vom „Delo Na-roda", nur soll diese Revolution vom Himmel fallen, nicht aber auf der in

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498 W. 3. Lenin

einem vierjährigen imperialistischen Völkergemetzel mit Blut getränkten

Erde geboren werden und w adisen, nicht inmitten von Millionen und aberMillionen Menschen, die in diesem Gemetzel gequält, gemartert wurdenund verwildert sind.

Es ist ihnen zu Gehör gekommen, und sie haben es „theoretisch" an-erkannt, daß die Revolution einem Geburtsakt zu vergleichen ist, als esjedoch zur Ta t kam, bekamen sie es schmählich mit der Angst zu tun , unddiese schäbigen Gestalten beschränkten sich nicht mehr aufs Flennen, son-dern begannen der Bourgeoisie die haßerfüllten Ausfälle gegen den Auf-stand des Proletariats nachzumachen. Nehmen wir die Beschreibung des

Geburtsaktes in der Literatur — Schilderungen, mit denen die Autorensich das Ziel setzten, die ganze Schwere, alle Qualen , alle Schrecken diesesAktes wahrheitsgetreu wiederzugeben; wie zum Beispiel in „La joie devivre" (Freude des Lebens) von Emile Zola oder in den „Aufzeichnungeneines Arztes" von Weressajew. Die Geburt eines Menschen ist ein Akt,der die Frau in ein gequältes, gemartertes, vor Schmerz wahnsinnig ge-wordenes, blutiges, halbtotes Stück Fleisch verwandelt. Würde jedochirgend jemand einverstanden sein, ein „Individuum" als Menschen an-zuerkennen, das in der Liebe, in ihren Folgen, in der Mutterwerdung der

Frau nur dies sähe? Das aus diesem Grunde der Liebe und der Kinderzeu-gung abschwüre?

Es gibt leichte und es gibt schwere G eburten. M arx und Engels, die Be-gründer des wissenschaftlichen Sozialismus, sprachen stets von langenQeburtstvehen, die unvermeidlich mit dem Obergang vom Kapitalismuszum Sozialismus verbunden sind. Und in seiner Analyse der Folgen einesWeltkriegs schildert Engels einfach und klar die unstrittige und unver-kennbare Tatsache, daß eine Revolution, die einem Kriege folgt, die mitdem Krieg verbunden ist (und noch dazu — fügen wir hinzu — während

eines Krieges ausgebrochen ist, die gezwungen ist, zu wachsen und sichzu behaupten, während sie vom W eltkrieg um brandet ist), daß eine solcheRevolution ein besonders schwerer Geburtsfall ist.

In klarer Erkenntnis dieser Tatsache spricht Engels .besonders vorsich-tig von der Geburt des Sozialismus durch die in einem Weltkrieg unter-gehende kapitalistische Gesellschaft. „Nur ein Resultat" (des Weltkriegs),sagt er, ist „absolut sicher: die allgemeine Erschöpf ung und die Tier st eilungder Bedingungen des schließlichen Siegs der Arbeiterklasse."

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Propbetisdie Worte 499

Noch klarer wird dieser Gedanke am Schluß der von uns behandelten

Einleitung ausgedrückt:„. . .Am Schluß der Tragödie sind Sie" (die Kapitalisten und Guts-

besitzer, die Könige und Staatsmänner der Bourgeoisie) „ruiniert und istder Sieg des Proletariats entweder schon errungen oder doch unvermeid-lich."

Schwere Geburten vergrößern um ein vielfaches die Gefahr einer töd-lichen Erkrankung oder eines tödlichen Ausgangs. Aber wenn es vor-kommt, daß Menschen bei der Geburt sterben, die neue Gesellschaft, wiesie von der alten Ordnung geboren wird, kann nicht sterben, ihre Geburt

gestaltet sich nur qualvoller und langwieriger, ihr Wachstum und ihreEntwicklung vollziehen sich langsamer.

Das Ende des Krieges ist noch nicht eingetreten. Wohl aber ist die all-gemeine Erschöpfung eingetreten. Von den beiden unmittelbaren Ergeb-nissen des Krieges, die Engels bedin gt voraussagte (entwede r ist der Siegder Arbeiterklasse schon errungen, oder es sind, trotz aller Schwierig-

keiten, die Bedingungen geschaffen, die ihn unvermeidlich machen), vondiesen beiden Bedingungen sind heute, Mitte 1918, beide vorhanden.

In einem, dem am wenigsten entwickelten kapitalistischen Land ist der

Sieg der Arbeiterklasse sdbon errungen. In den übrigen werden mit derunerhörten Anstrengung unerhörter Qualen die Bedingungen geschaffen,die diesen Sieg „doch unvermeidlich" machen.

Mögen die „sozialistischen" Jammerlappen unken, mag die Bourgeoisiewüten und toben. Nur Menschen, die sich die Augen zuhalten, um nichtzu sehen, und sich die Oh ren verstopfen, um nicht zu hören, kan n es ver-borgen bleiben, daß auf der ganzen Welt für die alte, die kapitalistischeGesellschaft, die mit dem Sozialismus schwanger geht, die Geburtswehenbegonnen haben. Auf unser Land, das durch den Gang der Ereignisse

zeitweise zur Vorhut der sozialistischen Revolution geworden ist, fallenheute die besonders schweren Qualen der ersten Periode des einsetzendenGeburtsaktes. Wir haben allen Grund, voller Festigkeit und mit abso-luter Zuversicht in die Zukunft zu blicken, die uns neue Bundesgenossen,neue Siege der sozialistischen Revolution in einer Reihe fortgeschrittene rerLänder bringen wird. Wir haben ein Recht, stolz zu sein und uns glück-lich zu schätzen, daß es uns als ersten beschieden war, in einem Winkeldes Erdballs den Kapitalismus zur Strecke zu bringen, diese wilde Bestie,

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500 W. 3. £enin

die die Erde mit Blut überschwemmt hat, die die Menschheit zum Hunger

und zur Verwilderung getrieben hat und die unweigerlich und bald ster-ben wird, wie ungeheuer bestialisch die Erscheinungsformen der Rasereivor ihrem Tode auch sein mögen.

29. Juni 1918

„Trawda" 5Vr. 133, 7ia6] dem 7ext der „Trawda".2. Juli 1918.Unterschrift: N.Cenin.

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R ED E A U F E I N E R K U N D G E B U N G

I N D E R A L E X E J - M A N E G E

2. J U L I 1 9 1 8

Kurzer Zeitungsbericht

Lenin weist darauf hin, daß die Armee, ebenso wie die Produktions-mittel, früher ein Werkzeug zur Unterdrückung in den Händen der Aus-beuterklasse war. Jetzt aber werden in Rußland beide zu Werkzeugendes Kampfes für die Interessen der W erktätigen.

Diese Umwälzung hat sich nicht leicht vollzogen, das wissen die Sol-daten der alten Zarenarmee von der Disziplin her, die diese Armee ge-fesselt h ielt. Dann führt Lenin einen Fall aus der jüngsten Vergangenheitan. In Finnland hörte er, wie eine alte finnische Bäuerin erzählte, in

früheren Zeiten habe der Mann mit dem Gewehr ihr nicht erlaubt, imWalde Reisig zu sammeln, jetzt aber sei er, im Gegenteil, nicht mehrgefährlich, er schütze sie sogar. Wie sehr uns auch, fährt Lenin fort, dieBourgeois und ihre Anhänger mit Schmutz bewerfen mögen, wie vieleVerschwörungen die Weißgardisten auch immer anzetteln mögen, wenndie Erkenntnis, daß die jetzige Armee die Beschützerin der Werktätigenist, sogar so unaufgeklärten Massen der Ausgebeuteten zum Bewußtseingekommen ist, so ist die Sowjetmacht stark.

Dann verweist Lenin darauf, daß der Hunger, genau wie früher, die

Spekulanten und Kapitalisten stärkt. Jetzt geht das gleiche vor sich, sodaß die neue Armee möglicherweise im Bürgerkrieg auch mit diesen sichan der Hungersnot bereichernden Spekulanten zu tun haben wird. Magdie alte Welt, mögen die Vertreter der überlebten Gesellschaft sich be-mühen, den Hungernden auf alte Weise zu helfen, die neue Welt wirdes ihnen zum Trotz auf neue Weise tun. Wir werden siegen, sagt Lenin,wenn die fortgeschrittenen Avantgarden der Werktätigen daran denkenwerden, wenn die Rote Armee daran denken wird, daß sie die Interessen

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502 W. J. Lenin

des gesamten internationalen Sozialismus vertreten und verteidigen. —

Weiter weist Lenin darauf hin, daß wir nicht allein sind. Ein Beispieldafür sind die Ereignisse in Österreich, sind ebenso unsere Gesinnungs-genossen, die, wenn auch augenblicklich niedergehalten , doch in allen Län-dern Europas ihr Werk verrichten.

„Vrawda" 3Vr. 135, TJadb dem Jen der „Prawda".4. Juli i9i8.

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503

R E D E I N D E R S I T Z U N G

D ER K O M M U N I S T I S C H E N F R A K T IO N

D E S V . S O W J E T K O N G R E S S E S

3. J U L I 1 9 1 8

Kurzer Zeitungsbericht

Nachdem Lenin die Frage der internationalen Lage Rußlands gestreifthatte, verwies er darauf, daß unsere Position nach wie vor bedroht ist.Der äußere Feind kündigt nicht nur an , uns überfallen zu wollen, er reißtvielmehr schon einzelne Stücke von Rußland los.

Diese labile, schwankende Lage wird wahrscheinlich bis zu dem Augen-blick andauern, wo durch die Anstrengungen de r A rbeiterklasse der gan-zen Welt das Kapital gestürzt sein wird. Der gegenwärtige Augenblickmuß als Atempause zur Festigung der Sowjetmacht ausgenutzt werden .

In seinen Ausführungen über das Weltgemetzel bemerkte Lenin, daßein Sieg der deutschen Waffen Friedensabmachungen zwischen den impe-rialistischen Ländern unmöglich mache. Die englischen und französischenKapitalisten können sich nicht damit abfinden, daß Deutschland eine soungeheure Menge zusammengeräubert hat. Dazu kommt noch, daß nacheiner Reihe von Offensiven in Frankreich, wo Deutschland Hunderttau-sende seiner Soldaten gelassen hat, ein gewisses Gleichgewicht der Kräfteentstanden ist und die deutschen Bajonette somit keine direkte Gefahrdarstellen. Außerdem rechnen die Ententeimperialisten mit jener Zer-

rüttung, jenem katastrophalen Zustand, der in Österreich-Ungarn ein-getreten ist.Aus der allgemeinen Lage der Dinge ergibt sich nur eine Schlußfolge-

rung — der Krieg wird ausweglos. In dieser Ausweglosigkeit liegt dieGewähr dafür, daß für unsere sozialistische Revolution wesentliche Vor-aussetzungen gegeben sind, sich bis zu dem Augenblick zu halten, da dieWeltrevolution ausbricht. Hierfür aber bürgt der Krieg, den nur dieArbeitermassen werden beenden können. Unsere Aufgabe besteht darin,

33 Lenin, We rke, Bd. 27

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504 TV. 1. Lenin

die Sowjetmacht zu behaupten, was wir auch tun, indem wir zurück-

weichen und lavieren. Im gegenwärtigen Augenblick den offenen Kampfaufnehmen hieße die Lage der Weltrevolution verschlechtern.

Nachdem Lenin geschildert hatte, in welchem Zustand wir die Wirt-schaft des Landes von den verschiedenen rechten Parteien übernommenhaben, die früher an der Macht waren, verwies er auf die ganze Schwierig-keit des wirtschaftlichen Wiederaufbaus, der nach neuen Grundsätzenorganisiert wird.

Im Kampfe gegen die Hungersnot haben wir zwei Feinde: die Reichenund die Zerrüttung. Es ist in diesem Kampf unerläßlich, daß der arme

Bauer an das brüderliche Bündnis mit dem Arbeiter glaubt. Worten wirder keinen Glauben schenken, aber Taten wird er glauben. Wir könnenunsere Hoffnung hier nur auf das Bündnis der klassenbewußten städ-tischen Arbeiter mit der Dprfarmut setzen. Der Kampf für das Recht allerauf Brot und für das Recht auf eine gerechte Verteilung ist eine großeAufgabe. In der Fähigkeit, gleichmäßig zu verteilen, liegen die Grund-lagen des Sozialismus, den wir schaffen. Dafür sind wir nicht nur vorunseren Brüdern, sondern auch vor den Arbeitern der ganzen Welt ver-antwortlich.

Sie sollen sehen, daß der Sozialismus nicht etwas Unmögliches ist, son-dern daß er die feste proletarische Gesellschaftsordnung ist und daß ihndas Proletariat der ganzen Welt erstreben muß.

„Prawda" 9Vr. 135, Nadi dem 7ext der „Tfawda".4. Juli {918.

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V. GESAM TRUSSISCHER KONG RESS DER SOW JETS

DER ARBEITER-, BAUERN-, SOLDATEN-

U N D R O TA R M I S TEN D EP U TI ER TEN "1

4.-10. Juli 1918

£ n Zeitungsbericht wurdeam 6. Juli 1918 in den

„Iswestija WZJX" 5Vr. 139veröffentlicht.

Nach dem 7ext des Buches „DerJünfte Qesamtrussisdhe Sowjet-

kongreß. Stenografischer Be-richt". Herausgegeben vom Qe-samtrussischen ZSK, 1918; dieersten fünf Absätze des Schluß-worts nach dem Text der Zeit-schrift „Westnik Tutej Soob-schtsdhenija" (Bote desVerkehrs-wesens] TVr. 7/8, Jahrgang 1918.

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BERICHT DES RATS DER VOLKSKOMMISSARE5. JULI 1918

Genossen, gestatten Sie mir, obgleich die Rede meiner Vorrednerinstellenweise außerordentlich erregt w ar 142, Ihnen meinen Bericht im Na-men des Rats der Volkskommissare in der üblichen Weise vorzutragenund die wichtigsten prinzipiellen Fragen so zu behandeln, wie sie es ver-dienen, ohne daß ich mich auf jene Polemik einlasse, die der Vorrednerinso erwünscht wäre und auf die ich natürlich nicht ganz zu verzichten be-absichtige. Genossen, Sie wissen, daß seit dem letzten Kongreß der Haupt-faktor, der unsere Lage bestimmt, der unsere Politik geändert und unsere

Taktik und unser Verhältnis zu einigen anderen Parteien in Rußland be-stimmt hat, der Brester Vertrag war. Sie entsinnen sich, wie viele Vor-würfe man uns auf dem vorigen Kongreß gemacht hat, wie viele Beschul-digungen auf uns niedergehagelt und wie viele Stimmen laut gewordensind, daß die vielgerühmte Atempause Rußland nicht helfen werde, daßdas Bündnis des internationalen Imperialismus sowieso abgeschlossen seiund daß der Rückzug, zu welchem wir hinlenken, praktisch zu'nichtsführen könne. Dieser Hauptfaktor ha t die gesamte Stellung auch der kapi-talistischen Staaten bestimmt, und auf diesen Faktor müssen wir natürlich

eingehen. Ich glaube, Genossen, nach den verflossenen dreieinhalb Mona-ten wird es unbestreitbar, daß wir trotz aller Vorwürfe und Anschul-digungen recht hatten. Wir können sagen, daß das Proletariat und dieBauern, die andere nicht ausbeuten und sich nicht am Hunger des Volkesbereichern, daß sie alle bedingungslos hinter uns stehen und auf jedenFall gegen jene Unvernünftigen sind, die sie in einen Krieg zerren undden Brester Vertrag zerreißen möchten. (L är m .)

Neun Zehntel treten für uns ein, und je klarer sich die Lage abzeichnet,

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desto unbestreitbarer wird es, daß unsere Taktik richtig ist. Gegenwärtig,

wo die westeuropäischen imperialistischen Parteien, wo die beiden wich-tigsten imperialistischen Gruppen in einem Kampf auf Tod und Lebengegeneinander stehen, wo sie einander mit jedem Monat, mit jeder Woche,mit jedem Tag näher und immer näher zu dem Abgrund stoßen, dessenUmrisse wir deutlich sehen, in einem solchen Augenblick ist die Richtig-keit unserer Taktik für uns besonders handgreiflich. Das wissen undfühlen besonders gut diejenigen, die den Krieg mitgemacht, den Krieggesehen haben, die über den Krieg nicht in leichtfertigen Redensartensprechen. Besonders klar ist uns : Solange jede der Gruppen stärker ist als

wir und solange der grundlegende Umschwung, der es den Arbeitern unddem werktätigen Volk Rußlands gestatten wird, aus den Ergebnissen derRevolution Nutzen zu ziehen, sich von dem erhaltenen Schlag zu erholenund sich zu voller Größe aufzurichten, um eine neue, organisierte, diszi-plinierte Armee zu schaffen, um sie nach neuen Grundsätzen aufzubauen,damit wir imstande wären, nicht in W orten, sondern in der Ta t . .. ( S tü r -m is ch er B e i fa l l l i n k s , Zu ru f vo n r e c h t s : „Kerenskü"), so-lange dieser Umschwung noch nicht eingetreten ist, müssen wir warten.Je tiefer wir daher in die Volksmassen eindringen, je näher wir heran-

treten an die Arbeiter der Fabriken und Werke und an das werktätigeVolk, an die Bauernschaft, die keine Lohnarbeit ausbeutet, die nicht dieSpekulanteninteressen des Kulaken verteidigt, nicht ihr Getreide verstecktund nicht die Lebensmitteldiktatur fürchtet, um so bestimmter kann mansagen, daß wir auch dort volle Sympathie und Einmütigkeit finden wer-den, wie wir sie, das können wir heute mit voller Überzeugung sagen,jetzt gefunden haben. Jawohl, gegen diese Feinde — die Imperialisten —

will, kann und wird das Volk jetzt keinen Krieg führen, wie sehr auchmanche Leute, aus Unverstand und benebelt von Phrasen, das Volk in

diesen Krieg hetzen möchten, mit welchen Worten sie das auch immerbemänteln mögen. Jawohl, Genossen, wer jetz t direkt oder indirekt, offenoder verhüllt vom Krieg schwatzt, wer gegen die Brester Schlinge zetert,der sieht nicht, daß es die Herren Kerenski und die Gutsbesitzer, dieKapitalisten und die Kulaken sind, die den Arbeitern und Bauern in Ruß-land die Schlinge um den Hals leg en ... ( Z w i s c h e n r u f : „Mirbach!"Lärm.) So sehr sie auch in den Versammlungen brüllen mögen, beimVolke steht ihre Sache hoffnungslos! ( B e if a ll , L är m .)

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V. gesamtrussischer Sowjetkongreß 509

Es wundert mich nicht im geringsten, daß diesen Leuten in der Lage,

in die sie geraten sind, nichts anderes übrigbleibt, als mit Geschrei, hyste-rischen Anfällen, Geschimpfe und wilden Ausfällen zu antworten (Bei-f a l l ) , da andere Argumente nicht vorhanden sin d. . . ( Z w i s c h e n r u f :„Es gibt Argumente!" Lärm.)

Neunundneunzig Prozent der russischen Soldaten wissen, was für un-glaubliche Qualen es gekostet hat, den Krieg zu überwinden. Sie wissen,daß unglaubliche Anstrengungen notwendig sind, daß man mit dem Raub-krieg Schluß machen mußte, um den Krieg auf einer neuen sozialistischenund ökonomischen Basis zu organisieren. ( Z w i s c h e n r u f e : „Mirbadi

erlaubt das nicht!") Sie werden diesen Krieg nicht mitmachen, weil siewissen, daß die rasenden Kräfte des Imperialismus fortfahren zu kämp-fen, wenn diese auch in den drei Monaten, die seit dem vorigen Kongreßverflossen sind, wieder um einige Schritte dem Abgrund näher gekommensind. Nachdem wir, die wir die Bedeutung einer Friedensdeklaration be-griffen und diese Bedeutung durch unsere von Gen. Trotzki geführteBrester Delegation den Arbeitern aller Länder zur Kenntnis brachten, inErfüllung unserer Pflicht gegenüber allen Völkern offen einen ehrlichendemokratischen Frieden vorgeschlagen hatten, wurde dieses Angebot von

der wutschnaubenden Bourgeoisie aller Länder h intertrieben. Unse re Hal-tung kann nicht anders als abwartend sein, und das Volk wird es nocherleben, daß diese rasenden, heute noch starken Gruppen der Imperia-listen in jenen Abgrund stürzen, dem sie sich jetzt nähern — das sehenalle... (Beifall.) Das sehen alle, die nicht absichtlich die Augen schlie-ßen. Dieser Abgrund ist in den dreieinhalb Monaten, wo die um den Ver-stand gekommene imperialistische Partei dafür eintritt, den Krieg hinzu-ziehen, zweifellos näher gerückt. W ir wissen, fühlen und spüren, daß w irjetzt zu einem Krieg noch nicht gerüstet sind. Das sagen die Soldaten, die

Krieger, die den Krieg praktisch ausgekostet haben, während jenes Ge-schrei; das dazu auffordert, die Brester Schlinge jetzt abzustreifen, vonden Menschewiki, den rechten Sozialrevolutionären und den AnhängernKerenskis, den Kadetten ausgeht. Sie wissen, wo die Anhänger der G uts-besitzer und Kapitalisten geblieben sind, wo die Trabanten der rechtenSozialrevolutionäre, der Kadetten geblieben sind. In jenem Lager werdendie Reden der linken Sozialrevolutionäre, die ebenfalls zum Krieg neigen,stürmischen Beifall ernten. Die linken Sozialrevolutionäre sind, wie die

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Vorredner gezeigt haben, in eine peinliche Lage gekommen — sie wollten

in das eine Zimm er und sind in das andere geraten. (B e if a ll .)W ir w issen, daß eine große Revolution von den Volksmassen selbst aus

der Tiefe emporgehoben wird,daß dazu Monate und Jahre nötig sind. W irwundern uns nicht, daß die Partei der linken Sozialrevolutionäre währendder Revolution unglaubliche Schwankungen durchgemacht hat. Hier hatTrotzki von diesen Schwankungen gesprochen. Ich habe nur hinzuzu-fügen, daß die Genossen linken Sozialrevolutionäre am 26. Oktober, alswir sie aufforderten, in die Regierung einzutreten, dies ablehnten. Alsdann K rasnow vor den T oren Petrograds stand, waren sie nicht mit uns,

und folglich kam es so, daß sie nicht uns, sondern Krasnow geholfenhaben. Wir wundern uns nicht über diese Schwankungen. Ja, diese Parteihat sehr vieles durchgemacht. Aber, Genossen, alles hat auch seineGrenzen.

Wir wissen, daß die Revolution eine Sache ist, die durch Erfahrungenund durch die Praxis gelernt wird, und daß die Revolution nur dann zueiner Revolution wird, wenn Dutzende Millionen Menschen in einmüti-gem Drang sich wie ein Mann erhoben haben. (B e if a ll , d e r d ie R e d eL e n in s ü b e r t ö n t , Z u r u f e : „Es leben die Sowjets!") Dieser Kampf,

der uns zu einem neuen Leben emporträgt, ist von 115 Millionen Men-schen begonnen worden; diesen großen Kampf muß man mit tiefstemErnst aufmerksam betrachten. (Stürmischer Beifall .) Im Oktober,als die Sowjetmacht errichtet wurde, am 26. Oktober 1917, a l s . . . (Lärm,Rufe, Beifall) unsere Partei und ihre Vertreter im ZEK die Parteider linken Sozialrevolutionäre aufforderten, in die Regierung e inzutreten,da lehnten sie ab. In dem Augenblick, als die linken Sozialrevolutionärees ablehnten, in unsere Regierung einzutreten, waren sie nicht mit uns,sondern gegen uns. (Lä rm auf de n Bä nk en d er l i n k e n S o z ia l -

revolutionäre.) Es ist mir sehr unangenehm, daß ich etwas ausspre-chen mußte, was Ihnen mißfällt. ( Z u n e h m e n d e r L ä rm auf d erRechten.) Aber was kann man machen? Wenn der KosakengeneralK r a s n o w . . . ( L ä r m u n d G e s c h r e i m a c h e n d i e F o r t s e t z u n gd e r R e d e un m ög l i c h . ) Als Sie am 26. Oktober schwankten und selbstnicht wußten, was Sie wollten, und es ablehnten, mit uns zusammenzu-ge he n . . . ( L ä r m , de r s i c h e i n i ge M i nu t e n l a ng n i c h t l e g t . )Wahrheit tut weh! Ich erinnere Sie daran, daß die Leute, die geschwankt

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V. Qesamtrussisdber Soivjetkoncjreß 511

haben, die selbst nicht wissen, was sie wollen, es ablehnen, mit uns zu

gehen, daß sie auf andere hören, die Märchen erzählen. Ich habe Ihnengesagt, wie ein Soldat, der im Kriege gewesen w a r .. . ( L ä r m , B e if al l. )Als die Vorrednerin sprach, wurde sie von der überwiegenden Mehrheitdes Kongresses nicht gestört. Das ist auch begreiflich. Wenn aber dieseLeute es vorziehen, den Kongreß zu verlassen, dann glückliche Reise!( L ä r m u n d E r r e g u n g a u f d e n r e c h t e n B ä n k e n . )

Also, Genossen, daß wir in der Angelegenheit des Brester Friedens-schlusses recht hatten , wurde durch den ganzen Verlauf der Ereignisse be-wiesen. Und diejenigen, die auf dem vorigen Sowjetkongreß versuchten,

über die Atempause schlechte Witze zu reißen, haben gelernt und habeneingesehen, daß wir, wenn auch mit unglaublicher Mühe, einen Aufschuberhalten haben, und während dieses Aufschubs haben unsere Arbeiterund Bauern einen gewaltigen Schritt vorwärts zum sozialistischen Auf-bau getan, wohingegen die Mächte des Westens einen gewaltigen Schrittvorwärts zu jenem Abgrund getan haben, in den der Imperialismusum so rascher hineinstürzt, je weiter dieser Krieg mit jeder Woche fort-schreitet.

Und deshalb kann ich mir das Verhalten jener Leute, die unter Beru-

fung auf die Schwierigkeit unserer Lage unsere Taktik angreifen, nurdurch ihre völlige Ratlosigkeit erklären. Ich wiederhole, es genügt, auf dieletzte Zeitspanne von dreieinhalb M onaten hinzuweisen. Ich erinnere die-jenigen, die auf jenem Kongreß waren, an die Worte, die dort geäußertwurden, und empfehle denjenigen, die nicht dort waren, das Protokolloder die Zeitungsberichte über den vorigen Kongreß nachzulesen, umsich davon zu überzeugen, daß die Ereignisse unsere Taktik vollauf ge-rechtfertigt haben. Zwischen den Siegen der Oktoberrevolution und denSiegen der internationalen sozialistischen Revolution kann es keine Grenzegeben, die Ausbrüche in den anderen Ländern müssen beginnen. Um siezu beschleunigen, haben wir in der Brester Periode alles menschenmög-liche getan. Wer die Revolutionen von 1905 und 1917 mitgemacht, werüber sie nachgedacht und einen ernsten Standpunkt zu ihnen bezogen hat,der weiß, daß diese Revolutionen in unserem Lande mit unglaublicherMühe geboren wurden.

Zwei Monate vor dem Januar 1905 und dem Februar 1917 hätte keineinziger Revolutionär, und sei er auch noch so erfahren und kenntnisreich,

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512 W.l Lenin

kein einziger Kenner des Volkslebens voraussagen können, daß ein sol-

cher Fall Rußland zur Explosion bringen w ürde. Einzelne Schreie auffan-gen und Losungen in die Volksmassen werfen, die einem Bruch des Frie-dens gleichkommen und uns in den Krieg schleudern können, das ist einePolitik von Menschen, die völlig konfus geworden sind, die den Kopf ver-loren haben. Um einen Beweis für diese Konfusion zu erbringen, will ichIhnen als Beispiel Worte eines Menschen anführen, an dessen Aufrichtig-keit weder ich noch sonst jemand zweifelt — Worte der Genossin Spiri-donowa aus jener Rede, die unwiderrufen in der Zeitung „Golos Trudo-wowo Krestjanstwa" " 3 veröffentlicht wurde. In diese Rede vom 30. Juni

hat Genossin Spiridonowa die drei nichtssagenden Zeilen eingeflochten,die Deutschen hätten uns das Ultimatum gestellt, ihnen für zwei Milliar-den Textilien zu liefern.

Eine Parte i, die ihre aufrichtigsten Vertre ter so weit bring t, daß auch siein diesen entsetzlichen Sumpf von Betrug und Lüge versinken, eine solchePartei ist endgültig erledigt. Die Arbeiter und Bauern wissen bestimmt,welche unglaublichen Anstrengungen, welche inneren Kämpfe uns dieUnterzeichnung des Brester Vertrags gekostet hat. Sind wirklich nochMärchen und Erfindungen nötig, um auszumalen, wie drückend dieser

Frieden ist, Märchen und Erfindungen, zu denen sogar die aufrichtigstenMenschen aus dieser Partei ihre Zuflucht nehmen? Wir aber wissen, wel-ches die wahren Interessen des Volkes sind, und von ihnen lassen wir unsleiten, während sie weder aus noch ein wissen und sich in hysterischemGeschrei ergehen. Von diesem Gesichtspunkt aus ist ein derartiges völligkopfloses Benehmen schlimmer als jede Provokation. Besonders wenn wirdie Parteien Rußlands in ihrer Gesamtheit betrachten, und das erfordertdie wissenschaftliche Einstellung zur Revolution. Niemals darf man ver-gessen, die Beziehungen aller Parteien zusammen als ein Ganzes zu sehen.

Einzelne Personen, einzelne Gruppen mögen sich irren, mögen unfähigsein, ihre Haltung zu finden, ihr eigenes Verhalten zu erklären, aber wennwir die Parteien Rußlands in ihrer Gesamtheit nehmen und deren Wech-selverhältnis betrachten — dann kann es keinen Irrtum geben. Sehen Siesich an, was je tzt, wo sie die Appelle der linken Sozialrevolutionäre h ören ,die rechten Sozialrevolutionäre, die Kerenski, Sawinkow und anderesagen... Sie applaudieren gegenwärtig wie besessen. Sie wären froh,Rußland heute, da Miljukow es nötig hat, in den Krieg zu zerren. Und

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V. gesamtrussischer Sowjetkongreß 513

jetzt so von der Brester Schlinge sprechen heiß t dem russischen Bauern die

Schlinge des Gutsbesitzers um den Hals werfen. W enn man uns hier vomKampf gegen die Bolschewiki spricht, wie die Vorredn erin von dem Streitmit den Bolschewiki gesprochen hat, so erwidere ich: Nein, Genossen, dasist kein Streit, das ist ein wirklicher, unwiderruflicher Bruch, ein Bruchzwischen denen, die die Schwere der Lage ertragen und dem Volke dieWahrheit sagen, aber nicht zulassen, daß man sich am Geschrei berausche,und denen, die sich an diesem Geschrei berauschen und ungewollt fremdeArbeit — die Arbeit von Provokateuren — verrichten. (B eif all.)

Ich schließe den ersten Teil meines Berichts. Während der letzten drei-

einhalb Monate des wahnwitzigen imperialistischen Krieges haben sichdie imperialistischen Staa ten jenem A bgrund genähert, in den sie das Volkstoßen. Uns hat diese verblutende Bestie viele Stücke aus dem lebendigenLeib gerissen. Unsere Feinde nähern sich diesem Abgrund so schnell, daßselbst dann, wenn ihnen mehr als dreieinhalb Monate zur Verfügung ge-stellt würden und wenn uns das imperialistische Gemetzel von neuemebensolche Verluste zufügte, sie und nicht wir zugrunde gehen würden,weil die Geschwindigkeit, mit der ihre Widerstandskraft nachläßt, sieschnell dem Abgrund entgegenführt. Bei uns aber entwickelten sich wäh-

rend dieser dreieinhalb Mon ate tro tz der riesigen Bürde, von der wir offenvor dem ganzen Volk sprechen, ungeachtet alles dessen, gesunde Keimeeines gesunden Organismus. Sowohl in der Industrie wie überall sonstschreitet eine kleine, vielleicht nicht effektvolle, nicht viel Aufsehen er-regende Aufbauarbeit voran. Sie hat ihre höchst fruchtbaren Resultategezeitigt, und wenn wir noch drei Monate, noch sechs Monate, noch denganzen Winter hindurch so weiterarbeiten, werden wir weiterkommen.Die westeuropäische imperialistische Bestie dagegen, im Kampf ermüdend,wird einen solchen Wettstreit nicht aushalten, weil in ihrem Innern Kräfteheranreifen, die heute noch nicht an sich glauben, die jedoch den Unter-gang des Imperialismus herbeiführen werden. Was aber dort schon be-gonnen, gründlich begonnen wurde, kann in dreieinhalb Monaten nichtgeändert werden. Von dieser aufbauenden, schöpferischen Kleinarbeitwird viel zuwenig gesprochen, und ich glaube, daß wir näher auf sie ein-gehen müssen. Ich meinerseits kann schon deshalb nicht mit Schweigendarüber hinweggehen, weil die Angriffe der Vorrednerin in Betracht ge-zogen werden müssen. Ich nehme Bezug auf die Resolution des ZEK vom

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29. April 1918*. Damals habe ich ein Referat über die nächsten Auf-

gaben der Sowjetmacht** gehalten und habe betont, daß , zugleich mit derunglaublichen Schwierigkeit unserer Lage, innerhalb des Landes dieschöpferische Arbeit an die erste Stelle gestellt werden muß.

Ohne uns Illusionen zu machen, müssen wir hier sagen, daß wir dieserArbeit, bei all ihrer Schwierigkeit, alle unsere K räfte widmen müssen. DieErfahrungen, von denen ich Ihnen berichten kann, zeigen, daß wir in die-ser Hinsicht zweifellos große Fortschritte gemacht haben. Gewiß, wennman sich auf die äußeren Resultate beschränkt, wie das die Bourgeoisietut, die einzelne Beispiele unserer Fehler herausgreift, dann kann man von

einem Erfolg kaum sprechen. W ir aber betrachten die Sache ganz anders.Die Bourgeoisie greift irgendeine Binnenschiffahrtsverwaltung heraus undweist darauf hin, wievielmal wir es unternahmen, sie umzugestalten, umdann schadenfroh zu erklären, daß die Sowjetmacht mit der Sache nichtfertig wird. Darauf antworte ich: Jawohl, wir haben unsere Binnenschiff-

fahrtsverwaltung ebenso "wie die Eisenbahnverwaltung oftmals umgestal-tet, und jetzt beginnen wir mit einer noch größeren Umgestaltung desVolkswirtschaftsrats. Darin liegt die Bedeutung des Umsturzes, daß derSozialismus aus dem Bereich des Dogmas, von dem nur Leute reden kön-nen, die überhaupt nichts verstehen, aus der Sphäre des Bücherwissens,des Programms übergegangen ist in die Sphäre der praktischen Arbeit.Heute schaffen die Arbeiter und Bauern mit ihren Händen den Sozia-lismus.

Vorbei, davon bin ich überzeugt, und zwar unwiederbringlich vorbeisind für Rußland die Zeiten, wo über sozialistische Programme auf Grundvon Büchern diskutiert wurde. Heute kann man über den Sozialismus nurauf G rund von Erfahrungen sprechen. Darin eben liegt die Bedeutung desUmsturzes, daß er zum erstenmal den alten Apparat des bürgerlichen

Beamtentums und des bürgerlichen Verwaltungssystems hinweggefegt undBedingungen dafür geschaffen hat, daß die Arbeiter und Bauern selbst anein Werk gehen, das unglaublich schwierig ist, dessen Schwierigkeiten sichzu verheimlichen lächerlich wäre; denn die Kapitalisten und Gutsbesitzerhaben Jahrhunderte hindurch Dutzende Millionen von Menschen gehetztund verfolgt, wenn sie auch nur daran dachten, die Erde selbst zu verwal-

* Siehe den vorliegenden Band, S. 306-309. Die Red.

** Siehe den vorliegenden Band, S. 269-305. Vie Red.

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V. Qesamtrussisdher Sowjetkongreß 515

ten. Jetzt aber, angesichts einer fürchterlichen, wahnsinnigen Zerrü ttung,

wo der Krieg den ganzen Körper Rußlands so zerschunden hat, daß dasVolk einem halbtot geschlagenen Menschen gleicht, in einer Zeit, da unsdie Zaren, Gutsbesitzer und Kapitalisten die größte Zerrüttung als Erb-schaft hinterlassen haben, müssen neue Klassen, die Arbeiter und die-jenigen Bauern, die keine Lohnarbeiter ausbeuten und sich nicht an Spe-kulantengetreide bereichern, in einigen Wochen, in einigen Monaten dasneue Werk, den neuen Aufbau in Angriff nehmen. Jawohl, das ist ein un-glaublich schwieriges, aber auch ein unglaublich dankbares Werk. JederMonat einer solchen Arbeit und solcher Erfahrungen wiegt zehn, wenn nicht

zwanzig Jahre unserer Geschichte auf. Jawohl, wir fürchten uns nicht imgeringsten, Ihnen das einzugestehen, was eine Durchsicht unserer Dekretezeigt: daß wir sie ständig abändern müssen; wir haben noch nichts Fer-tiges geschaffen, einen solchen Sozialismus, den man in Paragraphen fas-sen könnte, kennen wir noch nicht. Wenn wir jetzt diesem Kongreß eineSowjetverfassung1*4 vorlegen können, so nur deshalb, weil überall imLande Sowjets geschaffen und erprobt worden sind, weil Sie die Verfas-sung geschaffen, sie überall im Lande erprobt haben; erst ein halbes Jahrnach der Oktoberrevolution, fast ein Jahr nach dem Ersten Gesamtrussi-

schen Sowjetkongreß konnten wir das schriftlich festlegen, was in derPraxis schon besteht.

Auf dem Gebiet der Wirtschaft, dort, wo der Sozialismus erst noch er-baut wird, wo eine neue Disziplin geschaffen werden muß, dort haben wirkeine solchen Erfahrungen, w ir erwerben sie dadurch, daß wir wieder undwieder ändern und umbauen. Das ist unsere Hauptaufgabe. Wir sagen:Von jeder neuen Gesellschaf tsordnung werden neue Beziehungen zwischenden Menschen, wird eine neue Disziplin gefordert. Es gab eine Zeit, wodie Wirtschaft nicht ohne fronherrliche Disziplin betrieben werden

konnte, wo es nur die Disziplin des Knüppels gab; es gab eine Zeit derHerrschaft der Kapitalisten, wo der Hunger die disziplinierende Kraftwar. Heute jedoch, seit der Sowjetumwälzung, seit dem Beginn der sozia-listischen Revolution, muß eine Disziplin nach völlig neuen Grundsätzengeschaffen werden, eine Disziplin des Vertrauens zur Organisiertheit derArbeiter und der armen Bauern, eine kameradschaftliche Disziplin, eine .auf größter Achtung beruhende D isziplin, eine Disziplin der Selbständig-keit und Initiative im Kampfe. Jeder, der zu den alten, zu kapitalistischen

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Methoden greift, jeder, der in Zeiten der Not und des Hungers in alter,

in kapitalistischer Weise argumentiert: wenn ich als einzelner Getreideverkaufe, dann profitiere ich mehr; wenn ich mich allein aufmache, ummir Brot zu verschaffen, so werde ich es mir leichter verschaffen — jeder,der so argumentiert, der wählt den leichteren Weg, aber zum Sozialismuswird er nicht gelangen.

Es ist einfach und leicht, in der alten Sphäre der gewohnten kapitali-stischen Beziehungen zu verharren, wir aber wollen einen neuen Weggehen. Er fordert von uns, er fordert vom ganzen Volk große Einsicht,große Organisiertheit, er fordert mehr Zeit und führt zu großen Fehlern.

Wir aber sagen uns: Nur der macht keine Fehler, der nichts Praktischestut.

Wenn die Periode, über die ich Ihnen Rechenschaft ablege, nach An-sicht der Versammlung Experimente einschließt, in denen häufig Abände-rungen, Verbesserungen, ein Zurückgehen zu Altem vorkommen, so be-steht nicht darin die Hauptaufgabe, der Hauptinhalt, der Hauptwert dergegenwärtigen Periode. Der alte Verwaltungsapparat der Beamten, denenes genügte, Gehaltserhöhungen zu verfügen, ist nicht mehr. Wir haben esmit Arbeiterorganisationen zu tun, die die Verwaltung der Wirtschaft in

ihre Hände nehmen. Wir haben zu tun mit dem Eisenbahnerproletariat,das schlechter als andere gestellt war und das berechtigten Anspruch aufeine Verbesserung seiner Lage hat; morgen wird das Proletariat der Bin-nenschiffahrt seine Forderungen geltend machen, übermorgen wird derMittelbauer, über den ich noch ausführlicher sprechen werde, der sich oftschlechter fühlt als der Arbeiter, der Mittelbauer, dem wir die größte Auf-merksamkeit zuteil werden lassen, dessen Interessen sämtliche Dekretegewidmet sind — was die Vorrednerin absolut nicht verstanden hat —, erwird Forderungen geltend machen: alles das ruft unglaubliche Schwierig-

keiten hervor, aber das sind die Schwierigkeiten, unter denen die Arbeitetund armen Bauern das erstemal nach Jahrhunderten der Unterdrückungdie ganze Volkswirtschaft Rußlands selbst mit eigenen Händen organisie-ren. Und da muß man eben Mittel und Wege suchen, um die berechtigtenForderungen zu befriedigen, muß man Dekrete ändern, Verwaltungenumbauen . Un d da wir gleichzeitig mit Beispielen und Fällen von Mißerfolgund Versagern — Fällen, die von der bürgerlichen Presse herausgegriffenwerden und die freilich zahlreich sind — Erfolge erzielen, so lernen wir

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V. Qesanürussisdher Sowjetkongreß 517

eben auf dem Wege der Erfahrung aus den teilweisen Mißerfolgen und

Fehlern, das sozialistische Gebäude zu errichten. Und wenn wir von allenSeiten neue Forderungen hören, so sagen wir: Das muß so sein, das isteben Sozialismus, wenn jeder seine Lage verbessern will, wenn alle dieGüter des Lebens genießen wollen. Aber das Land ist arm, bettelarm —

alle Forderungen zu befriedigen ist einstweilen unmöglich, darum ist esauch so schwierig, im Prozeß der Zerrüttung das neue Gebäude zu er-richten. Ganz und gar auf dem Holzwege ist aber, wer da glaubt, mankönn e den Sozialismus in friedlicher, ruhiger Zeit erbauen: er wird ü ber-all in einer Zeit der Zerrüttung, in einer Zeit des Hungers erbaut werden;anders kann es nicht sein. Wenn wir Repräsentanten der richtigen Ideensehen, dann sagen wir uns: Mit all den Tausenden, Zehntausenden, Hun-derttausenden von Händen haben die Arbeiter und werktätigen Bauernden Aufbau des neuen, des sozialistischen Gebäudes in Angriff genom-men. Jetzt beginnt eine tiefgreifende Um wälzung im Dorfe, w o die Kula-ken agitieren und sich bemühen, den werktärigen Bauern, die keine fremdeArbeit ausbeuten und sich nicht durch Getreidespekulation bereichern,Hindernisse in den Weg zu legen. Dort ist die Aufgabe eine andere. Inden Städten müssen die Fabriken, muß die Metallindustrie organisiertwerden, muß nach der Zerrüttung durch den Krieg die Produktion, müs-sen die Rohstoffe und Materialien verteilt werden. Die Durchführung die-ser Aufgabe ist sehr schwer. Da lernt der Arbeiter diese Sache und schafftzentrale Verwaltungsorgane. Da müssen wir den Obersten Volkswirt-schaftsrat umgestalten, denn die früheren Gesetze, die Anfang des Jahreserlassen wurden, sind schon veraltet. Die Arbeiterbewegung schreitet vor-wärts, die frühere Arbeiterkontrolle ist schon veraltet, und die Gewerk-schaften werden zu Keimzellen der Verwaltungsorgane der gesamten In-dustrie. (Beifall.) Auf diesem Gebiet ist schon viel getan worden, abertrotzdem können wir mit keinem glänzenden Erfolg aufwarten. Wir wis-

sen, daß die bürgerlichen Elemente, die Kapitalisten, Gutsbesitzer undKulaken, auf diesem Gebiet die Möglichkeit haben, noch lange zu agitie-ren, indem sie sagen, das jeweils erlassene Dekret sei, wie immer, nichtdurchgeführt worden, ein anderes werde, kaum erlassen, schon wiederkorrigiert, die Spekulation aber bleibe, so wie sie unter dem Kapitalismusbestanden habe. Jawohl, wir kennen kein quacksalberisches Universal-rezept, das die Spekulation mit einem Male töten würde. Die Gewohn-

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heiten des kapitalistischen Systems sind zu stark. Die Umerziehung des

Volkes, das jahrhundertelang in diesen Gewohnheiten erzogen wurde, istein schwieriges Werk und erfordert viel Zeit. Aber wir sagen: UnserKampfmittel ist die Organisation. W ir m üssen alles organisieren, alles inunsere Hände nehmen, müssen die Kulaken und die Spekulanten aufSchritt und Tritt kontrollieren, ihnen einen schonungslosen Kampf an-sagen und sie nicht zu Atem kommen lassen, indem w ir jeden ihrer Schrittekontrollieren.

Aus der Erfahrung wissen wir, daß die Änderung von Dekreten not-wendig ist, denn wir begegnen neuen Schwierigkeiten, die die Quelle

neuer Änderungen sind. Und wenn wir in der Ernährungsfrage jetzt zurOrganisierung der Dorfarmut gekommen sind, und wenn jetzt unserefrüheren Kollegen, die linken Sozialrevolutionäre, in aller Aufrichtigkeit,an der nicht gezweifelt werden kann, erklären, daß unsere Wege sich ge-trenn t haben, so antworten wir ihnen, ohne zu zaudern: U m so schlimmerfür euch, denn das bedeutet, daß ihr dem Sozialismus den Rücken ge-kehrt habt. (Beifall.)

Genossen! Die Ernährungsfrage — das ist die Hauptfrage, sie ist dieFrage, der wir in unserer Arbeit am meisten Aufmerksamkeit widmen.

Eine Menge kleiner, kaum ins Auge fallender Maßnahmen des Rats derVolkskommissare — die Verbesserung der Schiffahrt und des Eisenbahn-verkehrs, die Säuberung der Intendanturmagazine, der Kampf gegen dieSpekulation — alles das war darauf gerichtet, das Ernährungswesen inOrdnung zu bringen. Nicht nur unser Land, sondern auch alle jene fort-geschrittensten Kulturländer, die vor dem Krieg nicht wußten, was Hun-gersnot ist, sind jetzt in der ärgsten Notlage, die die Imperialisten durchden Kampf um die Herrschaft dieser oder jener Gruppe geschaffen haben.Dutzende Millionen von Menschen im Westen leiden Hungerqualen.

Eben das ist es ja, was die soziale Revolution unvermeidlich macht, denndie soziale Revolution erwächst nicht aus Programmen, sondern daraus,daß Dutzende Millionen Menschen sagen: „Ein Hungerleben wollen wirnicht führen, lieber sterben wir für die Revolution!" (B e if a ll .)

Ein furchtbares Unheil — die Hungersnot — ist über uns hereingebro-chen, und je schwieriger unsere Lage, je heftiger die Ernährungskrise ist,desto mehr verstärkt sich der Kampf der Kapitalisten gegen die Sowjet-macht. Sie wissen, daß die Rebellion der Tschechoslowaken ein Aufruhr

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V. Qesamtrussisdier Sowjetkoncjreß 5i§

von Menschen ist, die von den englischen und französischen Imperialisten

gekauft worden sind. Ständig muß man hören, daß bald hier, bald dortAufstände gegen die Sowjets ausbrechen. Die Kulakenauf stände ergreifenimmer neue Gebiete. Am Don steht Krasnow, den die russischen Arbeiterin Petrograd großmütig laufen ließen, als er sich stellte und seinen Degenübergab, denn die Vorurteile der Intelligenz sind noch stark, und die In-telligenz protestierte gegen die Todesstrafe. Krasnow wurde freigelassenwegen der Vorurteile der Intelligenz gegen die Todesstrafe. Heute abermöchte ich ein Volksgericht, ein Arbeiter- oder Bauerngericht sehen, dasKrasnow nicht erschießen würde, so wie er die Arbeiter und Bauern nie-derknallt. M an sagt uns, wenn die Kommission Dzierzynskis Erschießun-gen vornimmt, so sei das gut, wenn aber ein Gericht offen vor dem ganzenVolk sagt: dieser ist ein Konterrevolutionär und verdient erschossen zuwerden, so sei das schlecht. Leute, die es bis zu solch einer Heuchelei ge-bracht haben, sind politisch tot. (Beifall.) Nein, ein Revolutionär, dernicht heucheln will, kann auf die Todesstrafe nicht verzichten. Es gab keineeinzige Revolution und keine einzige Bürgerkriegsepoche, wo es keineErschießungen gegeben hätte.

Unsere Ernährung ist in einen nahezu katastrophalen Zustand gebrachtworden. Wir sind in einen Zeitabschnitt eingetreten, der die schwerstePeriode in unserer Revolution ist. Vor uns liegt die schwierigste Periode —

eine schwierigere hat es im Arbeiter- und Bauernrußland noch nicht ge-geben —, nämlich die Zeit, die bis zu r neuen Ernte geblieben ist. Mich, derich so manche Parteidifferenzen und revolutionäre Streitigkeiten miterlebthabe, nimmt es nicht wunder, daß in einer so schwierigen Periode dieZahl der Leute zunimmt, die hysterisch werden und schreien: Ich treteaus den Sowjets aus, wobei sie sich auf die Dekrete berufen, die dieTodesstrafe abschaffen. Aber schlecht ist der Revolutionär, der im Augen-blick des heftigen Kampfes vor der Unantastbarkeit des Gesetzes halt-

macht. Gesetze haben in einer Übergangszeit nur provisorische Bedeu-tung. Und wenn ein Gesetz die Entwicklung der Revolution hemmt, sowird es aufgehoben oder verbessert. Genossen, je mehr die Hungersnotum sich greift, um so klarer wird es, daß gegen diese verzweifelte Notauch verzweifelte Kampfmaßnahmen nötig sind. Der Sozialismus hat, wiegesagt, aufgehört, ein Dogma zu sein, so wie er auch vielleicht aufgehörthat, ein Programm zu sein. In unserer Partei ist einstweilen noch kein

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520 IV . 3. Cenin

neues Programm geschrieben, das alte aber taugt schon gar nichts mehr.Das Getreide richtig und gleichmäßig zu verteilen — darin eben bestehtheute die Grundlage des Sozialismus. (Beifall.) Der Krieg hat uns alsErbe die Zerrüttung hinterlassen. Das Land ist durch die AnstrengungenKerenskis, der G utsbesitzer und der K ulaken, die da sagten: nach uns dieSintflut, in eine solche Lage gebracht worden, daß man erklärt: je schlim-mer, desto besser. Der K rieg hat uns solche Leiden hinterlassen, daß wirheute in der Brotfrage das eigentliche Wesen der ganzen sozialistischenGesellschaftsgestaltung erleben. Wir müssen uns mit der Frage aufs ein-gehendste befassen und sie praktisch lösen. Da sagen wir uns: Wie solldas mit dem Getreide werden, soll es in althergebrachter, in kapita-

listischer Weise hergehen, wo Bauern die Gelegenheit nutzen und Tau-sende von Rubeln am Getreide profitieren und sich dabei werktätigeBauern oder sogar, wie es vorkommt, linke Sozialrevolutionäre nennen?( B e if a ll , L ä rm .) Sie argumentieren so: W enn das Volk hungert, dannsteigen die Getreidepreise, wenn in den Städten Hunger herrscht, dannist mein Geldbeutel prall gefüllt, w enn man aber noch mehr hungern wird,dann werde ich noch weitere Tausende profitieren. Ich weiß jedoch aus-gezeichnet, daß es nicht die Schuld einzelner Leute ist, wenn so argumen-tiert wird. Das ganze alte, abscheuliche Erbteil der Gutsbesitzer- und

Kapitalistengesellschaft hat die Menschen gelehrt, so zu urteilen, so zudenken und zu leben; und das Leben von Dutzenden Millionen von Men-schen umzugestalten ist schrecklich schwierig, daran muß man lange undhartnäckig arbeiten, und diese Arbeit haben wir eben erst begonnen. Wirhaben niemals auch nur daran gedacht, diejenigen zu beschuldigen, dieals Einzelgänger, vom Hunger gequält, den Nutzen der Organisierungsozialistischer Getreideverteilung nicht einsehen und zu individuellerSelbsthilfe greifen, ohne sich um irgend etwas sonst zu kümmern — solcheLeute können nicht beschuldigt werden. Wir sagen aber: Wenn Vertreter

von Parteien auftreten, wenn wir Leute sehen, die sich einer bestimmtenPartei angeschlossen haben, wenn wir große Volksgruppen sehen, dannverlangen wir von ihnen, daß sie diese Sache nicht vom Standpunkt deserschöpften, gequälten und hungrigen Menschen betrachten, gegen denniemand die Hand erhebt, sondern vom Standpunkt der Errichtung derneuen Gesellschaft.

Ich wiederho le: Nie wird es gelingen, den Sozialismus in einer Zeit auf-

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V. Qesamtrussisdjer Sowjetkongreß 521

zurichten, wo alles glatt und ruhig ist; es wird nie gelingen, den Sozialis-mus zu verwirklichen, ohne daß die Gutsbesitzer und Kapitalisten erbitter-ten W iderstand leisten. Je schwieriger die Lage ist, um so freudiger reibensie sich die Hände, um so häufiger erheben sie sich zum Aufruhr. Jeschwieriger es ist, je mehr Saboteure wir haben, desto lieber stürzen siesich in tschechoslowakische und Krasnowsche Abenteuer. U nd wir sagen:Das muß eben in nicht althergebrachter Weise überwunden werden, wieschwer es auch sein mag, den Karren vorw ärts, bergauf zu ziehen statt ihnrückwärts, bergab rollen zu lassen. Wir wissen sehr wohl, daß keineWoche, ja sogar kein Tag vergangen ist, wo wir im Rat der Volkskommis-sare nicht m it dem Ernährungsproblem beschäftigt gewesen wären —Tausende von Richtlinien, Verfügungen und Dekreten sind hinausgegan-gen —, wo wir nicht die Frage behandelt hätten, wie gegen die Hungers-not zu kämpfen sei. M an sagt, irgendwelche besondere Preise, Richtpreise,Getreidemonopole seien nicht nötig. Treibt Handel, wie's kommt! DieReichen werden noch mehr profitieren, und wenn die Armen dahinster-ben — nun, Arme sind doch schon immer Hungers gestorben. Aber einSozialist kann nicht so urteilen. In diesem Augenblick, wo der Berg amsteilsten geworden ist und wo der Karren über die steilsten Hänge ge-schleppt werden muß, hat der Sozialismus aufgehört, eine Frage von Par-

teidifferenzen zu sein, und ist zur Lebensfrage geworden: Werden Siestandhalten im Kampfe gegen die Kulaken, im Bunde mit den Bauern, dienicht mit Getreide spekulieren; werden Sie standhalten, jetzt, da gekämpftwerden muß, da die schwerste Arbeit bevorsteht? Man sprach uns vonKomitees der Dorfarmut1*5. Wer die Hungerqualen wirklich erlebt hat,dem ist es klar, daß die härtesten, schonungslosesten Maßnahmen erfor-derlich sind, um die Kulaken zu überwältigen und erbarmungslos nieder-zuhalten. Als wir die Organisierung der Verbände der Dorfarmut inAngriff nahmen, waren wir uns der ganzen Schwere und Härte dieser

Maßnahme vollauf bewußt. Aber wir taten es, weil nur das Bündnis derStädte mit der Dorf armut sowie mit denjenigen, die zwar Vorräte besitzen,aber nicht spekulieren, mit denjenigen, die entschlossen die Schwierig-keiten überwinden und es erreichen wollen, daß die Getreideüberschüssedem Staat zukommen und unter den W erktätigen verteilt werden — weilnur ein solches Bündnis das einzige Mittel dieses Kampfes bildet. Unddieser Kampf darf nicht in Programmen und Reden ausgefochten werden ;

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522 IV . 3. Lenin

in diesem Kampf mit dem Hunger muß sich zeigen, wer trotz aller Prü-

fungen den geraden Weg zum Sozialismus geht und wer auf die Kniffeund Betrügereien der Kulaken hereinfällt.W enn sich in der Partei der linken Sozialrevolutionäre Menschen finden

wie die Vorrednerin — sie gehört zu den Aufrichtigsten, die sich eben des-halb häufig hinreißen lassen und oft ihre Meinung ändern —, wenn diesagen: Wir können mit den Bolschewiki nicht zusammenarbeiten, wirgehen — so werden wir das auch nicht eine Minute lang bedauern. Die-jenigen Sozialisten, die in einem Augenblick auf und davon gehen, woDutzende und Tausende von Menschen vor Hunger umkommen, während

zur selben Zeit andere so große Getreideüberschüsse besitzen, daß siediese bis zum August des Vorjahres, als die festen Getreidepreise ver-doppelt w urden — wogegen sich die ganze Demokratie empörte —, nichtverkauft haben, diejenigen, die da wissen, daß das Volk unsägliche Hun-gerqualen leidet, die aber das Getreide nicht zu Preisen verkaufen wollen,zu denen der M ittelbauer es verkauft, diejenigen sind Feinde des Volkes,sie richten die Revolution zugrunde und unterstützen die Gewalttaten,sie sind Freunde der Kapitalisten! Krieg ihnen, und zwar schonungsloserK rieg! ( B e if a ll d e s g a n z e n S a a l e s , a u c h e i n b e t r ä c h t l i c h e r

T e i l d e r l i n k e n S o z i a l r e v o l u t i o n ä r e a p p l a u d i e r t . ) T a u s e n d -mal unrecht hat, tausendmal irrt sich, wer sich auch nur eine Minute langdurch fremde W orte h inreißen läßt und erklärt, dies sei ein Kampf gegendie Bauernschaft, wie das manchmal unvorsichtige oder gedankenlose linkeSozialrevolutionäre behaupten. Nein, das ist ein Kampf gegen die ver-schwindende Minderheit der Kulaken im Dorfe, ein Kampf dafür, daßder Sozialismus gerettet und das Getreide in Rußland richtig verteilt werde.( Z w i s c h e n r u f e : „Und die Industriewaren?") Wir werden im Bundemit der ungeheuren Mehrheit der Bauernschaft kämpfen, und in diesem

Kampf werden wir siegen. Dann wird jeder europäische Arbeiter prak-tisch sehen, was Sozialismus ist.

In dem gegenwärtigen Kampf wird uns jeder helfen, mag er vielleichtauch keine wissenschaftlich begründete Kenntnis davon haben, was Sozia-lismus ist, denn er hat ja sein ganzes Leben lang geschuftet und weiß, daßdas Brot sauer verdient werden m ußte. Er wird uns verstehen. Ein solcherMensch wird mit uns sein. Den Kulaken, die Getreideüberschüsse besit-zen und die fähig sind, im Augenblick 'der größten Not des Volkes das

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V. gesamtrussischer Sowjetkongreß 523

Getreide zu verstecken, in dem Augenblick, da alle Errungenschaften der

Revolution auf dem Spiel stehen, da die Skoropadski aller Schattierungenund von allen okkupierten und nicht okkupierten Ecken und Enden herdie Hälse recken und darauf lauern, ob es nicht möglich sei, die Arbeiter-und Bauernmacht mit Hilfe der Hungersnot zu stürzen und die Guts-besitzer zurückzubringen — diesen Kulaken in einer solchen Zeit scho-nungslosen Kampf anzusagen, das ist unsere erste sozialistische Pflicht.Wer sich in diesem höchst schwierigen Augenblick der größten Prüfungenfür das hungernde Volk und der größten Prüfungen für die sozialistischeRevolution die Hände in Unschuld wäscht und die Faseleien der Bour-

geoisie wiederholt, der ist ein schlechter Sozialist.Es ist falsch und tausendmal falsch, daß das ein Kampf gegen die

Bauernschaft wäre! Ich habe das in den Spalten der KadettenzeitungenHunderte Male gelesen, und es wundert mich nicht,wenn man dort schreit,daß die Arbeiter sich mit der Bauernschaft überworfen haben; wenn dorthysterisch geschrien wird: „Bauern, erwacht, besinnt euch und kehrt denBolschewiki den Rücken." Wenn ich das dort lese oder höre, so wundertmich das nicht. Dort ist das am Platze. D ort dienen sie jenem H errn , demzu dienen ihnen vorausbestimmt ist; aber ich möchte nicht in der Haut

eines Sozialisten stecken, der so tief gesunken ist, daß er sich solcherReden nicht schämt! (Stürmischer Beifall.) Genossen, wir wissensehr wohl, welche unglaubliche Schwierigkeiten die Lösung der Ernäh-rungsfrage bereitet. Hier gibt es die tiefsten Vorurteile. Hier geht es umdie am festesten eingewurzelten Interessen, die Interessen der Kulaken.Hier vereinen sich in vielen Fällen gegen uns alle, die Zerklüftung, dieStagnation, die Zersplitterung des Dorfes, die Unwissenheit, und wirsagen: Trotz all dieser Schwierigkeiten dürfen wir nicht zurückweichen,mit dem H unger scherzt man nicht, und wenn m an den Volksmassen nicht

gegen den Hunger hilft, sind sie aus Hunger imstande, sogar zu Skoro-padski hinüberzuschwanken. Es ist nicht wahr, daß das ein Kampf gegendie Bauern ist! Wer das sagt, ist der größte Verbrecher, und das größteUnglück ist dem Menschen geschehen, der sich hysterisch zu solchen Redenhat hinreißen lassen. Nein, nicht nur gegen die armen Bauern, sondernauch gegen die Mittelbauern kämpfen wir nicht. Die Mittelbauern habenin ganz Rußland nu r unbedeutende Getreideüberschüsse. DieMittelbauernhaben jahrzehntelang vor der Revolution in schlechteren Verhältnissen

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gelebt als der Arbeiter. Vor der Revolution haben sie nur Not und Unter-drückung kennengelernt. Mit diesen Mittelbauern beschreiten wir denWeg der Verständigung. Die sozialistische Revolution bringt Gleichheitfür alle werktätigen Massen; es ist ungerecht, wenn jeder städtische Ar-beiter mehr erhält als der Mittelbauer, der weder durch Lohnarbeit nochdurch Spekulation fremde Arbeit ausbeutet. Ein solcher Bauer erlebt undsieht mehr Not und Unterdrückung als der Arbeiter und lebt noch schlech-ter als dieser. Diese Bauern haben keine Organisation und keine Gewerk-schaften, die sich mit der Frage der Verbesserung ihrer Lage beschäftig-ten. Sogar mit den Arbeiterverbänden müssen wir Du tzende von Sitzungenabhalten, um die Löhne zwischen den einzelnen Berufen auszugleichen.Dennoch können wir nichts endgültig festlegen. Jeder vernünftige Arbei-ter weiß, daß dazu eine lange Zeitspanne notwendig ist. Laufen etwawenig Beschwerden im Volkskommissariat für Arbeit ein? Sie werdensehen, daß jeder Beruf das Haupt erhebt, daß keiner mehr in altherge-brachter Weise leben will. Wir wollen nicht mehr wie Sklaven leben!W ir wollen in dem armen, bettelarmen Land die W unden heilen, die ihmgeschlagen wurden. Wir müssen uns bemühen, die Wirtschaft, die fastvollständig zerrüttet ist, irgendwie zu erhalten. Wir können das nur auf

dem Wege der Organisierung zustande bringen. Um die Bauernschaft zuorganisieren, haben wir das Dekret über die Komitees der Dorf armut er-lassen. Gegen dieses Dekret können nur Feinde des Sozialismus sein. W irhaben erklärt, daß wir es für gerecht halten, den Preis für Textilien he rab-zusetzen. W ir werden alles erfassen, werden absolut alles nationalisieren.(Beifall.) Und das wird uns die Möglichkeit geben, die Verteilung derIndustrieerzeugnisse zu regeln.

Wir sagten: Senken wir die Preise der Textilien für die Dorfarmut um

die Hälfte, für die mittleren Bauern um 25 Prozent. Vielleicht ist das nichtder ichtige Satz. Wir erheben keinen Anspruch darauf, daß wir die Fragerichtig entschieden haben. Wir behaupten das nicht. Um die Frage end-gültig zu lösen, lassen Sie uns sie gemeinsam lösen. ( B e if a ll .) Wennman in der Hauptverwaltung sitzt, die Spekulation bekämpft und dieGauner fängt, die heimlich ihre schmutzigen Geschäfte betreiben, so löstman damit die Frage nicht.

Erst dann, wenn das Ernährungskommissariat gemeinsam mit demLandwirtschaftskommissariat alle Waren nationalisiert und die Preise

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V. Qesamtrussisdher Sowjetkongreß 525

festgesetzt haben wird — erst dann komm en wir unmittelbar an den Sozia-

lismus heran. A n den Sozialismus kommen nur die Werktätigen der Städteund die Dorfarmut heran, alle diejenigen, die arbeiten, sich kein fremdesGut aneignen und keine fremde Arbeit — weder durch Lohnarbeit nochdurch Spekulation — ausbeuten, denn derjenige, der hundert und mehrRubel fürs Getreide nimmt, ist nicht weniger ein Spekulant, als wenn erLohnarbeiter dingte; vielleicht ist er ein noch schlimmerer, noch ärgererSpekulant. Nach einem halben Jahr einer äußerst schwierigen Verwal-tungsarbeit der Sowjetmacht sind wir darangegangen, die armen Bauernzu organisieren. Schade, daß das nicht nach einer halben Woche geschehen

ist — das eben ist unsere Schuld! Wenn man uns vorgeworfen hätte, daßdas Dekret über die Organisierung der Dorfarmut und der Ernährungs-diktatur um ein halbes Jahr zu spät gekommen sei, so hätten w ir uns überdiesen Tadel gefreut. Wir sagen: Eben jetzt erst, wo wir diesen Wegbetreten haben, hat der Sozialismus aufgehört, nur Phrase zu sein, erbeginnt lebendige Tat zu werden. Vielleicht ist das Dekret mißlungen,vielleicht sind unsere Tarife falsch. W oher hätten wir sie nehmen sollen?Nur aus Ihren Erfahrungen. Wie oft haben wir die Lohnsätze der Eisen-bahner umgearbeitet, obwohl sie ihre Verbände haben, während es unter

der Dorfarmut keine Verbände gibt. Lassen Sie uns gemeinsam über-prüfen, ob die Sätze richtig sind, die im D ekret über die Dorfarmut fest-gesetzt wurden, wonach den armen Bauern der halbe Preis, den Mittel-bauern ein Viertel des Preises erlassen, der Reiche aber den vollen Preiszahlen soll — sind diese Sätze richtig oder nicht?

Wenn es Kampf geben wird, werden wir mit kühnen Dekreten undohne eine Spur von Schwankungen in diesen Kampf gehen. Das wird einrichtiger Kampf für den Sozialismus sein, nicht für ein Dogma, nicht fürein Programm, nicht für eine Partei, nicht für eine Fraktion, sondern für

den lebendigen Sozialismus, für die Verteilung von Brot unter die hung-rigen Hunderttausende, Millionen Menschen in den führenden BezirkenRußlands. Es wird darum gehen, das Getreide dort, wo es welches gibt,zu nehmen und so richtig wie möglich zu verteilen. Ich wiederhole: Hierhegen wir auch nicht die Spur eines Zweifels, daß neunundneunzig Pro-zent der Bauern, wenn sie die Wahrheit erfahren, wenn sie das Dekreterhalten, prüfen, ausprobieren, wenn sie uns sagen, wie man es verbessernsoll, und wir es daraufhin verbessern und die Tarifsätze ändern, wenn

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526 W. 1. Lenin

sie sich an die Arbeit machen, wenn sie deren praktische Schwierigkeit

abschätzen — daß diese Bauern mit uns sein und sagen werden: Wir füh-len mit dem gesunden Instinkt jedes werktätigen Menschen, daß hier undnur hier die Frage, die wirkliche G rund- und Lebensfrage des Sozialismusgelöst wird. Wir werden gerechte Preistarife für Waren festsetzen, wer-den das Monopol für Getreide , für Textilien, für alle Produkte einführen,und dann wird das Volk sagen: Jawohl, die Verteilung der Arbeit, dieVerteilung des Getreides und der Produkte, die uns der Sozialismus gibt,ist besser als das, was früher war. Und so beginnt das Volk schon zu spre-chen. W ir können die Hindernisse überwinden zugleich mit der Unmenge

von Schwierigkeiten, mit der Menge von Fehlern, zugleich mit den Fällen,die wir nicht im geringsten verheimlichen, sondern ans Licht ziehen undan den Pranger stellen, jenen Fällen, wo unsere Abteilungen selbst derSpekulation verfallen, in jenen schlüpfrigen Abgrund stürzen, in den siedurch alle Gepflogenheiten, alle Gewohnheiten der Kapitalisten gezerrtwerden. Jawohl, solche Fälle kommen überall vor; wir wissen, daß mandie Menschen nicht mit einemmal ummodeln kann, daß man DutzendenMillionen von Menschen nicht mit einemmal den Glauben an den Sozia-lismus einflößen kann. Woher sollen sie diesen Glauben nehmen? Aus

ihrem Kopfe? — Aus ihrer Erfahrung! Gleichzeitig mit alledem beginntman davon zu sprechen, daß Getreide nicht auf dem Wege des Schleich-handels beschafft werden kann, daß man sich vor dem Hunger nur durchdas Bündnis der städtischen Betriebs- und Industriearbeiter mit dem Ver-band der Dorf armut zu retten vermag, weil nur die Dorfarmut nicht mitGetreide spekuliert. Jawohl, wenn der Mittelbauer unsere Dekrete sieht,wenn er sie selbst liest, wenn er sie mit jenen Phrasen und Verleumdun-gen der rechten Sozialrevolutionäre und Verteidiger der Kulaken ver-gleicht, dann wird er sofort sagen: Wenn die Leute für die Armen einen

Preis, für die Mittelbauern einen anderen Preis festsetzen und den Kula^ken das Getreide ohne Bezahlung abnehmen, dann gehen sie gerecht vor.Er wird vielleicht nicht sagen, daß sie wie Sozialisten handeln, er kenntdieses W ort vielleicht nicht, er ist aber unser treuer V erbündeter, denn erspekuliert nicht mit G etreide. Er wird verstehen und sich einverstanden er-klären, daß die Getreidespekulation im Augenblick der höchsten Gefahrfür die sozialistische Revolution das größte Verbrechen gegen das Volk ist.

Das G etreide kann nicht durch D ekret verteilt werden. Aber wenn wir

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V. Qesamtrussisdoer Sowjetkongreß 527

nach langem, hartnäckigem Bemühen um die Herstellung und Verbesse-

rung des Bündnisses zwischen den industriellen, den städtischen A rbeiternund der Dorfarmut, den werktätigen Bauern, die keine Lohnarbeiter be-schäftigen und sich nicht mit Spekulation befassen, diese Sache praktischin Ordnung bringen, dann wird keinerlei hysterisches Geschrei gegenunsere Partei dieses Bündnis erschüttern können. (B ei fa ll .)

Als wir der Bauernschaft die Sozialisierung des Grund und Bodens ver-sprachen, machten wir damit ein Zugeständnis, denn wir begriffen, daßes unmöglich ist, die Nationalisierung sofort durchzuführen. Wir wissen,daß es vielleicht gar ein Fehler gewesen ist, wenn wir die von den Sozial-

revolutionären verfochten? Sozialisierung des Grund und Bodens in unserGesetz vom 26. Oktober aufgenommen haben.* Das war ein Zugeständ-nis an die linken Sozialrevolutionär die eine Beteiligung an der Machtablehnten und erklärten, nur dann bleiben zu wollen, wenn dieses Gesetzangenommen würde. Tausendmal unrecht hat Spiridonowa, wenn sieIhnen allerlei davon erzählte, wie sie bei mir gewesen sei, wie sie sichangeblich erniedrigt und wie sie gebettelt habe. Genossen, viele sind beimir gewesen und wissen, daß so etwas unmöglich ist, daß es ein solchesVerhalten zu einem Genossen nicht geben kann. Schlecht muß es um diesePartei bestellt sein, wenn sich ihre besten Vertreter bis zu solchen Mär-chen erniedrigen. (Lärm.) Bei mir liegt ein Brief der Genossin Spirido-nowa — sie hat sich sehr oft brieflich an mich gewandt —, diesen Briefwerde ich morgen heraussuchen und vorlegen. Sie schreibt: „Warum wol-len Sie nicht zwei Millionen für landwirtschaftliche Kommunen herge ben?"Und das an dem gleichen Tage, an dem der Volkskommissar für Land-wirtschaft, Sereda, dessen Tätigkeit sie nicht versteht, einen Bericht ein-reichte wegen der Bewilligung von 10 Millionen für landwirtschaftlicheKommunen. (Anhaltender Beifall .) Sie haben das in der Rede derGenossin Spiridonowa gehört; aber schlecht ist es um eine Partei bestellt,

in der sogar die aufrichtigsten Menschen in ihrer Agitation so weit gehen,daß sie solche Märchen erzählen. Ich wiederhole: Wie schlecht ist es umeine Partei bestellt, deren beste, aufrichtigste Vertreter sich in solche M är-chen über die Sowjetmacht verrennen! Um so schlimmer für sie! JederBauer, der ins Landwirtschaftskommissariat kommt und liest, daß fürlandwirtschaftliche Kommunen 10 Millionen bewilligt sind, sieht das u nd

* Siehe Werke, 4. Ausgabe, Bd. 26, S. 225-2 29, russ. Die Red.

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528 W.J.Cenin

glaubt seinen Augen und Ohren mehr als fremden Reden, und er wird

begreifen, daß diese Leute bei Märchen angelang t sind, und w ird sich vondieser Partei abwenden. (Beifall.) Zum Schluß meiner Rede will ichnoch eines sagen. Bis zur neuen Ernte, bis diese Ernte in die hungerndenGebiete Petrograds und Moskaus geschafft ist, steht uns eine schwerePeriode der russischen Revolution bevor. Nur das engste Bündnis derstädtischen Arbeiter m it der Dorfarmu t, m it den werktätigen Massen desDorfes, die nicht mit G etreide spekulieren — nur das rettet die Revolution.

Der Kongreß zeigt uns, daß das Bündnis aller Werktätigen nicht nurin Rußland, sondern auch in der ganzen Welt trotz alledem sich festigt,

sich ausdehnt und wächst. Man weiß im Ausland über unsere Revolutionlächerlich, entsetzlich wenig. Dort herrscht die Militärzensur, die nichtsdurchläßt. Genossen, die aus dem Ausland kamen, haben davon erzählt.Trotz alledem aber sind die europäischen Arbeiter einfach aus Instinktauf seiten der bolschewistischen Regierung. Und immer zahlreicher undzahlreicher werden die Stimmen, die zeigen, daß die Sympathie für diesozialistische Revolution in Europa in den Ländern, wo der imperialistischeKrieg fortdauert, stärker wird. Von deutschen Sozialisten und anderenLeuten, deren Namen jeder aufgeklärte Arbeiter und Bauer kennt, wie

Clara Zetkin und Franz Mehring, erhält die bolschewistische RegierungÄußerungen der Anerkennung und Versicherungen der Sympathie undUnterstützung. In Italien sitzt jetzt Lazzari, der alte Sekretär der Partei,der in Zimmerwald den Bolschewiki Mißtrauen entgegenbrachte, im Ge-fängnis, weil er uns seine Sympathie bekundet hat.

Das Verständnis für die Revolution wächst. In Frankreich haben dieGenossen und die Arbeiter, die auf der Zimmerwalder Konferenz denBolschewiki größtes Mißtrauen entgegenbrachten, unlängst im Namendes Komitees für internationale Verbindungen14 6 einen Aufruf heraus-

gegeben, in dem sie sich leidenschaftlich für die Unterstützung der bol-schewistischen Regierung und gegen die Abenteuer irgendwelcher Parteienaussprechen.

Darum, Genossen — wie mühselig und wie schwer auch die Periode seinmag, die wir durchmachen müssen —, sind wir verpflichtet, die ganze W ah r-heit zu sagen und dem Volk die Augen darüber zu öffnen, denn nur dasVolk wird uns durch seine Initiative und durch seine Organisiertheit hel-fen, indem es neue und immer neue Verhältnisse schafft und die sozia-

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V. Qesamtrussisdier Sow jetkongreß 529

listische Republik verteidigt. Und wir sagen: Genossen, wenn wir diesen

Weg gehen, den wir gewählt und den die Ereignisse bestätigt haben , wennwir auf diesem Weg fest und unerschütterlich fortschreiten, wenn wir unsweder durch Phrasen noch durch Illusionen, weder durch Betrug nochdurch Hysterie von diesem richtigen Weg abbringen lassen, dann bestehtauch nicht der leiseste Zweifel, daß wir die größten Aussichten in derWelt haben, uns zu behaupten und mit fester Hand zum Sieg des Sozia-lismus in Rußland beizutragen, und damit auch beizutragen zum Sieg dersozialistischen Weltrevolution! (Stürmischer und lange nichte n d e n w o l l e n d e r B e i f a l l , d e r i n e i n e O v a t i o n ü b e r g e h t . )

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530 rW. J. Lenin

SCHLUSSWORT ZUM BERICHT5.JULI 1918

Alle Einwände der Opposition gegen meinen Bericht beginnen mit derFrage des Brester Vertrags. Eine solche Fragestellung könnte jedoch nurdann als sachlich bezeichnet werden, wenn sie zu praktischen Ergebnissenführte. Aber alle ihre Reden darüber zeitigen keine Ergebnisse und kön-nen keine zeitigen. (Beifall.)

Wäre es so gekommen, daß die Partei der linken Sozialrevolutionäredie Mehrheit erhalten hätte, so hätte sie in dieser Frage kein solches Ge-schrei erhoben , wie sie es jetzt tut. Man m uß über die wirklichen Errungen-

schaften der Sowjetrepublik auf dem Wege zum Sozialismus sprechen,und wir können behaupten — und keiner der Redner hat das bestritten —,

daß seit dem letzten Kongreß in dieser Hinsicht ein großer Erfolg erzieltworden ist. Die Vertreter der Opposition haben auch nicht die Tatsachewiderlegt, daß alle, die dafür sind, den Brester Frieden zu brechen, imInteresse der Wiederherstellung der Macht der Gutsbesitzer und Kapi-talisten handeln, und daß deren Stärke darin besteht, daß sie vom eng-lischen und französischen Imperialismus unterstü tzt w erden. Als ich sagte,daß die Tschechoslowaken gegen Zahlung von 10—15 Millionen sich eben-

falls bemühen, einen solchen Brach herbeizuführen, da widersprach nie-mand. Ja, kann man denn bestreiten, daß die mit der Losung der Konsti-tuierenden Versammlung getarnten Tschechoslowaken das Ziel verfolgen,uns in den Krieg hineinzuziehen?

Die linken Sozialrevolutionäre meinten, es sei unmöglich, in kurzerFrist eine Armee zu schaffen; das hängt jedoch davon ab, wie rasch wirdie Brennstofffrage lösen, wie sich die Dirfge bei den Bauern gestalten,wie die Ernte ausfallen wird.

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V. Qesamtrussisdber Sowjetkongreß 531

Ihre Aufrufe zur Schaffung von Partisanenabteilungen, die gegen einereguläre imperialistische Armee kämpfen sollen, hält jeder Soldat fürlächerlich.

Wenn man uns zwingt, auf die Frage des Brester Friedens zurückzu-kommen, so sagen wir: „Dieser Frieden wird gebrochen, wenn Sie dieSowjetmacht stürzen, aber das wird nicht geschehen!" (Beifall.) Erstdann, nach dem Bruch des Brester Friedens, werden Sie die werktätigenMassen in den Krieg hineinzerren können, zur Freude der Gutsbesitzer,Kapitalisten und W eißgardisten, die von den englischen und französischenImperialisten mit Millionensummen bestochen worden sind. Bräche man indiesem Augenblick den Brester Frieden, so würde man sich praktisch aufKräfte stützen, die den werktätigen Klassen feind sind. Man kann alle dieMeinungsverschiedenheiten über den Brester Frieden nicht für sachlich hal-ten. Das alles ist weiter nichts als Hysterie der linken Sozialrevolutionäre.

Als man hier davon sprach, die Bolschewiki machten Zugeständnisseund hätten in ihren Berichten nichts Sachliches vorgebracht, erinnerte ichmich der Worte, die hier von einem Sozialrevolutionär, von einem Maxi-malisten, glaube ich, geäußert wurden: man gehe im Obersten Volkswirt-schaftsrat von der Kontrolle zur Verwaltung der Produktion über. Ist das

etwa nichts Sachliches? Was tun denn die Arbeiter, die begonnen haben,mit eigenen Kräften, vermittels der Gewerkschaften, von den Besitzernzu lernen, wie man Betriebe verwaltet? Hier wurde gesagt, es sei einleichtes, das Verwalten zu erlernen. Wir indessen entscheiden im OberstenVolkswirtschaftsrat tagtäglich über Tausende Konflikte und Fälle, die da-von zeugen, daß der Arbeiter viel gelernt hat, und wenn wir darausSchlußfolgerungen ziehen, so kommen wir zu dem Ergebnis, daß die Ar-beiter langsam zu lernen beginnen, mit Fehlern zwar, doch es ist eineSache, Phrasen von sich zu geben, eine andere Sache aber, Monat fürMonat zu sehen, wie der Arbeiter allmählich in seine Rolle hineinwächst,wie er beginnt, seine Zaghaftigkeit zu verlieren und sich als Regierenderzu fühlen. Ob richtig oder nicht, aber er macht seine Sache so, wie derBauer in der landwirtschaftlichen Kommune. Die Zeit zeigt, daß der Ar-beiter die Verwaltung der Industrie erlernen mußte, alles übrige aber isteine leere Phrase, die keinen Pfifferling wert ist. Wenn wir nach einemhalben Jahr Sowjetmacht so weit sind, feststellen zu können, daß dieKontrolle veraltet ist — so ist das schon ein ungeheurer Schritt vorwärts.

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532 W. J. Cenin

Hier wurde geschrien, daß wir auf der Stelle treten, ja zurückweichen.Keine Spur. Das können Sie einem Kulaken einreden, aber keinem ein-fachen Arbeiter; der weiß Bescheid, wenn wir sagen: Gebt uns bessereLeute als die, die ihr geschickt habt, und zwingt sie, besser zu lernen, alsdu selber lernst. Wenn m an uns deshalb hier etwas von Konzessionen vor-zetert, dann gestatten Sie, einen beliebigen Arbeiter und Bauern zu fra-gen, was sie vorziehen: den Tribut, den die Deutschen uns auferlegthaben, mit Konzessionen zu bezahlen oder Krieg zu führen? Als wir denBrester Frieden schlössen, sagten wir von den Imperialisten: Solange dieinternationale sozialistische Revolution sie nicht besiegt hat, können wiruns nicht anders verteidigen als durch einen Rückzug. Das ist unangenehm ,aber Tatsache — und es ist besser, wenn wir dem Volke das sagen —, so-lange wir keine Armee aufgebaut haben, zu deren Bildung man nicht Jahr-zehnte, sondern nur einige Jahre braucht, sofern eine richtige Getreidever-teilung eingeführt wird, damit die Armee einen Vorrat von erfaßtem undaufgespeichertem Getreide besitzt. In welchem Kreis, in welchem Gouver-nement haben die linken Sozialrevolutionäre das getan? Sie haben nichtsdergleichen getan! Solange das nicht getan ist, sagen wir, daß Ihr ganzesGeschrei eine leere Phrase ist, wenn wir aber Schritte tun in der Arbeiter-

verwaltung, so kommen wir vorwärts. Hier wurde ein Satz von mir falschzitiert. Ich sagte, schlecht ist es um eine Partei bestellt, in der aufrichtigeLeute so weit sinken müssen, daß sie zu solchen Phrasen greifen.

Daß wir unserem Kommissariat für Ernährungswesen eine Milliardegegeben haben — ist das etwa kein Schritt vorwärts? Vieles ist noch nichtin Ordnung gebracht, und wenn Sie wollten, Sie könnten es in Ordnungbringen. Nur weiß ich nicht, durch wen. Doch nicht durch die alten Be-amten? Bei uns lernen das die Arbeiter und Bauern aus den Sowjets(Beifall), und deshalb erfüllen der Ankauf von Textilwaren und

die Bereitstellung von Mitteln ihre A ufgabe. W ir haben im Rat der Volks-kommissare Hunderte von Malen die Frage behandelt: Durch wen sollendie Textilwaren gekauft, wie soll die Kontrolle durchgeführt werden, wieist die schnellste Verteilung der Textilien zu fördern? Und wir wissen,daß man von Woche zu Woche erfolgreich Maßnahmen zur Bekämpfungder Spekulation, Maßnahmen zur Festnahme der Spekulanten ausgearbei-tet hat und daß die Arbeiter in dieser Sache mit jedem Monat immer ent-schlossener werden. Diesen unseren Erfolg kann kein Mensch leugnen.

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V. Qesamirussisdher Sowjetkongreß 533

W ir schreiten vorwärts und treten nicht auf der Stelle. Am 28. Juni habenwir für vielleicht mehrere Hunderttausend die Nationalisierung14 7 durch-geführt, Sie aber machen noch Einwendungen und wiederholen von neuemWorte der bürgerlichen Intelligenz. Sozialismus, das ist eine Arbeit, dienicht in einigen Monaten geschafft wird. Wir treten nicht auf der Stelle,sondern setzen unseren Vormarsch zum Sozialismus fort, und wir sindihm nach dem Brester Vertrag näher gekommen. Die Arbeiter haben auseiner Reihe von Fehlern Erfahrungen gesammelt, sie sind sich der Ver-antwortung sowie der Schwierigkeiten des Kampfes bewußt. Die Bauernwiederum haben Erfahrungen bei der Sozialisierung des Grund und Bo-dens erworben, und zweifellos sagen die erfahreneren und vernünftigerenBauern: Wir haben im ersten Frühjahr den Grund und Boden selber ge-nommen, und im Herbst werden w ir die ganze Sache, die Sache der Boden-verteilung, in unsere eigenen H ände nehmen. W ir geben doch den Bauerndie Textilien zu 50 Prozent, d. h. zum halben Preis, wer würde sonst derbäuerlichen Armut die Textilwaren zu diesem Preis abgeben? Wir wer-den auf dem Wege über das Getreide, über Textilien, über Geräte, dienicht den Spekulanten anheimfallen, sondern die in erster Linie der Dorf-armut zukommen, zum Sozialismus fortschreiten. Das ist Sozialismus.(Beifall.) Nach einem halben Jahr sozialistischer Revolution begreifen

die Leute, die ihre Weisheit nur aus Büchern schöpfen, nicht das geringste.W ir sind jetzt in eine solche Lage gekommen, wo w ir bei dem konkretenSchritt der Getreideverteilung und des Austauschs von Textilien gegenGetreide so vorgehen, daß dabei die Dorfarmut gewinnt und nicht diereichen Spekulanten. Wir sind keine bürgerliche Republik, denn dazubrauchte man keine Sowjets. Durch die Verteilung von Getreide undTextilien soll die Dorf armut gewinnen, und das hat bis jetzt keine einzigeRepublik der Welt zu tun versucht,wir aber versuchen es jetzt. (B ei fa ll. )W ir vollbringen ein edles Werk,wir haben Erfahrungen, und wir tun alles,

damit die Dorfarmut sich organisiert. Plünderungen und Ausschreitungenkommen fast nicht mehr vor, auf jeden einzelnen solchen Fall gibt es zehnFälle, wo die armen Bauern und die Mittelbauern sagen: Wir müssen unsvon den Kulaken und Gutsbesitzern befreien! Seit dem Brester Friedenhaben wir in der Schulung der Bauern gewaltige Fortschritte gemacht, unddie Bauern sind heute keine Neulinge m ehr imKampf für den Sozialismus.

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TELEGRAMMWECHSEL MIT J . W. STALIN

i

7. Juli, 1 Uhr nachtsZARIZYN

AN DEN VOLKSKOMMISSAR STALIN

Heute gegen 3 Uhr nachmittags wurde Mirbach von einem linken Sozial-revolutionär durch Bombenwurf getötet. Dieser Mord liegt offenkundigim Interesse der Monarchisten bzw . der englischen und französischen Kapi-

talisten. Die linken Sozialrevolutionäre, die den Mörder nicht ausliefernwollen, haben Dzierzynski und Lacis festgenommen und einen Aufstandgegen uns begonnen. Noch heute nacht werden wir schonungslos auf-räumen und dem Volk die ganze Wahrheit sagen: Wir sind um Haares-breite von einem Krieg entfernt. Wir haben Hunderte von linken So-zialrevolutionären als Geiseln, überall müssen diese erbärmlichen undhysterischen Abenteurer, die zu einem Werkzeug in den Händen derKonterrevolutionäre geworden sind, schonungslos niedergeworfen wer-den. Jeder, der gegen den Krieg ist, wird für uns sein.

Was Baku betrifft, so ist es das wichtigste, daß Sie mit Schaumiandauernd V erbindung halten und daß Schaumian den dem Botschafter Joffein Berlin gemachten Vorschlag der Deutschen kennt, wonach sie einver-standen wären, die Offensive der Türken auf Baku anzuhalten, wenn wirihnen einen Teil des Erdöls garantierten. Selbstverständlich werden wirzustimmen. Also seien Sie schonungslos gegenüber den linken Sozial-revolutionären und geben Sie öfters Nachricht.

Lenin

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JeUgrammwedisel mit J. "W. Stalin 535

7. Juli, 3 U hr nachts.

Heute noch schicke ich nach Baku einen Kurier mit einem Brief. Alleswird erledigt.

W as die Hy sterike r betrifft, so seien Sie gewiß, daß unse re Ha nd nichtzittern wird. Mit Feinden werden wir auf Feindesart verfahren.

Stalin

Zuerst veröffentlicht am 21. Januar 1936 TJadh dem Ma nuskript-, diein der „Traw da" Jir. 21 . Antwo rt J. W. Stalins nadh

dem Cext des Jelegramm-formulars.

35 Lenin, We rke, Bd. 27

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U N T E R R E D U N G M I T E I N E M M IT A R BE IT E R

D E R „ I S W E S T I J A W Z I K " A N L Ä S S L I C H D E S A U F -

S T A N D S DE,R „ L I N K E N " S O Z I A L R E V O L U T I O N Ä R E

Kurze Wiedergabe

Die Revolution führt jede These mit bewundernswerter Folgerichtig-keit bis an das logische Ende und deckt unbarmherzig die ganze Armselig-keit, die ganze Frevelhaftigkeit jeder falschen Taktik auf.

Die linken Sozialrevolutionäre, von tönenden Phrasen berauscht, ze ternschon seit mehreren Monaten: „Nieder mit Brest, es lebe der Aufstandgegen die Deutschen!"

Wir antworteten ihnen, daß das russische Volk unter den gegebenen

Bedingungen, in der gegebenen geschichtlichen Periode keinen Krieg füh-ren kann und will.

Sie verschlossen ihre Augen vor der Wirklichkeit und fuhren mit sinn-loser Halsstarrigkeit fort, ihre Linie zu verfolgen, ohne zu fühlen, daßsie sich immer mehr von den Volksmassen entfernen, bestrebt, diesenMassen um jeden Preis, und sei es gewaltsam, ihren Willen aufzuzwingen,den Willen ihres Zentralkomitees, dem verbrecherische Abenteurer, hyste-rische Intellektuelle usw. angehörten.

In dem Maße aber, wie sie sich vom Volke entfernten, gewannen sie

immer mehr die Sympathien der Bourgeoisie, die darauf hoffte, mit denHänden der linken Sozialrevolutionäre ihre eigenen Absichten zu ver-wirklichen.

Der verbrecherische Terrorakt und der Aufruhr haben den breitenMassen des Volkes vpll und ganz die Augen darüber geöfifnet, in welchenAbgrund der Staat des Volkes, Sowjetrußland, durch die verbrecherischeTaktik der linkssozialrevolutionären Abenteurer gestoßen wird.

Ich selbst und viele andere Genossen ha tten Gelegenheit, am T age des

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Vnterredung mit einem Mitarbeiter der Jswestija WZJX" 537

Aufruhrs sogar seitens der unaufgeklärtesten Volksschichten Äußerungen

stärkster Entrüstung über die linken Sozialrevolutionäre zu hören.Ein unscheinbares, unwissendes altes Mütterchen sagte anläßlich der

Ermordung Mirbachs empört:„O diese Verfluchten, haben uns also doch in einen Krieg hineinge-

trieben!"Alle begriffen und erkannten auch sofort mit größter Klarheit, daß

Rußland nach dem Sozialrevolutionären Terrorakt nur um Haaresbreitevon einem Krieg entfernt ist. So un d nicht anders beurteilten die Volks-massen die Aktion der linken Sozialrevolutionäre.

Man provoziert uns zu einem Krieg mit den Deutschen, wo wir keinenKrieg führen können und wollen. Diese grobe Mißachtung des Volks-willens, dieses gewaltsame Hineinstoßen in den Krieg werden die Volks-massen den linken Sozialrevolutionären nicht verzeihen.

Und wenn sich jemand über die Aktion der linken Sozialrevolutionäregefreut und sich schadenfroh die Hände gerieben hat, so nur die Weiß-gardisten und die Helfershelfer der imperialistischen Bourgeoisie. DieArbeiter- und Bauernmassen aber haben sich in diesen Tagen noch stär-ker, noch enger zusammengeschlossen um die Partei der Kommunisten,

derBolschewiki, die die wahre Vertreterin des Willens der Volksmassen ist.

„Jswestija WZJX" 5Vr. 141, Tiaäa dem 7ext derS.Juli 1918. Jswestija WZ3K".

35*

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AN DIE PETROGRADER ARBEITER

Werte Genossen! Ich nehme die Petrogradreise eines alten Bekanntenvon mir, des Genossen Kajurow, den die Petrograder Arbeiter gut ken-nen, zum Anlaß, euch einige Zeilen zu schreiben.

Genosse Kajurow war im Gouvernement Simbirsk, er hat selbst ge-sehen, wie sich die Kulaken zur Dorfarmut und zu unserer Staatsmachtverhalten. Er hat ausgezeichnet begriffen, was kein einziger M arxist, keineinziger klassenbewußter Arbeiter anzweifeln kann: nämlich daß dieKulaken die Sowjetmacht, die Macht der Arbeiter, hassen und sie un-

weigerlich stürzen werden, wenn die Arbeiter nicht unverzüglich alleKräfte anspannen, um dem Feldzug der Kulaken gegen die Sowjets zu-vorzukommen, um die Kulaken aufs Haupt zu schlagen, noch ehe es ihnengelungen ist, sich zusammenzuschließen.

Die klassenbewußten Arbeiter können im gegebenen Moment dieseAufgabe verwirklichen, sie können die Dorfarmut um sich zusammen-schließen, sie können die Kulaken besiegen und aufs Haupt schlagen,wenn die fortgeschrittensten 7rupps der Arbeiterschaft ihre Pflicht be-greifen, alle Kräfte anspannen und einen Massenfeidzug ins Dorf orga-

nisieren.Niemand, außer den Petrograder Arbeitern, kann das tun, denn so

klassenbewußte Arbeiter wie die Petrograder haben wir in Rußland sonstnirgends. In Petrograd sitzen, hungern, vor den leeren Fabriken herum-stehen, absurderweise von Wiederherstellung der Petrograder Industrie,von Verteidigung Petrograds phantasieren — das ist dumm und verbreche-risch. Das bedeutet den U ntergang unserer ganzen Revolution. Die Petro-grader Arbeiter müssen mit dieser Dummheit Schluß machen, müssen die

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An die Petrograder Arbeiter 539

Narren, die diese Dummheit verteidigen, zum Teufel jagen, und zu

Zehntausenden nach dem Ural, an die Wolga, nach dem Süden eilen, woes viel Getreide gibt, wo man sich und die Seinen ernähren kann, wo manhelfen muß, die Dorfarmut zu organisieren, wo man den PetrograderArbeiter als Organisator, Leiter, Führer notwendig braucht.

Kajurow wird euch über seine persönlichen Beobachtungen berichtenund wird, dessen bin ich sicher, alle Schwankenden überzeugen. DieRevolution ist in Gefahr. Retten kann sie nur ein JMassenieldzug derPetrograder Arbeiter. Waffen und Geld werden wir ihnen geben, sovielsie wollen.

Mit kommunistischem Gruß Lenin12. VII. 1918

Zuerst veröffentlicht 1924 in der Tiaäi dem Man uskript.Zeitschrift „ProletarskajaRewohzija" 3Vr. 3 (26).

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E R K L Ä R U N G I N D E R S I T Z U N G D E S

G E S A M T R U S S I S C H E N Z E N T R A L E X E K U T I V K O M I T E E S

15. J U L I 1 9 1 8

Genossen, über einen Mangel an politischen Krisen und raschen poli-tischen Veränderungen kann unsere Sowjetrepublik sich nicht beklagen.Wie einfach, wie elementar einfach auch alle imperialistischen Kräftesind, die sich neben der Sozialistischen Sowjetrepublik freilich nicht ruhigfühlen können, so rufen die offenkundig führenden Kräfte, die Kombi-nation der beiden imperialistischen Gruppen, doch in einem Augenblick,wie wir ihn gegenwärtig erleben, einem Augenblick, wo der Krieg imfrüheren Umfang fortgesetzt wird, weiterhin politische Krisen und ähn-liche Erscheinungen hervor. Anläßlich eines solchen Ereignisses, das einer

politischen Krise ähnelt oder wirklich eine Krise ist, habe ich Ihnen eineMitteilung zu machen.

Gestern, am 14. Juli um 11 Uhr abends, suchte der geschäftsführendediplomatische Vertreter Deutschlands, Dr. Riezler, den Volkskommissarfür Auswärtige Angelegenheiten auf und übermittelte ihm den Inhalteines eben bei ihm aus Berlin eingetroffenen Telegramms, worin diedeutsche Regierung Dr . Riezler beauftragt, die Einwilligung der russischenRegierung einzuholen für die Zulassung eines Bataillons uniformierterdeutscher Soldaten zum Schütze der deutschen Botschaft und für die

schnellste Beförderung dieser Soldaten nach Moskau.Hinzugefügt wurde, daß der deutschen Regierung irgendwelche Okku-

pationsabsichten fernlägen.Der Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten erwiderte im

Einvernehmen mit dem Vorsitzenden des Rats der V olkskommissare, daßdie Volksmassen Rußlands den Frieden wünschen, daß die russische Re-gierung bereit ist, der deutschen Botschaft, dem Konsulat und den Kom-missionen eine völlig ausreichende und zuverlässige Schutzwache aus ihren

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Erklärung in der Sitzung des Qesamtrussisdben ZEJC 541

eigenen Truppen zu stellen, daß sie sich aber auf keinen Fall damit ein-verstanden erklären kann, einen ausländischen Truppenteil nach Moskauzu lassen, und daß sie der festen Hoffnung Ausdruck gibt,daß die deutscheRegierung, erfüllt von dem gleichen Friedenswunsch, nicht auf ihremVerlangen bestehen wird.

Tatsächlich steht das der russischen Regierung vorgetragene Verlangenin völligem Widerspruch zu der Erklärung des Reichskanzlers im Reichs-tag, die unselige Ermordung des Grafen Mirbach werde nicht zu einerVerschlechterung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern führen.Sie widerspricht auch den uns wohlbekannten Wünschen führender Han-dels- und Industriekreise Deutschlands, enge, für beide Länder vorteil-

hafte W irtschaftsbeziehungen herzustellen und zu entwickeln, sowie denerfolgreich vorangehenden Verhandlungen. Davon zeugen auch zahlreicheErklärungen, die unserem V ertreter in Berlin über die politische Lage undüber das Verhältnis zu Rußland gemacht wurden.

Noch haben wir allen Grund zu hoffen, daß es gelingen wird, diesenunerwarteten Zwischenfall glücklich beizulegen, aber jedesmal, wenn eineVerschärfung in unseren internationalen Beziehungen eintritt, halten wires für notwendig, die Tatsachen offen mitzuteilen und die Fragen ohneUmschweife zu stellen.

Ich halte es daher für meine Pflicht, folgende Regierungserklärung ab-zugeben:

„Die Regierung der Sowjetrepublik war sich beim Abschluß des BresterFriedens sehr wohl bewußt, welch schwere Aufgabe die Arbeiter undBauern Rußlands angesichts der damals entstandenen internationalen Lage

auf sich nehmen mußten. Der Wille der überwiegenden Mehrheit desIV. Sowjetkongresses war durchaus kla r: die werktätigen Klassen ver-langten Frieden, da sie eine Ruhepause brauchten für die Arbeit, für dieOrganisierung der sozialistischen Wirtschaft, für die Sammlung und Fe-

stigung ihrer durch den qualvollen Krieg erschöpften Kräfte.In Erfüllung des Willens des Sowjetkongresses hat die Regierung die

schweren Bedingungen des Brester Friedens strikt eingehalten, auch sindin letzter Zeit unsere Verhandlungen mit der deutschen Regierung schonziemlich weit fortgeschritten über die genaueste Festsetzung der Höhe dervon uns zu leistenden Zahlungen und über die Methoden der Bezahlung,die wir in kürzest möglicher Frist bewerkstelligen wollen.

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542 W. J. Lenin

W ährend aber die Regierung der Sowjetrepublik die Brester Bedingun-

gen aufs strikteste erfüllt und dadurch dem Friedenswillen der Arbeiterund Bauern Rechnung trägt, hat sie niemals aus dem Auge verloren, daßes Grenzen gibt, über die hinaus selbst die von größter Friedensliebe er-füllten Massen der W erktätigen gezwungen sein werden, sich zu erheben ,und sich wie ein Mann, mit der Waffe in der Hand, zur Verteidigungihres Landes erheben w erden.

Das sinnlose und verbrecherische Abenteuer der linken Sozialrevolu-tionäre hätte uns um ein Haar in den Krieg gestürzt. Unsere Beziehungenzur deutschen Regierung mußten sich — gegen unseren Willen — zwangs-

läufig zuspitzen. D a w ir den Wunsch der deutschen Regierung, den Schutzihrer Botschaft verstärkt zu sehen, als berechtigt anerkennen, kamen undkommen wir diesem Verlangen weit entgegen.

Als uns aber das Verlangen der deutschen Regierung, das noch nichtden Charakter einer unbedingten Forderung trägt, mitgeteilt wurde, wirsollten ein Bataillon bewaffneter und uniformierter deutscher Soldatennach Moskau hereinlassen, da antworteten wir — und wir wiederholenjetzt diese Antwort vor dem höchsten Organ der Sowjetmacht der Arbei-ter und Bauern, vor dem Gesamtrussischen Zentralexekutivkomitee —,daß w ir einem derartigen Verlangen in keinem Fall und unter keinen Um -ständen entsprechen können, denn objektiv wäre das der Beginn der Okku-pation Rußlands durch fremde Truppen.

Einen solchen Schritt wären w ir gezwungen so zu beantworten, wie w irden Aufruhr der Tschechoslowaken und die militärischen Aktionen derEngländer im Norden beantworten, nämlich mit verstärkter Mobilisie-rung, mit dem Aufruf an ausnahmslos alle erwachsenen Arbeiter undBauern, bewaffneten Widerstand zu leisten und, falls sich ein Rückzugzeitweilig notwendig machen sollte, ohne jede Ausnahme alle und jeglicheVerkehrswege zu zerstören, alle Magazine und insbesondere Lebensmit-tel zu verniditen, damit diese nicht dem Gegner in die Hände fallen kön-nen. Der Krieg würde dann für uns zu einer schicksalsschweren, aber un-bedingten und unbestreitbaren Notwendigkeit werden, und diesen revo-lutionären Krieg werden die Arbeiter und Bauern Rußlands Schulter anSchulter mit der Sowjetmacht bis zum letzten A temzug führen.

Die Innenpolitik der Sowjetmacht bleibt in strikter Befolgung der Be-schlüsse des V. Sowjetkongresses ebenso wie ihre Außenpolitik die gleiche

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Erklärung in der Sitzung des gesamtrussischen Z£X 543

wie bisher. Das verbrecherische Aben teuer der linken Sozialrevolutionäre,

die sich als Helfershelfer der Weißgardisten, Gutsbesitzer und Kapita-listen erwiesen haben, wird jetzt, wo sich die Wolken zusammenziehenund die Gefahr des Krieges sich vergrößert, in den Augen des Volkes nochverbrecherischer dastehen, und wir werden die erbarmungslose Bestrafungder durch den Willen des V. Sowjetkongresses unwiderruflich verur teil-ten Verräter in vollem Umfang und auf jede Weise unterstützen unddurchführen. Wird der Krieg trotz aller unserer Bemühungen zur Tat-sache, dann werden wir zu der Bande der linkssozialrevolutionären Ver-räter, die fähig sind, den Willen der Sowjets zu hintertreiben und militä-

rischen Verrat und dergleichen zu begehen, keine Spur von Vertrauenhaben können. Aus der unbarmherzigen Unterdrückung sowohl der wahn-witzig abenteuerlichen (linkssozialrevolutionären) als auch der bewußt imInteresse ihre r Klasse handelnden (gutsherrlichen, kapitalistischen und ku-lakischen) Elemente der Konterrevolution werden wir neue Kräfte fürden Krieg schöpfen.

W ir appellieren an die Arbeiter und Bauern ganz Ru ßlan ds: ,Dreif acheWachsamkeit, Vorsicht und Standhaftigkeit, Genossen! Alle müssen aufihrem P osten sein! Alle müssen, wenn es notwendig wird, ih r Leben hin-

geben für die Verteidigung der Sowjetmacht, für die Verteidigung derInteressen der Werktätigen, Ausgebeuteten und Armen, für die Vertei-digung des Sozialismus!'"

Zeitungsberidhte wurden "Nach dem Text des Buches „fünfteam 16. Juli 1918 in der "Wahlperiode des Qesamtrussisdhen„Prawda" Nr. 14 6 und in den ZEK der Sow jets. StenografisdberJswestija Ti>Z3X" "Nr. 148 'Bericht". "Herausgegeben vom Qe-veröftentlicht. samtrussischen ZEK , 1919; die Re-

gierungserklärung nach dem Manu-

skript

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R ED E A U F E I N E R K U N D G E B U N G

I M L E F O R T O W S K I - B E Z I R K

19. J U L I 1918

Die Verschärfung der Lage der Sowjetrepublik ist durch zwei Ursachenhervorgerufen: eine internationale und eine innere. Wir haben den Ar-beitern und Bauern die ganze Schwere des Schmachfriedens niemals ver-heimlicht. Trotz dieser ganzen Schwere hat der IV. Sowjetkongreß es alsnotwendig erachtet, diesen Frieden zu unterzeichnen, um den russischenArbeitern und Bauern die Möglichkeit zu geben, Atem zu holen und stär-ker zu werden. Die Partei der linken Sozialrevolutionäre trägt die Ver-antwortung für die Ermordung Mirbachs, sie hat Rußland um ein Ha ar in

den Tod geführt.Es sind Anzeichen dafür vorhanden, daß die deutsche Regierung zuZugeständnissen bereit ist und möglicherweise auf die Entsendung einesBataillons deutscher Soldaten nach Moskau verzichten wird. Die Sowjet-regierung hat das der deutschen Regierung kategorisch abgeschlagen,selbst wenn dadurch ein Krieg hervorgerufen werden sollte.

Das Abenteuer der linken Sozialrevolutionäre hat zu einer außer-ordentlichen Verschlechterung der Lage der Sowjetmacht geführt, hataber anderseits dazu geführt, daß ihr bester Teil, das werktätige Element,

sich von den linken Sozialrevolutionären abwendet.Im Zusammenhang mit der Zuspitzung der Beziehungen zu Deutsch-

land haben sich auch die Beziehungen zu der anderen Koalition verschärft.Der tschechoslowakische Aufstand ist ihr Werk. Ein Beweis dafür ist dasOffizierkorps, das von französischem Geld unterstützt wird und denTschechoslowaken hilft.

Ferner spricht Lenin davon, daß der Krieg die Revolution erzeuge, daßdie Lage der kriegführenden Länder um so auswegloser werde, je länger

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Rede auf einer Kundgebung im Cefortowski-Bezirk 545

der Krieg sich hinziehe, daß er sie desto rascher einer Revolution näher

bringe, über Deutschland und Österreich rollt eine neue Streikwelle hin.Alle imperialistischen Räuber stürzen sich auf Rußland und wollen es zer-fleischen, da sie wissen, daß jeder Monat Existenz des sozialistischen Ruß-lands ihnen den Untergang bereitet. Uns ist das ehrenvollste und schwersteLos zugefallen, der erste sozialistische Trupp im Kampf mit dem Welt-imperialismus zu sein. Unsere Aufgabe ist es, uns auch weiter zu halten.

Dann geht Lenin zur Frage der Hungersnot über, auf die die Weiß-gardisten spekulieren, um die Sowjetmacht zu stürzen. Seitens der Mon-archisten, Kulaken und Reichen wird auf dem Boden der H ungersnot eine

tollwütige Agitation getrieben. Sie beschränken sich nicht nur auf Agita-tion, sondern bestechen arme Bauern und verleiten diese zur Spekulationund zum Kampf gegen die Arbeiter. Zwei Klassen kämpfen: das Proleta-riat und die Kulaken, die Kapitalisten. Die eine dieser Klassen m uß siegen,die andere zerschlagen werden. Unsere sozialistische Revolution ruft aufzum Bündnis der klassenbewußten Arbeiter mit der Mehrheit der armenund mittleren Bauern für den Kampf gegen die Kulaken und für dieDurchsetzung der strengsten Ordnung im Interesse der Arbeiter. Wirhaben nur einen Weg zur Rettung vor der Hungersnot — das Bündnis der

Arbeiter und der armen Bauern zum Kampf und zur Beschlagnahme desGetreides bei den Kulaken und Spekulanten. Seht der Gefahr ins Auge!Wir haben überall Feinde, wir haben aber auch neue Verbündete — dasProletariat der Länder, wo noch Krieg geführt wird. W ir haben Verbün-dete auch im Innern — die gewaltige Masse der armen Bauernschaft, die ingeschlossenen Reihen mit dem städtischen Proletariat marschieren wird.

„Prawda" Tür. i5i, "Naän dem Text der „Prawda".2i.]uli i9i8.

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A N S I N O W J E W , L A S C H E W I T S C H U N D S T A S S O W A

Es ist notwendig, aus Petrograd ein "Maximum von Arbeitern in Marsch

zu setzen:1. einige Dutzend „Führer" (ä la Kajurow)2. Tausende „einfacher" Arbeiter.Sonst ist es aus mit uns, denn die Situation mit den Tschechoslo-

waken ist äußerst schlimm.Töricht wäre es, sich in einer solchen Situation auf Petrograds „Wohl-

ergehen" „zu versteifen" und mit der Hergabe von Kräften zu „knickern":mag im Petrograder Deputiertensowjet die bolschewistische Mehrheit von98% (haben Sie 98% ?) selbst auf 51% fallen! Was ist das schon für ein

Unglück!W ir werden nidit zugrunde gehen, wenn in Petrograd im Deputierten-

sowjet sogar (sogar!) bis zu 49% nicht unsere Leute sein sollten (unddamit hat's noch gute Weile). Bestimmt aber werden wir zugrundegehen durch die Tschechoslowaken, wenn wir nicht verzweifelte An-strengungen aufbieten, um Hunderte und Tausende führender Ar-beiter zu bekommen, damit sie aus der breiigen Masse etwas Festesmachen. Das ist keine Übertreibung, sondern eine genaue Einschätzung.Wenn Sie mit Leuten geizen und sie „für Petrograd" aufsparen, dann

werden Sie die Verantwortung für den Untergang tragen.

Mit Gruß! Ihr LeninPS. Antworten Sie!

20 . VII. 1918

Zuerst veröffentlicht 1942 Nadh dem Manuskript,im £enin-Sammelbar.dXXXIV.

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R E F E R A T A U F D E R

M O S K A U E R G O U V E R N E M E N T S K O N F E R E N Z

D E R B E T R I E B S K O M I T E E S 1* 8

23 . JULI 1918

Zeitungsbericht

(B ei s e i n e m E r s c h e i n e n im K o n f e r e n z s a a l w i r d L e n i nm i t M i n u t e n w ä h r e n d e m s t ü r m i s c h e m B e if a ll b e g r ü ß t . )Die letzten Tage waren gekennzeichnet durch äußerste Zuspitzung derProbleme der Sowjetrepublik, hervorgerufen sowohl durch die internatio-nale Lage des Landes als auch durch die konterrevolutionären Verschwö-rungen und die eng damit zusammenhängende E rnährungskrise.

Gestatten Sie mir, auf die internationale Lage einzugehen. Die russischeRevolution ist lediglich einer der Trupps der internationalen sozialistischenArmee, von deren Aktion der Erfolg und der Triumph der von uns voll-zogenen Umwälzung abhängt. Diese Tatsache wird von keinem von unsvergessen. Genauso berücksichtigen wir, daß die erste Rolle, die das Pro-letariat Rußlands in der Arbeiterbewegung der ganzen Welt spielt, sichnicht aus der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes erklärt. Ganz imGegenteil, sie erklärt sich aus der Rückständigkeit Rußlands, aus der Un-fähigkeit der sogenannten vaterländischen Bourgeoisie, den gewaltigen,

mit dem Krieg und ebenso mit seiner Beendigung zusammenhängendenAufgaben gerecht zu werden ; das veranlaßte das Proletariat, die politischeMacht zu ergreifen und seine Klassendiktatur zu verwirklichen.

Das russische Proletariat ist sich bewußt, in der Revolution allein da-zustehen, und erkennt klar, daß die vereinte Aktion der Arbeiter der gan-zen Welt oder einiger in kapitalistischer Hinsicht fortgeschrittener Län-der die notwendige Bedingung und grundlegende Voraussetzung seinesSieges ist. Das russische Proletariat weiß jedoch sehr wohl, daß es in jedem

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548 W. 1 £enin

Land sowohl offene als auch heimliche Freunde hat. So gibt es kein Land,

in dem die Gefängnisse nicht überfüllt wären mit Internationalisten, diemit Sowjetrußland sympathisieren; es gibt kein Land , wo nicht das revo-lutionäre sozialistische Denken bald in der legalen, bald in der illegalenPresse seinen Ausdruck fände. Eben deshalb, weil wir unsere wahrenFreunde kennen, lehnen wir jedes Kompromiß mit den Menschewiki ab,die Kerenski und seine Offensive unterstützt haben. Sehr charakteristischin bezug auf die letzte Frage ist ein Brief der Intemationalistin RosaLuxemburg (dem Umfang nach klein, im Wesen aber ausgeprägt inter-nationalistisch) in der englischen Zeitung „The W ork ers1 Dreadnought"1*9

aus Anlaß der Juniorfensive. Rosa Luxem burg findet, daß dem internatio-nalen Charakter der Großen Russischen Revolution durch die von Keren-ski unternommene Offensive und durch die Sanktion des I. Gesamtrussi-schen Sowjetkongresses, mit der diese Offensive geweiht und gebilligtwurde, Abbruch getan worden sei. Diese Offensive des revolutionärenRußlands hat die Entwicklung der Revolution im Westen aufgehalten, underst die Diktatur des Proletariats, der Übergang der ganzen Macht an dasProletariat, führte zur Zerreißung sämtlicher GeKeimverträge, zur Ent-hüllung ihres räuberischen, imperialistischen Wesens und folglich auch

zur Beschleunigung der revolutionären Entscheidung in Europa. Einenebenso mächtigen Einfluß auf das Erwachen und die Entfaltung der prole-tarischen Energie im Westen hatte auch unser Aufruf an alle Völker, einendemokratischen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen abzu-schließen.* Alle diese revolutionären Akte haben den Arbeitern der ganzenWelt die Augen geöffnet, und den bürgerlichen und sozialverräterischenGruppierungen wird es trotz kram pfhafter Anstrengungen nicht gelingen,das erwachte Klassenbewußtsein der Arbeiter zu trüben. Der Empfang,den die englischen Arbeiter Kerenski bereiteten, hat das mit genügender

Klarheit bestätigt. Die große Anziehungskraft der russischen Revolutionfand ihren Ausdruck in einer grandiosen Aktion der deutschen Arbeiter —

der ersten während des Krieges. Sie reagierten auf die Brester Verhand-lungen mit einem kolossalen Streik in Berlin und anderen Industriezen-tren. Diese Aktion des Proletariats in einem vom Taumel des Nationalis-mus erfaßten und vom Gift des Chauvinismus verseuchten Land ist eine

* Siehe Werke, 4. Ausgabe, Bd. 26, S. 217—221, russ. "Die Red.

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Referat auf der Moskauer Qouvernementskonferenz 549

Tatsache von erstrangiger Wichtigkeit und bezeichnet einen Wendepunkt

in den Stimmungen des deutschen P roletariats.Man weiß nicht, wie sich die revolutionäre Bewegung in Deutschlandjetzt entwickeln wird. Unzweifelhaft ist nur, daß dort eine ungeheurerevolutionäre Kraft vorhanden ist, die mit eiserner Notwendigkeit in Er-scheinung treten muß. Und zu Unrecht beschuldigt man die deutschenArbeiter, keine Revolution zu machen. Mit dem gleichen Recht könnteman den russischen Arbeitern vorwerfen, im Laufe von 10 Jahren, von1907 bis 1917, keine Revolution fabriziert zu haben. A ber so ist das dochnicht. Revolutionen werden nicht auf Bestellung gemacht, sie werden nicht

im voraus auf diesen oder jenen Zeitpunkt festgesetzt, sondern reifen imProzeß der historischen Entwicklung heran und brechen aus in einemMoment, der durch das Zusammenwirken einer ganzen Reihe innerer undäußerer Ursachen bedingt ist. Dieser Mom ent ist nahe und wird unw eiger-lich und unausbleiblich eintreten. Für uns war es leichter, die Revolutionzu beginnen, aber außerordentlich schwer ist es für uns, sie fortzusetzenund zu vollenden. Furchtbar schwer kommt die Revolution in einem sohochentwickelten Land wie Deutschland, in einem Land mit einer so aus- -.

gezeichnet organisierten Bourgeoisie, zustande, um so leichter wird esjedoch sein, die sozialistische Revolution siegreich zu Ende zu führen,nachdem sie in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern Europasaufgeflammt ist und zu lodern beg innt.

Zu Unrecht wirft man uns vor, den Brester Vertrag — einen außer-ordentlich erniedrigenden und drückenden Gewaltfrieden — abgeschlossenzu haben, und erblickt darin die völlige Preisgabe unserer Ideale undWillfährigkeit gegenüber dem deutschen Imperialismus. Es ist charakte-ristisch , daß diese Beschuldigung von bürgerlichen Kreisen und von sozial-paktiererischen Elementen ausgeht, die jetzt in der Ukraine, in Finnland

und im Kaukasus (Menschewiki) die deutschen Junker mit offenen Armenempfangen. Eine ebensolche Beschuldigung wird uns auch von den hirn-losen linken Sozialrevolutionären an den Kopf geworfen. Wir sind unsder ganzen Schwere des Brester Vertrags sehr wohl bew ußt. Genauso wis-sen wir, daß w ir nach diesem Gew altvertrag (laut den Berechnungen unse-rer in Berlin tagenden Wirtschaftsdelegation) Deutschland etwa 6 Milliar-den Rubel werden bezahlen müssen. Die Lage ist unbedingt schwierig,aber durch die gemeinsamen Anstrengungen des Proletariats und der

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550 "W. 7. Lenin

Dorfarmut kann und muß ein Ausweg gefunden werden. Und nicht der

wahnw itzige Versuch der linken Sozialrevolutionäre, uns durch die Ermor-dung Mirbachs in den Krieg hineinzuziehen, ist ein Mittel, dem BresterVertrag zu entgehen. Im Gegenteil, dieses Abenteuer kam den deutschenKriegsparteien nur gelegen, deren Stellung natürlich schwächer werdenmuß infolge des Wachsens des Defätismus nicht nur unter den deutschenArbeitern, sondern auch unter der Bourgeoisie. Denn jetzt, nach dem Bre-ster Frieden, liegt es für alle geradezu auf der Hand, daß Deutschlandeinen Raubkrieg mit offen imperialistischen Zielen führt.

Außerordentlich schwer ist die Ernährungslage Sowjetrußlands, das

auf allen Seiten von imperialistischen Räubern umgeben ist, die vonden rastlos wühlenden Konterrevolutionären im Innern unterstütztwerden.

Die Aufmerksamkeit der Arbeiterklasse muß auf die Bekämpfung derHungersnot (dieses besten Kampfmittels der Bourgeoisie gegen die prole-tarische Diktatur) konzentriert sein. Eins müssen wir uns jedoch zumGrundsatz machen: Bei der Bezwingung der Hungersnot werden wirkategorisch die bürgerlichen Kampfmethoden ablehnen, die die Massenzu einem Hungerdasein verurteilen im Interesse der Reichen und Aus-

beuter, wir werden rein sozialistische Kampfmethoden anwenden. Dieseaber bestehen in der Einführung des Getreidemonopols im Interesse derArbeiter sowie in der Ansetzung fester Preise.

Die Bourgeoisie und ihre Handlanger, die Sozialpaktierer, verfechtenden freien Handel und die Aufhebung der festen Preise. Der freie H andelha t aber schon in einer ganzen Reihe von Städten seine Resultate gezeitigt.Gleich nachdem die Bourgeoisie das Heft in die Hand bekam, sind dieBrotpreise auf ein Vielfaches gestiegen, und darum ist das Produkt selbstvom Markte verschwunden: die Kulaken haben es in der Hoffnung auf

weitere Preissteigerungen versteckt.Der e rbittertste Feind des Proletariats und Sowjetrußlands ist der Hun-ger. Auf dem Wege zu seiner Überwindung stößt das Proletariat jedochauf die Dorf bourgeoisie, die in keiner Weise an der Beseitigung der H un-gersnot interessiert ist, sondern im Gegenteil aus ihr ihre Gruppen- undKlassenvorteile schöpft. Das Proletariat muß dies berücksichtigen undmuß im Bunde mit der hungernden Dorfarmut einen erbitterten, unver-söhnlichen Kampf gegen das Kulakentum führen. Zum gleichen Zweck

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Referat auf der ^Moskauer Qouvemementskonferenz 551

muß die schon begonnene Organisierung von Abteilungen für Lebens-

mittelbeschaffung fortgesetzt werden, an deren Spitze ehrliche Kommu-nisten gestellt werden müssen, die das Vertrauen der Partei- und Gewerk-schaffsorganisationen genießen. Nur dann wird die Ernährung gesichertund die Sache der Revolution gerettet werden.

VeröftentHdbt am 24. Juli 1918 Tiaöi dem 7ext der „Trawda",in der „Prawda" 9Jr. 153 und in den verglidben mit dem 7ext der„Isivestija WZ3X" 3Vr. 155. Jswestija

36 Lenin, W erke, Bd. 2?

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G E S P R Ä C H M I T J. W . S T A L I N

Ü B ER D I R E K T E L E I T U N G

24 . J U L I 1 9 1 8

ZARIZYN. AN STALIN

Hier spricht Lenin.Könnten Sie nach Baku den folgenden soeben aus Taschkent erhaltenen

Funkspruch weiterleiten?15 0

x #Dann muß ich zur Ernährungslage sagen, daß heute weder in Petrograd

noch in Moskau etwas verabfolgt wird. Die Lage ist ganz schlecht. TeilenSie mit, ob Sie außerordentliche Maßnahmen ergreifen können, dennaußer von Ihnen können wir uns von nirgendwoher etwas beschaffen. DerAufstand der Weißen in Jaroslawl ist unterdrückt.15 1 Simbirsk wurde vonden Weißen bzw. den Tschechen eingenommen. Erwarte Antwort.

S T A L I N S A N T W O R T

Vorgestern nacht wurde alles, was greifbar war, nach Turkestan ge-sandt.

Der Funkspruch ist nach Baku weitergeleitet worden. Im Nordkauka-sus sind große Getreidevorräte vorhanden, die Unterbrechung der Eisen-bahn aber macht es unmöglich, sie nach dem Norden zu befördern.

Bis zur Wiederherstellung der Strecke ist die Lieferung von Getreideundenkbar. Nach den Gouvernements Samara und Saratow ist eine Ex-pedition entsandt w orden, doch wird es nicht gelingen, Ihnen in den nach-

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^ ^

Niederschrift des Gesprächs W . I. Lenins mit J. W . Stalinauf direkter Leitung über die Ernährungslage

24 . Juli 1918

Verkleinert

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Qesprädb mit J. W. Stalin über direkte Leitung 555

sten Tagen mit Getreide zu helfen. Wir hoffen, in ungefähr zehn Tagen

die Strecke wiederherstellen zu können. Halten Sie irgendwie durch, ver-teilen Sie Fleisch und Fisch, die wir Ihnen reichlich schicken können. Ineiner Woche wird es besser sein.

Stalin

Z A R I Z Y N . A N S T A L I N

Schicken Sie Fisch, Fleisch, Gemüse, überhaupt alle Nahrungsmittel,

die m an nu r auftreiben kan n, und soviel wie möglich.Lenin

Zuerst veröffentlicht i93i Nach dem Manu skript, die Antwortim £enin-Sammelband XVIII. J. W. Stalins nach d em Hext des

^Telegrammformulars.

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R ED E A U F E I N E R K U N D G E B U N G

I M C H A M O W N I K I - B E Z I R K

26. J U L I 1 9 1 8

Kurzer Zeitungsbericht

( L e n i n w i r d b e i s e i n e m E r s c h e i n e n m i t e i n e r s t ü r m i -schen Ovat ion begrüßt . ) In seiner Rede über das Thema „Wasdie Sowjetverfassung dem werktätigen Volk gibt" bemerkt Lenin, daßdie Sowjetverfassung, die ebenso wie die Sowjets in einer Periode desrevolutionären Kampfes geschaffen wurde, die erste Verfassung ist, diedie Macht der Werktätigen als Staatsmacht proklamiert und den Ausbeu-tern, den Gegnern des Aufbaus eines neuen Lebens, die Rechte entzogenhat. In diesem ihrem Hauptunterschied von den Verfassungen anderer

Staaten eben liegt das Unterpfand des Sieges über das Kapital.Lenin verweist auf eine Reihe der wichtigsten Thesen in der Dekla-ration der Rechte des werktätigen und ausgebeuteten Volkes und bem erkt,nunmehr würden die Werktätigen aller Länder sehen, daß die Sowjet-verfassung — das Grundgesetz der Russischen Sozialistischen FöderativenRepublik — die Ideale des Proletariats der ganzen W elt w iderspiegelt. DieStunde der Abrechnung mit der Bourgeoisie aller Länder naht! In West-europa steigert sich die Empörung! Unsere Aufgabe besteht darin, alleHindernisse auf unserem W ege, wie groß sie auch immer sein mögen, zu

überwinden und die Sowjetmacht so lange zu behaupten, bis die Arbeiter-klasse aller Länder sich erhebt und das glorreiche Banner der sozialisti-schen Weltrepublik aufpflanzt! ( L e b h a f te r B ei fa ll. )

„Prawda" "Nr. 157, "Nado dem Vext der „Prawda".28. Juli i918.

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ÜBER DIREKTE LEITUNG.PETROGRAD, SMOLNY, AN SINOWJEW

Soeben sind Nachrichten eingetroffen, daß Alexejew im Kubangebietmit rund 60000 Mann gegen uns marschiert, um den Plan des vereintenVorstoßes der Tschechoslowaken, Engländer und Alexejewschen Kosakenzu verwirklichen. In Anbetracht dieser Tatsache und der Erklärung derhier eingetroffenen Petrograder Arbeiter Kajurow, Tschugurin und an-derer, daß Petrograd das Zehnfache an Arbeitern abgeben könnte, wärenicht die Opposition des Petrograder Teils des ZK 152, bestehe ich kate-gorisch und ultimativ auf der Einstellung jeder Opposition und auf der

Entsendung der zehnfachen Anzahl von Arbeitern aus Petrograd. Ebendas ist die Forderung des ZK der Partei.

Ich mache kategorisch darauf aufmerksam, daß sich die Republik ineiner gefahrvollen Lage befindet und daß die Petrograder, die die Ent-sendung von Arbeitern aus Petrograd an die tschechische Front verzögern,die Verantwortung für den möglichen Untergang der ganzen Sache aufsich nehmen.

Lenin

NB: Dieses Schriftstück ist an mich zurückzugeben mit dem Vermerk,um wieviel Vbr es nach Petrograd an den Smolny durchgegeben wor-den ist.

Lenin

Qesdirieben am 27. Juli i9l8.Zuerst veröftentlidbt 1942 Tiaäi dem Manuskript,

im Lenin-Sammelband XXXIV.

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ANMERKUNGEN

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561

1 Mit dem Artikel „Über die revolutionäre Phrase" begann Lenin in derPresse den offenen Kampf für den Abschluß des Friedens mit Deutschlandim Jahre 1918. Lenin verwendete in seinem Artikel hauptsächlich Materia-lien der erweiterten Beratung des ZK der Partei mit Parteiarbeitern vom8. (21.) Januar 1918, in der er zum erstenmal seine „Thesen über den so-fortigen Abschluß eines annexionistischen Separatfriedens" vortrug. (SieheW erke, 4. Ausgabe, Bd. 26, S. 40 1^1 08, russ.) 1

2 Das Dekret des Rats der Volkskommissare über die JLote Arbeiter- undBauernarmee, datiert vom 15.(28.) Januar 1918, wurde mit der Unter-schrift W. Uljanows (Lenins), des Vorsitzenden des Rats der Volkskom-missare, am 19. Januar (1 . Februar) 1918 veröffentlicht. 2

3 Gemeint ist die Abstimmung bei Erörterung der Friedensfrage in den Sit-zungen des ZK der SDAPR(B) am 11. (24.) Januar und 17. Februar 1918.In der ersten Sitzung stimmten nur 2 Mitglieder des ZK für den „revolutio-nären Krieg", 11 stimmten dagegen,- in der zweiten Sitzung stimmte nie-mand für diesen Vorschlag; 3 Mitglieder des ZK , die für die Fortsetzungdes Krieges waren, enthielten sich der Stimme. 3

4 Das Qesetz über die Sozialisierung des Bodens wurde am 18. (31.) Januar

vom III. Gesam trussischen Sowjetkongreß, der vom 10. bis 18. (23.—31.)Jan uar 1918 tag te, angenommen und am 19. Feb ruar 1918 veröffentlicht. 4

5 Die Qesamtrussisöhe Demokratische Beratung tagte vom 14. bis zum22 . September (27. September bis 5. Ok tober) 1917 in P etrograd. Einberu-fen worden war sie von den Menschewiki und Sozialrevolutionären zu demZweck, den wachsenden revolutionären Aufschwung zu schwächen. In derBeratung waren die sozialistischen Parteien , die paktiererischen Sowjets, dieGewerkschaften und Semstwos, ferner Handels- und Industriekreise and

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562 Anmerkungen

Truppenteile vertreten. Die Menschewiki und Sozialrevolutionäre hatten

in der Beratung das Übergewicht. Die Diskussion über die Grundfrage —die Organisierung der Staatsmacht — lief fast ausschließlich auf den Kampfum die Frage der Koalition mit bürgerlichen Parteien hinaus. In den erstenTagen der Diskussion gelang es den menschewistischen und Sozialrevolutio-nären Führern nicht, die Koalition durchzusetzen. Nach einer Reihe wieder-holter Abstimmungen sprach sich die Beratung für die Bildung einer Regie-rung ohne Beteiligung der Kadetten aus. Erst in die Diskussion über dieFrage der Zusammensetzung des Vorparlaments (eines Provisorischen Ratsder Republik) schmuggelten die Führer der Menschewiki und Sozialrevo-lutionäre in maskierter Form die Koalitionsidee hinein. Mit Hilfe des Vor-

parlaments, das aus Teilnehmern der Demokratischen Beratung zusam-mengesetzt wurde, gedachten die Menschewiki und Sozialrevolutionäre dieRevolution zum Stillstand zu bringen und das Land vom Wege der Sowjetsrevolution auf den Weg des bürgerlichen Parlamentarismus hinüberleitenzu können.

Das ZK der Partei der Bolschewiki faßte den Beschluß, das Vorparlamentzu boyko ttieren; nur die Kap itulanten Kamenew und Sinowjew, die bestrebtwaren, das Proleta riat von der V orbereitung des Aufstands abzulenken, ver-fochten die Teilnahme am Vorparlament. Die Bolschewiki entlarvten dasverräterische Treiben des Vorparlaments und bereiteten die M assen auf den

bewaffneten Aufstand vor. 86 Es handelt sich um den Verrat der Kapitulanten mit Sinowjew und Kame-

new an der Sp itze, die sich im Oktober 1917 gegen den bewaffneten Auf-stand wandten und den Beschluß des ZK der Partei über den Aufstand, derentscheidend war für das Schicksal der Revolution, den Feinden verrieten.(Siehe W . I. Lenin, „Brief an die M itglieder der P artei der Bolschewiki" und„Brief an das Zentralkomitee der SDA PR", W erke , 4 . Ausgabe, Bd. 26,S. 185-188, 192-196, russ.) 8

7 Leute vom „Tiowy Lutsdh" — Menschewiki, die sich um die Zeitung „Nowy

Lutsch" (Neuer Strahl), das Organ des Vereinigten Zentralkomitees derMenschewiki, gruppierten. Die Zeitung erschien in Petrograd ab 1. (14.)Dezember 1917 unter der Redaktion Dans, Martows und Martynows; imJuni 1918 wurde sie wegen konterrevolutionärer Agitation verboten. 10

8 Leute vom „T)elo TJaroda" — rechte Soz ialrevolutionäre, die sich um dieZeitung „Delo Naroda" (Die Sache des Volkes), ein Organ der Partei derSozialrevolutionäre, gruppierten. Die Zeitung erschien in Petrograd, danachin Samara und Moskau mit Unterbrechungen und unter verschiedenenNamen von März 1917 bis März 1919. 10

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Anmerkungen 563

9Leute von der „TJowaja Shisn" — eine menschewistische Gruppe, die sich

um die Zeitung „Nowaja Shisn" (Neues Leben) — erschien ab April 1917in Petrograd — zusammenschloß. Die Gruppe vereinigte die Martowanhän-ger unter den Menschewiki, die sich Internationalisten nannten, und intel-lektuelle Einzelgänger halbmenschewistischer Prägung. Im Oktober 1917trat die Gruppe „Nowaja Shisn" zusammen mit allen Menschewiki gegenden bewaffneten Aufstand auf; nach dem Oktober nahmen die Vertreterdieser Gruppe mit Ausnahme einiger Personen, die sich den Bolschewikianschlössen, gegenüber der Sowjetmacht eine feindliche Haltung ein. ImJuli 1918 wurde die „Nowaja Shisn" zusammen mit anderen konterrevolu-tionären Zeitungen verboten. 10

1 0 „Linke" "Bolsdiewiki — eine parteifeindliche Gruppe, die sich zur TarnungGruppe „linker Kommunisten" nannte. Sie entstand Anfang 1918 im Zu-sammenhang mit der Frage des Brester Friedensschlusses. Getarnt durchlinke Phrasen, verfocht die Gruppe „linker Kommunisten" eine verbreche-rische Politik, die darauf abzielte, die junge Sowjetrepublik, die noch keineArmee besaß, in einen Krieg gegen Deutschland zu verwickeln. An derSpitze der Gruppe standen Bucharin, Radek und Pjatakow. Die Anführerder „linken Kommunisten" waren Handlanger Trotzkis, der die verräte-rische Politik der Fortführung des Krieges in verhüllterer, stärker maskier-ter Form betrieb, und zwar unter der Losung: keinen Krieg führen, aberauch den Frieden nicht unterzeichnen. Im Gegensatz zu Lenins Friedens-politik, seiner Politik der Atempause wollten Trotzki und die „linken Kom-munisten" der Partei eine Politik aufzwingen, die zweifellos zum Zusam-menbruch der proletarischen D iktatur geführt hä tte. W . I. Lenin nannte die„linken Kommunisten" ein „Werkzeug imperialistischer Provokation". MitTrotzkis Unterstützung führten die „linken Kommunisten" einen offenenKampf gegen die Partei und entfalteten eine hemmungslose Fraktionstätig-keit. Sie erhoben verleumderische, demagogische Beschuldigungen gegen diePartei, um sie zu spalten, die Parteireihen zu zersetzen, zu desorganisieren,die Partei durch Rücktrittserklärungen, durch Aufgabe ihrer Posten in So-wjetinstitutionen und in der Partei zu schrecken usw. Lenin, Stalin undSwerdlow hatten im ZK einen hartnäckigen Kampf gegen Trotzki und die„linken Kommunisten" zu führen, um den Beschluß über den Frieden durch-zusetzen und damit die junge Sowjetrepublik zu retten.

Un ter L enins Führung ließ die Partei der provokatorischen Politik T rotz-kis und der „linken Kommunisten" eine entschiedene Abfuhr zuteil werden,indem sie deren H altung als verräterisch und kap itulantenhaft anpra ngerte .Die „linken Kommunisten" wurden isoliert und geschlagen. 11

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564 Anmerkungen

1 1 Das Dekret „Das sozialistische Vaterland in Qefahrl" wurde am 21. Fe-

bru ar 1918 vom Rat der Volkskommissare angenommen und mit der U nter-schrift des Rats der Volkskommissare am 22 . Febru ar in der „Praw da" undin den „Iswestija ZIK" (Nachrichten des ZEK) veröffentlicht; außerdemwurde es als Flugblatt herausgegeben. Lenin schrieb das D ekret im Z usam -menhang mit dem Abbruch der Friedensverhandlungen in Brest-Litowskund der begonnenen Offensive der deutschen Imperialisten. Am 28. Januar(10. Februar) setzte sich Trotzki, der damals die sowjetische Friedensdele-gation in Brest-Litowsk leitete, verräterisch über Lenins Anweisung, dieFriedensbedingungen Deutschlands zu unterzeichnen, hinweg. Als Ant-wort auf das deutsche Ultimatum verlas er eine Deklaration, in der er er-

klärte: Wir unterzeichnen den Frieden nicht, wir demobilisieren die Armee,wir führen keinen Krieg. Der provokatorische Schritt Trotzkis setzte dieSowjetrepublik den Schlägen des deutschen Imperialismus aus. Am 16. Fe-bruar gab die deutsche Heeresleitung offiziell die Beendigung des Waffen-stillstands mit der Sowjetrepublik bekannt und begann am 18. Februar einemilitärische Offensive an der ganzen Front. Die deutschen Imperialisten be-mächtigten sich einer Reihe von Städten auf sowjetischem Territorium undbedrohten Petrograd.

Der Aufruf der Partei und der Sowjetregierung mobilisierte die Massendes revolutionären Volkes zum Kampf gegen die deutschen Imperialisten.

Rasch formierte junge Verbände des neuen Heeres, der Roten Armee, stell-ten sich dem Ansturm der deutschen Okkupanten heldenmütig entgegen.Bei Narwa und Pskow wurde den deutschen Räubern entschiedener Wider-stand geleistet. Die Offensive der deutschen Truppen auf Petrograd wurdezum Stehen gebracht. 15

1 2 Im Zusammenhang mit der Erklärung der deutschen Heeresleitung über dieBeendigung des Waffenstillstands und die Wiederaufnahme des Kriegesam 18. Februar machte Lenin in der Sitzung des ZK der Partei am Abenddes 17. Februar 1918 den Vorschlag, unverzüglich neue Friedensverhand-lungen mit Deutschland zu beginnen. Lenins Vorschlag wurde mit 6 gegen5 Stimmen abgelehnt.

Am 18. Februar begann die Offensive der Deutschen. An diesem Tagewurde die Frage des Friedensschlusses abermals vom ZK der Partei er-örtert. Trotzki und Bucharin verteidigten weiter in verbrecherischer Weisedie provokatorische Politik der Fortsetzung des Krieges. Erst in der zwei-ten, der Abendsitzung, nach Lenins kategorischer Forderung und nachdemStalin und Swerdlow für die Unterzeichnung des Friedens eingetretenwaren, wurde Lenins Vorschlag angenommen, der deutschen Regierung

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Anmerkungen 565

durch Funkspruch die Zustimmung zur U nterzeichnung des Friedens zu den

in Brest-Litowsk vorgeschlagenen Bedingungen m itzuteilen. Ein Entwurf desFunkspruchs wurde von Lenin sofort niedergeschrieben, vom ZK der Bol-schewiki bestätigt und im Namen des Rats der Volkskommissare in derNacht vom 18. zum 19. Februar nach Berlin gesandt. (Siehe W.I.Lenin,„über Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung", Berlin 1957,S. 420.) 15

1 3 Gemeint ist das demagogische Auftreten der „linken Kommunisten" in derSitzung des ZK der SDAPR(B) am 22 . Februar 1918 gegen die Beschaffungvon Waffen und Lebensmitteln bei den Ententemächten zur Verteidigunggegen die deutschen Imperialisten. Lenin war in dieser Sitzung nicht an-

wesend. Er sandte folgende Erklärung an das Z K : „An das ZK der SD APR.Ich bitte, meine Stimme zu den Stimmen zu zählen, die für den Erwerb vonKartoffeln und Waffen bei den Räubern des englischen und französischenImperialismus sind. Lenin." Mit 6 Stimmen gegen 5 nahm das ZK der Par-tei eine Resolution an, in der die Bewaffnung und Ausrüstung der Armeemit allen Mitteln für notwendig erklärt und ihr Erwerb auch bei den Re-gierungen kapitalistischer Länder für möglich gehalten wird. Nach diesemBeschluß erklärte Bucharin seinen Austritt aus dem ZK der Partei und ausder Redaktion der „Prawda". 20

14

3.P.Xaljajew — Sozialrevolutionär; tötete am 4. (17.) Februar 1905 miteiner Bombe den M oskauer Generalgouverneur Großfürsten S. A. Roma-now, einen O nkel Nik olaus' II. 20

1 5 Die Antwort Deutschlands auf den Funksprach der Sowjetregierang, der inder Nacht vom 18. zum 19. Februar abgesandt worden war, traf erst am23. Februa r um 10.30 U hr vormittags in Petrogra d ein. Die neuen Friedens-bedingungen waren im Vergleich zu den Bedingungen, die von dem Ver-räter Trotz ki eigenmächtig abgelehnt worden waren, jetzt bedeutend schwe-rer. Die deutschen Imperialisten beanspruchten nicht nur Polen, Litauenund einen Teil Belorußlands, sondern forderten auch den Abzug der Roten

Garde aus Estland, Lettland und Finnland; außerdem schlugen sie vor, derTürkei die Städte Kars und Batum abzutreten. In der Ukraine sollte dieMacht der bürgerlichen Rada wiederhergestellt und dadurch die Ukrainein einen deutschen Vasallenstaat verwandelt werden. Die Sowjetrepubliksollte die Verpflichtung übernehmen, den Deutschen eine hohe Kontributionzu zahlen. 23

1 6 Die „Jhesen über den sofortigen Abschluß eines annexionistisdhen Separat-friedens" verfaßte Lenin am 7. (20.) Januar 1918, veröffentlicht wurden sie

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566 Anmerkungen

in der „Pr aw da" jedoch erst am 24. Feb ruar 1918, nachdem das Z entr al-

komitee der Partei Lenins Vorschlag, wonach es für notwendig erachtetwird, den Frieden zu unterzeichnen, angenommen hatte. (Siehe Werke,4. Ausgabe, Bd. 26, S. 40 1- 40 8, russ.) 23

17 „Retsdb" (Die Rede) — Tageszeitung, Zentralorgan der Kad ettenpartei;erschien in Petersbu rg ab F ebrua r 1906. Am 26. Ok tober (8. Nov em ber)1917 wurde sie vom Revolutionären Militärkomitee beim Petrograder So-wjet verboten. Von Ende Oktober 1917 bis August 1918 erschien die Zei-tung unter anderen Namen. 24

1 8 Die gemeinsam e S itzung der Traktionen der Bolsdhewiki und der „linken"

Sozialrevolutionäre im Qesamtrussisdben Z£X, die einberufen wurde, umdie Annahme der neuen deutschen Friedensbedingungen zu erörtern, fandam 2 3. Febru ar ab ends sta tt. Lenin sprach sich für die Unterzeichnung desFriedens aus,- die Trotzkisten waren dagegen. In dieser Sitzung wurdekeine Resolution zur Friedensfrage angenommen. 25

19 Die Plenartagung des Qesamtrussisdben Z£X, die der Frage des Friedens-schlusses mit Deutschland auf der Grundlage der neuen Bedingungen ge-widmet war, wurde in der Nach t vom 23. zum 24 . Februar 1918 um 3 Uhrunter dem Vorsitz J. M. Swerdlows eröffnet. Das Referat über die deutschenFriedensbedingungen hielt Lenin. Gegen die Unterzeichnung des Friedens

wandten sich die Vertreter der Menschewiki, der rechten und „linken" So-zialrevolutionäre sowie der anarchistischen Kommunisten. Mit 116 gegen85 Stimmen bei 26 Stimmenthaltungen bestätigte die Tagung die von denBolschewiki vorgeschlagene Resolution über die Annahme der deutschenFriedensbedingungen. Die Mehrheit der „linken Kommunisten" beteiligtesich nicht an der Abstimmung, sondern verließ den Sitzungssaal für dieseZeit. Die Führer der „linken Kommunisten" und der Trotzkisten stimmtenprovokatorisch gegen den Friedensschluß. 27

2 0 Der von Lenin nicht beendete Aufsatz „Wo steckt der Jehler?" galt derAnalyse der nach dem Beschluß vom 23. Februar 1918 über die Annahmeder deutschen Friedensbedingungen im ZK der Partei eingereichten partei-feindlichen Erklärung der Führer der „linken Kommunisten". Lenin beab-sichtigte, einen Teil dieser Erklärung in seinen Aufsatz aufzunehmen, jedochist der Text der E rkläru ng m it Lenins Verm erk, welcher Teil das sein sollte,nicht erhalten geblieben. 32

2 1 Lenin meint die telegrafische Befragung aller Gouvernements- und Kreis-sowjets, aller Gouvernements-, Kreis- und Amtsbezirksbodenkomitees überihre Stellung zu den neuen Friedensbedingungen. Die Anfrage wurde vom

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Anmerkungen 5 6 7

R at d e r Volkskommissare und vom Gesamtrussischen ZEK a u f G r u n d d e sauf Lenins Vorschlag a m 23 . Fe bru ar 1918 ange nomm enen Beschlusses d e sZ K d e r SDAPR (B ) a m 25. Febr uar 1918 versandt. D i e ersten Antwortenau f d ie Umfrage trafen bereits a m nächsten Tage ein,- sie wurden i n de n„Iswest i ja WZIK" b i s zum 9. März veröffentlicht. Die Antworten a u s d e rProvinz zusammenfassend, fert igte Lenin eine „Zusammenstellung d e r imZEK eingegangenen Antworten a uf d i e Frage ,Frieden oder Krieg '" u n deine „Zusammenstellung der Antworten" an, die der Rat der Volkskommis-sare erhielt. Die Antworten a u f die Umfrage zeigten, d a ß die meisten ört-lichen Sowjets d e n Standpunkt Lenins u n d Stalins, wonach es notwendigwar , d e n Frieden abzuschließen, unterstützten. 39

2 2

Das Dokument „Stellungnahme des ZK der SVAPR (BolsdhewikO zu r7rage des annexionistiscben Separatfriedens" wurde nicht ganz v o n Leningeschrieben. D e n ersten u n d d ie beiden letzten Absätze verfaßte J . M .Swerdlow. 4 2

2 3„Sonnabendsitzung des ZEK" — d i e gemeinsame Sitzung d e r Frakt ionender Bolschewiki und der „linken" Sozialrevolutionäre i m GesamtrussischenZE K am 23. Febr uar 1918. 4 7

2 4 Die Frage der Evakuierung d e r Regierung aus Pe t rograd nach Moskau imZusammenhang mit der Februaroffensive der deutschen Okkupanten wurdevom Rat der Volkskommissare a m 26. Fe bru ar 1918 erörtert . I n dieser Sit-zung entwarf Lenin auch den hier abgedruckten Plan eines Beschlusses überdie Evakuierung der Regierung. Endgültig beschlossen wurde die Verlegungder Hauptstadt nach Moskau vom Außerordentl ichen IV. GesamtrussischenSowjetkongreß im März 1918. 51

25 D as Moskauer Qebietsbüro der SDAPJl (BolsdbewikQ vereinigte 1917 undAnfang 1918 d ie Parteiorganisationen d e s Zentralen Industriegebiets; z udem folgende Gouvernements gehörten: Moskau, Jaroslawl, Twer, Kostro-ma, Wladimir, Woronesh, Smolensk, Nishni-Nowgorod, Tula, Rjasan,Tambow, Kaluga und Orjol . In der Periode des Kampfes der Partei fü r den

Brester Frieden hatten d ie „linken Kommunisten" (Bucharin, Ossinski,Lomow, Stukow, Sapronow, Manzew, Jakowlewa und andere) sich vorüber-gehend d e r Führung im Moskauer Gebietsbüro bemächtigt . I m Frühjahr1918 spielte das Moskauer Gebietsbüro faktisch die Rolle eines parteifeind-l ichen Fraktionszentrums d e r „linken Kommunisten".

Die spalterische, antisowjetische Resolution, v o n d e r Lenin spricht, w a rnach Annahme der neuen Friedensbedingungen durch das Z K der Partei inin einer Sitzung des engeren Moskauer Gebietsbüros eingebracht worden. 52

37 Lenin, W erke , Bd. 27

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568 Anmerkungen

26 Gemeint ist die Abstimmung über die Frage des Friedens mit Deutschlandin der Sitzung des ZK der Partei mit Parteiar beitern am 21 . Janu ar (3. Fe-br ua r) 19 18. Dafü r, d aß es notw endi g ist, den Frieden zu unterze ichnen ,stimmten: Lenin, Stalin, Artjom (Sergejew) und andere; gegen die Zu-lässigkeit irgendwelcher Verhandlungen und Verträge mit den Imperialistenstimmten die „linken Komm unis ten" — Obolensk i (Ossins ki) un d Stuk ow.Die Mehrheit der „linken Kommunisten" jedoch nahm bei der Abstimmungeine doppelsinnige Haltung ein: während sie einen Friedensschluß zwischensozialistischen und imperialistischen Staaten „im allgemeinen" für zulässigerklä rte, stimmte sie gleichzeitig gegen die unverzü gliche Unt erze ich nun gdes Friedens mit Deutschland. 55

27

D e n „Entwurf eines Befehls an aüe Deputiertensowjets" schrieb Lenin imZusammenhang mit den telegrafischen Mitteilungen der sowjetischen Frie-densdelegation in Brest, wonach Deutschland es ablehne, vor Unterzeich-nung des Friedensvertrags die Kriegshandlungen einzustellen. Ein inhalt-lich gleichartiges Telegramm mit Lenins Unterschrift wurde in Nr. 39 der„Prawda" vom 2. März 1918 veröffentlicht. 63

28 „Kommunist" — Tage szei tung , fraktionelles O rg an der „linken Kom mun i-sten"; erschien im März 1918 in Petrograd als „Organ des PetersburgerKomitees u nd des Pete rsbu rge r B ezirkskomitees der SD APR.". Auf Be-schluß der Petro grade r Stadtp arteikonferen z vom 20. M är z 1918 wurd e dieHerausgabe der Zeitung eingestellt. Die Konferenz stellte fest, daß die inder fraktionellen Zeitung „Kommunist" vertretene Polit ik des PetrograderKomitees durch und durch falsch war und in keiner Weise die Politik derPetrograder Organisation der Kommunistischen Partei sein konnte. ZumOrgan der Petrograder Parteiorganisation erklärte die Konferenz an Stelledes „Kommunist" die „Petrogradskaja Prawda" (Petrograder Prawda). 64

29 Der Petrograder Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten nahm am24. Februar 1918 eine Resolution an, in der er den Beschluß des ZEK, denAbschluß des Friedens für notwendig zu erklären, als „einzigen Ausweg

aus der gegenwärtigen schweren Lage" billigte. Gleichzeitig beschloß derPetrograder Sowjet, „alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um Mili-tärzüge zur Entsendung an die Front zu organisieren". 68

30 Am 5: 'März 1918 tagte in Moskau der Moskauer Sowjet der Arbeiter- undSoldatendeputierten mit Beteiligung von Betriebskomitees, Gewerkschafts-organisationen, Bezirkssowjets, verantwortlichen Funktionären usw. DieMehrheit der Versammelten sprach sich für die Unterzeichnung des Friedensaus .

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Anmerkungen 569

Am 4 . M ärz wurde die Frage des Friedens in einer Versammlung des

Mo skauer Komitees derSDA PR (B) erörtert; mit 10 gegen 7 Stimmen wurdeeine Resolution für die Unterzeichnung des Friedens angenommen.Die Moskauer Stadtkonferenz der SBAPR CBolsdoewiki) fand in der

Nacht vom 4. zum 5. März 1918 statt. Außer den Delegierten waren vieleArbeiter aus den Bezirken anwesend. Die Konferenz nahm mit Stimmen-mehrheit eine Resolution an, die die Stellungnahme des ZK der SDAPR(B)zur Frage des Friedens billigte. Die Resolution sprach dem ZK das Ver-trauen aus und beauftragte die Delegierten, auf dem VII. Parteitag die Ein-heit der P artei zu verteidigen. 68

3 1 Der VII. Parteitag der XPJKW tagte vom 6. bis zum 8. M ärz 1918 in

Petrograd. Anwesend waren 46 Delegierte mit beschließender und 58 mitberatender Stimme. Die Delegierten vertraten mehr als 170 000 Parteimit-glieder,- insgesamt jedoch hatte die Partei zum Zeitpunkt des Parteitagsnicht weniger als 300000 M itglieder. Ein bedeutender Teil der O rganisatio-nen hatte infolge der kurzfristigen Einberufung des Parteitags nicht dieZeit, Delegierte zu schicken, oder hatte wegen der zeitweiligen Okkupationeiniger Gebiete Sowjetrußlands durch die Deutschen keine Möglichkeit da-zu.

Es war ein außerordentlicher Parteitag zur endgültigen Beschlußfassungüber die Friedensfrage. D as R eferat über Krieg und Frieden hielt Lenin. DieTrotzkisten und „linken Kommunisten" brachten ihre eigenen Thesen vorund benannten B ucharin als Referenten. Zu r Frage des Brester Friedens nahmder Parteitag Lenins Resolution mit 30 gegen 12 Stimmen bei 4 Stimment-haltungen an. Der Parteitag verurteilte die Verräterpolitik Trotzkis undBucharins und brandmarkte den Versuch der „linken Kommunisten", selbstauf dem Parteitag noch die Spaltungsarbeit fortzusetzen. Die „linken Kom-munisten" und die Trotzkisten wurden zerschlagen. Die Partei bekam dieMöglichkeit, das Land aus dem imperialistischen Krieg herauszuführen, er-rang eine Atempause zur Organisierung der Roten Armee und des soziali-stischen Aufbaus. Im November 1918 wurde der Brester Vertrag annulliert.

Der Parteitag erörterte die Frage der Revision des Programms und derÄnderung des Nam ens der Parte i. Das Referat zu diesen Fragen hielt Lenin.Auf Lenins Vorschlag faßte der Parteitag den Beschluß, die Partei nichtmeh r Sozialdemokratische Arb eiterpartei Ruß lands (Bolschewiki) —SDAPR(B) —, sondern von nun an Kommunistische Partei Rußlands (Bol-schewiki) — KPR(B) — zu nennen. Zur endgültigen A usarbeitung des neuenParteiprogramms wählte der Parteitag eine Kommission, der auch Leninangehörte. Als Programmgrundlage nahm der Parteitag den von Lenin

37*

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570 Anmerkungen

geschriebenen Entwurf („Erste Skizze eines Programmentwurfs") an.

713 2 Es handel t s i ch um die kapi tu lantenhaf te Hal tung Kamenews, Sinowjews ,

Rykows und anderer Par te i fe inde , d ie in den ers ten Tagen nach der Okto-

berrevolution von 1917 die Schaffung einer „einheitl ichen sozialistischen

Reg ierung " mi t Bete i ligung konter revolu t ionärer Par te ien — der Men sche-

wiki und S ozia l revolu t ionäre—forder ten . (Siehe W erk e , 4 . Au sgabe , Bd. 26 ,

S . 2 4 3 - 2 4 9 , 2 6 8 - 2 7 3 , r u s s . ) 74

8 3 D a s D e k r e t betreffend die Arbeiterkontrolle über die Produktion („Best im-

mungen über d ie Arbe i te rkont ro l l e") wurde vom Gesamtruss i schen Zent ra l -

exekut ivkomi tee am 14 . (27 .) November 1917 angenommen und in Nr . 227

de r „Iswesti ja ZI K " vom 16. No vem ber 1917 veröffent licht . D er von Lenin

Ende Ok tob er 1917 ver faßte „Entwurf von Bes timmungen üb er d ie Arbe i -

terkontrol le", mit einigen Änderungen veröffent l icht am 3. (16.) November

1917 in Nr . 178 der „Prawda" , d iente a l s Grundlage des Dekre t s . (Siehe

Werke , 4 . Ausgabe , Bd. 26 , S . 241/242, russ . ) 78

3 4 Es han del t s ich um den schrif tl ichen T reu eid der M itgl ied er d er I I I . Reichs-

duma auf den Zaren am Tage der Eröf fnung der Duma am 1 . (14 .) Novem-

ber 1907. Ein Deput ier ter , der es ablehnte, die Unterschri f t zu leis ten, gal t

a l s aus der Duma ausgeschieden. Da d ie Verweigerung des Eides bedeute te ,

auf d ie zur Mobi l i s i e rung des Prole ta r ia t s für den revolu t ionären Kampfnotwendige Dumat r ibüne zu verz ichten , unterschr ieben d ie soz ia ldemokra-

t i schen Deput ie r ten d ie Eidesformel gemeinsam mi t a l l en anderen Duma-

deput ie r ten . 87

3 5 M. Hoff mann — deutscher Ge nera l , Ver t re te r des imper ia l is t ischen Deu tsch-

lands in Bres t -Li towsk während der zwei ten Per iode der Fr iedensverhand-

lungen (Ende Dezem ber 1917 b i s 28 . Jan uar [10 . Feb ruar ] 1918) . 893 6 Lenin meint offensichtlich die Tage vom Beginn der deutschen Offensive —

18. Fe bru ar — bis zu r Ank un ft d er sowjetischen D elega t ion in Brest-

Li towsk — 28. Feb ruar 1918. Die Offensive der deutschen Ok ku pan tendaue r t e 14 T ag e : vom 18 . Feb r u a r b i s zum 3 . M är z , an we lchem Tag e de r

Fr iedensver t rag unterze ichnet wurde . 9 t37 D ie Revolution in Finnland begann Mi t te Januar 1918 im indus t r i e l l en

Süden des Landes und er faßte e ine Reihe der größten Zent ren: Hels ing-

fors , Wiborg und andere . Der Revolut ion war im November e in vom Zen-

tralen Revolut ionären Arbei terrat gelei teter pol i t ischer Generalst reik vor-

ausgegan gen, der am 31 . Ok tobe r (13 . N ove mb er ) 1917 ausbrach un d e ine

W oche and aue r te . Am 15. (28 .) Jan ua r 1918 bese tz te d ie f innische R ote

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Anmerkungen 571

Garde die Hauptstadt Finnlands, Helsingfors, wo am 16. (29.) Januar eine

revolutionäre Regierun g — der Rat der Volksbeau ftragten (oder Komm is-sare) Finnlan ds — gebildet wurde . Die bürgerliche Regierung Svinhufvudersuchte die schwedische und die deutsche Bourgeoisie um Hilfe. Nachdemsie im Norden Finnlands festen Fuß gefaßt und weißgardistische Kulaken-verbände gebildet hatte, begann sie Ende Januar mit Unterstützung derDeutsc hen, der Schweden und des russischen weiß en Offizierskorps denAngriff gegen Süden. Im Mai, nach dreimonatigem erbittertem Bürgerkrieg,wurde die Arbeiterrevolution in Finnland mit Hilfe des gelandeten 20000Mann starken deutschen Expeditionskorps unterdrückt. 9i

38 Gemeint ist die vom Moskauer Gebietsbüro der SDAPR(B) in seiner enge-ren Sitz ung am 24. Fe br ua r 1918 beschlossene parteifeindlich e Resolution(dieses Büro hatten zeitweilig die „linken Kommunisten" an sich gerissen).Lenin analysierte und kritisierte die Resolution in dem Artikel „Seltsamesund Ungeheuerliches". (Siehe den vorliegenden Band, S. 52—60.) 93

3 9 Lenin meint das Gespräch mit dem Ver treter der französischen Militä rmis-sion in Rußland, Grafen de Lubersac, im Februar 1918. 98

40 Gemeint ist der Aufruf des Volkskommissariats für Kriegswesen über dieallgemeine freiwillige militärische Ausbildung im Zusammenhang mit derlaut Friedensvertrag mit den Deutschen vereinbarten vollständigen Demo-

bilisierung der russischen Armee. 984 1 Nach dem zwischen der Sowjetregierung und den Mächten des Vierbundes

(Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien, Türkei) am 2. (15.) Dezember1917 in Brest-Litowsk abgeschlossenen Waffenstillstandsv ertrag kon ntendie Kriegshandlungen von einer der vertragschließenden Parteien wieder-aufgenommen werden, wenn dies 7 Tage vorher angekündigt wird. In Ver-letzung des Abkommens gaben die deutschen Imperialisten die bevor-stehende Wiede raufnah me der Kriegshandlungen am 16. Februa r, d. h. nu rzwei Tage vor Beginn der Offensive, bekannt. 100

42 Durch den am 3 . M ä rz 1918 unterzeichneten Brester Vertr ag ha tte diedeutsche Regierung die Sowjetrepublik verpflichtet, mit der im April 1917von einem Block ukrainischer bürgerlicher und kleinbürgerlicher nationali-stischer Parte ien un ter Fü hru ng W . K. Winnitsch enkos in Kiew geschaffe-nen konterrevolutionären Ukrainischen Rada Frieden zu schließen. Wäh-rend der Friedensverhandlungen zwischen der Sowjetrepublik und denDeutschen hatte die Rada ihre Delegation nach Brest-Litowsk geschickt. Indem Kampf, der sich in der Ukraine zwischen der Rada und der im Dezem-ber 1917 gebildeten Sowjetregierung der Ukraine entfaltet hatte, wurde die

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572 Anmerkungen

Rada gestürzt. Am 27. Januar (9. Februar), nach der Errichtung der Sowjet-

macht in Kiew, schloß die Rada hinter dem Rücken det sowjetischen Dele-gation einen Separatfrieden mit den Deutschen, wonach sie DeutschlandGetreide, Kohle und andere Rohstoffe aus der Ukraine liefern und dafürmilitärische Hilfe gegen die Sowjetmacht erhalten sollte. Unter dem Schutzund mit Hilfe der Bajonette der deutschen Imperialisten wurde die Machtder Rada in der Ukraine wiederhergestellt . Die von der Rada verrateneUkraine wurde faktisch zu einer Kolonie des deutschen Imperialismus.

Die im Brester Vertrag aufgezwungenen Friedensverhandlungen zwischender Sowjetregierung u nd der Ra da fande n nicht statt. Am 29. April 1918wurde die Rada mit den militärischen Kräften der Deutschen gestürzt und

durch die Regierung eines Monarchisten; des Hetmans Skoropadski, er-setzt.

Friedensverhandlungen zwischen der Sowjetrepublik und der RegierungSkoropadski begannen am 23. M a i; ein Waffenstillstand wurde am 14. Juni1918 unterzeichnet. 100

43 Der l2.März— vorgese hener Te rmi n für die Einberufung des Auß ero rden t-lichen IV. Gesam trussische n Sowjetkongresses, de r die Fra ge der Ratifizie-rung des Friedensvertrags entscheiden sollte. 101

44 Die Resolution über Xrieg und frieden, angenommen vom VII. Parteitag,

wurde auf Beschluß des Parteitags damals nicht veröffentlicht. Gedruckt er-schien sie zum erstenm al am 1. Jan ua r 1919 in der Tage sze itun g „Kom-munar" (Der Kommunarde), herausgegeben vom ZK der KPR(B) vom9. Okt ober 1918 bis zum 5. M ä rz 1919 in Moska u. 105

45 Als Lenins Resolution über Krieg und Frieden auf dem Parteitag zur Er-örterung und Abstimmung kam, brachten Trotzki und die „linken Kommu-nisten" ihre „Verbesserungsanträge" ein, die es der Sowjetregierung unter-sagen sollten, mit der Ukrainischen Rada und der finnischen bürgerlichenRegierung Frieden zu schließen. Lenin wies den provokatorischen VersuchTrotzkis und der „linken Kommunisten", dem ZK die Freiheit des Manö-vrierens zu nehmen, zurück; der Parteitag lehnte diese „Verbesserungs-anträge" mit Stimmenmehrheit ab. 107

46 Sinowjew trat auf dem Parteitag gegen Lenins VorscUag auf, die Resolutionüber Krieg und Frieden nicht zu veröffentlichen. Sinowjews Abänderungs-antrag wurde nicht angenommen; der Parteitag bestätigte mit Stimmen-mehrheit den Ergänzungsantrag Lenins. 111

47 Eine Revision des Parteiprogramms hatte Lenin schon 1917 in den April-thesen ange regt . (Siehe W er ke , Bd. 24, S. 5—6.) F ür die VII. Ges am trus -

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Anmerkungen 573

sische Konferenz der SDAPR(B) (Aprilkonferenz) schrieb Lenin den „Ent-

wurf zur Abänderung des theoretischen, des politischen und einiger andererTeile des Programms", der eine Reihe Abänderungen am Programm derSDAPR(B) vom Jahre 1903 vorsah. Auf Vorschlag Lenins beauftragte dieKonferenz das ZK, binnen zwei Monaten einen Parteiprogrammentwurffür den V I. Parte itag auszuarbeiten. Der VI. Parteita g der SDAPR(B)(Ende Juli—Anfang August 1917) brachte keine Entscheidung über dasParteiprogramm. Er bestätigte den Beschluß der Aprilkonferenz über dieNotwendigkeit einer Revision des Parteiprogramms und beauftragte dasZK, eine breite Diskussion über Programmfragen in die Wege zu leiten.Im Sommer und Herbst 1917 wurde innerhalb der Partei eine theoretische

Diskussion entfaltet. Nachdem das ZK der SDAPR(B) mehrere Male dieFrage des Parteiprogramms erörtert hatte, wählte es in der Sitzung vom5. (18.) O ktober 1917 eine unter L enins Leitung stehende besondere Kom-mission zur Umarbeitung des Parteiprogramms für den nächsten Parteitag,der noch im Herbst 1917 zusammentreten sollte. Schließlich wurde durcheinen Beschluß des ZK vom 24. Janu ar (6. Febru ar) 1918 die Au sarbeitungdes Programmentwurfs einer neuen von Lenin geleiteten Kommission über-tragen. Lenin schrieb die „Erste Skizze eines Programmentwurfs", die den„Entwurf zur Abänderung des theoretischen, des politischen und einigeranderer Teile des Programms" von 1917 ergänzte. Die „Erste Skizze"

wurde an die Delegierten des VII. Parteitags als Diskussionsmaterial ver-teilt. Der Parteitag kam jedoch nicht dazu, das Programm im einzelnen zuerörtern. Er beauftragte mit der endgültigen Ausarbeitung des Programm-entwurfs eine besondere Kommission, der Lenin als Mitglied angehörte.Als grundlegende Thesen für die Revision des Programms nahm der P artei-tag die von Lenin vorgeschlagene Resolution an. In endgültiger Fassungwurde das Parteiprogramm erst vom VIII. Parteitag der KPR(B) im März1919 angenommen. 113

*8 Die Änderung des "Namens der 'Partei hatte Lenin schon 1914, zu Beginn

des ersten Weltkriegs, angeregt. (Siehe Werke, Bd. 21, S. 82.) Die N ot-wendigkeit dieser Maßnahme begründete Lenin in den Aprilthesen, in derBroschüre „Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution" und ineiner Reihe anderer Ab handlungen und Reden im Jahre 1917. (Siehe W erke ,Bd. 24, S. 1-8, 39-7 7,133 ,137, und Werke, 4. Ausgabe, Bd. 25 , S. 426-128,russ.) Weder auf der Aprilkonferenz der SDAPR(B) von 1917 noch aufdem VI. Parteitag (Ende Juli—Anfang August 1917) wurde diese Frage be-handelt, und erst auf dem V II. Parteita g w urde auf Grun d von LeninsReferat die Änderung des Na men s der P artei beschlossen. 113

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574 Anmerkungen

4 9 Lenin zitiert den Brief von Friedrich Engels an August Bebel vom 18. bis

28. März 1875 über das Gothaer Programm. (Siehe Karl Marx/FriedrichEngels, Ausgewählte Briefe, Berlin 1953, S. 347.) 113

5 0 Es handelt sich um die Sammelbände „Materialien zur Revision des Partei-programm s", unter Redaktion und mit einem V orwort N . Lenins, Petrograd1917, Verlag „Priboi" (siehe Werke, Bd. 24, S. 45 5-4 81 ), und „Materia-lien zur Revision des Parteiprogramms", Moskau 1917, herausgegeben vomGebietsbüro des Moskauer Industriebezirks der SDAPR. An den im Mos-kauer Sammelband dargelegten opportunistischen Ansichten übte LeninKritik in dem Artikel „Zur Revision des Parteiprogramms". (Siehe Werke,4. Ausgabe, Bd. 26, S. 123-1 50, russ.) 115

51 „Troswesdhtsdhenije" ( D i e Aufklärung) — gesellschaftlich-politische u n dliterarische bolschewistische Monatsschrift, erschien a b Dezember 1911 legalin Petersburg. Die Zeitschrift, die auf Wei sung W . I. Lenins gegründet wor-den w a r , t r a t an d ie Stelle der von der zaristischen Regierung verbotenenMoskauer bolschewistischen Zeitschrift „Mysl" (Der Gedanke). Lenin leitetedas „Prosweschtschenije" v om Ausland h e r ; d ie Zeitschrift veröffentlichteLenins Arbeiten: „Prinzipielle Fragen d e r Wahlkampagne" , „Die Wah l -ergebnisse", „Kritische Bemerkungen z u r nationalen Frage" , „über d a sRecht d e r Nat ionen auf Selbstbestimmung", „Drei Quellen u n d drei Be-

standteile des Marx ismus" u n d andere. D e n künstlerisch-literarischen Teilredigierte A.M.Gorki. Die Zeitschrift hatte eine Auflage von etwa 5000 Ex-emplaren.

Kurz vor dem ersten Weltkrieg — im Juni 1914 — wurde die Zeitschriftvon d e r zaristischen Regierung verboten. Im Herbst 1917 wurde d a s „Pro-sweschtschenije" erneut herausgegeben; es erschien n u r eine Doppelnummerder Zeitschrift, in der die Arbeiten Lenins „Werden die Bolschewiki d ieStaatsmacht behaupten?" u n d „Zur Revision d e s Parteiprogramms" (sieheWe rke , 4 . Ausgabe, Bd. 26, S. 6 3 -1 1 0 u n d 123-150, russ.) veröffentlichtwurden. 115

5 2 „Spartak" (Spartakus) — Wochenschrif t des Moskauer Gebietsbüros , desMoskauer Stadtkomitees u n d ( a b Nr . 2 ) des Moskauer Bezirkskomitees d e rSDAPR(B); erschien m it Unterbrechungen vom 20. M ai (2. Juni ) bis zum29. Oktober ( 1 1 . November) 1917 in Moskau . 115

6 3 Lenin zitiert die Einleitung z u Sigismund Borkheims Broschüre „ZurErinnerung für die deutschen Mordspatrioten. 1806—1807.", d ie Friederieh Engels a m 15. Deze mber 1887 schrieb. (Siehe Sigismund Borkheim,„Zur Erinnerung für die deutschen Mordspatrioten. 1806—1807.", H o t -

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Anmerkungen 575

tingen-Zürich 1888, S.7.) Siehe auch den vorliegenden Band, S. 494/495.

1155 4 D e r Chem nitzer Parteitag der deutsdhen Sozialdemok ratie, der vom 15. bis

zum 2 1 . Sep tem ber 1912 s ta t t fan d , na hm e ine Reso lu t ion „ De r Im per ia l i s -

m u s " an, in der er die Poli t ik der imperia lis t ischen Staaten a ls „skrupellose

R a u b - und Eroberungspo l i t ik" charak te r is ie r te und d ie Par te i aufrief, „mit

v e r s t ä rk te r Wu c h t d e n g e w a l t t ä t ig e n Imp e r i a l i s mu s z u b e k ä mp fe n " .

D e r Internationale Sozialistenkongreß zu Basel (vom 24 . und 25 . Novem-

b e r 1 9 1 2 ) w u rd e im Z u s a mme n h a n g mi t d e r E u ro p a d ro h e n d e n K r ie g s -

ge fahr a ls außerorden t l iche r Kongreß e inberufen . Er besch loß e in Manifes t

gegen den Krieg , wor in e r das imper ia li s t ische W ese n des nahend en Krieges

un te rs t r ich und d ie Soz ia l is ten a l le r Länder zum Kampf gegen ihn aufrief .

W äh re nd des e rs ten W el tk r iegs ve rr ie ten d ie Füh re r de r I I . In te rna t io -

nale schmählich die Beschlüsse der internationalen Sozialis tenkongresse ,

insbesondere die in Chemnitz und Basel gefaßten Beschlüsse , und wurden

zu Sdzialchauvinis ten. Lenin kri t is ierte den sozia lchauvinis t ischen Stand-

pun kt de r Führ e r de r I I . In te rna t iona le besonders in se inen Ab hand lung en

„ D e r Z u s a mm e n b ru c h d e r I I . In t e rn a t io n a le " u n d „ S o z ia l is mu s u n d K r ie g " .

( S ie h e W e r k e , B d . 2 1 , S . 1 9 7 - 2 5 6 u n d 2 9 5 - 3 4 1 . ) 119

5 5 D a s Dekret über die Nationalisierung der Hanken w u r d e v o m G e s a m t r u s -

s ischen ZEK am 14. (27.) Dezember 1917 beschlossen und in Nr. 252 der„Iswesti ja ZI K " vom 15. (28.) Dez em be r 1917 veröffentl icht. 12 5

5 6 Das Gese tz über den Boden wurde Anfang 1918 in aus länd ischen Sprachen

herausgegeben. Im Februar 1918 erschien es in englischer Sprache in Petro-

gra d — s iehe „Dec ree on the lan d" ( De kre t über den Boden) in dem

Buche „Decre es issued by the revo lutio nary peo ple 's gove rnm ent" , vol. 1 ,

Pe t rograd , february 1918 (Dekre te , he rausgegeben von de r revo lu t ionären

V o lk s re g ie ru n g , B d . 1 , P e t ro g ra d , F e b ru a r 1 9 1 8 ), S . 2 - 6 . 12 6

5 7 Dem vorhergehenden (VI . ) Pa r te i tag ha t te Len in n ich t be igewohnt , da e r

gezwungen war, s ich in der I l legali tä t zu vers tecken. Es handelt s ich wahr-

scheinlich um ein Gespräch mit dem Führer der l inkssozia ldemokratischen

Par te i Schwedens , Höglund , de r zu e ine r Bera tung über d ie Gründung

e ine r kommunis t ischen In te rna t iona le im Februar—März 1918 nach Sowje t -

ru ß la n d g e k o mme n w a r . 130

5 8 J . Lar i n ha t te auf dem VII . Pa r te i t ag bean tr ag t , in den N am en d er P a r te i

d a s Wo r t „ A rb e i t e r " a u fz u n e h me n . L a r in s A n t ra g w u rd e v o m P a r t e i t a g

a b g e le h n t . 13 2

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576 Anmerkungen

59 Siehe Karl Marx und Friedrich Engels, Ausgewählte Schriften in zwei Bän-

den, Bd. I, Berlin 1959, S. 33. 13260 D er „Vorredner" — R. A. Pelsche — stellte auf dem Parteitag den Antrag,

d ie Worte über d ie Ausnutzung der Formen des par lamentar ischen Kamp-

fes im Parteiprogramm zu streichen. Pelsches Antrag wurde vom Partei tag

abgelehnt . 1336 1 Na ch den Reden W . I . Lenins wurde de r Abän deru ngs antr ag Buchar ins

vom Par te i tag abge lehnt . i3462 Bei den Wahlen zum ZK erklärten die „l inken Kommunisten" unter Füh-

ru ng Bucharins auf de m VII. Par tei tag , da ß sie es abl ehn en, ins ZK ein-

zutreten, da sie mit der Politik der Partei nicht einverstanden seien. AufDrängen Lenins nahm der Partei tag in der Hoffnung, daß die „l inken Kom-munisten" ihre Fehler überwinden werden, Vertreter von ihnen in das ZKauf. Trotzdem lehnten die „l inken Kommunisten" die Arbeit im ZK demon-strativ ab und fanden sich trotz wiederholter weiterer Beschlüsse und kate-gorischer Vorschläge des ZK nicht zur Mitarbeit bereit. Eine Einschätzungder Spaltertät igkeit der „l inken Kommunisten" nach dem VII . Par te i tag gabLenin in der „Bemerkung zum Verhalten der , l inken Kommunisten '" . (Sieheden vorliegenden Band, S. 191.) 136

63 Der Artikel „Die Hauptaufgabe unserer Jage" und Lenins Abhandlung

„über , l inke ' Kinderei und über Kleinbürgerl ichkeit" (siehe den vorliegen-den Band, S. 315—347) wu rde n vereinigt un d im Ma i 1918 als Broschüreunter dem Titel „Die Hauptaufgabe unserer Tage" mit folgendem VorwortLenins neu aufgelegt:

„In der vorliegenden Broschüre sind zwei Zeitungsartikel aus den ,Iswe-stija ZI K' vom 12. III. 1918 un d aus der . Pr aw da ' vom 9.—11. V. 1918 ver-einigt. Beide Artikel gehen von verschiedenen Seiten an das gleiche, im Titelder Broschüre genannte Thema heran.

Mo sk au , den 17. V. 1918. Der Verfasser." 14664

Da s Mot to entna hm Lenin aus N . A. Nekr asso ws Poe m: „ W er lebt glück-lich in Ru ßl an d? " (Siehe N. A. Nekr asso w, „W er lebt glücklich in R uß-

land?", Reclam o. J., S. 259.) 14665 D e r Außerordentliche IV. Qesamtrussisdhe Sowjetkongreß tag te in Moskau

vom 14. bis zum 16. M ä r z 1918. De r Kong reß wur de einberufen, um übe rdie Ratifizierung des Brester Friedensvertrags zu entscheiden. Am Tage vorder Eröffnung des Kongresses , am 13. M är z, fand eine Sit zun g der bolsche-wistischen Fr akt ion des IV. Kongre sses stat t, in de r Len in über den Breste rVe rt ra g referie rte. (Siehe Lenin- Sam mel ban d XI, S. 67—70, russ.) Eine vor-

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Anmerkungen 577

läufige Abstimmung über die Frage in der Fraktion hatte folgendes Er-

gebnis: für Lenins Resolution über die Ratifizierung des Brester Vertrags453 Stimmen, dagegen 36, 8 Stimmenthaltungen.

Auf dem Außerorde ntlichen IV. Gesamtrussischen Sowjetkongreß ware nlaut stenografischem Bericht 1232 Delegierte mit beschließender Stimme an-wes end, da von 79 5 Bolschewiki, 283 „li nke " Sozial revolu tionä re u . a. De rKongreß erörterte folgende Fragen: Ratifizierung des Friedensvertrags,Verlegung der Hauptstadt, Wahlen. Das Referat über die Ratifizierung desFriedensvertrags hielt Lenin, das Korreferat der „linken" Sozialrevolutio-när e gegen die Ratifizierung hielt B. Kam kow. De r Ko ngre ß nahm innamentlicher Abstimmung Lenins Resolution über die Ratifizierung des

Friede nsvertra gs a n. Für die Ratifizierung stimmten 784 Delegiert e, d a-gegen 261, 115 enthielten sich der Stimme, darunter auch die „linken Kom-munisten", die auf dem Kongreß eine besondere Deklaration verlasen, inder sie ihre Stimmenthaltung begründeten.

Der Kongreß nahm eine von Lenin verfaßte Entschließung über die Ver-legung der Hauptstadt nach Moskau an und wählte ein neues Zentral-exekutivkomitee, bestehe nd aus 200 Perso nen. 157

66 D er Entwurf einer Resolution aus Anlaß der Botschaft Wilsons wurde auf demAußerorden tlichen IV. Gesamtrussisc hen Sowjetkongreß von J.M. Sw erd lowverlesen und vom Kongreß angenommen. Die Resolution war die Antwortauf eine Botschaft Wo odr ow Wils ons, des Präsi dente n d er Vereinigten Staa -ten von Amerika, in der er versuchte, Sowjetrußland am Abschluß des Frie-dens mit Deutschland zu hindern. 159

67 Lenin meint die Äußerung des Offiziers Dubassow in der Sitzung des Petro-grad er Sowjets vom 22. Septem ber (5. Okt obe r) 1917 in der Deb at te zudem Referat über die Demokratische Beratung. 171

68 Lenin meint den Aufruf des Petrograder Sowjets der Arbeiter- und Solda-tende putie rten „An die Völker der ganze n W el t" , der am 15. M ä rz 1917in den zentralen Zeitungen veröffentlicht wurde. Eine Einschätzung dieses

halbschlächtigen menschewistisch-sozialrevolutionären Aufrufs gab Lenin inseiner Rede über de n Krieg auf dem I. Gesamtrussischen Sowjetkongreß .(Siehe Werke, 4. Ausgabe, Bd. 25, S. 15-28, russ.) 182

69 Der erste Aufruf, von dem hier die Rede ist, war der von Lenin im Namerides Zentralkomitees der bolschewistischen Partei, des Petersburger Komi-tees und der Redaktion der „Prawda" verfaßte „Aufruf an die Soldatenaller kriegfüh renden Län der ", der in N r. 37 der „P ra wd a" vom 4. Ma i( 2 1 . April) 1917 veröffentlicht wurde.

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57 8 Anmerkungen

D er „Aufruf" entwarf d a s politische Programm für das Ausscheiden aus

dem imperialistischen Krieg — den revolutionären Kampf für die Macht desProletariats durch d en Sturz d er bürgerlichen Regierungen in allen L ä n -dern. (Siehe Werke, Bd. 24, S. 174-176 . ) 182

70 Den „Zlrsprünglidhen Entwurf des Artikels ,T>ie nädbsten Aufgaben derSowjetmacht'" diktierte Lenin am 28 . Mär z 1918 einem Stenografen ( A n -fang u n d Ende des Entwurfs sind noch nicht wieder aufgefunden). Leningab sich mit dem stenografischen Entwurf nicht zufrieden, sondern schriebbald darauf neue „Thesen über d ie Aufgaben d e r Sowjetmacht im gegen-wärtigen Augenblick". (Diesen Titel trägt Lenins Abhandlung „Die näch-

sten Aufgaben d e r Sowjetmacht" im Manuskript . S iehe d e n vorliegendenBand, S. 2 2 5 - 2 6 8 . ) 192

7 1 Gemeint is t de r Kampf gegen d ie Menschewiki in der Frage nach d e r Rolleder Gewerkschaften auf dem I . Gesamtrussischen Gewerkschaftskongreß,der vom 7. bis zum 14. (20.—27.) Januar 1918 in Petrograd tagte . 204

72 D e r ursprüngliche Entwurf des Dek rets üb er die Revolution stribunale wu rdeam 30. März 1918 vom Volkskommissariat fü r Justiz dem Rat der Volks-kommissare z u r Beschlußfassung unterbreitet. Bei Erörterung des Entwurfsnahm der Rat der Volkskommissare die von Lenin vorgeschlagene E n t -

schließung (Dokument „B") an , wonach d e r Entwurf einschneidend u m -gearbeitet werden sollte. D e r Entwurf wurde auf G r u n d von Lenins H i n -weisen umgearbeitet u n d v o m Ra t d e r Volkskommissare am 4 . M a i 1 9 1 8bestätigt. A m 17. M a i 1918 wurde d as Dekret verkündet. 209

7 3 „"Kommunist" — 1915 in Genf v o n d e r Redakt ion d e r Zeitung „Sozial-Demokrat" herausgegebene Zeitschrift . Es erschien eine Doppelnummer m itdrei Artikeln vo n Lenin: „Der Zusammenbruch der I I . Internat ionale" ,„Die ehrliche Stimme eines französischen Sozialisten", „Imperialismus u n dSozialismus in Italien". (Siehe W erk e, Bd. 21 , S. 1 9 7 - 2 5 6 , 3 5 2 - 3 6 0 u n d3 6 1 - 3 7 1 . )

Lenin setzte sich in der Redaktion d e r Zeitschrift mit der parteifeind-lichen Gruppe Bucharin-Pjatakow auseinander u n d entlarvte ihre antibol-schewistischen Ansichten sowie ihre Versuche, die Zeitschrift für ihre frak-tionellen Ziele auszunutzen. D a diese Gruppe eine parteifeindliche Stellungeinnahm, schlug Lenin vor, die Beziehungen zu ih r abzubrechen und d iegemeinsame Herausgabe d er Zeitschrift einzustellen. A b Oktober 1916 gabdie Redaktion d es „Sozial-Demokrat" ihren „Sbornik Sozial-Demokrata"(Sammelband des Sozialdemokraten) heraus. 211

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Anmerkungen 579

74 Liberdan — Spitz name der menschewistischen F ühr er Liber und D an , de r

für diese samt ihren Anhängern in Schwang kam, nachdem in der Moskauerbolschewistischen Zei tun g „S ozial -De mokr at" (N r. 141 vom 25. Aug ust[7 . Septem ber] 1917) ein Feuilleton D.B edn ys unter der Überschrift „Liber-dan" erschienen war. 21 i

75 Die „Jbesen zur Bankpolitik" wurden in einer der Beratungen Lenins mitBankmitarbeitern im März oder April 1918 angenommen. Lenins Thesenwaren in Form eines Protokolls abgefaßt, auf dem das Ergebnis der Ab-stimmung über diese oder jene Punkte festgehalten und abweichende Mei-nungen von Beratungsteilnehmern notiert wurden. 212

76

Am 14. (27.) De zem ber 1917 wur de das Dek ret über die Na tion alisi erun gder Banken vom Gesamtrussischen Zentralexekutivkomitee bestätigt. 2i2

77 Die Kundgebung in der Alexej-Manege in Mos ka u am 7. April 1918 wa reine Veranstaltung des Protestes gegen das von der menschewistischen Re-gierung Georgiens angerichtete Blutbad anläßlich einer Arbeiterkundgebung,die am 10. (23.) Februar 1918, am Tage des Zusammentritts des Trans-kaukasischen Sejms, in Tiflis stattgefunden hatte.

Die von Lenin auf der Kundgebung gehaltene Rede erschien nicht in denzentralen Zeitungen. D ie „P raw da" brachte in ihrer Nr . 67 vom 9. April(27 . März) 1918 eine kurze Information über die Kundgebung, worin es

hieß: „Genosse Lenin hielt eine große, eindrucksvolle Rede. Der Rednerwurde mit s türmischen Ovationen begrüßt." Lenins Rede wurde auf demFunkweg verbreitet und in den „Iswestija Saratowskowo Sowjeta Rabo-tschich, Soldatskich i Krestjanskich Deputatow" (Nachrichten des SaratowerSowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten) veröffentlicht. 214

78 Gemeint sind die japanischen Truppen, die mit Hilfe der Menschewiki undSozialrevo lutionäre a m 5. April 1918 in Wla diw osto k lan deten . Die La n-dung der japanischen Truppen in Wladiwostok war der Beginn der bewaff-neten Intervention der Entente im Fernen Osten. 2i5

79 S. Q. Sdbaumian war 1917 und 1918 außerordentlicher Kommissar für denKaukasus und Vorsitzender des Bakuer Rats der Volkskommissare. Vonder konterrevolutionären transkaukasischen Menschewistenregierung wurdeer wütend verfolgt. Ein Versuch, Schaumian zu ermorden, wurde im Februar1918 unternommen. Mit Hilfe der Sozialrevolutionäre und Menschewikiwurd e S. G. Schaumian im Augus t 1918 von den englischen Inter ventenverhaf tet u nd als einer der 26 Bakuer Ko mmissar e am 20. Septe mber 1918erschossen. 215

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580 Anmerkungen

80 Im Manuskript des hier veröffentlichten Dokuments sind die "Worte

W . I. Len ins : „Na ch Irkutsk (für Wladiw ostok ) mu ß über direkte Leitungtelegrafiert werd en" von J. W . Stalin durch folgende W or te ersetzt wor-den: „Dringend, mit Vorrang. Irkutsk, Zentrosibir, für den WladiwostokerDeputiertensowjet."

Die Überschrift des Dokuments stammt vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU in Moskau. 216

8 1 Im April 1918 erschien in allen Zeitungen die Meldung, General Kornilowsei von seinen eignen Soldaten umgebracht worden. Später wurde fest-gestellt, daß Kornilow am 13. April 1918 während eines Gefechts mit Ver-bänden der Roten Armee bei Jekaterinodar den Tod gefunden hatte. 22 0

82 Lenins Abhandlung „Die nächsten Aufgaben der Sowjetmadht" hieß imManuskript „Thesen über die Aufgaben der Sowjetmacht im gegenwärtigenAugenblick". Lenins „Th esen" w urden vom ZK der Pa rtei am 26. April1918 erörtert. Das ZK billigte sie und beschloß, sie als Artikel in der„Prawda" und in den „Iswestija WZIK" zu veröffentlichen und sie außer-dem als Broschüre herauszugeben. In derselben Sitzung erteilte das ZKLenin den Auftrag, vor dem Gesamtrussischen ZEK „über die nächstenAufgaben der Sowjetmacht" zu referieren und eine gedrängte Fassung der„Thesen" in Form einer Resolution vorzubereiten. (Siehe den vorliegenden

Band, S. 306-309.) 22583 Auf Beschluß des Rats der Volkskommissare vom 18. November (1. Dezem-

ber) 1917 wurde die Höchstgrenze des monatlichen Einkommens für Volks-kommissare auf 500 Rubel festgesetzt. Bald darauf wurd e vom Rat derVolkskommissare auf eine Interpellation des Volkskommissars für Arbeithin ein Beschluß angenommen, der für hochqualifizierte Wissenschaft!er undTechniker eine höhere Bezahlung zuließ. 239

84 D as Dekret über die Konsumgenossensdbaften wurde vom Rat der Volks-kommissare am 10. April angenom men, vom Gesamtrussischen ZE K am

1 1 . April 1918 bestätigt und mit der Unterschrift des Vorsitzenden des Ratsder Volkskommissare, W l. I.Ulja now (Lenin), in N r. 71 der „Pr aw da" vom13 . April (3I.März) 1918 und in Nr.75 der „Iswesti ja WZIK" vom 16. April1918 veröffentlicht. Lenin hat te an de m Entwurf eineR eihe von Änd erung envorgenommen; die Punkte 11, 12 und 13 stammen vollständig aus seinerFeder. 245

8 5 Gemeint sind die „Bestimmungen über die Arbeitsdisziplin, angenommenvom Gesamtrussischen Gew erkschaftsrat", die in N r. 2 der Zeitschrift

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Anmerkungen 581

„Narodnoje Chosjaistwo" (Die Volkswirtschaft), April 1918, veröffentlichtworden. 249

86 Gemeint ist das Dekret des Rats der Volkskommissare „Tiber die Zentra-lisierung der "Verwaltung, den Sdhutz der Eisenbahnen und die HebungihrerTSeförderungsleistung" , das vom Ra t der Volkskom missare am 23. M ä r z1918 beschlossen un d am 26. M ä r z 1918 mit der Untersc hrift des V or-sitzenden des Rats der Volkskommissare, W. Uljanow (Lenin), verkündetworden war. Den Entwurf des Dekrets hatte eine besondere Kommissionauf Grund von Hinweisen Lenins ausgearbeitet. Lenin arbeitete in den vonder Kommission vorgeschlagenen Entwurf Änderungen und Ergänzungenein und gab dem Dekret außerdem die endgültige redaktionelle Form. 258

8 7 „TVperjod" (Vorw ärts) — menschewistische Tages zeitun g, Or ga n der K o-mitees der Moskauer Organisation und des Zentralgebiets der SDAPR(Me nsch ewik i), ab 2. Apr il 1918 auch des menschewistischen Z K ; erschien1917/1918. Ende April 1918 wurde das Blatt wegen konterrevolutionärerTätigkeit verboten. 260

8 8 „Nasdb IVek" (Un ser Jah rhun dert) — einer der Titel der Zeitu ng „Retsch",des Zentralqrgans der Kadettenpartei . 260

89 Lenin meint und zitiert Friedrich Engels' „Anti-Dühring". (Siehe FriedrichEngels, „H err n Eugen Düh rings U mw älzu ng der Wissenschaft [,Anti-

Dühr ing ' ] " , Berlin 1958, S. 351.) 2649 0 Die T ag un g des Gesamtrussischen Z EK vom 29. April 1918, in der Lenin

das Referat „über die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht" hielt, fand imGebäude des Polytechnischen Museums stat t . Der Sitzung wohnten Mos-kauer Partei- und Sowjetfunktionäre bei. Nach dem Referat und demSchlußwort Lenins wurden die in seinem Referat entwickelten Thesen vomGesamtrussischen ZEK bestätigt; mit der endgültigen Redaktion wurde dasPräsidium des Gesamtrussischen ZEK zusammen mit dem Referenten be-trau t. Lenin summierte die von ihm in dem Artikel „Die nächsten Aufgabender Sowjetmacht" und in dem „Referat über die nächsten Aufgaben der

Sowjetmacht" entwickelten grundlegenden Leitsätze in sechs Thesen, diemit geringfügigen E rgänz unge n vom ZK d er Partei am 3 . M ai 1918 ein-stimmig angenommen wurden. Die „Sechs Thesen über die nächsten Auf-gab en der Sow jetmacht" (siehe den vorliegend en Band, S. 306—309) wu r-den als Anh ang zu W . I. Lenins Broschüre „Die nächsten Aufg aben derSowjetmacht", die 1918 in zwei Ausgaben erschien, und in den „Proto-kollen der Sitzung en des Gesamtrussischen ZE K der 4. Wa hlp erio de" 1920veröffentlicht. 269.

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582 Anmerkungen

91 „Snamja Jruda" (Banner der Arbeit) — „links"sozialrevo lutionäre Tag es-

zeitung, die ab 23. August (5. Septem ber) 1917 als Org an des Pet rogra derParteikomitees der Sozialrevolutionäre erschien; nach dem ersten Gesamt-russischen Kongreß der „linken" Sozialrevolutionäre wurde sie ihr Zentral-org an. Am 6. Juli 1918, wä hre nd des sowjetfeindlichen „links "sozia lrevo-lutionären Aufruhrs, wurde die Zeitung verboten. 276

92 Die von den „linken Kommunisten" verfaßten „Jbesen über die gegen-wärtige Lage" wurd en am 4. April 1918 von Mitgli ede rn des ZK d er Part eiund der Gruppe „linker Kommunisten" in einer gemeinsamen Sitzung er-örtert. Ausführlich analysierte und kritisierte Lenin die „Thesen" in seinemArtikel „über ,linke' Kinderei und über Kleinbürgerlichkeit". (Siehe den

vorliegenden Band, S. 315—347.) 27893 Gemeint ist die vorläufige Abstimmung zur Frage der Ratifizierung des

Fried ensver trags auf dem VII. Part eita g. 27894 Der Zweite Qesamtukrainisdhe Sowjetkongreß tagte vom 17. bis zum

20. März 1918 in Jekaterinoslaw (dem heutigen Dnepropetrowsk). An-wesend war en 964 Delegiert e, davon 428 Bolschewiki, 414 „linke " Sozial-revolutionäre, 82 Parteilose, 40 sonstige. De r Kong reß proklamie rte die Un -abhängigkeit der Ukrainischen Sowjetrepublik und rief die Arbeiter undBauern der Ukraine zum entschlossenen Widerstand gegen die deutschen

Okkupanten auf. Die „linken Kommunisten" suchten den Gesamtukraini-schen Sowjetkongreß zur Durchführung ihrer provokatorischen Linie aus-zunutzen, indem sie auf dem Kongreß den auf Spaltung abzielenden Antrageinbrachten, den Abschluß des Brester Friedens durch die russische Sowjet-regierung zu verurteilen. Der Kongreß nahm mit einer Mehrheit von 408gegen 308 Stimmen die bolschewistischeResohrtion über Krieg und Friedenan und verwarf mit 420 gegen 290 Stimmen den Antrag, den Brester Frie-densvertrag nicht anzuerkennen. 279

95 Lenin meint sein Buch „Staat und Revolution", über das die Zeitschrift„Kommunist", das Organ der „linken Kommunisten", eine Rezension ver-

öffentlicht hatte. Lenin nennt dieses Organ ironisch „Lewy Kommunist"(Linker Kommunist) . 293

96 „Zimmerwalder Linke" — die von Lenin im September 1915 auf der erstensozialistischen Konferenz der Internationalisten in Zimmerwald (Schweiz)gegründete Zimmerwalder Linksgruppe. Lenin bezeichnete diese Konferenzals den „ersten Schritt" in der Entwicklung einer internationalen Bewegunggegen den Krieg. Unter Führung Lenins nahmen die Bolschewiki in derGruppe der Zimmerwalder Linken den einzig richtigen und völlig konse-

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Anmerkungen 5 8 3

quenten Standpunkt gegen d e n Krieg ein. D e r Gruppe gehörten auch in -konsequente Internationalisten a n . Lenin kritisierte deren Fehler i n seinen

Artikeln „über die Junius-Broschüre", „Die Ergebnisse der Diskussion überdie Selbstbestimmung", „ ü b e r die Losung der .Entwaffnung'". (Siehe We rk e,4. Ausgabe, Bd. 22, S. 29 1- 30 5, 30 6- 34 4, russ. , u n d Werke, Bd. 23, S. 9 1bis 101.) 297

9 7 Gemeint is t das Auftreten des Anarchisten A. J . G e in de r Sitzung des G e -samtrussischen Z EK vo m 29. April 1918 z u Lenins Referat „über die näch-sten Aufgaben d e r Sowjetmacht". 298

9 8 Lenin meint die Rede von Karl Marx au f einer Kundgebung in Amsterdamim Jahre 1872. (Siehe Karl Marx u n d Friedrich Engels, Werke, Bd. XIII,Teil II, 1940, S. 669, russ.) 302

" D e n „Entwurf eines Plans wissensdhaftlidh-teämisdher Arbeiten" schriebLenin im Zusammenhang mit dem an die Sowjetregierung gerichteten Schrei-ben d e r Akademie d e r Wissenschaften v o n Ende März 1918, worin v o r -geschlagen wurde, z u r Erforschung d e r Naturschä tze des Landes Gelehrteheranzuziehen. Der Vorschlag der Akademie wurde a m 12. April 1918 vomRat der Volkskommissare behandelt; der gefaßte Beschluß ging dahin, „die-sem Vorschlag z u entsprechen" u n d „die Finanzierung entsprechender A r -beiten d e r Akademie a ls notwendig anzuerkennen". Betont wurde i n d emBeschluß die Auf gab e „syst emati scher Lös un g des Prob lems richtiger Sta nd -

ortverteilung der Industrie im Lande und die rationellste Ausnutzung seinerwirtschaftlichen Kräfte". 31 21 0 0 Am 2. Ma i 1918 behand elte das Mos kaue r Revolutionstribunal die Anklage

gegen vier Mitarbeiter des Moskauer Untersuchungskollegiums wegen Be-stechlichkeit u n d verurteil te d ie Schmiergeldnehmer zu d e r geringfügigenStrafe von 6 Monaten Gefängnis . 314

1 0 1 „"Kommunist" — Wochenschrift, Fraktio nsor gan der parteifeindlichen G ru pp eder „linken Kommunisten"; erschien in M o s k a u v o m 20. April b is Juni1918. Es kamen vier Nummern heraus . 3 1 7

1 0 2 Lenin meint eine Stelle a u s dem Buch von Carl Clausewitz „Vom Kriege".(Siehe „Vom Kriege", Hinterlassenes Werk d es Generals Carl von Clause-witz, Berlin 1957, S. 426.) 324

1 0 3 Siehe Friedrich Engels, „Die Bauernfrage in Frankreich u n d Deutschland",in Karl Marx und Friedrich Engels, Ausgewählte Schriften i n zwei Bänden,Bd. II, Berlin 1958, S. 411.335

1 0 4 Zitat aus einem Epigramm W. L. Puschkins. (Siehe W . L. Puschkin, Werke,St. Petersburg 1855, S. 150, russ.) 343

38 Lenin, W erk e, Bd. 27

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584 Anmerkungen

105 D e r 'Besdhluß zur internationalen Lage wurde in der Nachts i t zung des ZK

der Par te i vom 6 . M ai 1918 gefaßt . Veranlassun g daz u war d ie Verschär -

fung der Beziehungen zu Deutschland, das d ie Übergabe des For t s Ino(einer Befest igung an der f innischen Grenze, die zusammen mit Kronstadt

das Vorge lände von Pe t rograd schütz te ) an d ie bürger l i che Regierung Finn-

lands forder te , f e rner d ie Landung engl i scher Truppen in Murmansk und

japanischer Truppen im Fernen Osten im Apr i l 1918. 348

106 £ ) a s vor l i egende Dokument unterbre i t e te Lenin dem Rat der Volkskom-missare, der es am 8. Mai 1918 annahm, als der Bericht des Volkskommis-

sars für Ernährungsw esen, A . D . Zjurupa , ü ber d ie Ernäh rungs lage u nd dasDekre t über d ie Er te i lung außerordent l i cher Vol lmachten an den Ernäh-

rungskommissar e rör te r t wurden. Das Dokument i s t e ine Ins t rukt ion fürdie in der Si tzung des Rats der Volkskommissare gebi ldete Kommission zurUm ar be i t ung des Dekr e t s .

Das auf der Grundlage der Leninschen Thesen ( s iehe Lenin-Sammel -ban d XVII I , 1931, S . 8 2 -8 8 , russ . ) ver faßte D ekre t w urde am 9 . M ai 1918

vom Rat der Volkskommissare , danach vom Gesamtruss i schen ZEK be-s tä t ig t und in N r . 94 der „ I swest ij a W Z I K " vom 14. M ai sowie in Nr . 35der „Sammlung von Gese tzesakten und Ver fügungen der Arbe i te r - und

Bau ernreg ierung " vom 18. M ai 1918 veröffentl icht un ter der Üb erschrif t„über d ie Er te i lung außerordent l i cher Vol lmachten an den Volkskommissar

für Ernährungswesen zum Kampf gegen die dörf l iche Bourgeoisie , die Ge-treidevorräte versteckt und mit ihnen spekul ier t". 34 9

1 0 7 D en „Protest an die deutsdhe Regierung gegen die Okkupation der %rim"

schr ieb Lenin im Zusammenhang mi t fo lgenden Umständen. Im Frühjahr1918 besetzten die deutschen Imperial is ten die Ukraine, f ielen in die Krimein und rückten vor Sewastopol , wo die Schwarzmeerf lot te konzentr ier t

war . Um die Flot te vor den deutschen Eindringl ingen zu ret ten, l ieß dieSow jetregierung sie am 29 . Ap ri l nach Now orossisk auslaufen. Ein Tei l de rSchiffe fügte sich dem Beschluß, die Flotte zu verlegen, nicht, sondern blieb

in Sewas topol zurück. Zehn Tage nach Ankunf t der Flo t t e in Nowoross i sk

forderte die deutsche Heereslei tung ul t imat iv ihre Rückführung nach Sewa-s topol und drohte , andernfa l l s den Vormarsch an der Schwarzmeerküs te

for tzusetzen. Gleichzei t ig erklär ten die Deutschen, die Abziehung derSchwarzmeerf lot te aus Sewastopol ver letze den Brester Vertrag. Als Ant-wor t auf d iese Erklärung der deutschen Heeres le i tung schr ieb Lenin denhier veröffent lichten „P rotes t".

Die Überschr i f t des Dokuments s tammt vom Ins t i tu t für Marxismus-Len i n i sm us be i m ZK de r KPdSU i n Moskau . 35 1

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Anmerkungen 585

108 Es handelt sich um den Funkspruch der deutschen Regierung vom 30. März1918, worin die Grenzen der von den Deutschen besetzten Ukraine fest-gelegt wurden. Die deutsche Regierung erklärte, daß zur Ukraine 9 Gou-vernements gehören, darunter auch das Gouvernement Taurien, aber ohnedie Krim. Die Okkupation der Krim durch Deutschland widersprach somitder offiziellen Erklärung der deutschen Regierung. 352

109 Der Entwurf von „Jhesen über die gegenwärtige politisdhe Lage" wurdevon Lenin am 10. M ai 1918 verfaß t un d unverzüglich vom ZK der K PR(B)erörte rt. Am 13 . M ai 1918 bestätig te das ZK die „These n" in ihrer end-gültigen Fassung. Diese lagen dem Referat zugrunde, das Lenin am glei-chen Tage im Auftrag des ZK vor der Moskauer Stadtkonferenz der Partei

hielt. Die Konferenz nahm Lenins „Thesen" mit Stimmenmehrheit alsResolution an.

Am vollständigsten entwickelte Lenin die „Thesen über die gegenwärtigepolitische Lage" in seinem Bericht über die Außenpolitik in der gemein-samen Sitzung des Gesamtrussischen ZEK und des Moskauer Sowjets am14. M ai . (Siehe den vorliegenden B and, S. 358—375.) Am 14. M ai wu rde ndie „Th esen " von der Mo skau er Bezirkskonferenz u nd am 15. M ai von derMoskauer Gebietskonferenz der KPR(B) auf Grund von Lenins Berichtüber die gegenwärtige Lage angenommen. (Siehe den vorliegenden Band,S. 376.) 353

110 Für den Bericht über die Außenpolitik in der gemeinsamen Sitzung desGesamtrussischen ZEK und des Moskauer Sowjets stellte Lenin einen Planauf. (Siehe Lenin-Sammelband XI, 1931., S. 92, niss.) Lenins Bericht rief inder Sitzung heftige Angriffe der Menschewiki und Sozialrevolutionäre her-vor. An Stelle Lenins, der nicht bis zum Schluß der Sitzung anwesend seinkonnte, antwortete J. M. Swerdlow, der das Schlußwort hielt, auf die An-griffe der Menschewiki und Sozialrevolutionäre. Die Beratung nahm mitüberwältigender Stimmenmehrheit die bolschewistische Resolution an, diedie Politik der Sowjetmacht billigte. Die Resolution betonte die Notwendig-keit, eine mächtige Sowjetarmee zu organisieren und die Diktatur über dieBourgeoisie zu verstärken. 358

1 1 1 Am 22 . Dez emb er 1917 (4. Jan ua r 1918) hatt e die Sowjetregierung Finn-land als unabhängigen Staat anerkannt. Mitte Februar 1918 schlug dierevolutionäre Regierung der sozialistischen Republik Finnland der Sowjet-regierung vor, einen Freundschaftsvertrag zu schließen. Zur Ausarbeitungeines Vertragsentwurfs wurde eine Russisch-Finnische Koordinierungskom-mission gebildet. Der von ihr vorgelegte Vertragsentwurf wurde in einerReihe von Sitzungen des Rats der Volkskommissare erörtert. Lenin brachte

38*

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586 Anmerkungen

viele Abänderungsanträge ein. (Siehe Lenin-Sammelband XXI, 1933, S. 241

bis 243, russ.) Der Vertrag mit dem revolutionären Finnland wurde am10. M ärz 1918 verkündet. 3731 1 2 Die Moskauer Qebietskonferenz der XP&fB.) tagte vom 14. bis zum 17. M ai

1918. Das Referat über die gegenwärtige Lage hielt Lenin. Die „linkenKomm unisten" kritisierten den Standpunkt des ZK der Partei in der Außen-politik. Mit einer Mehrheit von 42 gegen 9 Stimmen wurde eine Resolutionangenommen, der Lenins „Thesen über die gegenwärtige politische Lage"zugrun de gelegt worden w aren . (Siehe den vorliegenden Band, S. 353—357.)376

1 1 3

Der Erste Qesamtrussisdbe "Kongreß

 von Vertretern der 7inanzabteüungender Qebiets-, Qouvernements- und Xreissowjets tagte vom 17. bis zum21. M ai 1918 in M oskau. Anwesend waren 230 Delegierte. Der Kongreßstimmte Lenins Antrag zu, der die Einführung einer Einkommen- und Ver-mögenssteuer als notwendig bezeichnete. Dieser Antrag fand seinen Nieder-schlag am 17. Juni 1918 im Dekret des Rats der Volkskommissare „überdie Änderung und Ergänzung des D ekrets vom 24 . Novem ber 1917 überdie Erhebung direkter S teuern". 377

1 1 4 Die Xonferenz vonVertretern der nationalisiertenTSetriebe tagte vom 12.biszum 18. M ai 1918 in M oskau. Ihre Teilnehmer w aren die Vertreter der

M etallbetriebe. Die Konferenz sollte Fragen erörtern, die mit der Na tiona-lisierung der Großbetriebe (des Sormowoer, Kolomnaer, Brjansker, Slatou-ster, Belorezker und anderer) zusammenhingen. Die Konferenz beschloßeine Resolution über die Nationalisierung der Metallbetriebe und arbeiteteeine Instruktion zur V erwaltung der nationalisierten Betriebe au s. Auf W ei-sung Lenins wählte die Konferenz einen aus Vertretern aller Betriebe be-stehenden Provisorischen Rat (beim Obersten Volkswirtschaftsrat) zur Vor-bereitung der Vereinigung der staatlichen Metallbetriebe (GOMSA). 38 2

1 1 5 „Brjansker Ridhtlinien" — die provisorische Arbeitsordnung des BrjanskerMetallbetriebs in Beshiza (heute „Rote Gewerkschaftsinternationale"), dieam 9. Mai 1918, unterschrieben von dem Betriebskomitee und dem Direktordes Betriebes, erlassen wurden. Die Arbeitsordnung führte eine neue Ar-beitsdisziplin im Betrieb ein. Im September 1918 wurde sie durch eine ein-gehender ausgearbeitete Arbeitsordnung ersetzt. 382

1 1 6 Der „Entwurf eines Telegramm s an die Tetrograder Arb eiter" wurde in denText des Aufrufs aufgenommen, den der Vorsitzende des Rats der Volks-kommissare und der Volkskommissar für Ernährungswesen an das Petro-grader Parteikomitee richteten und worin vorgeschlagen wurde, „den Auf-

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Anmerkungen 587

ruf in allen Betrieben und Fabriken bekanntzumachen und Maßnahmen zu

ergreifen, damit die Arbeiter unverzüglich in die Abteilungen für Lebens-mittelbeschaffung eintreten".Der vollständige W ortla ut des Aufrufs wurde am 22 . Ma i 1918 inN r. 103

der „Petrogradskaja Prawda" veröffentlicht. 384

11 7 Der / / . Qesamtrussisdoe Xongreß der Arbeitskommissare tagte im Mai1918 in Moskau. Zu seinen Teilnehmern gehörten Vertreter der Gebiets-,Gouvernements- und Kreiskommissariate für Arbeit, der Arbeitsnachweise,der Krankenkassen, der Gebietsvereinigungen der Versicherungskassen, desZentralrats der Gewerkschaften und anderer Organisationen — insgesamtetwa 600 Personen. Der Kongreß erörterte einen Bericht des Volkskommis-sariats für Arbeit, einen Bericht über die Hebung der Arbeitsproduktivitätund der Arbeitsdisziplin sowie einen Bericht über die Lage in der Industrie.Lenin sprach über die Hebung der Arbeitsproduktivität und der Arbeits-disziplin. Der Kongreß nahm eine Resolution über die Arbeitsdisziplin an,die den Beschluß enthielt, in den einzelnen Orten Büros für die Normungdes Lohns und der Arbeit zu schaffen, außerdem nahm der Kongreß Be-stimmungen über den Arbeitsschutz an. 394

1 1 8 Den Entwurf des Besdilusses über die Qründung einer Sozialistisdhen Aka-demie für Qesellsdbaftswissensdhaften schrieb Lenin wahrscheinlich wäh-

rend der S itzung des Rats der Volkskommissare vom 25 . M ai 1918, undzwar im Zusammenhang mit dem Bericht M. N. Pokrowskis über eine So-zialistische Akademie; er wurde vom Rat der Volkskommissare angenom-men. Die auf Grun d d er Weisungen Lenins ausgearbeiteten Bestimmungenüber die Sozialistische Akademie für Gesellschaftswissenschaften wurdenvom Rat der Volkskommissare am 7. Juni 1918 behandelt. Der Rat derVolkskommissare billigte die Bestimmungen und berief eine Kommissionzur detaillierten Ausarbeitung des Statuts der Akademie. Für diese Kom-mission verfaßte Lenin Direktiven, die ebenfalls vom Rat der Volkskom-missare angenommen wurden. 399

1 1 9 Die ßbesen zur gegenwärtigen Lage" wurden vom ZK der KPR(B) am26 . M ai 1918 bestätigt. Geleitet von diesen Thesen, faßte der Rat der Volks-komm issare am 28. Mai 1918 einen Beschluß über die Ernährungspolitikund beauftragte das Volkskommissariat für Ernährungswesen, einen an dieArbeiter und Bauern gerichteten Aufruf über die Organisierung bewaffne-ter Abteilungen zum Kampf um das Getreide abzufassen. Der auf Grundder „Thesen" Lenins verfaßte Aufruf wurde vom Rat der Volkskommissaream 29. Ma i 1918 bestätigt und am 31. Mai 1918 veröffentlicht. 401

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588 Anmerkungen

120 £ ) e r /. Qesamtrussisdhe Kongreß derVolkswirtsdhaftsräte tagte vom 26. Mai

bis zum 4. Juni 1918. Anwesend waren 104 Delegierte mit beschließenderund 148 mit beratender Stimme; die überwiegende Mehrheit der Delegier-ten (70 Prozent) waren Bolschewiki. Zweck des Kongresses war die Lösungder damals wichtigsten Frage nach den Methoden der Organisierung derVolkswirtschaft unter den Bedingungen des um sich greifenden Bürger-kriegs. Die Vertreter der „linken Kommunisten" und ebenso die Mensche-wiki und rechten Sozialrevolutionäre waren gegen Lenins Plan der Organi-sierung der Volkswirtschaft, gegen die Zentralisation der Verwaltung.Der Kongreß sprach sich jedoch mit Stimmenmehrheit für die bolschewi-stischen Lösungen aus. Er erklärte es für notwendig, zur weiteren allge-

meinen Nationalisierung überzugehen und sich nicht auf die wichtigstenIndustriezweige zu beschränken, sondern auch die großen privaten Handels-unternehmungen zu nationalisieren. Der Kongreß beschloß Bestimmungenüber die Verwaltung der nationalisierten Betriebe, nahm einen Beschlußüber den Warenaustausch zwischen Stadt und Land sowie einen Plan zurReorganisierung des Obersten Volkswirtschaftsrats an und arbeitete Maß-nahm en zum Kampf für die Arbeitsdisziplin un d die Steigerung der Arbeits-produktivität aus. 404

1 2 1 D en „Aufruf an die Eisenbahner, Sdhiffer und Metallarbeiter" schrieb Leninim Zusammenhang mit dem Beschluß des Rats der Volkskommissare vom29. Mai 1918, der selbständige Getreidebeschaffungen durch verschiedeneOrga nisation en v erbot. (Siehe Lenin-Sam melband XVIII, 1931, S. 103,russ.) Der erwähnte Beschluß war die Antwort auf die Forderung mehrererOrga nisation en, ihnen das Recht auf selbständige Getreidebeschaffungenzu erteilen. In abgeänderter Form wurde der Aufruf als „Entschließung desRats der Volkskommissare zur Frage der selbständigen Beschaffungen" imJuni 1918 veröffentlicht. 413

122 Die gemeinsame Sitzung des Qesamtrussisdjen Zentralexekutivkomitees,des Moskauer Sowjets der Arbeiter-, Bauern- und Rotarmistendeputierten

und der Qewerkschaften fand am 4. Juni 1918 im Gebäud e des Gro ßenTheaters statt. J. M. Swerdlpw eröffnete die Sitzung. Auf der Tagesordnungstan d eine Frag e — der Kampf gegen die Hu nge rsno t. Berichterstatter warW. I. Lenin. Die „linken" und die rechten Sozialrevolutionäre und die Men-schewiki ergingen sich in der Sitzung in heftigen Angriffen gegen die So-wjetmacht und kritisierten ihre Ernährungspolitik. Trotz des Widerstandsder Feinde der Sowjetmacht wurde der von Lenin eingereichte Entwurf derResolution über den Kampf gegen die Hungersnot der Resolution zugrundegelegt, die dann in der Sitzung angenommen wurde. 4U

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Anmerkungen 589

12 3 Lenin zitiert die Einleitung zu Sigismund Borkheims Broschüre „Zur Er-

innerung für die deutschen Mordspatrioten. 1806—1807.", die FriedrichEngels am 15. De zem ber 1887 schrieb. (Siehe Sigismund Borkheim, „Z urErinnerung für die deutschen Mordspatrioten. 1806—1807.", Hottingen-Zürich 1888, S. 7.) Siehe auch den vorliegenden Band, S. 494/495. 42 i

12 4 „Sbisn" (D as Lebe n) — Zeit ung bürgerlich-anarchistischer Ric htung ; er-schien in M os ka u vom 23 . Apr il bis zum 6. Juli 1918 un d wur de zusam menmit anderen konterrevolutionären Zeitungen verboten. 427

1 2 5 Gemeint sind die Dekrete des Gesamtrussischen Zentralexekutivkomitees„über die Erteilung außerordentlicher Vollmachten an den Volkskommissar

für Ernährungswesen zum Kampf gegen die dörfliche Bourgeoisie, die Ge-treidevorräte versteckt und mit ihnen spekuliert", unterzeichnet am 13. Mai1918 („Dekret über die Ernährungsdiktatur") und „über die Reorganisa-tion des Volkskommissariats für Ernährungsw esen un d der örtlichen Or gan edes Ernährungswesens", angenommen vom Gesamtrussischen ZEK am17. Mai 1918. Die Dekrete sahen die Zentralisation des Ernährungswesenssowohl auf dem Gebiet der Erfassung als auch auf dem Gebiet der Vertei-lung und der Kontrolle über die Tätigkeit der örtlichen Ernährungskomiteesvor. 430

1 2 6 Es handelt sich um den konterrevolutionären Aufruhr des tschechoslowaki-schen Korps, der von den Ententeimperialisten unter aktiver Teilnahme derMenschewiki und Sozialrevolutionäre entfacht wurde.

Das tschechoslowakische Korps in Rußland wurde bereits vor der GroßenSozialistischen Oktoberrevolution aus Kriegsgefangenen der österreichisch-ungarischen Armee formiert. Nach Errichtung der Sowjetmacht wurden diekonterrevolutionären Offiziere des Korps von den Ententeimperialisten undder russischen Konterrevolution zum Kampf gegen die Sowjetrepublik ein-gesetzt. Die Aktion begann im Mai 1918 im Uralgebiet und in Sibirien. MitHilfe des tschechoslowakischen Korps gelang es der Konterrevolution, sichdes Urals, des Wolgagebiets, Sibiriens und des Fernen Ostens zu bemäch-tigen.

Im Oktober 1918 wurde das Wolgagebiet durch die Rote<Armee befreit.Gleichzeitig mit der Zerschlagung Koltschaks wurde Ende 1919 der Auf-ruhr des tschechoslowakischen Korps endgültig unterdrückt. 440

12 7 £enins Entwurf der Resolution zum "Beridht über den Kampf gegen die Hun-gersnot wurde der in der gemeinsamen Sitzung des Gesamtrussischen ZEK,des M osk au er Sowjets und der Gewerkschaften am 4. Juni 1918 angenom-menen Resolution zugrunde gelegt. 443

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590 Anmerkungen

1 2 8 Der Qesamtrussisdie Kongreß der internationalistischen Lehrer tagte vom2. bis zum 6. Juni 1918 in M oskau. A nwesend waren 121 Delegierte mitbeschließender Stimme. Der Kongreß vereinigte die revolutionären Gruppender Lehrer, die Anhänger der Sowjetmacht waren.

Lenin hielt seine Begrüßungsrede in der vierten Sitzung des Kongresses.444

1 2 8 Es handelt sich um die Telegramme J. W . Stalins au s Zarizyn vom 9 . u nd10. Juni 1918. Im Zusammenhang mit de r schweren Ernährungslage in denzentralen Industriegouvernements d e r Republik w a r Genosse Stalin am29. M a i 1918 nach Zarizyn entsandt worden, um die Beschaffung von Ge -

treide u n d anderen Lebensmitteln u n d ihren Abtransport nach Moskau indie Wege z u leiten. In den erwähnten Telegrammen b a t J. W . Stalin, demAußerordentlichen Ernährungskomitee des Gebiets schleunigst 75 MillionenRubel und verschiedene Waren im Werte von ungefähr 35 Millionen Rubelzur Verfügung zu stellen. Stalin teilte Lenin außerdem mit , da ß Züge m itLebensmitteln auf dem Bahnhof stehen u n d infolge d e r Schlamperei vonAngestellten nicht weiterbefördert werden. 446

1 8 0 Lenins Rede „Tiber die Abteilungen für Lebensmittelbesdjaffung" , die er inMoskauer Arbeiterversammlungen hielt, wurde in de r Tageszeitung „Bed-nota" (Die Armut) veröffentlicht, dje vo m Z K d er KPdSU(B) von 1918 b is1931 herausgegeben wurde. 44 7

l s i T ^ . Wolodarski wurde a m 20. Juni 1918, während der Wahlen z u m Petro-grader Sowjet, von rechten Sozialrevolutionären ermordet. 450

1 8 2 D as ßelegranvm über die Organisierung vo n Abteilungen für Cebensmit-telbesdhaffung" wurde a m 27. Juni 1918 an den II. Gouvernements-Sowjet-kongreß in Pensa gesandt. 453

133 D ie IV . Konferenz der Qewerksdhaften und der Betriebskomitees Moskaustagte vom 27 . Juni bis zum 2 . Juli 1918. Hauptfra gen der Konferenz waren:die Ernährungsfrage im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Lage; all-gemeine militärische Ausbildung u n d Mobilmachung; Arbeitsdisziplin u. a.Trotz des starken Widerstands d e r Menschewiki u n d Sozialrevolutionärenahm die Konferenz in allen Fragen die vo n d er kommunistischen Fraktioneingebrachten Resolutionen an. Zu dem Bericht Lenins über die gegen-wärtige Lage akzeptierte die Konferenz Lenins Resolutionsentwurf alsGrundlage. (Siehe den vorliegenden Band, S. 491.) 4 57

1 3 4 Es handelt sich um die im Januar 1918 im Zusammenhang mit den BresterVerhandlungen ausgebrochenen Streiks in Österreich, d ie unter d e n Losun-

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Anmerkungen 591

gen des sofortigen Abschlusses eines allgemeinen Friedens zu den von So-

wjetrußland vorgeschlagenen Bedingungen, des allgemeinen Wahlrechts,einer gerechten Lebensmittelverteilung usw. standen. Unter dem Einflußder Oktoberrevolution in Rußland wurden während des Streikkampfes inWien, Budapest und einigen anderen Städten Arbeiterräte und Soldaten-räte gebildet. Die Bewegung wurde unterdrückt, die Räte wurden ausein-andergejagt, wobei die österreichischen Sozialdemokraten als direkte Ver-räter und Helfer fungierten. 461

13 5 „Vorwärts" — Tageszeitung, Zentralorgan der deutschen Sozialdemokratie,erschien ab 1876 unter Redaktion von Wilhelm Liebknecht. Friedrich Engelsführte in der Zeitung einen Kampf gegen alle Erscheinungsformen des Op-portunismus. Seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre, nach dem Todevon Engels, brachte der „ Vo rwä rts" systematisch Artikel von Opp ortuniste n,die die deutsche Sozialdem okratie u nd die II. Intern ational e b eherrs chten.Während des imperialistischen Weltkriegs (1914—1918) war der „Vor-wär ts" ein Sprachrohr des Sozialchauvinismus und wurde nach der GroßenSozialistischen Oktoberrevolution zu einem Zentrum der Antisowjetpropa-ganda; er erschien in Berlin bis 1933.

Lenin meint den Artikel „Die enthüllten Geheimverträge" in Nr. 326 des„Vo rwär ts" vom 28. Nov emb er 1917. 479

136 Der „Vorredner" war W. A. Tichomirow, der 1918 Vorsitzender des Bogo-rods ker Geno ssensch aftsverband s wa r und auf der IV. Konfe renz d er Be-triebskomitees und der Gewerkschaften Moskaus den Bogorodsker Sowjetder Arbeiterdeputierten vertrat. 482

137 Lenin meint den Artikel „F ranzösische Million en", der am 28 . Juni 1918 indem von einer tschechoslowakischen kommunistischen Gruppe in Moskauherausgegebenen Organ „Prükopnik Svobody" (Pionier der Freiheit) ver-öffentlicht und am gleichen Tage in Nr. 130 der „Prawda" sowie teilweisein Nr. 132 der „Iswestija WZIK" abgedruckt wurde. 483

138 r j ; e Schwarzmeerflotte, die im Zusammenhang mit der Okkupation derKrim durch die deutschen Interventen von Sewastopol nach Noworossiskverbracht worden w ar, wurde am 18. Juni 1918 auf Ano rdnun g Lenins inNoworossisk versenkt. Die Sowjetregierung erteilte den Versenkungsbefehl,da sie keine Möglichkeit hatte, die Flotte vor den deutschen Imperialistenzu retten, und sie nicht der deutschen Heeresleitung ausliefern wollte, die inultimativer Form die Zurückführung der Flotte nach Sewastopol geforderthatte . 486

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592 Anmerkungen

1 3 9 Es handelt sich um die Wahlen zum Petrograder Sowjet im Juni 1918. Die

Menschewiki und Sozialrevolutionäre entfalteten während der Wahleneinen wütenden Kampf gegen die Bolschewiki, wobei sie versuchten, dieschwere Ernährungslage der Petrograder Arbeiter demagogisch auszunut-zen. Trotz der antisowjetischen Agitation und der konterrevolutionärenAktionen der Menschewiki und Sozialrevolutionäre erhielten die Kommu-nisten bei den Wahlen die Mehrheit der Stimmen. In der ersten Sitzungdes Sowjets am 27. Juni 1918 ware n an wes end : 405 Bolschewiki, 75 „linke"Sozialrevolutionäre, 59 Menschewiki un d rechte So zialrevolutionäre sowie43 Parteilose. 490

140 Siehe Friedrich Engels, Einleitung zur Broschüre von Sigismund Borkheim„Zur Erinnerung für die deutschen Mordspatrioten. 1806—1807.", Hottin-gen-Z ürich 1888, S. 7. 495

1 4 1 D er V. Qesamtrussisdhe Sowjetkongreß wurde am 4. Juli 1918 eröffnet. An-wesend waren 1164 Delegierte, darunter 773 Bolschewiki, 353 „linke" So-zialrevolutionäre, 17M axim alist en, 4 Anarchisten, 4 internationalistischeSozialdemok raten, ein rechter Sozialrevolutionär und ande re. Auf der Tages-ordnung standen folgende Fragen: Bericht des Gesamtrussischen ZEK undBericht des Rats der Volkskommissare,- die Ernährungsfrage,- Organisie-rung der sozialistischen Roten Armee; die Verfassung der Russischen

Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik; Wahlen zum GesamtrussischenZ E K.

Den Bericht über die Tätigkeit des Rats der Volkskommissare gabW . I. Lenin, den Bericht übe r die Tätig keit des Gesam trussischen ZE KJ. M. Swerdlow. Die „linken" Sozialrevolutionäre nahmen gegen alle Vor-schläge der Bolschewiki mit äußerster Feindseligkeit Stellung. Zu den Be-richten über die Tätigkeit des Gesamtrussischen ZEK und des Rats derVolkskommissare nahm der Kongreß eine Resolution an, in der er dieAußen- und Innenpolitik der Sowjetmacht, insbesondere die Maßnahmender Regierung auf dem Gebiet der Ernährung und der Organisierung der

Dorfarmut, billigte.Am 6. Juli wurd en die Verha ndlung en des Kongresses wegen des be-

gonnenen konterrevolutionären Aufruhrs der „linken" Sozialrevolutionäreunterbrochen. Am 9. Juli setzte der Kongreß seine Arbeit fort und erörtertedie Berichte über die Ernährungsfrage und über die Schaffung der RotenArmee. Der Kongreß bestätigte den Entwurf der Sowjetverfassung undüberwies ihn an das Präsidium des neugewählten Gesamtrussischen ZEKzu r endgültigen Aus arbeitu ng un d Veröffentlichung. Am 10. Juli 1918 gingder Kongreß zu Ende. 505

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Anmerkungen 593

1 4 2 D ie „Vorrednerin" war Mar ia Spi r idonowa, Ver t re te r in der „ l inken" So-

zialrevolut ionäre auf dem Kongreß; s ie hiel t e in gegen die Bolschewiki ge-r ich te tes Kor refera t über d ie Tät igke i t der Bauernsekt ion des Gesamtrus-

s i schen ZEK. 507

1 4 3 „ Qolos Cfrudowowo Xrestjanstwa" (St imme der werktä t igen Bauernschaf t )— Pet ro grad er Tagesze i tung, d ie ab Ende Nov emb er 1917 a l s O rg an des

Exekut ivkomitees des Gesamtrussischen Sowjets der Bauerndeput ier ten der

2 . Wahlperiode erschien (bis zum 9. [22.] Dezember hieß sie „Iswest i ja

Wseross i skowo Kres t j anskowo Sjesda" [Nachr ichten des Gesamtruss i schen

Bauernk ongresses] ) ; ab 20 . Jan uar (2 . Feb ruar ) 1918 wa r s ie das O rga nder Bauernsekt ion des Gesamtruss i schen ZE K . Bis zum 10. Ju l i 1918 wurd e

die Zei tung von „l inken" Sozialrevolut ionären gelei tet .Am 6. No vem ber 1918 wu rde der „Golos Trudo wo wo K res t j ans twa" zum

Organ des Volkskommissar iats für Landwir tschaft , und als solches erschiener bis zum 3 1 . Mai 1919 . 51 2

1 4 4 D e r Entwurf der Sowjetverfassung, d. h. derVerfassungCdes Qrundgesetzes)

der Russischen Sozialistischen föderativen Sow jetrepublik, war von einer

vom Gesamtruss i schen ZE K am 1 . Apr i l 1918 gebilde ten besonderen Kom -

miss ion ausgearbe i te t worden. Der Arbe i t der Kommiss ion wurden Lenins„Deklara t ion der Rechte des werktä t igen und ausgebeute ten Volkes" und

die vom III . Gesam trussischen Sow jetkong reß zu einem Re ferat vonJ . W . Sta l in angenom mene R esolu t ion „ o b e r d ie födera len Einr ichtungen

der Russischen Republ ik" zugrunde gelegt . Der Entwurf der „AllgemeinenGrundsätze der Verfassung der Russischen Sozial is t ischen Föderat iven So-

wjetrepubl ik" wurde in der Si tzung der Kommission des Gesamtrussischen

Z EK am 19. Apr i l 1918 erör te r t un d angen omm en. Am 3. Ju l i 1918 prüf teden Entwurf der Kommission des Gesamtrussischen ZEK eine von Lenin

gelei tete Kommission des ZK der Par tei . Der von der Kommission des ZKbes tä t ig te Ver fassungsentwurf wurde dem V. Gesamtruss i schen Sowje tkon-

greß vorge legt und vom K ongreß e ins timmig angenom men. A m 19. Ju l i

1918 w urd e die Ve rfassu ng d er Russischen Sozialis t ischen Föd erat iv en So -wje t republ ik a l s Grundgese tz verkündet und t ra t dami t in Kraf t . 515

1 4 5 D ie 'Komitees der "Dorfarmut wurden durch e in Dekre t des Gesamtrus-s i schen ZEK vom 11 . Jun i 1918 ( „übe r d i e Or gan i sa t i on de r Dor f a r m ut

und ihre Bel ie ferung mi t Get re ide , Gütern des dr ingenden Bedar f s undlandwir t schaf t l i chen Gerä ten") ins Leben gerufen . Zum Wirkungsbere ich

der Komi tees der Dor farmut gehör ten l au t Dekre t : d ie Ver te i lung von Ge-treide, Gütern des dr ingenden Bedarfs und landwir tschaft l ichen Geräten,-

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594 Anmerkungen

die Unterstützung der örtlichen Organe des Ernährungswesens bei der Be-

schlagnahme von Getreideüberschüssen bei Kulaken und Reichen. Das De^kret legte für die Armen verschiedene Vergünstigungen bei der Verteilungvon Getreide und landwirtschaftlichen Geräten fest.

Die Komitees der Dorfarmut waren Stützpunkte der Diktatur des Pro-letariats auf dem Lande. Sie spielten eine große Rolle im Kampf gegen dasKulakentum, bei der Neuverteilung der beschlagnahmten Ländereien, beider Versorgung der Arbeiterzentren und der Roten Armee mit Lebensmit-teln. Die Organisierung von Komitees der Dorfarmut war eine weitereEtappe in der Entfaltung der sozialistischen Revolution auf dem Lande. DieKomitees der Dorfarmut trugen zur Festigung der Sowjetmacht auf dem

Lande bei und waren von größter politischer Bedeutung bei Gewinnung desMittelbauern für die Sowjetmacht.

Auf Beschluß des Auß erorden tlichen V I. Gesam trussische n Sowjetkon-gresses (November 1918) gingen die Komitees der Dorfarmut, die ihre Auf-gaben erfüllt hatten, in den Dorfsowjets auf. 521

14 6 D as „'Komitee zur Wiederherstellung der internationalen "Verbindungen"wurde von Vertretern Frankreichs auf der Zimmerwalder InternationalenSozialistischen Konferenz (September 1915) im Januar 1916 in Paris ge-gründet. Das Komitee trieb Propaganda gegen den imperialistischen Krieg,es gab eine Reihe von Broschüren und Flugblättern heraus, in denen dieräuberischen Ziele der Imperialisten und der Verrat der Sozialchauvinistenan den Interessen der Arbeiterklasse entlarvt wurden. Unter dem Einflußder Großen Sozialistischen Oktoberrevolution in Rußland und der erstar-kenden französischen Arbeiterbewegung wurde das Komitee zum Sammel-punkt der revolutionären, internationalistischen Elemente. 1920 trat es dereben gegründeten Kommunistischen Partei Frankreichs bei.

Der von Lenin erwähnte Aufruf wurde in Nr. 131 der „Prawda" vom29. (16.) Juni 1918 veröffentlicht. 528

1 47 Da s am 28. Juni 1918 angenomm ene Dek ret des Rats der Volkskommissare

über die Nationalisierung der größten Betriebe des Bergbaus, des Hütten-wesens, der metallbearbeitenden Industrie, der Textilindustrie, der Elektro-technik und der Holzindustrie und anderer Industriezweige wurde am30 . Juni 1918 verkündet. 533

1 48 Die Moskauer Qouvernementskonferenz der Betriebskomitees tagte am23. und 24. Juli 1918. Anwesend waren 500 Delegierte, die über 70 00 00organisierte Arbeiter vertraten. Nach dem Referat Lenins über die gegen-wärtige Lage stimmte die Konferenz einer bereits vorher auf der IV. Kon-

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Anmerkungen 59 5

ferenz der Betriebskomitees und de r Gewerkschaften Mo skaus (27. Juni bis

2. Juli 1918) zu einem Referat Lenins angenommenen Resolution zu. 54714 9 „ 7he TVorkers' Vreadnought" — Organ der Sozialistischen Arbeiterföde-

ration Englands, das von März 1914 bis Juni 1924 in London erschien. 54815 0 Um was für einen Funkspruch aus Tasdikent es sidi handelt, war nicht fest-

zustellen. 5521 51 D er weißgardistisdbe Aufstand in Jaroslawl bega nn a m 6. Juli 1918. An -

gezettelt worden war er von dem konterrevolutionären „Bund zur Vertei-digung von Freiheit und Vaterland", dessen Leiter der rechte Sozialrevolu-tionä r B. Sawinkow w ar. D er Aufru hr in Jaroslaw l wa r ebenso wie and ere

konterrevolutionäre Rebellionen damals in Sowjetrußland von den eng-lischen und französischen Imperialisten unter aktiver Mitwirkung derMenschewiki und Sozialrevolutionäre vorbereitet worden. Die Anstiftungvon Rebellionen gehö rte zum Gesa mtp lan de r englisch-französischen Inter -vention in Rußland. Die maßgebenden Inspiratoren und Organisatoren kon-terrevolutionärer Rebellionen in Sowjetrußland waren 1918 der Chef derenglischen Mission in Mo sk au , Lock hart, und der französische BotschafterNo ule ns, die die Au frü hre r finanzierten un d mit Waf fen ve rsor gten . A nder Spitze der Jaroslawler Weißgardisten stand zusammen mit Sawinkowder ehemalige Obe rst der zaristischen Armee A . Perchurow, der für die

Organisierung des Aufstands unmittelbar von Noulens Geldmittel erhielt.Der Aufruhr in Jaroslawl wurde am 2 1 . Juli 1918 von Verbänden der

Roten Armee unterdrückt. 55215 2 Es handelt sich um die parteifeindliche, desorganisierende Haltung der

Sinowjewgruppe, die der Leninschen Politik entgegenwirkte und staats-feindliche Tendenzen in die Petrograder Organisationen hineintrug. 557

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DATEN AUS DEM LEBEN UND WIRKEN

W . I . L E N I N S

(Februar bis Juli 1918)

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599

19182l.7ebniar Lenins Artikel „über die revolutionäre Phrase" erscheint in

N r. 31 der „Prawda".

Lenin leitet die Sitzung des Rats des Volkskommissare, inder darüber beraten wird, ob von England, Frankreich undanderen Ländern zwecks Gegenwehr gegen die deutsche Of-fensive militärtechnische Hilfe angenommen werden soll.

Lenin schreibt den Entwurf des Dekrets des Rats der Volks-kommissare „Das sozialistische Vaterland in Gefahr!"

22.7ebruar Lenin schreibt den Artikel „über die Krätze", der am glei-chen Tage in N r. 33 der „Praw da" (Abendausgabe) ver-öffentlicht wird.

Lenin unterrichtet den Kommissar für Post- und Telegrafen-wesen in Moskau auf direkter Leitung über den Vormarschder Deutschen.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Einsetzung einer außerordentlichen Kommis-

sion zwecks teilweiser Evakuierung Petrograds u. a. beratenwird.

23. Jebruar Lenin nimmt an der Sitzung des ZK der Partei teil, stimmtfür die sofortige Annahme der Friedensvorschläge der deut-schen Regierung und für die Vorbereitung des revolutionärenKrieges.

Lenins Artikel „Frieden oder K rieg?" erscheint in N r. 34 der„Prawda" (Abendausgabe).

39 Lenin, W erke, Bd. 27

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600 "Daten aus dem Leben und W irken W. 1 Lenins

In der TJaditvo m 23. zu m24.7ebruar

24.Februar

Invom 24. zum25. Tebruar

25. Februar

26. Tebruar

Lenin spricht in der gemeinsamen Sitzung der Fraktionen

der Bolschewiki und der „linken" Sozialrevolutionäre im Ge-samtrussischen Zentralexekutivkomitee über die Notwendig-keit, die deutschen Friedensbedingungen anzunehmen.Lenin erteilt dem Kommando der Donfront telegrafisch dieDirektive, sofort Rostow zu besetzen.

Lenin referiert vor dem Gesamtrussisdien Zentralexekutiv-komitee über die deutschen Friedensbedingungen.

Lenins Abhandlungen „Ein unglückseliger Frieden" und

„Thesen über den sofortigen Abschluß eines annexionisti-schen Separatfriedens" erscheinen in N r. 34 der „Pra wd a".Lenin nimmt an der Sitzung des ZK der SDAPR(B) teil. Erschlägt die Zusammensetzung der Friedensdelegation vor, dienach Brest gesandt werden soll. Das ZK nimmt Lenins Vor-schlag an.

Lenin schreibt die „Notiz über die Notwendigkeit, den Frie-den zu unterzeichnen" (mit Deutschland).Lenin schreibt mit J. M. Swerdlow den Entwurf eines Briefs

des Organisationsbüros des ZK der SDAPR(B) an die Mit-glieder der Pa rtei: „Stellungnahme des ZK der SDAPR (Bol-schewiki) zur Frage des annexionistischen Separatfriedens".

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Lage der Sowjetrepublik nach der EinnahmePskows durch die Deutschen beraten wird.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über den Vertrag der Russischen Sozialistischen Föde-rativen Sowjetrepublik (RSFSR) mit der Finnischen Sozia-

listischen Republik beraten wird. Er schreibt den Entwurfeines Beschlusses und bringt Abänderungsanträge zum Ver-tragsentwurf ein.

Lenins Artikel „Eine harte, aber notwendige Lehre" erscheintin Nr. 35 der „Prawda" (Abendausgabe).

Lenin schreibt den Entwurf eines Beschlusses des Rats derVolkskommissare über die Evakuierung der Regierung vonPetrograd nach Moskau.

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Daten aus dem Leben und W irken 'W.I. Lenins 601

27.7ebruar Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in

der über den Handelsvertrag zwischen der Russischen undder Finnischen Republik beraten wird. Er schreibt den Ent-wurf eines Beschlusses.

Lenin formuliert die Direktive des Rats der Volkskommissarean die Russisch-Finnische Koordinierungskommission, sichfür die vollen politischen Rechte der Bürger beider Republi-ken — der Finnen in der RSFSR, der Sowjetbürger in Finn-land — einzusetzen.

28. Februar Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare.

Der Anfang von Lenins Artikel „Seltsames und Ungeheuer-liches" erscheint in Nr. 37 der „Prawda".

i.März Der Schluß von Lenins Artikel „Seltsames und Ungeheuer-liches" und der Artikel „Auf sachlicher Basis" erscheinen inNr. 38 der „Prawda".

2. März Lenin schreibt den Entwurf eines Befehls an alle De putierten -sowjets mit der Anweisung, sich zur Verteidigung zu rüsten,da es möglich sei, daß die Deutschen die Friedensverhand-lungen abbrechen werden.

4. März Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in derüber die Organisierung der Schiffahrtsverwaltung, die staat-liche Kontrolle und die Evakuierung der Regierungsstellenberaten wird — zur erstgenannten Frage schreibt Lenin denEntwurf eines Beschlusses.

5. März Lenin schreibt den Artikel „Eine ernste Lehre und eine ernsteVerantwortung".

6.—S.März Siebenter Parteitag der Kommunistischen Partei Rußlands(Bolschewiki). Lenin wird in das Präsidium des Parteitags

gewählt; er leitet die Arbeit des Parteitags.7.März Lenin trägt in der zweiten "Sitzung des Parteitags den poli-

tischen Rechenschaftsbericht des ZK (das Referat über Kriegund Frieden) vor.

8. März Lenin hält in der vierten Sitzung des Parteitags das Schluß-wort zum Referat über Krieg und Frieden. Der Parteitag be-stätigt den Rechenschaftsbericht des ZK und nimmt die vonLenin eingebrachte Resolution über Krieg und Frieden an.

39a Lenin, Werke, Bd. 27

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602 Baten aus dem Leben und Wirken "W. 1 Lenins

Lenin hält in der fünften Sitzung des Parteitags das Referat

über die Revision des Programms und die Änderung desNamens der Partei. Der Parteitag nimmt Lenins Resolutionüber die Umbenennung der Partei in Kommunistische ParteiRußlands (Bolschewiki) an und wählt W . I. Lenin in die Kom-mission zur Revision des Parteiprogramms.Lenin wird in der fünften Sitzung des Parteitags zum Mit-

glied des ZK der KPR(B) gewählt.

Nidht vor dem Lenin schreibt eine „Zusammenfassung der Antworten auf8. März die Frage ,Frieden oder K rieg '" nach Telegrammen, die beim

Rat der Volkskommissare und beim Zentralexekutivkomiteein Beantwortung der Umfrage vom 25. Februar 1918 an alleDeputiertensowjets eingegangen sind.

9.März Die von Lenin geschriebene „Erste Skizze eines Programm-entwurfs" der Partei erscheint in Nr. 5 der Zeitung „Kom-munist".

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in derüber die Evakuierung der Petrograder Industrie und die Na-tionalisierung der Erdölfelder beraten wird.

iQ.lll.März Lenin siedelt mit den anderen Regierungsmitgliedern vonPetrograd nach Moskau über.

i i. März Lenin schreibt den Artikel „Die Hauptaufgab e unserer Ta ge ".

12.März Lenin hält Ansprachen über die gegenwärtige Lage in einerSitzung des Moskauer Sowjets und auf einer Kundgebungin der Alexej-Manege.

i3.März Lenin hält vor der bolschewistischen Fraktion des Außer-ordentlichen IV. Gesamtrussischen Sowjetkongresses eineRede über die Notwendigkeit, den Frieden mit Deutschland

zu ratifizieren.

U.März Lenin hä lt eine Rede in einer (in Mo skau stattfindenden) Kon-ferenz internationalistischer Sozialdemokraten aus Deutsch-land, Österreich, Ungarn, Polen, Tschechien und anderenLändern.

i4.—iS.März Außerordentlicher IV. Gesam trussischer Sowjetkongreß. Le-nin wird in das Präsidium gewählt und nimmt an den Ver-handlungen des Kongresses führenden Anteil.

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Daten aus dem Leben und Wirken W. J. Lenins 603

14.März De r Außerordentliche IV. Sowjetkongreß nimmt den von

Lenin geschriebenen Entwurf einer Resolution aus Anlaß deran den Kongreß gerichteten Botschaft des Präsidenten derUSA, W ilson, an.

Lenin referiert auf dem Außerordentlichen IV. Sowjetkon-greß über die Ratifizierung des Friedensvertrags.

15. März Lenin hält auf dem Außerordentlichen IV. Sowjetkongreß dasSchlußwort zum Referat über die Ratifizierung des Friedens-vertrags; der Kongreß nimmt die von Lenin geschriebeneResolution zu dieser Frage an.

18. März Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über folgende Fragen beraten wird: die Besetzung derdurch das Ausscheiden der „linken" Sozialrevolutionäre undder „linken Kommunisten" frei gewordenen Regierungsstel-len,- das Verbot der Moskauer bürgerlichen Presse. Leninmacht Vorschläge zwecks Zentralisierung der Eisenbahnver-waltung.

i9.März Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Organisierung eines Obersten Kriegsrats undandere Fragen beraten wird.

23. März Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Einführung der staatlichen Kontrolle über dasgesamte Versicherungswesen und über die Zentralisierungder Eisenbahnverwaltung beraten wird. Zum Entwurf einesBeschlusses in der ersten Frage schreibt Lenin Bemerkungen;in der zweiten Frage tritt er für das Dekret ein. Der Rat derVolkskommissare beruft eine Kommission unter Lenins Vor-sitz, die über den Bau von Schmalspurbahnen, wie sie für dieVersorgung Moskaus mit Getreide notwendig sind, entschei-

den soll.24.März Lenin leitet eine Sitzung der vom Rat der Volkskommissare

am 23. M ärz eingesetzten Kommission, in der über das Baum-wollprogramm, üb er B ewässerungsarbeiten in Turk estan undüber andere Fragen beraten wird.

25. März Lenin nimmt an der Sitzung des Präsidiums des OberstenVolkswirtschaftsrats teil, in der über das Genossenschafts-wesen beraten wird.

39a»

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604 Daten aus dem Leben und "Wirken "W. J. £enins

26. "März Lenin referiert vor der bolschewistischen Fraktion des Mos-

kauer Sowjets über die Organisationsfrage im Zusammen-hang mit der gegenwärtigen Lage.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Kontrolle der Ausgaben aller Abteilungen desObersten Volkswirtschaftsrats, über die Schiffahrtssituationund über den Warenaustausch mit dem Dorf beraten wird —

zu den beiden erstgenannten Fragen schreibt Lenin den Ent-wurf eines Beschlusses.

27.März Lenin nimmt an einer Sitzung des Präsidiums des Obersten

Volkswirtschaftsrats teil; in der Debatte ergreift er das Wortzur Frage der Arbeitsdienstpflicht und Arbeitsdisziplin.

28. März Lenin diktiert einem Stenografen den ursprünglichen Ent-wurf des Artikels „Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht".

29. "März Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in derüber den Entwurf provisorischer Bestimmungen über die Ver-waltung der Baltischen Flotte und andere Fragen beratenwird.

30. März Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in der

über die Revolutionstribunale beraten wird. Er bringt Ab-änderungsanträge zum Entwurf des Dekrets ein und entwirfteinen Beschluß des Rats der Volkskommissare.

März Lenin und J. W . Stalin sprechen über direkte L eitung m itdem Vorsitzenden des Murmansker Sowjets, der auf An-weisung Trotzkis verräterischerweise ein Abkommen mit denVertretern der Entente in M urmansk geschlossen h at.Lenin schreibt das Vorwort zu dem Sammelband „Gegen denStrom".

MärzlApril Lenin schreibt die „Thesen zur Bankpolitik".

i.April Lenin unterzeichnet den Beschluß des Rats der Volkskom-missare über die Schaffung eines Obersten Kriegsrats, derdie Verteidigung des Staates und den Aufbau der Streit-kräfte leiten soll.

Lenin nimmt an einer Sitzung des Präsidiums des OberstenVolkswirtschaftsrats teil, in der über die Arbeitsdisziplin be-raten wird.

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Daten aus dem Leben und Wirken IV. 7. Cenins 60 5

2 . April Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in

der über die Aufnahme von Friedensverhandlungen mit derUkrainischen Rada angesichts des Vormarschs der Deutschenauf Charkow beraten wird.

3. April Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Deklaration der Ukrainischen Sowjetrepublik,über drahtlose Telegrafie und über die Sicherstellung derKriegsflotte für den Fall eines Vormarschs der Deutschen be-raten wird.

5. April Im Zusammenhang mit der Landung der Japaner in Wladi-

wostok gibt Lenin dem Zentralexekutivkomitee der SowjetsSibiriens telegrafisch die Anweisung, sich zur Verteidigungzu rüsten.

Lenin leitet die Sitzung des Rats d er Volkskommissare, in derdarübe r beraten wird, wie die Behörden bei Entsendung vonKommissaren in die Provinz verfahren sollen — Lenin bringtAbänderungs- und Ergänzungsvorschläge zum Entwurf desBeschlusses ein.

6. April Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in

der über die Einsetzung einer Kommission für Kriegsgefan-genenfragen und über die Zentralisierung der Verwaltungdes Post- und Telegrafenwesens beraten wird — zu der erst-genannten Frage schreibt Lenin den Entwurf eines Be-schlusses.

7. April Lenin spricht auf einer Kundgebung in der Alexej-Manege.

Lenin macht den Wladiwostoker Sowjet in einem Telegrammdarauf aufmerksam, daß die japanischen Imperialisten un-weigerlich angreifen werden und daß es notwendig ist, sichschnellstens und ernstlich zur Verteidigung zu rüsten.

8. April Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Organisierung der Armee und über die Staats-flagge der RSFSR beraten wird.

9. und iO. April Lenin spricht in der Sitzung des Rats der Volkskommissareüber das Genossenschaftswesen und bringt Abänderungs-anträge zum Entwurf des Dekrets über die Konsumgenossen-schaften ein.

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60 6 Baten aus dem Leben und W irken W. 1. Lenins

11. April Lenin beteiligt sich an der gemeinsamen Sitzung des Ober-

sten Volkswirtschaftsrats mit Vertretern des Zentralrats derGewerkschaften und des Zentralrats des Metallarbeiterver-bandes, in der über die Nationalisierung der Hüttenindustrieberaten wird.

12 . April Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Freigabe von Mitteln zur Bekämpfung der Ar-beitslosigkeit, über die staatliche Kontrolle und üb er den Vor-schlag der Akademie der Wissenschaften, an der Erforschungder Naturschätze Rußlands zu arbeiten, beraten wird.

13 . April Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Verteidigung von Murm ansk und andere Fragenberaten wird.

14. April In N r. 72 der „Praw da" erscheint das von Lenin, Lunatschar-ski und Stalin unterzeichnete Dekret des Rats der Volks-kommissare, das die Entfernung der zu Ehren von Zaren undZarenhöflingen errichteten Denkmäler von Plätzen und Stra-ßen sowie ein großes Preisausschreiben für Entwürfe vonDenkmälern der Großen Sozialistischen Oktoberrevolutionanordnet.

15. April In einem Brief an das Volkskommissariat für Jus tiz läd t Leninalle Kollegiumsmitglieder des Kommissariats zu einer Aus-sprache ein über Fragen der Herausgabe einer Sammlungvon Gesetzesakten und Verfügungen sowie über den Aufbaueines Gerichtswesens, das schneller und schonungsloser gegenBourgeois und Veruntreuer von Staatseigentum vorgeht.

16. April In der Sitzung des Rats der Volkskommissare redigiert, er-gänz t und unterzeichnet Lenin d as Dekret des Rats der Volks-kommissare über den Aufbau der V erwaltung des Post- und

Telegrafenwesens der Sowjetrepublik.16. oder Lenin empfängt eine vom Kongreß der Vertreter der Zuk-17. April kerindustrie in Rußland entsandte Delegation und unterhält

sich mit ihr über Maßnahmen zum Wiederaufbau der Zuk-kerfabriken.

17. April Lenin unterzeichnet in der Sitzung des Rats der Volkskom-missare den Befehl an den Kursker, Orjoler und andere Gou-yernementssowjets über die Entwaffnung der ukrainischen

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Daten aus de m Sieben und W irken "W. 1. Cenins 607

und deutschen Truppen, die auf sowjetisches Territorium

übe rtreten. A ußerdem schreibt er den Entwurf eines Beschlus-ses über Hilfsgelder für Bauern zur Zuckerrübenaussaat.

i8.AprÜ Lenin hält in der Sitzung des Gesamtrussischen Zentral-exekutivkomitees eine Rede über die Finanzfrage.Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Registrierung von Aktien, Obligationen und an-deren zinstragenden Papieren sowie über das Verbot derGründung von Aktiengesellschaften beraten wird — zum Ent-wurf eines Dekrets in der erstgenannten Frage bring t er Ab-änderungs- und Ergänzungsvorschläge ein.

19. April Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Bildung einer Gesamtrussischen Evakuierungsrkommission, über die Bewilligung von Mitteln für die Kohle-förderung und andere Fragen beraten wird — zum Entwurfeines Beschlusses in der ersten Frage bringt er Abänderungs-anträge ein.

20. April Lenin erkundigt sich telegrafisch beim Vorsitzenden des Sim-birsker Sowjets nach den Umständen und Bedingungen derWahl der Vorsitzenden des Lehrerinnen- und des Lehrer-

seminars Tschuwaschiens; er teilt mit, daß er sich für dasSchicksal des Inspektors I. J. Jakowlew interessiert, der sichseit 50 Jahre n für die nationale Entwicklung des tschuwa-schischen Volkes eingesetzt hat.

Lenin bringt in der Sitzung des Rats der VolkskommissareAbänderungsanträge zum Entwurf eines Dekrets über dieEinsetzung eines Hauptausschusses für Torfgewinnung ein.Der Entwurf wird mit Lenins Abänderungen bestätigt.

22. April Lenin unterzeichnet das Dekret des Rats der Volkskommis-sare über die Nationalisierung des Außenhandels.Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Elektrifizierung der Moskauer und Petrograder,Industrie durch den Bau von Wasserkraftwerken am Wol-chow und an der Imatra beraten wird. — Er macht sich wäh-rend der Sitzung Notizen.

Lenin schreibt und unterzeichnet ein Grußtelegramm an denSowjetkongreß der Turkestaner Region.

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608 Daten aus dem Leben und W irken W-1 Lenins

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in

der über die Verteidigung der Ostgrenze des CharkowerGouvernements gegen den Vormarsch der Deutschen undHaidamaken beraten wird.

22. oder Lenin hält auf der Moskauer Stadtkonferenz der Arbeiterin-23. April nen eine Rede über die Lage der Sowjetrepublik.

23. April Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder übe r die Versorgung der Landw irtschaft mit Produktions-geräten und Metallen beraten wird, und schreibt einen Zu-satz zum Entwurf eines Dek rets.

Lenin hält im Moskauer Sowjet eine Rede über die gegen-wärtige Lage.

24. April Lenin empfängt eine Arbeiterdelegation aus der ZarizynerGeschützfabrik, die fordern, d aß ihr W erk in staatliche Ver-

, waltung genommen werde; während der Unterhaltung mitden Arbeitern macht er Notizen über die Erfordernisse desBetriebs.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Kriegsgefangenen, über die Aufhebung des Erb-rechts und über Abänderungen zum Dekret über die Ver-

sorgung der Landwirtschaft mit Produktionsgeräten und M e-tallen beraten wird.

26. April In der Sitzung des ZK der Partei legt Lenin seine Thesenüber die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht vor. Das ZKbilligt die Thesen und be auftrag t Lenin, im GesamtrussischenZentralexekutivkomitee ein Referat über diese Frage zuhalten.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über H ilfsmaßnahmen für Arbeitslose, den Aufbau einer

Zentralverwaltung für Archive und Bibliotheken sowie überdie Unterstützung von Kriegsinvaliden beraten wird.

27. April Lenin nimmt an einer Sitzung der Delegation teil, die zuVerhandlungen über einen Friedensvertrag mit der Ukrai-nischen Volksrepublik gebildet worden ist.Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über den Bau von Kraftwerken an den Flüssen Swir undWolchow sowie über den Eisenbahnbau beraten wird.

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Daten aus dem Leben und Wirken IV. 1. Lenins 609

28. April Lenins Artikel „Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht"

erscheint in Nr. 83 der „Prawda" und Nr. 85 der „IswestijaW Z I K " .

29. April Lenin hält in der Sitzung des Gesamtrussischen Zentralexe-kutivkomitees das Referat u nd das Schlußwort über die näch-sten Aufgaben der Sowjetmacht.

30. April Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Stellung der staatlichen Institutionen in den vonDeutschland okkupierten Gebieten, über den Entwurf einesDekrets betreffend Schenkungen und über die Organisation

und Instandsetzung der Flotte beraten wird.

April Lenin schreibt die „Grundlegenden Leitsätze zur Wirtschafts-und besonders zur Bankpolitik".

Lenin beteiligt sich an der Diskussion der Thesen zur Bank-politik in einer Beratung mit den Leitern des Volkskommis-sariats für Finanzen und der Staatsbank.Lenin schreibt den „Entwurf eines Plans wissenschaftlich-technischer Arbeiten".

i.9Aai Lenin spricht auf der 1 .-Mai-Kundgebung auf dem RotenPlatz zu den Demonstranten und auf einer Kundgebung derlettischen Schützen und Kreml-Mitarbeiter; er wohnt derMilitärparade auf dem Chodynka-Feld bei.Auf der Fahrt durch Moskau halten demonstrierende Arbei-ter des Bezirks Suschtschewsko-Marjinski Lenins Auto anund heben Lenin auf die Schultern. Er hält eine kurze Redeüber die Bedeutung des internationalen Maifeiertags.

2. Mai Lenin unterzeichnet ein Schreiben, worin dem in Kursk be-

findlichen Vorsitzenden der Friedensdelegation, J. W. Stalin,die Direktive übermittelt wird, unsere Truppen nicht aufukrainisches Territorium übertreten zu lassen und auf unserTerritorium übertretende Trupps von Haidamaken zu ent-waffnen.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Nationalisierung der Zuckerindustrie beratenwird — er bringt Abänderungsanträge zum Entwurf des De-krets ein.

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610 Daten aus dem Leben und "Wirken rW. J. Lenins

3.!Mai Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in

der über die Bewilligung von Mitteln für Arbeiten an derSwir, über die Torfgewinnung im Nordgebiet und über an-dere Fragen beraten wird.

Der von Lenin geschriebene Resolutionsentwurf des Gesamt-rassischen Zentralexekutivkomitees „Sechs Thesen über dienächsten Aufgaben der Sowjetmacht" wird vom Zentral-komitee der Partei bestätigt.

4.Mai In einem Brief an das ZK der KPR(B) regt Lenin an, zu be-schließen, daß diejenigen Richter, die in einem Verfahren

wegen Bestechung ein allzu mildes Urteil gefällt haben, ausder Partei ausgeschlossen werden.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über das Urteil des Revolutionstribunals in dem Ver-fahren wegen Bestechung, über die Einrichtung von Militär-bezirken und andere Fragen beraten wird.

5.Mai Lenin schreibt den Artikel „über ,linke' Kinderei und überKleinbürgerlichkeit".

Lenin unterzeichnet ein Telegramm nach Woronesh , mit Ko-

pien nach Rostow (an G. K. Ordshonikidse) und nach Brjansk,über den Abschluß eines Waffenstillstands an der deutsch-ukrainischen Front.

6. Mai Lenin nimmt an einer Sitzung des ZK der Partei teil, in deraber die internationale Lage Sowjetrußlands beraten wird,und schreibt den Entwurf fcines Beschlusses zur internatio-nalen Lag e.

Lenin entwirft den Text eines Funkspruchs an die Friedens-delegation in Kursk über den U ms turz, den Skoropadski mitHilfe der deutschen Truppen in der Ukraine herbeigeführt

hat, und über die Einnahme Rostows am Don durch dieDeutschen.

S. Mai L enin unterzeichnet ein Telegramm an die Friedensdelegationin Kursk mit der Anweisung, Verhandlungen mit der ukrai-nischen Hetman-Regierung über die Einstellung der Kampf-

handlungen aufzunehmen.

Lenin gibt dem Volkskommissar für Auswärtige Angelegen-heiten, G. W . Tschitscherin, A nweisung, eine Delegation zu

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Verhandlungen mit der ukrainischen Hetman-Regierung über

die Einstellung der Kampfhandlungen nach Kiew zu ent-senden.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Ernährungslage, das Schmiergelderunwesen unddie Verhängung des Kriegszustands im Kubangebiet wegendes Vormarschs der Haidamaken und der Deutschen beratenwird — zu der erstgenannten F rage schreibt Lenin die G rund-thesen eines Dekrets über die Diktatur im Ernährungswesennieder, zum Entwarf eines Dekrets in der zweitgenanntenFrage macht er Abänderungsvorschläge.

9Jidbt später Lenin gibt dem Volkskommissariat für Justiz die Direktive,a\s am 8.7Aai im Rat der Volkskommissare einen Gesetzentwurf über das

Strafmaß für Schmiergeldnehmer einzubringen.

9. Mai Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Ernährungsdiktatur, über das Komitee für staat-liche Bauten und über die Mobilisierung von Arbeitern, diedie Dorfarmut im Kampf gegen die Kulaken unterstützensollen, beraten wird — zu den Entwürfen von Dekreten inden beiden erstgenannten Fragen macht er Abänderungsvor-schläge, zur drittgenannten Frage schreibt er den Entwurfeines Beschlusses.

Lenin unterzeichnet ein Zirkulartelegramm an alle Gouverne-mentssowjets und Gouvernements-Ernährungskomitees überdie katastrophale Ernährungslage Petrograds und sofortigeHilfe für die Stadt.

Lenin nimmt an einer Sitzung des Gesamtrussischen Zentral-exekutivkomitees teil, in der das vom Rat der Volkskommis-sare eingebrachte Dekret über die Ernährungsdiktatur be-

raten und bestätigt wird.10 . Mai Lenin gibt in einer Unterredung mit Arbeitern der Putilow-

Werke die Weisung, eine 20000 Mann starke, zuverlässigeArbeiterarmee zum Kampf gegen die Dorfbourgeoisie undgegen das Bestechungsunwesen aufzustellen.Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder ober die Arbeit des Kollegiums für Kriegsgefangenen-fragen, über Maßnahmen zur Regelung und Weiterentwick-

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61 2 Daten aus dem Leben und W irken IV. J. Lenins

hing der sibirischen Wirtschaft und über andere Fragen be-

raten wird.Lenin bestätigt und unterzeichnet den Beschluß des Rats derVolkskommissare, den abgebrannten armen Bauern des Dor-fes Risowatowo, Gouvernement Nishni-Nowgorod, eine ein-malige Unterstützung von 100000 Rubel zur Anschaffungvon Saatgut und landwirtschaftlichen Geräten zu gewähren.

ll.!Mai Lenin schreibt den Protest an die deutsche Regierung gegendie Okkupation der Krim.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in

der über den Aufbau der Volkswirtschaft Sibiriens, über dieBerufszählung in Moskau und über andere Fragen beratenwird.

Lenin unterzeichnet den Beschluß des Rats der Volkskommis-sare über die Nationalisierung der Steinkohlengruben inSudshensk (Sibirien), der Spassker Kupferhütte, der BiskerLederfabrik und anderer Betriebe der extraktiven und ver-arbeitenden Industrie.

In Nr. 90 der „Prawda" wird mitgeteilt, daß Lenins Bücher

„Staat und Revolution" und „Neue Daten über die Entwick-lungsgesetze des Kapitalismus in der Landwirtschaft" er-schienen sind.

'iZ.TAai Lenin nimmt an der Sitzung des ZK der Partei teil, in derdie von ihm geschriebenen „Thesen über die gegenwärtigepolitische Lage" bestätigt werden.Lenin hält auf der Moskauer Stadtkonferenz der Partei einReferat über die gegenwärtige politische Lage.

14.ZMai Lenin schreibt das Vorwort zu seiner Broschüre „Karl Marx".

Lenin gibt in der gemeinsamen S itzung des GesamtrussischenZentralexekutivkomitees und des Moskauer Sowjets den Be-richt über die Außenpolitik.

Lenin hält auf der Beratung der Fraktion der Bolschewiki imGesamtrussischen Zentralexekutivkomitee und im MoskauerSowjet das Referat über die Außen- und Innenpolitik.

i5.7dai Lenin hält auf der Moskauer Gebietskonferenz der Parteidas Referat über die gegenwärtige Lage.

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Daten aus dem Leben und W irken W. 7. Lenins 613

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in

der über die Nationalisierung der russischen Banken mit aus-ländischen Einlegern, über die Möglichkeit, mit Kapitalistenderjenigen Länder, die die Sowjetmacht nicht anerkennen,Verträge abzuschließen, und über andere Fragen beratenwird.

16.!Mai Lenin gibt dem Obersten Kriegsrat die Anweisung, Parla-mentäre an die Südostfront (Donfront) zu entsenden, um andieser Front einen 'Waffenstillstand abzuschließen und dieDemarkationslinie festzulegen.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Verwaltung der Erdölindustrie und über andereFragen beraten wird.

17. Mai Lenin unterzeichnet das Dekret des Rats der Volkskommis-sare über die Aufnahme von Bewässerungsarbeiten in Tur-kestan.

Lenin schreibt das Vorwort zu seiner Broschüre „Die Haupt-aufgabe unserer Tage".

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in

der über die Arbeitsinspektion, über ein außerordentlichesDarlehen an das Bergbaurevier von Wyksa und über dieEinsetzung eines Hauptausschusses für Erdölgewinnung be-raten wird.

18.Mai Lenin hält vor dem Gesamtrussischen Kongreß von Vertre-tern der Finanzabteilungen der Sowjets das Referat über dieAufgaben der Finanzpolitik.

Lenin empfängt die Vertreter einer Arbeiterdelegation, dieauf der Konferenz großer Metallbetriebe gewählt wordenist; er schreibt der Konferenz einen Brief über die Vorberei-tung und Durchführung der Nationalisierung und über diedamit zusammenhängenden Aufgaben in den Betrieben.Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die sowjetische Revision, über die Verteilung vonKohle und über andere Fragen beraten wird.

20. Mai Lenin nimmt an einer Sitzung des Gesamtrussischen Zen tral-exekutivkomitees teil, während über J. M. Swerdlows Referatzu den Aufgaben der Sowjets auf dem Lande diskutiert wird.

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614 T>aten aus dem Leben und W irken W. 1. Lenins

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in

der über die Konvention mit Österreich, Bulgarien und derTürkei betreffend den Unterhalt und den Austausch vonKriegsgefangenen, über die Beschaffung von Heizmaterialmit den Mitteln der Eisenbahnen und über andere Fragenberaten wird.

li.TAai Lenin redigiert, ändert und ergänzt den Entwurf eines Auf-rufs des Vorsitzenden des Rats der Volkskommissare an diePetrograder Arbeiter, den Abteilungen für Lebensmittelbe-schaffung beizutreten.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Verteilung von Kohle und K oks, über die Grün-dung eines Instituts für Agrarwissenschaften und über dieBewirtschaftung des vorhandenen Automobilparks beratenwird.

22. Mai Lenin schreibt den Brief an die Petrograder Arbeiter „Oberdie Hungersnot".

Lenin hält auf dem II. Gesamtrussischen Ko ngreß der A r-

beitskommissare eine Rede über die Arbeitsdisziplin und dieSteigerung der Arbeitsproduktivität.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über das außerordentliche Revolutionstribunal und überdie Bewilligung von 100 Millionen Rubel sowie die Absen-dung von 10000 Pu d G etreide nach Baku zwecks Sicherungder Erdölausfuhr beraten wird — zu dem Entwurf eines De-krets in der erstgenannten Frage bringt er Abänderungs-anträge ein.

23. Mai Lenin nimmt an einer Sitzung des Präsidiums des OberstenVolkswirtschaftsrats teil, in der über die Einberufung desI. Gesamtrussischen Kongresses der Volkswirtschaftsräte be-raten wird, und macht Vorschläge hinsichtlich der Art undWeise der Verwaltung der nationalisierten Betriebe.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über Beschwerden gegen bürokratische Zustände in denAmtsräumen der Volkskommissariate und über andere Fra-gen beraten w ird.

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Daten aus dem Zehen u nd "Wirken "W. J. Cenins 615

24. Mai Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in

der übe r die Brennstofffrage bera ten w ird ; er schreibt denEntwurf eines Beschlusses über die Ausarbeitung von Be-stimmungen zwecks verstärkter Gewinnung und Einsparungvon Heizmaterial.

25. Mai Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über den Automobiltransport und über die Gründungeiner Sozialistischen Akademie für Gesellschaftswissenschaf-ten beraten wird — er schreibt Entwürfe zu Beschlüssen inbeiden Fragen.

26.Mai Lenin schreibt die „Thesen zur gegenwärtigen Lage" (überdie Ernährungslage und über den Kampf gegen die Hun-gersnot) und legt sie dem ZK der Partei zur Bestätigungvor.

Lenin hält auf dem I. Gesamtrussischen Kongreß der Volks-wirtschaftsräte im Namen des Rats der Volkskommissareeine Begrüßungsrede.

27. Mai Lenin sendet dem Außero rdentlichen III. Sowjetkongreß derKuban-Schwarzmeer-Republik und dem Kongreß der Front-

kämpfer in Jekaterinodar ein Begrüßungstelegramm.28. Mai Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in

der über Sofortmaßnahmen zur Versorgung der Eisenbahnermit Lebensmitteln und über das Verfahren bei Genehmigungvon Konzessionen beraten wird — er schreibt den Entwurfeines Beschlusses über die Ernährungspolitik.

Lenin erteilt dem Befehlshaber der Schwarzmeerflotte dieDirektive, alle Schiffe und Hand elsdam pfer, die sich in No wo -rossisk befinden, zu zerstören, da Deutschland offensichtlich

die Absicht hat, sich ihrer z u bemächtigen.29. Mai Lenin unterzeichnet einen Aufruf des Rats der Volkskommis-

sare an die Arbeiter und Bauern, bewaffnete Trupps zumKampf gegen Volksfeinde und gegen die bäuerliche Bour-geoisie zu organisieren.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über den von ihm geschriebenen Entwurf eines Beschlus-ses betreffend das Verbot selbständiger Getreidebeschaffun-

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616 "Daten aus dem Leben und Wirken 1W. 7. Lenins

gen beraten w ird — er schreibt im Zusammenhang da-

mit einen Aufruf an die Eisenbahner, Schiffer und Metall-arbeiter.

Der Rat der Volkskommissare ernennt J. W . Stalin zum Lei-ter des gesamten Ernährungswesens im Süden Rußlands;Lenin unterzeichnet die Ernennung Stalins.

30.Mai Lenin unterzeichnet einen Aufruf des Rats der Volkskom-missare an die werktätigen Don- und Kubankosaken.Lenin unterzeichnet den Aufruf des Rats der Volkskommis-sare „Arbeiter und Bauern!" mit dem Appell, den Kampf um

das Getreide, gegen konterrevolutionäre Aufrührer und Ver-schwörer aufzunehmen.

Lenin unterzeichnet das Dekret des Gesamtrussischen Zen-tralexekutivkomitees über die Reorganisierung des Volks-kommissariats für Ernährungswesen und der örtlichen Or-gane des Ernährungswesens.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über das Verfahren bei Kassation von Urteilen der Revo-lutionstribunale und über die Bewilligung von Mitteln zur

Errichtung eines Karl-Marx-Denkmals beraten wird.3i.!Mai Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in

der er vorschlägt, angesichts der Verschlechterung der inter-nationalen Lage der Sowjetrepublik einen erneuten Appellan die Bevölkerung zu richten; der Rat der Volkskommissarebeauftragt eine Kommission u nter Lenins Leitung, den Appellabzufassen.

Ende TAai Lenin spricht über direkte Leitung mit dem Vorsitzenden desSamaraer Sowjets, W. W. Kuibyschew, wegen des Vorrük-

kens von Ataman Dutow auf Orenburg.l.Jttm' Lenin leitet die Sitzung des Ra ts der Volkskommissare, in

der über die Bedingungen der Versorgung Sibiriens mit Me-tall und Maschinen aus dem Ural sowie über einen Zusatz-beschluß in der Frage selbständiger Beschaffungen beratenwird.

2. Jun i Lenin woh nt der Aufführung des Schauspiels „Das DorfStepantschikowo" im Künstlertheater bei.

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Daten aus dem Ceben und Wirken "W. j . Lenins 617

Vor dem 3. Juni Lenin fordert den Petrograder Sowjet in einer telefonischen

Durchsage auf, die besten Mitarbeiter des Ernährungswesensnach Moskau zu schicken, wo sie in die Abteilungen fürLebensmittelbeschaffung eingereiht werden sollen.Lenin nimmt führenden Anteil an der Arbeit de r vom I. Kon-greß der Volkswirtschaftsräte zur Ausarbeitung von Bestim-mungen über die Verwaltung der nationalisierten Betriebegewählten Kommission.

Lenin und J . M . Swerdlow versenden an die örtlichen O rganedie Direktive des Gesamtrussischen Zentralexekutivkomiteesund des Rats der Volkskommissare, in der erklärt wird, wie

im Falle einer gegen die Sozialistische Sowjetrepublik ge-richteten Invasion des Feindes zu verfahren ist.

3. Juni Lenin unterbreitet dem Rat der Volkskommissare die Ent-würfe von Beschlüssen über die Finanzierung des Land-maschinenbaus sowie üb er selbständige Ankäufe un d die Ver-änderung der Festpreise.

4. Juni Lenin hält in der gemeinsamen Sitzung des GesamtrussischenZentralexekutivkomitees, des Moskauer Sowjets und der Ge-werkschaften das Referat und das Schlußwort über den

Kampf gegen die Hungersnot; er bringt den von ihm ge-schriebenen Entwurf einer Resolution ein.

5. Juni Lenin hält auf dem Gesamtrussischen Kongreß internatio-nalistischer Lehrer im Namen des Rats der Volkskommissareeine Begrüßungsrede.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Zentralisierung des Bankwesens sowie über dieAusarbeitung von Entlohnungsnormen und Methoden desKampfes gegen die Erhöhung der L ohnsätze beraten wird.

6. Juni Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Bereitstellung von Mitteln für dringende Be-dürfnisse der Bergbaureviere und Betriebe des Urals un d übe rändere Fragen beraten wird.

7.Juni Lenin empfängt Vertreter des Sowjets von Wyschni-Wolo-tschok und unterhält sich mit ihnen über die Hungersnot inihrem Kreise, über die Bildung von Abteilungen für Lebens-mittelbeschaffung und über ihre Aufgaben; er erteilt dem

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618 Baten aus dem Leben und W irken IV. 3. Lenins

Volkskommissariat für Ernährungswesen die Direktive, ihnen

vorrangig Hilfe zu gewähren.Lenin schreibt in der Sitzung des Rats der Volkskommissarefür die von diesem berufene Kommission Direktiven über dieSozialistische Akademie für Gesellschaftswissenschaften; erschreibt den Entwurf eines Beschlusses des Rats der Volks-kommissare über die richtige Gestaltung des Bibliotheks-wesens.

Lenin warnt den Archangelsker Sowjet in einem Telegrammvor der Gefahr einer militärischen Intervention der Englän-der an der Murmanküste und in Archangelsk.Lenin erhält von der Bahnstation Grjasi ein TelegrammJ.W.Stalins mit der Bitte, Ingenieure und Arbeiter zur Wie-derherstellung der Eisenbahnlinie zu entsenden und denOrganisationen der Handelsflotte auf der Wolga und demKaspischen Meer den speziellen Befehl zu erteilen, StalinsAnordnungen widerspruchslos durchzuführen.

8. Juni Lenin sendet ein dringendes Telegramm nach dem FlußhafenNishni-Nowgorod, mit Kopien nach Saratow und Zarizyn,worin Anweisung gegeben wird, alle Befehle und Anordnun-gen J. W . Stalins sofort un d widerspruchslos auszufüh ren.Lenin bringt in der Sitzung des Rats der VolkskommissareAbänderungsanträge ein und redigiert den Entwurf eines Be-schlusses über die Organisierung der Dorfarmut und ihreVersorgung.

9.—il."Juni Lenin wechselt mit J.W.Stalin Telegramme über die Ab-sendung von Geld und Waren nach Zarizyn zwecks Beschaf-fung von Getreide und Vieh und über die Sicherung derreibungslosen Beförderung der Lebensmittel nach Moskau.

10. Juni Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in derüber einen Appell an die Bevölkerung anläßlich des tschecho-slowakischen Aufruhrs (worüber Lenin referiert) sowie überdie Heranziehung von Ingenieuren zur wirtschaftlichen undadministrativen Arbeit beraten wird — hierzu schreibt Leninden Entwurf eines Beschlusses.

Lenin empfängt eine Arbeiterdelegation aus den Malzew-Werken (Gouvernement Orjol); er richtet an das Volkskom-

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Daten aus dem Zehen und Wirken TV. 7. Lenins 619

missariat für Ernährungswesen ein Schreiben über die1 kata-

strophale Ernährungslage der Arbeiter dieser Betriebe undverlangt vorrangige Hilfsmaßnahmen für sie.

11. Juni Lenin empfängt Vertreter des Brjansker Werkes (Gouverne-ment Orjol), die über die Ernährungslage in ihrem Betriebberichten, schickt sie ins Volkskommissariat für Ernährungs-wesen und ersucht darum, ihnen vorrangige Hilfe zuteil wer-den zu lassen.

Lenin weist den Petrograder Sowjet an, alles aufzubieten, umschleunigst möglichst viele Abteilungen für Lebensmittelbe-schaffung über Wjatka nach dem Ural zu schicken.Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in derüber die Auflösung des tschechoslowakischen Nationalratswegen des bewaffneten Aufstands tschechoslowakischer Regi-menter gegen die Sowjetmacht, über die Freigäbe von Mittelnfür die Entwicklung der Viehzucht und über andere Fragenberaten wird.

12. Juni Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über das Dekret betreffend Urlaube, über das Dekretbetreffend die Entlohnung der Angestellten und Arbeiter in

sowjetischen Institutionen sowie über andere Fragen beratenwird.

13 . Juni Lenin erhält ein Telegramm, worin J. W. Stalin mitteilt, daßsich die Transportverhältnisse gebessert haben, und worin ereinen Plan für die Beschaffung und Absendung von Getreidenach Moskau übermittelt.

14. Juni Lenin gibt dem Petrograder Sowjet schriftlich die Weisung,mehr Abteilungen nach dem Ural und mehr Arbeiter zurAgitationsarbeit zu entsenden.

Lenin schreibt in der Sitzung des Rats der Volkskommissareden Entwurf eines Beschlusses über die Verbesserung der A r-beit der Eisenbahnen.

15. Juni Lenin erhält ein Telegramm,, worin J. W . Stalin mitteilt, daßKosaken Kriwaja Musga (40 Werst von Zarizyn) eingenom-men haben, und schleunige militärische Hilfe verlangt.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Finanzierung der Hauptverwaltung für Leder-

40 Lenin, W erk e, Bd. 27

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620 Daten aus dem Leben und W irken W. 1. Lenins

industrie und ü ber die Gew ährung eines Kredits an das Te x-

tilzentrum zum Ankauf von Flachs beraten wird — er schreibtEntwürfe zu Beschlüssen in beiden Fragen.

15. oder 16. Juni Lenin erhält ein Telegramm, worin J. W . Stalin m itteilt, d aßdie Rote Armee eine Reihe von Eisenbahnpunkten vor Zari-zyn genommen hat, daß der Eisenbahnverkehr wiederher-gestellt ist und daß 500000 Pud Getreide nach Moskau unddem Norden abgesandt worden sind.

17. Juni Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Erhöhung der Löhnung für R otarmisten, über dieSchaffung einer Stelle für Fragen des Warenaustauschs mitder Ukraine und über andere Fragen beraten wird.

18 . Juni Lenin fordert S. G. Schaumian in Baku telegrafisch auf, alleMaßnahmen zum sofortigen Abtransport von Erdölproduk-ten nach der Wolga zu ergreifen.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über ein Darlehen zur Finanzierung von Arbeiten an derhydraulischen Erdölgewinnung, über die Bezahlung der Leh-rer und über den Aufbau der Volksbildung beraten wird.

19.Juni Lenin erhält ein Telegramm, worin J.W.Stalin über denVerlauf der Abfertigung von Getreidezügen nach Moskauberichtet.

Lenin hält in einer Versammlung von Betriebsparteizellen desMoskauer Stadtbezirks Samoskworetschje eine Rede über dieErnährungskrise.

20. Juni Lenin hält in Moskauer Arbeiterversammlungen Reden „ ü be rdie Abteilungen für Lebensmittelbeschaffung".In Nr. 123 der „Prawda" wird mitgeteilt, daß W.I.Leninalle Stationen der Südöstlichen Eisenbahn telegrafisch davonin Kenntnis gesetzt hat, daß auf Anordnung des Volkskom-missars J. W. Stalin 500000 Pud Getreide aus Zarizyn nachMoskau abgesandt worden sind.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Berufung eines obersten Transportkollegiums,über die Nachprüfung der Tätigkeit der hydrotechnischenOrganisationen der Nordfront und über die Nationalisierungder Erdölindustrie bera ten w ird — zum Entwurf eines Be-

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Daten aus dem Leben und Wirken W. J. Lenins 621

Schlusses in der erstgenannten Frage bringt Lenin Abände-

rungsanträge ein.21. Juni Lenin hält in Kundgebungen im Sokolniki-Klub und im

Moskauer Stadtbezirk Presnja Reden über den Kampf gegenHungersnot und Konterrevolution.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in derüber die Erweiterung der Vollmachten des außerordentlichenKommissars der Murmansker Region auf die Weißmeer-Region sowie über die Bewilligung von M itteln für das W est-gebiet und dessen Bestätigung als Wirtschaftseinheit beraten

wird.22. Juni Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in

der über die Eisenbahnlinie von Semiretschje, über die Nor-men der Entlohnung der Lehrer und über den Ankauf vonTextilien beraten wird.

Der Rat der Volkskommissare beruft eine Kommission, dieunter Vorsitz Lenins den Gesamthaushalt der staatlichen Ein-nahmen und Ausgaben prüfen soll.

In Nr. 125 der „Prawda" wird das Erscheinen von Lenins

Büchern „Die Agrarfrage in Rußland am Ende des 19. Jahr-hunderts" und „Karl Marx (Eine Biographie)" bekanntge-geben.

26. Juni Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in derüber die Schwarzmeerflotte und über die Zusammenfassungder Finanzpolitik beraten wird.

In einem Brief an die Petrograder ZK-Mitglieder legt Leninentschieden dagegen Protest ein, daß Sinowjew u. a. die Ar-beiter zurückgehalten haben, die auf die Ermordung Wolo-

darskis mit Massenterror antworten wollten.27. Juni Lenin gibt in einem Telegramm an den II. Sowjetkongreß

des Gouvernements Pensa Anweisungen über die Aufstellungeiner Lebensmittelarmee aus Arbeitern und Dorfarmen zumKampf für die Stärkung des Getreidemonopols und zur Re-quirierung von Getreide bei den Kulaken.

Der Petrograder Sowjet wählt Lenin als Delegierten zumV. Gesamtrussischen Sowjetkongreß.

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622 Baten aus dem Leben und W irken W. J. £enins

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in der

über das Bibliothekswesen, über die Wo hnraumfrage in Mos-kau und Umgebung und über den Aufbau einer staatlichenStatistik beraten wird.

27. und Lenin hält auf de r IV. Konferenz der Gewerkschaften und28. Juni der Betriebskomitees Moskaus Referat und Schlußwort zur

gegenwärtigen Lage. Die Konferenz nimmt die von Leningeschriebene Resolution über die Unterstützung der Ernäh-rungspolitik der Sowjetmacht an.

28.Juni Lenin hält auf drei Kundgebungen — in den „AMO"-Wer-ken (Simonow-Unterbezirk), im ehemaligen Michelson-Werk(Samoskworetschje-Bezirk) und im Sowjetpark des Rogosh-ski-Bezirks — Reden über das Thema „Der Bürgerkrieg".Lenin benachrichtigt Kamyschin und andere Stationen derbetreffenden Eisenbahnlinie telegrafisch, daß auf Anordnungdes Volkskommissars J .W . Stalin 500 000 Pud Getreide ausZarizyn nach Moskau abgesandt worden sind, und gibt diekategorische Anweisung, schleunigst wenigstens 40 Lokomo-tiven in Richtung Zarizyn zu schicken, um die Getreidetrans-

porte zu sichern.Lenin empfängt den Vorsitzenden des Temnikowsker Sowjets,Gouvernement Tambow , und unterhä lt sich mit ihm über denStand der Dinge in diesem Kreis.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in derüber Maßnahmen zur Entfaltung der Tätigkeit des Textil-zentrums, über den Entwurf einer Verfassung der RSFSRund über die Nationalisierung der größten Industriebetriebeberaten wird — zum Entwurf eines Beschlusses in der erst-genannten Frage bringt er einen Zusatzantrag ein.

29. Juni Der Sowjetkongreß des Moskauer Gebiets wählt Lenin alsDelegierten zum V. Gesamtrussischen Sowjetkongreß.Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Bewilligung von Mitteln zur Errichtung provi-sorischer Denkmäler für Persönlichkeiten der russischen Re-volution (vorgeschlagen von Lenin), über den Ankauf unddie Verteilung von Textilien und übe r andere Fragen beratenwird.

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Daten aus dem Leben und Wirken W. 3. Lenins 623

Lenin richtet ein Begrüßungsschreiben an S. G. Schaumian

in Baku.Lenin schreibt den Artikel „Prophetische W ort e" .

i.Juli Lenin ändert und unterzeichnet ein Telegramm an die Leiterder Requisitionsabteilungen an allen Eisenbahnlinien über dieEinführung der strengsten Disziplin in den Requisitionsab-teilungen.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in derüber die Evakuierung industrieller Werte, über die Gummi-industrie und über andere Fragen beraten wird.

2. Juli Lenin hält in der Alexej-Manege auf einer Kundgebung vonanderthalb Tausend für die Front M obilisierten eine Rede.In Nr. 135 der „Iswestija WZIK" wird das Erscheinen vonLenins Büchern „Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht"und „Der Kampf ums Brot" bekanntgegeben.Lenin bringt in der Sitzung des Rats der Volkskommissareaußerha lb der Tagesordnung einen Antrag auf Un terstützun gder Bauern mit Landmaschinen ein; der Rat der Volkskom-missare beruft auf Vorschlag Lenins eine Kommission zurAusarbeitung von praktischen Hilfsmaßnahmen für dieBauern.

3. Juli Lenin hält in der Sitzung der kommunistischen Fraktion desV. Gesamtrussischen Sowjetkongresses eine Rede über dieäußere und innere Lage Sowjetrußlands.

5. Juli Lenin gibt im Namen des Rats der Volkskommissare den Be-richt und hält das Schlußwort auf dem V. GesamtrussischenSowjetkongreß.

6. Juli Lenin läßt an alle Bezirksparteikomitees, alle Bezirkssowjets

und alle Stäbe der Roten Armee eine telefonische Durchsageergehen über die provokatorische Ermordung des deutschenBotschafters Mirbach durch „linke" Sozialrevolutionäre; ererteilt die Direktive, alle Kräfte zu mobilisieren, damit dieVerbrecher schnell gefaßt werden.

7. Juli Lenin benachrichtigt J. W. Stalin in Zarizyn telegrafisch vonder Ermordung des deutschen Botschafters Mirbach und vomAufstand der „linken" Sozialrevolutionäre in Moskau.

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624 Daten aus dem Leben und "Wirken TV. J. Lenins

8. Juli Lenin redigiert und unterzeichnet ein Telegramm an alle

Kreissowjets des Moskauer Gouvernements mit der Forde-rung, Maßnahmen zur Säuberung der Bezirke von „links"-sozialrevolutionären Banden zu ergreifen.In Nr. 141 der „Iswestija WZIK" wird das Gespräch Leninsmit dem Mitarbeiter dieser Zeitung über den Aufstand der„linken" Sozialrevolutionäre veröffentlicht.Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die W erke „Sormowo-Kolomna",über die M oskauerAutomobilwerkstätten und über andere Fragen beraten wird.

1 l.Juli Lenin macht dem Kommissar von W oronesh telegrafisch M it-teilung von der Liquidierung des „links"sozialrevolutionärenAufruhrs,- er erteilt Weisungen und Direktiven über militä-rische Operationen an der tschechoslowakischen und derKubanfront.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über die Bestätigung des Haushalts der staatlichen Ein-nahmen und Ausgaben für die Monate Januar — Juni 1918,über die Schaffung eines Volkskomm issariats für Gesundheits-wesen (das entsprechende Dekret wird von Lenin unterzeich-

net) und über andere Fragen beraten wird.12. Juli Lenin schreibt den Brief „An die Petrograder Arbeiter" mit

der Aufforderang, einen Massenfeidzug ins Dorf durchzu-führen, um die Dorfarmut zu organisieren und das Kulaken-tum zu bekämpfen.

Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in derüber den Verlauf der Ermittlungen in Sachen der ErmordungMirbachs, über die Einrichtung einer K ontrolle im Passagier-schiffsverkehr und über andere Fragen beraten wird.

13 . Juli Lenin leitet dem Volkskommissariat für Marine das schrift-liche Ersuchen zu, alle Maßnahmen zur beschleunigten Über-führung von Kriegsschiffen ins Kaspische Meer zu treffen.Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in derüber die Zusammenfassung aller Formen der Eisenbahn-bewachung, über die Lage im Moskauer Wohnungswesenund über die Freigabe von M itteln für den Bau des Wolchow-kraftwerkes beraten wird.

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Daten aus dem Leben und Wirken W. J. Lenins 625

15 . Juli Lenin gibt vor dem Gesamtrussischen Zentralexekutivkomitee

im Namen der Sowjetregierung eine Erklärung ab, in der ersich kategorisch gegen den Vorschlag der deutschen Regie-rung wendet, zum Schütze der deutschen Botschaft ein Ba-taillon bewaffneter deutscher Soldaten nach Moskau zu ent-senden.

16. Juli Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in derüber die Methoden zur Durchführung der Nationalisierungaller in der RSFSR vorhandenen Webwaren, über die Er-höhung des Gehalts der Volkskommissare (beide Fragenwurden von Lenin eingebracht), über die Bestellung eineraußerordentlichen Kommission zum Kampf gegen die Konter-revolution an der tschechoslowakischen Front und über andereFragen beraten wird.

il.Juli In Nr. 149 der „Iswestija WZIK" wird der vom Gesamtrus-sischen Zentralexekutivkomitee gebilligte, an die Arbeiter,Bauern und Rotarmisten aus Anlaß des Aufruhrs der „linken"Sozialrevolutionäre gerichtete Appell Lenins über die Not-wendigkeit verdreifachter Wachsamkeit, Vorsicht und Stand-haftigkeit veröffentlicht.

Lenin m acht dem Vorsitzenden des Rats der Volkskommissareder Republik Turkestan telegrafisch Mitteilung von denHilfsmaßnahmen für Turkestan und den energischen Aktio-nen zur Unterdrückung des tschechoslowakischen Aufruhrs.Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, in derüber die Einbeziehung des Kasaner Gouvernements in denWolga-Militärbezirk (eingebracht von Lenin), über die Er-richtung von 50 Denkm älern in M oskau für große Persön-lichkeiten auf dem Gebiet revolutionärer und gesellschaft-licher Tätigkeit und über den Schutz der Bibliotheken undBüchermagazine der RSFSR beraten wird.

18. Juli Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über das Monopol auf Webwaren, über die Freigabe vonMitteln, die dazu dienen sollen, den Bezirk Archangelsk unddie Flottille des Nördlichen Eismeers in Kampfbereitschaft zuversetzen, sowie über andere Fragen beraten wird — zumEntwurf eines Dekrets in der erstgenannten Frage bringtLenin Abänderungsanträge ein.

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626 Daten aus dem Leben und "Wirken W. J. £enins

19. Juli Lenin empfängt eine Delegation des Kongresses belorussischer

Flüchtlinge, die ihm ein Begrüßungsschreiben des Kongressesüberreicht un d ihm die Lage des belorussischen Volkes schil-dert.

Lenin leitet die Sitzung des Rats d er Volkskommissare, in derüber die Zentralisierung der Funktechnik, über die Beschaf-

fung von Exportwaren, über das Aufgebot von Kräften imHinterland und über Bestimmungen für die Registrierungparasitärer Elemente der Gesellschaft beraten wird.Lenin hält auf einer Kundgebung im Lefortowski-Bezirk eineRede über die internationale and innere Lage.

20. Juli Lenin fordert Sinowjew, Laschewitsch und Stassowa schrift-lich auf, sofort Hunderte und Tausende Petrograder Arbeiteran die tschechoslowakische Front zu senden, und macht dar-auf aufmerksam, daß sie im Falle der Nichterfüllung dieserDirektive die volle Verantwortung zu tragen haben werden.

22. Juli Lenin weist im Namen des Rats der Volkskommissare unddes Gesamtrussischen Z entralexekutivkomitees in einem Tele-gramm an S. G. Schaumian den Bakuer Sowjet an, einen ent-schlossenen Kampf gegen Agenten des ausländischen Kapi-

tals zu führen.Lenin leitet die Sitzung des Rats der Volkskommissare, inder über den Entwurf eines Dekrets betreffend den Kampfgegen die Spekulation, über die Aufhebung der Literaturkon-vention zwischen Rußland u nd Deutschland sowie über andereFragen beraten wird.

23.Juli Lenin.hält in der Moskauer Gouvernementskonferenz derBetriebskomitees ein Referat über die gegenwärtige Lage.

24. Juli Lenin spricht über direkte Leitung mit J. W. Stalin; er be-

richtet ihm von der schweren Ernährungslage in Petrogradund Moskau und bittet, schleunigst Maßnahmen zur Ent-sendung von Lebensmitteln in die Hauptstädte einzuleiten.

26. Juli Lenin empfängt die Leiter des Zentralverbands der Genos-senschaften (Zentrosojus); er unterhält sich mit ihnen überden organisatorischen Zustand der Konsumgenossenschaftenund regt die maximale Heranziehung der Genossenschaftenzur Getreidebeschaffung an,

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Daten aus dem Leben und Wirken "W. 1. Lenins 627

Lenin hält auf einer Kundgebung im Chamowniki-Bezirk eine

Rede über das Them a „ W as die Sowjetverfassung dem werk-tätigen Volk gibt".

Lenin schreibt Clara Zetkin einen Brief, worin er von demheftigen Kampf gegen die Konterrevolution spricht und sei-ner festen Überzeugung Ausdruck gibt, daß die Revolutionsiegen wird.

27. Juli In einem über direkte Leitung durchgegebenen Schreiben anden Vorsitzenden des Petrograder Sowjets besteht Leninkategorisch darauf, daß die „Opposition des Petrograder Teilsdes ZK " aufhört und d aß eine größere Anzahl von Arbeiternan die tschechische Front entsandt wird.

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628

I N H A L T S V E R Z E I C H N I S

Vorwort . . v n - i x

Februar—Juli 1918

ü b e r die revolutionäre Phrase 1—12

Das sozialistische Va terla nd in G efah r! 15—16

Ergänzung zu dem Dekret des Rats der Volkskommissare: „Das

sozialistische Va terlan d in G efa hr! " 17—18ü b e r die Krätze 19- 22

Frieden oder Kr ieg? ~ 23—24Rede in der gemeinsamen Sitzung der Fraktionen der Bolschewiki

und der „linken" Sozialrevolutionäre im Gesamtrussischen Zen-tralexekutivkomitee, 23 . Feb ruar 1918. Zeitungsbericht . . .. 25—26

Rede in der Sitzung des Gesamtrussischen Zentralexekutivkomitees,

23. Feb rua r 1918 27—31

W o steckt der Feh ler? 32—34Ein unglückseliger Fried en 35—36Äußerun gen Lenins in der Sitzung des ZK der SD AP R(B), 24. Fe-

br ua r 1918. Protokollarische Niederschrift 37—40

No tiz üb er die Notw endigkeit, den Frieden zu unterzeichnen .. .. 41

Stellungnahme des ZK der SDAPR (Bolschewiki) zur Frage desannexionistischen Separatfriedens 42—45

Eine har te, aber notwendige Lehre 46—50

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Inhaltsverzeichnis 629

Entwurf eines Beschlusses des Rats der Volkskommissare über die

Evakuierung der Regierung 51Seltsames und Ungeheuerliches 52—60

Auf sachlicher Basis 61—62

Entwurf eines Befehls an alle Deputiertensow jets 63

Eine ernste Lehre und eine ernste Verantwortung 64—69

Siebenter Parteitag der KPR(B), 6 .- 8 . M ärz 1918 71 -1 4 5

1. Referat über Krieg und Frieden, 7. M ärz 73

2. Schlußwort zum Referat über Krieg und Frieden, 8. M ärz . . 973. Resolution übe r Krieg und Frieden 105

4. Reden gegen die Abänderungsan träge Trotzkis zu r Resolutionüber Krieg und Frieden, 8. M är z (morgens) . . 107—108I 107

II 108

5. Rede gegen den Abänderungsantrag Radeks zur Resolution

über Krieg und Frieden, 8. M ärz (morgens) 109

6. Ergänzu ngsantrag zur Resolution über Krieg und Frieden .. 110

7. Rede gegen den Abän derungsantrag Sinowjews zur Ergänzungder Resolution über Krieg und Frieden, 8. M ärz 111

8. Antrag zur Resolution übe r Krieg und Frieden, 8. M ärz . . 112

I 112II 112

9. Referat über die Revision des Parteiprogramms und die Ände-rung des Nam ens der Partei, 8. M ärz (abends) 113

10. Resolution über die Änderung des Namens der Partei und des

Parteiprogramms 12711. Antrag zur Frage d er Revision des Parteiprogramms, 8. M ärz

(abends) 129

12. Rede zum Antra g M geladses über die Hinzuziehung der größ-ten Parteiorganisationen zur Ausarbeitung des Parteipro-gramms, 8. M ärz (abends) 131

13. Rede gegen den Abänderungsantrag Larins zur Benennungder Partei, 8. M ärz (abends) . . . . 132

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63 0 Inhaltsverzeichnis

14. Rede gegen den Abänderungsantrag Pelsches zur Resolution

über das Parteiprogramm, 8. M ärz (abends) . . 13315. Reden gegen den Abänderung santrag Bucharins zu r Resolution

über das Parteiprogramm, 8. M ärz (abends) 134—135I 134

II 135

16. Rede über die Frage der Wahl des Zentralkomitees, 8. März(abends) 136

17. Resolution aus Anlaß der Weigerung der „linken Kommuni-sten", dem Zentralkomitee anzugehören 138

18. Erste Skizze eines Programmentw urfs 139Die Hauptaufgab e uns ererT age 146—151

Rede im Moskauer Sowjet der Arbeiter-, Bauern- und Rotarmisten-deputier ten, 12. M är z 1918. Stenografischer Bericht 152—156

Außerordentlicher IV. Gesamtrussischer Sowjetkongreß, 14. bis

16. M är z 1918 157—190

1. Entwurf einer Resolution aus An laß der Botschaft W ilsons . . 159

2. Referat übe r die Ratifizierung des Friede nsvertrags, 14. M är z 160

3. Schlußwort zum Referat über die Ratifizierung des Friedens-vertrages, 15. M ärz 179

4. Resolution über die Ratifizierung des Brester Vertrags . . . . 189

Bemerkung zum Verha lten der „linken Kom munisten" 191

Ursprünglicher Entwurf des Artikels „Die nächsten Aufgaben derSowjetmacht". Stenografische Niederschrift 192—208Kapitel X 192Kapitel XI ' 198Kapitel XII ... . . 203Kapite l XIII . . . . . . 207

Zum De kret über die Revolutionstribunale . . . . 209—210A. An die Kollegiumsmitglieder des Kommissariats für Justiz und

Kopie an den Vorsitzenden des Zentralexeku tivkomitees . . 209

B. Entwurf eines Beschlusses des Rats der Volkskommissare , . . 210

Vorwort zum Sammelband „Gegen den Strom" 211

Thesen zur Bankpolitik 212—213

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Inhaltsverzeichnis 631

Rede auf einer Kundgebung in der Alexej-Manege, 7. April 1918.

Zeitungsbericht 214—215Direktiven an den W ladiwostoker Sowjet 216

Rede über die Finanzfrage in der Sitzung des GesamtrussischenZentralexekutivkomitees, 18. April 1918 , . . . ;. 217—218

Rede im Moskauer Sowjet der Arbeiter-, Bauern- und Rotarmisten-deputierten, 23. April 1918. Stenografischer Bericht 219—224

Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht 225—268Die internationale Lage der Russischen Sowjetrepublik und dieHauptau fgaben der sozialistischen Revolution 229Die allgemeine Losung des gegenwärtigen Zeitabschnitts . . . . 233Die neue Phase des Kampfes gegen die Bourgeoisie 234Die Bedeutung des Kampfes für die vom gesamten Volke getra-gene Rechnungsführung und Kontrolle 244Die Steigerung der Arbeitsproduktivität 247Die Organisierung des Wettbewerbs • .. 250„Gut funktionierende Orga nisation" und Dik tatur 254Die Entwicklung der Sowjetorganisation 263Schluß . . 266

Tagung des Gesamtrussischen Zentralexekutivkomitees, 29 . April1918 • . . . . 269-3 05

1. Referat übe r die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht . . . . 271

2. Schlußwort zum Referat über die nächsten Aufgaben . . . . 297

Sechs Thesen über die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht . . . . 306—309

Grundlegende Leitsätze zur Wirtschafts- und besonders zur Bank-politik . . . . 310-311.

Entwurf eines Plan s wissenschaftlich-technischer Arbeiten . . . . 312—313

An das ZK der Kommunistischen Partei Rußlands 314

Über „linke" Kinderei und über Kleinbürgerlichkeit . . . . . . 315—347

I 317II 321

III . . . . . . 325IV . . 332

' V . . 335VI . . . . 344

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632 Inhaltsverzeichnis

Beschluß des ZK der KPR(B) zur internationalen Lage .. . . . . 348

Grun dthesen eines Dekrets über die Diktatur im Ernährungswesen 349—350

Prote st an die deutsche Regierung gegen die Ok kupa tion der Krim 351—352

Thesen über die gegenwärtige politische Lage 353—357

I 353II 354

III 355IV • . . . . 356Y 357

Bericht über die Außenpolitik in der gemeinsamen Sitzung des Ge-samtrussischen Zentralexekutivkomitees und des Moskauer So-wjets, 14. M ai 1918 35 8-3 75

Referat über die gegenwärtige Lage auf der Moskauer Gebietskon-ferenz der KPR(B), 15. M ai 1918. Kurzer Zeitungsbericht . . . . 376

Referat auf dem Gesamtrussischen Kongreß von Vertretern der

Finanzabteilun gen der Sowjets, 18. M ai 1918 377—381Zen tralisierung des Finanzwesens 378

Einkommen- und Vermögenssteuer 378Arbeitsdienstpflicht • . . . . 379Ne ue Geldscheine 380

Brief an die Konferenz von Vertretern der nationalisierten Betriebe,

18. M ai 1918 . . 382-3 83

Entwurf eines Telegramms an die Petrograder A rbeiter, 21. M ai 1918 384

ü b e r die Hungersnot (Brief an die Petrograder Arbeiter) . . . . 385—393

Rede auf dem Kongreß der Arbeitskommissare, 22. M ai 1918 . . . . 394—398ü b e r eine Sozialistische Akademie für Gesellschaftswissenschaften 399—400

I. Entwurf des Beschlusses des Ra ts der Volkskommissare . . . . 399II . Direktiven für die Kommission 400

Thesen zur gegenwärtigen Lage 401—i03

Rede auf dem I. Kongreß der Volkswirtschaftsräte, 26. M ai 1918 . . 404—412

Aufruf an die Eisenbahner, Schiffer und M etal larb eite r 413—414