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18 werden mit Behinderung Was ändert sich bei Volljährigkeit? .................................................................. von Katja Kruse und Sebastian Tenbergen

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18 werden mit Behinderung– Was ändert sich bei Volljährigkeit?

..................................................................von Katja Kruse und Sebastian Tenbergen

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Impressum

18 werden mit Behinderung – Was ändert sich bei Volljährigkeit?

AutorenKatja Kruse Sebastian Tenbergen, LL.M.

HerausgeberBundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V.Brehmstr. 5-7, 40239 DüsseldorfTel. 0211 / 64 00 4-0Fax: 0211 / 64 00 4-20e-mail: [email protected]

7. Auflage, Januar 2019

Druckreha gmbh, Saarbrücken

HinweiseDer Inhalt der Broschüre wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch können Irrtümer nicht ausgeschlossen werden. Auch können seit der Drucklegung rechtliche Änderun-gen eingetreten sein. Es wird deshalb keine Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Informationen übernommen. Insbesondere wird die Haftung für sachli-che Fehler oder deren Folgen ausgeschlossen.

Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass bei der Schreib-weise in Anlehnung an die Formulierung der einschlägi-gen Gesetzestexte (z. B. der rechtliche Betreuer, der Pfle-gebedürftige usw.) die männliche Form verwendet wird. Selbstverständlich beziehen sich die Texte immer auf alle Geschlechter.

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Vorbemerkung

Der 18. Geburtstag ist ein besonderer Tag. Denn an die-sem Tag wird man in Deutschland volljährig. Das bedeu-tet, dass man ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich alle Rechte und Pflichten eines Erwachsenen hat und für sein Handeln selbst verantwortlich ist. Volljährige Menschen können zum Beispiel Verträge schließen, ihren Führer-schein machen oder heiraten. Der vorliegende Ratgeber will behinderten Menschen und ihren Eltern einen Überblick darüber geben, was sich für sie mit Beginn dieses neuen Lebensabschnitts ändert. Bei den Rechten und Leistungen, die gleich bleiben, ver-weist der Ratgeber auf die Broschüre „Mein Kind ist be-hindert – diese Hilfen gibt es“, die ebenfalls vom Bundes-verband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen (bvkm) herausgegeben wird. Am Ende der einzelnen Ka-pitel werden außerdem Hinweise auf weitere vertiefende Ratgeber gegeben. Die Bestelladressen hierfür finden Sie im Anhang der Broschüre.

Düsseldorf, Januar 2019Katja Kruse & Sebastian Tenbergen, LL.M.

AbkürzungsverzeichnisBAföG BundesausbildungsförderungsgesetzBTHG Bundesteilhabegesetzbvkm Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V.GdB Grad der BehinderungIFD IntegrationsfachdienstPB Persönliches BudgetSGB SozialgesetzbuchSGB II (Recht der) Grundsicherung für ArbeitssuchendeSGB V (Recht der) Gesetzlichen KrankenversicherungSGB IX (Recht der) Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit BehinderungenSGB XI (Recht der) Sozialen PflegeversicherungSGB XII (Recht der) SozialhilfeUB Unterstützte BeschäftigungWfbM Werkstatt für behinderte Menschenz. B. zum Beispiel

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Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung 3

Abkürzungsverzeichnis 3

A. Geschäftsfähigkeit, 7 Bürgerrechte und -pflichten 7

I. Geschäftsfähigkeit 7

II. Rechtliche Betreuung 8

1. Vorschlagsrecht des Betreuten 10

2. Pflichten des rechtlichen Betreuers 10

3. Aufwandsentschädigung 10

4. Vollmacht 11

5. Betreuungsverfügung 12

6. Patientenverfügung 13

III. Ausweispflicht 15

IV. Wahlrecht 15

V. Strafrechtliche Verantwortlichkeit 16

VI. Führerschein 17

VII. Ehe 18

VIII. Testierfähigkeit 18

IX. Staatsangehörigkeit 20

B. Schwerbehindertenausweis 20

C. Kindergeld 21

D. Steuerrecht 23

E. Leistungen zum Lebensunterhalt 24

I. Arbeitslosengeld II 25

II. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung 25

III. Wohngeld 29

F. Leistungen der Krankenversicherung 30

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I. Versicherungspflicht/Familienversicherung 30

II. Leistungen 31

III. Zuzahlungen 33

G. Leistungen bei Pflegebedürftigkeit 34

I. Leistungen der Pflegeversicherung 35

1. Pflegesachleistung und Pflegegeld 35 2. Entlastungsbetrag 37 3. Leistungen bei Verhinderung der P flegeperson 38 4. Besondere Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen 40 5. Kurzzeitpflege 40 6. Pflege in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe 41

II. Zusammentreffen von Leistungen der Pflegeversicherung und Leistungen der Eingliederungshilfe 42

III. Hilfe zur Pflege 43

H. Eingliederungshilfe 46

I. Bundesteilhabegesetz 48

II. Nachrangigkeit der Sozialhilfe 48

III. Einkommensgrenze 49

IV. Vermögensgrenze 51

V. Sonderregelung für Eltern volljähriger Kinder 52

VI. Zusammentreffen von Leistungen der Eingliederungshilfe und Leistungen der Pflegeversicherung 53

VII. Gesamtplanverfahren 53

VIII. Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft 54

1. Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse 54

2. Förderung der Verständigung 55

3. Hilfen zum Wohnen 55

4. Hilfen in betreuten Wohnmöglichkeiten 55

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5. Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben 55

6. Hilfsmittel 56

J. Ausbildung, Studium und Beruf 56

I. Ausbildung 57

1. Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz 57

2. Berufsbildungswerk 58

3. Studium 59

II. Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 59

1. Integrationsfachdienst 59

2. Unterstützte Beschäftigung 59

3. Begleitende Hilfen im Beruf 59

4. Kündigungsschutz und Zusatzurlaub 59

III. Werkstatt für behinderte Menschen 61

IV. Andere Leistungsanbieter 63

V. Budget für Arbeit 63

VI. Tagesförderstätte 64

K. Wohnen 65

I. Stationäre Einrichtungen der Behindertenhilfe 65

II. Ambulant betreutes Wohnen 67

L. Spezielle Regelungen für Teilhabeleistungen 68

I. Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung 69

II. Zuständigkeitsklärung 69

III. Teilhabeplanverfahren 69

IV. Persönliches Budget 70

M. Unterhaltspflicht der Eltern 71

N. Versicherungsschutz 72

O. Behindertentestament 73

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A. Geschäftsfähigkeit, Bürgerrechte und -pflichten

Mit der Vollendung des 18. Lebensjahrs erlangt man in Deutschland die Volljährigkeit. Das bedeutet, dass man ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich alle Rechte und Pflich-ten eines Erwachsenen hat und für sein Handeln selbst verantwortlich ist. Dieses Kapitel geht auf Besonderhei-ten ein, die dabei für Menschen mit Behinderung gelten.

I. Geschäftsfähigkeit

Eine der wichtigsten Rechtsfolgen, die in der Regel mit dem Eintritt in das 18. Lebensjahr verbunden ist, stellt das Erlangen der Geschäftsfähigkeit dar. Es handelt sich dabei um die Fähigkeit, wirksam Rechtsgeschäfte ab-schließen zu können, wie beispielsweise Arbeits-, Kauf- oder Mietverträge. Geschäftsfähigkeit setzt voraus, dass die volljährige Person in der Lage ist, die Bedeutung und Tragweite einer von ihr abgegebenen Erklärung einzuse-hen.

Fehlt diese Einsicht, liegt Geschäftsunfähigkeit vor. Zu-treffen kann dies z. B. auf Menschen, die in hohem Maße geistig oder psychisch behindert sind. Geschäftsunfähige Menschen können grundsätzlich keine Rechtsgeschäfte vornehmen. Ausgenommen hiervon sind Geschäfte des täglichen Lebens, die wenig Geld kosten. Hierunter fallen z. B. die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln und der Kinobesuch. Für geschäftsunfähige Volljährige ist in der Regel ein rechtlicher Betreuer zu bestellen.

Mit der Volljährigkeit des Kindes endet das Sorgerecht der Eltern und damit ihre Befugnis, das Kind in allen, auch rechtlichen, Angelegenheiten zu vertreten. Konnten die Eltern zuvor beispielsweise noch bestimmen, wo und mit wem ihr Kind zusammenlebt, hängt diese Entschei-dung nun einzig und allein vom Willen des volljährigen Menschen ab. Mit Vollendung des 18. Lebensjahres kann es vorkommen, dass von den Eltern oder den Großeltern über einen langen Zeitraum angespartes Vermögen mit dem Zweck, dem Kind die Finanzierung einer Ausbildung

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zu ermöglichen, von dem volljährig gewordenen Kind zu fremden Zwecken verwendet wird. Ist ein Vermögen, beispielsweise in Form eines Sparbuches, nur auf den Namen des Kindes angelegt, kann nach dem Eintritt der Volljährigkeit rechtlich nicht verhindert werden, dass das volljährige Kind auf das Vermögen zugreift und nach seinen eigenen Vorstellungen verwendet. Um dem vorzu-beugen besteht die Möglichkeit, in Sparverträgen eine Sperrzeit vornehmen zu lassen. So kann erreicht werden, dass angespartes Vermögen erst zu einem Zeitpunkt an das Kind ausbezahlt wird, in dem es reifer ist. Möglich ist es auch, zu bestimmen, dass eine Auszahlung vorhande-nen Vermögens nur mit dem Einverständnis einer ande-ren Person als der des Kindes erfolgen kann.

TippMenschen mit Behinderungen sind häufig auf Leistungen der Sozialhilfe angewiesen. Dies können z. B. Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (siehe unten Kapitel E. II.), Leistungen der Hilfe zur Pflege (siehe unten Kapitel G. III.) oder Leistungen der Eingliederungshilfe (siehe unten Kapitel H.) sein. Sozialhilfe erhält grundsätzlich nur, wer die be-nötigte Leistung nicht mit eigenem Einkommen und Vermögen finanzieren kann. Sparvermögen, das einen bestimmten Freibetrag übersteigt, muss zunächst verbraucht werden, bevor man Sozialhilfe in Anspruch nehmen kann. Je nach Art der Hilfeleistung bewegt sich der Freibetrag zwischen 5.000 und 30.000 Euro. Das Ansparen von Vermögen für Menschen, die voraussichtlich ihr Leben lang auf Leistungen der Sozialhilfe an-gewiesen sein werden, muss vor diesem Hinter-grund gut überlegt werden.

II. Rechtliche Betreuung

Ist ein volljähriger Mensch aufgrund einer Behinderung nicht in der Lage, seine Angelegenheiten ganz oder teil-weise selbst zu besorgen, wird ihm auf Antrag oder von Amts wegen ein rechtlicher Betreuer bestellt. Zuständig

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hierfür ist eine Abteilung des Amtsgerichts, die man Be-treuungsgericht nennt. Geschäftsunfähigkeit ist keine Voraussetzung für die rechtliche Betreuung. Auch volljäh-rige Menschen, die geschäftsfähig sind, können einen Be-treuer bekommen, wenn sie aufgrund einer Behinderung rechtliche Unterstützung bei der Erledigung bestimmter Angelegenheiten benötigen.

Die Bestellung darf nur für die Aufgabenkreise erfolgen, in denen eine Betreuung erforderlich ist. Es gibt drei wesentliche Aufgabenbereiche: die Vermögenssorge, die Personensorge und die Gesundheitssorge. Ist ein er-wachsener behinderter Mensch beispielsweise einerseits imstande, sein Geld selbst zu verwalten, andererseits aber nur eingeschränkt in der Lage, notwendige Arztbe-suche wahrzunehmen, wird die Betreuung lediglich für den Aufgabenkreis der Gesundheitssorge, nicht aber für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge bestellt.

Die Bestellung eines Betreuers ist keine Entrechtung. Sie hat nicht zur Folge, dass der betreute Mensch geschäfts-unfähig wird. Ein geschäftsfähiger Betreuter kann also noch selbst wirksam Verträge schließen und Geld von seinem Konto abheben. Etwas anderes gilt, wenn das Betreuungsgericht einen sogenannten Einwilligungsvor-behalt angeordnet hat. Dies darf nur in Ausnahmefällen geschehen, nämlich dann, wenn ohne diese Anordnung eine erhebliche Gefahr für die Person oder das Vermö-gen der betreuten Person droht. In der Praxis handelt es sich meistens um Fälle, in denen die betreute Person auf-grund einer psychischen Erkrankung ihren Willen nicht mehr frei bestimmen kann und daher erhebliche Ausga-ben tätigt, die zu Überschuldung und z. B. der Gefahr des Wohnungsverlustes führen. Der Einwilligungsvorbehalt bewirkt, dass Rechtsgeschäfte eines geschäftsfähigen Betreuten erst mit Zustimmung des Betreuers wirksam werden.

TippIn vielen Orten gibt es sogenannte Betreuungs-vereine, von denen man sich beraten lassen kann, wenn man Fragen zur Anordnung und Durchfüh-rung einer rechtlichen Betreuung hat. Auch unter-

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stützen die Betreuungsvereine ehrenamtliche Betreuer bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben.

1. Vorschlagsrecht des Betreuten

Die Person, für die eine Betreuung angeordnet werden soll, darf einen Betreuer vorschlagen. Das Betreuungs-gericht darf den Vorschlag nur dann übergehen, wenn sonst das Wohl des Betreuten gefährdet wäre (Beispiel: Der Betreute schlägt eine Person zum Betreuer in Ver-mögensangelegenheiten vor, die bereits wegen Unter-schlagung in Haft war.). Schlägt der Betreute nieman-den vor, sind vorzugsweise Angehörige, also Eltern, Kinder oder Ehegatten zu bestellen.

2. Pflichten des rechtlichen Betreuers

Der Betreuer vertritt den behinderten Menschen in den Aufgabenkreisen, für die er bestellt worden ist, gericht-lich und außergerichtlich. Er soll für den Betreuten eine Hilfe sein und diesen nicht bevormunden. Die Angele-genheiten des Betreuten hat er so zu besorgen, wie es dessen Wohl und Wünschen entspricht. Der Betreuer muss sich durch persönliche Kontakte und Bespre-chung wichtiger anstehender Entscheidungen ein Bild davon machen, welche Vorstellungen der Betreute hat, was er gerne möchte und was er nicht will.

Darüber hinaus hat der Betreuer eine Reihe allgemeiner Pflichten. Er muss dem Betreuungsgericht z. B. einmal jährlich Bericht erstatten über die persönlichen Lebens-umstände des Betreuten (Wohnsituation, gesundheitli-cher Zustand, Einkommensverhältnisse etc.). Betreuer mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge haben außerdem die Pflicht zur Erstellung eines Vermögens-verzeichnisses sowie zur jährlichen Rechnungslegung. Ist ein Elternteil zum Betreuer bestellt worden, werden an die Rechnungslegung nicht so hohe Anforderungen gestellt.

3. Aufwandsentschädigung

Ehrenamtlich tätige Betreuer können Ersatz für die

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Auslagen verlangen, die ihnen im Rahmen ihrer Betreu-ertätigkeit entstanden sind. Ersatzfähig sind z. B. Fahrt-, Porto- und Telefonkosten. Der Betreuer hat die Wahl, ent-weder alle Aufwendungen durch Einzelnachweise geltend zu machen (Aufwendungsersatz), oder aber die jährliche Aufwandspauschale in Höhe von derzeit 399 Euro ohne Vorlage von Einzelnachweisen zu verlangen (Aufwands-entschädigung). Die Aufwandspauschale muss innerhalb der gesetzlich festgelegten Frist beantragt werden, da sie sonst verfällt. Grundsätzlich muss der Betreute mit seinem Einkommen und Vermögen für die Auslagen seines Betreuers aufkom-men. Ist der Betreute jedoch mittellos, hat der Betreuer einen entsprechenden Anspruch gegen die Staatskasse.

4. Vollmacht

In Einzelfällen kann die Bestellung eines rechtlichen Be-treuers durch die Erteilung einer Vollmacht vermieden werden. Mit einer solchen Erklärung kann ein volljähri-ger Mensch mit Behinderung z. B. seine Eltern oder eine andere Person seines Vertrauens bevollmächtigen, ihn in bestimmten Angelegenheiten, rechtlich zu vertreten. Die Vollmacht kann sich je nach individueller Ausgestaltung z. B. erstrecken auf

• die Regelung finanzieller Angelegenheiten (wie Kon-toeröffnung und -führung),

• die Vertretung gegenüber Ämtern und Behörden, • den Abschluss von Verträgen,• die Regelung gesundheitlicher Belange (Entschei-

dungen über Operationen, Gespräche mit behan-delnden Ärzten) oder

• die Interessenwahrnehmung gegenüber Einrichtun-gen und Diensten der Behindertenhilfe.

Im Gegensatz zum rechtlichen Betreuer unterliegt ein Be-vollmächtigter nicht der Kontrolle durch das Betreuungs-gericht. Auch kann eine Vollmacht für das Selbstwert-gefühl des Betroffenen besser sein als eine rechtliche Betreuung. Betrifft eine Vollmacht alle Lebensbereiche, spricht man von einer „Generalvollmacht“. Eine Voll-

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macht kann nur von geschäftsfähigen Menschen erteilt werden.

TippAuch Menschen mit einer leichten Lern- oder Sin-nesbehinderung sind grundsätzlich in der Lage, eine rechtswirksame Vollmacht zu erteilen. Die-sem Personenkreis fällt es aber häufig schwer, den in juristischer Sprache formulierten Text einer Vollmacht zu verstehen. Der Verein Leben mit Behinderung Hamburg hat deshalb eine Voll-macht in einfacher Sprache entwickelt.

Für Vollmachten gibt es keine Formvorschriften. Eine Vollmacht kann auch mündlich erteilt werden. Dennoch empfiehlt es sich, eine Vollmacht notariell beurkunden zu lassen, weil sie dann im Rechtsverkehr, insbesondere bei der Abwicklung von Bankgeschäften, ohne Weiteres akzeptiert wird.

TippEine Vollmacht ist nur zu empfehlen, wenn ein verlässliches Vertrauensverhältnis zwischen dem behinderten Menschen und dem Bevollmächtig-ten besteht. Sinnvoll kann es außerdem sein, sich vor einer Vollmachtserteilung in einem Betreu-ungsverein vor Ort beraten zu lassen.

Weiterführende Literatur• bvkm (Hrsg.): Ich sorge für mich! Vollmacht

in leichter Sprache • Leben mit Behinderung Hamburg Elternver-

ein e.V. (Hrsg.): Infopapier „Vollmacht in ein-facher Sprache“

5. Betreuungsverfügung

Mit einer Betreuungsverfügung kann man bestimmen, wer für den Fall, dass künftig eine rechtliche Betreuung notwendig wird, zum Betreuer bestellt werden soll und welche Person dieses Amt auf keinen Fall ausüben soll. Auch können Wünsche und Anweisungen an den Betreu-er für bestimmte voraussehbare Situationen festgehalten

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werden. Eine Betreuungsverfügung sollte schriftlich ab-gefasst werden.

Anders als bei einer Vollmacht muss für die Erstellung einer Betreuungsverfügung keine Geschäftsfähigkeit ge-geben sein. Die in der Betreuungsverfügung geäußerten Wünsche sind für das Betreuungsgericht grundsätzlich auch dann zu beachten, wenn sie von einem Geschäfts-unfähigen geäußert wurden.

TippEine Betreuungsverfügung sollte so aufbewahrt werden, dass sie bei Eintritt des Betreuungs-falls leicht auffindbar ist, damit sie unverzüglich dem zuständigen Betreuungsgericht zugeleitet werden kann. In einigen Bundesländern ist die Hinterlegung einer Betreuungsverfügung beim Gericht möglich.

6. Patientenverfügung

In einer Patientenverfügung kann man regeln, wie be-stimmte gesundheitliche Fragen entschieden werden sollen, falls man selbst zu einer solchen Entscheidung nicht mehr in der Lage ist. Geregelt werden kann z. B., in welchen Krankheitssituationen

• keine Wiederbelebungsmaßnahmen erfolgen sollen oder

• von einer künstlichen Ernährung abgesehen werden soll.

Eine Patientenverfügung muss schriftlich erfolgen. Ge-schäftsfähigkeit ist für das Erstellen einer Patientenverfü-gung nicht erforderlich, sondern lediglich die sogenann-te Einwilligungsfähigkeit. Das bedeutet, der Betroffene muss in der Lage sein, Art, Bedeutung und Tragweite sei-ner Entscheidung zu erfassen.

Liegt eine wirksame Patientenverfügung vor und ist für den Betroffenen ein rechtlicher Betreuer bestellt, muss sich der Betreuer bei gesundheitlichen Entscheidungen nach den Anweisungen richten, die in der Patientenver-

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fügung festgelegt sind. Dasselbe gilt für einen Bevoll-mächtigten, wenn der Betroffene einer Person seines Ver-trauens Vollmacht zur Regelung seiner gesundheitlichen Belange erteilt hat.

BeachteDas Erstellen einer Patientenverfügung ist ein höchstpersönliches Rechtsgeschäft, das jeder Mensch nur für sich selbst vornehmen kann. Ein rechtlicher Betreuer darf also z. B. nicht für sei-nen Betreuten eine Patientenverfügung verfas-sen. Das kann nur der Betreute selber, sofern er über die hierfür erforderliche Einwilligungsfähig-keit verfügt.

Liegt keine Patientenverfügung vor und ist der Betroffene zum Zeitpunkt einer notwendigen medizinischen Heilbe-handlung einwilligungsunfähig, muss der Betreuer bzw. Bevollmächtigte die Entscheidung über die Behandlung nach dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen treffen. Er muss also ermitteln, was der Patient für sich selbst in der Situation entscheiden würde, wenn er es könnte.

Steht bei schwerbehinderten Menschen, die z. B. an ei-ner Krebserkrankung leiden, eine Entscheidung über die Durchführung lebensverlängernder Maßnahmen an, kann es zwischen Betreuer und behandelndem Arzt zum Konflikt kommen. Einige Ärzte legen Betreuern nahe, das „lebenslange Leiden“ des Betroffenen nicht unnötig zu verlängern.

BeachteSind sich Arzt und Betreuer nicht darüber einig, welche ärztliche Maßnahme dem mutmaßlichen Behandlungswunsch des Patienten entspricht, muss das Betreuungsgericht über den medizini-schen Eingriff entscheiden.

Heilbehandlungen, die dem natürlichen Willen des Be-treuten widersprechen und damit ärztliche Zwangsmaß-nahmen darstellen, können vom Betreuer unter engen Voraussetzungen erlaubt werden. Erforderlich ist unter anderem, dass sich der Betreute stationär in einem Kran-kenhaus aufhält, die Maßnahme notwendig ist, um einen

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erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden und der Betreute in einer Patientenverfügung nichts anderes bestimmt hat.

III. Ausweispflicht

Bereits ab dem 16. Lebensjahr ist man verpflichtet, einen Personalausweis zu besitzen. Erziehungsberechtigte, die es vorsätzlich oder leichtfertig unterlassen, als gesetzli-cher Vertreter eines Minderjährigen für diesen einen Aus-weis ausstellen zu lassen, handeln ordnungswidrig und können mit einer Geldbuße belegt werden. Den Personal-ausweis muss man nicht ständig bei sich führen.

Bei den neuen Personalausweisen, die das Format einer Scheckkarte haben, muss das Foto zur biometrischen Er-kennung geeignet sein. Konkret heißt das unter anderem, dass der Ausweisinhaber mit neutralem Gesichtsaus-druck und geschlossenem Mund gerade in die Kamera blicken muss. Die Augen müssen geöffnet und deutlich sichtbar sein. Diese Anforderungen können einige be-hinderte Menschen, insbesondere mit schweren Formen einer cerebralen Bewegungsstörung, nicht erfüllen. In der Personalausweisverordnung ist deshalb vorgesehen, dass die Ausweisbehörden aus medizinischen Gründen Ausnahmen von den Vorgaben für das Foto zulassen kön-nen.

IV. Wahlrecht

Mit Vollendung des 18. Lebensjahres hat jeder deutsche Staatsangehörige die Möglichkeit, das aktive Wahlrecht auszuüben. Aktives Wahlrecht bedeutet, bei einer Wahl seine Stimme für einen Kandidaten abgeben zu dür-fen. Passives Wahlrecht ist das Recht, bei einer Wahl, z. B. zum Deutschen Bundestag, gewählt zu werden. In Deutschland genießen alle Bürger ab dem 18. Lebens-jahr das passive Wahlrecht auf kommunaler und auf Bundesebene. Auf der Landesebene liegt das Alter für die Wählbarkeit in Hessen bei 21 Jahren, in allen übrigen Bundesländern bei 18 Jahren. Kein aktives und passives Wahlrecht haben in der Regel Personen, die unter einer

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Vollbetreuung, das heißt unter einer rechtlichen Betreu-ung für alle Angelegenheiten, stehen. Ist eine Betreuung lediglich für einzelne Angelegenheiten angeordnet, führt dies nicht zum Verlust des Wahlrechts.

BeachteAufgrund einer Änderung in den entsprechen-den Landeswahlgesetzen durften im Jahr 2017 bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein erstmals auch Menschen wählen, für die eine rechtliche Betreuung in al-len Angelegenheiten angeordnet war. Branden-burg hat sein Landes- und Kommunalwahlgesetz 2018 ebenfalls entsprechend geändert. Darüber hinaus hat die Bundesregierung in ihrem Koaliti-onsvertrag vom 7. Februar 2018 angekündigt, den Wahlrechtsausschluss von Menschen, die sich durch eine Vollbetreuung unterstützen lassen, in der laufenden Legislaturperiode für die Wahl des Bundestages abzuschaffen.

Wähler, die wegen einer körperlichen Beeinträchtigung nicht dazu in der Lage sind, den Stimmzettel zu kenn-zeichnen, zu falten oder selbst in die Wahlurne zu wer-fen, können eine andere Person bestimmen, um Hilfe bei der Stimmabgabe zu erhalten. Dasselbe gilt für Wähler, die nicht lesen können. Soweit es im Einzelfall aufgrund der vorliegenden Behinderung erforderlich ist, darf die Hilfsperson gemeinsam mit dem Wähler die Wahlzelle aufsuchen. Die Hilfsperson ist auf die Erfüllung der Wün-sche des Wählers beschränkt und zur Geheimhaltung hin-sichtlich der Stimmabgabe verpflichtet. Ist Hilfestellung bei der Wahl beabsichtigt, muss dies dem Wahlvorstand bekannt gegeben werden. Für blinde oder sehbehinder-te Wähler besteht darüber hinaus die Möglichkeit, eine Stimmzettelschablone mit Brailleschrift zu verwenden.

V. Strafrechtliche Verantwortlichkeit

In Deutschland ist man grundsätzlich ab dem 14. Lebens-jahr strafbar. Auf Jugendliche (also Personen von 14 bis 17 Jahren) findet das Jugendstrafrecht mit seinen milderen

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Strafen Anwendung. Auch auf Heranwachsende (18- bis 21-jährige) kann Jugendstrafrecht anwendbar sein, wenn es sich um eine jugendtypische Tat handelt oder der He-ranwachsende nach seiner geistigen Entwicklung einem Jugendlichen gleichsteht. Ansonsten kommt ab dem 18. Lebensjahr das Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung. Voraussetzung für die Strafbarkeit ist die Schuldfähigkeit des Täters. Diese ist nicht gegeben, wenn der Täter bei Be-gehung der Tat z. B. wegen einer krankhaften seelischen Störung oder wegen einer tiefgreifenden Bewusstseins-störung unfähig war, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Dies kann bei Epilepsie, Demenz, Schizophrenie oder anderen Psychosen der Fall sein. Hat ein schuldunfähiger Täter eine schwerwiegende Tat begangen und sind von ihm infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten, kann das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen. Ist die Schuldfähigkeit zwar ge-geben, aber aufgrund leichterer Formen von Demenz, Neurosen oder ähnlicher Erkrankungen erheblich vermin-dert, kommt eine Strafmilderung in Betracht.

VI. Führerschein

Auch erwachsene Menschen mit Behinderung haben grundsätzlich die Möglichkeit, einen Führerschein zu er-halten. Im Einzelfall darf die Fahrerlaubnisbehörde aber Einschränkungen festlegen, die bei der Erlangung der Fahrerlaubnis und der Teilnahme am Straßenverkehr zu beachten sind. Dies kommt immer dann in Betracht, wenn die Möglichkeit besteht, dass infolge körperlicher oder geistiger Mängel des Fahrzeugführers die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer gefährdet ist. Nach der Fahr-

erlaubnisverordnung muss ein Mindestmaß an Sehver-mögen von Fahrzeugführern in jedem Fall gegeben sein.

Liegen andere körperliche oder geistige Beeinträchtigun-gen vor, kann die Behörde die Fahrerlaubnis im Einzelfall mit geeigneten Auflagen oder Beschränkungen erteilen. Die Behörde muss diese Möglichkeiten vollständig prü-fen, bevor eine generelle Verweigerung der Fahrerlaubnis in Betracht kommt. Erst wenn die Sicherheit des Stra-

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ßenverkehrs auch durch Auflagen oder Beschränkungen nicht sichergestellt werden kann, darf die Erteilung der Fahrerlaubnis verweigert werden. Als Auflagen oder Be-schränkungen sind beispielsweise die Einschränkung der Fahrerlaubnis auf bestimmte Arten von Fahrzeugen, auf bestimmte Strecken (z. B.: Verkehr nur zwischen Woh-nung und Arbeitsstelle, über verkehrsarme Straßen, Ver-kehr nur zu bestimmten Zeiten), die Anordnung der Be-nutzung besonderer genau bezeichneter Hilfsmittel oder auch ein Nachtfahrverbot denkbar.

VII. Ehe

Voraussetzung für die Eheschließung ist die Ehefähig-keit. Dafür müssen Ehemündigkeit und Geschäftsfähig-keit (siehe hierzu oben unter A. I.) vorliegen. Die Ehemün-digkeit tritt mit der Vollendung des 18. Lebensjahres ein. Die Ehegeschäftsfähigkeit wird großzügiger beurteilt als die allgemeine Geschäftsfähigkeit. Beide Partner müssen begreifen, was es bedeutet, füreinander Verantwortung zu übernehmen, und insoweit in der Lage sein, eine freie Willensentscheidung zu treffen. Die Eheschließung er-folgt im Allgemeinen dadurch, dass die Eheschließenden vor dem Standesbeamten erklären, die Ehe eingehen zu wollen. Seit 1. Oktober 2017 ist es auch für Personen glei-chen Geschlechts möglich, eine Ehe zu schließen (soge-nannte „Ehe für alle“). Zuvor konnten Personen gleichen Geschlechts nur eine eingetragene Lebenspartnerschaft nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz eingehen.

VIII. Testierfähigkeit

Testierfähigkeit ist die Fähigkeit, ein Testament zu errich-ten, zu ändern oder aufzuheben. Bereits mit der Vollen-dung des 16. Lebensjahres ist es einem (dann noch min-derjährigen) Kind möglich, ein Testament zu errichten. Zur Errichtung eines Testaments bedarf der Minderjähri-ge auch nicht der Zustimmung seiner Eltern.

Grundsätzlich können auch Menschen mit einer geisti-gen Behinderung und Menschen, für die ein rechtlicher

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Betreuer bestellt wurde (siehe oben unter A. II.) ein Tes-tament errichten. Testierunfähig sind Menschen mit Be-hinderung lediglich dann, wenn sie aufgrund ihrer Behin-derung nicht in der Lage sind, die Bedeutung einer von ihnen abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Ausgeschlossen von der Testamentserrichtung sind daher in der Regel Menschen mit einer schweren geistigen Behinderung.

Bei der Errichtung eines Testaments sind bestimmte Formvorschriften zu beachten. Ein Testament kann ent-weder selbst niedergeschrieben (sogenanntes eigen-händiges Testament) oder zur Niederschrift eines Notars errichtet (sogenanntes öffentliches Testament) werden. Ein eigenhändiges Testament muss von Anfang bis Ende handschriftlich geschrieben und unterschrieben sein und sollte zusätzlich mit einem Datum versehen werden. Das öffentliche Testament wird errichtet, indem der Testie-rende entweder dem Notar seinen letzten Willen münd-lich erklärt oder ihm ein Schriftstück mit der Erklärung übergibt, dass dieses seinen letzten Willen enthalte. Die hierüber erstellte Niederschrift muss in Gegenwart des Notars vorgelesen, genehmigt und eigenhändig unter-schrieben werden.

Diese Formvorschriften haben zur Folge, dass bei be-stimmten Behinderungsarten die Testamentserrichtung ganz ausgeschlossen ist bzw. die Testamentserrichtung nur in Form des sogenannten öffentlichen Testaments erfolgen kann. Zum Beispiel dürfen Menschen, die nicht imstande sind zu lesen, unter anderem also blinde oder hochgradig sehbehinderte Menschen, nicht eigenhändig testieren. Sie können ihr Testament nur öffentlich errich-ten, indem sie dem Notar ihren letzten Willen mündlich erklären oder ihm eine in Blindenschrift verfasste Erklä-rung übergeben. Auch bei Schreibunfähigkeit kommt ein eigenhändiges Testament nicht in Betracht. Ganz ausge-schlossen von der Testamentserrichtung sind Menschen, die sich auf keinerlei Weise erklären können, also weder schriftlich noch mündlich noch mit Hilfe einer zur Verstän-digung herbeigezogenen Person.

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IX. Staatsangehörigkeit

Ein Kind ausländischer Eltern erwirbt mit seiner Geburt in Deutschland neben der Staatsangehörigkeit der Eltern auch die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Eltern-teil zum Zeitpunkt der Geburt seit acht Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt und ein unbefristetes Aufenthalts-recht besitzt. Nach Vollendung des 21. Lebensjahres muss das Kind sich zwischen der deutschen und der ausländi-schen Staatsangehörigkeit entscheiden (Optionspflicht), es sei denn, es ist in Deutschland aufgewachsen oder es besitzt neben der deutschen nur die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedsstaates der Europäischen Union oder der Schweiz. Nähere Informationen zu diesem The-ma gibt es auf der Internetseite des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge: www.bamf.de

B. Schwerbehindertenausweis

Das Sozialgesetzbuch IX (Recht der Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen), das Einkom-mensteuergesetz sowie eine Reihe weiterer Gesetze sehen für behinderte Menschen zum Ausgleich behinderungsbe-dingter Nachteile oder Mehraufwendungen eine Reihe von Rechten, Hilfen und Einsparungsmöglichkeiten (Nachteil-sausgleiche) vor. Nachteilsausgleiche können überwie-gend nur genutzt werden, wenn die Eigenschaft als schwer-behinderter Mensch und weitere Voraussetzungen durch einen Schwerbehindertenausweis nachgewiesen werden.

Der Schwerbehindertenausweis ist in den meisten Bun-desländern beim Versorgungsamt zu beantragen. In eini-gen Bundesländern (z. B. in Baden-Württemberg und Nord-rhein-Westfalen) sind die Versorgungsämter aufgelöst und deren Aufgabengebiete auf Städte und Gemeinden bzw. Landratsämter übertragen worden. Das Versorgungsamt stellt anhand der Schwere der behinderungsbedingten Beeinträchtigungen den Grad der Behinderung (GdB) fest. Beträgt der GdB mindestens 50, liegt eine Schwerbehin-derung vor und es wird ein Schwerbehindertenausweis ausgestellt. Liegt der GdB unter 50, wird lediglich ein Be-scheid über die Höhe des GdB ausgestellt. Geprüft wird außerdem, ob die Voraussetzungen für bestimmte Merk-

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zeichen vorliegen, die im Schwerbehindertenausweis eingetragen werden können und zur Inanspruchnahme bestimmter Nachteilsausgleiche berechtigen. Die Be-deutung der Merkzeichen wird im Ratgeber des bvkm „Mein Kind ist behindert – diese Hilfen gibt es“ erklärt. Dort gibt es auch eine Übersicht über die wesentlichen Nachteils ausgleiche.

Häufig überprüft das Versorgungsamt nach Vollendung des 18. Lebensjahres sowohl den GdB als auch die Vor-aussetzungen für das Vorliegen etwaiger Merkzeichen. Insbesondere das Merkzeichen H (welches Personen zusteht, die hilflos sind, weil sie ständig fremder Hilfe bedürfen) wird nach dem Eintritt der Volljährigkeit oft aberkannt. Dies kann in der Folge auch zu einer Aber-kennung des Merkzeichens B, welches zur kostenlosen Mitnahme einer Begleitperson im öffentlichen Perso-nenverkehr berechtigt, führen. Hintergrund hierfür ist die Annahme, dass Volljährige infolge des Reifungs-prozesses – etwa nach Abschluss der Pubertät – aus-reichend gelernt haben, die wegen der Behinderung erforderlichen Maßnahmen ohne Hilfspersonen selbst-ständig und eigenverantwortlich durchzuführen.

TippSoweit die Aberkennung des Merkzeichens H durch die Behörde pauschal, also ohne eine Prüfung des Einzelfalles erfolgt, ist es ratsam, gegen eine solche Entscheidung Rechtsmittel einzulegen.

Weiterführende LiteraturLandschaftsverband Rheinland (Hrsg.):• Behinderung und Ausweis• Leistungen zur Teilhabe am Arbeits- und

Berufsleben und Nachteilsausgleiche für (schwer-)behinderte Menschen

C. Kindergeld

Kindergeld wird Eltern grundsätzlich bis zur Vollen-dung des 18. Lebensjahres ihres Kindes gezahlt. Es beträgt für die ersten beiden Kinder jeweils 194 Euro,

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für das dritte 200 Euro und für jedes weitere Kind jeweils 225 Euro im Monat. Ab 1. Juli 2019 wird der jeweils maß-gebliche Betrag um 10 Euro erhöht.

Den Eltern eines behinderten Kindes kann auch nach Eintritt der Volljährigkeit ein Anspruch auf Kindergeld zustehen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Behinderung vor der Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten und das Kind außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Letzteres ist unter anderem der Fall, wenn das Kind nicht in der Lage ist, seinen gesamten notwendigen Lebensbedarf durch eigene Mittel (Einkommen, Rente usw.) zu decken. Der Lebensbe-darf eines behinderten Kindes setzt sich aus einem gesetz-lich festgesetzten Grundbedarf (dieser beläuft sich im Jahr 2019 auf 9.168 Euro und im Jahr 2020 auf 9.408 Euro) und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zu-sammen. Liegen die genannten Voraussetzungen vor, wird für behinderte Kinder über das 18. Lebensjahr hinaus ohne Altersbeschränkung Kindergeld geleistet.

In der Regel wird das Kindergeld an die Eltern ausgezahlt. Leistet das Sozialamt dem behinderten Kind Unterhalt (z. B. indem es die Kosten einer Wohnheimunterbringung übernimmt), darf die Familienkasse das Kindergeld aber unter bestimmten Voraussetzungen ganz oder teilweise an das Sozialamt auszahlen (sogenannte Abzweigung). Bei Kindern, die in einer stationären Einrichtung oder im ambulant betreuten Wohnen leben, ist eine Abzweigung nur zulässig, wenn die Eltern keine Unterhaltsaufwen-dungen für ihr Kind haben. Wohnen Kinder im Haushalt ihrer Eltern, kommt eine Abzweigung nach der Rechtspre-chung des Bundesfinanzhofs regelmäßig nicht in Frage.

TippDie „Argumentationshilfen gegen die Abzwei-gung des Kindergeldes“ des bvkm zeigen, wie sich Eltern gegen Abzweigungsanträge der Sozi-alämter zur Wehr setzen können. Sie sind auf der Internetseite www.bvkm.de in der Rubrik „Recht & Ratgeber“ unter „Argumentationshilfen/Kin-dergeld“ zu finden.

Weiterführende Literaturbvkm (Hrsg.): Kindergeld für erwachsene Men-

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schen mit Behinderung – Merkblatt für Eltern behinderter Kinder (mit Beispielrechnungen zum Anspruch auf Kindergeld)

D. Steuerrecht

Steuererleichterungen sind für behinderte Menschen insbesondere im Einkommensteuergesetz und im Kraft-fahrzeugsteuergesetz vorgesehen. An das Erreichen der Volljährigkeit sind keine besonderen Steuervorteile ge-knüpft.

Eine der wichtigsten steuerlichen Erleichterungen ist der im Einkommensteuergesetz geregelte Behinderten-pauschbetrag. Mit diesem Betrag werden die typischen Mehraufwendungen eines behinderten Menschen, wie z. B. ein erhöhter Wäscheverbrauch sowie die Kosten der Unterbringung in einem Heim usw., abgegolten. Die Höhe des Pauschbetrages richtet sich nach dem dauernden Grad der Behinderung (GdB). Für behinderte Menschen, die hilflos sind (Merkzeichen „H“ im Schwerbehinderten-ausweis) und für Blinde beträgt er 3.700 Euro.

TippDer Pauschbetrag eines behinderten Kindes kann auf Antrag auf die Eltern übertragen werden, wenn das Kind ihn nicht selbst in Anspruch nimmt und die Eltern für das Kind Kindergeld oder einen Kinderfreibetrag erhalten. Auch der Pauschbe-trag eines volljährigen Kindes mit Behinderung kann also auf Antrag auf die Eltern übertragen werden, sofern die Eltern weiterhin Kindergeld für das Kind beziehen (siehe dazu die Ausführun-gen in Kapitel C.).

Neben dem Behindertenpauschbetrag können weitere außergewöhnliche Belastungen des behinderten Men-schen gesondert in der Einkommensteuererklärung gel-tend gemacht werden. Hierzu zählen z. B. Kosten für Fahr-ten aus privatem Anlass und Krankheitskosten. Haben sich die Eltern den Pauschbetrag ihres Kindes übertragen lassen, können auch sie diese Kosten zusätzlich geltend machen.

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Bei den Werbungskosten gilt für behinderte Arbeitneh-mer, sofern sie einen GdB von mindestens 70 oder einen GdB von mindestens 50 und eine erhebliche Gehbehin-derung (Merkzeichen „G” im Schwerbehindertenaus-weis) haben, folgende Sonderregelung: Sie können die Aufwendungen, die Ihnen tatsächlich pro Kilometer für die Hin- und Rückfahrt zwischen Wohnung und Arbeits-platz entstanden sind, geltend machen. Wird der Mensch mit Behinderung von einer anderen Person zu seinem Arbeitsplatz gefahren, weil er das Kfz nicht selbst führen kann, und fährt diese Person zwischendurch zum Wohn-ort zurück, können außerdem die Aufwendungen für die-se Leerfahrten geltend gemacht werden (in diesem Fall also insgesamt viermal die einfache Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte). Statt der tatsächlich ent-standenen Kosten können auch pro gefahrenem Kilome-ter für die Hin- und Rückfahrt sowie ggf. der Leerfahrten 30 Cent angesetzt werden.

Aufgrund des Kraftfahrzeugsteuergesetzes können fer-ner schwerbehinderte Menschen, die ein Auto haben, voll oder teilweise von der Kraftfahrzeugsteuer befreit werden, wenn das Fahrzeug nur im Zusammenhang mit ihrer Fortbewegung oder der Führung ihres Haushalts benutzt wird. Der Steuervorteil muss schriftlich entwe-der gleichzeitig mit der Zulassung des Fahrzeugs bei der Zulassungsbehörde oder beim Hauptzollamt beantragt werden.

Weiterführende Literaturbvkm (Hrsg.): Steuermerkblatt für Familien mit behinderten Kindern (jährlich aktualisiert)

E. Leistungen zum Lebensunterhalt

Reicht das Einkommen eines behinderten Menschen nicht aus, um seinen Lebensbedarf (Ernährung, Unterkunft etc.) zu bestreiten, kann er unter Umständen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beanspruchen. Die-se Leistungen werden im Wesentlichen entweder in Form des Arbeitslosengeldes II nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) oder in Form der Grundsicherung im Alter und bei

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Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) gewährt. Während einer Ausbildung oder eines Stu-diums kommen ferner Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) in Betracht (siehe dazu die Ausführungen in Kapitel J. I. 1.).

I. Arbeitslosengeld II

Arbeitslosengeld II (auch „Hartz IV“ genannt) erhalten Personen, die zwischen 15 und 64 Jahre alt, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind. Erwerbsfähig ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen sichern kann.

Das Arbeitslosengeld II besteht im Wesentlichen aus dem Regelbedarf und dem Bedarf für Unterkunft und Heizung inklusive Warmwasserbereitung. Der Regelbedarf um-fasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie sowie persönliche Bedürf-nisse des täglichen Lebens und wird als monatlicher Pauschalbetrag geleistet. Für alleinstehende Personen beläuft sich der Regelbedarf seit dem 1. Januar 2019 auf 424 Euro im Monat. Behinderte Hilfebedürftige, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes oder Hilfe zur Ausbildung für eine angemessene Tätigkeit erbracht wer-den, erhalten außerdem einen Mehrbedarfszuschlag in Höhe von 35 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs.

Anträge sind in der Regel bei der örtlichen Arbeitsagentur zu stellen.

II. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung

Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung wird hilfebedürftigen Personen gewährt, die entweder

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das 65. Lebensjahr vollendet haben oder die volljäh-rig und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind. Volle Erwerbsminderung besteht, wenn ein Mensch wegen Krankheit oder Behinderung außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Behinderte Menschen, die in einer Werkstatt für behin-derte Menschen (WfbM) oder in einer Tagesförderstätte beschäftigt sind, werden als dauerhaft voll erwerbsge-mindert angesehen.

Auch bei Menschen mit Behinderung, die den Eingangs- oder Berufsbildungsbereich einer WfbM durchlaufen, ist nach Auffassung des bvkm von einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung auszugehen. Diese Frage ist aber zur-zeit sehr umstritten.

TippWird der Grundsicherungsantrag eines Menschen mit Behinderung, der den Eingangs- oder Berufs-bildungsbereich einer WfbM durchläuft, abge-lehnt, sollte hiergegen Widerspruch eingelegt werden. Einen Musterwiderspruch gibt es unter www.bvkm.de.

Die Grundsicherung ist eine Leistung der Sozialhilfe. Sie ist im SGB XII geregelt und umfasst folgende Leistungen:

• den für den Leistungsberechtigten maßgebenden Regelsatz,

• die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sowie zentrale Warmwas-serversorgung,

• einen Mehrbedarf von 17 Prozent der maßgebenden Regelbedarfsstufe bei Besitz eines Schwerbehinder-tenausweises mit dem Merkzeichen „G“ oder „aG“,

• einen angemessenen Mehrbedarf für kranke oder behinderte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen,

• einen Mehrbedarf soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und

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• die Übernahme von Kranken- und Pflegeversiche-rungsbeiträgen.

Der Regelsatz wird als monatlicher Pauschalbetrag für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haus-haltsenergie sowie persönliche Bedürfnisse des tägli-chen Lebens geleistet. Die Höhe des Regelsatzes richtet sich danach, welcher sogenannten Regelbedarfsstufe der Leistungsberechtigte angehört. Die Regelbedarfs-stufe 1 in Höhe von derzeit 424 Euro (Stand: 2019) gilt für erwachsene Personen, die entweder allein in einer Wohnung oder gemeinsam mit anderen erwachsenen Personen, aber nicht in einer Partnerschaft leben. Auch erwachsene Menschen mit Behinderung, die gemeinsam mit ihren Eltern in einer Wohnung leben, können daher diesen Regelsatz beanspruchen.

Menschen mit Behinderung, die in einer Wohngemein-schaft leben (z. B. im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens), sind ebenfalls der Regelbedarfsstufe 1 zuge-ordnet. Die Regelbedarfsstufe 2 in Höhe von zurzeit 382 Euro gilt für Partner (Ehegatten oder Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerähnlicher Gemein-schaft), die in einer gemeinsamen Wohnung leben.

Neben den vorgenannten regelmäßig anfallenden Leis-tungen erhalten Grundsicherungsberechtigte außerdem Leistungen für folgende einmalige Bedarfe:

• die Erstausstattung einer Wohnung einschließlich der Haushaltsgeräte,

• die Erstausstattungen für Bekleidung,• die Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Ge-

burt sowie• die Anschaffung und Reparaturen von orthopädi-

schen Schuhen, Reparaturen von therapeutischen Geräten und Ausrüstungen sowie die Miete von the-rapeutischen Geräten.

Grundsicherung erhalten sowohl Menschen, die in ei-ner eigenen Wohnung leben als auch Menschen, die im Wohnheim oder im Haushalt der Eltern wohnen. Ein Unterhaltsbeitrag von den Eltern wird für diese Leistung nicht erhoben.

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TippIn dem Monat, in dem ein voll erwerbsunfähiger Mensch 18 wird, sollte er – auch wenn er noch bei seinen Eltern lebt – einen Antrag auf Grundsiche-rung stellen.

Anspruch auf Grundsicherungsleistungen haben voll er-werbsunfähige Menschen nur, wenn sie bedürftig sind, also ihren Lebensunterhalt nicht mit eigenem Einkom-men und/oder Vermögen sicherstellen können. Bezieht ein Mensch mit Behinderung nach 20-jähriger Tätigkeit in einer WfbM eine Erwerbsunfähigkeitsrente und ist er in der Lage, mit dieser Rente seinen Grundsicherungs-bedarf zu decken, hat er deshalb keinen Anspruch auf Grundsicherung. Verwertbares Vermögen ist grundsätz-lich ebenfalls zur Deckung des Grundsicherungsbedarfs einzusetzen. Bestimmte Vermögenswerte werden jedoch vom Gesetzgeber geschützt, bleiben also bei der Bedürf-tigkeitsprüfung unberücksichtigt. Dazu gehört z. B. ein angemessenes Hausgrundstück, das vom Grundsiche-rungsberechtigten bewohnt wird. Geschützt sind auch Barbeträge oder sonstige Geldwerte (z. B. Spar- oder Kontoguthaben) bis zu einem gesetzlich festgelegten Be-trag. Dieser beläuft sich seit 1. April 2017 auf 5.000 Euro. Neu ist außerdem, dass für jede volljährige Person, deren Einkommen und Vermögen für die Gewährung von Sozi-alhilfe maßgeblich ist (das kann neben dem Leistungsbe-rechtigten selbst unter anderem dessen Ehegatte sein), jeweils 5.000 Euro berücksichtigt werden. Für jede Per-son, die vom Leistungsberechtigten oder dessen Ehegat-ten überwiegend unterhalten wird, kommen ferner 500 Euro hinzu.

Konkret bedeutet das: Ist der Leistungsberechtigte ver-heiratet und hat ein Kind beläuft sich der Vermögensfrei-betrag auf 10.500 Euro. Der Freibetrag setzt sich in einem solchen Fall wie folgt zusammen:

Leistungsberechtigter: 5.000 EuroEhegatte: 5.000 EuroKind: 500 Euro

Summe: 10.500 Euro

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Kein Anspruch auf Grundsicherung besteht, wenn das jährliche Gesamteinkommen eines Elternteils 100.000 Euro überschreitet. In diesem Fall können bedürftige, voll erwerbsgeminderte Menschen aber unter bestimmten Voraussetzungen Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII beanspruchen. Bei erwachsenen Menschen, die im Haushalt ihrer Eltern leben, ist die Gewährung dieser Leistung davon abhängig, dass sie mindestens 25 Jahre alt sind. Der Kostenbeitrag von Eltern erwachsener Kin-der mit Behinderung beschränkt sich bei der Hilfe zum Lebensunterhalt auf 25,19 Euro im Monat. Ab 1. Juli 2019 steigt der Betrag auf monatlich 26,49 Euro.

Anträge auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sind beim Sozialamt zu stellen.

TippDer bvkm bietet auf seiner Internetseite www.bvkm.de Argumentationshilfen für Rechtsproble-me an, die bei der Grundsicherung häufig auftre-ten.

Weiterführende Literaturbvkm (Hrsg.): Grundsicherung nach dem SGB XII – Merkblatt für behinderte Menschen und ihre Angehörigen

III. Wohngeld

Menschen mit geringem Einkommen können Wohngeld als Zuschuss zu den Aufwendungen für Wohnraum erhal-ten. Ob ein Anspruch auf Wohngeld besteht, richtet sich nach den Voraussetzungen des Wohngeldgesetzes. Der Anspruch auf Wohngeld und die Höhe hängen von vier Faktoren ab, nämlich der Antragsberechtigung, der Zahl der Personen, die den Haushalt bewohnen, dem tatsäch-lichen Aufwand für den Wohnraum und dem Einkommen. Die möglichen Leistungen nach dem Wohngeldgesetz lassen sich nach dem so genannten Mietzuschuss und dem Lastenzuschuss unterscheiden. Den Mietzuschuss können grundsätzlich Mieter und Untermieter einer Miet-wohnung sowie Inhaber eines mietähnlichen Dauerwohn-

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rechts beantragen. Anspruch auf einen Lastenzuschuss können Eigentümer eines Eigenheimes, einer landwirt-schaftlichen Nebenerwerbsstelle oder einer Eigentums-wohnung haben. Das Wohngeld wird ab dem Datum der Antragstellung geleistet. Der Antrag ist bei der örtlichen Wohngeldstelle zu stellen. Keinen Anspruch auf Wohn-geld haben Bezieher von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und Arbeitslosengeld II-Empfänger.

Weiterführende LiteraturBundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (Hrsg.): Wohngeld 2016/2017 Ratschläge und Hinweise (jetzt zu be-stellen über das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat)

F. Leistungen der Krankenversicherung

Die Krankenkasse gewährt den Versicherten Leistungen zur Früherkennung und Behandlung von Krankheiten. Der Leistungsumfang und die Leistungsvoraussetzungen der gesetzlichen Krankenversicherung sind im Sozialge-setzbuch V festgelegt. Bei den privaten Krankenkassen ergeben sich diese Inhalte aus dem jeweiligen Versiche-rungsvertrag. Die nachfolgende Übersicht beschränkt sich auf Besonderheiten, die bei Erreichen der Volljährig-keit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zu beachten sind.

I. Versicherungspflicht/Familienversicherung

Minderjährige Kinder sind in der Regel im Rahmen der Fa-milienversicherung über ihre Eltern, meistens über den-jenigen, der ein Erwerbseinkommen erzielt (so genannter Stammversicherter), krankenversichert. Der Vorteil einer Familienversicherung besteht vor allem darin, dass die Krankenversicherung für die Angehörigen des Stammver-sicherten beitragsfrei ist. Vom Grundsatz her besteht die Familienversicherung ab dem Erreichen der Volljährigkeit nicht mehr. Stattdessen haben Volljährige die Pflicht, selbst eine beitragspflichtige Krankenversicherung ab-

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zuschließen. Von diesem Grundsatz macht das Gesetz jedoch Ausnahmen, das heißt die Familienversicherung kann grundsätzlich über das 18. Lebensjahr hinaus fort-bestehen

• bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres, wenn das Kind nicht erwerbstätig ist,

• bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres, wenn sich das Kind in einer Schul- oder Berufsausbildung oder in einem freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahr befindet,

• ohne Altersgrenze, wenn das Kind aufgrund einer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unter-halten (zu den Voraussetzungen siehe Kapitel C)

BeachteWird die bereits bestehende altersunabhängige Familienversicherung eines behinderten Kindes durch eine anderweitige Versicherungspflicht, etwa aufgrund einer Beschäftigung, verdrängt, so gilt dies lediglich für die Dauer der Beschäf-tigung. Endet diese, lebt der Krankenversiche-rungsschutz im Rahmen der Familienversiche-rung wieder auf.

Bei der Arbeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen handelt es sich um ein versicherungspflichtiges Beschäf-tigungsverhältnis. Werkstattbeschäftigte müssen sich deshalb eigenständig gegen Krankheit versichern und sind nicht mehr im Rahmen der Familienversicherung über die Eltern krankenversichert. Etwas anderes gilt für behinderte Menschen, die eine Tagesförderstätte besu-chen. Für sie besteht die Familienversicherung fort.

II. Leistungen

Volljährige Menschen können, ebenso wie alle ande-ren gesetzlich Krankenversicherten, die Leistungen der Krankenversicherung beanspruchen. Dazu gehört z. B. die Versorgung mit Arznei- sowie Heil- und Hilfsmitteln. Einen Überblick über die wesentlichen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gibt der Ratgeber des bvkm „Mein Kind ist behindert – diese Hilfen gibt es“.

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Für erwachsene Versicherte gelten folgende Besonder-heiten:

• Sie können grundsätzlich nur verschreibungspflichti-ge Arzneimittel beanspruchen. Ausnahmsweise sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel aber dann von der Krankenkasse zu leisten, wenn das Medika-ment als Standard-Therapie zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung erforderlich ist. Die Medikamente, die in derartigen Fällen ärztlich verord-net werden dürfen, sind in Anlage I zum Abschnitt F der Arzneimittel-Richtlinien abschließend festgelegt. Aufgeführt sind dort z. B. Abführmittel zur Behand-lung bei Tumorleiden oder neurogener Darmlähmung sowie Antiseptika und Gleitmittel für Versicherte mit Katheterisierung. Die Liste wird ständig aktualisiert und ist im Internet unter www.g-ba.de abrufbar.

• Sie haben grundsätzlich keinen Anspruch auf Seh-hilfen (z. B. Brillen). Ausgenommen davon sind voll-jährige Menschen mit folgenden schweren Sehbe-einträchtigungen.• beidseitige Blindheit oder schwere Sehbeein-

trächtigung mindestens der Stufe 1 oder• starke Kurz- oder Weitsichtigkeit von mehr als

sechs Dioptrien oder• eine Hornhautverkrümmung von mehr als vier

Dioptrien.

Für gesetzlich versicherte Eltern von erwachsenen Men-schen mit Behinderung gelten folgende Besonderheiten:

• Sie erhalten ohne zeitliche Beschränkung Haus-haltshilfe, wenn es ihnen wegen einer Krankenhaus-behandlung, einer stationären oder ambulanten Kur oder wegen häuslicher Krankenpflege nicht möglich ist, den Haushalt weiterzuführen. Auch erhalten sie Haushaltshilfe, wenn ihnen die Weiterführung des Haushalts wegen schwerer Krankheit oder wegen akuter Verschlimmerung einer Krankheit, insbeson-dere nach einem Krankenhausaufenthalt, nach einer ambulanten Operation oder nach einer ambulanten Krankenhausbehandlung, nicht möglich ist. Der An-spruch ist in diesen Fällen allerdings auf 26 Wochen

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begrenzt. Voraussetzung in beiden Fallkonstellatio-nen ist ferner, dass im Haushalt ein Kind lebt, das be-hindert und auf Hilfe angewiesen ist. Außerdem darf es im Haushalt keine Person geben, die den Haus-halt weiterführen könnte.

• Sie haben Anspruch auf Krankengeld, wenn ein ärzt-liches Attest bestätigt, dass sie ihr erkranktes Kind pflegen oder betreuen müssen und deshalb nicht zur Arbeit gehen können. Das erkrankte Kind muss gesetzlich krankenversichert, behindert und auf Hilfe angewiesen sein. Ferner darf keine andere im Haushalt lebende Person zur Betreuung des Kindes zur Verfügung stehen. Der Anspruch besteht für 10 Arbeitstage je Kind und Jahr, bei Alleinerziehenden für 20 Arbeitstage je Kind und Jahr. Ohne zeitliche Begrenzung besteht der Anspruch für einen Eltern-teil, wenn das Kind an einer schweren, unheilbaren Erkrankung leidet, die eine begrenzte Lebenserwar-tung von Wochen oder wenigen Monaten erwarten lässt. Krankengeld kann in diesem Fall auch geltend gemacht werden, wenn das Kind stationär versorgt wird oder ambulante Leistungen eines Hospizes er-hält.

III. Zuzahlungen

Ab dem 18. Lebensjahr müssen Versicherte grundsätz-lich Zuzahlungen zu allen Leistungen der Krankenkasse leisten. Die Höhe der Zuzahlungen beträgt grundsätzlich 10 Prozent der Kosten der jeweiligen Leistung, wobei mindestens 5 Euro, höchstens aber 10 Euro je Leistung zu zahlen sind. Bei Heilmitteln und häuslicher Kranken-pflege beträgt die Zuzahlung 10 Prozent der Kosten sowie zusätzlich 10 Euro pro Verordnung. Als Zuzahlungen zu stationären Maßnahmen (z. B. bei einem Krankenhaus-aufenthalt) werden pro Kalendertag 10 Euro erhoben.

Es besteht jedoch die Möglichkeit, sich von der Zuzah-lungspflicht befreien zu lassen nachdem bereits ge-leistete Zahlungen eine bestimmte Belastungsgrenze überschritten haben. Diese Belastungsgrenze beträgt grundsätzlich zwei Prozent des jährlichen Bruttoeinkom-

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mens. Bei chronisch kranken und behinderten Versicher-ten ist die Belastungsgrenze auf ein Prozent des jährli-chen Bruttoeinkommens reduziert. Eine schwerwiegende chronische Erkrankung liegt nach der sogenannten Chro-niker-Richtlinie vor, wenn sich der Versicherte in ärztli-cher Dauerbehandlung befindet (ein Arztbesuch wegen derselben Krankheit pro Quartal) und zusätzlich mindes-tens eines der folgenden Kriterien erfüllt ist:

• Es liegt Pflegebedürftigkeit der Pflegegrade 3, 4 oder 5 vor.

• Es liegt ein Grad der Behinderung (GdB) von mindes-tens 60 oder eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 60 vor.

• Es ist eine kontinuierliche medizinische Versorgung erforderlich, ohne die eine lebensbedrohliche Ver-schlimmerung der Erkrankung, eine Verminderung der Lebenserwartung oder eine dauerhafte Beein-trächtigung der Lebensqualität zu erwarten ist.

Als maßgebliches Bruttoeinkommen wird bei Versicher-ten, die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beziehen, der jährliche Regelsatz eines Haushaltsvorstandes angesehen. Die Belastungs-grenze eines Grundsicherungsberechtigten beträgt dem-nach 101,76 Euro (zwei Prozent des Bruttoeinkommens) oder 50,88 Euro (ein Prozent des Bruttoeinkommens).

TippWird die Belastungsgrenze aufgrund geleisteter Zuzahlungen bereits innerhalb eines Kalender-jahres erreicht, sollte dies der Krankenkasse an-gezeigt werden. Nach einer Überprüfung erteilt die Krankenkasse eine Bescheinigung darüber, dass für den Rest des Kalenderjahres keine Zu-zahlungen mehr zu leisten sind.

G. Leistungen bei Pflegebedürftigkeit

Leistungen bei Pflegebedürftigkeit werden in der Regel von der Pflegeversicherung gewährt. Pflegebedürftig sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträch-

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tigungen ihrer Selbstständigkeit aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit einer gesetzlich festgelegten Schwere bestehen. Der Leistungsumfang der gesetzlichen Pfle-geversicherung ist im Sozialgesetzbuch XI geregelt. Die Leistungen der privaten Pflegeversicherung richten sich nach dem Pflegeversicherungsvertrag. Dieser muss Leis-tungen vorsehen, die denen der gesetzlichen Pflegeversi-cherung gleichwertig sind. Ein Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung besteht, wenn der Versicherte in den letzten zehn Jahren vor der Antragstellung mindes-tens zwei Jahre versichert war.

Durch das Zweite Pflegestärkungsgesetz (PSG II) ist zum 1. Januar 2017 der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff im SGB XI eingeführt worden. Statt der bisherigen drei Pflegestufen gibt es jetzt fünf Pflegegrade. Das Begut-achtungssystem, nach dem der Grad der Pflegebedürftig-keit ermittelt wird, wurde dazu auf eine neue Grundlage gestellt. Wer bereits am 31. Dezember 2016 pflegebedürf-tig war, wurde ohne erneute Begutachtung in das neue System übergeleitet.

I. Leistungen der Pflegeversicherung

Pflegebedürftige Menschen haben Anspruch auf häusli-che, teilstationäre und vollstationäre Pflege. Ob und in welcher Höhe Ansprüche auf Leistungen der Pflegever-sicherung bestehen, hängt vom Schweregrad der Pfle-gebedürftigkeit ab. Die Pflegeversicherung unterschei-det fünf Pflegegrade. Viele Leistungen werden nur für Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 gewährt. Der Gesetzgeber begründet dies damit, dass die Beeinträch-tigungen von Personen im Pflegegrad 1 gering seien und lediglich Teilhilfen bei der Selbstversorgung und bei der Haushaltsführung erforderten. Pflegebedürftige des Pfle-gegrades 1 haben deshalb nur begrenzten Zugang zu den Leistungen der Pflegeversicherung.

Für volljährige Menschen mit Behinderung gelten hin-sichtlich des Leistungsumfangs und der Leistungsvor-

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aussetzungen im Rahmen der Pflegeversicherung keine Besonderheiten. Einen Überblick über die wesentlichen Leistungen der Pflegeversicherung und das neue Begut-achtungssystem gibt der Ratgeber des bvkm „Mein Kind ist behindert – diese Hilfen gibt es“.

Nachfolgend werden einige Leistungen der Pflegeversi-cherung dargestellt, die für volljährige Menschen mit Be-hinderung von besonderer Bedeutung sind.

1. Pflegesachleistung und Pflegegeld

Wichtig für pflegebedürftige Menschen der Pflegegrade 2 bis 5, die in häuslicher Umgebung (also nicht in einer stationären Einrichtung) leben, sind insbesondere das Pflegegeld und die Pflegesachleistung. Pflegesachleis-tung bedeutet, dass professionelle Pflegekräfte die Versorgung übernehmen. Dies geschieht in der Regel durch einen zugelassenen ambulanten Pflegedienst. Wie bisher umfasst die Sachleistung körperbezogene Pfle-gemaßnahmen (wie z. B. Unterstützung beim Duschen, An- und Ausziehen, Benutzen einer Toilette) und Hilfen bei der Haushaltsführung (wie beispielsweise Einkau-fen, Kochen, Reinigen der Wohnung). Neu ist, dass auch pflegerische Betreuungsmaßnahmen – wie z. B. die Un-terstützung bei Hobby und Spiel oder die Begleitung zu Spaziergängen in der näheren Umgebung – als gleich-wertige und regelhafte Leistungen von den Pflegediens-ten erbracht werden dürfen. Nach der bis 31. Dezember 2016 geltenden Rechtslage war dies nur möglich, wenn die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung sichergestellt waren.

Anstelle der Sachleistung kann der pflegebedürftige Mensch Pflegegeld beantragen, wenn er damit in geeig-neter Weise seine Pflege selbst sicherstellen kann, bei-spielsweise indem er sich durch Angehörige betreuen lässt. Das Pflegegeld steht dem pflegebedürftigen Men-schen zu, der es an die Pflegeperson als finanzielle Aner-kennung weitergeben kann.

Seit 1. Januar 2017 sind folgende Beträge für die Pfle-gesachleistung und das Pflegegeld vorgesehen:

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Pflegegrad Pflegesachleis-tung monatlich bis zu

Pflegegeld monatlich

1 / /

2 689 Euro 316 Euro

3 1.298 Euro 545 Euro

4 1.612 Euro 728 Euro

5 1.995 Euro 901 Euro

Sachleistung und Pflegegeld können auch kombiniert in Anspruch genommen werden (sogenannte Kombinati-onsleistung). Das Pflegegeld wird in diesem Fall um den Prozentsatz gemindert, zu dem von der Pflegeversiche-rung Sachleistungen erbracht werden.

2. Entlastungsbetrag

Alle Pflegebedürftigen, die häuslich gepflegt werden, ha-ben ferner Anspruch auf einen Entlastungsbetrag in Höhe von monatlich 125 Euro. Im Gegensatz zur bis 31. Dezem-ber 2016 geltenden Rechtslage ist dieser Betrag seit 2017 für alle Pflegebedürftigen gleich hoch. Bislang belief er sich – je nach Ausmaß des allgemeinen Betreuungsbe-darfs – auf 104 oder 208 Euro im Monat.

Der Entlastungsbetrag steht nicht zur freien Verfügung, son-dern wird von der Pflegekasse als Kostenerstattung geleis-tet, wenn der Pflegebedürftige nachweist, dass er bestimm-te qualitätsgesicherte Leistungen zur Förderung seiner Selbstständigkeit im Alltag oder zur Entlastung pflegender Angehöriger in Anspruch genommen hat. Dazu gehören

• die Leistungen der Tages- und Nachtpflege, • die Leistungen der Kurzzeitpflege, • die Leistungen der ambulanten Pflegedienste und • die Leistungen der nach Landesrecht anerkannten

Angebote zur Unterstützung im Alltag.

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Hinsichtlich der Angebote von ambulanten Pflege-diensten gilt für Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 die Einschränkung, dass der Entlastungsbetrag nicht für Leistungen im Bereich der Selbstversorgung (also z. B. nicht für die Unterstützung beim An- und Ausziehen oder beim Toilettengang) eingesetzt wer-den darf. Er kann aber z. B. für die Hilfe bei Reini-gungsarbeiten und der Wäschepflege verwendet werden.

Nach Landesrecht anerkannte Angebote zur Un-terstützung im Alltag werden z. B. von Familienent-lastenden Diensten, ehrenamtlichen Helferkreisen sowie Serviceangeboten für haushaltsnahe Dienst-leistungen erbracht. Sie können die Betreuung von Pflegebedürftigen, Hilfen bei der Erledigung alltägli-cher Aufgaben, wie z. B. Haushaltsführung, Umgang mit Behörden oder Begleitung zum Einkauf sowie die organisatorische, beratende und emotionale Un-terstützung pflegender Angehöriger beinhalten. Für diese Angebote können Pflegebedürftige mit mindes-tens Pflegegrad 2 außerdem bis zu 40 Prozent ihres Pflegesachleistungsbetrages verwenden (sogenann-ter Umwandlungsanspruch, früher „Sachleistungs-budget“ genannt). Ein Versicherter mit Pflegegrad 4, der einen Pflegesachleistungsanspruch von 1.612 Euro hat, kann also zusätzlich zum Entlastungsbetrag von monatlich 125 Euro bis zu 644,80 Euro im Monat für Leistungen der nach Landesrecht anerkannten An-gebote zur Unterstützung im Alltag einsetzen. Macht er von dieser Möglichkeit Gebrauch, verringert sich sein Anspruch auf Pflegesachleistung um einen ent-sprechenden Betrag.

Wird der Entlastungsbetrag in einem Kalenderjahr nicht oder nicht vollständig in Anspruch genommen, kann er in das folgende Kalenderhalbjahr übertragen werden.

3. Leistungen bei Verhinderung der Pflegeperson

Von Bedeutung für häuslich gepflegte Versicherte ist ferner die sogenannte Verhinderungspflege. Ist eine Pflegeperson wegen Krankheit, Urlaub oder aus

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sonstigen Gründen an der Pflege gehindert, muss die Pflegekasse Pflegebedürftigen der Pflegegrade 2, 3, 4 und 5 für längstens sechs Wochen im Kalenderjahr eine Ersatzpflege bezahlen (sogenannte Verhinderungs-pflege). Voraussetzung ist, dass die Pflegeperson den Pflegebedürftigen mindestens sechs Monate in seiner häuslichen Umgebung gepflegt hat. Die Aufwendungen für die Ersatzpflege sind unabhängig von der Pflegestu-fe grundsätzlich auf bis zu 1.612 Euro im Jahr begrenzt. Allerdings besteht die Möglichkeit, den Betrag um bis zu 806 Euro aus Mitteln der Kurzzeitpflege aufzusto-cken. Für die Ersatzpflege stehen in diesem Fall maxi-mal 2.418 Euro pro Jahr zur Verfügung. Machen Versi-cherte von diesem Wahlrecht Gebrauch, verringert sich ihr Anspruch auf Kurzzeitpflege um einen entsprechen-den Betrag.

Verhinderungspflege muss nicht sechs Wochen am Stück, sondern kann auch in kleineren Zeiteinheiten über das ganze Jahr verteilt in Anspruch genommen werden. Mit dem Geld können Eltern z. B. die tage- oder stundenweise Betreuung ihres behinderten Kindes durch einen Familienunterstützenden Dienst finanzie-ren.

Die Ersatzpflege kann sowohl von Privatpersonen als auch z. B. durch ambulante Pflegedienste oder Famili-enunterstützende Dienste geleistet werden. Ist die Er-satzpflegeperson mit dem Pflegebedürftigen bis zum zweiten Grad verwandt oder verschwägert (dies trifft z. B. auf Großeltern gegenüber einem pflegebedürfti-gen Enkelkind zu) oder lebt sie mit ihm in häuslicher Gemeinschaft, wird die Verhinderungspflege grundsätz-lich nur in Höhe des jeweiligen Pflegegeldes gewährt. Zusätzlich kann die Pflegeversicherung in diesen Fällen nachgewiesene Aufwendungen der Ersatzpflegeperson (z. B. Verdienstausfall, Fahrtkosten) übernehmen.

Während der Inanspruchnahme von Verhinderungs-pflege wird die Hälfte des Pflegegeldes weitergezahlt. Nehmen Pflegebedürftige die Verhinderungspflege stundenweise für weniger als acht Stunden am Tag in Anspruch, können sie daneben für diesen Tag das volle Pflegegeld beanspruchen.

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4. Besondere Leistungen für Pflegebedürftige in ambu-lant betreuten Wohngruppen

Für Pflegebedürftige, die in ambulant betreuten Wohn-gruppen häuslich gepflegt werden, sieht das Gesetz weitere besondere Leistungen vor. Ambulant betreute Wohngruppen sind Wohngemeinschaften von mindes-tens drei und höchstens 12 Personen, mit dem Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Ver-sorgung. Pflegebedürftige, die in solchen Wohngruppen leben, erhalten neben dem Pflegegeld, der Pflegesach-leistung oder dem Entlastungsbetrag einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 214 Euro monatlich. Voraussetzung für den Wohngruppenzuschlag ist unter anderem, dass mindestens drei der Bewohner einen Pflegegrad haben. Außerdem müssen die Mitglieder der Wohngruppe ge-meinschaftlich eine Person beauftragen, die allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Ge-meinschaftsleben fördernde Tätigkeiten verrichtet oder hauswirtschaftliche Unterstützung leistet.

Versicherte, die Anspruch auf den Wohngruppenzuschlag haben und eine ambulant betreute Wohngruppe neu gründen, erhalten pro Person für die altersgerechte oder barrierearme Umgestaltung der Wohnung eine Förde-rung in Höhe von 2.500 Euro. Der Gesamtbetrag für eine Wohngemeinschaft ist auf 10.000 Euro begrenzt. Die För-derung endet, wenn die hierfür zur Verfügung gestellte Summe von 30 Millionen Euro aufgebraucht ist.

5. Kurzzeitpflege

Kann die häusliche Pflege zeitweise in bestimmten Si-tuationen (z. B. während des Erholungsurlaubs der Pfle-geperson oder nach einem Krankenhausaufenthalt des Pflegebedürftigen) nicht oder nicht in erforderlichem Umfang erbracht werden, haben Pflegebedürftige der Pflegegrade 2, 3, 4 und 5 Anspruch auf Kurzzeitpflege. Kurzzeitpflege bedeutet, dass der Pflegebedürftige für einen begrenzten Zeitraum in einer stationären Einrich-tung rund um die Uhr betreut wird. In der Regel handelt es sich dabei um Pflegeeinrichtungen, die in erster Linie auf die Betreuung alter pflegebedürftiger Menschen und nicht auf die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit

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Behinderung ausgerichtet sind. In begründeten Einzel-fällen können Pflegebedürftige deshalb Kurzzeitpflege auch in Einrichtungen der Behinderten- und Jugendhilfe erhalten.

Kurzzeitpflege kann ferner ausnahmsweise in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung erbracht werden. Voraussetzung hierfür ist, dass der pflegende Angehörige dort eine Rehabilitationsmaßnahme in An-spruch nimmt und eine gleichzeitige Unterbringung und Pflege des Pflegebedürftigen in dieser Einrichtung erfor-derlich ist.

Der Anspruch auf Kurzzeitpflege ist auf acht Wochen pro Kalenderjahr sowie einen jährlichen Betrag von 1.612 Euro beschränkt. Es besteht aber die Möglichkeit, den Betrag um bis zu 1.612 Euro aus Mitteln der Verhinde-rungspflege aufzustocken. Für die Kurzzeitpflege stehen in diesem Fall maximal 3.224 Euro pro Jahr zur Verfügung. Entscheiden sich Pflegebedürftige für die Aufstockung ihrer Kurzzeitpflege, verringert sich ihr Anspruch auf Verhinderungspflege um einen entsprechenden Betrag. Während der Inanspruchnahme von Kurzzeitpflege wird die Hälfte des Pflegegeldes weitergezahlt.

6. Pflege in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe

Für die Pflege in einer stationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen (z. B. in einem Wohnheim für Men-schen mit Behinderung) erhalten Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 maximal 266 Euro im Monat. Die Pfle-ge ist in diesen Einrichtungen integraler Bestandteil der Eingliederungshilfe, weshalb der übrige Hilfebedarf vom Träger der Sozialhilfe im Rahmen der Eingliederungshilfe zu finanzieren ist (siehe dazu die Ausführungen in Kapitel K. I.). Sind pflegebedürftige Heimbewohner am Wochen-ende oder in den Ferien zu Besuch bei ihren Eltern, kön-nen sie anteilig für jeden Tag der häuslichen Pflege 1/30 des jeweiligen Pflegegeldes ausgezahlt bekommen (bei Pflegegrad 5 mit einem monatlichen Pflegegeld von 901 Euro also 30,03 Euro pro Tag). An- und Abreisetag zählen dabei jeweils als volle Tage.

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BeachteAb dem 1. Januar 2020 wird es durch das BTHG bei den bisherigen stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe zu einem grundlegenden Sys-temwechsel kommen. Die Finanzierung dieser Einrichtungen, die künftig als „gemeinschaftliche Wohnform“, „besondere Wohnform“ oder auch „Wohnform nach § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 SGB XII“ bezeichnet werden, wird an das „ambu-lant betreute Wohnen“ angeglichen (zu den Ein-zelheiten siehe die Ausführungen in Kapitel K. I.). Nur bezüglich der Leistungen der Pflegeversiche-rung bleibt es in den künftigen „gemeinschaftli-chen Wohnformen“ bei der alten Rechtslage. Das bedeutet, dass die Pflege in diesen Wohnformen auch künftig mit einem Betrag von maximal 266 Euro im Monat abgegolten wird. Pflegebedürftige Bewohner können zudem auch weiterhin für die Besuchstage bei ihren Eltern anteiliges Pflege-geld beanspruchen.

II. Zusammentreffen von Leistungen der Pflegeversi-cherung und Leistungen der Eingliederungshilfe

Durch die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbe-griffs ist vermehrt mit Abgrenzungsfragen zwischen den Leistungen der Pflegeversicherung und den Leistungen der Eingliederungshilfe (zum Inhalt dieser Leistungen siehe die Ausführungen in Kapitel H. VIII.) zu rechnen. Schnittstellen können sich vor allem bei den pflegeri-schen Betreuungsmaßnahmen im häuslichen Umfeld ergeben. Diese Maßnahmen dürfen nun regelhaft von den ambulanten Pflegediensten erbracht werden (siehe dazu die Ausführungen in diesem Kapitel unter G. I. 1.) und können beispielsweise die Unterstützung bei Frei-zeitaktivitäten beinhalten. Dazu gehören unter anderem die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte, Tagesstrukturie-rung und bedürfnisgerechte Beschäftigungen im Alltag. Streitig kann es im Einzelfall sein, ob diese Maßnahmen der Pflege oder der Eingliederungshilfe zuzuordnen sind.

Aufgrund des Dritten Pflegestärkungsgesetzes (PSG III) ist deshalb zum 1. Januar 2017 die Koordinierungs-

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vorschrift beim Zusammentreffen von Leistungen der Pflegeversicherung und Leistungen der Eingliederungs-hilfe verschärft worden. Haben Leistungsberechtigte Anspruch auf beide Leistungen, müssen die zuständigen Leistungsträger nunmehr vereinbaren, dass der Träger der Eingliederungshilfe die Leistungen der Pflegeversi-cherung übernimmt und wie die Leistungen gegenüber dem Leistungsberechtigten konkret durchzuführen sind. Dabei sind bestehende Wunsch- und Wahlrechte des Leistungsberechtigten zu beachten. Bei Bestandsfällen, das sind solche, in denen bereits am 31. Dezember 2016 die genannten Leistungen zusammentrafen, muss die Vereinbarung nur dann abgeschlossen werden, wenn ei-ner der beteiligten Leistungsträger oder der Leistungsbe-rechtigte dies verlangt. Unter anderem aus datenschutz-rechtlichen Gründen muss der Leistungsberechtigte der Vereinbarung zustimmen. Verweigert er die Zustimmung, darf sie nicht abgeschlossen werden und der Leistungs-berechtigte erhält die Leistungen vom jeweiligen Leis-tungsträger getrennt.

Weiterführende Literatur:bvkm (Hrsg.): Die Schnittstelle von Eingliede-rungshilfe und Pflege im ambulanten Bereich – Merkblatt zur neuen Empfehlung der Spitzen-verbände (Beachte: Dieses Merkblatt steht nicht in gedruckter Form, sondern nur zum kostenlosen Herunterladen zur Verfügung unter www.bvkm.de)

III. Hilfe zur Pflege

Teilweise werden bei Pflegebedürftigkeit auch Leistungen vom Sozialamt in Form von „Hilfe zur Pflege“ erbracht. Es handelt sich dabei um eine Leistung der Sozialhilfe, die im Sozialgesetzbuch XII geregelt ist. Als bedarfsde-ckendes Leistungssystem hat das Sozialhilferecht eine Auffangfunktion. Vorrangig sind zunächst andere Sozial-leistungsträger zur Leistung verpflichtet. Wer Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung nach dem SGB XI hat, kann deshalb für den gleichen Bedarf keine Hilfe zur Pflege erhalten.

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Durch das Dritte Pflegestärkungsgesetz (PSG III) ist der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff zum 1. Januar 2017 auch in der Hilfe zur Pflege eingeführt worden. Beide Begriffe sind dadurch jetzt im Wesentlichen inhaltsgleich. Ein Un-terschied besteht nur noch hinsichtlich der Mindestdauer der Pflegebedürftigkeit. Während Pflegebedürftige nach dem SGB XI nur dann Anspruch auf Leistungen der Pfle-geversicherung haben, wenn die Pflegebedürftigkeit für mindestens sechs Monate besteht, wird Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII auch in den Fällen geleistet, in denen die Pflegebedürftigkeit für einen geringeren Zeitraum be-steht. Im Gegensatz zur bis 31. Dezember 2016 geltenden Rechtslage, wonach Hilfe zur Pflege auch bei geringerem Hilfebedarf (sogenannte Pflegestufe Null) geleistet wer-den konnte, werden seit 1. Januar 2017 nach beiden Leis-tungssystemen nur noch Leistungen an Pflegebedürftige gewährt, die mindestens in den Pflegegrad 1 eingestuft sind. Personen, die keinen Pflegegrad erreichen, erhal-ten deshalb nach der neuen Rechtslage weder Leistun-gen der Pflegeversicherung noch Leistungen der Hilfe zur Pflege.

Da die Pflegeversicherung aufgrund ihrer begrenzten Leistungsbeträge nur eine Teilabsicherung des Pflegebe-darfs gewährleistet, kommt Hilfe zur Pflege nach wie vor in erster Linie als aufstockende Leistung in den Fällen in Betracht, in denen die Leistungen der Pflegeversicherung nicht ausreichen, um den vollständigen Pflegebedarf ei-nes pflegebedürftigen Menschen zu decken. Konkret be-deutet das: Stellt ein Pflegebedürftiger mit dem Pflege-grad 3 seine Pflege durch einen ambulanten Pflegedienst sicher und reichen die ihm hierfür von der Pflegeversiche-rung monatlich zur Verfügung gestellten Pflegesachleis-tungen in Höhe von 1.298 Euro nicht aus, um den notwen-digen Pflegebedarf zu decken, kann er unter Umständen ergänzend Hilfe zur Pflege beanspruchen.

Anspruch auf Hilfe zur Pflege haben Pflegebedürftige nur, wenn sie sozialhilferechtlich bedürftig sind, also die Pfle-geleistungen nicht mit ihrem Einkommen oder Vermögen sicherstellen können. Vom Einkommen sind zunächst darauf entrichtete Steuern, Sozialversicherungsbeiträge und andere notwendige Ausgaben abzuziehen (soge-nannte „Bereinigung“ des Einkommens). Seit 1. Januar

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2017 können erwerbstätige Pflegebedürftige außerdem einen besonderen Freibetrag von ihrem Einkommen in Abzug bringen. Dieser beläuft sich auf 40 Prozent des Ein-kommens aus selbstständiger oder nichtselbstständiger Tätigkeit und ist der Höhe nach begrenzt auf 65 Prozent der Regelbedarfsstufe 1. Aktuell beläuft sich der maxima-le Freibetrag daher auf 275,60 Euro (Stand: 2019). Das um die vorgenannten Beträge „bereinigte“ Einkommen muss nicht in vollem Umfang für die Hilfe zur Pflege eingesetzt werden, sondern nur insoweit, als es eine bestimmte ge-setzlich festgelegte Einkommensgrenze überschreitet.

Die Einkommensgrenze wird gebildet aus einem Grund-betrag in Höhe von 848 Euro (Stand: 2019) sowie den angemessenen Kosten für die Unterkunft. Hinzu kommt ferner für den Ehegatten sowie für jede Person, die von dem Pflegebedürftigen oder dessen unterhaltspflichti-gem Elternteil überwiegend unterhalten wird, jeweils ein Zuschlag von 297 Euro (Stand: 2019). Überschreitet das Einkommen diese Grenze, ist der übersteigende Betrag in angemessenem Umfang zur Finanzierung der Hilfe zur Pflege einzusetzen. Für blinde Menschen sowie Pflegebe-dürftige der Pflegegrade 4 und 5 gilt die Sonderregelung, dass sie höchstens 40 Prozent ihres übersteigenden Ein-kommens einsetzen müssen.

Neben dem Einkommen müssen Pflegebedürftige grund-sätzlich auch ihr gesamtes verwertbares Vermögen zur Deckung ihres Pflegebedarfs einsetzen. Bestimmte Vermögenswerte werden jedoch vom Gesetzgeber ge-schützt, bleiben also bei der Bedürftigkeitsprüfung unbe-rücksichtigt. Dazu gehört z. B. ein angemessenes Haus-grundstück, das vom Pflegebedürftigen bewohnt wird. Geschützt sind auch Barbeträge oder sonstige Geldwerte (z. B. Spar- oder Kontoguthaben) bis zu einem gesetzlich festgelegten Betrag. Dieser beläuft sich seit 1. April 2017 auf 5.000 Euro. Für bestimmte, dem Leistungsberechtigte nahestehende Personen, können außerdem weitere Be-träge berücksichtigt werden (siehe dazu die Ausführun-gen in Kapitel E. II.).

Zusätzlich zum Vermögensfreibetrag von 5.000 Euro sind im Falle des Bezuges von Leistungen der Hilfe zur Pflege seit 1. Januar 2017 maximal weitere 25.000 Euro

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geschützt, wenn dieser Betrag ganz oder überwiegend als Einkommen aus selbstständiger oder nichtselbststän-diger Tätigkeit des leistungsberechtigten Pflegebedürf-tigen während des Leistungsbezugs erworben wird. Mit dieser Regelung soll die Leistung von pflegebedürftigen Menschen anerkannt werden, die trotz ihrer Einschrän-kung einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Vorteilhaft ist diese Regelung allerdings nur für Leistungsberechtigte, die ausschließlich Leistungen der Hilfe zur Pflege oder eventuell noch zusätzlich Leistungen der Eingliederungs-hilfe (siehe dazu die Ausführungen in Kapitel H. IV.) be-ziehen. Das trifft z. B. auf Leistungsberechtigte zu, die ih-ren Lebensunterhalt mit Erwerbseinkommen bestreiten. Erhalten Leistungsberechtigte dagegen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (siehe dazu die Aus-führungen in Kapitel E. II.), müssen sie Vermögen, das den in diesem Fall lediglich geschützten Freibetrag von 5.000 Euro übersteigt, für die Grundsicherung einsetzen. Für Menschen, die existenzsichernde Leistungen der So-zialhilfe beziehen und außerdem auf Leistungen der Hilfe zur Pflege angewiesen sind, ist daher der zusätzliche Ver-mögensfreibetrag von 25.000 Euro bedeutungslos.

Der Kostenbeitrag von Eltern volljähriger behinderter Menschen für Leistungen der Hilfe zur Pflege beschränkt sich zurzeit auf 32,75 Euro und steigt ab 1. Juli 2019 auf 34,44 Euro im Monat. Da es sich um einen feststehenden Betrag handelt, müssen und dürfen die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eltern nicht überprüft werden.

H. Eingliederungshilfe

Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es u. a., eine Behin-derung oder deren Folgen zu beseitigen und behinderte Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu ge-hört insbesondere, behinderten Menschen die Teilnah-me am Leben in der Gemeinschaft zu erleichtern oder ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen. Dementsprechend vielfältig ist das Leistungsspektrum der Eingliederungshilfe. Grob lassen sich die Leistungen

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der Eingliederungshilfe für volljährige Menschen mit Be-hinderung in folgende Gruppen einteilen:

• Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemein-schaft (siehe dazu die Ausführungen in diesem Ka-pitel unter H. VIII.)

• berufsfördernde Leistungen (siehe dazu die Ausfüh-rungen in Kapitel J.)

Anspruch auf Eingliederungshilfe haben behinderte Men-schen, die wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesell-schaft teilzuhaben, eingeschränkt sind. Außerdem muss die Aussicht bestehen, dass die Aufgabe der Eingliede-rungshilfe (also z. B. die Erleichterung der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft) erfüllt werden kann.

Die Eingliederungshilfe ist eine Leistung der Sozialhilfe. Diese ist im Sozialgesetzbuch XII geregelt. Die Bundes-länder können bestimmen, ob die örtlichen Sozialhilfe-träger (Landkreise und kreisfreie Städte) oder die über-örtlichen Sozialhilfeträger (je nach Bundesland können das die Bezirke, die Landschafts- oder Landeswohlfahrts-verbände oder die Landessozialämter sein) für Leistun-gen der Eingliederungshilfe zuständig sind. Im Zweifel sollte ein Antrag auf Eingliederungshilfe beim örtlichen Sozialamt gestellt werden. Falls dieses nicht zuständig ist, muss es den Antrag an den zuständigen überörtlichen Sozialhilfeträger weiterleiten.

Tipp Auch erwachsene Menschen mit Behinderung, die im Haushalt ihrer Eltern leben, können einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe haben. Das Sozialamt kann z. B. die Kosten für eine Begleitperson übernehmen, wenn der behin-derte Mensch nur mit Hilfe einer solchen Beglei-tung in der Lage ist, ein Theater, einen Volkshoch-schulkurs oder ein Fußballspiel zu besuchen. Die Eltern müssen sich zurzeit mit maximal 32,75 Euro und ab 1. Juli 2019 mit maximal 34,44 Euro monatlich an den Kosten der Eingliederungshil-fe beteiligen. Leistungen der Eingliederungshilfe können auch in Form eines Persönlichen Budgets gewährt werden.

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I. Bundesteilhabegesetz

Der Bundestag hat am 1. Dezember 2016 das Bundesteil-habegesetz (BTHG) verabschiedet. Die einzelnen Rege-lungen dieses umfangreichen Gesetzes sind zum Teil be-reits in Kraft getreten. Der grundlegende Systemwechsel wird sich allerdings erst zum 1. Januar 2020 vollziehen. Zu diesem Zeitpunkt wird das Recht der Eingliederungs-hilfe vom Sozialgesetzbuch XII in das Sozialgesetzbuch IX überführt und personenzentriert ausgerichtet. Das be-deutet unter anderem, dass sich die notwendige Unter-stützung erwachsener Menschen mit Behinderung künf-tig nicht mehr an einer bestimmten Wohnform, sondern am notwendigen individuellen Bedarf ausrichtet. Auswir-kungen hat dies insbesondere auf das Leistungsgefüge in stationären Wohneinrichtungen (siehe dazu die Ausfüh-rungen in Kapitel K. I.).

Darüber hinaus sind im BTHG Verbesserungen bei der Her anziehung von Einkommen und Vermögen im Falle des Bezuges von Leistungen der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege vorgesehen. Erste Verbesserungen sind bereits zum 1. Januar 2017 in Kraft getreten (siehe dazu die Ausführungen in diesem Kapitel unter H. III. und IV. sowie bezüglich der Hilfe zur Pflege unter G. III.). Weitere Verbesserungen wird es im Recht der Eingliede-rungshilfe zum 1. Januar 2020 geben (siehe dazu die Aus-führungen in diesem Kapitel unter H. III. und IV.)

Zum 1. Januar 2018 wurden durch das BTHG ferner neue Regelungen zur Bedarfsermittlung und zum Gesamt-planverfahren eingeführt (siehe dazu die Ausführungen in diesem Kapitel unter H) VII.). Auch traten zum selben Zeitpunkt die Regelungen zum Budget für Arbeit sowie zur Beschäftigung bei anderen Leistungsanbietern als Al-ternativen zur Beschäftigung in einer WfbM in Kraft (siehe dazu die Ausführungen in Kapitel J) unter IV. und V.)

II. Nachrangigkeit der Sozialhilfe

Leistungen der Sozialhilfe sind gegenüber Ansprüchen, die gegen andere Sozialleistungsträger (z. B. gesetzliche

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Kranken- oder Unfallversicherung) bestehen, nachrangig. Grundsätzlich erhält Sozialhilfe außerdem nur, wer die benötigten Leistungen nicht mit eigenem Einkommen und Vermögen finanzieren kann.

Einige Leistungen der Eingliederungshilfe sind kostenfrei. Dazu zählen die Leistungen in einer Werkstatt für behin-derte Menschen (WfbM). Bei anderen Leistungen der Ein-gliederungshilfe müssen sich behinderte Menschen nach Maßgabe ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse an den Kosten beteiligen. Dazu gehören unter anderem Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturel-len Leben (z. B. Begleitperson für den Kinobesuch).

III. Einkommensgrenze

Das Einkommen und Vermögen von Menschen mit Be-hinderung ist für kostenpflichtige Leistungen der Ein-gliederungshilfe nur eingeschränkt einzusetzen. Vom Einkommen sind zunächst darauf entrichtete Steuern, Sozialversicherungsbeiträge und andere notwendige Ausgaben abzuziehen (sogenannte „Bereinigung“ des Einkommens). Seit 1. Januar 2017 können erwerbstätige Personen, die Leistungen der Eingliederungshilfe erhal-ten, außerdem einen besonderen Freibetrag von ihrem Einkommen in Abzug bringen. Dieser beläuft sich auf 40 Prozent des Einkommens aus selbstständiger oder nichtselbstständiger Tätigkeit und ist der Höhe nach be-grenzt auf 65 Prozent der Regelbedarfsstufe 1. Aktuell beläuft sich der maximale Freibetrag daher auf 275,60 Euro (Stand: 2019). Das um die vorgenannten Beträge „bereinigte“ Einkommen muss nicht in vollem Umfang für die Eingliederungshilfe eingesetzt werden, sondern nur insoweit, als es eine bestimmte gesetzlich festgeleg-te Einkommensgrenze überschreitet.

Die Einkommensgrenze wird gebildet aus einem Grund-betrag in Höhe von 848 Euro (Stand: 2019) sowie den angemessenen Kosten für die Unterkunft. Hinzu kommt ferner für den Ehegatten sowie für jede Person, die von dem Leistungsberechtigten oder dessen unterhaltspflich-tigem Elternteil überwiegend unterhalten wird, jeweils

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ein Zuschlag von 297 Euro (Stand: 2019). Überschrei-tet das Einkommen diese Grenze, ist der übersteigende Betrag in angemessenem Umfang zur Finanzierung der Eingliederungshilfe einzusetzen. Für blinde Menschen sowie Pflegebedürftige der Pflegegrade 4 und 5 gilt die Sonderregelung, dass sie höchstens 40 Prozent ihres übersteigenden Einkommens einsetzen müssen.

BeachteAufgrund des BTHG wird die Einkommens-grenze, die für den Bezug von Leistungen der Eingliederungshilfe maßgeblich ist, zum 1. Ja-nuar 2020 noch einmal deutlich erhöht. Auch ändert sich die Berechnung und die Ermittlung des einzusetzenden Teils des Einkommens. Maßgeblich sind künftig die steuerrechtlichen Einkünfte des Vorvorjahres. Wird also 2020 Eingliederungshilfe beantragt, ergibt sich das maßgebliche Einkommen aus dem Einkommen-steuerbescheid für 2018. Die Einkommensgrenze beläuft sich auf ei-nen prozentualen Anteil an der jährlich neu festzusetzenden Bezugsgröße der Sozialver-sicherung. Die Grenze ist also dynamisch und verändert sich – ebenso wie die betreffende Bezugsgröße – jedes Jahr. Im Jahr 2019 beträgt die Bezugsgröße z. B. 37.380 Euro. Welcher Prozentsatz der Bezugsgröße für die Einkom-mensgrenze maßgeblich ist, richtet sich nach der Einkommensart sowie danach, ob Partner- oder Kinderzuschläge zu berücksichtigen sind. Bei einer sozialversicherungspflichtigen Be-schäftigung sowie bei selbstständiger Tätigkeit beläuft sich die Einkommensgrenze z. B. auf 85 Prozent der jährlichen Bezugsgrenze. Bezogen auf das Jahr 2019 würde sich bei diesen beiden Einkommensarten somit eine Einkommens-grenze von 31.773 Euro ergeben. Für Ehegatten oder Lebenspartner erhöht sich die Grenze um 15 Prozent bzw. für jedes unterhaltsberechtigte Kind um 10 Prozent der jährlichen Bezugsgröße.Übersteigt das Einkommen die individuelle Ein-kommensgrenze, muss der Leistungsberech-

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tigte einen monatlichen Beitrag in Höhe von 2 Prozent des übersteigenden Einkommens zu den Aufwendungen der Eingliederungshilfe leisten.

IV. Vermögensgrenze

Neben dem Einkommen müssen Leistungsberechtigte grundsätzlich auch ihr gesamtes verwertbares Vermögen zur Deckung ihres Eingliederungshilfebedarfs einsetzen. Bestimmte Vermögenswerte werden jedoch vom Gesetz-geber geschützt, bleiben also bei der Bedürftigkeitsprü-fung unberücksichtigt. Dazu gehört z. B. ein angemes-senes Hausgrundstück, das vom Leistungsberechtigten bewohnt wird. Geschützt sind auch Barbeträge oder sonstige Geldwerte (z. B. Spar- oder Kontoguthaben) bis zu einem gesetzlich festgelegten Betrag. Dieser beläuft sich seit 1. April 2017 auf 5.000 Euro. Für bestimmte, dem Leistungsberechtigte nahestehende Personen, können außerdem weitere Beträge berücksichtigt werden (siehe dazu die Ausführungen in Kapitel E. II.).

Zusätzlich zum Vermögensfreibetrag von 5.000 Euro sind seit 1. Januar 2017 maximal weitere 25.000 Euro für die Bezieher von Leistungen der Eingliederungshilfe ge-schützt. Im Gegensatz zu der ähnlichen Regelung bei der Hilfe zur Pflege (siehe dazu die Ausführungen in Kapitel G. III.) muss dieser Betrag aber nicht ganz oder über-wiegend als Einkommen aus selbstständiger oder nicht-selbstständiger Tätigkeit während des Leistungsbezugs erworben sein. Geschützt ist daher beispielsweise auch ein entsprechender Betrag, der durch eine Erbschaft oder Schenkung erworben wurde. Ebenso wie bei der Hilfe zur Pflege profitieren Leistungsberechtigte von dem zusätz-lichen Freibetrag aber nur dann, wenn sie ausschließlich Leistungen der Eingliederungshilfe beziehen. Das trifft z. B. auf Leistungsberechtigte zu, die ihren Lebensunter-halt mit Erwerbseinkommen bestreiten. Erhalten Leis-tungsberechtigte dagegen zur Sicherung ihres Lebensun-terhalts Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (siehe dazu die Ausführungen unter E. II.), müssen sie Vermögen, das den in diesem Fall le-diglich geschützten Freibetrag von 5.000 Euro übersteigt,

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für die Grundsicherung einsetzen. Für Menschen, die existenzsichernde Leistungen der Sozialhilfe beziehen und außerdem auf Leistungen der Eingliederungshilfe angewiesen sind, ist daher der zusätzliche Vermögens-freibetrag von 25.000 Euro bedeutungslos.

BeachteDie Vermögensgrenze, die für den Bezug von Leistungen der Eingliederungshilfe maßgeblich ist, wird aufgrund des BTHG zum 1. Januar 2020 ebenfalls noch einmal deutlich erhöht. Sie be-läuft sich künftig auf 150 Prozent der jährlich neu festzusetzenden Bezugsgröße der Sozialversi-cherung. Bezogen auf das Jahr 2019 würde sich hierdurch ein Vermögensfreibetrag von 56.070 Euro ergeben. Von diesen Verbesserungen pro-fitieren jedoch auch künftig nur diejenigen Leis-tungsberechtigten, die ihren Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen bestreiten können und z. B. nicht auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angewiesen sind.

V. Sonderregelung für Eltern volljähriger Kinder

Der Unterhaltsbeitrag von Eltern volljähriger behinder-ter Menschen für Leistungen der Eingliederungshilfe be-schränkt sich zurzeit auf 32,75 Euro und ab dem 1. Juli 2019 auf 34,44 Euro im Monat. Da es sich um einen fest-stehenden Betrag handelt, müssen und dürfen die Ein-kommens- und Vermögensverhältnisse der Eltern nicht überprüft werden.

BeachteDie begrenzte Heranziehung von Eltern volljäh-riger Menschen mit Behinderung bleibt auch künftig erhalten. Der grundlegende Systemwech-sel, der sich zum 1. Januar 2020 in der Einglie-derungshilfe vollziehen wird, ändert also nichts daran, dass sich der monatliche Beitrag von El-tern erwachsener Kinder für die Leistungen der Eingliederungshilfe auf einen Betrag von 34,44 Euro beschränkt.

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VI. Zusammentreffen von Leistungen der Eingliede-rungshilfe und Leistungen der Pflegeversicherung

Aufgrund des Dritten Pflegestärkungsgesetzes (PSG III) ist die Koordinierungsvorschrift beim Zusammentreffen von Leistungen der Eingliederungshilfe und Leistungen der Pflegeversicherung (zum Inhalt dieser Leistungen siehe die Ausführungen in Kapitel G. I.) zum 1. Januar 2017 verschärft worden. Haben Leistungsberechtigte Anspruch auf beide Leistungen, müssen die zuständigen Leistungsträger nunmehr vereinbaren, dass der Träger der Eingliederungshilfe die Leistungen der Pflegeversi-cherung übernimmt und wie die Leistungen gegenüber dem Leistungsberechtigten konkret durchzuführen sind. Bei Bestandsfällen, das sind solche, in denen bereits am 31. Dezember 2016 die genannten Leistungen zusam-mentrafen, muss die Vereinbarung nur dann abgeschlos-sen werden, wenn einer der beteiligten Leistungsträger oder der Leistungsberechtigte dies verlangt (zu weiteren Einzelheiten siehe die Ausführungen in Kapitel G. II.).

VII. Gesamtplanverfahren

Die Frage, welche Leistungen der Eingliederungshilfe im Einzelnen vom zuständigen Träger der Sozialhilfe zu ge-währen sind, richtet sich nach dem individuellen Bedarf des jeweiligen Leistungsberechtigten. Wie dieser Bedarf konkret zu ermitteln ist, ist in den Regelungen zum Ge-samtplanverfahren festgelegt. Diese Regelungen wurden durch das BTHG zum 1. Januar 2018 erweitert und präzi-siert. Vorgesehen ist darin unter anderem, dass der in-dividuelle Bedarf unter Berücksichtigung der Wünsche des Leistungsberechtigten durch ein Instrument erfolgen muss, dass sich an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) orientiert. Näheres dazu können die Bundesländer in ei-ner Rechtsverordnung bestimmen. Es gibt also kein bun-deseinheitliches Verfahren zur Bedarfsfeststellung.

Der Leistungsberechtigte ist in allen Verfahrensschritten des Gesamtplanverfahrens zu beteiligen. Er kann außer-dem verlangen, dass eine Person seines Vertrauens be-

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teiligt wird. Ist der Leistungsberechtigte pflegebedürftig, wird mit seiner Zustimmung auch die zuständige Pflege-kasse in das Verfahren beratend einbezogen. Dies dient unter anderem der Vorbereitung einer Vereinbarung im Falle des Zusammentreffens von Leistungen der Einglie-derungshilfe und Leistungen der Pflegeversicherung (sie-he dazu die Ausführungen in diesem Kapitel unter H. VI.)

Unter bestimmten Voraussetzungen wird die Bedarfsermitt-lung in einer Gesamtplankonferenz zum Abschluss geführt. In einer solchen Konferenz beraten der Träger der Sozialhilfe und andere beteiligte Leistungsträger gemeinsam mit dem Leistungsberechtigten über dessen Wünsche, Beratungs- und Unterstützungsbedarf und die Erbringung der Leistun-gen. Wird gleichzeitig eine Teilhabekonferenz durchgeführt (siehe dazu die Ausführungen in Kapitel L. III.) sollen beide Verfahren miteinander verbunden werden.

Nach Feststellung der Leistungen wird ein Gesamtplan er-stellt. Dieser bedarf der Schriftform und soll regelmäßig, spätestens nach zwei Jahren überprüft und fortgeschrie-ben werden. Der Gesamtplan enthält unter anderem Aus-sagen zu den im Rahmen der Gesamtplanung eingesetz-ten Verfahren und Instrumenten sowie über Art, Inhalt, Umfang und Dauer der zu erbringenden Leistungen. Auf Grundlage des Gesamtplans erlässt der Träger der Sozial-hilfe den Verwaltungsakt über die festgestellte Leistung der Eingliederungshilfe.

VIII. Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft

Im nachfolgenden Abschnitt werden einige Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft dargestellt, die im Rahmen der Eingliederungshilfe vom Sozialhilfeträ-ger übernommen werden können. An den Kosten dieser Leistungen müssen sich behinderte Menschen bzw. deren Eltern nach den oben unter H. II.–V. dargestellten Grund-sätzen beteiligen.

1. Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse

Als Leistungen der Eingliederungshilfe können Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die für

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die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft erforderlich sind, gewährt werden. Hierzu zählen z. B. Fördermaßnah-men, die zu einer möglichst selbstständigen Haushalts-führung und räumlichen Orientierung beitragen.

2. Förderung der Verständigung

Bedürfen hör- oder sprachbehinderte Menschen bei be-sonderen Anlässen Unterstützung, um sich zu verständi-gen, werden ihnen die erforderlichen Hilfen zur Verfügung gestellt oder angemessene Aufwendungen hierfür erstat-tet. Übernommen werden z. B. die Kosten für Gebärden-dolmetscher, wenn gehörlosen Menschen nur so die Kom-munikation mit einer Behörde möglich ist.

3. Hilfen zum Wohnen

Hilfen bei der Beschaffung, dem Umbau, der Ausstattung und der Erhaltung einer Wohnung, die den besonderen Be-dürfnissen der behinderten Menschen entspricht, können ebenfalls im Rahmen der Eingliederungshilfe gewährt wer-den. Hierzu zählt z. B. der Bau einer Rampe, um es einem schwerbehinderten Menschen zu ermöglichen, mit seinem Rollstuhl allein die Wohnung zu erreichen. Bei den Hilfen zum Wohnen sind allerdings häufig andere Kostenträger (z. B. die Integrationsämter) vorrangig für die Leistung zuständig.

4. Hilfen in betreuten Wohnmöglichkeiten

Auch Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten können vom Sozialhilfeträger er-bracht werden. Hierbei handelt es sich z. B. um pädagogi-sche Betreuung zur Unterstützung im Alltag. Einzelheiten werden unten in Kapitel K. II. dargestellt.

5. Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kul-turellen Leben

Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben umfassen vor allem:

• Hilfen, die die Begegnung mit nichtbehinderten Men-schen fördern,

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• Hilfen zum Besuch von Theatern, Kinos, Sportveran-staltungen, Gottesdiensten und ähnlichen Veranstal-tungen oder Einrichtungen und

• die Bereitstellung von Zeitungen, Fernsehgeräten, Radios und vergleichbaren Hilfsmitteln, wenn wegen Art oder Schwere der Behinderung anders eine Teil-habe am Leben in der Gemeinschaft nicht oder nur unzureichend möglich ist.

Die Hilfe kann in der Bereitstellung der notwendigen Be-gleitperson für einen Theaterbesuch bestehen. Derartige Begleitdienste werden z. B. von Familienunterstützenden Diensten angeboten. Träger solcher Dienste sind in der Regel Organisationen der Behindertenhilfe. Behinderte Menschen, die nicht in der Lage sind, öffentliche Verkehrs-mittel zu benutzen, können zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft Fahrtkosten erhalten. Viele Sozialhilfeträger gewähren hierfür eine monatliche Pauschale. Nähere In-formationen hierzu erhält man beim örtlichen Sozialamt.

6. Hilfsmittel

Hilfsmittel, die zur Teilhabe am Leben in der Gemein-schaft erforderlich und nicht von vorrangigen Leistungs-trägern (z. B. der Kranken- oder der Pflegeversicherung) zu erbringen sind, können vom Sozialhilfeträger zu leis-ten sein. Typische Hilfsmittel der Eingliederungshilfe sind z. B. behindertengerechte Schalteinrichtungen für Wasch- oder Küchenmaschinen sowie Weckuhren für hör-behinderte Menschen.

J. Ausbildung, Studium und Beruf

Menschen mit Behinderung finden häufig kaum oder nur schwer eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeits-markt. Das Gesetz sieht deshalb besondere Hilfen vor, die behinderten Menschen die Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen sollen. Auch für Menschen mit Behinderung, die eine Ausbildung oder ein Studium absolvieren möch-ten, sieht das Gesetz Unterstützungsmöglichkeiten vor. Kann ein behinderter Mensch wegen Art oder Schwere seiner Behinderung nicht oder noch nicht auf dem allge-meinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden, kommt eine Be-

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schäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) oder in einer Tagesförderstätte in Betracht. Seit 1. Januar 2018 gibt es ferner mit dem Budget für Arbeit und der neuen Regelung für andere Leistungsanbieter Alter-nativen zur Beschäftigung in einer WfbM.

I. Ausbildung

Behinderte Menschen, die studieren oder sich in einer Ausbildung befinden, können unter bestimmen Voraus-setzungen finanzielle Unterstützung nach dem Bundes-ausbildungsförderungsgesetz (BAföG) erhalten. Dane-ben können ihnen weitere Hilfen zustehen.

1. Leistungen nach dem Bundesausbildungsförde-rungsgesetz

Ausbildungsförderung nach dem BAföG wird für den Le-bensunterhalt und die Ausbildung geleistet und kann unter anderem für den Besuch folgender Bildungsstätten erbracht werden:

• Berufsfachschulen und Fach- und Fachoberschul-klassen, deren Besuch eine abgeschlossene Berufs-ausbildung nicht voraussetzt,

• Abendhauptschulen, Berufsaufbauschulen, Abendrealschulen, Abendgymnasien und Kollegs sowie

• Höhere Fachschulen und Hochschulen.

Voraussetzung für die Förderung ist, dass die Leistun-gen des Auszubildenden erwarten lassen, dass er das angestrebte Ausbildungsziel erreicht. Beim Besuch einer Hochschule müssen z. B. die den jeweiligen Ausbildungs- und Prüfungsordnungen entsprechenden Studienfort-schritte erkennbar sein.

Die Höhe der monatlichen Förderung hängt unter ande-rem von der jeweiligen Ausbildung (Schule oder Studi-um) sowie den persönlichen Lebensumständen des Aus-zubildenden (z. B. bei den Eltern wohnhaft oder nicht) ab. Der Höchstsatz für Studierende, die nicht mehr bei ihren Eltern wohnen, beträgt z. B. zurzeit 735 Euro im Monat.

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Maßgebend für die Leistungshöhe sind ferner die finanzi-ellen Verhältnisse der Antragstellenden und ihrer Famili-en. Eigenes Einkommen und Vermögen des Auszubilden-den ist auf den Bedarf anzurechnen. Hierfür gelten aber bestimmte Freibeträge. Vom Vermögen des Auszubilden-den bleibt z. B. ein Betrag von 7.500 Euro anrechnungs-frei. Einkommen der Eltern und eines etwaigen Ehegatten des Auszubildenden ist ebenfalls zu berücksichtigen. Auch hierfür gelten Freibeträge. Auf Antrag kann ein wei-terer Teil des Einkommens anrechnungsfrei bleiben, wenn Eltern z. B. Aufwendungen für ein Kind mit Behinderung haben. Vermögen der Eltern und eines etwaigen Ehegat-ten wird im Rahmen des BAföG nicht berücksichtigt.

Die Förderungsdauer richtet sich nach der Dauer der Aus-bildung. Bei Studiengängen ist dies im Allgemeinen die für den jeweiligen Studiengang festgelegte Regelstudi-enzeit. Aufgrund einer Behinderung kann über die För-derungshöchstdauer hinaus für eine angemessene Zeit Ausbildungsförderung geleistet werden.

Weiterführende LiteraturDeutsches Studentenwerk (Hrsg.): BAföG Die Förderung nach dem Bundesausbildungsförde-rungsgesetz

2. Berufsbildungswerk

Kommt für den behinderten Menschen eine Ausbildung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht in Betracht, besteht die Möglichkeit, einen Beruf in einem Berufsbil-dungswerk zu erlernen. Berufsbildungswerke sind über-regionale Einrichtungen, die jungen Menschen mit Behin-derungen eine berufliche Erstausbildung in anerkannten Ausbildungsberufen ermöglichen. Berufsbildungswerke bestehen in der Regel aus Ausbildungsstätten, Berufs-schulen und Wohngelegenheiten mit fachlicher Betreu-ung. Die berufliche Bildung ist in der Regel verbunden mit Erziehungsleistungen zur Förderung der Selbststän-digkeit und Entwicklung der Persönlichkeit. Anträge auf Förderung der Ausbildung in einem Berufsbildungswerk sind bei der örtlichen Arbeitsagentur zu stellen.

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3. Studium

Zur Deckung ihres behinderungsspezifischen Bedarfs kann Studierenden mit Behinderung im Rahmen der Eingliederungshilfe Hilfe zur Ausbildung geleistet wer-den. Als Ausbildungshilfen kommen dabei insbesonde-re Fahrtkosten, Kosten für Gebärdensprachdolmetscher sowie für Studienhelfer (Begleit- und Hilfspersonal zur Unterstützung der Studierenden beim Besuch von Lehr-veranstaltungen etc.) in Betracht. Auch Hilfsmittel, die Studierende für ihr Studium benötigen (z. B. ein Com-puter mit spezieller Zusatzausstattung für einen blinden Studierenden, um Texte selbstständig lesen, erfassen und verarbeiten zu können) können gewährt werden. An den Kosten dieser Leistungen müssen sich behinderte Menschen bzw. deren Eltern nach den oben in Kapitel H. unter III.–V. dargestellten Grundsätzen beteiligen. Studie-rende, die aufgrund ihrer Behinderung die Studien- oder Prüfungsleistungen nicht in der eigentlich vorgeschriebe-nen Form erbringen können, haben die Möglichkeit, ei-nen Nachteilsausgleich zu beantragen. Ein solcher Nach-teilsausgleich kann je nach Behinderungsart individuell sehr verschieden sein und z. B. in der Zeitverlängerung für Hausarbeiten oder Klausuren oder in der Nutzung technischer Hilfsmittel (z. B. Notebook) oder personeller Hilfen (z. B. Gebärdensprachdolmetscher) bestehen.

Weiterführende LiteraturDeutsches Studentenwerk (Hrsg.): Studium und Behinderung

II. Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt

Besondere Bestimmungen für behinderte Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt enthält in erster Linie das Sozialgesetzbuch IX.

1. Integrationsfachdienst

Eine große Bedeutung bei der Eingliederung behinderter Menschen in das Arbeitsleben kommt den Integrations-fachdiensten (IFD) zu. Die IFD sind ambulante professi-onelle Dienstleister, die behinderte Arbeitnehmer bei der Aufnahme, Ausübung und Sicherung einer möglichst dauerhaften Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeits-

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markt unterstützen. Neben der Beratung und Betreuung der behinderten Arbeitnehmer besteht die Aufgabe der IFD unter anderem auch darin, geeignete Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausfindig zu machen und zu vermitteln sowie den Arbeitgebern als Ansprech-partner zur Verfügung zu stehen. Mittlerweile gibt es in jedem Bezirk einer Arbeitsagentur einen IFD.

Eine Übersicht über die Adressen und Ansprechpartner der IFD findet man im Internet unter www.bag-ub.de in der Rubrik „Integrationsfachdienste“. Wer keinen Inter-netzugang hat, sollte sich bei seiner örtlichen Arbeits-agentur nach dem zuständigen IFD erkundigen.

2. Unterstützte Beschäftigung

Unterstützte Beschäftigung (UB) soll es behinderten Menschen mit einem komplexen Unterstützungsbedarf ermöglichen, ein sozialversicherungspflichtiges Beschäf-tigungsverhältnis auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einzugehen. UB beinhaltet in der Regel zunächst eine zeitlich befristete, individuelle betriebliche Qualifizie-rung am Arbeitsplatz. Bei Bedarf schließt sich nach Auf-nahme eines regulären Beschäftigungsverhältnisses eine zeitlich unbefristete Berufsbegleitung an. UB kann von Integrationsfachdiensten aber auch von anderen Trägern angeboten werden.

Die Dauer der Qualifizierungsphase beläuft sich in der Re-gel auf bis zu 2 Jahre und beinhaltet auch die Vermittlung berufsübergreifender Lerninhalte und Schlüsselqualifika-tionen, wie z. B. Sozial-, Handlungs- und Medienkompe-tenzen, sowie die Weiterentwicklung der Persönlichkeit. Eine Verlängerung um bis zu 12 Monate ist möglich. Die Teilnehmenden sind sozialversichert und erhalten in der Regel ein Ausbildungsgeld. Erbracht werden die Leistun-gen in erster Linie von der Bundesagentur für Arbeit.

Die bei Bedarf anschließende Berufsbegleitung dient dazu, das entstandene Arbeitsverhältnis zu stabilisieren und langfristig zu sichern. Auch Menschen mit Behinde-rungen, die aus einer Werkstatt für behinderte Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln und weiterer Unterstützung bedürfen, haben einen Anspruch auf Be-

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rufsbegleitung. Leistungen der Berufsbegleitung werden in der Regel vom Integrationsamt erbracht.

3. Begleitende Hilfen im Beruf

Als Hilfe zur Teilhabe am Arbeitsleben sieht das Gesetz insbesondere die Kostenübernahme für Hilfsmittel und technische Arbeitshilfen, die für die Berufsausübung erforderlich sind, vor. Ferner werden die Kosten für eine Arbeitsassistenz übernommen, wenn der behinderte Mensch auf eine direkte persönliche Hilfe am Arbeitsplatz angewiesen ist (z. B. Arbeitsassistent als Vorlesekraft für sehbehinderte und blinde Menschen). Darüber hin-aus können verschiedene Kraftfahrzeughilfen gewährt werden, wenn infolge der Behinderung ein Kraftfahr-zeug zum Erreichen des Arbeitsplatzes erforderlich ist. Voraussetzungen, Antragstellung und Leistungsumfang sind durch die Kraftfahrzeughilfeverordnung geregelt. Die Leistungen können Zuschüsse zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs, die Übernahme der Kosten für behinde-rungsbedingte Zusatzausstattungen sowie Zuschüsse zum Erwerb der Fahrerlaubnis umfassen. Die Leistungen der Hilfe zur Arbeit werden je nach Zuständigkeit durch die Agenturen für Arbeit, die Träger der Rentenversiche-rung oder auch durch die Integrationsämter erbracht.

4. Kündigungsschutz und Zusatzurlaub

Schwerbehinderte Arbeitnehmer (GdB von mindestens 50) unterliegen einem besonderen Kündigungsschutz. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Ar-beitgeber bedarf der vorherigen Zustimmung des Inte-grationsamtes. Außerdem haben schwerbehinderte Ar-beitnehmer Anspruch auf einen bezahlten zusätzlichen Urlaub von in der Regel fünf Arbeitstagen im Jahr.

III. Werkstatt für behinderte Menschen

Die Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) ist eine Einrichtung zur Teilhabe behinderter Menschen am Ar-beitsleben und zur Eingliederung in das Arbeitsleben. Sie bietet denjenigen behinderten Menschen, die wegen Art oder Schwere ihrer Behinderung nicht oder noch nicht

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auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, ei-nen Arbeitsplatz oder die Gelegenheit zur Ausübung ei-ner geeigneten Tätigkeit. Voraussetzung für die Aufnah-me in eine WfbM ist grundsätzlich, dass erwartet werden kann, dass der behinderte Mensch spätestens nach dem Berufsbildungsbereich ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringen wird.

Der eigentlichen Aufnahme in die Werkstatt geht eine Phase der Arbeitserprobung voraus, die sich in zwei Ab-schnitte gliedert. Das zunächst durchgeführte Eingangs-verfahren dauert grundsätzlich drei Monate, kann im Einzelfall aber auch verkürzt werden. Es dient der Fest-stellung, ob eine Werkstatt die geeignete Einrichtung ist und welche Tätigkeitsbereiche für den behinderten Men-schen in Betracht kommen. Der Berufsbildungsbereich dauert zwei Jahre und schließt sich unmittelbar an das Eingangsverfahren an. In diesem Bereich der WfbM soll der behinderte Mensch in seiner Leistungsfähigkeit und Persönlichkeitsentwicklung so weit gefördert werden, dass eine geeignete Beschäftigung im Arbeitsbereich der WfbM oder auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich ist. Kostenträger für die Maßnahmen im Ein-gangs- und Berufsbildungsbereich ist die Bundesagen-tur für Arbeit. Behinderte Menschen erhalten in dieser Vorbereitungszeit ein Ausbildungsgeld, welches sich im ersten Jahr auf monatlich 67 Euro und im zweiten Jahr auf monatlich 80 Euro beläuft.

Wird der behinderte Mensch im Anschluss an den Be-rufsbildungsbereich in den Arbeitsbereich der WfbM aufgenommen, steht er zu der Werkstatt in einem ar-beitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis, ohne allerdings Arbeitnehmer im Rechtssinne zu sein. Aus dem arbeit-nehmerähnlichen Rechtsstatus folgt jedoch, dass die Re-gelungen über Arbeitszeit, Urlaub, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Erziehungsurlaub und Mutterschutz auch für Werkstattbeschäftigte gelten. Da die Werkstattarbeit ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis darstellt, sind Werkstattbeschäftigte unfall- und renten-versichert. Sie müssen sich ferner eigenständig gegen Krankheit und Pflegebedürftigkeit versichern, sind also z. B. nicht mehr im Rahmen der Familienversicherung über die Eltern krankenversichert (siehe Kapitel F. I.).

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Neben dem Arbeitsentgelt, das aus dem Produktions-erlös der Werkstatt gezahlt wird, erhalten Werkstattbe-schäftigte in der Regel ein Arbeitsförderungsgeld, das seit 1. Januar 2017 bis zu 52 Euro monatlich betragen kann. Nach 20-jähriger Tätigkeit in einer WfbM besteht darüber hinaus ein Anspruch auf Rente wegen voller Er-werbsminderung. Die Kosten, die im Arbeitsbereich einer WfbM entstehen, trägt in der Regel der überörtliche Trä-ger der Sozialhilfe im Rahmen der Eingliederungshilfe. Werkstattbeschäftigte müssen, sofern ihr monatliches Einkommen 848 Euro (Stand: 2019) übersteigt, allenfalls einen Kostenbeitrag für das in der Werkstatt eingenom-mene Mittagessen leisten. Eltern behinderter Menschen müssen sich an den Werkstattkosten nicht beteiligen.

IV. Andere Leistungsanbieter

Mit der durch das BTHG zum 1. Januar 2018 eingeführ-ten Regelung für andere Leistungsanbieter wurde für Menschen mit Behinderung, die einen Anspruch auf Aufnahme in eine WfbM haben, eine Alternative zur be-ruflichen Bildung und zur Beschäftigung in einer WfbM geschaffen. Die Alternative besteht darin, dass die An-spruchsberechtigten die ihnen zustehenden Leistungen nicht nur in der Werkstatt, sondern auch außerhalb bei anderen Leistungsanbietern in Anspruch nehmen kön-nen. Grundsätzlich gelten für andere Leistungsanbieter dieselben Vorschriften wie für Werkstätten. Im Gegensatz zur WfbM bedürfen andere Leistungsanbieter aber kei-ner förmlichen Anerkennung und müssen nicht über eine Mindestplatzzahl verfügen. Auch können sie ihr Angebot auf Leistungen zur beruflichen Bildung oder Leistungen zur Beschäftigung beschränken. Erhält der behinderte Mensch bei einem anderen Leistungsanbieter Leistungen im Arbeitsbereich, steht er zu dem Leistungsanbieter in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis.

V. Budget für Arbeit

Für Menschen mit Behinderung, die Anspruch auf Leis-tungen im Arbeitsbereich einer WfbM haben, wurde durch das BTHG zum 1. Januar 2018 mit dem Budget für Arbeit

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eine weitere Alternative zur Beschäftigung in einer WfbM geschaffen. Ein Budget für Arbeit erhalten Anspruchsbe-rechtigte, wenn sie mit einem privaten oder öffentlichen Arbeitgeber ein sozialversicherungspflichtiges Arbeits-verhältnis mit einer tariflichen oder ortsüblichen Ent-lohnung eingehen. Das Budget für Arbeit umfasst einen Lohnkostenzuschuss an den Arbeitgeber zum Ausgleich der Leistungsminderung des Beschäftigten und die Auf-wendungen für die Anleitung und Begleitung (etwa für eine Arbeitsassistenz) am Arbeitsplatz. Der Lohnkosten-zuschuss beträgt bis zu 75 Prozent des vom Arbeitgeber regelmäßig gezahlten Arbeitsentgelts, höchstens jedoch 1.246 Euro (Stand: 2019).

VI. Tagesförderstätte

Für Menschen mit Behinderung, die die Aufnahmekrite-rien für die WfbM nicht erfüllen, kommt die Förderung in einer Tagesförderstätte in Betracht. Die in den Tagesför-derstätten anzubietenden Maßnahmen haben das Ziel, praktische Kenntnisse und Fähigkeiten zu fördern, die erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Men-schen die für ihn erreichbare Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Außerdem sollen sie auf Maßnahmen der Teilhabe am Arbeitsleben, vor allem in Werkstätten für behinderte Menschen, vorbereiten. Ta-gesförderstätten sind daher vorrangig in räumlichem oder organisatorischem Zusammenhang mit einer WfbM einzurichten, um den Übergang zur Werkstatt zu erleich-tern. Behinderte Menschen, die in Tagesförderstätten gefördert werden, haben im Gegensatz zu Werkstattbe-schäftigten keinen arbeitnehmerähnlichen Status. Sie erhalten keinen Arbeitslohn und bleiben beispielsweise im Rahmen der Familienversicherung über die Eltern krankenversichert (siehe Kapitel F. I.). Die Kosten für die Leistungen in einer Tagesförderstätte trägt in der Regel der überörtliche Sozialhilfeträger im Rahmen der Einglie-derungshilfe. Behinderte Menschen müssen lediglich einen Kostenbeitrag für das Mittagessen leisten, sofern ihr monatliches Einkommen (z. B. aufgrund einer hohen Unfallrente) 848 Euro (Stand: 2019) übersteigt. Die Eltern werden zu den Kosten der Tagesförderstätte nicht heran-gezogen.

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K. Wohnen

Damit Menschen mit Behinderung in den eigenen vier Wänden leben können, müssen ihre Wohnungen behin-dertengerecht gestaltet sein. Das Gesetz sieht hierfür verschiedene Hilfen vor. Die finanziellen Fördermöglich-keiten für barrierefreies Wohnen werden in der Broschüre „Mein Kind ist behindert – diese Hilfen gibt es“ des bvkm dargestellt.

Für Menschen mit Behinderung, die einen hohen Unter-stützungsbedarf haben, gibt es ferner spezielle Wohnfor-men. Neben den klassischen Wohnheimen für behinderte Menschen stehen kleine Wohngruppen oder sogenann-te externe Wohnungen zur Verfügung, in denen nur ein oder zwei behinderte Menschen leben. Außerdem ha-ben behinderte Menschen die Möglichkeit, in betreuten Wohnungen zu leben. In rechtlicher Hinsicht sind die Wohnformen nach stationären Einrichtungen und ambu-lanten Wohnformen zu unterscheiden. Zu den stationä-ren Wohnformen zählen Wohnheime bzw. Wohnstätten und Wohngruppen, während das Leben in einer betreu-ten Wohnung in der Regel der ambulanten Versorgung zugerechnet wird.

I. Stationäre Einrichtungen der Behindertenhilfe

In stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe – wie z. B. den klassischen Wohnheimen oder Wohnstät-ten – wird der gesamte Lebensbedarf des behinderten Menschen durch den Einrichtungsträger sichergestellt („Rund-um-Versorgung“). Das „Gesamtpaket“, das der behinderte Mensch in der Einrichtung erhält, setzt sich zusammen aus Leistungen der Pflegeversicherung (sie-he dazu die Ausführungen in Kapitel G. I. 6.), Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Ernährung, Unter-kunft, Kleidung etc.) sowie aus Leistungen der Einglie-derungshilfe (z. B. in Form von Betreuungsleistungen bei Freizeitaktivitäten). Bestandteil der Leistungen für den Lebensunterhalt ist das sogenannte Taschengeld, das sich für erwachsene Heimbewohner derzeit auf monatlich 114,48 Euro beläuft, für persönliche Bedürfnisse zur Ver-fügung steht und dem Bewohner direkt ausbezahlt wird.

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Die Wohnheimkosten werden in der Regel vom überört-lichen Träger der Sozialhilfe finanziert. An diesen Kosten müssen sich Heimbewohner mit ihrem Einkommen betei-ligen, und zwar auch soweit es unter der maßgeblichen Einkommensgrenze liegt (siehe dazu oben in Kapitel H. unter III.), da im Rahmen einer stationären Unterbrin-gung Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt erspart werden. Etwaiges Vermögen der Heimbewohner ist nur zu berücksichtigen, soweit es die maßgebliche Vermögensgrenze überschreitet.

Die Eltern volljähriger Heimbewohner müssen maximal 57,94 Euro (ab 1. Juli 2019: 60,93 Euro) im Monat für den Heimplatz bezahlen. Darin sind 25,19 Euro (ab 1. Juli 2019: 26,49 Euro) für den in der Einrichtung erbrachten Lebensunterhalt und 32,75 Euro (ab 1. Juli 2019: 34,44 Euro) für die im Wohnheim geleistete Eingliederungshilfe enthalten (siehe Kapitel M.).

BeachteMit dem Inkrafttreten der wichtigsten Stufe des BTHG zum 1. Januar 2020 wird es bei den bishe-rigen stationären Einrichtungen der Behinderten-hilfe zu einem grundlegenden Systemwechsel kommen. Ab diesem Zeitpunkt wird die Einglie-derungshilfe bei erwachsenen Menschen mit Behinderung nicht mehr zwischen ambulanten, teilstationären und stationären Leistungen unter-scheiden. Die Finanzierung der bisherigen stati-onären Einrichtungen, die künftig als „gemein-schaftliche Wohnform“, „besondere Wohnform“ oder auch „Wohnform nach § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 SGB XII“ bezeichnet werden, wird an das „ambulant betreute Wohnen“ (siehe dazu die Ausführungen im nachstehenden Kapitel K. II.) angeglichen. Dementsprechend wird das bislang in diesen Wohnformen erbrachte „Gesamtpaket“ aufgeschnürt und die Leistungen der Eingliede-rungshilfe von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts getrennt. Menschen mit Behinderung, die in einer solchen „gemeinschaftlichen Wohnform“ leben, erhalten künftig für den Lebensunterhalt in der Regel Leis-

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tungen der Grundsicherung im Alter und bei Er-werbsminderung nach der Regelbedarfsstufe 2. Diese Leistung wird direkt ausgezahlt. Dadurch entfällt das bisherige sogenannte Taschengeld. Allerdings sollen den Bewohnern auch weiter-hin Barmittel zur selbstbestimmten Verwendung aus dem Regelsatz verbleiben. Über die konkrete Höhe muss im Rahmen des Gesamtplanverfah-rens (siehe dazu die Ausführungen in Kapitel H.VII.) gemeinsam mit dem behinderten Menschen beraten werden. Die Kosten der Unterkunft wer-den ebenfalls im Rahmen der Grundsicherung übernommen und den Bewohnern direkt ausbe-zahlt. Da die bisherigen stationären Einrichtun-gen neben individuell genutztem Wohnraum auch Räume vorhalten, die der gemeinschaftlichen Nutzung dienen und dies Auswirkungen auf den Mietpreis haben kann, gilt für die Unterkunfts-kosten in „gemeinschaftlichen Wohnformen“ eine Sonderregelung. Wird der Lebensunterhalt durch Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminde-rung sichergestellt, müssen Eltern, deren volljäh-rige Kinder mit Behinderung in einer „gemein-schaftlichen Wohnform“ leben, künftig nur noch einen Beitrag für die dort erbrachten Leistungen der Eingliederungshilfe leisten. Dieser Beitrag be-läuft sich im Jahr 2020 auf monatlich 34,44 Euro.

II. Ambulant betreutes Wohnen

Lebt ein behinderter Mensch in einer eigenen Wohnung, in der er von Mitarbeitern eines ambulanten Dienstes der Behindertenhilfe pädagogisch betreut wird, spricht man vom „ambulant betreuten Wohnen“. Die pädagogische Betreuung besteht darin, den behinderten Menschen bei der Bewältigung seines Alltags (z. B. durch Anleitung im hauswirtschaftlichen Bereich, Begleitung bei Behörden-gängen usw.) zu unterstützen.

Im Gegensatz zu stationären Einrichtungen, in denen der Einrichtungsträger die komplette Versorgung der Bewoh-

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ner sicherstellt, müssen sich Menschen mit Behinderung, die ambulant betreut wohnen, ihr individuelles Leis-tungspaket aus verschiedenen Hilfen „zusammenschnü-ren“. Ihre Wohnung und ihren sonstigen Lebensunterhalt (Ernährung, Kleidung, Hobbys etc.) werden sie in der Re-gel durch eigenes Einkommen und/oder Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (sie-he dazu die Ausführungen in Kapitel E. II.) finanzieren. Daneben benötigen sie Leistungen der Eingliederungshil-fe (z. B. in Form von pädagogischer Betreuung) sowie un-ter Umständen Leistungen der Pflegeversicherung und/oder Hilfe zur Pflege.

Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege sind Leistungen der Sozialhilfe. An den Kosten dieser Leistungen muss sich der Mensch mit Behinderung mit seinem Einkommen und Vermögen in angemessenem Umfang beteiligen, so-weit bestimmte Grenzen überstiegen werden (siehe oben in Kapitel G. unter III. sowie in Kapitel H. unter IV.). Ist der behinderte Mensch volljährig, beschränkt sich der mo-natliche Unterhaltsbeitrag seiner Eltern für diese Kosten auf 32,75 Euro (ab 1. Juli 2019: 34,44 Euro).

L. Spezielle Regelungen für Teilhabeleistungen

Das SGB IX sieht spezielle Regelungen für Leistungen zur Teilhabe vor. Unter den Begriff der Leistungen zur Teilhabe werden verschiedene Sozialleistungen gefasst, die behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbstständige und selbstbestimmte Lebensführung ermöglichen sollen. Leistungen zur Teilhabe werden in fünf Leistungsgruppen eingeteilt (dazu gehören z. B. die Gruppe der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie die Gruppe der Leis-tungen zur sozialen Teilhabe) und von verschiedenen Kostenträgern (darunter z. B. die Bundesagentur für Ar-beit, die gesetzlichen Krankenkassen und die Sozialhil-feträger) erbracht. Nachfolgend werden einige spezielle Regelungen für Leistungen zur Teilhabe dargestellt, die für Menschen mit Behinderung von besonderer Bedeu-tung sind.

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I. Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung

Durch das BTHG wurde zum 1. Januar 2018 die ergän-zende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) im SGB IX verankert. Die Beratungsstellen der EUTB werden aus Bundesmitteln gefördert und sind von Kostenträgern (wie den Sozialhilfeträgern) und Leistungserbringern (wie z. B. Einrichtungen und Diensten für Menschen mit Behinderung) unabhängig. Das kostenlose Beratungs-angebot erstreckt sich auf die Information und Beratung über Rehabilitations- und Teilhabeleistungen nach dem SGB IX. Beratungsstellen der EUTB findet man über die Internetseite www.teilhabeberatung.de.

II. Zuständigkeitsklärung

Kommen für eine Leistung zur Teilhabe mehrere Kosten-träger in Betracht, werden Menschen mit Behinderung oft von einem Amt zum nächsten geschickt, bevor sie die benötigte Leistung erhalten. Um diese Praxis zu unterbin-den, sieht das SGB IX vor, dass der zuständige Kosten-träger für die beantragte Leistung zur Teilhabe innerhalb bestimmter Fristen verbindlich festzustellen ist.

III. Teilhabeplanverfahren

Damit mehrere Leistungen nahtlos ineinandergreifen, wurden durch das BTHG zum 1. Januar 2018 Regelungen zum Teilhabeplanverfahren in das SGB IX eingeführt. Vor-gesehen ist darin, dass der zuständige Kostenträger eine Teilhabeplanung vornehmen muss, wenn Leistungen aus verschiedenen Leistungsgruppen erforderlich oder meh-rere Kostenträger beteiligt sind. In dem zu erstellenden Teilhabeplan sind unter anderem der individuelle Reha-bilitationsbedarf und die erreichbaren Teilhabeziele zu dokumentieren. Unter bestimmten Voraussetzungen ist eine Teilhabeplankonferenz durchzuführen, in der die Feststellungen zum Rehabilitationsbedarf gemeinsam mit dem Leistungsberechtigten beraten werden. Ist der Träger der Sozialhilfe der zuständige Kostenträger soll er die Gesamtplankonferenz (siehe dazu die Ausführungen in Kapitel H. VII.) mit der Teilhabekonferenz verbinden.

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IV. Persönliches Budget

Das Persönliche Budget (PB) ist eine besondere Form der Leistungserbringung. Beantragt ein behinderter Mensch ein PB, erhält er einen bestimmten Geldbetrag und muss sich damit die Leistungen, die er braucht, selber einkau-fen. Er ist dabei nicht an bestimmte Einrichtungen und Dienste gebunden, sondern kann die benötigte Leistung (z. B. Begleitung ins Fußballstadion) auch von einer Pri-vatperson (z. B. einem Nachbarn) beziehen. Im Unter-schied dazu steht die Sachleistung. Sie ist die übliche Form der Leistungserbringung im Sozialrecht. Konkret bedeutet die Sachleistung, dass ein behinderter Mensch z. B. Leistungen der Eingliederungshilfe von einem Fami-lienunterstützenden Dienst erhält, diese aber nicht selbst bezahlen muss. Bezahlt wird der Dienst stattdessen vom Sozialhilfeträger. Während der Leistungsberechtigte also beim PB selbst Geld in die Hand bekommt, erfolgt die Ab-rechnung bei der Sachleistung zwischen dem Kostenträ-ger und dem leistungserbringenden Dienst.

Leistungsberechtigte behinderte Menschen haben einen Rechtsanspruch darauf, dass sie die ihnen zustehenden budgetfähigen Leistungen als PB erhalten. Budgetfähig sind zum einen Leistungen zur Teilhabe (wie z. B. die vom Sozialhilfeträger zu gewährenden Leistungen der Eingliederungshilfe – siehe dazu im Einzelnen die Aus-führungen in Kapitel H.) und zum anderen Leistungen der Kranken- und Pflegekassen, die sich auf alltägliche, wiederkehrende Bedarfe beziehen. Als PB können bud-getfähige Leistungen nur dann gewährt werden, wenn die Anspruchsvoraussetzungen des jeweiligen Leistungsge-setzes erfüllt sind. Eingliederungshilfe in Form eines PB können behinderte Menschen z. B. nur dann erhalten, wenn ihr Einkommen und Vermögen bestimmte Grenzen nicht überschreitet (siehe dazu im Einzelnen die Ausfüh-rungen in Kapitel H. unter II.–IV.) und auch die sonstigen Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungs-hilfe vorliegen.

Ein PB wird nur auf Antrag gewährt. Niemand kann also zur Inanspruchnahme von Leistungen in Form eines PB ge-zwungen werden. Der Antrag sollte bei dem Kostenträger

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gestellt werden, der für die benötigte Sozialleistung zu-ständig ist. Möchte ein behinderter Mensch z. B. Leistun-gen der Eingliederungshilfe in Form eines PB in Anspruch nehmen, sollte der Antrag beim Sozialamt gestellt werden.

Wer sich einmal für ein PB entschieden hat, ist nicht dau-erhaft an diese Leistungsform gebunden. Ein behinderter Mensch kann beispielsweise zur Sachleistung zurück-kehren, wenn er feststellt, dass er mit der Verwaltung des Geldbetrages überfordert ist.

M. Unterhaltspflicht der Eltern

Die Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber ihren Kindern ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt. Für voll-jährige Kinder müssen Eltern in der Regel keinen Unter-halt mehr zahlen. Mit Vollendung des 18. Lebensjahres müssen Kinder nämlich grundsätzlich eine Erwerbstätig-keit aufnehmen und für ihren Lebensbedarf selbst auf-kommen. Etwas anderes gilt, wenn sie sich noch in einer Ausbildung befinden oder einem Studium nachgehen. Bei behinderten Kindern, die häufig keiner Erwerbstä-tigkeit nachgehen können, besteht die Unterhaltspflicht der Eltern grundsätzlich über das 18. Lebensjahr hinaus fort. Voraussetzung ist, dass die Kinder unterhaltsrecht-lich bedürftig sind, also ihren Lebensbedarf nicht durch eigenes Einkommen und Vermögen sicherstellen können.

Erhält ein volljähriges unterhaltsberechtigtes Kind mit Behinderung Leistungen der Sozialhilfe (z. B. in Form von Eingliederungshilfe), müssen seine Eltern aufgrund ihrer Unterhaltspflicht grundsätzlich für diese Hilfe aufkom-men. Der Unterhaltsanspruch des Kindes geht in diesen Fällen nämlich auf den Sozialhilfeträger über. Das heißt, der Sozialhilfeträger kann von den Eltern Ersatz für die von ihm geleistete Hilfe verlangen. Hierfür gelten aller-dings folgende Besonderheiten:

• Bei Leistungen der Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege beschränkt sich der von den Eltern zu leisten-de Unterhaltsbeitrag auf 32,75 Euro (ab 1. Juli 2019: 34,44 Euro) im Monat (siehe Kapitel G. III. und H. V.).

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• Bei Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt ist der Unterhaltsbeitrag der Eltern auf monatlich 25,19 Euro (ab 1. Juli 2019: 26,49 Euro) beschränkt (siehe Kapitel K. I.).

Keinen Unterhaltsbeitrag für die vorgenannten Leistun-gen müssen Eltern leisten, die selbst Sozialhilfe bezie-hen. Auch wenn das monatliche Einkommen der Eltern 1.300 Euro nicht übersteigt oder die Leistung des Unter-haltsbeitrags für sie eine unbillige Härte bedeuten wür-de, muss der Betrag nicht bezahlt werden.

Eine weitere Besonderheit besteht bei der Grundsiche-rung im Alter und bei Erwerbsminderung. Auch sie ist eine Leistung der Sozialhilfe (siehe Kapitel E. II.). Bei dieser Leistung bleiben Unterhaltsansprüche von Kin-dern gegenüber ihren Eltern unberücksichtigt, sofern das jährliche Gesamteinkommen eines Elternteils 100.000 Euro nicht überschreitet. Mit anderen Worten: Liegt das jeweilige Einkommen der Elternteile unter diesem Betrag, haben die Kinder Anspruch auf Grundsicherung. Von den Eltern ist für diese Leistung der Sozialhilfe kein Unter-haltsbeitrag zu zahlen.

N. Versicherungsschutz

Kinder sind in vielen Bereichen bei den Eltern mitversi-chert. Mit dem 18. Geburtstag kann sich dies unter Um-ständen ändern. Über das 18. Lebensjahr hinaus bleiben Kinder aber in der Regel in der Privathaftpflichtversi-cherung ihrer Eltern mitversichert. Dies gilt unabhängig vom Wohnort und bis zum Ende der ersten Ausbildung. Bei der Hausratversicherung weiten einige Versicherer den Schutz des Familientarifs auf Zimmer in Wohnge-meinschaften oder Wohnheimen aus, solange der Le-bensmittelpunkt der Kinder noch bei den Eltern liegt. Im Schadensfall erstatten sie aber maximal 10 Prozent der Versicherungssumme. In die Rechtsschutzversicherung ihrer Eltern bleiben volljährige Kinder häufig solange ein-bezogen bis sie dauerhaft eigenes Geld verdienen. Zum Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversi-cherung siehe die Ausführungen in Kapitel F. Welche Ver-sicherungen sinnvoll sind, hängt vom Einzelfall ab.

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Weiterführende Literaturbvkm (Hrsg.): Versicherungsmerkblatt – Versi-cherungsschutz für Menschen mit Behinderung und deren Angehörige

O. Behindertentestament

Das Erbrecht regelt, wem das Vermögen eines Menschen nach dessen Tod zufällt, was mit dem Vermögen gesche-hen soll und wer für die Schulden des Nachlasses auf-kommt. Das Erbrecht ist Teil des Bürgerlichen Gesetzbu-ches (BGB).

Menschen mit Behinderung, die Leistungen der Sozial-hilfe in Anspruch nehmen, müssen Vermögen, das ihnen durch eine Erbschaft zufällt, zur Deckung ihres sozialhil-ferechtlichen Bedarfs einsetzen. Erst wenn das Vermögen bis auf einen Freibetrag, der sich seit 1. April 2017 in der Regel auf 5.000 Euro beläuft, aufgebraucht ist, ist der Sozialhilfeträger wieder zur Leistung verpflichtet. Wollen Eltern ihren behinderten Kindern materielle Werte aus einer Erbschaft zuwenden, um hierdurch z. B. bestimmte medizinische Leistungen zu finanzieren, empfiehlt sich deshalb ein sogenanntes Behindertentestament. Hier-durch kann der Zugriff des Sozialamtes auf den Nachlass verhindert werden. Zentrale Elemente des Behinderten-testamentes sind die Einsetzung des behinderten Men-schen zum Vorerben und die Anordnung der Testaments-vollstreckung. Da die Regelungen, die im Einzelnen zu treffen sind, sehr kompliziert sind, sollten Eltern sich in jedem Fall anwaltlich beraten lassen.

Weiterführende Literaturbvkm (Hrsg.): • Vererben zugunsten behinderter Menschen• Der Erbfall – Was ist zu tun?

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Bestelladressen für die vorgetellten Bücher und Merkblätter

Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen (bvkm)Brehmstraße 5-7, 40239 DüsseldorfE-Mail: [email protected]

Leben mit Behinderung Hamburg ElternvereinBetreuungsverein für behinderte MenschenSüdring 36, 22303 HamburgE-Mail: [email protected]

Deutsches StudentenwerkInformations- und Beratungsstelle Studium und BerufMonbijouplatz 11, 10178 BerlinE-Mail: [email protected]

Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat11055 Berlinwww.bmi.bund.de

Die Broschüren „Behinderung und Ausweis“ sowie „Leis-tungen zur Teilhabe am Arbeits- und Berufsleben und Nachteilsausgleiche für (schwer-)behinderte Menschen“ sind zu beziehen über:

Rheinland Kultur GmbHAbtei Brauweiler, Postfach 2140, 50250 PulheimTelefon: 02234 - 9495972

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Ratgeber des Bundesverbandes (Auswahl)

Die Rechtsratgeber des Bundesverbandes stehen im Internet unter www.bvkm.de in der Rubrik „Recht & Ratgeber“ kosten-los zum Download zur Verfügung. Sie können auch in gedruck-ter Form bestellt werden ([email protected]).

Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderungnach dem SGB XII Das Merkblatt erklärt, wie behinderte Menschen durch die Grundsicherung ihren Lebensunterhalt sichern können und weist auf Probleme hin, die häufig bei der Leistungsbewilli-gung auftreten.

Mein Kind ist behindert – Diese Hilfen gibt esEs werden in kurzer Form alle Hilfen, die für behinderte Men-schen und ihre Angehörigen wichtig sind, dargestellt. Die Broschüre gibt es in verschiedenen Sprachen. Informieren Sie sich unter www.bvkm.de in der Rubrik „Recht & Ratgeber“.

DeutschesZentral institutfür sozialeFragen/DZI

Dem Bundesverband für körper- und mehrfachbe-hinderte Menschen e.V. wurde das Spendensie-gel durch das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) zuerkannt.

Der Bundesverband für körper- und mehrfachbe-hinderte Menschen e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der sich ausschließlich über Spenden, Mitgliedsbeiträge und öffentliche Zuschüsse finanziert. Wir freuen uns, wenn Sie un-sere Arbeit durch eine Spende unterstützen. Unser Spenden-konto lautet:

Spendenkonto: Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte MenschenIBAN: DE69 3702 0500 0007 0342 03BIC: BFSWDE33XXXBank für Sozialwirtschaft

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Brehmstr. 5-7, 40239 DüsseldorfFon 02 11/64 00 4-0 Fax: 02 11/64 00 4-20

E-Mail: [email protected] www.bvkm.de

Der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinder-te Menschen e.V. (bvkm) ist der größte Selbsthilfe- und Fachverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen in Deutschland. In über 280 Mitgliedsorganisationen sind 28.000 Familien organisiert.

Eltern gemeinsam aktivWir unterstützen den Zusammenschluss von Eltern behinder-ter Kinder und Menschen mit Behinderung vor Ort.

Sozialpolitische InteressenvertretungWir sind an Gesetzgebungsverfahren beteiligt und arbeiten mit anderen Verbänden zusammen.

FachverbandWir kümmern uns um alle wichtigen Themen, die das Leben mit Behinderung oder das Zusammenleben mit einem behin-derten Kind betreffen. Wir bündeln Wissen, beraten und klären auf.

Dachorganisation Wir unterstützen unsere Mitgliedsorganisationen bei der Errichtung von Einrichtungen und Trägerschaften.

Landesverbände11 Landesverbände koordinieren die Arbeit in den Bundeslän-dern.

www.bvkm.deHier finden Sie ausführliche Informationen über den bvkm, An-sprechpartner in Ihrer Nähe, die Zeitschrift DAS BAND, unser Verlagsprogramm, die Download-Rubrik „Recht & Ratgeber“, den Newsletter „kurz & knapp“ und Veranstaltungen des bvkm.

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