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gehen mit lou Katja Thomas

Leseprobe Katja Thomas: Gehen mit Lou

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Das Ich in Katja Thomas’ »Gehen mit Lou« versetzt die Landschaften, die es durchquert, in einen flirrenden Zustand. Manchmal gibt es ein Wir: eine kleine Gruppe von Menschen, die Gemeinsamkeit mit einem Tier. Eine Ankunft. Dann lösen sich die Formationen wieder, Grenzen verschieben sich. Das Ich bleibt zurück und in ihm, ein Raum im Raum, allenfalls noch der Wille zur Weltanverwandlung. Doch auch ihn muss das Ich sich erst zurückerobern, vielleicht wie ein Radar, der nach langem Defekt wieder beginnt, die Umgebung abzutasten.

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Katja Thomas

E in Journal

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Das Wegbleiben der Mauersegler war bis zu jenem Tag unbemerkt geblieben, an dem sie wieder auftauchten. Sie kamen als winzige Punkte aus einer Ferne, die weit über dem Himmel begann, und sie blieben dort oben stehen, fast sah man sie nicht. Als wären sie aus dem All gefallen und nun über einer weit oben liegenden Luftschicht, die sie nicht durchstoßen konnten, gefangen. Sie blieben ausgesperrt aus ihren eigentlichen Gefilden, den Häuser­wänden und Straßenschluchten, aber sie waren wieder da. Ihre spitzen Schreie blieben aus, sie flogen keine Schrauben, stießen sich an keinen Mauern ab, fielen nicht im Sturzflug, um plötzlich abzubremsen und wieder aufzusteigen. Sie standen in surrenden Kreisen so hoch am Himmel, in einem seltsamen Frieden.

Hin und wieder erfasste sie ein Taumeln, dann erinnerten sie an die ausgezehrten Fliegen, die drinnen die Deckenlampe wieder und wieder umkreisten, und auch wenn man meinte, gleich müssten sie herunterfallen, kreisten sie auch Stunden später noch, und noch später wurden sie zu Schatten, die auch dann noch auf den Augen tanzten, als sie längst fort waren.

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Die Bäume sind noch nicht grün, das Land ist noch nicht im Lot. Die brennende Sonne, die Holzdielen, der Boden der Terrasse ist grau, hier und da gerissen, spröde. Die Wut kann entweder in ein großes Liegen verschwinden oder bleibt als Blase. – Schon halb verwittert auf den Holzdielen meine Kopfhörer, eine Schlange mit zwei kleinen Köpfen. Ein Buch, aufgeschlagen mit geknick­tem Rücken, eine Rose, die blüht auf dem Holz, der Schmutz in den Ritzen des Zauns, und eine Amsel keckert in den kahlen Zweigen, in der Sonne trocknen meine ungekämmten Haare, und die große Tanne hat ein altes Grün, die Wiese hat ein altes Grün. Die Dächer haben ein altes Rot, die Ziegeln, alte Ziegeln, alte Fenster, alte Krüge mit alten Pflanzen, alles ist trocken, und die Sonne wird langsam weiß. Zwischen die Ritzen der Dielen fallen alte Tannennadeln, mein Mundwinkel reißt immer wieder ein, wenn ich lache oder etwas sagen will. Ließe ich den Mund zu, würde der Riss verwachsen und heilen, aber das will ich nicht. Der Wind bewegt mein Haar, meine nackten Füße auf den Die­len, es riecht nach frischem Nagellack, dabei kann ich doch nicht lange meine Hände ruhig halten, – bis sich etwas eindellt – eine Windbö, und der von den Frosttagen fein gemahlene Staub weht auf in Puderwolken. Alte Pflanztöpfe mit Winterrissen, zerbro­chene Tonschalen, ein alter Vorleger, man kann nicht alles neu machen, man nimmt das Alte, bewegt sich darin wie neu, kann nicht alles austauschen. Zusammenklappbare Campingstühle, die alte Tischdecke auf dem Bistrotisch, die dreckigen Fransen. Verschiebbare Treppenstufen, ins Haus hinein.

Beim Schleudergang der Waschmaschine klirrt die Wohnung, die Schrauben des Türschlosses lockern sich weiter. Das feine Geäst des Hauses speichert alle Erschütterungen und wandelt sie um in ein hauseigenes Pulsieren. Jeder vorbeifahrende LKW,

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jeder Zug, jeder Schritt im Treppenhaus fügt dem Hauspuls eine neue Frequenz hinzu. Nachts ist er als tiefes Brummen wahrnehmbar, das Ruhegeräusch einer riesenhaften, nicht zu ortenden Maschine.

Es ist, als würden wir fortwährend ganz leicht ausgeschüttelt, wie Bettzeug, und dabei Stück für Stück verloren gehen.

Als ich einschlafe, streift etwas meine Haut: Es bewegt sich an Fäden durchs Zimmer und webt mich ein. Mit einer kleinen Be­wegung könnte ich mich befreien, aber ich liege reglos. Beinahe so wäre das Zimmer jetzt ohne mich. Wenn nur mein Körper da­rin läge, in einer Weste, die ich angezogen hatte, weil mir kühl war. Fadenscheinige, fast durchsichtige Betttücher, sich in dieser Nacht beim Atmen auflösender Stoff, noch die Stofftaschen tücher aus der Kindheit zum Trost; vor dem Fenster in einem dünnen Licht der im Stofftaschentuch verschwindende Atem.

Ich geh mit Lou hinaus in die grauen Flächen. Ich habe mir müh­sam gemerkt, dass beim Gehen ins Grau irgendwo plötzlich Licht entsteht, der Wald sich öffnet an einer Stelle, oder aus dem Weg ein Steinrücken wächst aus hellen gelben Steinen, in denen noch Wärme gespeichert ist und Ruhe. Die Kanten dieser aus dem Moosgrün wie Zähne empordrückenden Steine schneiden den Wind ab, der über das Feld in den Wald fetzt; ein sehr hoher Ton, dann: das Ende des Windes.

Nur noch das gleichmäßige Tropfen der aus den Baumkronen herabperlenden Feuchtigkeit, zartes Flappen fallender Laub­blätter, Geriesel fallender Zweige, und ganz weit oben, unerreich­bar von hier unten, noch bunte Schecken kleiner, an den Wipfeln hängender Sonnenflecken.

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Eine Nebelschlange liegt über dem Fluss; augenblicklich stirbt sie und fließt zu einer Lache aus, wie dünne Milch sickert sie in die Wiesen und Felder.

Die Dorfstraße führt immer weiter nach oben, ins Feld, und bei aufbrechendem Himmel in ein gleißendes Blau.

An manchen Stellen bilden die Reifenspuren nur ein zartes, über den Weg gelegtes Muster: wie auf Haut, wenn Haut lange Zeit auf etwas lag, auf einer Falte, auf Gras. Die klare Grenzlinie zwischen Gras und Erde, Erde und Stein. An anderer Stelle ist der Weg von schweren Traktorenreifen aufgebrochen, umgepflügt worden; an der tief in den Schlamm gefahrenen Rinne fallen kleine Steil­ufer ab; schwere, wie zu Stein getrocknete Erdschollen mit tiefen Rissen, Wurzelfäden und Kieseln in ihren Abbruchflächen. Auf der Wiese liegt schon lange nasses Heu.

Wir fädeln uns durch das Öhr im Gebüsch, ein Tier springt zur Seite, raschelt weg, der Geruch nach nassem Holz und dunklen Blättern, am Wegrand aufgehäuft etliche biegsame Zweige und Äste, wofür? Hin und wieder einen genommen und Lou hinge­worfen, die dann, wie von neuer Energie (Stockenergie) durch­strömt, mit dem langen Ast über den Weg jagt und ihn mir von hinten gegen die Beine schlägt. Das Blätterdach schließt sich über uns, öffnet sich wieder, und dann liegt vor uns der See. Ich werfe einen Zweig ins Wasser und Lou sieht ihm nach, rennt auf die Wiese, jagt die Gänse auf.

Die Wiese ist von feinen Tonen überzogen, die, vom Regen gelöst, die ganze Fläche geschwemmt haben und jetzt getrocknet sind, zwischen den Hälmchen kleben als feiner gelber Staub.

Im Hintergrund die Geräusche der Feldfahrzeuge, der Traktoren.

Eigentlich: die Leere auf den Feldern, über ihnen Nebel­decken, Schalen aus milchigem, mit Gras gemischtem Licht. Alle

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Geräusche sind weit hinter den Waldrand gesogen worden, noch hinter die Frostlinie (leises Knistern in den Winterzäunen, ge­frorenes Fell nie gesehener Hasen, die Hosenbeine voller nasser Tannen nadeln).

Komm so nicht heim!Anscheinend bist du viel zu weit weg gewesen.

Drei Jahre lang hatte ich regungslos zwischen den dicken Matten gelegen, als ich von einer Frau geweckt wurde. Ich solle weiter still liegen bleiben, flüsterte sie, bald könne ich fort. Das Still­liegen fiel mir noch immer schwer. Wie lange habe ich hier ge­legen, fragte ich. Drei Jahre, sagte sie. Dann wurde ich entlas­sen, aber in eine Welt nur aus Entlassenen, die gleich wieder Gefangene waren. Ich sollte hier bleiben. Ich konnte in eins dieser Häuser einziehen, egal in welches. Hier sollst du wohnen, wurde mir gesagt, weg kannst du nicht. In meiner Brust stach ein derartiger Schmerz, dass ich fast zusammenbrach. Doch das war gut. Ich würde hier wegkommen, musste hier wegkommen, an­ders ging es nicht. Hier konnte man weder leben noch sterben. Mir war klar, dass es hier kein Ende geben würde, dass man auch keins würde setzen können. Ich musste weg.

Ich verwandelte mich in einen Balken, hing regungslos über dem Fenster. Ich verwandelte mich in ein Stück Holz, das auf dem Meer schwamm, dann in einen Fisch. Ich wurde von Blicken verfolgt, das Netz zog sich enger, doch irgendwie, durch immer erneute Verwandlungen, schaffte ich es zu entkommen.

Jetzt, es geht nicht zum Meer (es ist nicht hier), zieht es mich hoch auf die Felder, die hinter schmalen Streifen Wald an den Flanken des Tals liegen. Wie genau sich die sehr weiten, aber nicht tiefen

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Wälder erstrecken, wo sie ausdünnen, erschließt sich mir nicht. Auf den Karten sind es klar abgegrenzte, quaderförmige Blöcke, tatsächlich liegen ihre Ränder wie dunkle Seile neben den Wiesen.

Die Felder bespannen kleine Flächen und Wölbungen, doch wo genau das Flusstal ist, und wo genau die anderen hingestreu­ten, eingesunkenen Ortschaften, wie die Himmelsrichtungen hier, ich weiß es nicht.

Die dunklen Erhebungen der Alb, doch so nah, hier gleich, doch wohin muss ich gehen und wie weit ist es.

Die Alb ist im Gegenlicht eine hohe Welle, die, beständig, fort­laufend auf uns zukommt.

So lange, wie sie schon auf uns zukommt –

Der Wind in den Feldern und der Himmel, das vom Sturm strup­pige Gras.

Im Büro die Geräusche der Hereinkommenden. Das leise Knallen beim Öffnen der Tür, das Warten auf das freudige Tapsen des Hundes. Das Ausbleiben des Geräuschs und das vom Herzen schnell in den Körper ausfließende Gift der Enttäuschung. Dann das flache Hasten von C. Immer wenn er ins untere Stockwerk herunterkommt, wird er gleich angesprochen, nicht einmal das: nur gerufen, schlaff, von den Sitzplätzen aus, und doch fordernd, aus verschiedenen Räumen heraus, er ist ja an seinen Schritten sofort erkennbar, dabei war er heruntergekommen, um etwas ganz anderes, etwas eigenes, zu tun. Dagegen der gemächliche, wankende Schritt von O., die Gemütlichkeit, die ihn umgibt wie ein Schwamm und die selbst seine schwersten Schritte aufsaugt. Dann endlich: das Tippeln und Klacken der Hundepfoten.

Das ständige Stolpern über Lou, die sich vor die Tür knäu­elt und in den Fußboden einsinkt. So überbrückt sie die nutz­

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lose Zeit bis zur nächsten sie betreffenden Aktion. Die plötzliche Wehmut, weil ein Kollege auf mein Nachfragen hin etwas sucht, aber nicht findet, langsam in den Räumen herumgeht, ohne Ergebnis. Ich möchte ihn in den Arm nehmen und sagen, hör auf zu suchen, es ist nicht so wichtig, es hat keinen Sinn, aber das ist natürlich unmöglich.

In der Auffangschale des großen Rechners ein Teppich aus hell­gelben Hundehaaren. Ein Lodern beginnt, unmerklich, ein Insichbrennen. Trotzdem starren alle weiter in ihre Bildschirme, gleich daneben breiten sich die Lichtungen aus, Verästelungen von Licht. Die gelben Haarflocken wehen im Gehwind der Innen raumgehenden über den Holzboden, wo die Sonne hinfällt glimmen sie auf.

Das winzige Kind, es knabbert an einem Salatblatt, Erbsen mag es nicht, auch keine sehr kleinen. Das Kind ist so winzig, dass es auch zu kleine Augen hat. Man kann ihm keine Sommerkleider anziehen über seinem Stahlmantel, der das Kind immer umgibt, den es immer trägt, denn darin ist die Technik (die Kindtechnik, sein Leben) verstaut, darüber passt höchstens noch ein weites Jäckchen. Auf der Straße schimpfen die Passanten: Dass man solche Kriegskinder noch in die Welt setzt!

Herr Z. steht im Hauseingang, umgeben vom rostrot leuchtenden Türrahmen, leicht zur Seite geneigt, und ich meine, er sagte, ich bin der bunte Herbst, ich bin das Lodern, und lachte dann.

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Als mir neulich mit einem pfeilartig auf mich gerichteten, laut zischenden „Psst!“ bedeutet wurde, ich solle leise sein, zer­brachen die Muscheln, die ich jahrelang in einem großen Glas im Bad gesammelt hatte. Ich sehe gleich eine Art gemeinsames, jeweils über eine gewisse Strecke überwundenes und doch immer wieder neu zu überwindendes Leid: gefällig zu sein unter be­stimmten Menschenarten.

Oben im Fenster des Büros sehe ich den Kopf von C. reglos über dem Schreibtisch stehen; gleich wird er seine Umrisse verlieren, nach oben steigen wie ein Ballon, und verschwinden. R. ist unten im Haus, ihr Kopf ist ein Fisch, der muss unter Wasser sein. Hin und wieder schwimmt er am Fenster vorbei, ich klopfe gegen die Scheibe, ihr Kopf, ein unscharfes Bild, nickt mir zu.

Die kleinen Lichtgeister an den Zigarettenenden, zwei, drei Minuten lang.

Die steil in den Wald abfallende Straße ist eine Sackgasse; die Mülleimer stehen vor den hellen Häusern, einzeln, alle leer, bis in den Wald hinein.

Die Bauarbeiter, auf die ich nach zwei Runden durch das Wohngebiet treffe, sprechen Slowenisch. Sowohl die, die am Beton mischer lehnen, als auch die etwas abseits Stehenden, die ich erst gar nicht den Bauarbeitern zugerechnet hatte. Sie können mir nicht sagen, wo ich bin, heben entschuldigend die Schultern. Der Fahrer eines großen schwarzen Wagens, den ich durch die geschlossene Scheibe sehr laut habe ansprechen müssen, ver­sucht mir zu erklären, wo wir uns befinden und wie der Weg wei­tergeht. Ich muss mich schräg in den Wagen hineinbeugen, um