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58. Jahrgang – ifo Schnelldienst 19/2005 3 Strompreise: Markt bestimmt Entwicklungen Die steigenden Energiepreise sind in jüngster Zeit zum Zündstoff in der ener- giepolitischen Diskussion geworden. Sie werfen insbesondere Fragen der Konkur- renzfähigkeit der energieintensiven Indus- trie auf und sind somit Teil der Standort- politik in Deutschland. Für eine konstruktive Diskussion über die Konsequenzen steigender Energiepreise müssen die Gründe für diese Entwicklung bekannt sein. Insbesondere mögliche po- litische Maßnahmen bedürfen einer aus- giebigen vorherigen Analyse. Es ist festzu- stellen, dass die gegenwärtige Entwick- lung am Strommarkt ein Ergebnis verschie- dener wettbewerblicher Entwicklungen ist. Der Strompreis im Zieldreieck der Energiepolitik Im Zieldreieck der Energiepolitik, in dem sich die Akteure Staat, Stromwirtschaft und Verbraucher bewegen, nimmt der Strompreis verschiedene Rollen ein. Zwi- schen den energiepolitischen Zielen Wirt- schaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit bestehen häufig Konflikte. Diese Konflikte haben unmit- telbar Auswirkungen auf die Strompreise. Im Zusammenhang mit dem Ziel der Wirt- schaftlichkeit sollen niedrige Strompreise die Wettbewerbsfähigkeit der Kunden, vor allem der energieintensiven Industrien, för- dern und damit auch den Wirtschafts- standort Deutschland konkurrenzfähiger machen. Dies war ein wesentliches Ziel, das mit der Liberalisierung der Energie- märkte verfolgt wurde. Niedrige Preise sind auch das wesentliche Kriterium der Großkunden bei der Wahl ihres Stromver- sorgers. Die Strompreise setzen Wettbe- werbssignale. Das Ziel der Umweltverträglichkeit ver- langt nach hohen Preisen. Hier soll eine Lenkungswirkung im Hinblick auf einen aus umweltpolitischer Sicht unerwünscht hohen Energieverbrauch erreicht werden. Die Strompreise geben die Knappheits- signale für den Faktor Umwelt. Ein Instru- ment hierfür ist die Verteuerung des Ener- gieverbrauchs durch die Ökosteuer. Ob die von der Umweltpolitik erwünschten Ziele allerdings bei einer kurz- und mittel- fristig preisunelastischen Nachfrage nach Strom erreicht werden können, ist zu hin- terfragen. Die dritte Dimension des Zieldreiecks, die Versorgungssicherheit, lässt sich auch da- hingehend interpretieren, dass ausreichen- de Kapazitäten für die Produktion von Strom und für die Übertragung und Vertei- lung bestehen müssen. Insofern ist es auch von Bedeutung, ob in die für die Zuverläs- sigkeit der Stromversorgung notwendige Infrastruktur investiert wird. Die Stromprei- se geben – in einer marktwirtschaftlichen Ordnung – die Investitionssignale für den Bau von Kraftwerken und Netzen. In die- sem Sinn sind Strompreise angemessen, wenn sie dem Investor eine marktübliche Rendite seines Kapitaleinsatzes verspre- chen. Die Regulierungsbehörde wird dies beim Setzen der neuen Rahmenbedingun- gen für die Netze anerkennen müssen. Im Spannungsfeld von Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Versorgungs- sicherheit spielt sich auch die Diskussion über die Höhe der Strompreise ab. Die unterschiedlichen und zum Teil sich wi- dersprechenden Aussagen des Bundes- wirtschaftsministers, des Umweltminis- ters, der Industrieverbände, der Verbrau- cher- und Umweltorganisationen und der Stromwirtschaft sind Ausdruck der beste- henden Zielkonflikte. gestiegenen Energiekosten, und sollten energieintensive Branchen entlastet werden? Ölpreis, Strompreis – welche Auswirkungen haben die Der Streit um die stark angestiegenen Energiepreise hält an. Kritik üben nicht nur Verbraucher- verbände, auch mittelständische Unternehmen, energieintensive Industriebranchen und die Poli- tik klagen über die Preisentwicklung und befürchten Standortnachteile für die deutsche Wirtschaft. Sollte der Staat regulierend eingreifen? Eberhard Meller* * Dr. Eberhard Meller, Hauptgeschäftsführer des Ver- bands der Elektrizitätswirtschaft – VDEW – e.V., Berlin.

Ölpreis, Strompreis – welche Auswirkungen haben die ... · Zur Diskussion gestellt im gleichen Zeitraum der Jahresfuture Grundlastlieferung 2006 in Skandinavien um 27% und in den

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58. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 19/2005

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Strompreise: Markt bestimmt Entwicklungen

Die steigenden Energiepreise sind injüngster Zeit zum Zündstoff in der ener-giepolitischen Diskussion geworden. Siewerfen insbesondere Fragen der Konkur-renzfähigkeit der energieintensiven Indus-trie auf und sind somit Teil der Standort-politik in Deutschland.

Für eine konstruktive Diskussion über dieKonsequenzen steigender Energiepreisemüssen die Gründe für diese Entwicklungbekannt sein. Insbesondere mögliche po-litische Maßnahmen bedürfen einer aus-giebigen vorherigen Analyse. Es ist festzu-stellen, dass die gegenwärtige Entwick-lung am Strommarkt ein Ergebnis verschie-dener wettbewerblicher Entwicklungen ist.

Der Strompreis im Zieldreieck derEnergiepolitik

Im Zieldreieck der Energiepolitik, in demsich die Akteure Staat, Stromwirtschaftund Verbraucher bewegen, nimmt derStrompreis verschiedene Rollen ein. Zwi-schen den energiepolitischen Zielen Wirt-schaftlichkeit, Umweltverträglichkeit undVersorgungssicherheit bestehen häufigKonflikte. Diese Konflikte haben unmit-telbar Auswirkungen auf die Strompreise.

Im Zusammenhang mit dem Ziel der Wirt-schaftlichkeit sollen niedrige Strompreisedie Wettbewerbsfähigkeit der Kunden, vorallem der energieintensiven Industrien, för-dern und damit auch den Wirtschafts-standort Deutschland konkurrenzfähigermachen. Dies war ein wesentliches Ziel,das mit der Liberalisierung der Energie-märkte verfolgt wurde. Niedrige Preisesind auch das wesentliche Kriterium derGroßkunden bei der Wahl ihres Stromver-sorgers. Die Strompreise setzen Wettbe-werbssignale.

Das Ziel der Umweltverträglichkeit ver-langt nach hohen Preisen. Hier soll eineLenkungswirkung im Hinblick auf einenaus umweltpolitischer Sicht unerwünschthohen Energieverbrauch erreicht werden.Die Strompreise geben die Knappheits-signale für den Faktor Umwelt. Ein Instru-ment hierfür ist die Verteuerung des Ener-gieverbrauchs durch die Ökosteuer. Obdie von der Umweltpolitik erwünschtenZiele allerdings bei einer kurz- und mittel-fristig preisunelastischen Nachfrage nachStrom erreicht werden können, ist zu hin-terfragen.

Die dritte Dimension des Zieldreiecks, dieVersorgungssicherheit, lässt sich auch da-hingehend interpretieren, dass ausreichen-de Kapazitäten für die Produktion vonStrom und für die Übertragung und Vertei-lung bestehen müssen. Insofern ist es auchvon Bedeutung, ob in die für die Zuverläs-sigkeit der Stromversorgung notwendigeInfrastruktur investiert wird. Die Stromprei-se geben – in einer marktwirtschaftlichenOrdnung – die Investitionssignale für denBau von Kraftwerken und Netzen. In die-sem Sinn sind Strompreise angemessen,wenn sie dem Investor eine marktüblicheRendite seines Kapitaleinsatzes verspre-chen. Die Regulierungsbehörde wird diesbeim Setzen der neuen Rahmenbedingun-gen für die Netze anerkennen müssen.

Im Spannungsfeld von Wirtschaftlichkeit,Umweltverträglichkeit und Versorgungs-sicherheit spielt sich auch die Diskussionüber die Höhe der Strompreise ab. Dieunterschiedlichen und zum Teil sich wi-dersprechenden Aussagen des Bundes-wirtschaftsministers, des Umweltminis-ters, der Industrieverbände, der Verbrau-cher- und Umweltorganisationen und derStromwirtschaft sind Ausdruck der beste-henden Zielkonflikte.

gestiegenen Energiekosten, und sollten energieintensiveBranchen entlastet werden?

Ölpreis, Strompreis – welche Auswirkungen haben die

Der Streit um die stark angestiegenen Energiepreise hält an. Kritik üben nicht nur Verbraucher-

verbände, auch mittelständische Unternehmen, energieintensive Industriebranchen und die Poli-

tik klagen über die Preisentwicklung und befürchten Standortnachteile für die deutsche Wirtschaft.

Sollte der Staat regulierend eingreifen?

Eberhard Meller*

* Dr. Eberhard Meller, Hauptgeschäftsführer des Ver-bands der Elektrizitätswirtschaft – VDEW – e.V.,Berlin.

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Sinkende Strompreise mit Beginn der Liberalisierung

Mit der Liberalisierung des deutschen Strommarkts in 1998sind sowohl die Strompreise für die Industrie als auch für dieHaushalte zunächst signifikant gefallen. Im Jahr 2000 zahl-te die mittelständische Industrie im Durchschnitt 40% we-niger für den Strom als zwei Jahre zuvor. Die Preise für dieHaushalte verminderten sich um knapp ein Fünftel. DieseEntwicklung war zum einen das Ergebnis der Rationalisie-rungsmaßnahmen auf Seiten der Stromversorger, zum an-deren spiegelte sich der massive Preiskampf in der Anfangs-phase des Wettbewerbs wider. Um Kunden zu binden, wur-den teilweise Angebote unter dem Niveau der kurzfristigenGrenzkosten gemacht. Auf Dauer widerspricht dies aller-dings einem ökonomisch sinnvollen Handeln.

Seit 2001 steigen die Strompreise auf dem Endkundenmarktwieder. Hierbei ist ein großer Teil des Anstiegs auf die zu-nehmenden staatlichen Belastungen der Preise zurückzu-führen, aber auch auf steigende Beschaffungskosten aufdem Großhandelsmarkt.

Staatliche Belastungen stark gestiegen

Vom Strompreis, den ein durchschnittlicher Drei-Personen-Haushalt mit 3 500 Kilowattstunden Jahresverbrauch zahlenmuss, entfallen etwa 40% auf Steuern, Abgaben und Umla-gen. 1998 betrug der Steuer- und Abgabenanteil lediglich 25%.Das ist der wesentliche Grund, warum dieser Haushalt im Jahr2004 rund 5% mehr für den Strom zahlen musste als zu Be-ginn der Liberalisierung 1998. Zwar ist auch der Betrag ge-stiegen, den die Stromversorger für Erzeugung bzw. Beschaf-fung, Verteilung und Vertrieb von Strom erheben. Die Strom-preise für die Haushalte wären jedoch ohne die gestiegenenStaatslasten 2004 immer noch um 16% günstiger als 1998.

Für die Industrie ist die staatliche Belastung prozentual ge-sehen zwar geringer, doch hat sich der Staatsanteil (ohneStromsteuer) seit 1998 von 2 auf 9% erhöht. Dennoch zahl-te die mittelständische Industrie 2004 im Durchschnitt nochetwa ein Fünftel weniger für Strom als 1998.

Seit 1998 haben sich die absoluten Staatslasten auf denStrompreis insgesamt verfünffacht. 2004 bezahlten die Strom-kunden für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), dasKraft-Wärmekopplungs-Gesetz (KWKG), die Konzessionsab-gabe und die Stromsteuer fast 12 Mrd. €. Darüber hinausfallen noch die Ausgaben für die Mehrwertsteuer an.

Stromhandel funktioniert

Seit der Liberalisierung der europäischen Strommärkte hatsich in den Mitgliedstaaten ein Großhandelsmarkt für Strom

etabliert. So wird Strom sowohl in bilateralen Geschäften(OTC: Over the Counter) als auch über Strombörsen gehan-delt; dies am Spotmarkt (Lieferung i.d.R. am nächsten Tag)und am Forwardmarkt (Lieferung z.B. für Folge-Monat,-Quartal, -Jahr). Seit den neunziger Jahren wurden in vieleneuropäischen Ländern Strombörsen als unabhängige Han-delsplattform eingerichtet.

Den Spotmarkt nutzen die Stromversorger im Wesentlichenzur kurzfristigen Optimierung, z.B. zur Anpassung an dieWitterung oder um Kraftwerksausfälle zu kompensieren.Über den Terminmarkt hingegen beschaffen sich die Strom-versorger die Strommengen für ihre Stromlieferverträge dernächsten Jahre bzw. sichern ihre Preisrisiken ab; somit istdieser auch für die Endkunden relevant. Allerdings schla-gen sich die Terminpreise nicht eins zu eins in den Verbrau-cherpreisen nieder, da die Beschaffungskosten nur einen Teilder gesamten Stromrechnung ausmachen (im Haushaltbe-reich rund 20%).

Die Preise an den Terminmärkten für Strom haben für dieBezugsverträge der Industrie und der Weiterverteiler-Un-ternehmen eine Indikatorfunktion. Dort steigende oder sin-kende Trends zeigen sich mit einer gewissen Zeitverzöge-rung in den Bezugspreisen. Damit verändern sich die Be-schaffungskosten der Vertriebsbereiche der Stromversor-ger; der Stromhandelsmarkt ist somit auch Referenz für Ver-triebsprodukte.

Ähnliche Entwicklung an europäischen Strombörsen

Insgesamt ist an den europäischen, insbesondere den kon-tinentalen Strombörsen ein Trend zu steigenden Preisen zubeobachten.

Bei der Entwicklung der Preise an den Terminmärkten istbeispielsweise für den Jahresfuture Grundlastlieferung 2006eine Konvergenz der Preisentwicklung an den europäischenStrombörsen zu beobachten. Gegebenheiten und Ereig-nisse z.B. in Südeuropa haben auch Auswirkungen aufdie Preisentwicklungen an den anderen Börsenplätzen. Soführten etwa die ausgebliebenen Niederschläge im erstenHalbjahr 2005 zu einem steigenden Importbedarf der spa-nischen Stromwirtschaft. Bei gleich bleibendem Angebothat dies steigende Preise an den europäischen Märktenzur Folge.

So ist an der Leipziger Strombörse EEX das Produkt»Cal 06 base« (Jahresfuture Grundlastlieferung 2006) seitJanuar 2004 von rund 34 € pro MWh auf knapp über 40 €pro MWh im Juni 2005 gestiegen; dies ist ein Anstieg vonrund 20%. Diese Entwicklungen sind auch an den andereneuropäischen Forwardmärkten zu beobachten. So stieg

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im gleichen Zeitraum der Jahresfuture Grundlastlieferung2006 in Skandinavien um 27% und in den Niederlanden um29% an.

Einflussparameter auf Stromhandelspreise

Die Preise auf den Großhandelsmärkten unterliegen zahl-reichen fundamentalen Einflussparametern.

– Kraftwerkskapazitäten: Seit Beginn der Liberalisierungsind die vorhandenen Kraftwerkskapazitäten wesentlichreduziert worden. So haben die großen Stromerzeugerin den letzten Jahren zahlreiche Kraftwerke, angekündigtwaren bis zu 10 000 Megawatt, stillgelegt oder einge-mottet. Dadurch haben sich die Angebots-Nachfrage-Relationen verändert mit entsprechenden Auswirkun-gen auf die Preise. Dieser Effekt wird z.B. durch die ein-geschränkten Kraftwerksverfügbarkeiten aufgrund vonWettereinflüssen verstärkt.

Insgesamt sind wetterbedingte Einflüsse signifikante Para-meter für die Spotpreise an den Strombörsen. Dazu gehö-ren u.a.:

– Temperatur: Raumheizung, Nutzung von Klimaanlagen,– Niederschlag: Reservoirstände in den Speicherkraftwer-

ken, Flusswasserstände für Laufkraftwerke, Kühlwasser-mengen,

– Wind: Verfügbarkeit von Windstrom,– Helligkeit: Einsatz von Beleuchtung.

Natürlich spielen auch die Reaktionen der Marktteilnehmeran den Börsen eine gewichtige Rolle, abhängig von denprimären Zielen des einzelnen sowie den internen Vorga-ben der beteiligten Unternehmen selbst, z.B. aus dem Ri-sikomanagement heraus (»stop-loss«-Transaktionen). Spe-kulative Aspekte sind, wie an allen Börsenplätzen, ebensobedeutsam wie markt-psychologische Effekte (Panik-Reak-tionen).

Während die Spotmärkte im Wesentlichen von den verfüg-baren Kraftwerkskapazitäten und der Witterung beeinflusstwerden, hängt die Entwicklung auf dem Terminmarkt u.a.von den Preisen der Kraftwerksbrennstoffe ab. Bei Stein-kohle kam es in den letzten Jahren zu erheblichen Preis-steigerungen. Der durchschnittliche Einfuhrpreis für Stein-kohle ist allein von Anfang 2004 bis Mitte 2005 um ein Drit-tel auf 65 €/t SKE gestiegen. Dieser Preisanstieg ist zum ei-nen auf die stärkere weltweite Nachfrage nach Kraftwerks-kohle zurückzuführen. Zum anderen sind auch die Fracht-kosten auf einem hohen Niveau, was u.a. auf die starke In-anspruchnahme der weltweiten Frachtkapazitäten durch dieRohstoff-Importe in Südostasien, besonders China, zurück-geht. Auch die Öl- und Gaspreise liegen seit zwei Jahren

deutlich über ihren langjährigen Mitteln. Die Bedeutung die-ser beiden Energieträger für die Stromerzeugung ist aller-dings geringer als die der Steinkohle.

Handel mit Emissionsberechtigungen

Am 1. Januar 2005 wurde ein EU-weites System zum Han-del mit Emissionsberechtigungen eingeführt. Grundlagensind die Richtlinie zum Emissionsrechtehandel der Euro-päischen Union sowie deren nationale Umsetzung in dasGesetz über den Handel mit Berechtigungen zur Emissionvon Treibhausgasen (TEHG) sowie in das Zuteilungsgesetz(ZuG 2007).

Nachdem die Preise für die Berechtigungen zwischenzeit-lich auf knapp 30 €/t CO2 im Juli gestiegen waren, ist eineteilweise sehr emotionale Debatte um diese Preisentwick-lungen aufgekommen. Vor dem Hintergrund der angestie-genen Strompreise wurde insbesondere die Preiswirksam-keit zum zentralen Diskussionspunkt. Allerdings ist hier fest-zustellen, dass in dieser Diskussion die ökonomischen As-pekte oft zu kurz gekommen sind.

Die Politik hat sich für Maßnahmen zur Reduktion von CO2-Emissionen entschieden, um damit einen Beitrag zum Kli-maschutz zu leisten. Diese sind mit Mehrkosten verbundenund führen damit zu einer Verteuerung von Produkten undGütern. Der Emissionsrechtehandel ist Teil dieser Maßnah-men. Er ist ein marktwirtschaftliches Instrument zur Klima-vorsorge, das dem Anlagenbetreiber erlaubt, durch eine ho-he Entscheidungsflexibilität kostenoptimal zur CO2-Emissi-onsreduktion beizutragen.

Der Handel mit Emissionsberechtigungen erfolgt in einemeuropäischen Markt. Innerhalb der EU-25 können Emissi-onsberechtigungen ohne Restriktionen gehandelt werden.Allerdings sind derzeit erst in elf EU-Mitgliedstaaten entspre-chende Register eingerichtet. Dennoch gibt es bereits eineVielzahl von Marktteilnehmern, die sich aktiv am Handel mitEmissionsberechtigungen beteiligen. Derzeit findet der Han-del über sechs Börsen sowie über Broker statt. Dabei isteine stetig anwachsende Liquidität an den Handelsplätzenzu beobachten.

Das europaweite System des Emissionshandel basiert aufeiner systemimmanenten Unterausstattung mit Emissions-berechtigungen (»cap and trade«). Der sich am Markt bil-dende Preis für Emissionsberechtigungen wird europaweitdurch Angebot und Nachfrage bestimmt und ist daher eu-ropaweit gleich. Insbesondere die aktuelle Stromnachfra-ge (u.a. determiniert durch Wettereinflüsse, Kraftwerksver-fügbarkeiten sowie die Entwicklung der Brennstoffpreise)hat hierbei bestimmenden Einfluss auf den Preis für Emis-sionsberechtigungen. Darüber hinaus wirken sich auch po-

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litische Entscheidungen, wie die Möglichkeit einer Nutzungvon JI/CDM (i.d.R. preisgünstige Maßnahmen), auf den Preisvon Emissionsberechtigungen aus.

In Deutschland unterliegt eine große Zahl von Anlagenbe-treibern gemäß den Regelungen des Zuteilungsgesetzes mitihren Kraftwerken zusätzlich, d.h. über die Kürzung infolgedes so genannten ersten Erfüllungsfaktors hinaus, auchder »anteiligen Kürzung« (dem sog. zweiten Erfüllungsfak-tor). Damit wurde die unentgeltlich erfolgte Zuteilung derEmissionsberechtigungen insgesamt um ca. 7,5% gegen-über dem angemeldeten Bedarf reduziert. Hinzu kommt,dass im Vergleich zum historischen Stromverbrauch der Jah-re 2000 bis 2002, der bei der Festlegung des Emissions-budgets herangezogen wurde, auch der wachsende euro-päische Strombedarf, z.B. durch den vermehrten Einsatzvon Klimaanlagen, zu einem Mehrbedarf an Emissionsbe-rechtigungen über die erfolgte Zuteilung hinaus führt. EinAusgleich dieser Differenz führt zu einer dem Emissionshan-delssystem inhärenten Mehrbelastung durch den Erwerb zu-sätzlicher Berechtigungen oder durch technische Minde-rungsstrategien wie Brennstoffwechsel oder Wirkungsgrad-steigerungen.

Hinsichtlich der Entwicklung der Brennstoffpreise im erstenHalbjahr 2005 ist zu bemerken, dass der Erdgaspreis stär-ker als der Steinkohlepreis gestiegen ist, was den Stein-kohleeinsatz in der Stromerzeugung preislich begünstigt.Dies hat zur Folge, dass trotz des hohen Preises für Emis-sionsberechtigungen der politisch gewünschte »fuel switch«nicht eingetreten ist. Durch den verstärkten Einsatz von Koh-le als Brennstoff kam es zu einer zusätzlichen Nachfragenach CO2-Berechtigungen. Diese Entwicklung ist insbeson-dere in Großbritannien zu beobachten, woraus derzeit eineentsprechend hohe Nachfrage nach Emissionsberechtigun-gen resultiert.

Im Emissionshandelsmarkt ist bislang noch eine relativ star-re Angebotsstruktur zu beobachten, welche angesichts dervorhandenen Nachfrage zusätzlich zu einem Anstieg derPreise für Emissionsberechtigungen führen kann. Dies istu.a. darauf zurückzuführen, dass bisher nur ein begrenzterTeil der dem Emissionshandel unterliegenden Anlagenbe-treiber europaweit tatsächlich schon im Emissionshandelaktiv ist. In einigen Ländern, z.B. Polen und Italien, ist dieZuteilung von Emissionsberechtigungen noch nicht abge-schlossen, und nur 11 von 25 Ländern haben bislang einfunktionierendes Register eingerichtet, d.h. es besteht nocheine mangelnde Struktur der Registrierungen in den jewei-ligen Ländern. Des Weiteren haben zahlreiche potentielleMarktteilnehmer, vor allem außerhalb der Energiewirtschaft,noch keinen vollständig operativen Marktzugang aufgebaut.

Auch unter den o.g. noch unvollkommenen Gegebenheiten,ist darauf hinzuweisen, dass der Markt bereits funktioniert

und es mit jedem weiteren Register, das in Betrieb geht, zueiner weiteren Vervollständigung des Marktes kommen wird,insbesondere aufgrund steigender Teilnehmerzahlen undLiquidität.

Auf der anderen Seite ist seit Mitte Juli 2005 in Großbritan-nien ein Absinken der Gaspreise und ein gleichzeitiges Sin-ken des Preises für Emissionsberechtigungen zu verzeich-nen; gleiches gilt für den Großhandelspreis im deutschenStromspotmarkt. Diese Preisentwicklungen zeigen, dass dieMärkte für Energie und Emissionsberechtigungen ebensogut funktionieren wie die Kapitalmärkte oder andere Wa-renmärkte.

Die in jüngster Zeit europaweit beobachteten Strompreisan-stiege sind auf eine Reihe Faktoren zurückzuführen. Nebenden zuvor genannten Einflussparametern, sind sowohl imSpot- als auch im Terminmarkt für Strom Einflüsse des Prei-ses für Emissionsberechtigungen auf den Strompreis zuerkennen. Die Berücksichtigung der Kosten von Maßnah-men zur Klimavorsorge stellt eine logische und insoweit inKauf genommene Konsequenz für das Funktionieren desEmissionsrechtehandels dar. Sie ist zwingend notwendig,wenn das System die gewünschten Anreize zur Emissions-minderung liefern soll (Internalisierung der externen Kostender CO2-Emissionsminderung), d.h. Umsteuerung auf CO2-ärmere, aber ggf. teurere Stromerzeugungsformen. EinePreiswirksamkeit ist somit betriebswirtschaftlich notwendig,um die Wirkung des Emissionshandelssystems für die Emis-sionsminderung zu gewährleisten. Die exakte Höhe diesesEffekts kann jedoch nicht belastbar quantifiziert werden, daeine Vielzahl weiterer Einflussgrößen diesen überlagern.

Hierzu der im Auftrag der Bundesregierung erstelltePROGNOS/EWI-Energiereport IV »Die Entwicklung derEnergiemärkte bis zum Jahr 2030«:

»Wenn ein Kraftwerksbetreiber Emissionsrechte kostenloszugeteilt erhält, unabhängig davon, welche Investitions- undBetriebsentscheidungen er später trifft (unbedingte oder Ex-ante-Zuteilung von Emissionsrechten), verursacht die spä-tere Nutzung der kostenfrei zugeteilten Emissionsrechtezur Stromerzeugung Opportunitätskosten: durch ihre Nut-zung zur Stromerzeugung entgehen dem Kraftwerksbetrei-ber Erlöse, die er bei emissionsärmerer Stromerzeugungdurch den Verkauf der kostenfrei zugeteilten Emissionsrech-te am Markt hätte erzielen können. Die Kraftwerksbetreiberberücksichtigen die Opportunitätskosten der Nutzung der(kostenfrei zugeteilten) Emissionsrechte zur Stromerzeugungbei Investitions- und Betriebsentscheidungen. Die Emissi-onsrechte werden kosten- und preiswirksam, auch wenn siekostenfrei zugeteilt worden sind.«

Eine Verbesserung der Angebotsseite am Emissionshan-delsmarkt würde zu einer nachhaltigen Entspannung der Si-

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tuation führen. Insoweit sollten sich kurzfristig alle vom Han-del mit Emissionsberechtigungen erfassten Marktteilnehmerintensiv im Handelsgeschäft engagieren. Hier scheinen sichpotentielle Marktteilnehmer – vor allem außerhalb der Ener-giewirtschaft – noch nicht ausreichend mit dem System aus-einander gesetzt und sich noch keine Marktmeinung gebil-det zu haben. Allerdings ist auch zu bemerken, dass vieler-orts die notwendige Infrastruktur noch im Aufbau ist; ins-besondere ist eine zügige Einrichtung der noch fehlendennationalen Register erforderlich.

Als weiterer Aspekt sollte eine Angebotserweiterung durchAusweitung des Handels mit Emissionsberechtigungen überdie EU-Grenzen hinaus erfolgen und eine unbürokratischeUmsetzung von JI/CDM-Projekten sowie eine Sicherstellungdes Rückflusses der Berechtigungen aus der sog. Ex-post-Anpassung angestrebt werden.

Hilfreich wäre ferner die Option, Berechtigungen aus demBudget einer auf den aktuellen Handelszeitraum folgen-den Handelsperiode entnehmen zu können (Borrowing).Darüber hinaus ist die Politik aufgefordert, die Wirkungs-mechanismen des Handels mit Emissionsberechtigungenkritisch daraufhin zu überprüfen, ob die beabsichtigtenSteuerungswirkungen erreicht werden und die Redukti-onsziele richtig gesetzt sind. Verschärfte Maßnahmen wieetwa Eingriffe in die rechtlichen Grundlagen des geradeerst begonnenen Handels sind dagegen als kontraproduk-tiv abzulehnen.

Situation der Industrie

Dass die Industrie und die Verbraucherverbände über dieseit 2001 wieder zunehmenden Strompreise klagen, istfür sich genommen verständlich. Es besteht aber jedochdoch ein seltsames Wettbewerbsverständnis, wenn gefor-dert wird, dass in einem liberalisierten Markt die Preise nichtsteigen dürfen, sondern – auch bei veränderten Rahmen-bedingungen – sinken müssen. Wettbewerb ist keine Ein-bahnstraße zu immer niedrigeren Preisen. Eine Subven-tionierung von Strompreisen, wie vereinzelt die energiein-tensive Industrie für sich fordert, ist im liberalisierten Marktnicht mehr möglich. Dies wäre gegen jedes ökonomischeVerständnis.

Strompreise sind Marktpreise. Anders als in früheren Mo-nopolzeiten kommen sie nach den Regeln eines wettbe-werblichen Markts zustande, nämlich als Zusammenspielvon Angebot und Nachfrage. Eingriffe in den Markt, umbestimmte Kundengruppen zu subventionieren, dürfen nichtstattfinden.

Die Bedeutung der Stromkosten für die Industrie ist ins-gesamt eher gering. Nach Erhebungen des Statistischen

Bundesamtes machen sie im Durchschnitt rund 1% derGesamtkosten aus. Einzelne energieintensive Produktio-nen wie Stahl, NE-Metalle oder Zement sind allerdings inhohem Maße von steigenden Energiepreisen betroffen.Zum Teil ist das gegenwärtige Preisniveau standortgefähr-dend. Und dies, obwohl die Industrie bereits Ermäßigun-gen bei Steuern und Abgaben in Anspruch nehmen kann,wie etwa:

– niedrigere Ökosteuersätze,– geringere Umlagen beim Kraft-Wärme-Kopplungs-Ge-

setz,– Härtefallregelung beim Erneuerbare-Energien-Gesetz,– die Möglichkeit individuelle Netznutzungsentgelte zu ver-

einbaren (bis zur Halbierung).

Die Entwicklungen am deutschen Strommarkt sind nichtisoliert zu betrachten; sie sind vielmehr zunehmend in ei-nem europäischen Kontext zu sehen. Trotzdem sind diedeutschen Stromversorger in hohem Maße daran interes-siert, dass die wichtigen Kunden wie die energieintensivenIndustrien weiter am Standort Deutschland ansässig sindund weiterhin adäquate Produktionsbedingungen findenkönnen.

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Energiepreise auf Spitzenniveau –Standortnachteile für die deutsche Industrie

Statistische Daten lassen keinen Zweifel aufkommen: Dasdeutsche Energiepreisniveau ist ein gravierender Standort-nachteil für die Industrie. Mit den zweithöchsten Preisen inDeutschland für Strom genauso wie für Gas zeichnen dieDaten von Eurostat im EU-Vergleich ein alarmierendes Bild(vgl. Abb. 1 und 2). Industrieunternehmen mit einem hohenStrom- und Gasverbrauch werden bei Standortentscheidun-gen unter dem Thema Energie deshalb immer wieder eingewichtiges Minuszeichen bei deutschen Standorten set-zen müssen.

Zu dieser Situation tragen die verschiedenen Elemente desStrom- und Gaspreises im Zusammenspiel bei. ÜberhöhteNetzentgelte, die noch keinen regulativen Effizienzschub ge-sehen haben, staatliche Abgaben und Steuern, die trotz Här-tefallregelungen hohe Zusatzbelastungen für die Industriebedeuten, und – nicht zuletzt – Strom- und Gas-Produkt-preise, die im Wesentlichen durch fehlenden Wettbewerbund Intransparenz in immer neue Höhen schnellen – alleszusammen ein Preiscocktail, an dem die energieintensivenIndustrien in Deutschland sehr schwer zu schlucken habenund einige von ihnen zu ersticken drohen.

So ist von den fünf Aluminiumhütten in Deutschland dieSchließung der einen beschlossene Sache, zwei weitere ste-hen sehr ernsthaft zur Disposition. Und dies ist nur die Spit-ze eines Eisbergs, der nicht erst seit dem vergangenen Jahrin den deutschen Gewässern herumschwimmt. Schleichen-de Deinvestitionen in Unternehmen der energieintensivenBranchen, gepaart mit ausbleibenden Neuinvestitionen anden deutschen Standorten sind seit Jahren Realität. Aller-

dings geschieht dies in einer von der Öffentlichkeit wenigwahrgenommenen Form. In der Folge aber zerstört dieserProzess sehr einschneidend und endgültig die industrielleBasis des Standortes Deutschland. Der davon direkt und in-direkt verursachte Arbeitsplatzabbau ist eine ganz wesent-liche Größe und trägt erheblich zur traurigen Arbeitslosen-statistik Deutschlands bei.

Dabei gibt die Industrie alles andere als schnell und leich-ten Herzens ihre Produktionen in Deutschland auf. Deutsch-land hat weiterhin wichtige und entscheidende Pluspunktezu bieten – sicherlich gehört dazu auch ein großes Maß anEnergieversorgungssicherheit. Und so geht auch der Kampfetwa um den Aluminiumstandort Hamburg weiter. Allerdings:Den Schluss daraus zu ziehen, es sei doch nicht so schlimmwie häufig verlautet, wäre mehr als fahrlässig! Viel wichtigerwäre der Schluss: Es lohnt sich für die gesamte Volkswirt-schaft, die Energierahmenbedingungen für die Industrie end-lich wettbewerbsgemäß zu gestalten!

Wenigstens in Bezug auf die Netzentgelte ist auch Hoffnungda. Das novellierte Energiewirtschaftsgesetz hat die Basisdafür gelegt, dass der regulatorische Druck auf die Entgel-te in absehbarer Zukunft seine Wirkung zeigen kann. Die

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Alfred Richmann*

9.18

8.40

7.61

6.82

6.33

6.10

5.73

5.58

5.53

5.26

5.07

5.03

4.92

4.88

4.80

4.70

3.82

3.62

3.29

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Italien

Deutschland

Irland

Österreich

Slowakei

Spanien

Niederlande

Belgien

Portugal

Ungarn

Griechenland

Litauen

Polen

Tschechien

Norwegen

Finnland

Schweden

Estland

Lettland

Quelle: Eurostat, VIK.

EU - Industrie - Strompreisvergleich

Preise einschließlich Steuern ohne MwSt.Preisstand: 01.01.2005

Für Dänemark, Frankreich, Vereinigtes Königreich und Slowenien lagen keine Angaben vor.

50 GWh / 5 000 h/a

ct/kWh

Abb. 1

* Dr. Alfred Richmann ist Geschäftsführer des VIK Verbandes der Industriel-len Energie- und Kraftwirtschaft.

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Zur Diskussion gestellt

Kombination aus der Genehmigung kostenbasierter Entgel-te in der ersten Phase und einem schnellen Übergang zueinem Anreizregulierungssystem in der zweiten Phase istsicher die sachgerechte Basis, um Höhe und Spreizungder Netzentgelte auf ein angemesseneres Maß zu reduzie-ren. In diesem Bereich hat sich die Politik ihrer Verantwor-tung gestellt und dazu beigetragen, ein ausgewogeneresVerhältnis zwischen den Interessen der Versorgungswirt-schaft und den Netznutzern zu schaffen.

Dieser Ausgleich im Bereich der Netzentgelte allein wird al-lerdings nicht zu einem wirklich wettbewerbsgemäßen Ni-veau der Strom- und Gaspreise führen. Der Anteil der Netz-entgelte am Strompreis eines Industrieunternehmens liegtin einem Bereich zwischen 20 und 30%. Der Anteil an denGaspreisen kann bei der heutigen Informationslage der Netz-nutzer überhaupt noch nicht eingeschätzt werden. Die ver-öffentlichten Entgelte jedenfalls geben kein realistisches Bildab. Denn betrachtet man die oft ungemein geringe Differenzzwischen veröffentlichten Netzentgelten und Gesamtprei-sen der Kunden, so kann nur der Schluss gezogen wer-den: Diese veröffentlichten Entgelte sind schlicht zu hochund sollen allein die Durchleitung und damit Lieferungendurch Dritte verhindern.

Weniger verantwortungsbewusst als bei den Netzentgeltenzeigt sich der Staat, wenn es um seinen eigenen Anteil anden Energiepreisen geht. Das zeigen zum Beispiel die im-mer weiter steigenden EEG-Abgaben und eine EEG-Härte-fallregelung, die nicht weit genug greift. Für viele besondersenergieintensive Betriebe hat die neue Härtefallregelung indiesem Jahr sogar Verschlechterungen gegenüber dem Vor-jahr gebracht. Durch die Deckelung (maximal 10% Mehr-belastung für die Nichtbegünstigten) lässt sie Planungssi-cherheit für die Betroffenen vermissen. Die Konzessions-abgabeverordnung, die nach Anhebung der Stromsteuer fürdas produzierende Gewerbe im Jahr 2003 ganz im Sinneeines Schneeballeffekts für viele Unternehmen gleich nochzusätzlich die Konzessionsabgabepflicht nach sich zog, istseit Jahren dringend renovierungsbedürftig. Sie wird den-noch nicht angefasst. Die EU-Richtlinie zur Harmonisierungder Energiesteuern eröffnet zwar Chancen zur wettbewerbs-gerechten Energiebesteuerung in der Industrie. Deutschlandhat sich bisher jedoch noch nicht dazu entscheiden können,die in der Richtlinie enthaltenen Ermächtigungen zuguns-ten der energiekostensensiblen Industrien rechtssicher zuregeln.

Soweit zu einigen Rädchen aus dem Bereich Steuern undAbgaben, an denen der Staat beim Energiepreis im Sinneeiner fördernden Politik für den Industriestandort Deutsch-land drehen könnte.

Aber auch dieser Bereich ist – entgegen den Unkenrufen derVersorgungswirtschaft – in den vergangenen Jahren nichtder schmerzhafteste Stachel im Fleisch der energieverbrau-chenden Industrie gewesen. Die stärksten Preisschübe re-sultieren ganz ohne Frage aus den Entwicklungen am Groß-handelsmarkt Strom sowie am Ölmarkt. Letzterer belastetüber die Ölpreisbindung und die Art ihrer Verankerung inGaslieferverträgen den Gasverbrauch der Industrie in KWK-Anlagen, Öfen etc. in erheblichem Maße.

Seit 2003 steigen die Strompreise auf dem Großhandels-markt in rasantem Tempo. In diesem Jahr in der Spitze be-reits um ca. 12 €/MWh auf 45 €/MWh und damit um ca.36% (vgl. Abb. 3). Und das ist nicht nur eine bloße Fortset-zung der besorgniserregenden Preisentwicklung, die der VIKschon seit mehr als zwei Jahren als nicht hinreichend fun-damental kritisiert, sondern die Folge der starken Domi-nanz einer marktmächtigen Gruppe von Erzeugern. Heutehaben wir es mit einer ganz neuen Dimension dieses Pro-blems zu tun. Einhellig sprechen auch die Versorger von denAuswirkungen des CO2-Emissionshandels als Grund fürdie Strompreisentwicklung 2005. Ohne Frage ist dies einFaktor, der den Erzeugern tatsächlich Kosten verursacht.Die Reduktionsverpflichtungen für CO2-Emissionen gegen-über dem Basiszeitraum liegen in Deutschland bei etwa 3 bis7%. Diese Mindermengen müssen bei gleich bleibender Pro-duktion zugekauft bzw. durch entsprechende Effizienzstei-

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9

2.10

2.04

1.99

1.98

1.84

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1.75

1.75

1.63

1.58

1.58

1.56

1.55

1.54

1.49

1.22

1.20

0.87

0.0 0.5 1.0 1.5 2.0 2.5

Dänemark

Deutschland

Frankreich

Slowenien

Finnland

Slowakei

Ungarn

Tschechien

Polen

Spanien

Großbritannien

Belgien

Niederlande

Luxemburg

Portugal

Litauen

Lettland

Estland

Quelle: Eurostat, VIK.

EU - Industrie - Erdgaspreisvergleich

Preise einschließlich Steuern ohne MwSt.Preisstand: 01.01.2005

Für Griechenland, Österreich, Italien, Spanien und Irland lagen keine Angaben vor.

250 Tage4 000 h

116.3 GWh

ct/kWh

Abb. 2

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Zur Diskussion gestellt

gerungsmaßnahmen eingespart werden. Die Kostenwirk-samkeit dieser Reduktionsverpflichtungen und deren Wei-tergabe an die Stromverbraucher wäre in keiner Weise ei-ne Überraschung.

Was die Realität aber tatsächlich zeigt, ist ein vielfach stär-kerer Einfluss auf den Strompreis. Die RWE Trading sprachöffentlich von einer Strompreissteigerung um mindestens0,49 Ct/MWh als Folge jeden Euros Verteuerung des Rechtsauf Emission einer Tonne CO2. Das entspricht recht genaudem durchschnittlichen CO2-Gehalt einer in Deutschlandproduzierten MWh Strom. Allerdings sind 93 bis 97% da-von den Erzeugern zur Schonung der Verbraucher staatli-cherseits bewusst kostenlos zugeteilt worden. Hat alsoder Verbraucher dennoch nun den Wert dieser Geschen-ke zu bezahlen? Aus der Stromindustrie wird diese Frageinzwischen ganz offen mit »ja« beantwortet, »Windfall Pro-fits« durchaus eingestanden und darauf verwiesen, dassgenau dies dem politischen Willen und einer ökonomischenLogik entspräche. Nur auf dieser Basis komme kohlendi-oxydintensive Verstromung unter Druck und werde zurück-gedrängt.

Das ist eine sehr bemerkenswerte Interpretation! Denn über-setzt heißt das: Die Politik hat die Windfall Profits der Strom-erzeuger im Rahmen des Emissionshandelssystems be-wusst vorgesehen, damit diese in die Lage versetzt wer-den, ihre Effizienzverbesserungsmaßnahmen durchführenzu können. Die anderen am Emissionshandel beteiligten In-dustrien aber sollen ohne jegliche Windfall Profits ihren Ver-pflichtungen – erstens – ebenfalls nachkommen und – zwei-tens – obendrein die Windfall Profits der Stromerzeuger be-zahlen.

Auch die Politik scheint von diesem ihr unterstellten Willennichts zu wissen, sondern zeigt sich überwiegend erstaunt

und bestürzt. Das sei damals nicht die poli-tische Geschäftsgrundlage gewesen, heißtes aus entscheidenden politischen Kreisen.

Tatsache allerdings ist, dass die Politik sichder Wirkungen des Emissionshandels, so wiesie sich jetzt einstellen, durchaus hätte be-wusst sein müssen. Die gefährliche Wir-kungsweise des Opportunitätskostenprin-zips und die erwartete Einpreisung auch dergeschenkten Zertifikate waren von Wissen-schaftlern und Verbänden – auch vom VIK –im Vorfeld deutlich prognostiziert worden.

Jetzt ist die Wirkung da und führt zu einerenormen Vermögensumverteilung von denVerbrauchern zu den Versorgern. Denn wäh-rend ein Erzeuger beim derzeitigen CO2-Zer-tifikatspreisniveau von ca. 22 €/t CO2 für1 MWh Kohlestrom tatsächliche Kosten von

etwa 1,1 € hat (5% des CO2-Gehaltes einer MWh Kohle-strom von ca. 0,9 t), erzielt er beim Verkauf am Großhan-delsmarkt derzeit einen Preis von ca. 43 €/MWh. Darin sindsicher nicht weniger als 10 €/MWh der Einpreisung der CO2-Zertifikatswerte zuzuschreiben. Diese Lage ist nicht nur ausSicht der industriellen Verbraucher vollkommen inakzepta-bel, sie bildet eine ganz reale Existenzgefahr.

Dieser Entwicklung muss schnell gegengesteuert werden.Dem dient die Beschwerde, die der VIK beim Bundeskar-tellamt eingebracht hat und auf deren Grundlage nunmehrder Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung dergroßen Erzeuger geprüft wird. Zudem muss aber auch dasEmissionshandelssystem so geändert werden – schließlichbefinden wir uns in der Erprobungsphase – dass es seineklimapolitischen Ziele erreichen kann, ohne diese ungemeinstarken volkswirtschaftlichen Verwerfungen hervorzurufen.Der VIK arbeitet an Lösungsmöglichkeiten und ist in stän-diger Diskussion mit der Politik. Der Emissionshandel mussund kann besser funktionieren, ohne zu Windfall Profits derElektrizitätswirtschaft zu führen. Dazu kann eine an die tat-sächliche Produktion gebundene, ex post korrigierte Zutei-lung der Emissionsrechte beitragen. Die vollkommen freieVerwendung der Zertifikate wäre so eingeschränkt und da-mit auch die Option zum freien Verkauf sowie die Basis fürdie Anwendung des Opportunitätskostenprinzips. Sollte ei-ne solche Reparatur des Systems im Rahmen der Weiter-entwicklung des Emissionshandelsrechts allerdings nichtgelingen, wird sofort die Frage auftauchen, wie mit den Wind-fall Profits der Versorger umzugehen ist. Denn die zu beob-achtende Einkommens- und Vermögensumverteilung nur inRichtung der Versorger liegt nicht im Interesse des Stand-ortes Deutschland.

Neben den Strompreisen haben auch die Gaspreise die Ver-braucher in diesem Jahr nicht ruhen lassen. Als Folge der

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10

20

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2002 2003 2004 2005

Baseload Peakload

Jahresdurchschnitt Baseload Jahresdurchschnitt Peakload

EEX-Terminmarkt

Preis für das rollierende Folgejahr€/MWh

Quelle: VIK.

34.57

43.61

49.10 53.07

23.75

28.03

33.48

39.09

Sept

Abb. 3

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Ölpreisbindung mussten auch hier Steigerungen im zwei-stelligen Prozentbereich hingenommen werden. Die Ölpreis-bindung in Gaslieferverträgen wird heute wettbewerbsver-zerrend missbraucht. Die Gasversorger können mit der vor-geblichen Weitergabe der Kosten aus Vorlieferverträgen einsehr einseitiges Spiel mit den Kunden treiben und die Preis-differenz zwischen Gas und Öl sowie deren Volatilitäten im-mer wieder sehr stark zum Nachteil des Abnehmers aus-gestalten. Die Ölpreisbindung diente bei ihrer Einführung vor40 Jahren dazu, dem Erdgas gegen das Heizöl seinen Platzim Energiemarkt zu verschaffen. Das hierzu von der Gas-wirtschaft entwickelte Anlegbarkeitsprinzip ist durch zweiwesentliche Merkmale gekennzeichnet: Erstens soll der Gas-preis dem Preis einer Referenzölnotierung synchron, in de-finiertem zeitlichem Abstand und in geglätteter Form fol-gen. Zweitens soll sich der Gaspreis in seiner Höhe ange-messen am Referenzölpreis orientieren.

Einfluss auf die Höhe des Gaspreises hat damit zum einendie Wahl der Referenzölsorte, aber auch die Differenz, diesich zwischen dem zu zahlenden Gaspreis und dem ange-legten Ölpreis gemäß der vertraglich vereinbarten Preisfor-meln und Vertragsbedingungen ergibt. Alle diese Einfluss-größen auf den zu zahlenden Preis wären unter wettbewerb-lichen Bedingungen Verhandlungssache zwischen den Ver-tragsparteien.

Der bisher noch nicht hinreichend wirksame Wettbewerb imdeutschen Erdgasmarkt aber verhindert den Marktzutrittneuer Gasanbieter. Wirklich wettbewerbliches Agieren deut-scher Gasanbieter blieb damit bisher aus. Dadurch sind auchheute noch zahlreiche industrielle und gewerbliche Erdgas-kunden zur Unterzeichnung von Gaslieferverträgen genö-tigt, die eine ungünstige Ölpreisbindung für den Kunden vor-sehen. Zudem kann bei der bestehenden Intransparenz derVerdacht nicht ausgeräumt werden, dass auch Netzentgel-te als Teil des Bruttogaspreises mit an den Ölpreis gekop-pelt sind. So führt das Anlegbarkeitsprinzip bei fehlendemWettbewerb zu Preisen, die im internationalen Vergleich nichtwettbewerbsgerecht sind.

Die globalen Märkte für Primärenergieträger sind sicher invielfältiger Weise miteinander verknüpft, so dass auch Gas-preise ohne Ölkopplung nicht völlig unbeeinflusst von denPreisen anderer Energieträger sein würden. Jedoch darfeine Preiskopplung den Wettbewerb nicht verzerren. Ge-nau dafür aber sorgt heute in Deutschland die Art und Wei-se, wie die Ölpreisbindung in Gaslieferverträgen Anwen-dung findet. Eine stärkere Unabhängigkeit vom Ölpreis oderzumindest Bindungsarten, die im funktionierenden Wettbe-werb vertraglich mit dem Kunden ausgehandelt werden,gepaart mit mehr Transparenz, sind deshalb wichtige For-derungen für die Zukunft. Kartellamt und Netzregulierergemeinsam haben die Chance, sich dieser Aufgabe anzu-nehmen.

Die Energiepreise in Deutschland sind im Jahr 2005 für dieIndustrie mehr denn je zu einer immensen Bedrohung ge-worden. Energieunternehmen auf der anderen Seite erzie-len immer weiter steigende Rekordgewinne. Die Folge sindEinkommens- und Vermögensumverteilungen, die volkswirt-schaftlich enormen Schaden anrichten. Zwar kann sichDeutschland – vielleicht – mit globalen Energiechampionsschmücken, doch um welchen Preis? Um wichtige ener-gieintensive Industrien und deren Arbeitsplätze halten zukönnen, müssen die Rahmenbedingungen dringend in Rich-tung mehr Fairness und Marktmacht-Ausgleich verändertwerden. Sollte die Reparatur politischer Fehllenkungen (wieim Emissionshandel) nicht schnell genug greifen und solltevor allem nicht bald ein einigermaßen wettbewerblich funk-tionierender Strom- und Gasmarkt zu erreichen sein, wer-den sicherlich weitergehende Korrekturforderungen schnellauf die Tagesordnung gelangen.

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Zur Diskussion gestellt

Ölpreisentwicklung allein führt nicht zueiner Rezession

Vier der sechs Nachkriegsrezessionen fielen zeitlich mit ei-nem spürbaren Anstieg des Ölpreises zusammen. Das wecktderzeit Sorgen, ob das zart aufkeimende Konjunkturpflänz-chen in Deutschland wieder verdorren wird. Bei genaue-rem Hinsehen wird jedoch sehr schnell deutlich, dass eineungeprüfte Übertragung der Erfahrungen der Vergangenheitauf die Gegenwart zu Fehlschlüssen führen kann. Zum ei-nen können nämlich die schweren Rezessionen Mitte dersiebziger Jahre und Anfang der achtziger Jahre nicht alleinauf die Ölpreisentwicklungen zurückgeführt werden. Zumanderen fielen zwar die beiden schwachen Rezessionen derJahre 2003 und 2004 mit Ölpreissteigerungen zusammen.Zu anderen Zeitpunkten aber hätten diese zu keiner rezes-siven Entwicklung geführt, sie waren sogar geringer als derÖlpreisanstieg 1999/2000, der in das dynamischste Kon-junkturjahr seit der Wiedervereinigung fiel. Allein daran magman schon erkennen, dass der Zusammenhang zwischender Entwicklung des Ölpreises und der Konjunktur nicht sozwangsläufig ist, wie gelegentlich unterstellt wird. Unabhän-gig davon muss man konstatieren, dass sich seit der ers-ten Ölpreisrezession Mitte der siebziger Jahre vieles verän-dert hat, was die Übertragung der Erfahrungen der Vergan-genheit auf die Gegenwart zumindest erschwert.

Rege Weltmarktentwicklung belastet den Ölpreis

Was hat sich seither verändert? Zunächst einmal hat die Ab-hängigkeit vom Öl als Energieträger und Rohstoff abgenom-men. Weltweit sank die Energieintensität seit der ersten Öl-preiskrise. So betrug der Energieverbrauch in Relation zumBruttoinlandsprodukt im Jahre 2002 in Deutschland und inden Vereinigten Staaten nur noch 60% des Wertes aus dem

Jahr 1976. Dies ist zum einen auf einen sparsameren Um-gang mit Energie zurückzuführen, was beispielsweise aufdie Verringerung des Flottenverbrauchs der PKW, auf denEinsatz effizienterer Brenner in Heizungen oder auch auf ei-ne verbesserte Wärmeisolierung zurückzuführen war. Allesgetreu dem Motto der siebziger Jahre »Energiesparen ist un-sere beste Energiequelle«. Zum anderen hat sich der Ener-giemix spürbar verändert. So hat sich von 1975 bis 2002der Anteil der Elektrizitätserzeugung durch Ölverbrennungin Deutschland von 8,2 auf 0,8%, in den USA von 15,4 auf2,5% und in Japan von 63,8 auf 13,4% verringert. DieseEntwicklung war in erster Linie auf den verstärkten Einsatzanderer Energieträger, allen voran der Kernenergie, zurück-zuführen. Deren Anteil an der Stromerzeugung stieg inDeutschland seit 1975 von 7% auf 29% im Jahr 2002 an,weltweit nahm ihr Anteil von 2,1% (1971) auf 16,6% (2002)zu. Hinzu kommt, dass mit dem Strukturwandel von der In-dustrie- zur Dienstleistungsgesellschaft Energieträger alsProduktionsfaktoren an Bedeutung verloren haben. So stiegder Anteil der Dienstleistungsbereiche an der gesamtwirt-schaftlichen Wertschöpfung von rund 55% im Jahr 1975 aufknapp 70% im Jahr 2004. Da die Dienstleister – mit weni-gen Ausnahmen wie Verkehrsdienstleistungen – zur Erstel-lung ihrer Produkte weniger Energie benötigen, hat sich dergesamtwirtschaftliche Energiebedarf entsprechend verrin-gert. Öl hat also in den letzten 30 Jahren einen guten Teilseiner Bedeutung im Wirtschaftsprozess verloren, und dieWeltwirtschaft hat an Widerstandskraft hinzugewonnen.

Ein wesentlicher Unterschied zu den bisherigen Erfahrun-gen offenbart sich bei einer genaueren Betrachtung desÖlmarktes. In den siebziger Jahren handelte es sich um ei-ne »künstliche« Verknappung des Angebots an Öl. Nach-dem die USA sich während des Jom-Kippur-Krieges 1973offen auf die Seite Israels gestellt hatten, drehten die arabi-schen Förderländer den Ölhahn zu. »Öl als Waffe« war da-mals die Parole. Die Weltwirtschaft und mit ihr Deutschlandschlitterten in eine spürbare Rezession. Heute ergibt sichdie Verknappung von Rohöl aus einer hohen weltwirtschaft-lichen Nachfrage in Verbindung mit nahezu voll ausgereiz-ten Produktionsmöglichkeiten. Nach einer langen Phase derInvestitionszurückhaltung der Ölförderländer sind kurzfris-tig kaum Angebotserweiterungen möglich. Gleichzeitigwächst der Energiehunger der aufstrebenden Volkswirtschaf-ten, allen voran Chinas, unaufhaltsam. Wichtiger aber: Erist noch lange nicht gestillt. Das mag man daran erkennen,dass der Ölverbrauch pro Kopf in China gerade einmal einAchtel des deutschen und ein Sechzehntel des US-ameri-kanischen Verbrauchs beträgt. Im Umkehrschluss all des-sen bedeutet diese Erkenntnis, dass die florierende Welt-wirtschaft zu dem starken Ölpreisanstieg beigetragen hat.Die Belastungen vom Ölpreis gehen daher mit einer regenWelthandelsentwicklung einher, so dass ihnen auch gute Ex-portgeschäfte gegenüberstehen. Die Bedeutung solcherkompensierender Effekte wird deutlich, wenn man die bei-

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Andreas Scheuerle*

* Dr. Andreas Scheuerle ist Volkswirt bei der DEKABank, Frankfurt.

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den jüngsten Rezessionen betrachtet. Der reale Ölpreisan-stieg in heimischer Währung um 39% (Februar 2003) be-ziehungsweise 64% (Oktober 2004) im Vergleich zum Vor-jahr führte vor allem deshalb zu einem wirtschaftlichen Ein-bruch, weil gleichzeitig die zentrale Stütze des deutschenWirtschaft schwächelte: der Export. Anders dagegen im Jahr2000, in dem der Ölpreisanstieg in der Spitze bei knapp180% lag. Dieser fiel in eine Zeit, in der der Export die wirt-schaftliche Entwicklung kräftig anschob und auch die Bin-nennachfrage ihren Wachstumsbeitrag leistete.

Verstärkt wird derzeit der kompensierende Effekt der welt-wirtschaftlichen Grunddynamik von den Rückflüssen derPetrodollars. Schon seit jeher zählten europäische und vorallem auch deutsche Unternehmen, insbesondere des In-vestitionsgütergewerbes, zu den Nutznießern steigender Öl-einnahmen in den OPEC-Ländern. Doch während diese ih-re zusätzlichen Einnahmen in früheren Jahren oftmals zurSchuldentilgung verwendet hatten, scheinen die OPEC-Staa-ten derzeit willens zu sein, in ihre Zukunft zu investieren. Sokommen Studien wie die des britischen Wirtschaftsfor-schungsinstituts National Institute for Economic and SocialResearch (NIESR) zu dem Ergebnis, dass sich die Rück-flussgeschwindigkeit der zusätzlichen Einnahmen aus denhöheren Ölpreisen seit 1985 verdoppelt hat. Damit kommtdie deutsche Industrie früher als in den vergangenen Pha-sen steigender Rohölpreise in den Genuss zusätzlicher Ex-portaufträge. Diese Entwicklung hat sich schon im vergan-genen Jahr in den deutschen Ausfuhrzahlen gezeigt: Wäh-rend die Ausfuhr im Jahresdurchschnitt um 9,1% zulegte,wurden in die OPEC-Staaten 24,3% und nach Russland36,3% mehr Güter exportiert. Doch es sind nicht allein diePetrodollars, die zurückfließen und die Exporte anregen, esist auch zunehmend die internationale Nachfrage nach Gü-tern, die einer energieeffizienteren Produktion oder der Er-schließung erneuerbarer Energien dienen. In diesen Berei-chen bietet Deutschland Spitzentechnologie an, die beson-ders dann nachgefragt wird, wenn der Rohölpreis hoch ist.

Keine Entspannung am Ölmarkt

Ein anderer Unterschied betrifft das Tempo und die Vorher-sehbarkeit des Ölpreisanstiegs. In den ersten beiden Ölpreis-krisen Mitte der siebziger Jahre und Anfang der achtziger Jah-re erfolgten die Preissteigerungen schneller und überraschen-der als zuletzt. Auch wenn seit dem Jahr 2003 nahezu jederAnalyst von den verschiedenen Ölpreisschüben überraschtwurde, so blieb immerhin die Zeit, die Ölpreisprognosen an-zupassen, wenngleich meist zu spät und zu defensiv. Heutescheint klar, dass die Phase hoher Ölpreise keine kurze Epi-sode sein wird. Analysten und internationale Organisationenwie der Internationale Währungsfonds prognostizieren auf lan-ge Zeit keine Entspannung am Ölmarkt. Diese größere Vor-hersehbarkeit erlaubte es den Haushalten, aber mehr noch

den Unternehmen, sich darauf einzustellen. Auch wenn ener-giesparende Maßnahmen nicht von heute auf morgen um-setzbar sind und die Kostenbelastung damit kaum zu um-gehen ist, so werden immerhin die negativen psychologischenEffekte abgeschwächt. Unterstützend kommt hinzu, dass dieUnternehmen in der nunmehr fünf Jahre andauernden Schwä-chephase der deutschen Binnenkonjunktur ihre Hausaufga-ben erledigt haben. Kräftige Restrukturierungsmaßnahmenhaben die Kostenbelastung gesenkt. So konnten die Unter-nehmen die steigenden Rohstoff- und Energiekosten kom-pensieren, ja sogar ihre Gewinne steigern. In den siebzigerJahren sah das noch anders aus. Überzogene Tarifabschlüs-se hatten die Arbeits- und Lohnstückkosten in die Höheschnellen lassen. Zwar waren diese im Vorfeld der Ölkrisenoch von hohen Gewinnen begleitet worden, doch in derRezession brachen sie ein.

Die überzogene Tariflohnentwicklung war auch der Grund,warum die Deutsche Bundesbank schon im Vorfeld der ers-ten Ölkrise kräftig auf die Zinsbremse stieg. Um ölpreisbe-dingte Zweitrundeneffekte über die Löhne abzuwehren, schal-tete die Geldpolitik auf restriktiv. Das gleiche Muster ergabsich auch bei der zweiten Ölkrise Anfang der achtziger Jah-re. Heute sieht die Situation anders aus. Die EuropäischeZentralbank hält die Leitzinsen auf einem historisch niedri-gen Niveau und sichert so maßgeblich die wirtschaftliche Ent-wicklung ab. Dies ist auch deshalb möglich, weil die Gefahrvon Zweitrundeneffekten vergleichsweise gering ist. Denn dieUnternehmen besitzen im Zeitalter der Globalisierung und ineiner Phase der Konsumzurückhaltung nur sehr eingeschränktdie Möglichkeit, die zusätzlichen Kosten weiterzuwälzen.Gleichzeitig diszipliniert die hohe Arbeitslosigkeit in Deutsch-land die Tarifpartner, die Löhne nicht zu schnell und zu starkanzuheben. Da ferner die Inflationserwartungen bislang weit-gehend auf einem niedrigen Niveau verharrten, kamen dieGewerkschaften von dieser Seite auch nicht unter Zugzwang.

Beunruhigende Preissteigerungen bei Ölprodukten

All diese Faktoren machen deutlich, dass die Ölpreisentwick-lung für sich genommen wohl zu keinem Absturz in die Re-zession führen wird. Dennoch hat sie Bremsspuren hinter-lassen und wird dies auch in der Zukunft tun. Viel mehr aberals die Entwicklung des Ölpreises beunruhigen derzeit diePreissteigerungen bei Ölprodukten wie Benzin oder Heizöl.Denn gegenwärtig scheint das Rohöl nicht einmal so sehr derEngpassfaktor zu sein, sondern die Möglichkeit, es zu raffi-nieren. Mit den Wirbelstürmen in den Vereinigten Staatenhaben sich die ohnehin knappen Raffinierungskapazitätennochmals verringert. Jetzt rächt sich, dass über Jahrzehntevor allem in den Vereinigten Staaten zu wenig Geld in den Bauoder die Erweiterung von Raffinerien geflossen ist. Angesichtseiner Ausreifungszeit von bis zu sieben Jahren von der Pro-

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Zur Diskussion gestellt

jektierung bis zur Inbetriebnahme wird uns dieser Engpass-faktor tendenziell noch lange erhalten bleiben. Damit nicht ge-nug sind die Heizöltanks der deutschen Haushalte nach demPreisanstieg im vergangenen Winter seither in der Hoffnungauf fallende Preise überwiegend nicht mehr befüllt worden.Diese Hoffnungen sind enttäuscht worden, und mit dem her-annahenden Winter werden die Haushalte gezwungen sein,das Heizöl zu noch höheren Preisen einzukaufen. Gleichzei-tig nutzen die Anbieter von Gas und Elektrizität die Gunstder Stunde, um die Preise zu erhöhen. Somit kommen dieHaushalte und Unternehmen möglicherweise von dieser Sei-te unter Druck. So werden Gaspreissteigerungen zum 1. Ja-nuar 2006 von bis 15% erwartet, weitere Erhöhungen sindnicht ausgeschlossen. Für die Unternehmen sind insbeson-dere die Strompreise von großer Bedeutung. Immerhin ma-chen sie rund zwei Drittel der industriellen Energiekosten aus.Von Januar 2002 bis Juli 2005 sind die Strompreise – gemes-sen am VIK-Strompreisindex um über 50% gestiegen. An die-ser Entwicklung haben in erster Linie die gestiegenen Kos-ten für die Energieträger Schuld, für die insgesamt im inter-nationalen Vergleich hohen Strompreise ist die Politik verant-wortlich. Zum einen verteuerte sie den Strompreis durch dieÖkosteuer sowie durch Beiträge zur Förderung der Kraft-Wär-me-Kopplung und von erneuerbaren Energien, zum ande-ren unterblieb nach der Liberalisierung des Strommarkteseine strikte Regulierung, anders als zuvor im Bereich der Te-lekommunikation. Daher konnte das Oligopol der vier gro-ßen Versorger durch eine Politik der hohen Netzdurchleitungs-gebühren sukzessive den Wettbewerb ausschalten. Der An-stieg der Energiekosten ist zwar beunruhigend, doch imDurchschnitt liegt der Anteil des Energieverbrauchs nur bei1,5% des Bruttoproduktionswerts der Unternehmen, wäh-rend die Arbeitskosten immerhin 21,4% ausmachen. In ein-zelnen Branchen wie beispielsweise der Metallerzeugung und-bearbeitung oder dem Papiergewerbe liegt der Energiekos-tenanteil aber immerhin bei 5,9 bzw. 4,3%.

Keine Subventionen für energieintensive Branchen

Damit stellt sich wieder einmal die Frage, wie mit solchenenergieintensiven Branchen umzugehen ist. Soll ihrer Be-sonderheit Rechnung getragen werden und sollen deshalbentsprechende Entlastungen von staatlicher Seite gewährtwerden? Nein! Würde auf jede Besonderheit einer BrancheRücksicht genommen, so müsste man beispielsweise auchin Zeiten stark steigender Arbeitskosten die Förderung ar-beitsintensiver Branchen in Erwägung ziehen. Es gehört nuneinmal zum Strukturwandel, dass sich Unternehmen densich ändernden Gegebenheiten anpassen oder anderenfallsuntergehen. Zudem ist der Anstieg der Rohstoff- und Ener-giepreise ein internationales Phänomen, so dass Abwan-derungsmöglichkeiten aus Kostengründen – anders als mitBlick auf die Arbeitskosten – nur eingeschränkt zum Ziel füh-

ren. Allein die politisch verursachten Kosten der Energieträ-ger lassen sich so umgehen. Im Bereich der Strompreisebedeutet dies beispielsweise, dass die Förderung alternati-ver Energien – wenn man sie für unumgänglich hält – überdas Steuersystem und nicht über den Energieverbrauch fi-nanziert werden sollte. Wenn man gar zu der Erkenntniskommt, dass diese alternativen Energieformen mittelfristignicht zu einem wettbewerbsfähigen Angebot führen, mussdie gesamte Subventionierung auf den Prüfstand. Im Be-reich der Elektrizitätserzeugung aus Biogas zeigt sich dieDiskrepanz zur Wirtschaftlichkeit besonders deutlich: Wäh-rend an der Strombörse eine Kilowattstunde mit 4,5 Centgehandelt wird, beträgt der Einspeisungspreis von Biogas-strom 11,5 Cent. Angesichts der hohen Subventionierungmuss die Wirtschaftlichkeit solcher Formen der Energieer-zeugung derzeit in Frage gestellt werden. Ferner ist eine kon-sequente Deregulierung des Netzleitungsoligopols von Nö-ten. Dies verringert die Preise unmittelbar infolge geringererNetzdurchleitungsgebühren, aber auch mittelbar über mehrWettbewerb. Schließlich sind Subventionen alles andereals das Gebot der Stunde. Vielmehr muss es das Ziel derPolitik sein, Subventionen abzubauen, damit der Staat wie-der seine finanzielle Handlungsfähigkeit zurückgewinnt.

Doch auch auf anderen Gebieten wird derzeit die Politik ak-tiv. In einigen Ländern wie Österreich oder Frankreich wurdendie Mineralölfirmen gezwungen, die Benzinpreise zu senkenbeziehungsweise starke Preisanstiege nicht sofort, Preissen-kungen aber sehr schnell an die Verbraucher weiterzureichen.Auch hier stellt sich die Sinnfrage, denn die Margen der Mi-neralölfirmen waren in diesem Bereich im Durchschnitt derletzten Jahre ohnehin schon ausgesprochen gering. Die jetzthöheren Margen sind auf längere Zeit notwendig, um Anrei-ze für die dringend benötigten Investitionen in die Raffinierunghochwertiger Ölprodukte wie Benzin zu geben. Zwingt mandie Unternehmen, die Margen zu verringern, läuft man Ge-fahr, dass diese Investitionen unterbleiben.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass die deutsche Volkswirt-schaft wohl mit einem oder zwei blauen Augen davon kom-men wird. Nach vier Jahren mit Zuwachsraten des Brutto-inlandsprodukts unterhalb des Potentialwachstums ist dasaber nur ein schwacher Trost. Und ganz gebannt ist dieGefahr eines Rückfalls in eine rezessive Entwicklung nicht,sollten die ohnehin kaum konsumwilligen Haushalte sichdurch die Energiepreisentwicklung weiter verunsichern las-sen. Eines ist klar: Das Beste, was die Politik in dieser Si-tuation leisten kann, ist es, schnell zur Tagesordnung über-zugehen und durch überzeugende Reformvisionen und Ta-ten Zuversicht zu erzeugen. Der Rückgriff auf Subventio-nen und Interventionen jedenfalls vermag dies nicht.

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Zur Diskussion gestellt

Hohe Energiepreise gefährden die industrielle Wertschöpfungskette

Öl, Strom und Gas verteuern sich gegenwärtig auf breiterFront. Ohne Zweifel schlagen sich diese Preiserhöhungenschmerzhaft auf das Haushaltsbudget nieder. Die Diskussi-on um steigende Energiepreise muss aber vor allem mit Blickauf die Auswirkungen für die energieintensive Industrie ge-führt werden. Die Unternehmen müssen ihre Position im in-ternationalen Wettbewerb behaupten. Letztlich geht es umden Erhalt der industriellen Wertschöpfung in Deutschland.

Die Stahlindustrie in Deutschland gehört zu den besondersenergieintensiven Industriezweigen in Deutschland. Koksund Kohle werden als Rohstoffe für die Eisenerzreduktionim Hochofen eingesetzt und machen rund die Hälfte des Pri-märenergieverbrauchs aus. Außerdem verbrauchen dieStahlerzeuger jährlich 20,9 Terawattstunden Strom,3 Mrd. m3 Erdgas und 1 Mill. t Öl. Der Anteil der Energie-und Reduktionsmittelkosten an den Gesamtkosten der Walz-stahlerzeugung liegt bei integrierten Hüttenwerken bei rund30%. Damit sind sie höher als die Personal- und sonstigenBetriebskosten. Auch für die Elektrostahlwerke, die mit Hil-fe von Strom Schrott zu neuem Stahl erschmelzen, beweg-ten sich die Energiekosten in den Jahren 1999 und 2005zwischen 11 und 17%.

Ein Anstieg der Energiekosten schlägt sich merklich in denProduktionskosten nieder. Von höheren Kosten für Roh-stoffe wie Erz, Koks, Kohle und Schrott sind indes alle Stahl-produzenten der Welt gleichermaßen betroffen, so dassdaraus keine internationale Wettbewerbsverzerrungen ent-stehen. Die Preisentwicklung bei Strom und Gas hängt hin-gegen maßgeblich von der regionalen Marktstruktur und

den energiepolitischen Rahmenbedingungen ab. Hier istDeutschland eine Hochpreisinsel. Die gegenwärtigen Preis-steigerungen für Strom und Gas lassen sich am Weltmarktnicht weitergeben. Sie beeinträchtigen die internationaleWettbewerbsfähigkeit der Produzenten und wachsen sichzu einer ernsten Belastung des Industriestandortes aus.

Wettbewerb bei Strom und Gas fehlt

Der Preis für Erdgas erlebt durch die Koppelung an den Öl-preis vor allem seit dem vergangenen Jahr einen massivenAnstieg, obwohl die Verhältnisse am Gasmarkt nicht mit dengegenwärtigen Irritationen am Ölmarkt vergleichbar sind.Ohnehin sind die deutschen Gaspreise die höchsten inEuropa. Dies hat seine Ursache im fehlenden Wettbewerb.Mit dem im Sommer dieses Jahres in Kraft getretenen neu-en Energiewirtschaftsgesetz wird ein grundlegend neuesMarktmodell eingeführt. Der Netzzugang soll vereinfacht wer-den, indem künftig nur noch für die Ein- und Ausspeisungdes Gases Verträge abgeschlossen werden müssen, stattjede Lieferung entlang des Transportpfades aufwändig zuorganisieren. Es bleibt zu hoffen, dass dies für mehr Wett-bewerb und niedrigere Preise sorgt.

Fehlender Wettbewerb ist auch eine Hauptursache fürdie aktuellen dramatischen Steigerungen der Stromprei-se. Deutschland hat neben Italien die zweithöchsten In-dustriestrompreise in der Europäischen Union. Mittler-weile haben die Nettostrompreise das Niveau vor derMarktliberalisierung deutlich überschritten. Seit Beginn desJahres 2003 sind sie um rund 70% gestiegen, allein in die-sem Jahr um 30%. Für die Stahlindustrie haben die Preis-steigerungen am Stromgroßhandelsmarkt in nicht einmaldrei Jahren zu Zusatzkosten von 180 bis 200 Mill. € imJahr geführt. Dies entspricht einem Fünftel der jährlichenInvestitionssumme. Die Entwicklung am Strommarkt kanndurch Steigerungen bei den Brennstoffkosten nicht erklärtwerden. Rund 80% der Stromerzeugungskapazitäten kon-zentrieren sich auf die vier großen Verbundunternehmen.Da Strom nicht speicherbar oder substituierbar ist unddie Nachfrager auf Preiserhöhungen nicht flexibel reagie-ren können, ist der Elektrizitätsmarkt anfällig für Markt-macht und strategisches Angebotsverhalten. Dies hat auchdie Monopolkommission in ihrem jüngsten Gutachten fest-gestellt.

Die Stahlerzeuger haben sich von der Liberalisierung derEnergiemärkte einen Zuwachs an Wettbewerbsfähigkeiterwartet. Gegenwärtig zeichnet sich das Gegenteil ab.Neue Impulse muss auch hier das neue Energiewirt-schaftsgesetz bringen. Die Entflechtung der Netze unddie geplante Anreizregulierung sind daher so schnell wiemöglich umzusetzen. Dadurch wird der Marktzugang fürneue Anbieter verbessert. Zudem werden die im euro-

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Dieter Ameling*

* Prof. Dr.-Ing. Dieter Ameling ist Vorsitzender des Stahlinstitutes VDEhund Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Seit 1997 ist er Honorar-professor an der TU Clausthal.

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päischen Vergleich zu hohen Netzentgelte auf ein wettbe-werbsfähiges Niveau abgesenkt. Zusätzlich müssen diegrenzüberschreitenden Leitungen ausgebaut werden, umeinen europäischen Markt mit einer größeren Anzahl kon-kurrierender Anbieter zu schaffen. Auch sollte die Preis-bildung an der Strombörse transparenter ausgestaltet wer-den, die bei einem Anteil des Handelsvolumens am ge-samten Stromverbrauch von etwa 15% den gesamtenMarkt bestimmt.

Emissionshandel verschärft die Lage

Die ohnehin dramatische Lage am Strommarkt wird nochverschärft durch die verfehlte staatliche Energiepolitik. Einunrühmliches Beispiel ist vor allem der Emissionsrechtehan-del. Durch die Zuteilung einer begrenzten Anzahl von Emis-sionserlaubnissen beschränkt diese bürokratische Luftbe-wirtschaftung kohlenstoffintensive Prozesse wie die Stahl-erzeugung und verteuert das Wachstum der Produktion.CO2-Minderungen werden auf diese Weise schon deshalbnicht herbeigeführt, da die Emissionen zumindest bei derRoheisen- und Stahlerzeugung in Deutschland in den letz-ten Jahren auf das wissenschaftlich-technische Minimumreduziert worden sind. Statt die Energiekosten der Indus-trie zu entlasten, werden durch den Zwang zum Kauf vonCO2-Zertifikaten künstlich noch zusätzliche Kosten einge-führt. Am Weltmarkt, wo 65% des Stahls in Ländern ohneKyoto-Verpflichtung produziert wird und sogar 85% desStahls außerhalb der Europäischen Union, führt dies zu er-heblichen Nachteilen für den Standort Deutschland. Dochauch innerhalb der Europäischen Union fallen die Zuteilun-gen in anderen Mitgliedstaaten wie Österreich, Italien oderFrankreich häufig weitaus wachstumsfreundlicher aus alsin Deutschland.

Der Emissionshandel verteuert die Stahlproduktion nichtnur unmittelbar, sondern treibt auch die Stromkosten wei-ter in die Höhe. Dabei wird der Strom nicht nur durch dieKosten zugekaufter CO2-Zertifikate verteuert. Vielmehr flie-ßen auch kostenfrei zugeteilte Emissionsrechte zu ihremvollen Marktwert in die Strompreise ein. Gerechtfertigt wirddieses Kalkül damit, dass der Emissionshandel die varia-blen Kosten des marktpreisbestimmenden Grenzkraftwer-kes erhöht. Dies gelte auch, wenn gar keine Emissions-rechte für die Stromproduktion hinzugekauft werden müs-sen. Schließlich könnten kostenlos zugeteilte Zertifikate al-ternativ gewinnbringend am Markt verkauft werden, lautetdie Argumentation.

In der Folge beschert der Emissionshandel den Energiever-sorgern zusätzliche Gewinne, während den industriellen Ver-braucher ohne Not neue Kosten aufgelastet werden. DieseRechnung geht auf, da am regional abgeschotteten Strom-markt eine unzureichende Wettbewerbsintensität herrscht.

Im Stahlsektor, der ebenfalls zur Teilnahme am Emissions-handel verpflichtet ist, wären Preissteigerungen auf Basiskostenfrei zugeteilter Zertifikate am Weltmarkt jedenfalls nichtdurchsetzbar.

Die Politik hat die Warnungen vor der unheilvollen Verbin-dung zwischen Emissionshandel und unzureichendem Wett-bewerb am Strommarkt in den Wind geschlagen. Zweifels-ohne steht sie nun in der Pflicht, eine Lösung für diesesProblem herbeizuführen. Sie hat den Emissionshandel ein-geführt und sogar versprochen, der Wirtschaft keine zusätz-lichen Belastungen aufzubürden. Die Industrie hat den Emis-sionshandel nicht gewollt. Auch die Europäische Kommis-sion darf sich der Dringlichkeit des Problems nicht mehr län-ger verschließen.

Drohungen aus der Politik, die Emissionsrechte künftig zuversteigern, wenn die Energieversorger die Einpreisung derZertifikate nicht unterlassen, führen allerdings nicht weiter.Zwar könnte der Staat durch solche Maßnahmen seine Kas-se aufbessern. Für die Verbraucher verbesserten sich dieStrompreise aber nicht. Zudem müsste die energieintensi-ve Industrie, die schließlich auch direkt am Emissionshan-del teilnimmt, für jede Tonne Kohlendioxid einen hohen Preisbezahlen. Stahlerzeugung wäre am Standort Deutschlanddann nicht mehr möglich.

Staatliche Eingriffe sind kostspielig

Auch andere staatliche Eingriffe in Energiemix und Energie-verbrauch, wie die Förderung erneuerbarer Energien, derKernkraftausstieg und die Ökosteuer belasten die Energie-kosten der Industrie. Dabei muss unbedingt mit dem Miss-verständnis aufgeräumt werden, Steuerermäßigungen fürdie Industrie wie beispielsweise bei der Ökosteuer seien»Subventionen«. Das Gegenteil ist der Fall: Sie sind eine not-wendige Voraussetzung, damit trotz Einführung immer neu-er staatlicher Belastungen auf den Energieverbrauch inDeutschland auch in Zukunft eine wettbewerbsfähige Indus-trieproduktion überhaupt noch möglich ist.

Die zusätzlichen Kosten für die Förderung erneuerbarerEnergien lagen im Jahr 2004 bei 2,4 Mrd. €. In den kom-menden Jahren werden sie sich mehr als verdoppeln. Zwarist im vergangenen Jahr eine Belastungsbegrenzung fürenergieintensive Unternehmen eingeführt worden. Aberauch für sie wird im Jahr 2010 der Stand vor Einführungder Härtefallregelung wieder erreicht sein. Ein Ende dieserEntwicklung ist nicht abzusehen. Im vergangenen Jahrhat die Bundesregierung per Gesetz den Ausbau des An-teils erneuerbarer Energien an der Stromversorgung aufmindestens 20% im Jahr 2020 ausgerufen. Dies ist wirt-schaftlich unvernünftig. So ist die Windenergie wegen ih-rer geringen Energiedichte, ihrer unregelmäßigen Einspei-

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sung, der notwendigen Reservekraftwerksleistung von 94%sowie des erforderlichen Netzausbaus schlichtweg unwirt-schaftlich.

Auch der im Jahr 2000 beschlossene Ausstieg aus der Kern-energie ist mit hohen Kosten verbunden. Verzichtet wirdauf die wichtigste Grundlastenergie und kostengünstigenStrom. Zudem ist fraglich, wie Deutschland ohne diese CO2-freie Energiequelle seine Klimaziele einhalten will. Die Rest-laufzeiten zu verlängern, wäre ein sinnvoller Schritt. Natür-lich muss sich dies in Preissenkungen für die Verbraucherniederschlagen. Dabei darf es aber nicht bleiben. Langfris-tig müssen neue Kernkraftwerke nach neuestem Sicher-heitsstandard gebaut werden. Ein Vorbild ist Finnland, wogerade die Bauarbeiten an einem Kernkraftwerk der neuenReaktor-Generation begonnen haben.

Deutschland darf den Anschluss in der Kernenergiefor-schung nicht verlieren. Sie hat eine wichtige Bedeutung fürdie industrielle Wertschöpfung im eigenen Lande. Das Ab-kommen, das Frankreich, Großbritannien, Japan, Kanadaund die Vereinigten Staaten im Februar über die Entwick-lung der vierten Kraftwerksgeneration abgeschlossen ha-ben, findet bereits ohne Deutschland statt. Die Forschungzur Kernenergienutzung sollte wieder aufgenommen und alsStudienfach attraktiv gemacht werden.

Insgesamt muss sich Deutschland auf den bewährtenEnergiemix rückbesinnen: Kernenergie und Braunkohle si-chern eine kostengünstige Stromerzeugung in der Grund-last. Und auch die Steinkohle leistet einen wichtigen Bei-trag, unter Kostengesichtspunkten wie auch durch die ge-ringen internationalen Versorgungsrisiken. Während dieStromerzeugung aus Kernenergie ohnehin CO2-frei erfolgt,können durch den Bau effizienterer Kohlekraftwerke mithöheren Wirkungsgraden die CO2-Emissionen deutlich ge-senkt werden.

Energiepolitik ist Wirtschaftspolitik

Stärker als bisher muss Energiepolitik wieder als Wirt-schaftspolitik verstanden werden. Gerade die energiein-tensive Industrie büßt durch die gegenwärtige Entwicklungder Energiekosten an Wettbewerbsfähigkeit ein. Damit istdie Basis der industriellen Wertschöpfungskette bedroht.Ihre Bedeutung kann aber gar nicht hoch genug ange-setzt werden: Allein die Schlüsselkunden der Stahlindus-trie, wie die Weiterverarbeitung, die Automobilindustrie undder Maschinenbau, vereinigen zusammen ein Umsatzvo-lumen von 700 Mrd. € und rund 3,7 Mill. Beschäftigtenauf sich.

Für die Aluminiumindustrie ist die Schmerzgrenze bereits er-reicht. Doch auch für die Stahlindustrie verschlechtern sich

die Standortbedingungen zusehends. In der neuen Legis-laturperiode sollte die Chance für ein Umlenken in der Ener-giepolitik ergriffen werden. Sie muss sich stärker darauf kon-zentrieren, den Wettbewerb am Strommarkt zu forcieren,statt den Strom durch Eingriffe in den Energiemix zu ver-teuern. Für die energieintensive Industrie wäre damit be-reits eine ganz wesentliche Voraussetzung für den Erhaltihrer Wettbewerbsfähigkeit geschaffen.

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