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Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Oktober 2013 Syrien: Das zynische Kalkül hinter dem Bürgerkrieg Seit Jahren haben die USA (maßgeblich unterstützt von Frankreich, Großbritannien und den lokalen Komplizen Saudi- Arabien und Katar) durch die Aufrüstung der Aufständischen gezielt auf einen Regimewech- sel in Syrien hingearbeitet. Zwischenzeitlich hatte es den Anschein, als hätten sich Wa- shington und seine Verbünde- ten sogar für eine direkte Mi- litärintervention entschieden. Als Rechtfertigung diente die Anschuldigung, die Regierung Baschar al-Assads hätte diver- se Giftgaseinsätze zu verant- worten, obwohl es auch zahl- reiche Hinweise gibt, dass die Angriffe tatsächlich von Rebel- lenseite verübt worden sein könnten (mutmaßlich, um so eine westliche Intervention her- beizuführen). Alle Anzeichen standen also auf Krieg – doch dann kam es zu einer erstaun- lichen Kehrtwende. Zunächst sprachen die USA »nur« noch von »begrenzten Luftschlägen«, von einem Regimewechsel wollte man urplötzlich nichts mehr wissen. Und obwohl ein- flussreiche Kräfte in den USA weiterhin hierauf drängen, scheint aktuell eine Militärin- tervention – zumindest vorläu- fig – ganz vom Tisch zu sein. Für diese Entwicklung bieten sich zwei Erklärungen an. So könnte der heftige Widerstand Russlands und die Skepsis der US-Bevölkerung eine kritische Masse ergeben haben, die die politischen Risiken eines neu- erlichen völkerrechtswidri- gen Angriffskrieges schlicht zu hoch werden ließ. Doch trotzdem ist keineswegs Ent- warnung angesagt, schließlich drängen einflussreiche Kreise in der US-Regierung – allen vor- an die nationale Sicherheitsbe- raterin Susan E. Rice und UN- Botschafterin Samantha Power – weiter massiv auf eine Militä- rintervention. Allerdings gibt es noch eine andere – weit zynischere – mögliche Interpretation des US-Verhaltens. So ergaben Un- tersuchungen der Sicherheits- analysten von Jane’s, dass sich die Aufstandsbewegung aus 100.000 Kämpfern zusammen- setzt. Etwa 10.000 davon wür- den direkt von Al-Kaida kon- trolliert, weitere 30-35.000 stünden der Terrororganisation nahe. Dazu kämen noch etwa 30.000 moderate islamische Kämpfer, säkulare Kräfte sei- en in der absoluten Minderheit. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass US-Gene- ralstabschef Martin Dempsey noch zwei Tage vor den Giftgas- angriffen vom 21. August 2013, für die die syrische Regierung verantwortlich gemacht wird, erklärte, es sei nicht mehr im Interesse der USA, dass sich eine der beiden Seiten durch- setze. Wenn also weder Assad noch die Aufständischen den Bürger- krieg gewinnen sollen, was wol- len die USA dann bezwecken – zumal Washington Berich- ten zufolge seine Waffenliefe- rungen an die Rebellen noch- mals intensiviert hat, obwohl US-General Martin Dempsey einräumte, dies werde nicht ausreichen, um den Aufstän- dischen zum Sieg zu verhelfen (wohl aber dafür, die jüngsten Gebietsgewinne der Regie- rungstruppen aufzuhalten)? Die US-Regierung fördert dem- zufolge einen eskalierenden und fortdauernden Bürger- krieg. Da sie gleichzeitig drin- gend notwendige Friedensver- handlungen torpediert, liegt die Vermutung nahe, dass genau hierin das Ziel liegt. Schließlich werden in Syrien auch mas- siv Kräfte der Hisbollah und des Iran gebunden, die die Re- gierung im Kampf gegen die mittlerweile vorwiegend radi- kalislamistisch dominierten Aufständischen unterstützen. Als »keine schlechte Sache« bezeichnete etwa der gut in- formierte private Nachrichten- dienst Strategic Forecast die US-Strategie, die augenschein- lich darauf abzielt, dass sich US-feindliche Kräfte im syri- schen Bürgerkrieg gegensei- tig aufreiben und schwächen sollen. Dieses zynische Kalkül mag vielleicht den Interessen der USA (und ihren Verbünde- ten) dienen, für die Menschen in Syrien hingegen ist es eine Katastrophe. Sabine Lösing

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Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Oktober 2013

Syrien: Das zynische Kalkül hinter dem Bürgerkrieg

Seit Jahren haben die USA (maßgeblich unterstützt von Frankreich, Großbritannien und den lokalen Komplizen Saudi-Arabien und Katar) durch die Aufrüstung der Aufständischen gezielt auf einen Regimewech-sel in Syrien hingearbeitet. Zwischenzeitlich hatte es den Anschein, als hätten sich Wa-shington und seine Verbünde-ten sogar für eine direkte Mi-litärintervention entschieden. Als Rechtfertigung diente die Anschuldigung, die Regierung Baschar al-Assads hätte diver-se Giftgaseinsätze zu verant-worten, obwohl es auch zahl-reiche Hinweise gibt, dass die Angriffe tatsächlich von Rebel-lenseite verübt worden sein könnten (mutmaßlich, um so eine westliche Intervention her-beizuführen). Alle Anzeichen standen also auf Krieg – doch dann kam es zu einer erstaun-lichen Kehrtwende. Zunächst sprachen die USA »nur« noch von »begrenzten Luftschlägen«, von einem Regimewechsel wollte man urplötzlich nichts mehr wissen. Und obwohl ein-flussreiche Kräfte in den USA weiterhin hierauf drängen, scheint aktuell eine Militärin-tervention – zumindest vorläu-fig – ganz vom Tisch zu sein.Für diese Entwicklung bieten sich zwei Erklärungen an. So könnte der heftige Widerstand Russlands und die Skepsis der US-Bevölkerung eine kritische Masse ergeben haben, die die politischen Risiken eines neu-erlichen völkerrechtswidri-gen Angriffskrieges schlicht zu hoch werden ließ. Doch trotzdem ist keineswegs Ent-warnung angesagt, schließlich drängen einflussreiche Kreise in der US-Regierung – allen vor-an die nationale Sicherheitsbe-raterin Susan E. Rice und UN-Botschafterin Samantha Power – weiter massiv auf eine Militä-rintervention.Allerdings gibt es noch eine andere – weit zynischere – mögliche Interpretation des US-Verhaltens. So ergaben Un-tersuchungen der Sicherheits-

analysten von Jane’s, dass sich die Aufstandsbewegung aus 100.000 Kämpfern zusammen-setzt. Etwa 10.000 davon wür-den direkt von Al-Kaida kon-trolliert, weitere 30-35.000 stünden der Terrororganisation nahe. Dazu kämen noch etwa 30.000 moderate islamische Kämpfer, säkulare Kräfte sei-en in der absoluten Minderheit. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass US-Gene-ralstabschef Martin Dempsey noch zwei Tage vor den Giftgas-angriffen vom 21. August 2013, für die die syrische Regierung verantwortlich gemacht wird, erklärte, es sei nicht mehr im Interesse der USA, dass sich eine der beiden Seiten durch-setze. Wenn also weder Assad noch die Aufständischen den Bürger-krieg gewinnen sollen, was wol-len die USA dann bezwecken – zumal Washington Berich-ten zufolge seine Waffenliefe-rungen an die Rebellen noch-mals intensiviert hat, obwohl US-General Martin Dempsey einräumte, dies werde nicht ausreichen, um den Aufstän-dischen zum Sieg zu verhelfen (wohl aber dafür, die jüngsten Gebietsgewinne der Regie-rungstruppen aufzuhalten)?Die US-Regierung fördert dem-zufolge einen eskalierenden und fortdauernden Bürger-krieg. Da sie gleichzeitig drin-gend notwendige Friedensver-handlungen torpediert, liegt die Vermutung nahe, dass genau hierin das Ziel liegt. Schließlich werden in Syrien auch mas-siv Kräfte der Hisbollah und des Iran gebunden, die die Re-gierung im Kampf gegen die mittlerweile vorwiegend radi-kalislamistisch dominierten Aufständischen unterstützen. Als »keine schlechte Sache« bezeichnete etwa der gut in-formierte private Nachrichten-dienst Strategic Forecast die US-Strategie, die augenschein-lich darauf abzielt, dass sich US-feindliche Kräfte im syri-schen Bürgerkrieg gegensei-tig aufreiben und schwächen sollen. Dieses zynische Kalkül mag vielleicht den Interessen der USA (und ihren Verbünde-ten) dienen, für die Menschen in Syrien hingegen ist es eine Katastrophe.

Sabine Lösing

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Seite 2Links! 10/2013 Links! im Gespräch

»Von Entwarnung sollte man nicht sprechen«

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Der Bürgerkrieg in Syrien und die Gefahr einer militäri-schen Intervention von außen bestimmen seit Wochen die öffentlichen Debatten. Ins-besondere an der Rolle der Bundesregierung wird immer stärkere Kritik laut. »Links!« befragte den ehemaligen Bio-waffeninspektor bei den Ver-einten Nationen und heutigen außenpolitischen Sprecher der Linksfraktion im Bundes-tag, Jan van Aken, zum Kon-flikt und dessen Facetten. Herr van Aken, US-Präsi-dent Obama ist in seiner Rede an die Nation zurück-gerudert und will, so sei-ne Aussage, vorerst von einem Militärschlag abse-hen. Ist die Kriegsgefahr damit gebannt?Gebannt für den Moment, aber von Entwarnung sollte man nicht sprechen, so lan-ge die USA und Frankreich im Hintergrund bei ihren militäri-schen Drohungen bleiben. Die Gemeinsamkeit, die Russland und die USA bei der Frage der syrischen Chemiewaffen her-stellen konnten, macht aber etwas Mut, dass es auch bei der Beilegung des Bürgerkrie-ges in Syrien Fortschritte ge-ben kann. Denn auch das wird nur klappen, wenn alle Betei-ligten eingebunden werden.

Der furchtbare Giftga-seinsatz ist Anlass zu öf-fentlichen Debatten, be-rührt aber nicht den Kern des Konflikts. Worin be-steht der aus Ihrer Sicht?Ich sehe eigentlich zwei grund-legende Konfliktursachen: Ei-nerseits eine syrische Zivilbe-völkerung, die in der Tradition des Arabischen Frühlings in Tunesien und Ägypten ihren Diktator loswerden und mehr Freiheit erlangen will. Ande-rerseits ist der Konflikt aber früh von außen internationali-siert worden, verschiedene re-gionale Mächte haben längst ihre eigene Agenda nach Syri-en getragen – und denen geht es überhaupt nicht um die Zi-vilbevölkerung, Freiheit oder Bürgerrechte, das sehen wir ja leider jeden Tag.

Nicht nur Konstantin We-cker vertritt die Meinung, dass es beim Krieg »im-mer nur ums Geldverdie-nen geht«. Es drängt sich der Eindruck auf, dass es vor allem die Öl- und Gas-vorkommen sind, die Syri-en für westliche Mächte in-teressant machen. Ist der

US-Präsident tatsächlich vor allem um das Wohl der syrischen Zivilbevölkerung besorgt?Natürlich nicht! Wenn es ihm um die Zivilbevölkerung ge-hen würde, hätten die USA viel entschiedener eine kollekti-ve Friedenslösung angestrebt und sie würden richtig Geld in die Hand nehmen, um den Mil-lionen von Flüchtlingen in Sy-rien und den Nachbarstaaten zu helfen. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für die Bundes-regierung, die nach wie vor viel zu wenige Flüchtlinge nach Deutschland reinlässt. Aber: Um Öl oder Gas geht es in Sy-rien nicht, da liegt kaum etwas davon. Es geht strategisch vor allem wohl darum, Iran da-durch zu schwächen, dass Sy-rien als dessen letzter verblie-bener Partner in der Region geschwächt wird.

Die öffentliche Debatte vergibt schnell Etiketten, die oft undifferenziert sind und nicht hinterfragt wer-den. In Syrien steht so »das Assad-Regime« den »Re-bellen« gegenüber. Was kennzeichnet beide Seiten, welche Interessen verfol-gen sie, wer unterstützt sie?Es gibt viele verschiedene Re-bellengruppen, einige davon sehr islamistisch oder gar Al-Qaida-nah. Andererseits gibt es bis heute viele Menschen in Syrien, die friedlich für ihre Freiheitsrechte auf die Straße gehen.

Obama behauptet zu wis-sen, dass das Assad-Re-

gime am Giftgaseinsatz schuld sei. Putin hält es für wahrscheinlich, dass die Rebellen die Schuld trifft, die damit eine Inter-vention von außen provo-zieren wollen. Liegen aus Ihrer Sicht überzeugende Beweise für eine der bei-den Versionen vor? Kön-nen die Vereinten Nationen die Schuldfrage überhaupt klären?Die Inspektoren haben das in ihrem Bericht nicht geklärt – aber es war erstens auch nicht ihr Job und zweitens ist es auch nicht so einfach mög-lich. Deswegen waren die »kla-ren Hinweise« auf die Angrei-fer ja auch von Anfang an so vollkommen absurd, egal ob sie von den USA oder Russ-land kamen. Wichtig ist zwar, dass die Schuldigen juristisch für den Angriff bestraft wer-den. Aber noch viel wichtiger ist, dass sich ein derartiges, furchtbares Verbrechen nicht wiederholen kann. Deswegen ist der Plan zur Vernichtung der Chemiewaffen so bedeut-sam und deswegen ist auch ein Ende dieses furchtbaren Bürgerkriegs das Hauptziel, das sich alle Beteiligten auf die Fahnen schreiben müssen. Warum bleibt der französi-sche Staatspräsident Hol-lande an der Seite Obamas und befürwortet einen An-griff?Wir haben ja schon im Falle Li-byens gesehen, dass Hollan-de keine friedliche Außenpo-litik will, sondern alles dafür tut, Frankreichs militärische Macht zu demonstrieren. Ich

finde das – gerade für einen Präsidenten, der sich selbst sozialistisch schimpft – wirk-lich unerträglich.

Ist ein zeitlich begrenz-ter Kriegseinsatz der USA überhaupt denkbar? Wie würden Russland und der Iran wohl reagieren?

»Denkbar« ist bei dieser krie-gerischen Außenpolitik ja lei-der so gut wie alles. Der Punkt ist nur, dass es – wie zeitlich begrenzt auch immer ein Mi-litärschlag ausfallen würde - hinsichtlich der Chemiewaf-fen überhaupt nichts bringt und den Konflikt nur noch wei-ter eskaliert und internationa-lisiert. Ganz abgesehen von den weiteren Opfern, die der Militärschlag unmittelbar hät-te! Über die Reaktionen von Russland und Iran lässt sich nur spekulieren, sicher ist aber, dass eine politische Lö-sung noch unwahrscheinlicher würde.

Die Vereinten Nationen lähmen sich selbst, ins-besondere durch die ver-härteten Fronten im Si-cherheitsrat. Haben Sie Hoffnung, dass sich daran etwas ändern wird?

Ich denke schon, dass die Ei-nigung, die man jetzt bei As-sads Chemiewaffen gefunden hat, ein bisschen Mut machen kann: Beide Seiten, Russland und die USA, scheinen lang-sam zu begreifen, dass nur ge-meinsam und in Verhandlun-gen eine Lösung des Konflikts möglich sein wird. Langfristig

wollen wir als LINKE aber eine grundsätzliche Reform der UN – eben gerade weil die Blocka-den der Sicherheitsratsmit-glieder die ganze Organisation lähmen.

Welche Rolle spielt die deutsche Bundesregierung in diesem Konflikt, wie sollte sie weiter vorgehen?

Deutschland ist Kriegspartei. Denn mit der Stationierung der Patriot-Raketen in der Tür-kei hat sich die Bundesregie-rung ganz klar auf die Seite von Erdogan gestellt, der den Krieg in Syrien massiv anheizt. Die Golfmonarchien, die die Rebellen unterstützen, sind für Merkel ja auch »strategi-sche Partner« und dankbare Empfänger deutscher Rüs-tungsexporte. Mit all dem ha-ben Merkel und Westerwelle die Chance vertan, als neut-rale Vermittler für eine friedli-che Lösung in Syrien einzutre-ten. Außerdem ist natürlich die Weigerung, viel mehr und viel schneller Flüchtlinge aus Syri-en aufzunehmen, ein extremer Fehler.

Eine deutliche Mehrheit der deutschen Bevölke-rung ist gegen einen An-griff des Westens. Weshalb versucht die LINKE nicht, den zwar vertagten, aber nach wie vor geplanten Mi-litärschlag gegen Syrien stärker ins Zentrum der Auseinandersetzung zu rü-cken?

Ist das so? Ich finde, wir versu-chen das und haben es ja auch immer wieder geschafft, die Debatte darüber zu befeuern. Nicht zuletzt, indem wir aufge-deckt haben, dass auch deut-sche Firmen sensible Chemi-kalien nach Syrien geliefert haben, die auch für die Pro-duktion von Sarin eingesetzt werden könnten.

Schlussfrage: In diesen Ta-gen jährt sich der Militär-putsch in Chile zum 40. Mal. Wer ist ein würdigerer Friedensnobelpreisträger: Henry Kissinger oder Ba-rack Obama?

Gute Frage. Nächste Frage bitte.

Die Fragen stellten Rico Schu-bert und Kevin Reißig.

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Seite 3 10/2013 Links! Die dritte Seite

Jede und jeder weiß es, damit ist das Theater gemeint. Jeder und jede weiß auch, dass an diesen Brettern heute allüber-all gebohrt und gesägt wird. Ein aktuelles Beispiel ist das Chemnitzer Theater: Etwa 10 % der Stellen sollen im Laufe von fünf Jahren eingespart werden. Die Verbleibenden müssen Ge-haltskürzungen in Kauf nehm-en. Die Ticketpreise werden steigen. Jährliche Einsparungen bis zu 5 Millionen Euro sollen erzielt werden. Das rettet das Theater mit allen seinen fünf Sparten. Zu wessen Nutzen? Man fordert mit Lohnkürzun-gen Opfer von jenen, deren Ar-beitsplätze gefährdet sind. Eine soziale Rettungstat für Verzich-

tbares und Verzichtbare? Man fordert mit Preiserhöhungen Opfer von jenen, denen Theater bisher ein allzu wohlfeiler Luxus war. Berechtigtes Abschöpfen von Kaufkraft Betuchter für ei-gentlich verzichtbaren Spaß? Friedrich Schiller bemüht die Bretter und vermeldet »An die Freunde«: »Sehn wir doch das Große aller Zeiten auf den Bret-tern, die die Welt bedeuten, sin-nvoll still an uns vorübergehen.« Solches klingt hoch und hehr, pathetisch. Der Romantiker No-valis formuliert es nüchterner: »Das Theater ist die tätige Re-flexion des Menschen über sich selbst.« Das hat etwas mit Selbsterhaltung zu tun, mit Leb-ensnotwendigkeit. Theater ist kein billiger oder teurer Spaß. Nein, wir brauchen es wie Was-ser, Nahrung, Kleidung oder Wohnung, um Mensch sein zu können. Theater ist Daseins-vorsorge, und deshalb ist eine Perspektive falsch, die nur den Preis der Produktion und das Amüsement des Publikums im Auge hat. Ein solcher Blick

klammert den Menschen, die Gesellschaft und die Funktion des Theaters für den Menschen und die Gesellschaft unzuläs-siger Weise aus. Mag sein, dass die deutschen Fürsten mit ihren vielen Klein-staaten einst eher Selbstbe-spiegelung, Repräsentation und Unterhaltung des vornehm-

en Publikums im Sinn hatten, als sich ein jeder sein Theater schuf. Mag sein, dass dies der banale Grund für eine weltweit wohl einmalige Theaterdichte in Deutschland ist. Es ist den-noch ein Erbe, das man nicht leichtfertig aufs Spiel setzt. Wir sollten vielmehr akzeptieren, es ist uns teuer. Nach Oscar Wil-de ist die Bühne ein Treffpunkt

von Kunst und Leben. Das passt zu Schiller und Novalis, und das stimmte auch schon für die kleinstaatlichen Bühnen. Sie nährten uns nicht zuletzt einen Schiller, einen Goethe, einen Lessing. Sie brachten die Aufklärung unter das Volk, den sozialen Protest, die denk-baren und spielbaren Alterna-tiven zu bedrückender Wirklich-keit. Freilich beförderte Theater auch Reaktion, lenkte ab, fes-tigte Herrschaft. Deshalb ist Theater auch so alt, fast so alt wie die Menschheit insgesamt. Darum liebte es Oscar Wilde, Theater zu spielen. »Es ist so viel realistischer als das Leben.«So wenig, wie man Wasser verschwenden sollte, so ver-werflich die Vernichtung von Nahrung ist, so schlimm wäre es auch, wenn Theater Res-sourcen zu seinem eigenen Schaden vergeuden würde. Natürlich wissen wir, dass es unterschiedliche Interessen an diesen Ressourcen gibt. Goethe veranschaulicht uns dies mit seinem dem Faust vor-

angestellten »Vorspiel auf dem Theater«. Der Theaterdirek-tor will »... gern die Menge seh-en, wenn sich der Strom nach unserer Bude drängt ...« Das bringt Geld. Die Schauspieler, die »lustigen Personen«, sie wollen der Mitwelt Spaß ma-chen und sie erschüttern. Dem Dichter gilt das aber nichts. Er will »mit Götterhand erschaffen und erpflegen.« Und er bringt uns gerade mit der »Götter-hand«, die nichts anderes ist als eine ewige Sehnsucht des Menschen, mehr zu können als essen und trinken, zurück in die Wirklichkeit: Theater wäre in seinen Grundlagen zerstört, setzte man es einfach dem Markt aus oder existenzgefähr-denden Sparzwängen. Aber wer spricht denn hier vom Ende des Theaters? Es soll doch nur gespart werden, um es zu retten. Es tröstet uns Georg Christoph Lichtenberg. »Unsere Kultur ist wirklich fortgeschrit-ten, wir fressen einander nicht, wir schlachten uns bloß.«Peter Porsch

Bretter, die die Welt bedeuten

Schadenfreude und der Unwillen zur MachtDie Linke sollte sich als »Lucky Loser« der Bundestagswahl nicht zu lange feiern

Drei Prozent verloren und trotzdem »voll zufrieden« wie Dietmar Bartsch? Und Gregor, der unkaputtbare Stimmen-zieher, kriegte sich vor Hei-terkeit am Wahlabend kaum noch ein? Die Erleichterung darüber, dass sich sein In-termezzo als Berliner Wirt-schaftssenator 2002 nicht etwa als Bundesminister wie-derholen würde, kann es wohl kaum gewesen sein. Auch der in Aussicht stehende Titel des Oppositionsführers und die Bronzemedaille im Parteien-rennen allein werden nicht so viele Endorphine freigesetzt haben. Schadenfreude ist eben die schönste Freude. Und auch Gysi, vom Verband der Re-denschreiber als bester Wahl-kampfredner gekürt, hatte zu-vor unter anderem mit dem Argument für die Linke gewor-ben, so könne man die ande-ren am besten ärgern. Denn sie hätten es verdient! Nun se-hen wir tatsächlich alle ande-ren einschließlich der Wahlsie-gerin betroffen, die Wahllokale zu und alle Fragen offen. Da

darf man auch mit 8,6 Prozent getrost ein bisschen feixen. Über den sanften Kanniba-lismus von Mutti Angela zum Beispiel, die eigentlich mehr Tante als Mutti ist. Wie sie mit einem uralten CDU-Grund-satz brach und im Rausch der Macht auch noch den strategi-schen Partner FDP liquidieren half. Und wie die Union den Hauptfeind neuerdings bei den grünen Kinderschändern und Steuergeiern verortete. Und wie die angeblich mäch-tigste Frau der Welt nun selber eine Heiratsannonce schalten muss, um Neuwahlen zu ver-

meiden. Keiner will mit dem Sieger. In der Elefantenrunde am Wahlabend verrieten Mer-kels vertraut hängende Mund-winkel, dass sie das endlich kapiert zu haben schien. Die Union steht da wie das einstige Schmuddelkind PDS. Aber diese Ächtung der Lin-ken ist ja noch nicht vorbei. Die SPD kann einfach nicht über ihren immer länger wer-denden Schatten springen, wenn sich die rechnerische Chance für einen Machtwech-sel bietet. Nun sind es kaum noch die SED-Altkader, son-dern die neukommunistischen

West-Sektierer, die das an-geblich verhindern. Die Scha-denfreude über das Winden der ewig schwankenden So-zialdemokraten ist allerdings schon eine gedämpftere, wenn man wirklich Bewegung in Deutschland will. Denn da-für braucht man einen ernst-haften Willen zur Macht, und der scheint der Sozialdemo-kratie ebenso zu fehlen wie Teilen der Linken, die sich lie-ber in einer komfortablen Ge-neralopposition einrichten.Zugestanden: Die minimalis-tische Feststellung »Es hätte schlimmer kommen können«

verführt jetzt zum entspann-ten Zurücklehnen. Vor Jahres-frist schien sich die Linke noch selbst zu demontieren. Und in der Bundesrepublik, in der Horst Seehofer Bayern schon als »Vorstufe zum Paradies« bezeichnet, herrscht nicht ge-rade Wechselstimmung. Eine Zeitschleife scheint uns viel-mehr in den Wirtschaftswun-dermief von Sofa und Nie-rentischen zurückgeführt zu haben, als Adenauers »Keine Experimente« zur ersten Bür-gerpflicht avancierte. So gese-hen ist das Wahlergebnis ganz akzeptabel.Aber zum Sekt reicht es an-gesichts der im kommenden Jahr bevorstehenden Land-tagswahlen gerade im Osten nicht. »Was lernt uns das, Ge-nossen?« hätten wir mit Blick auf Sachsen früher parodiert. Hinsichtlich der Vertretung im Bundestag hat die sächsi-sche Linke ihre Wahlziele na-hezu erreicht und die 20 Pro-zent immerhin gehalten. Doch 2014 stehen in Sachsen die gleichen strategischen Fra-gen an wie im Bund. Im Klar-text: Wollen SPD und Grüne gemeinsam mit der Linken ei-nen Lagerwahlkampf führen, um die CDU erstmals abzulö-sen? Rico Gebhardt hat das angeregt und schon im Vor-jahr die Kompromissidee ei-nes neutralen Ministerprä-sidenten geäußert, die den Sozis eine Brücke bauen könn-te. Aber SPD-Generalsekre-tär Dirk Panter wollte auch am Tag nach der Wahl »nicht in rot-rot-grüne Träumereien verfallen«. Das Bundestags-wahlergebnis gäbe dies auch rechnerisch nicht her. So mu-tig sind eben Sozialdemokra-ten. Mark Spitz

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Seite 4Links! 10/2013 Hintergrund

SYRIZA – eine linke Sammlungsbewegung

Das Internet und das Wasser

Griechenlands SYRIZA im Spagat zwischen Parteiwerdung und politischer Bewegung

In Griechenland in der poli-tischen Linken aktiv zu sein heißt, militant zu sein. Nicht im Sinne von Gewalt, wohl aber im Sinne Teil einer Bewe-gung zu sein und durch öffent-lichen, auch radikalen Protest gegen Sozialabbau oder (eu-ropäische) Kürzungsdiktate zu tragen. Dies mag ein Grund sein, warum die Sammlung der griechischen Linken lang-wierig und kräftezehrend war. Mit Bewunderung hatte die deutsche Linke (groß wie klein-geschrieben) auf das Wahl-ergebnis der griechischen Linkspartei SYRIZA im Jahre 2012 geschaut. Damals, am 17. Juni, ging die Partei noch als Sammlungsbewegung ver-schiedener Linksformationen mit rund 27 Prozent als zweit-stärkste Kraft aus den Parla-mentswahlen hervor. Dieser Wahlerfolg hatte gravieren-de Folgen für die politische Landschaft und die Linke in Griechenland. Zum einen wur-de durch den Erfolg von SYRI-ZA erstmals nach dem Ende der Militärdiktatur 1974 das durch sozialdemokratische PASOK und rechtskonservati-ve Nea Demokratia (ND) do-minierte Zweiparteiensystem aufgebrochen. Keine der bei-den klientelistisch geführten

Volksparteien verfügte nun-mehr über eine eigene Mehr-heit zur Regierungsbildung. Zum zweiten geriet durch den Erfolg von SYRIZA die radi-kale Linke europaweit nach über 20 Jahren wieder in den öffentlichen Fokus. Zum drit-ten, und das ist das vielleicht wichtigste Resultat, waren die verschiedenen linken Partei-en nun gezwungen, ihren Ei-nungsprozess zu forcieren. Denn: Eine wirkliche Partei war SYRIZA zu diesem Zeit-punkt noch nicht. Alles begann auch in Grie-chenland mit der Spaltung der kommunistischen Bewe-gung in Westeuropa in einen eurokommunistischen und einen orthodoxen Teil. 1968 trennten sich Reformkommu-nisten von der Kommunisti-schen Partei Griechenlands (KKE), die aufgrund der Dik-tatur im Untergrund und vom Ostblock aus operierte. In den 1980er Jahren schloss der »Eurokommunistische« Teil mit dem Marxismus-Le-ninismus ab und formte ei-ne neue »Griechische Linke« (EAR). Die EAR kandidierte in diesen Jahren unter dem Na-men »Synaspismos« als Wahl-plattform, unterschiedlicher Zusammensetzung. Nach dem Zusammenbruch des real-existierenden Sozialis-mus zerbrach dieses Bündnis und fand als Partei seine Wie-derauferstehung kurze Zeit später mithilfe ehemaliger KKE-Mitglieder, die an eine Erneuerung ihrer Partei nicht mehr glaubten. Diese neue Partei, Synaspismos, schaffte

in den darauffolgenden Jahren immer nur knapp den Sprung über die Dreiprozenthürde. Nach den Wahlen 2000 und mehreren Spaltungen, wandte sich die Partei mehr dem radi-kalen linken Spektrum zu und öffnete sich vor allem gegen-über der globalisierungskriti-schen Bewegung. Vier Jahre später trat man, gemeinsam mit neun weiteren linken Par-teien, unter dem Namen Sy-riza zu Wahlen an. Tragender Kern war damals und ist noch

heute die Linkspartei Synas-pismos. Das enttäuschende Ergebnis ließ internen Strei-tigkeiten freien Lauf und das Bündnis zerfallen. Erst 2007 wurde das Bündnis wieder-belebt und weitere Gruppie-rungen traten der Linkskoali-tion bei. Die Wahlergebnisse besserten sich kaum. Wieder Auseinandersetzungen. Die-se mündeten 2010 in einem Machtkampf zwischen Alexis Tsipras und Fotis Kouvelis, den letzterer verlor. Kouvelis grün-

dete daraufhin die Demokra-tische Linke (DimAr), welche bis vor kurzem die konserva-tiv-sozialdemokratische Re-gierung Griechenlands stütz-te. Mit dem Ausscheiden des Kouvelis-Flügels ebbten die internen Konflikte ab. Bedingt durch das griechische Wahl-recht – die siegreiche Partei (nicht Wahlbündnis) erhält so-genannte Bonussitze – und die Erfolge von SYRIZA vom 17. Juni 2012, wuchs der Druck, endlich eine Partei zu grün-den, die gleichzeitig nicht ih-ren Bündnis- und Bewegungs-charakter verlieren sollte. Am 14. Juli 2013 endete schließlich der lange Weg der griechischen radikalen Linken mit der Gründung von SYRIZA als Partei. Den bisherigen Tei-len des Wahlbündnisses, links-ökologischen, trotzkistischen, maoistischen und reformkom-munistischen Parteien wurde eine »angemessene Zeit« ein-geräumt, sich als eigenstän-dige Einheiten aufzulösen. SYRIZA, vor allem in Ballungs-gebieten von bildungsnahen Schichten gewählt, tritt nicht für einen Austritt aus der Eu-ropäischen Union oder der Eurozone ein. Die Partei for-dert die Aufkündigung der von Griechenland mit den in-ternationalen Gläubigern ver-einbarten Kürzungsdiktate, die Streichung eines Teils der Staatsschulden und ein so-ziales Wirtschaftswachstum ein. Kurzfristig sieht die Partei die Umsetzung ihrer Ziele nur in einer Linksregierung, von PASOK und DimAr bis zur star-ken, aber orthodoxen KKE ver-wirklicht. Dominic Heilig ist Mitglied des Parteivorstandes und der In-ternationalen Kommission der Partei DIE LINKE. Er ist seit vie-len Jahren unterwegs in Europa und verfolgt die Entwicklungen verschiedener Linksparteien. www.dominic-heilig.de

Wie die sozialen Netzwer-ke beim Kampf gegen das Hochwasser halfenEs ist schon viel gesagt und beschrieben worden zu der Wirkung von Social-Media während des Hochwassers im Juni 2013. In der „Sächsischen Zeitung” stellte Sachsens In-nenminister Markus Ulbig ei-nige richtige Fragen – und for-derte die “Internet-Gemeinde” auf, diese Fragen ebenfalls zu diskutieren. Denn ohne die vielen Facebook-Freiwilligen und -Helfer wären die Schä-den wohl häufig noch viel grö-ßer geworden. Vor Ort selbst herrschte oft regelrechte Eu-phorie, so etwas wie Party-Stimmung, gemeinsam etwas Großes zu leisten. Was man in der Tat ja auch getan hat.Eine wichtige, wenn nicht

die zentrale Rolle bei die-ser selbstorganisierten Hil-fe hatten ehrenamtliche Spontan-Projekte wie die Google-Map “Hochwasser-hilfe Dresden” und die Face-book-Seiten Elbpegelstand (74.694 Fans), FluthilfeDD (48.873) und Hochwasser Dresden (25.096 Fans). Sie führten den Verantwortlichen in Stadt und Land vor, wie Katastrophen-Kommunikati-on im Internetzeitalter laufen kann. Wobei die Geschich-te auch eine Kehrseite hatte: Denn beizeiten waren Falsch-informationen unterwegs, die freiwillige Helfer an die fal-sche Stelle schickten. Ein As-pekt, den die klassischen Me-dien nicht müde wurden zu betonen (was sicherlich auch zu ihren Aufgaben gehört, bei-

zeiten aber auch ganz schön konstruiert wirkte – aber das ist ein Thema für sich).Nun schrieb Innenminister Ul-big in seinem Gastbeitrag “An-packen 2.0” für die “Sächsi-sche Zeitung”: “Wir haben eine neue Qualität der Orga-nisation der Hilfe erreicht. Was bedeutet das für den pro-fessionellen Katastrophen-schutz? Werden THW oder Feuerwehr bei künftigen Kri-sen weniger gebraucht? Kann die schwarmhaft organisier-te freiwillige Hilfe an die Stel-le der professionellen treten? Sollen die örtlichen Krisenstä-be diese Phänomene laufen-lassen, oder müssen sie ge-gebenenfalls eingreifen?” Im weiteren Verlauf seines Tex-tes fragte er außerdem: “Die Frage ist aber, ob die profes-

sionellen Stäbe auch aktiv an den Foren im Internet teilneh-men sollten? Die Stäbe könn-ten bei entsprechender Or-ganisation darauf vorbereitet und entsprechend ausgerüs-tet sein. Kein Problem. Wür-de aber die Community einer Facebook-Seite einen Hinweis von amtlicher Seite akzeptie-ren? Würde die Information ,von amtlicher Stelle‘ im Blog als solche überhaupt wahrge-nommen, oder wäre sie auch nur eine Meinung unter den vielen verschiedenen? Wür-den die privaten Initiativen ihre Kraft verlieren, wenn of-fizielle Vorgaben aus den Kri-senstäben der Verwaltung dort wie Tagesbefehle durch-gestellt würden?”Ulbigs Beitrag endet mit dem Wunsch, dass nicht nur die

Verwaltung, sondern auch die Internet-Gemeinde über diese Fragen diskutiert, wie die Ver-waltung mit solchen Aktivitä-ten in den sozialen Netzwer-ken umgehen soll. Wobei wohl weniger das “Ob” als vielmehr das “Wie” zu diskutieren wäre. Und noch ein Aspekt kommt hinzu: Was bleibt? Was macht man mit einer Fanpage mit 25.000, 50.000 oder 75.000 Fans? Geht es weiter – und wenn ja: wie?Fragen, auf die die öffentliche Verwaltung, aber auch die Sei-tenbetreiber selbst und deren Unterstützer eine Antwort fin-den sollten. Damit bei nächs-ten Mal die Hilfe noch besser koordiniert werden kann. owy/Nachdruck mit freund-licher Genehmigung aus dem Blog www.flurfunk-dresden.de

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Der Landesparteitag hat die Wirtschafts-politischen Leitlinien beschlossen. Autor Enrico Stange erläu-tert diese als Bau-stein für ein Landes-wahlprogramm.Wir stellen die »Neu-en« im Landesvor-stand vor, heute Silvio Lang. Beide Ar-tikel auf Seite 3.Stefan Liebich stellt LINKE Positionen zu

Syrien dar und Corne-lia Falken zeigt, dass der Begriff Oberschu-le ein rein kosmeti-scher ist. Auf Seite 4.Vor den möglichen Folgen des neuen Freihandelsabkom-mens mit den USA

warnt Helmut Scholz auf Seite 5. Und anstelle von Be-richten aus dem Bun-destag gibt es auf Seite 7 eine lange Re-portage vom Wahltag von Ralf Richter.

Dialog für SachsenDiskutieren und Vorschläge einbringen - auf

www.dialog-für-sachsen.de

SachsensLinke

Oktober 2013

Niederfolg und Siegerlage

Vertrauen

Nach der Wahl ist vor der Wahl – jede Stimme ist der Vertrau-ensvorschuss eines Menschen, der Erwartungen in uns setzt, die wir in der Wahlperiode erfül-len. Oder auch nicht. Im letzten Jahr war unsere Zwischenbilanz infolge interner Verwerfungen so verheerend, dass uns schon von manchen das Schicksal prophezeit wurde, das nun die FDP ereilt hat: nicht mehr im Bundestag vertreten zu sein. Wir haben uns auch dank der neuen sächsischen Ko-Par-teivorsitzenden Katja Kipping wieder so zusammengefun-den, dass DIE LINKE jetzt sogar erstmals drittstärkste Partei in Deutschland ist. All denen, die durch einen überaus engagier-ten Wahlkampf oftmals bis an den Rand der Erschöpfung dazu beigetragen haben, und denen, die uns gewählt haben, möchte ich ausdrücklich herzlich Dan-ke sagen!Wir sollten diesmal mit dem Vertrauensvorschuss sorgsa-mer umgehen, ja ihn hegen und pflegen. Das bedeutet zuvör-derst, dass wir miteinander in der Partei auf allen Ebenen, in allen Fraktionen und hier be-sonders in der neuen Bundes-tagsfraktion pfleglich mitein-ander umgehen. Unsere Partei ist zum dritten Mal in Folge in Fraktionsstärke in den Bun-destag gewählt worden – alle, die seit 1990 unser baldiges Verschwinden prophezeien, können also diesen Irrtum ein weiteres Vierteljahrhundert kultivieren … Im neuen Bun-destag gibt es eigentlich eine Mehrheit für den gesetzlichen Mindestlohn, hat Katja Kipping zutreffend festgestellt. Dafür Druck zu machen, dass sie Re-alität wird, ist das Gebot der Stunde!

Am Wahlabend 18:03 Uhr brandete bei allen Linken nicht nur in Sachsen sondern überall im Land Jubel auf, als sich unser Balken auf deutlich über 8 Prozent bewegte. Ist das ein Erfolg? Denn zugleich fehlen uns ja zum vormaligen Ergebnis über 3 Prozent. Ist das eine Niederlage?Um dies zu beurteilen, reicht es nicht die Zahlen der Jahre 2009 und 2013 nebeneinan-der zu legen, sondern das Ge-schehen in der Zwischenzeit muss dafür betrachtet wer-den. Einige Bemerkungen da-zu sollen das Ergebnis einord-nen helfen, ohne dass damit eine umfängliche Analyse ge-leistet wäre. Insbesondere zu den innerparteilichen Proble-men der LINKEN in den ver-gangenen Jahren ist erschöp-fend an vielen anderen Stellen argumentiert worden, daher hier zu einigen anderen As-pekten.Vier Jahre sind mittlerweile für die politische Landschaft der BRD ein sehr langer Zeit-raum. Ein Beispiel dafür bildet die Partei »Die Piraten«. 2009

erzielten diese bei den Bun-destagswahlen noch einen Achtungserfolg, mit ca. 2 Pro-zent der Stimmen. Dann ging es steil aufwärts bis im Mai vergangenen Jahres Umfrage-werte von bis zu 13 Prozent er-reicht wurden. Aber nicht nur das, die Piraten zogen auch in Landtage ein, zum Beispiel in Berlin und in NRW. Und von da an ging’s bergab. Die Piraten bekamen auch diesmal 2 Pro-zent - nun kein Achtungserfolg mehr.Ein nächstes Beispiel für das neue hohe Tempo der Berg- und Talfahrten sind die Grü-nen. Ausgehend von fast 11 Prozent in 2009 stieg diese Partei in den Umfragen in un-geahnte Höhen. Auf 20, 25, ja sogar 28 Prozent im Mai 2011. Und auch hier nicht nur Um-frageerfolge, sondern auch bei Wahlen. In Baden-Würt-temberg gewannen sie 24 Prozent und stellen seitdem den dortigen Regierungschef. Doch von da an ging’s, mit ei-nem kleinen Zwischenhupfer 2012, bergab. Die 8,4 Prozent am Wahlsonntag führten zum

Rücktritt der gesamten Füh-rung.Noch eine Partei ist hier zu nennen, die AfD. Erst Anfang 2013 gegründet und in den Umfragen gemessen, düm-pelte diese Partei lange bei 2 oder 3 Prozent herum, um in den letzten zwei Wochen fast die 5 Prozent-Hürde zu neh-men – früher brauchten neue Parteien dafür viele Jahre, um in deren Nähe zu kommen.Die FDP ist das drastischste Beispiel für die neue Beweg-lichkeit des Parteiensystems. 2009 hatten diese das bes-te Ergebnis ihrer Geschich-te. Innerhalb kürzester Zeit schrumpfte die FDP in Umfra-gen deutlich unter die 5 Pro-zent Hürde und verlor einige Landtagswahlen. Dieser tiefe Fall– erstmalig gibt es einen Bundestag ohne FDP – wurde bis zuletzt zwar von vielen er-hofft, aber von kaum jeman-dem erwartet.Ebenso können SPD und CDU zu dieser Reihe beitragen. Die Union verlor zwischenzeitlich (wäre hätte dies vorhersagen können?) unter anderem ih-

re Hochburg Baden-Württem-berg, sie verlor NRW und Ham-burg, die CSU gewann gerade eben die absolute Mehrheit in Bayern zurück. Die SPD hol-te z.B. NRW, Niedersachsen und Hamburg, jenes mit abso-luter Mehrheit. Und auch das Auf und Ab der LINKEN ist be-kannt.Diese Vielzahl von nur ange-deuteten und sehr gründlich zu analysierenden Beispielen zeigt, dass das Wahlverhal-ten der Bevölkerung sich in-zwischen sehr grundsätzlich von den 80er oder 90er Jahren unterscheidet, insbesondere hinsichtlich der Spannweite möglicher Veränderungen. Für DIE LINKE ist es unter diesen Bedingungen ein sehr großer Erfolg, zum dritten Mal hinter-einander deutlich die 5 Pro-zent-Hürde übersprungen zu haben. Die nun bevorstehen-de fundierte Analyse wird da-her wahrscheinlich eine ganze Reihe von neuen Anforderun-gen auch an unsere Partei auf-zeigen – gerade weil wir er-folgreich waren!Stefan Hartmann

Die neue Linksfraktion, mit den acht sächsischen Abgeordneten.

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Seite 2Sachsens Linke! 10/2013

Meinungen

ImpressumSachsens Linke! Die Zeitung der Linken in SachsenHerausgeberin: DIE LINKE. SachsenVerleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wie-der. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kür-zungen vor. Termine der Redakti-onssitzungen bitte erfragen.Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf-lage von 15.050 Exp. gedruckt.

Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt, Ralf Richter, Stathis Soudias.

Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio

Kontakt: [email protected]. 0351-8532725Fax. 0351-8532720

Redaktionsschluss 23.9.2013

Die nächste Ausgabe erscheint am 5.11.2013.

In eigener SacheMit dem Druck dieser Aus-gabe verabschiede ich mich für die nächsten neun Mo-nate und werde erst ab der Septembernummer 2014 wieder in der Redaktion mit-arbeiten. Der Grund heißt Lo-re und ich gehe wegen ihr in Elternzeit. In der Zwischen-zeit wird Kevin Reißig mich an dieser Stelle vertreten. Bis dann, herzlich, Rico Schu-bert

Ronald Wandel zu den Wahlen: Freude und Be-trübnisherrscht nach dem 22. Sep-tember 2013. Bei den einen Parteigängern überwiegt Freude, bei den an-deren die Betrübnis. Betrübnis bleibt auf jeden Fall – bei allen Parteien. Denn: Das prozentuale, amtliche Wahler-gebnis sollte und muss scho-nungslos mit den Prozenten der Wahlbeteiligung multipli-ziert werden.Im September 2012 wurde in Hohenstein-Ernstthal ein Oberbürgermeister gewählt. 91,8 Prozent der Wählerstim-men hatte er erhalten. Aller-dings gaben ihm nur 18 Pro-zent aller Wahlberechtigten ihre Stimme. Vier Fünftel der Stimmberechtigten blieben der Wahl fern.Das ist das Betrübnis.Warum bleibt der Souverän abseits? Was soll dieser Rückzug? Wie ist dem zu begegnen?Ist es allgemeine Zufrieden-heit? Wird sich seinem (poli-tischen) Schicksal ergeben, weil ohnehin nichts zu ändern ist?Auch der Nichtwähler hat un-ter den gewählten Politikern und Machtverhältnissen »zu leiden«.Will er sich nicht in eigenem In-teresse doch der (Wahl-)Ver-

antwortung stellen?Und: Wie könnte dieser Nicht-verantwortung begegnet wer-den?Erstens: Das Wahlrecht ver-fällt nach einer gewissen An-zahl von Nichtteilnahmen an Wahlen auf den unterschiedli-chen Ebenen. Zur Wiedererlangung müsste man einen »Deutschkurs« be-legen, wie er für ausländische Mitbürger in der BRD gefor-dert wird.Zweitens: Eine differenzierte Mindestwahlbeteiligung (ge-staffelt und in jedem Fall grö-ßer als 50 Prozent) wird für diese Ebenen gesetzgeberisch auf den Weg gebracht. Wird diese vorgegebene nicht erreicht, bleibt alles beim Al-ten bis politische Katastro-phen oder die biologische Klä-rung eintreten.Es geht also eher um tatsäch-liche, klar verständliche Al-ternativen auf allen Politik-feldern, damit Demokratie wieder attraktiv wird. Weniger ist mehr! Kurz und knapp ist genauer, zwingt zur Deutlichkeit! Papier ist nach wie vor geduldig, geduldiger desto umfangreicher es ist!Programm, ja. Leitlinien, Di-alog für Sachsen, Wahlpro-gramme, parallel, nebenher, nebenbei?

Heinz Bilan Zu »Bundeswehr zum Anfas-sen« in LINKS! September 2013 fallen einem ein halbes Dutzend Fragen ein: Will die Autorin den Staatsapparat

Uwe Schnabel aus Coswig zu »Etappensieg« (Links! 9/2013, S. 3) Ich kann verstehen, dass eine Abgeordnete erklären muss, dass sie glaubt, dass wir in ei-nen Rechtsstaat leben. Dabei ist bekannt, dass nach dem 2. Weltkrieg in die bundes-deutschen Hochschulen (ein-schließlich juristische Fakultä-ten), Justiz, Polizei und Politik viele alte Nazis und ihre Ver-bündeten übernommen wur-den. Deshalb ist es nicht wei-ter verwunderlich, dass seit Beginn der BRD bis heute Lin-ke auch dann verurteilt wer-den, wenn es für ihre Schuld keinerlei Beweise gibt, wäh-rend Wirtschaftskriminelle meist mit sehr milden Strafen davonkommen, wenn sie über-haupt verurteilt werden und Kriegsverbrechen überhaupt nicht angeklagt werden. Aller-dings vertritt die bundesdeut-sche Justiz nicht nur die Inte-ressen der Herrschenden, sie ist auch von der öffentlichen Meinung beeinflussbar. Mit entsprechendem öffentlichem Druck können so zumindest ansatzweise rechtsstaatliche Prinzipien oder sogar Gerech-tigkeit durchgesetzt werden. Das hat sich beim Prozess ge-gen Lothar König gezeigt.

Am 1. September, dem Welt-friedenstag, verlieh LISA, die Frauenarbeitsgemeinschaft der Partei DIE LINKE in Sach-sen zum 8. Mal den Lysistra-ta-Frauen-Friedenspreis. Be-nannt ist der Preis nach der Titelfigur »Lysistrata« – was wohl so viel heißt wie »Hee-resauflöserin« – der gleichna-migen Komödie des griechi-schen Dichters Aristophanes. Warum wurde diese Figur als Namenspatin ausgesucht? Zum einen, weil in dem Stück deutlich wird, dass Kriege vor-rangig von Männern begonnen und geführt werden, während Frauen und Kinder die Mitbe-troffenen und Leidtragenden sind. Aber auch der Witz, mit dem die Frauen agieren, sich

ihren Männern verweigern, wenn sie weiterkämpfen, und so ihren »Friedenskampf« mit originellen Ideen führen, fin-det Sympathie. Lysistrata ist immer noch ak-tuell! Solange es Kriege und gewaltsame Auseinanderset-zungen zwischen Völkern und Staaten gibt, ist der Kampf für Frieden – gleich in welcher Form – aktuell. Und es werden Kriege geführt an vielen Orten der Welt, es gibt täglich Mel-dungen über Tote und schwer Verletzte. Es gibt viele Frauen, die sich gegen Kriege engagie-ren: Die Frauen für Frieden in Deutschland und der Schweiz, die Frauen in Schwarz in Ex-Ju-goslawien auch die Soldaten-mütter oder die Vereinigung

der ruandischen Witwen, um nur einige zu nennen. In vie-le kleineren Gruppen und Ini-tiativen in Deutschland und in Sachsen engagieren sich Frau-en, und schon einige wurden mit dem Friedenspreis »Lysis-trata« geehrt. In diesem Jahr bekam mit Juliane Nagel eine engagierte junge Frau aus Leip-zig die »Friedensfigur«. Kerstin Köditz, die »Jule« schon lange kennt, würdigte in ihrer Lau-datio mit warmen Worten ihr Wirken. Hier einige Auszüge: »Eine Laudatio heißt Laudatio, weil sie dazu gedacht ist, eine bestimmte Person zu loben. In diesem Fall also ist es Juliane Nagel, der heute der Lysistra-ta-Friedenspreis der LISA über-reicht wird. Es ist ganz und gar

kein bloßes Lob, wenn ich be-haupte, dass mich Jule keines-wegs an einen Friedensengel erinnert. Wer wirklich Frieden schaffen will, sei es der Friede nach außen oder der im Inne-ren, der oder die, so lehrt uns Lysistrata, muss den Mut zu un-gewöhnlichen Maßnahmen ha-ben und muss es verstehen, die Machtlosen gegen die Mächti-gen zu sammeln. […] Ich sehe es als besonders positiv, dass Jule kein lohnendes Ziel darin erblickt, dass ihre Gegnerin-nen und Gegner weniger wer-den. Sie erregt Anstoß und sie gibt Anstöße. Dies gilt natür-lich noch immer auch innerpar-teilich. Ich will an dieser Stelle nur daran erinnern, dass sie ei-ne engagierte Streiterin für das

bedingungslose Grundeinkom-men ist. Wenn eines der Pos-tulate in diesem Staat ist, dass die Würde der Menschen unan-tastbar sein soll, dann müssen wir auch die materiellen Vor-aussetzungen dafür schaffen. Das ist ein noch unbekannter Weg. Und dabei gilt wie immer: Wenn man die ausgelatsch-ten Pfade verlässt, dann kann man knietief im Sumpf landen, aber man kann eventuell auch wunderschöne Landschaften finden. Natürlich ist das ein Risiko! Aber Leben ist immer Risiko! Jule ist bereit, Risiken einzugehen, wenn das Ziel loh-nend erscheint.« Unter langan-haltendem Beifall wurde die Leipzigerin ausgezeichnet.Heiderose Gläß

Die »Heeresauflöserin« ging nach Leipzig

Rolf Erdmann zum Thema MindestlohnNehmen wir an, unsere For-derung nach 10 Euro Min-destlohn würde Realität. Was aber, wenn unter dem deckmantel gestiegener Per-

der BRD – eines extremen ka-pitalistischen Staates – in Gut und Böse aufteilen? Warum sollten sich die Kultusminis-terien und Schulbehörden ge-gen die Bundeswehr stellen? Dienen sie nicht gemeinsam einem Herzen und einem Ziel? Glaubt die Autorin wirklich ernsthaft, dass es in diesem Staat (in den Schulen) eine »unabhängige politische Sen-sibilisierung und Meinungsbil-dung der Jugendlichen« gibt? Echte Perspektiven für junge Leute ohne die Bundeswehr – das ist doch Wunschdenken. Kein Krieg in der kapitalisti-schen Welt? Hier fehlt mehr als politisches ABC. All die ge-äußerten Wünsche wird es als Realität geben und zwar »erst nachdem wir die Bourgeoisie in der ganzen Welt und nicht nur in einem Lande niederge-worfen, vollständig besiegt und expropriiert haben« – wie es einst ein kluger Mann (Le-nin) im »Militärprogramm der proletarischen Revolution« formuliert hat. Auf dem We-ge dorthin lohnen auch kleine Siege. Aber die Armee von der Gesellschaft trennen ist ei-ne Illusion. Anprangern kann nicht schaden, wenn das sol-che Illusionen nicht erweckt.

soonalkosten dasallgemeine Preisniveau weiter drastisch ansteigt? Abgesehen vom An-wachsen der Inflation scheint diese Möglichkeit das Eherne Lohngesetz zu bestätoigen: Kämpft nicht, streikt nicht, die Lohnerhöhung wird durch den Preisanstieg wieder zunichte gemacht.Im Klartext: Selbstverständ-lich bin ich dafür, dass auch meine Friseurin mindetsens 10 Euro je Stunde verdient. Aber: Wir sollten uns in der Ur-heberschaft des flächenede-ckenden Mindestlohns und seiner immerhin möglichen re-alisierung nicht einfach son-nen, sondern fragen: Wie ist zu erreichen, dass die bisheri-gen Niedriglohnverdiener augf lange Zeit etwas vom Mindets-lohn haben?

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Wirtschaftspolitik als zweiten Markenbestandteil ausbauen

Wir stellen vor: Die Neuen im LandesvorstandIn dieser Ausgabe: Silvio Lang, 29, LehramtsstudentWarum hast Du Dich ent-schieden, für den Landes-vorstand zu kandidieren? Es gab mehrere Gründe, die sich hier gar nicht alle be-schreiben lassen. Die drei Wichtigsten versuche ich zu nennen: Erstens sind meine politischen Schwerpunkte ty-pische Landespolitik. Das ist einmal Antifaschismus, da lässt sich für mich mit den sehr viel größeren Vernet-zungsmöglichkeiten auf Lan-desebene einfach noch mehr bewegen. Zum anderen wä-re das die Bildungs- speziell Schulpolitik. Die Länder genie-ßen die Bildungshoheit, also muss ich mich auf Landesebe-ne engagieren, wenn ich im Bildungssystem Veränderun-gen will. Zweitens hab ich jetzt seit 2009 in der Partei viel auf kommunaler Ebene gemacht und die Landesebene war für mich der nächste Entwick-lungsschritt. Und drittens kam hinzu, dass

die bisherigen Vertreter_Innen der LAG Antifaschistische Po-litik im Landesvorstand beide nicht mehr antreten wollten. Ich fand es wichtig, dass diese LAG und damit das Thema wei-terhin im Landesvorstand eine Rolle spielt und vertreten wird. Was sind die wichtigsten Ziele Deiner Vorstandsar-beit? Eine Sache habe ich bei mei-ner Kandidatur ja klar in den Vordergrund gestellt: den Ein-satz für Antifaschistische Po-litik. Meine konkreten Vorstel-lungen in diesem Feld sind zweigeteilt: Ich will zunächst das sehr gute Level halten, das Jens Thöricht auf diesem Ge-biet in Sachsen aufgebaut hat – das wird schwer genug. Dar-über hinaus würde ich gern die sachsenweite Vernetzung von aktiven Antifaschist_Innen in-nerhalb der Partei und in au-ßerparlamentarische Struktu-ren weiter verbessern. Diesen spektrenübergreifenden An-satz hab‘ ich von »Dresden Na-zifrei« intus. Welche Themen liegen Dir

besonders am Herzen und warum? Wie schon gesagt: zuerst Anti-faschismus, dann Bildungspo-litik. Warum? Bei der Bildungs-politik hat es sicher was mit meinen Erfahrungen im Lehr-amtsstudium zu tun, aber auch schon als Schüler fand ich manches einfach ungerecht oder unsinnig, zum Beispiel dass ich nach dem Umzug mei-ner Familie nach Sachsen erst mal ein Jahr hinten dran war.Zum aktiven Antifaschisten wurde ich erst sehr viel später. Klar, ich war auch vorher ge-gen Nazis, aber ich war nie auf irgendeiner Demo. Aber wenn du dann in Dresden mitbe-kommst, wie mehrere tausend Nazis durch die Stadt ziehen und du dann noch irgendwann feststellst, dass du gewisse Sachen in deinem Wohnvier-tel besser nicht trägst oder offen zeigst, wenn du sicher zu Hause ankommen willst, dann fängst du an, dich für angstfreie Räume einzusetzen und gegen Ideologien der Un-gleichwertigkeit anzukämpfen.

Leitlinien mit Kurs auf selbsttragende Wirtschafts-entwicklung Sachsens

Wirtschaftspolitik – LINKE Kompetenz?

In allen Vorwahlumfragen wurde der CDU wirtschaftspolitische Kompetenz zugeschrieben, sozi-alpolitische Kompetenz eher der politischen Linken, mithin unse-rer Partei. Dennoch ist Sozialpo-litik ohne wirtschaftspolitische und wirtschaftliche Grundlagen in vielen Bereichen kaum um-setzbar. Somit sind beide Poli-tikbereiche eng miteinander ver-bunden. Insbesondere für unser Kurzfristziel der schlichten Wie-derherstellung sozialstaatlicher Verhältnisse in Deutschland, die ein weiteres Auseinanderdriften von Arm und Reich, das Ausdün-nen der gesellschaftlichen und ökonomischen Mitte, das Ab-drängen von Generationen in Altersarmut verhindern sollen, kommt einer linken Wirtschafts-politik zentrale Bedeutung zu.Nicht zuletzt die tiefe Finanz-markt- und Wirtschaftskrise der letzten Jahre zeigt, dass es anderer wirtschaftspolitischer und finanzpolitischer Weichen-stellungen bedarf, die auch eine Umorientierung der Volkswirt-schaften und der Finanzmärkte ermöglichen.Mit den Wirtschaftspolitischen Leitlinien, die der 9. Landespar-teitag in Dresden beschlossen hat, beantworten wir wichtige Fragen für das Wirtschaften und Leben in Sachsen. Und dies auch nachlesbar stets im bundes- und europapolitischen Kontext.

Sachsen Probleme – Linke AntwortenDIE LINKE Sachsen orientiert darauf, alle Voraussetzungen für eine selbsttragende Wirt-schaftsentwicklung Sachsens zu schaffen. Dass dies nicht ein-fach sein wird, liegt wegen der Strukturschwächen unserer Wirtschaft auf der Hand. Insbe-sondere die kleinteilige Struktur der überwiegenden Zahl der Un-ternehmen, eine damit verbun-dene Eigenkapitalschwäche, das vor allem bei Leiharbeiterinnen, Niedriglöhnerinnen oder auch im Handwerk, der Logistikbranche und im Dienstleistungsbereich ausgeprägte niedrige Einkom-mensniveau sowie die Schwä-che der einheimischen Unter-nehmen, selbst Forschung und Entwicklung zu betreiben und

Produkt- und Verfahrensinnova-tionen zu entwickeln und umzu-setzen, aber auch die finanzpoli-tischen Rahmen des Bundes und der EU bringen hohe Anforderun-gen an linke Wirtschaftspolitik. Dabei orientieren wir uns nicht nur an der Frage, wie die Brut-towertschöpfung in Sachsen er-höht, die Wertschöpfungstiefe verstärkt und die Steuereigen-kraft Sachsens vergrößert wer-den können. Im Zentrum unserer Überlegungen steht die Frage, wie mehr Menschen zu guten Bedingungen und zu menschen-würdigen Löhnen an der Arbeits-welt teilhaben können und wie gesellschaftlich nützliche Ar-beit, die derzeit zu Marktpreisen kaum angeboten werden kann, durch einen öffentlich geförder-ten Beschäftigungsbereich ge-leistet werden sollte.Vor allem in der Beschäftigungs-politik hängt im Gesundheitsbe-reich, der Pflege, in der Bildung oftmals viel an der Beschäfti-gungsfrage. Deshalb wollen wir 20.000 sozialversicherungs-pflichtige Beschäftigungsver-hältnisse zusätzlich schaffen, die in diesen Bereichen sowie in Projekten für einen sozialökolo-gischen Umbau wirksam wer-den. Dazu sollen Mittel aus dem SGB II und SGB III mit Förderun-gen des Bundes, des Landes und der EU verbunden werden, um hierfür armutsfeste Löhne zu zahlen. Aber auch in der Kultur- und Kreativwirtschaft sollen die Akteurinnen sowie die Beschäf-tigten durch eine aktive Politik gesichert und somit deren wich-tige Arbeit zugunsten der Gesell-schaft ermöglicht werden. Und auch die Förderung von privat-wirtschaftlichen Arbeitsplätzen soll für die Beschäftigungssiche-rung genutzt werden.Wir wollen aber auch regiona-le Wirtschaftskreisläufe und zu-

gleich Unternehmen stärken, die binnenwirtschaftlich orientiert sind, und ihre Marktchancen er-höhen. Durch einen Innovations- und Beteiligungsfonds soll die Eigenkapitalschwäche kompen-siert werden.

Achillesferse – Wir können es auch bezahlen!Weil der Freistaat Sachsen sei-nen finanziellen Handlungsrah-

men kaum selbst vergrößern kann, kommt es auf den Bundes-ebene an. Fünf zentrale Säulen des Steuerkonzepts der LINKEN sollen dabei helfen, die finan-zielle Leistungsfähigkeit des Freistaates und seiner Kommu-nen zu verbessern. Bei Umset-zung dieser Vorstellungen kä-men zusätzlich 1,3 Mrd. Euro in die Kassen des Landes für Be-schäftigungspolitik, für die Kom-

plementärfinanzierung eines Zu-kunftsprogramms und anderes mehr.

Leitlinien verabschiedet – was kommt jetzt?DIE LINKE in Sachsen ist eine Volkspartei. Wir müssen, um ei-ne realisierbare Machtoption ge-gen die CDU zu entwickeln und in neue Wählerschichten vorzu-dringen, den Volksparteicharak-ter stärken und auf alle wichtigen Fragen unserer Zeit schlüssige Antworten geben, ohne beliebig zu werden. Deshalb werden wir uns auf den steinigen Weg ma-chen müssen, die Wirtschafts-politik als Markenbestandteil der LINKEN zu entwickeln und zu etablieren. Mit den Wirt-schaftspolitischen Leitlinien ha-ben wir einen wichtigen Schritt dazu getan. Gehen wir also den langen Weg, die wirtschaftspo-litische Kompetenz der LINKEN öffentlich zu zeigen und in den gesellschaftlichen Dialog ein-zubringen, mit den Wirtschafts-verbänden und -kammern, mit Unternehmerinnen und Be-schäftigten!Dr. Axel Troost (MdB) und Enrico Stan-ge (MdL) für das Autorinnenkollektiv

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Zum Start der Oberschule in diesem SchuljahrDie sächsische Bildungspoli-tik treibt mittlerweile seltsa-me Blüten. So startet mit Be-ginn des neuen Schuljahres im Freistaat die Oberschule, ein Lieblingsprojekt der FDP. Sie hatte es 2009 in den Koaliti-onsvertrag mit der CDU aufge-nommen. Die ebenfalls verein-barte »stufenweise Einführung ab dem Schuljahr 2011/ 2012« kam nicht zustande, weil die CDU dem Vorhaben von Be-ginn an skeptisch gegenüber-stand. In ihren Augen hat-te sich das »Kernstück« des sächsischen Schulwesens, die Mittelschule, bewährt. Ei-ne »Weiterentwicklung der Mittelschule zur Oberschule« war also überflüssig. Aber was tun Politiker nicht alles aus Ko-alitionsdisziplin.

Unter der seit 2012 amtieren-den Kultusministerin, Brun-hild Kurth, nimmt nun die Koa-lition die – laut FDP – »größte Reform im Schulwesen des Freistaates« in Angriff. Es war auch höchste Zeit, denn im kommenden Jahr finden die Landtagswahlen statt und die FDP wollte sich nicht nachsa-gen lassen, keine eigenen bil-dungspolitischen Akzente ge-setzt zu haben. Anfang Juli, zwei Monate vor Schuljahres-beginn, erfuhr die Öffentlich-keit auf einer Pressekonfe-renz von der Kultusministerin, worin die Neuerungen gegen-über der Mittelschule beste-hen. Es sind ganze drei: Um den Übergang an das Gym-nasium zu optimieren, wer-den in Klassenstufe 5 und 6 Leistungsgruppen gebildet und eine zweite Fremdspra-che angeboten, und es wer-den – drittens – sog. »Praxis-berater« in den Schulen tätig,

die die Schüler »analysieren« und »diagnostizieren«, um ih-nen ein »maßgeschneidertes« Ausbildungsangebot zu un-terbreiten. In den Genuss ei-ner Praxisberatung kommen allerdings nur 55 von 336 Oberschulen in ganz Sach-sen. Im Grunde genommen laufen die Maßnahmen auf eine Verschärfung der Ausle-se unter den bisherigen Mit-telschülern hinaus, von ei-nem »passgenauen« Angebot für jede Schülerinnen und je-den Schüler spricht hingegen die Kultusministerin. Mit der Oberschule verabschiedet sich die FDP von einem länge-ren gemeinsamen Lernen bis zur Klasse 6, das sie im Partei-programm zur Landtagswahl 2009 noch gefordert hatte. Ein bildungspolitischer Kurs-wechsel der Liberalen, der wohl niemanden überrascht.Seltsamerweise ist die größte Schulreform im Freistaat der

Regierungskoalition keine No-velle des Sächsischen Schul-gesetzes wert. Das wäre die Konsequenz gewesen. Statt-dessen beteuert die Kultusmi-nisterin, dass die Oberschu-le keine neue Schulart, eine Änderung des Sächsischen Schulgesetzes demzufolge unnötig sei. So ist in Sachsen die absurde Situation entstan-den, dass die Mittelschule im Schulgesetz zwar aufgeführt ist, diese Schulart im Schul-alltag jedoch nicht mehr so heißen darf. Auf Weisung des Kultusministeriums hatten die Schulträger eine dement-sprechende Umbenennung vorzunehmen. Die nunmehr real existierende Oberschu-le kennt wiederum das Ge-setz nicht. Auf die Frage nach dem rechtlichen Status die-ser Schule antwortet die Mi-nisterin unter Verweis auf ei-ne entsprechende Änderung der Schulordnung lapidar,

dass »Schulen der Schulart Mitteschule« fortan »die Be-zeichnung Oberschule« füh-ren. Eltern, die ihrem Kind er-klären wollen, welche Schule es besucht, dürften ob die-ser Namenskosmetik in arge Verlegenheit kommen. Laut Schulverordnung geht ihr Kind in eine Oberschule, laut Schul-gesetz jedoch in eine Mittel-schule. Das verstehe, wer will. Von Rechtsklarheit und einem Recht, das für jeden verständ-lich ist, kann jedenfalls keine Rede sein. Und teuer zu stehen kam die Schulträger die Namenskos-metik auch noch, schließlich ist es mit der Auswechslung des Namenschildes nicht ge-tan. So mancher Schullei-ter fragte sich angesichts der Kosten, ob hier nicht sinnvol-ler in Lehrkräfte investiert wä-re. DIE LINKE antwortet: Ja, wäre es. Cornelia Falken

Bomben schaffen keinen Frieden

Namenskosmetik statt substanzielle Veränderung

Im Zuge des Arabischen Früh-lings, in dessen Verlauf au-toritäre Regime in Tunesien, Ägypten und Jemen zu Fall gebracht wurden, begannen auch in Syrien erste Proteste oppositioneller Gruppen. Das Land, seit 1963 von der Baath-Partei regiert, war über Jahr-zehnte ein Hort politischer Stabilität im Nahen Osten. Seit 1948 im Kriegszustand mit Israel, unterstützt Syrien die PLO logistisch und diplo-matisch. Im Krieg von 1967 verlor es die Golan-Höhen an Israel, die 1973 im Jom-Kip-pur-Krieg nicht zurückerobert werden konnten. Seitdem ist auf dem Golan eine Blauhelm-Truppe stationiert, die den Waffenstillstand überwacht. Friedensverhandlungen mit Israel hat Syrien, anders als Ägypten und Jordanien, be-reits wenige Monate nach Be-ginn im Jahr 2008 wieder un-terbrochen. Haupthindernis ist die von Syrien geforderte Rückgabe der 1981 von Isra-el annektierten Golan-Höhen. Syrien unterhält Streitkräf-te in einer Stärke von über 400.000 Mann und verfügt nach eigenen Angaben über chemische Waffen. Die Opposition in Syrien ist sehr unterschiedlich. Auf eine lange Tradition können die sy-rischen Kurden zurückblicken, die sich bereits in den 1950er Jahren politisch organsiert ha-ben. Der panarabische Nati-onalismus, Leitideologie der Baath-Partei, führte zu einer Reihe von Konflikten mit den Kurden, in deren Folge viele

Opfer unter der kurdischen Bevölkerung zu beklagen wa-ren. Massenumsiedlungen, Entzug der Staatsbürger-schaft und bewaffnete Polizei-einsätze mit Todesopfern ge-gen kurdische Neujahrs-Feste waren Teil der Repressionen. Besonders auch religiöse Dif-ferenzen führten zu Unruhen. Die Mehrheit der syrischen Bevölkerung sind sunnitische Muslime. Schiiten, Alawiten und Christen sind größere, Drusen und Juden kleinere Minderheiten. Die Muslimbrü-der, eine fundamentalistische Organisation von Moslems sunnitischer Prägung, ist auch in Syrien aktiv und kämpft dort seit langem gegen das politische System. Syriens Wirtschaft wird von der Erdölproduktion geprägt, etwa ein Viertel des Staatshaushalts werden aus Einnahmen aus dem Erdölexport erzielt.Bereits seit März 2011 spitzt sich der aktuelle Konflikt in Syrien zu, mittlerweile hat sich ein regelrechter Bürger-krieg entwickelt. Hunderttau-sende Menschen sind getö-tet oder verstümmelt worden, Millionen sind auf der Flucht. Am 21. August gab es im sy-rischen Bürgerkrieg mutmaß-lich einen Einsatz chemischer Waffen. Die offizielle Bestä-tigung der UN-Inspektoren steht noch aus. Die Frage, wer den Einsatz zu verantworten hat, werden die Inspektoren jedoch nicht klären. Hier kann nur eine Untersuchung des in-ternationalen Strafgerichts-hofs in Den Haag Antworten

bringen. Die USA und Frankreich stre-ben nun ein militärisches Ein-greifen gegen Staatschef As-sad an. Beide Staaten geben vor, Geheimdienstinformati-onen zu besitzen, die seine Urheberschaft für den Gift-gaseinsatz beweisen würden. Über die Glaubwürdigkeit von Geheimdienstinformationen sollte man sich spätestens seit dem Beginn des Kriegs ge-gen den Irak keine Illusionen machen. Einseitige Parteinah-men, zumal in einem so mul-

tiethnischen und multireligiö-sen Staat wie Syrien, führen eher zur Verschärfung, denn zur Lösung von Konflikten.DIE LINKE verlangt die um-gehende Durchsetzung eines vollständigen Waffenembar-gos gegen alle Konfliktpartei-en sowie schnelle Hilfe für die betroffenen Menschen im Lande als auch für die Flücht-linge. Militärische Eingriffe sind aus unserer Sicht kont-raproduktiv. Eine Lösung kann es nur auf friedlichem Wege, durch Dialog und Versöhnung

unter Einbeziehung aller Kon-fliktparteien geben. Dazu zäh-len auch die Sicherung und Vernichtung der syrischen Chemiewaffen unter internati-onaler Kontrolle und natürlich der Abzug der deutschen Pat-riots aus der Türkei.Erhöhen wir gemeinsam den Druck auf unsere Regierung, sich dazu klar und unmissver-ständlich zu positionieren. Bom-ben schaffen keinen Frieden!Stefan Liebich, MdB

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Seite 5 10/2013 Sachsens Linke!

Mandat ohne „rote Linien“Das Freihandels-abkommen USA-EU könnte gravierende Folgen für die Bürgerinnen und Bürger in Europa haben

Seit Anfang Juli verhandeln die Europäische Union und die USA über ein Freihandels- und Investitionsabkommen (Trans-atlantic Trade and Investment Partnership – TTIP). Die Ge-spräche sollen das umfang-reichste und weitreichendste Abkommen über Handel und Investitionen ermöglichen, das die Welt bislang gesehen hat. Am Ende soll nicht weni-ger als der größte und stärks-te gemeinsame Markt stehen.Wenn sowohl EU-Handels-kommissar DeGucht („das ambitionierteste und tiefgrei-fendste Handelsabkommen“) als auch die Vertreter der USA derart wohlwollend und eu-phorisch über den geplanten Vertrag reden, ist Vorsicht geboten, zumal die Verein-barung sehr direkte Auswir-kungen auf unser aller Leben haben wird. Die bisherige Er-fahrung mit Freihandelsab-kommen generell und der Vor-bereitungen der Gespräche EU-USA belegen leider, dass Sorgen berechtigt sind. Denn bei wichtigen Themen sind keine „rote Linien“ in das Ver-handlungsmandat eingezogen worden. Damit könnten bis-herige Standards in verschie-densten Bereichen – sei es im Beschäftigungs-, Verbrau-cherschutz- oder im Umwelt-bereich – geschwächt oder gar aufgegeben werden. Nehmen wir die Frage von genveränderten Lebensmit-teln. Den Menschen in Europa ist es wichtig, dass wir mög-lichst natürliche Produkte auf den Tisch bekommen. In die-ser Hinsicht haben wir eine andere Kultur als die USA. Wir wollen keine Chemikalien im Bier, kein gentechnisch verän-dertes Getreide im Brot. Wir wollen kein Fleisch von Tie-ren, die durch Klonen „herge-stellt“ wurden und mit Hormo-nen behandelt worden sind. In den USA werden all diese Me-thoden eingesetzt, um billiger produzieren und kostengüns-tiger verkaufen zu können. Wenn es der amerikanischen Verhandlungsdelegation ge-lingen sollte, diese Produkte durch entsprechende Rege-länderungen auf den europä-ischen Markt zu bringen, in-

dem wir zum Beispiel unsere Kennzeichnungspflicht auf Verpackungen für genetisch veränderte Inhaltsstoffe ab-

schaffen müssen, stehen un-sere Bauern plötzlich unter einem enormen Kosten- und Wettbewerbsdruck. Wenn Lidl, Netto, ALDI und andere im Preiskampf für hiesige Pro-dukte den Daumen senken, dann droht die Gefahr, dass diese amerikanischen Stan-dards und Methoden von den ländlichen Produzenten wohl notgedrungen übernommen werden. Gerade wer nicht im Bioladen einkaufen kann, hät-te diese Produkte schon bald im Kühlschrank zu stehen.Oder nehmen wir die gefähr-lichen Finanzprodukte und Fonds, mit denen sich Ban-ken und Finanzinstitute gigan-tische Profite gesichert haben und die praktisch zum Sym-bol der Finanz- und folgend der Wirtschaftskrise wurden. Schon heute gehören solche Spekulationsinstrumente an der Wall Street wieder zum All-tag. Geht es nach der US-Sei-te, müssten die EU-Staaten ihre – ohnehin laschen – Re-gelungen für den Finanzmarkt aufgeben und solche Produk-te ohne Beschränkungen zu-lassen. Und dies, obwohl die Folgen entfesselten Märk-te für Hedgefonds & Co. be-kannt sind. Die Liste solcher kritischer Punkte bei den Ver-handlungen ließe sich noch lang fortsetzen.Als Mitglied im Ausschuss für internationalen Handel be-wegt mich noch eine andere Frage ganz besonders. Nicht nur in diesem Gremium set-

ze ich mich für eine Änderung der gegenwärtigen Weltwirt-schafts- und Welthandelsbe-ziehungen ein, die noch immer

auf die Interessen der „Län-der des Nordens” zugeschnit-ten sind. Ohne jeden Zweifel soll der angestrebte mächti-ge gemeinsame Markt auch

dazu dienen, die alte Rolle der USA und der EU als Ord-nungsmächte gegenüber dem „Rest der Welt“ fortzusetzen.

Amerikanische Politiker ha-ben das geplante Abkommen bereits „Wirtschafts-NATO“ genannt. Wenn die Kluft zwi-schen Nord und Süd jedoch

nicht geschlossen, sondern gar noch vertieft wird, wer-den im globalen Süden Unter-entwicklung, Armut und den Ausschluss von fairen und gerechten Außenwirtschafts-beziehungen zementiert und letztlich auch den Industrie-staaten schaden.Die Kritiker eines Abkommens, das Standards nach unten ni-velliert – darunter neben lin-ken Kräften unter anderem Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherschutzorganisati-onen –, haben den Kampf ge-gen eine solche Deregulierung aufgenommen. Auch im Eu-ropaparlament gab es Wider-stand: Nicht zuletzt unserer Linksfraktion ist es zu verdan-ken, dass die Bereiche Kul-tur und audiovisuelle Medien aus dem Verhandlungsmandat ausgeklammert wurden. War doch zu befürchten, dass im Zuge einer mit dem Abkommen angestrebten Liberalisierung Möglichkeiten wegfallen könn-ten, Filme und andere Kultur-güter öffentlich zu subventio-nieren, und „Hollywood“ damit Tür und Tor geöffnet worden wäre. Wir werden auch in Zu-kunft darauf achten, dass „ro-te Linien“ nicht überschritten werden – selbst wenn sie nicht offiziell eingezogen wurden.́Helmut Scholz

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Seite 6Sachsens Linke! 10/2013

Die Sommer Sonne Schöner Leben Tour 2013

Jugend

Termine2. bis 6. Oktober 2013, SDS-Herbstakademie am Werbel-linsee, Anmeldung und Pro-gramm unter http://www.linke-sds.org/die_linkesds/herbstakademie/13. Oktober 2013, 12:00, BR-Sitzung im linXXnet, Bornai-sche Straße 3 d, Leipzig18. bis 20. Oktober 2013, 2. Programmkonvent vom Bun-desverband in Kassel, mehr unter www.linksjugend-solid.de19. Oktober 2013, Vorträge, Workshops & Konzis im AJZ Leisnig, nähere Infos unter ht-tp://www.ajz-leisnig.de/27. Oktober bis 1. November 2013, Herbstakademie im E-Werk Oschatz, Infos und An-meldung unter http://linke-herbstakademie.de/1. bis 3. November 2013, Landesjugendtag und Lan-desjugendplenum im E-Werk Oschatz, Unterlagen und An-meldung unter http://www.linksjugend-sachsen.de/9. November 2013, 12:00, BR-Sitzung in der WahlFabrik, Kleiststraße 10 a, Dresden

Diesen Sommer hat sich die Linksjugend mit ihrem neu-en Jugendbus »Ivi« wieder in das wilde weite Sachsen ge-traut. Vollgepackt mit viel In-fomaterial und tollen Dingen sind wir vom 14.8-31.8. quer durchs Bundesland gerollt. Wir sind mehr als 1500 km ge-

fahren und haben in mindes-tens 14 Städten Halt gemacht. Gestartet sind wir in Görlitz, weiter nach Bautzen, Riesa, Großenhain, Meißen, Gers-dorf, Torgau, Oschatz, Sch-mannewitz, Limbach-Ober-frohna, Chemnitz, Döbeln, Plauen, Schwarzenberg über noch mehr umliegende klei-ne Städte. In Torgau, Oschatz und Schmannewitz haben wir direkt den Wahlkampf unse-re Jugendkandidatin Susanna Karawanskij unterstützt. Ge-plant war eine lustige Cock-

tailtour durch die regionalen Freibäder, leider hat uns aber das Wetter einen Strich durch die Rechnung gemacht, so dass wir für und mit Susan-na plakatiert haben. In Baut-zen, Riesa, Meißen, Chem-nitz und Plauen sind wir mit der örtlichen Jugend in Kon-

takt getreten um sie von der Liksjugend zu begeistern. Na-türlich haben wir auch den Wahlkampf nicht vergessen und haben die Genossi_innen vor Individuell unterstützt. In Limbach-Oberfrohna, Dö-beln und Schwarzenberg ha-ben wir mit den Menschen vor Ort etwas Größeres organi-siert. Es gab einen Workshop zu Ökofaschismus, zur Einfüh-rung ins Versammlungsrecht und eine Party mit regiona-len Punkbands. Es sind viele neue und interessierte Men-

schen mit der Linksjugend in Kontakt gekommen. Ein gro-ßer Erfolg für unsere Tour. Die Programmpunkte vor Ort, al-so was geschehen soll, ist mit den Gruppen abgesprochen wurden. Bei manchen hat das wunderbar geklappt, bei an-deren war es leider mühselig und schleppend. Das Konzept der Sommertour besteht dar-in kleineren Gruppen die Mög-lichkeit zu bieten gemeinsam mit dem Landesverband eine schöne Zeit mit Bildungsan-geboten und Material zu ver-bringen und um ins Gespräch zu kommen. Es ist ein Projekt welches vom Landesverband und den Ortsgruppen gemein-sam getragen wird. Gestal-tungsvorlagen für Aktionen gibt es eigentlich keine, Politik ist das was du draus machst. Unser Spaß ist dieses Jahr auch nicht zu kurz gekommen. In Leisnig haben wir zum Bei-spiel Burg Mildenstein erkun-det und ganz neben bei in der Stadt noch viele Nazi-Sticker entfernt. Dieses Jahr gab es viel Raum für Spontanität da-mit sich Aktionen entspannt entwickeln konnten. So haben wir in Chemnitz spontan mit Leuten von vor Ort eine Soli-daritätskundgebung für die Flüchtlinge in Berlin-Hellers-

dorf und Bitterfeld durchge-führt, um auf die pogromarti-gen Zustände in Hellersdorf hinzuweisen und unsere Soli-darität mit allen Flüchtlingen auszudrücken. Auf der Kund-gebung hat auch Ahmad spon-tan einen Redebeitrag gehal-ten, er ist ein Flüchtling aus Syrien und ist zurzeit in ei-ner Flüchtlingsunterkunft in

Chemnitz untergebracht. Ein Interview mit ihm ist auf unse-re Internetseite nachzulesen.Auf der Sommertour haben wir Spaß gehabt, neue Leute kennengelernt, Material unter die Menschen gebracht und hoffentlich viele neue Leute erreicht. Es war ein Fest.

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Seite 7 10/2013 Sachsens Linke! DIE LINKE im Europäischen Parlament

Der Merkel-Thatcherismus und kein Ende der KriseIn Brüssel und Berlin wurde das Ende der Krise verkündet. Das ist waghalsig. Denn in den Staaten, die un-ter dem Diktat der Troika stehen, steigen die Arbeits-losigkeits- und Armutszah-len und die Staatsverschul-dung wächst weiter. Bis heute haben die Regieren-den die Ursachen der Krisen nicht ernsthaft ins Visier ge-nommen. Im Gegenteil. Frau Merkel und die hinter ihr stehende Finanz- und Wirt-schaftslobby treiben unver-mindert die neoliberalen Privatisierungen und Libe-ralisierungen voran. Sollten nicht gerade bei uns Ostdeut-schen die Alarmglocken läu-ten, wenn wir vom Vorschlag hören, Griechenland solle die Privatisierung des Staatsei-gentums in die Hände einer Agentur unter Aufsicht der Troika geben? Die Treuhand lässt grüßen.Angela Merkel verkörpert ei-ne Politik in der EU, die ich als Merkel-Thatcherismus bezeichne. Die »Eiserne La-dy« Thatcher, englische Re-gierungschefin in den 80ern, stand für den rücksichtlo-sen neoliberalen Umbau des Staates und der Gesell-schaft: systematisch wurde öffentliches Eigentum priva-tisiert, soziale Sicherungs-systeme ausgehöhlt, die Un-ter- und Mittelschicht mit den Kosten einer rigiden Sparpo-litik belastet. Am Ende war das Land tief gespalten. Die von Thatcher betriebene De-

Industrialisierung trieb vie-le Städte an den Rand des Ruins. Die Wirtschaft wurde in eine angeblich moderne Dienstleistungs- und Finanz-industrie umgebaut, die zu ei-nem unverantwortlichen Ca-sino-Kapitalismus führte.Genau dieser Linie folgt An-gela Merkels Europapolitik. Die in Not geratenen Staa-ten müssen sich Struktur-programmen unterwerfen, die im Kern den Ausverkauf des Öffentlichen - öffentli-ches Eigentum, öffentliche Dienstleistungen, die kom-munale Daseinsvorsorge, so-

ziale und ökologische Stan-dards - zum Ziel haben. Um an zinsgünstige Kredite aus dem Rettungsfonds zu kom-men, müssen die Schuldner-länder öffentliches Eigentum

verschleudern. In Griechen-land, Spanien, Portugal und Italien stehen Wasserversor-gung, öffentlicher Nahver-kehr, Energieversorgung und Krankenhäuser zum Verkauf. Die Troika besteht auf die-sem Privatisierungsexzess. Dabei hat sich längst gezeigt, dass Privatisierung zu Quali-tätsverlust und steigenden Preisen auf Kosten der Ver-braucher führt. Um die Staatsausgaben zu reduzieren, werden zehn-tausende Stellen im öffentli-chen Dienst gestrichen, Ren-ten und Pensionen gekürzt

und massiv in den Sozial-, Bildungs- und Gesundheits-systemen eingespart. Leid-tragende sind Beschäftig-te, Arbeitslose, Kranke, alte und junge Menschen, Mig-

rantinnen und Migranten. Die schwindende Kaufkraft der Bevölkerung treibt kleine und mittelständische Betriebe in den Bankrott. Arbeitslosen-raten explodieren - in Grie-chenland und Spanien hat je-der zweite junge Erwachsene keinen Job - und die Steuer-einnahmen brechen ein. Den Aufbau gerechter Steuersys-teme, die die Reichen mitbe-zahlen lassen, fordert Mer-kel nicht. Die Staatsschulden steigen, obwohl die exzessi-ve Sparpolitik das Gegenteil bewirken sollte. Merkels au-toritär-neoliberale Sparpoli-

tik endet im Teufelskreis aus Hoffnungslosigkeit, Armut und Frust.Die riesige Verschiebung öf-fentlichen Eigentums in pri-vate Hände bedeutet eine un-

erträgliche Umverteilung von Geld, Macht und Kontrolle auf Kosten der Bevölkerungs-mehrheit. Solidarität und Gemeinsinn werden ausge-höhlt. Eine echte Gefahr für die Demokratie.In Deutschland kann sich Merkel über ihre Beliebt-heit freuen. Unsere Nach-barn sehen in ihr eine brutale Macht- und Interessenpoliti-kerin, die für Deregulierung, Privatisierung und Sozialab-bau verantwortlich ist. Diese Politik sorgt dafür, dass ver-gessen geglaubte Vorurteile zwischen den Menschen in Europa zunehmen, dass na-tionale Engstirnigkeit Ober-hand gewinnt. Nach Merkel soll am deutschen Wesen Eu-ropa genesen. Eine Blamage für uns alle.Deshalb können wir nicht zulassen, dass sich unsere Nachbarn um Kopf und Kra-gen sparen. Nötig wäre ei-ne Überprüfung der Staats-schulden, um zu sehen, welcher Teil auf Spekulatio-nen an den Finanzmärkten oder auf Auflagen der Troi-ka zurückgeht. Die übrigblei-benden Schulden müssen vernünftig abgebaut wer-den, ohne ganze Volkswirt-schaften zu erdrosseln. Wir müssen in Bildung, Gesund-heit und sozial-ökologische Entwicklung investieren, um den Menschen eine Zukunft zu geben. Im Zentrum die-ser Politik muss der Kampf um die Wiedergewinnung des Öffentlichen stehen. Nur so kann die EU verlorenes Ver-trauen wieder aufbauen. Gabi Zimmer (MdEP), Vorsit-zende der GUE/NGL Fraktion im Europäischen Parlament

Noch auf seiner Sitzung im Ju-li hatte das Europaparlament per Resolution beschlossen, eine eigene Untersuchung der Vorwürfe zu unterneh-men, die dank der Enthüllun-gen durch Edward Snowden an die Öffentlichkeit gelangt sind. Am 5. September, gut ei-ne Woche nachdem Kanzler-amtsminister Pofalla die Affä-re für »beendet« erklärt, hatte fand im Innenausschuss des EP die erste halbtägige An-hörung statt. Öffentlich, ver-steht sich, mit Übertragung im Internet, wo die gesamte Sit-zung noch immer angeschaut werden kann.Das Thema dieser ersten Sit-

zung war eigentlich die Rol-le der Medien bei der Aufde-ckung dieses Skandals sowie die Erfahrungen, die vor über zehn Jahren mit der Unter-suchung des Abhörsystems Echelon gemacht worden wa-ren. Mit Jacques Follorou von Le Monde, Alan Rusbridger, Chefredakteur des Guardian und Jacob Appelbaum, ame-rikanischer Aktivist, Blogger und Programmierer, waren hochkarätige Gäste anwe-send. In der zweiten Runde stach vor allem Duncan Camp-bell hervor, ein britischer Akti-vist, der bereits 1988 die Exis-tenz von Echelon aufgedeckt hatte und dann 2001 mit sei-

nem Bericht »Überwachung 2000« maßgeblich die damali-ge Untersuchung des Europa-parlaments beeinflusst hatte. Vor allem Appelbaum, der heute in Berlin lebt um der Re-pression durch amerikanische Behörden zu entgehen, zeich-nete ein düsteres Bild der La-ge. Die heutige Überwachung basiere auf einem dreistufigen Ansatz. Im Rahmen der ers-ten Stufe, werden Firmen und Organisationen zu Komplizen der Überwachung gemacht, indem die Daten direkt in den Computernetzen der Firmen abgefangen werden und an die NSA, FBI oder CIA weiter-geleitet werden. Das ist die

Funktionsweise von PRISM. In der zweiten Stufe werde »upstream« die Kommunikati-on einer Organisation von au-ßen abgefangen, etwa indem an den Leitungen und Unter-seekabeln gelauscht wird, wie die Briten mit Tempora. Nicht zu vernachlässigen sei jedoch die dritte Stufe, die quasi klas-sisch mit Einbrüchen - real und virtuell - versucht, an die gewünschten Informationen zu kommen. Hinzu kommt, dass die Geheimdienste letzt-lich aller westlicher Staaten munter ihre Informationen austauschen. Dagegen, so Ap-pelbaum, sei Echelon nur ein Spielzeug für junge Hacker.

Hochkarätige Redner zu fin-den, ist aber das kleinste Pro-blem der Untersuchung. Bis Dezember soll in 12 Anhörun-gen ein Bericht erarbeitet wer-den, mit Ressourcen, die aus dem laufenden Ausschussbe-trieb abgezweigt werden. Kei-ne leichte Aufgabe, der ich mich aber mit aller Energie stellen werde. Dr. Cornelia Ernst (MdEP), Lo-renz Krämer.

Parlament startet eigene Untersuchung der NSA-Überwachung

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Seite 8Sachsens Linke! 10/2013Reportage

Als Beisitzer im WahllokalWie ist das, wenn man nicht nur wählt sondern selber Wahlhelfer ist? Ralf Richter wollte es genauer wissenBegonnen hat alles mit Post aus dem Rathaus. Genauer: Mit einem kleinen aber auffälli-gen Stempel auf dem Briefum-schlag: »Wahlhelfer gesucht« - dazu eine Telefonnummer. Eine Wahlwerbung ganz nach meinem Geschmack: Kla-re Aussage, nur die wichtigs-ten Fakten, keine Redundanz. Da muss man doch mal anru-fen! Es wurde gleich ein gu-tes Gespräch. Das hatte nicht nur mit der sympathischen Stimme der Dame am ande-ren Ende zu tun, sondern auch so insgesamt war meine Ge-sprächspartnerin gut drauf: »Wie kommen Sie auf uns? Ach, der Stempel! Das wirkt also doch!«, freute sich die junge Frau. Dann klar, die Fra-ge nach dem Alter und nach den besonderen Vorlieben: »Möchten Sie in einem be-stimmten Wahlkreis arbeiten? In Ihrem eigenen vielleicht? Es gibt Leute, die wollen nur in ih-rem eigenen Wahlkreis Beisit-zer sein und andere, die wollen gerade nicht in ihrem Wahl-kreis eingesetzt werden – also was wollen Sie?« »Das ist mir egal ...«, lautet meine ehrliche Antwort. »Solche Leute sind uns am liebsten!« Wir verste-hen uns also von Anfang an. Dann kommt der große Tag! Für einen Sonntag unge-wöhnliches Frühaufstehen – schließlich muss ich 7.30 Uhr im Wahllokal sein. Ich schaffe es, im MDR Figaro von einem Pfarrer ein Wort zur Wahl zu hören, dass vor Naivität trieft und von der Verwunderung über die Politikverdrossen-heit getragen wird – der Mann wünscht sich und glaubt dar-an, dass die Politiker frei von Lobby-Interessen werkeln

können. Genau diese Naivität ist ein Grund, weshalb wohl viele Leute der Politik nicht über den Weg trauen: Ich ha-be mir 2000 ein Buch aus den USA mitbringen lassen: »Buy-ing the president 2000«, den Präsident im Jahr 2000 kaufen also. In den USA wird aufgelis-tet, welcher Abgeordnete wel-che Lobby-Gruppen vertritt – genau das würde ich mir auch für alle EU-Länder wünschen, damit man endlich weiß, wer für welche Lobby-Gruppen wirklich stimmt im Parlament. Bis heute gibt es so was nicht in Deutschland.Vor meinem Rad springt in der Gartenanlage ein Eich-hörnchen über den Weg. Von rechts nach links, es ist sehr klein und rabenschwarz. Ich glaube, es wird ein guter Tag! In der Schule sind schon alle da. Zwei Räume für den Wahl-bezirk, einer für einen Wahl-kreis. 1.200 Leute sollen »bei uns« wählen – doch über 200 haben sich schon die Brief-wahlunterlagen zuschicken lassen, bleiben über 990 üb-rig. In der ersten Viertelstun-de haben wir fünf Wähler – eher junge und mittelalte. Die Stoßzeit soll dann ab 15 Uhr kommen bis 18 Uhr. Ein Kol-lege bittet um die Berechnung der Wahlbeteiligung: Wir kom-men auf ca. 20 Prozent, vo-rausgesetzt, dass alle Brief-wähler wirklich schon gewählt haben, was nicht ausgemacht ist. Manche Briefwähler ha-ben es verschlafen und wollen dann noch am Wahltag direkt wählen gehen. Sechs Mann sind wir, pardon: Drei Frauen und drei Männer. Der ältes-te ist vielleicht Ende sechzig, die jüngste um die zwanzig. Verschiedene Typen sind ver-treten: Der ganz Korrekte und die leicht Diffuse, richtig nett ist unsere »Chefin«. Sie erklärt alles ruhig, humorvoll und ent-spannt – so viel zu tun haben wir nun auch wieder nicht. Drei von uns müssen immer im Raum sein, einer kann mal eine Zigarette rauchen. Ge-arbeitet wird in drei Schich-

ten. Ich komme in die zweite Schicht – 11.30 Uhr beginnt mein Einsatz, bis dahin ers-te Beobachtung des Gesche-hens – als Beisitzer vom Bei-sitzer also. Wir dürfen nach der Belehrung einen Blick in den Wahlurne werfen und uns überzeugen, dass sie wirklich leer ist. Ein Missgeschick, mit dem gerechnet werden muss: Es kann vorkommen, dass der Wähler neben dem Wahlzet-tel seinen Personalausweis gleich mit in der Wahlurne ver-senkt. Dann hat er Pech ge-habt. Die Urne wird auf kein noch so lautes Jammern und Flehen geöffnet – jedenfalls

nicht vor 18 Uhr. Nachdem al-les klar ist schwinge ich mich auf mein Rad und gehe selber wählen …Zurück, nehme ich meinen Platz ein an der Urne. Inter-essant ist mit welcher Ges-te die Zettel eingeworfen werden – manche elegant schwungvoll, andere ploppen sachlich-nüchtern und qua-si im vorüber gehen etwas ein, bei manchen scheint sich die Brust zu schwellen erfüllt vom Glauben an die erfüllte staatsbürgerliche Pflicht – es fallen auch Kommentare da-bei wie: »Deutschland einig Merkel-Land!« Später wer-den Plätze getauscht und ich werde zum ersten Ansprech-partner und Identitätsprüfer in einer Person. Manche muss ich weg schicken, weil sie bei uns falsch sind – so gibt es die leicht Verwirrte, sie stürmt mit geschlossenem Briefum-schlag und zwei kleinen Kin-der 17.55 Uhr ins Lokal – doch wie wir feststellen ist es nicht ihres, sie müsste in zwei Kilo-meter Entfernung wählen. Das wird nichts mehr. Briefwäh-ler bringen ihre nicht abge-schickten Briefe in Wahllokal … Die Leiterin des Wahllokals ergreift die kleine Funkuhr –

dann wird die Tür geschlos-sen. Es ist Punkt 18 Uhr.Jetzt fängt die Arbeit rich-tig an! Tische werden zusam-men gestellt, die Kabinen ab-gebaut, die Urne umgestülpt, die Zettel fallen auf die Tische. Wir sollen alles auf drei Hau-fen sortieren: A, B und C. Auf A liegen die »Ein-Parteienwäh-ler«, die ihre erste und zwei-te Stimme der gleichen Partei gegeben haben. Auf B liegen die »Zwei-Parteienwähler«, die mit der zweiten Stimme ei-ne andere Partei gewählt ha-ben als mit der ersten – und auf den dritten Stapel, den C-Stapel kommt der Rest : Gar

nichts angekreuzt oder nur ein Kommentar »Lügner« oder al-les durchgestrichen. Stapel C ist sehr klein, weniger als ein Prozent. Am spannendsten finde ich Stapel B – ob Katja Kipping weiß, dass sie auch Wähler hat, die mit der Zweit-stimme NPD wählen? Sofort ins Auge fällt die starke Ori-entierung auf die AfD bei den Zweitstimmen – sie kommen ausnahmslos aus allen La-gern. Für die starke Wahlbetei-ligung mögen die Alternativen mit den zwei neuen Partei-en – AfD und Piraten für eini-ge beflügelnd gewirkt haben. »Ein-Parteien-Wähler« haben bei uns CDU, Grüne, Linke, SPD, FDP, NPD und Piraten ge-wählt – für die AfD gibt es nur Zweitstimmen. Ich frage mich, warum man bei der Wahlbe-richterstattung nicht erfährt, welche Kombinationen es so gibt und das Ganze in einem Ranking sortiert, dabei wäre es doch sehr interessant zu wissen, wie viele Wähler »Bi-polar« sind und Gesichter und Parteien zusammen bringen die eigentlich nicht viel ge-meinsam haben. Rechts und Links wird durchaus auch gern kombiniert – man denkt an die Jugendlichen in der Dresd-

ner Neustadt: Die Woche über links in der Stadt unterwegs und dann am Wochenende in der Sächsischen Schweiz auf einem ganz anderen Dampfer. Der Wähler bastelt sich seine reale wie politische Welt zu-recht. Vor zehn, zwanzig Jah-ren mag man stringent eine Partei mit beiden Stimmen ge-wählt haben, heute aber wür-de ich die These wagen, dass die Zahl der Wähler, die mehr als eine Partei wählen, stetig steigt – mancher Wähler gibt auch zwei Erststimmen ab und kreuzt insgesamt sieben Par-teien an, das gelangt auf den Stapel C – schade, es müsste

eine »Unentschiedene«-Kate-gorie geben.Stapel A kommt auf einen Ex-tra-Tisch dann fallen wir über Stapel B her. Er wird nach Zweit- und Erststimmen aus-einander genommen und zu-letzt schaut man, was aus Sta-pel C noch zu retten ist. Von 1.253 Wahlberechtigten ha-ben ca. 760 bei uns gewählt, dazu kommen noch einmal ca. 200 Briefwähler. Nach der Zählerei kommt die Rechne-rei – erst die Freude dann die Irritation: Eine Zweitstimme fehlt! Was jetzt? Zum vierten Mal zählen was schon drei Mal gezählt wurde? Schließlich aufatmen: Die fehlende Zweit-stimme wird gefunden! Ergeb-nis später von der Homepage der Stadt Dresden für unseren Wahlkreis: Die AfD bringt es auf 7,3 Prozent, Piraten auf 4,0 , CDU auf 39,2 und Linke auf 14,4 – 0,2 Prozent mehr Stim-men als die SPD. Grüne haben 10,9, die NPD 3,1 und die FDP landet bei 4,9. So sieht das Er-gebnis in nur einem der 358 Wahlbezirke Dresdens aus. 20.30 Uhr ist Feierabend, die Bündel sind gepackt. Die Wahlbeteiligung lag um die 70 Prozent. Wir waren ein gutes Team, es hat Spaß gemacht!

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Seite 5 10/2013 Links!

Über Gramsci und seine Briefe

Chiles 11. September – Ein ungesühntes Verbrechen

Geschichte

Vor 40 Jahren, am 11. Sep-tember 1973, putschten Chi-les Generäle Salvador Allen-de aus dem Präsidentenamt. Dieser wählte lieber den Frei-tod, als vor der Übermacht der Putschisten zu kapitulieren. Das Land, das vordem als de-mokratischer Musterstaat ge-golten hatte, geriet unter die 17jährige Diktatur von Ge-neral Augusto Pinochet. Vier Jahrzehnte nach diesem Ver-brechen ist dessen Erbe im-mer noch lebendig: die – leicht reformierte – Verfassung von 1980, das einseitige Wahl-recht, die Sonderrechte der Armee, die neoliberale Wirt-schaftsordnung, ein politisch und sozial gespaltenes Land, eine traumatisierte Gesell-schaft ... Es sind aber nicht nur die Folgen des Putsches, die den 11. September 1973 aus dem Reigen lateinameri-kanischer Staatsstreiche her-vorheben, sondern gleicher-maßen jener chilenische Weg zum Sozialismus, dem Pino-chet & Co. ein blutiges Ende setzten.Allende hatte als Kandidat des breiten Linksbündnisses Uni-dad Popular (UP) im Septem-ber 1970 die Wahlen mit 36,6 Prozent gewonnen. Unter Ein-haltung der demokratischen Normen sollten radikale Re-formen – Verstaatlichung der Naturressourcen, Schlüssel-industrien und Banken, Fort-führung der Agrarreform, Aus-bau der Demokratie von unten

– umgesetzt und so der Weg zum Sozialismus geöffnet wer-den. Einerseits konnte die UP ihre soziale Basis bis 1973 ver-breitern, andererseits wurde der Widerstand gegen den his-torisch einzigartigen Versuch, Demokratie und Sozialismus miteinander zu verbinden, im-mer heftiger. Kurz bevor Allen-de darüber das Volk abstim-men lassen konnte, putschte die Armee. Mit dem Tod Allen-des waren auch zwei chileni-sche Mythen gestorben: Die Armee hatte die Verfassung gebrochen und die Demokra-tie beerdigt.Auf den Schock, den der Mili-tärputsch weltweit hervorrief, folgte unmittelbar ein brei-te Welle der internationalen Solidarität. Tausende Chile-nen mussten ins Ausland flie-hen und fanden dort Zuflucht und Hilfe. Auch die DDR nahm mehr als 2000 Exilanten auf. Nachdem die Putschisten den spontanen Widerstand im Land innerhalb weniger Wo-chen gebrochen hatten, kann es erst 1983 zu einem Auf-schwung des Kampfes gegen die Diktatur, die 1990 mit der Wahl einer demokratischen Regierung ihr Ende fand.Es ist mehr als eine Ironie der Geschichte, dass die Ter-rorattacke vom 11. Septem-ber 2001 auf den Putsch von 1973 zurückverweist, diesen anderen 11. September je-doch zugleich verdeckt und überschattet. Hinter der his-

torischen Zufälligkeit verbirgt sich eine tieferer Zusammen-hang. Beide Schockerlebnisse verbreiten ein Gefühl des »Un-heimlichen« (Cristian Alvara-do Leyton), das einerseits den Wunsch nach Verdrängung hervorbringt, dem anderer-seits die Dimension des Unab-gegoltenen und Ungesühnten innewohnt. Beides lässt sich auf die Rolle der USA vor, wäh-rend und nach Chiles 11. Sep-tember übertragen.Bereits im Vorfeld der Wahl Al-lendes zum Präsidenten setz-te Washington alles daran,

diese zu verhindern. Mit der Entführung des Oberbefehls-habers der chilenischen Ar-mee, General René Schneider, sollte ein Militärputsch pro-voziert werden. Allerdings er-wies sich die Aktion, bei der Schneider den Tod fand, als kontraproduktiv. Später taten sich die USA bei der Finan-zierung und Unterstützung von Sabotageakten, Fuhrun-ternehmerstreiks und Medi-enkampagnen gegen Allen-de hervor. Mit dem Putsch war dann der »sozialistische Spuk« endlich vorbei. Am 11.

September 1973 standen die USA auf der Seite der Terro-risten – auch eine Erinnerung, die bleibt.

Peter Gärtner

Der ungekürzte Beitrag findet sich unter: http://www.quet-zal-leipzig.de/lateinamerika/chile/chiles-11-september-hintergrunde-folgen-und-de-batten-2-19093.htmlBei QUETZAL ist ab dem 28. September zudem ein Dossier zum 11. September 1973 ein-sehbar.

Über Gramsci und seine BriefeVielseitigkeit im Denken und ein großer Bildungshorizont sind immer von Vorteil. Das verschafft einem die Möglich-keit, Neues zu entdecken, zu lernen und anderen nahezu-bringen. Man reist auf den nie versiegenden Strömen des Wissens zu neuen Ufern. Ein solcher »Reisender« war auch Antonio Gramsci (1891-1937). Als Politiker und Theoretiker hinterließ er nicht nur politi-sche und theoretische Schrif-ten. Nein, Gramsci, der zwi-schen 1911 und 1915 in Turin neben Philosophie noch Ge-schichte und Philologie stu-diert hatte, schrieb auch über Pädagogik, Literatur und Kunst. Ebenso gehörten der Journalismus und Theaterkriti-ken zu seinem Repertoire. Zum beachtenswerten Nach-lass Antonio Gramscis sind auch seine Briefe zu zählen, insbesondere jene privaten In-halts. Schon aus seiner Jugend

sind Briefe überliefert. Damals schilderte er die jämmerlichen Lebensbedingungen in Sardi-nien. Immer wieder bat er sei-nen »liebsten Papa« um Geld: » ... ich flehe Dich an, schick mir sofort, heute noch dieses Geld ... die Wirtin schießt mir nichts mehr vor und ich bin verzwei-felt, in einer fürchterlich Stim-mung«. Als er 1911 zu studie-ren begann, hatte er aufgrund mangelnder Unterstützung nicht einmal die Mittel, sein Zimmer heizen zu können. Es war eiskalt, Krankheitssymp-tome begannen ihr Erscheinen anzumelden, die ihm in den Gefängnisjahren das Leben zur Hölle machen sollten. Ganz gesund war er ohnehin nie. Er fühlte sich von seinem Vater vernachlässigt und brach 1913 mit ihm. Danach hielt Antonio nur noch mit seiner Mutter und seinen Schwestern Kontakt.Der kleinwüchsig-bucklige Gramsci meinte, dass »es für mich absolut – nahezu schick-

salhaft – unmöglich ist, geliebt zu werden«. Dennoch hat er ge-liebt und wurde Vater von zwei Söhnen. Groß und bildhübsch soll sie gewesen sein, seine Ju-lia (Schucht), die er in Moskau kennenlernte. Im Auftrag der Komintern wurde Gramsci En-de 1923 nach Wien geschickt, um von dort den italienischen Faschismus zu beobachten. In Briefen, die Gramsci aus Wien an Julia schrieb, ging es nicht nur um Trennungs-schmerz und Selbstzweifel. Der Schreiber offenbart auch Sinn für schwarzen Humor: » ... da die Kammer (das Parla-ment) erst am 24. Mai die Ar-beit aufnimmt, und ich bei den ersten Sitzungen nicht dabei sein kann, weil ich bei Dir sein werde, um Dir die Zunge zu zei-gen, bevor ich sie ... Mussolini zeige«. Mussolini und Gramsci waren ein Kapitel für sich. Einst wa-ren sie Weggefährten in der Sozialistischen Partei. Wäh-

rend der eine zum faschisti-schen Diktator Italiens auf-stieg, wurde der andere Mitbegründer und Führungs-mitglied der KP Italiens. Der spätere »Duce« und Gramsci kannten sich seit 1914. Beide arbeiteten in der Parteizeitung »Avanti«. Mussolini brachte es gar zu ihrem Direktor. Mit Aus-bruch des 1. Weltkrieges ent-fernte sich Mussolini immer mehr von den Sozialisten, be-jahte den Kriegseintritt Itali-ens (1915) und wurde immer nationalistischer. 1926 soll-te Mussolini nicht nur seinen früheren Kollegen Antonio Gramsci verhaften, sondern auch ihre einst gemeinsame Zeitung »Avanti« verbieten las-sen. Im Kerker schlug Grams-ci die Möglichkeit, ein Gnaden-gesuch an Benito Mussolini zu stellen, aus. Es hätte ihm die notwendige medizinische Spe-zialbehandlung gebracht, die im so verweigert wurde. Die-se Standhaftigkeit bezahlte

Gramsci mit seinem Leben. Brieflich äußerte sich der »re-volutionäre Abgeordnete« (A. G.) auch zum damals faschis-tisch dominierten Parlament. Er sah sich da in einer Kam-mer, in der 400 betrunkene Af-fen fortwährend brüllen, in der er freilich »eine mächtigere Stimme und eine größere Wi-derstandskraft, als ich sie ha-be«, bräuchte. Frühzeitig be-mühte er sich um eine Analyse des Faschismus. Für ihn stellte er eine völlig neue Qualität ka-pitalistischer Herrschaft dar. Bekanntlich wurde Gramsci 1926 selbst Opfer des men-schenverachtenden Qualitäts-anspruchs des faschistischen Italien. Die Hoffnung seiner Richter und Kerkermeister, die schöpferisch-kreative-den-kende Adern im Gefängnis tro-ckenzulegen, sollte sich nicht erfüllen. Trotz aller Schikanen und Erschwernisse konnte er sie in Fluss halten. René Lindenau

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Seite 6Links! 10/2013 Rosa-Luxemburg-Stiftung

ImpressumLinks! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt

Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Dr. Achim Grunke, Rico Schubert

Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Namentlich gekennzeichne-te Beiträge geben nicht un-bedingt die Meinung der Re-daktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinn-wahrende Kürzungen vor. Ter-

mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.

Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Drucke-rei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 15.050 Exemplaren gedruckt.

Redaktion: Kevin Reißig, Rico Schubert (V.i.S.d.P.)

Kontakt: [email protected] Tel. 0351-84389773

Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio

Redaktionschluss: 23.9,2013

Die nächste Ausgabe erscheint am 5.11.2013.

Die Zeitung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand.

Abo-Service Tel. 0351-84389773

Konto: 3 491 101 007, BLZ: 850 900 00, Dresdner Volksbank

TermineChemnitz, 1.10., 19.30 UhrVortrag und Diskussion»Baustelle Revolution«Lucio Urturbia stellt seine Au-tobiographie vorMit Lucio Urturbia, FrankreichLesecafé «Odradek”, Leipziger Straße 3, 09113 ChemnitzEine Veranstaltung des Lese-café «Odradek” in Kooperati-on mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V.Der spanische Anarchist Lu-cio Urtubia stellt seine Auto-biografie »Baustelle Revoluti-on« vor. Im Pariser Exil lernte Lucio den legendären Sabaté kennen, der von Frankreich aus den Widerstand gegen die Franco-Diktatur organisier-te. Fälschen von Dokumen-ten und Geldbeschaffungsak-tionen spielten im Leben des gelernten Maurers fortan ei-ne große Rolle. Sein größter Coup: Durch den Druck von Travellerschecks im Wert von mehreren Millionen Dollar zwang er die mächtigste Bank der Welt in die Knie.

Dresden, 2.10., 19 UhrVortrag und DiskussionInterkulturelle TageGeschäft mit dem Hunger?Mit Benjamin Luig, MisseriorWIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Chemnitz, 5.-6.10., Samstag/Sonntag, ab 10 UhrSeminar und DiskussionWie weiter mit Hartz IV - Die Grundsicherung?Mit Frank Jäger, Politologe, Wuppertalm54 - Mediencafé, AJZ, Chem-nitztalstraße 54, 09114 Chem-nitzZiel des zweitägigen Work-shops soll in erster Linie sein: Vertiefte Kenntnisse im Um-gang mit dem SGB II und an-grenzender Rechtsgebiete zu erlangen. Damit die Rechte der Arbeitslosen und anderer Bedürftiger bei gegenseitiger Begleitung zum Amt und bei gemeinsamer Beratung kon-kret zur Sprache gebracht und vor allem verteidigt wer-den können. An zweiter Stelle erhoffen wir uns einen Erfah-

rungsaustausch über die Poli-tik der Jobcenter, über erprob-te Widerstandsformen und vielleicht auch Tricks und Knif-fe im Umgang mit dem Amt. Die Teilnahme am Workshop ist kostenlos und auf 20 Per-sonen begrenzt. Es wird des-halb um Voranmeldung beim Veranstalter gebeten: An-schrift: Erwerbsloseninitiati-ve »Einstweilen wird es Mit-tag«, Leipziger Str. 3, 09113 Chemnitz, e-mail: [email protected] blog: einstweilenwirdesmit-tag.blogsport.de

Zittau, 7.10., 18 UhrFilm und Diskussion»Verboten - Verfolgt - Verges-sen«Ein Dokumentarfilm von Dani-el BurkholzInfoladen, Äußere Weberstraße 3, 02763 Zittau

Chemnitz, 8.10., 17 UhrZeitzeugengesprächIch war in Auschwitz - Zeit-zeugengespräch mit Justin SonderMit Justin Sonder, ChemnitzEine Veranstaltung der Mobi-len Jugendarbeit Chemnitz in Kooperation mit der Rosa-Lu-xemburg-Stiftung Sachsen e.V.Jugendtreff MOJA, Wladimir-Sa-gorski-Straße 20, 09122 Chem-nitz

Leipzig, 8.10., 20 UhrREIHE: Der lange Schatten des StalinismusFrühe Kritik am Antisemitis-mus von Links. Über Alexand-ra und Franz Pfemfert, Emma Goldman, Alexander Berg-mann und Leo TrotzkiMit Olaf Kistenmacher, Publi-zist, BerlinEine Veranstaltung in Koope-ration mit der Buchhandlung driftCineding, Karl-Heine-Straße 83, 04229 LeipzigReihe: Der lange Schatten des Stalinismus. Jüdische Kom-munisten in der DDR zwischen Anpassung, Denunziation und VerfolgungMit der Veranstaltungsreihe soll eine kritische Auseinan-

dersetzung mit DDR-Geschich-te und dem Erbe von linkem Autoritarismus und Stalinis-mus begonnen werden. Den Auftakt dieser länger angeleg-ten DDR-Aufarbeitung bilden die Lebensschicksale, Erfah-rungen und Perspektiven jüdi-scher Kommunist_innen, die vor allem in der frühen DDR aus unterschiedlichsten Gründen erneut in den Teufelskreis von Denunziation und Verfolgung gerieten. In Öffentlichkeit und Geschichtspolitik gab es kaum Raum für spezifisch jüdische Erinnerungen. Der DDR-Antifa-schismus hatte eine staatstra-gende Funktion des Erinnerns, die nur wenig mit der schmerz-haften NS-Vergangenheit in ih-rer ganzen grausamen Dimen-sion zu tun hatte.

Leipzig, 10.10., 20 UhrBuchvorstellung und Ge-spräch»Speak Up!« - Sozialer Auf-bruch und Widerstand in In-dienMit Jürgen Weber, Mitheraus-geber des BuchesInterkulturelle Konversationsca-fé, Emiliensraße 17, 04107 Leip-zigDer mit Beginn der 1990er Jah-re in Indien einsetzende Trans-formations- und Modernisie-rungsprozess mit trotz Krise noch immer hohen Wachstums-raten hat die sozialen Gegen-sätze zusehends verschärft. Einer neuen kaufkräftigen Mit-telschicht steht die große Zahl von wirtschaftlich armen und diskriminierten Bevölkerungs-gruppen gegenüber. Der inten-sivierte Rohstoffabbau führt zu Landvertreibungen im großen Stil, gleichzeitig werden die Großstädte so umstrukturiert, dass auch dort für die Margi-nalisierten und Subalternen kaum mehr eine Lebensgrund-lage zu finden ist. Gegen die-sen »Modernisierungsprozess« gibt es jedoch auch vielfachen Protest und Widerstand, orga-nisiert durch soziale Bewegun-gen, Menschenrechtsorganisa-tionen, Sozialarbeiter_innen, Gewerkschaften, Studieren-dengruppen und Wissenschaft-

ler_innen.

Leipzig, 10.10., 20 UhrGlobaLE - Filmfestival»Und dann der Regen« (MEX/SP/F 2011)Mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung SachsenAudimax der HTWK Leipzig, Raum G329, Karl-Liebknecht-Str. 132, 04277 Leipzig

Leipzig, 15.10., 18 UhrBuchvorstellung und Diskus-sion»Literaten kontra Patrioten. Das kulturelle Leipzig im Ge-denkjahr 1913. Ein dokumen-tarisches Memorial«Mit Prof. Dr. Klaus SchuhmannModeration: Dr. Gerald Diese-nerRosa-Luxemburg-Stiftung, Har-kortstraße 10, 04107 Leipzig

«Gemeinhin wird der 1. August 1914 als die bis dahin tiefste geschichtliche Zäsur des 20. Jahrhunderts interpretiert. Im nun beginnenden Waffengang entluden sich die in einer lan-gen Spanne des Friedens in Europa gereiften Spannungen und Konflikte, um mit ihrer Lö-sung gleichsam - um einen li-terarischen Titel zu bemühen - im Stahlgewitter eine neue politische Machtordnung auf dem Kontinent zu gebären. Noch immer sind vor allem die Bekundungen der freneti-schen Kriegsbegeisterung je-ner Tage ein festsitzendes Bild im kollektiven Gedächtnis.Wer sich der unmittelbaren Vor-geschichte des Sommers 1914 zuwendet, wird schnell auf die atmosphärischen Vorboten je-ner unheilvollen Entwicklung stoßen. Klaus Schuhmann ge-lingt in einer faszinierenden Collage ein Blick in das Leip-zig des Jahres 1913, das in sei-ner Melange von bekannten Entwicklungen und Personen mit längst vergessenen Episo-den und Akteuren vor allem ei-ne aufgewühlte, geistig schon dem Kriegsfieber entgegen-taumelnde Messestadt offen-legt.” Universitätsverlag

Dresden, 16.10., 19 UhrVortrag und DiskussionMarx und Engels neu entde-ckenMit Prof. Dr. Manfred Neu-haus, langjähriger Editor der Marx-Engels-Gesamtausga-be, Leipzig

Wir-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Leipzig, 19.10., 18 UhrKritische Lesung und Diskus-sion im Rahmen des 20. Le-LeTre»Ich werde sein, was Sie wol-len, das ich sein soll. - Die Ge-schichte der O«Mit Korinna Linkerhand und Sabrina WeidnerVeranstaltet von linXXnet e.V. und der Rosa-Luxemburg-Stif-tung Sachsen e.V.linXXnet, Bornaische Straße 3d, 04277 Leipzig

1954 veröffentlichte Pauline Réage eine der bekanntesten SM-Romane: Die Geschichte der O. Dieses Buch hat enor-men Aufruhr ausgelöst. Die Kritiker lobten das Werk als »anspruchsvolle Pornogra-phie« oder zerschmetterten es aufgrund »sexualfaschisti-scher« Intentionen.Handelt es sich bei diesem Werk um zulässige, lustvolle Pornographie? Ist emanzipa-torische Pornographie über-haupt möglich?

Dresden, 23.10., 19 UhrVortrag und DiskussionWohlstand ohne Wachstum?Kontroverse Debatten und Ergebnisse der Enquetekom-mission „Wachstum, Wohl-stand, Lebensqualität”Mit Dr. Norbert Reuter, ver.di Bundesvorstand, sach-verständiges Mitglied der Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Le-bensqualitätWir-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Chemnitz, 24.10., 18.30 UhrChina nach dem 18. ParteitagMit Dr. Lutz Pohle, Leiter des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in PekingQuerbeet, Rosenplaz 4, 09126 Chemnitz

In der Vergangenheit war das Interesse der internationa-len Öffentlichkeit an Kongres-sen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) zumeist verhalten. Zu abgekartet und undurchsichtig erschien die Auswahl der führenden Partei-kader. Der 18. Parteitag hinge-gen stieß auf großes Medienin-teresse.

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Seite 7 10/2013 Links! Kultur

IBUg burned again!

Blutige Romantik - »Essays zum 200. Jahrestag des Befreiungskrieges«Viele Spuren der Befreiungskriege finden sich besonders in Ostdeutschland. Da gibt es das Moreau-Denk-mal im Dresdner-Süden auf der Räcknitzhöhe. Moreau, ein Ex-General Napoleons, fiel bei Napoleon in Ungnade, ging ins amerikanische Exil und wur-de von Zar Alexander geholt, um nun als militärischer Bera-ter der russischen Truppen ge-gen Napoleon zu kämpfen – in Dresden kam es vom 26. bis 27. August 1813 zur Schlacht. Es wurde Napoleons letzter Sieg. 350.000 Soldaten wur-den von den Kriegspartei-en aufgeboten – 25.000 Tote blieben auf dem Schlachtfeld zurück. Die Alliierten (Russen, Österreicher und Preußen) hatten 15.000 Tote zu bekla-gen, die Franzosen 10.000. Napoleon siegte zwar, doch war sein großer Plan, die Trup-pen des Feindes einzukreisen und vernichtend zu schlagen, nicht aufgegangen. Moreau verlor beide Beine auf der

Räcknitzer Höhe – sie sollen unter dem Denkmal liegen. Er starb später in Böhmen. Die Schlacht bei Dresden wur-de sowohl von französischer als auch von deutscher Seite im Bild verewigt – wobei das Gemälde „Schlacht bei Dres-den“ von Julius Ferdinand Wil-helm Sattler, das sich heute im Deutschen Historischen Mu-seum Berlin befindet, sehr ro-mantisch wirkt.In der Tat setzte nach der Zeit der Befreiungskriege eine ro-mantische Verklärung der Ge-schehnisse ein – es war die Zeit der Nationsbildung. Erst-mals hatten Deutsche vereint gegen einen gemeinsamen Feind gekämpft. Im Deutschen Kaiserreich zog man eine di-rekte Linie von der Völker-schlacht bei Leipzig 1813 bis zur Krönung des Deutschen Kaisers 1871 im Spiegelsaal von Versailles. Wenn alle Ver-anstaltungen anlässlich des 200. Jahrestages des Befrei-ungskrieges vorbei sind – die Schlachten an historischen Or-ten, die Feierlichkeiten am Völ-kerschlachtdenkmal, die Aus-stellung „Blutige Romantik“ im Militärgeschichtlichen Mu-

seum Dresden (noch bis Feb-ruar 2014), dann bleiben gute Bücher übrig. Ein im wahrs-ten Sinne des Wortes schönes Werk ist der Essay-Band „Blu-tige Romantik“ vom Dresdner

Sandstein-Verlag. Auf 360 Sei-ten abwechslungsreiche Tex-te, wunderbare Bilder, Karten. Zum Beispiel der Essay „Cas-par David Friedrich in Krippen“

– Friedrich fühlte sich von Na-poleon und der Besatzung so angewidert, dass er ins „na-he Exil“ in die Sächsische Schweiz ging. Im Essayband wird Bezug genommen auf

Friedrichs Napoleon-kritische Anmerkungen in seinem Krip-pener Skizzenbuch und seine patriotischen Äußerungen im Austausch mit Freunden. Man

erfährt darin auch viel von den Stimmungsschwankungen in der sächsischen Bevölkerung, zwischen Mitleid mit den zer-lumpten, halb verhungerten geschlagenen französischen Truppen, die aus Russland zu-rückkamen, und dem Hass auf die Besatzer. Man war ja in Sachsen beides – Leidtragen-der und Verbündeter. Ganz be-sondere Schmankerl sind die Essays „Die Rolle des zaristi-schen Russlands und seiner Armee beim Sieg über Napo-leon“ von Dominic Lieven und „Was will auf Deinen Feldern denn der Russe, Deutschland? Dir beistehn“ von Helmut Grie-ser. In beiden Essays wird die große Rolle Russlands bei der Befreiung Deutschlands her-ausgestrichen – Russland ent-richtete den größten Blutzoll. In „Meine besten teuersten Freunde sind Franzosen“ von Lutz Reike erfährt man dage-gen etwas über die legendä-re Napoleon-Freundin Gräfin von Kielmansegge in Dresden. Kurz: Man blättert, schaut, staunt, liest und genießt. Der 28 x 21 Zentimeter große Fe-steinband kostet 38 Euro.Ralf Richter

Vom 30.08. bis 01.09. fand die achte Auflage der Industrie-brachen-umgestaltung statt und feierte mit etwa 150 Künstlern und mehr als 7500 Besuchern neue Rekorde. Austragungsort des Spekta-kels war in diesem Jahr das ehemalige Eisenwerk im Nor-den Zwickaus, das im Volks-mund auch “Fackel” genannt wird. Früher wurden hier vor-rangig Teile für den LKW W 50, Traktoren ZT 300 und Zetor (CSSR) gegossen.Nach der politischen Wende brachen die Fahrzeug- und schließlich die Gussprodukti-on in den frühen 1990er Jah-ren um mindestens 80 Pro-zent ein. Im Mai 1996 gingen die Öfen in Zwickau endgül-tig aus. Heute kann man das 38.000 m² große Gelände für 200.000 € kaufen. In einem

Altlastenbericht von 1993 wird jedoch auf das Vorkom-men von Gefahrenstellen auf Grund von Ölresten und phe-nolhaltigem Kies und Sand hingewiesen. In den letzten Jahren ist die Brache zum Ort für Paintball, Softair-Spiele und Geocaching sowie zum Ausflugsziel von Fotografen und Junggesellenabschieden geworden.Im August 2013 wurde nun ein neues Kapitel in der Geschich-te des Eisenwerkes geschrie-ben. An drei Festivaltagen gab es ein volles und buntes Pro-gramm mit Filmen, Musik, Tanztheater, Performance und natürlich jeder Menge urba-ner Kunst. Außerdem standen Vorträge und Diskussionen über die Möglichkeiten zur Wiederbelebung von Indust-riebrachen durch Kunst und Kultur auf der Agenda.Zuvor hatten Kreative aus ganz Europa, Weißrussland, Mexiko, Argentinien, China und den USA das brachliegen-de Areal während einer ein-wöchigen Kreativphase mit-tels Graffiti und großflächigen Wandmalereien, detailverlieb-ten Illustrationen, Videopro-jektionen und Installationen aus herumliegendem Materi-al in ein beeindruckendes Ge-

samtkunstwerk verwandelt. Unterstützung vor Ort gab es unter anderem von den Mit-gliedern vom Roten Baum Zwickau (darunter auch die Mitglieder der Jungen Linken Zwickau Rene Hahn und Ros-si), die im Vorfeld geholfen ha-ben, das Gelände begehbar und sicher zu machen. Außer-dem kümmerte sich die VO-

KÜ um das Mittagessen für die Künstler. Am Festivalwo-chenende konnten die Besu-cher in Führungen mehr über die Kunst und die Künstler er-fahren, aber auch über die frü-here Funktion der einzelnen Gebäude. So mancher ehema-liger Arbeiter fand seinen al-ten Arbeitsplatz buchstäblich „umgestaltet“ wieder. Und

selbst ein Hochzeitspaar war vom Gesamtambiente begeis-tert und tauschte für den Fo-totermin den Park gegen das IBUg-Gelände. Kurzum: Ein gelungenes Fest! Bleibt nur die Frage, was nun mit dem Gelände geschehen soll. Konkrete Pläne gibt es nicht. Mehr Infos unter www.ibug-art.de Stefan Roßberg

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Seite 8Links! 10/2013 Kultur

Édith Piaf zum fünfzigsten TodestagDer kleine Spatz von Paris

Leipzig im GEDENKEN

1915 wurde in Paris eine ge-wisse Giovanna Gassion in ärmsten Verhältnissen als Kind eines Künstlerehepaa-res geboren. Ihr Mutter Anet-ta Maillard stammte aus Algerien. Sie war eine großar-tige Sängerin; Giovannas Va-ter Giovanni Luigi Gassione ein Zirkusakrobat, der italie-nischer Herkunft war. Weil ih-re Mutter das junge Mädchen schon nach zwei Monaten im Stich ließ, verbrachte Giovan-na ihre Kindheit unter men-schenunwürdigen Umständen im Bordell, was den Vater ver-anlasste, sie mit auf Wander-zirkustourneen zu nehmen. Als sie sich im Alter von fünf-zehn Jahren vom alkoholsüch-tigen Vater trennte, ging sie nach Paris und begann, ihre ersten eigenen Lieder auf der Straße zu singen. Zufällig hör-te sie ein Talente suchender Besitzer eines Nacht-Caba-rets, ein gewisser Luis Leplée, der so begeistert von ihr war, dass er sie prompt als Chan-teuse engagierte. Diese klei-ne, scheinbar zerbrechliche, arme Göre rotzte förmlich ihre einfach gestrickten Chansons mit einer messerscharfen, rauen, kraftvollen Stimme aus ihrer Seele. Von nun an trat sie unter dem Künstlernamen Èdith Piaf auf. Zwei Jahre lang sang sie auf dieser kleinen Bühne, bis sie 1937 den Manager Raymond Asso kennenlernte, der für sie neue Texte schrieb (Lu-is Leplée lebte schon nicht mehr, er wurde 1935 ermor-det). Die Kompositionen lie-

ferte ihre Pianistin Margueri-te Monnot. Zwei Jahre später, der Zweite Weltkrieg erreich-te bereits Frankreich, ersetz-te der Chansonnier Michel Emer die Texterei Raymonds, da dieser an die Front eingezo-gen wurde. Michel blieb fort-an ihr Stammtextdichter. Ab 1941 wurde Èdith Piaf schon als Star gefeiert, sie trat sehr oft im »Moulin Rouge« auf. In der schrecklichen Epoche der deutschen Besetzung gab sie Konzerte für Kriegsgefangene

und unterstützte heimlich ver-folgte Juden und Deserteure. Zur selben Zeit lernte sie den jungen Chansonier Yves Mon-tand kennen und kümmerte sich um dessen Karriere. Nach Kriegsende entstanden neue Chansons, die sie nun richtig berühmt werden lie-ßen: »Dans ma sue«, »Les trois cloches« oder »Je m‘en fous pas mal«. 1947 kam es zur Bekanntschaft mit dem Box-sportler Marcel Cerdan, in den sie sich abgöttisch verliebte,

der jedoch ein Jahr später bei einem Flugzeugabsturz töd-lich verunglückte. Èdith hatte sich nach diesem Schock nie wieder erholen können. Sie flüchtete sich in Alkoholexzes-se und überdosierte Psycho-pharmaka. In dieser kritischen Situation kam es erstaunli-cherweise zu ihrem ersten großen Schallplattenerfolg »L‘hymne à l‘amour«.Während der frühen Fünfziger folgten weitere Songs, die nun die gesamte westliche Welt er-

reichten, wie »Padam Padam« oder »La vie en rose«, das so-gar in deutscher Fassung von Mireille Matthieu vorgetragen wurde. Im Sommer 1952 hei-ratete Èdith den Sänger Jac-ques Pills, doch die Ehe en-dete bereits nach vier Jahren. Inzwischen gab es kleine Af-fären mit Yves Montand, Gil-bert Bécaud und dem jungen Georges Moustaki, der ihr den größten Erfolgstitel »Milord« geschrieben hat. Zwischen 1953 und 1959 gab sie weltweit Konzerte und tourte durch die Vereinig-ten Staaten. Dort landete ihr Chanson »La goualante du pauvre Jean« als Instrumental-stück »the poor people of pa-ris” auf Platz 1 in der Hitpara-de. 1962 kam es zur Ehe mit dem zwanzig Jahre jüngeren Künstler Théo Sarapo, was zu jener Zeit als skandalös galt. Im August 1963 verschlech-terte sich ihr bereits ange-schlagener Gesundheits-zustand, so dass Freunde beschlossen, sie in eine ruhi-gere Gegend, nach Plascas-sier, zu bringen. Dort erlag sie am 10. Oktober 1963 ihrer schweren Krankheit. Da es je-doch ihr größter Wunsch war, in Paris zu sterben, überführte man sie mit Hilfe ihrer Vertrau-testen in der Nacht nach Paris, wo sie dann von einem Amts-arzt am 11. Oktober 1963 für tot erklärt wurde. Ihr Grab be-findet sich auf dem Cimetie-re du Père Lachaise. Zum Be-gräbnis kamen vierzigtausend Menschen.Jens-Paul Wollenberg

Nein, es gibt anlässlich des 200. Jahrestages der Völker-schlacht weder etwas zu fei-ern noch zu jubeln. Das Ju-biläum hat dem Gedenken zu weichen. Worum ging es vor zweihundert Jahren »bey Leipzig«? Zeitzeuge Goethe charakterisiert die Situati-on: »Nord und West und Süd zersplittern, Throne bersten, Reiche zittern ...« Leipzig im Oktober 1813 markiert den Wendepunkt einer europäi-schen Auseinandersetzung gegen Fremdherrschaft und Unterdrückung von der iberi-schen Halbinsel bis nach Ruß-land, beginnend 1808 mit dem Volksaufstand in Madrid. Zeit-gleich sichern die jungen Ver-einigten Staaten von Amerika im zweiten Unabhängigkeits-krieg endgültig ihre Freiheit gegenüber dem Vereinigten Königreich. Ein Weltkrieg. Die-ser Kampf kostet Hunderttau-

sende von Menschenleben. Allein in der Leipziger Schlacht sind mehr als 100.000 Opfer zu beklagen. Im »Telegraph für Deutschland« heißt es dazu: »...daß wir uns bewaffneten, ohne die allergnädigste Er-laubnis der Fürsten abzuwar-ten, ja die Machthaber zwan-gen, an unsere Spitze zu treten, kurz, daß wir einen Au-genblick als Quelle der Staats-macht, als souveränes Volk auftraten, das war der höchs-te Gewinn jener Jahre«. Die entsetzlichen kriegeri-schen Ereignisse im Oktober 1813 um ein von Fremdherr-schaft befreites Europa sind tief im historischen Bewusst-sein der Stadt und des Leipziger Landes eingegraben. So ent-steht im Laufe von zweihundert Jahren ein einzigartiges Flä-chendenkmal mit mehr als 400 Bezugspunkten. Volksdenkma-le von den Apelsteinen bis zum

Völkerschlachtdenkmal. Letz-teres steht beispielhaft wie kein anderes für die demokra-tische Leipziger Denkmalskul-tur. Die Ursprungsidee publi-ziert Verlagsgründer Friedrich Arnold Brockhaus bereits im Jahre 1813. Der Denkmalsge-danke wird von den Leipzigern ein Jahrhundert lang verteidigt und von dem Leipziger Archi-tekt Clemens Thieme verwirk-licht. Bauherr ist das deutsche Volk, bemerkt Thieme. Sowohl die weithin sichtbare steinerne Denkmalswidmung »18. Okto-ber 1813« als auch die gleich-namige Denkmals-Magistra-le dokumentieren den Tag der größten Opfer, nicht den Tag der Sieger danach. Siegestau-mel findet nicht statt. Das ge-waltige Totenrelief zwischen den Aufgängen darf zweifel-los als eine der bedeutends-ten Antkriegsinterpretationen von Dürer bis Tübke angesehen

werden. Die Denkmalsfinanzie-rung wird von den Bürgern in Stadt und Land erbracht. Der obrigkeitliche Generalangriff, das Volksdenkmal per Steu-er mit gigantischen 2.600.000 Mark zu verhindern, scheitert kläglich an der landesweiten Spendenbereitschaft. Die Per-version des Denkens der Herr-schenden ist grenzenlos. Das Motto »Leipzig 1813-1913-2013. Eine europäische Ge-schichte« rückt den histori-schen Platz der Stadt ins rechte Licht. Beste Leipziger Tradition: Engagement für Frieden, Aus-söhnung und Völkerverständi-gung im Gedenken an 1813. Be-denkt man, dass unlängst sehr ernst zu nehmende Ansichten vertreten wurden, das Völker-schlachtdenkmal als »Hinweis auf den Frieden und die Ver-gänglichkeit des Krieges« kon-trolliert verfallen zu lassen, dann ist mit der Sanierung des

Denkmalkörpers als einer un-verzichtbaren Säule des Ge-denkjahres Erstaunliches er-reicht. Von den zahlreichen Publika-tionen sei stellvertretend eine besonders genannt. Das »Po-esiealbum neu« – »Gegen den Krieg. Gedichte und Appelle«, unscheinbar zwar vom Um-fang, schwergewichtig dage-gen vom Inhalt, die vielleicht wichtigste Neuerscheinung zum Gedenkjahr. Von welcher Brisanz und Aktualität diese erstmals publizierte Antikriegs-lyrik der 62 AutorInnen ist, do-kumentiert die letzte Seite der Anthologie: »Der deutsche Lite-raturfonds hat eine Förderung dieser Ausgabe mit neuen An-tikriegsgedichten abgelehnt«. Bundesdeutsches Heute im Gedenkjahr! Die Friedensbot-schaft aus Leipzig wird trotz-dem ankommen.Volker Külow

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