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C M Y K LUNZENAUER HEIMATBLATT 2013 LUNZENAUER GESTERN & HEUTE • Beilage im Amtsblatt der Stadt Lunzenau • an alle Haushalte Heimatblatt Ausgabe 2013 2013 Historisches Lunzenau um 1900 Friedensstraße - früher Friedhofstraße und Haus Markt 2 Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Jahr 2013 ist nun fast vorüber und viele von Ihnen warten bereits auf die diesjährige Ausgabe des Heimatblattes der Stadt Lunzenau. Umso mehr freut es mich, Ihnen die Ausgabe 2013 nun präsentieren zu können. Es gibt wieder viel Neues und Span- nendes aus längst vergangenen Zeiten zu erfahren. Ich danke allen, die sich um die Heimatblattausgabe 2013 gekümmert haben. Ohne Ihr Engagement, in Form von Beiträgen oder der finanziellen Unterstützung wäre es nicht machbar gewesen. Gleichzeitig möchte ich Sie alle auffordern, mitzuhelfen um auch im nächsten Jahr ein Heimatblatt gestalten zu können. Ich grüße all unsere Leserinnen und Leser auf der ganzen Welt und wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen des Heimatblattes 2013. Ihr Bürgermeister Ronny Hofmann

LUNZENAUER Heimatblatt LUNZENAUER HEIMATBLATT 2013...3 C M Y K LUNZENAUER HEIMATBLATT 2013 Meine Mutter und die Tante hatten ein sehr gutes Verhältnis zuein-ander. Und so wurde abends

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LUNZENAUER HEIMATBLATT 2013

LUNZENAUER

GESTERN & HEUTE • Beilage im Amtsblatt der Stadt Lunzenau • an alle Haushalte

Heimatblatt

Ausgabe 20132013

Historisches Lunzenau um 1900

Friedensstraße - früher Friedhofstraße und Haus Markt 2

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

das Jahr 2013 ist nun fast vorüber und viele von Ihnen warten bereits auf die diesjährige Ausgabe des Heimatblattes der StadtLunzenau. Umso mehr freut es mich, Ihnen die Ausgabe 2013 nun präsentieren zu können. Es gibt wieder viel Neues und Span-nendes aus längst vergangenen Zeiten zu erfahren.Ich danke allen, die sich um die Heimatblattausgabe 2013 gekümmert haben. Ohne Ihr Engagement, in Form von Beiträgen oderder finanziellen Unterstützung wäre es nicht machbar gewesen. Gleichzeitig möchte ich Sie alle auffordern, mitzuhelfen um auchim nächsten Jahr ein Heimatblatt gestalten zu können.Ich grüße all unsere Leserinnen und Leser auf der ganzen Welt und wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen des Heimatblattes 2013.

Ihr Bürgermeister

Ronny Hofmann

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LUNZENAUER HEIMATBLATT 2013

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Liebe Heimatfreunde, liebe Leserinnen und Leser unseres Heimatblattes,

Der kleine Krämerladen neben der Papierfabrik in Lunzenau hatsich in mein Gedächtnis eingeprägt. Kindheitserinnerungen anLunzenau werden wach, wenn ich etwas von „Tante Emma Läden“höre oder lese, denn solche Geschäfte gibt es heute nicht mehr.Bis zu ihrem Tode betrieb Tante Rie, wie wir sie nannten, Tag einTag aus und auch am Wochenende (wer etwas vergessen hatte)einen kleinen Gemischtwarenladen in einem Haus neben derPapierfabrik, welches heute nicht mehr existiert.Marie Hempel war die Einzige von den neun Geschwistern, die inLunzenau geblieben ist und den Laden mit dem Vater fortführte.Nach dem Tod des Vaters bewirtschaftete sie allein das Geschäftsowie einen großen Garten, in dem Gemüse angebaut wurde.Die Eltern der Marie Hempel zogen so um 1900 mit den beidenältesten Kindern von Kohren-Sahlis nach Lunzenau. Hier wohntensie zunächst am Markt und hatten wohl auch schon ein Geschäft.Vater Max war Grünwarenhändler und einer der Ersten, der sicheinen Garten hinter dem Friedhof anschaffte. Die Familievergrößerte sich rasch und es kamen noch sieben Geschwisterdazu. Die Mutter starb früh und so mussten die älteren Geschwi-ster - die Älteste war meine Großmutter - die Kleinen mit großziehen. Vermutlich so um 1915 - 1918 zog der Vater mit denKindern dann in das Haus neben der Papierfabrik.Die Geschwister von Tante Rie verließen in den Zwanziger Jahrendas Muldental, um anderswo Arbeit zu finden. Tante Marie bliebmit dem Vater allein in Lunzenau zurück. Schon früh, wie damalsüblich, war sie mit 14 Jahren als Küchenhilfe, später als Köchin beidem Kommerzienrat Vogel - welchem die Papierfabrik gehörte - inDiensten. Ebenso in „Stellung“ waren die beiden jüngeren Schwe-stern als Küchenhilfe, Köchin bzw. Stubenmädchen bei denBrauns, denen die Papierfabrik zwischen Rochsburg und Lunzen-au gehörte.Die älteste Schwester, meine Großmutter, verkaufte im Laden.Eines Tages stand ein junger Mann aus Rochsburg im Geschäftund fragte sie, ob sie ihn heiraten wollte. Es muss Liebe auf denersten Blick gewesen sein, denn sie sagte ja und ging mit ihm insferne ehemalige Ostpreußen. Hier wurden meine Mutter und ihrBruder geboren. Im Übrigen, die einzigen Kinder der Hempel-Geschwister.

Erinnerungen an meine Tante Marie Hempel in LunzenauGisela Schulz - Glienicke

Zeit ihres Lebens hatten alle sieben Geschwister (ein Bruder warfrüh gestorben, einer gilt als vermisst) einen guten Kontakt zuein-ander.Meine Mutter als Nichte und ich, ihre Tochter, besuchten regel-mäßig Tante Rie in Lunzenau. Natürlich auch in den Schulferien,zumal Tante Rie Anfang August Geburtstag hatte. Es war immeraufregend, zunächst die Zugfahrt der Bahnlinie Leipzig - Karl-Marx-Stadt über den Viadukt der Göhrener Brücke, dann derlängere Fußmarsch von Cossen nach Lunzenau, Muldenbrücke,Markt - schließlich und endlich angekommen im Geschäft vonTante Marie.Verwandtschaftliche Hilfe war immer willkommen und so wurdennach der Begrüßung und einer Tasse Kaffee bereits die Arbeitsauf-gaben für meine Mutter festgelegt. Für mich gab es dann Schoko-lade aus dem „Westen“ aber keine Arbeitsaufgaben.Die Erkundungen im Laden zwischen Ladentisch, der herrlichenalten Waage mit den Gewichten, Rotkohl- und Weißkrautstiegensowie den Herings-, sauren Gurken- und Sauerkrautfässern undden damit verbundenen Gerüchen, den das Geschäft so inne hatte,sind unvergessen.

vor Ihnen liegt das neue Heimatblatt 2013.Auch in diesem Jahr fanden sich wiederzahlreiche Autoren in nah und fern, die mitihren Geschichten, Erinnerungen undRecherchen diese Ausgabe interessantgestalteten. Ein großer Dank gebührt auchunserer Ortschronistin Karin Mehner, beider alljährlich die Fäden zusammenlaufenund die durch Gespräche und Telefonatedie Kontakte pflegt.

Die riesige Resonanz, jährlich steigt dieZahl unserer Leserinnen und Leser, zeigtuns, dass großes Interesse an derGeschichte unseres Städtchens und natür-lich der Ortsteile besteht.

Nicht unerwähnt und ein ganz wichtigerBestandteil des „Projektes „Heimatblatt“sind die vielen Spender, die uns erst dieHerausgabe der Heimatblätter ermöglichen.

Auch in diesem Jahr ein riesiges „DANKE-SCHÖN“!

Herr Karl SchenkHerr Wolfgang BönitzFrau Ursula PfefferkornHerr Kurt LogeHerr Dieter WiesemannHerr Rolf HortenbachFrau Gisela Petzold geb. SeylerFrau Gerlinde FischerHerr Werner KöhnFamilie Ida und Gerhard HofmannFrau Karin MehnerFrau Ingeborg KopmannFrau Brigitte GüntherHerr Gerhard SittnerFamilie Hannelore und Werner NitzscheHerr Herbert BönitzHerr Johannes MüllerHerr Friedrich TraufelderFrau Ilse BaldaufFamilie Christine und Siegmund MollerFrau Irene Rosl SikoraFamilie Renate und Rolf RößnerHerr Dietrich LindnerFrau Brigitte HahnFrau Annerose Böttger

Natürlich bitten wir auch weiterhin im IhreMithilfe!

Unsere Bankverbindung:Sparkasse Mittelsachsen

IBAN: DE06 8705 2000 3120 0004 33BIC: WELADED1FGXKennwort: Heimatblatt 2014

Spender werden wir auch wieder im näch-sten Heft gern beim Namen nennen.

Sollten Sie weitere Exemplare beziehenwollen, vielleicht um diese zu verschenken,so teilen Sie uns das bitte mit.

Bruder Karl, Tant Marie, meine Mutter Trutchen (hinten von links)und ich – Gisela Schulz – und Manfred Richter (vorn)

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Meine Mutter und die Tante hatten ein sehr gutes Verhältnis zuein-ander. Und so wurde abends dann lange und ohne Licht anzu-schalten, von alten Zeiten aus der Familiengeschichte erzählt. Aberauch von Begebenheiten und Ereignissen in und um Lunzenau undwas als nächstes im Garten angebaut, gepflückt oder geerntetwerden sollte. Meine Mutter war schon als junges Mädchen imsogenannten „Pflichtjahr“ als Hilfe im Laden tätig gewesen undkannte somit die anfallenden Arbeiten.Die Arbeit, zumal auch die mit dem Laden verbunden war, warimmer vordergründig. Und wenn zum Feierabend in der Stubedann Tante Rie ihre Nickelbrille (sie trug keine Hornbrille) herausholte und die Einnahmen in einem großen Abrechnungsbuchverzeichnet wurden, durfte ich ihr über die Schulter schauen.So wirtschaftete die Tante im Laden, meine Mutter bemühte sichderweil in der Küche und ich schaute mich neugierig im Haus um.Da wohnte im oberen Stockwerk die Familie Richter mit TochterTraudl und Enkelsohn Manfred.Die meiste Zeit jedoch war mit Gartenarbeit ausgefüllt. Früh, gegen9.00 Uhr, ging es mit dem Handwagen zum Garten. Der war großund hatte eine windschiefe Laube. Die Beete waren gepflegt undmit Kartoffeln, Lauchzwiebeln, Tomaten, Kohlrabi, Salatpflanzenu.v.m. bepflanzt. Die Setzpflanzen dazu wurden von meiner Mutterund mir in einer Gärtnerei in Rochsburg geholt und dann im Gartengepflanzt.Unter anderem stand im Garten auch ein großer alter Apfelbaum,auf welchen ich sehr gern kletterte, denn von hier aus hatte ich eineweite Sicht bis hin zur Rochsburg sowie nach Berthelsdorf, Hohen-kirchen und natürlich über Lunzenau. Heute gibt es den alten Baumnicht mehr, die Vegetation ist üppiger und somit der Blick teilweiseversperrt.

Viele Jahre sind seit dem vergangen und noch heute kommen meinMann und ich (nun selber im Rentenalter) gern in diese schöneGegend des Muldentales, wo die Wurzeln der mütterlichenVerwandtschaft liegen und die Kindheitserinnerungen lebendigwerden.Meinen Kindern habe ich diese schöne Landschaft gezeigt und dieüberlieferten Erzählungen weiter gegeben. Meine Tochter heiratetevor ein paar Jahren auf Schloss Rochsburg, was wunderschön vondem Standesamt gestaltet war und in dem die dargestellte „Zeit“zum unvergesslichen Erlebnis wurde.Ein Glück für mich ist, dass ich noch alle Geschwister der TanteMarie kennen gelernt habe. Was nicht zuletzt dem Umstand des„Mauerfalls“ zu verdanken ist.

Das Haus, heute „Am Ring 14“, Jahrzehnte „Altenburger Straße203“, existierte schon 1857. Im Grundbuch ist unter dem 9.Oktober1905 der Drogist Ernst Waldemar Schneider eingetragen. Wie dasBild zeigt, war vorher ein Schnittgeschäft in den Räumen unterge-bracht.

Die Drogerie Richard HelmboldHeiner Unger - Penig

Ab dem 2. Februar ist der Drogist Richard Paul Helmbold, meinOpa, Besitzer. Der Kaufpreis betrug 14.500.- Mark. Dieser Kaufmachte „Besitzveränderungsabgaben“ von 129,59 Mark erforder-lich, wie die Quittung vom 29. Januar 1912 belegt.

Ein Teil des Preises, 3000.- Mark, wurde bar bezahlt, mit einerHypothek von 9000.- Mark wurde das Grundstück belastet und2500.- Mark kamen in Raten über 5 Jahre bei 4% Verzinsung zurAuszahlung. Es war ein schwerer Start unter großen finanziellenZwängen.

Der neue Besitzer wurde am 25. Januar 1880 in Magdeburg ineinfachen Verhältnissen geboren. Sein Vater war Arbeiter. DieDrogistenlehre und die Prüfung absolvierte er in Magdeburg. Erheiratete am 18. Oktober 1909 in Waldheim Frau Johanna AgnesKohl, geboren am 25. Januar 1888 in Otzdorf bei Waldheim.

Das Wohn- und Geschäftshaus in Lunzenau war nicht unterkellertund hatte nicht ausreichend Lagerfläche für das Geschäft. Deshalbließen meine Großeltern 1920 einen Anbau mit Flachdach durch dieBaufirma Seidel errichte. Die Grundfläche kauften sie für 400.-Mark von der Nachbarin, der verwitweten Anna Schlimper.

Wohnhaus mit Laden von Marie Hempel

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Der Bau war vermutlich schwierig, da der Anbau eine Unterkelle-rung erhielt, die teilweise in gewachsenen Fels geschlagen werdenmusste. Die Baukosten beliefen sich auf rund 31000.- Mark. Dazusind mir einige beteiligte Handwerker bekannt, wie z.B.

Tischler Kunze mit 1184.- MarkMax Heyer mit 321.- Mark Finsterbusch Sand mit 1275.- MarkGerichtskosten und Abgaben mit 108,35 Mark.

Durch den Anbau stand eine deutlich größere Lagerfläche zurVerfügung, die sich aber noch immer nicht als ausreichend erwies.Die Waren kamen mit der Eisenbahn nach Lunzenau, in der Regelin Holzkisten. Diese beanspruchten viel Platz. Spediteur Hofmannholte täglich die eingegangenen Fachten für die Gewerbetreiben-den vom Bahnhof ab und verteilte sie. Gleichzeitig nahm er dieleeren Kisten für die Rücksendung mit.1925 ließen die Drogeriebesitzer deshalb eine Baracke errichten.Sie war 9,00 x 3,50 m groß und kostete 1400.- Mark. Das Landdafür pachteten sie auf 10 Jahre von Frau Schlimper für 20.- Markje Quartal.

Was gehörte damals zum Sortiment der Drogerie? Einem Schrei-ben von Oktober 1925 ist zu entnehmen:

Fabrikation feiner Liköre und SpirituosenWeiß-, Rot- und SüdweineDrogen, Farben, Lacke, PinselSämtliche Artikel für die Landwirtschaft

Ein Briefkopf von 1934 weist folgendes aus:

Es ist erkennbar, dass sich das Sortiment weiterentwickelte. AuchWerbungen in den „Muldentaler Nachrichten“ von 1925 und 1930zeigen dies:

Meine Großeltern hatten zwei Töchter, 1910 und 1920 geboren. Dieältere schlug einen beruflichen Weg jenseits des Drogeriebetriebesein, während meine Mutter 1935 eine Lehre als Drogistin begann.Das Taschengeld betrug laut Lehrvertrag

10.- Mark im ersten Lehrjahr,15.- Mark im zweiten Lehrjahr23.- Mark im dritten Lehrjahr.

Am 23.September 1934 traf die Familie ein schwerer Schlag. Rich-ard Helmbold verstarb im Alter von nur 54 Jahren. Die beidenTöchter waren 24 bzw. kapp 14 Jahre alt. Seine Witwe „funktionier-te“ aber und führte das Geschäft unter Aufbietung all ihrer Kräfteerfolgreich weiter. Auch in den Kriegsjahren mit den wachsendenVersorgungsproblemen einerseits, den Sorgen um die Töchter undSchwiegersöhne als Soldaten andererseits hat sie alle Problemeirgendwie gelöst.

Schon in den Kriegsjahren veränderte sich das Sortiments desGeschäftes: Zucker, Kartoffelmehl, Sago, Mehl und Salz z.B. warengefragte Artikel. Diese wurden in Säcken oder großen Tüten ange-liefert und zu Verkauf in Tüten abgewogen. Kunsthonig kam ingroßen Würfeln, von denen Stücke abgestoßen und nach Gewichtverkauft wurden. Anstelle der bekannte Seife gab es Tonseife, zuhandlichen Stücken gepresster Ton.Noch während des Krieges kam es zur Ausgabe von Lebensmittel-karten. Sie galten für begrenzte Zeiträume, in der Regel 4 Wochen.Es war eine mühsame und zeitaufwändige Arbeit, die nur wenigeQuadratzentimeter großen Abschnitte nach Produkten zu sortierenund aufzukleben. Ich kann mich als kleiner Junge noch sehr gut andie Abende mit dieser Arbeit erinnern. Sie war aber zwingendnotwendig, da die an das Geschäft gelieferte Menge übereinstim-men musste mit den bei der Stadtverwaltung abgerechnetenLebensmittelmarken und dem noch vorhandenen Warenbestand.Neu im Sortiment nach dem 2. Weltkrieg waren Tabakbeize für denselbst angebauten Tabak und der Verleih von Tabakschneidema-schinen.

Meine Mutter gab ihre bisherige Wohnung auf und zog mit mir zuKriegsende nach Lunzenau in das Wohn- und Geschäftshaus derOma. Im Herbst 1945 kam mein Vater aus der Kriegsgefangen-schaft zurück. Wir wohnten dann auf der Alfred-Köhler-Straße.Meine Mutter unterstützte in der Drogerie ihre Mutter. Mein Vatererledigte nach seinem Feierabend die schweren körperlichenArbeiten. Ab 1. April 1946 war er in der Drogerie angestellt. Erbesuchte ab diesem Zeitpunkt die Handwerkerschule Chemnitz,Abteilung Drogisten, und erhielt am 20. Juli 1948 das Abgangs-zeugnis als Drogist. Da der Ertrag in der Drogerie aber offenbar fürzwei Familien nicht ausreichend war, nahm er im Februar 1950 eineandere Tätigkeit auf.

Ab Mitte 1946 bemühten sich meine Oma und meine Eltern um denAusbau des Dachgeschosses zur Wohnraumgewinnung. DerKostenvoranschlag vom Baugeschäft Paul Seidel aus Lunzenaubelief sich auf 2999,50 Reichsmark. 1947 wurde der Ausbau reali-siert und meine Eltern zogen mit in das Haus.

In den Folgejahren betrieb meine Oma die Drogerie allein. DieFamilie unterstützte sie. Neben den typischen Drogerieartikelnbildeten Sämereien einen erheblichen Anteil der Geschäftstätig-keit. Das gehandelte Sortiment bestand nun aus Drogen, Farben,Lacken, Pinseln, Spirituosen, Feld- und Gartensämereien, Tierarz-nei und Tierpflegemitteln, kosmetischen Erzeugnissen und Giften.Rübensamen z.B. wurde in großen Mengen an Landwirte verkauft.Sehr arbeitsintensiv waren die Sämereien für die vielen Kleingärt-ner, da die für uns heute selbstverständlichen Samentütchenselbst abgepackt werden mussten. Das hieß, Hunderte kleineBeutel von Hand beschriften und Stück für Stück mit Messbecherder entsprechenden Größe befüllen. Auch ich habe damit vieleStunden verbracht.

Annonce 1925

Annonce 1930

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Eine Katastrophe war dasHochwasser im Juli 1954.DieWarenschäden beliefen sichtrotz aller Bemühungen beimHochräumen auf über 400.- DM,die erforderlichen Instandset-zungsarbeiten an der Einrich-tung und dem Gebäude koste-ten ein Mehrfaches. Und einigeSchäden z.B. an der hölzernenLadeneinrichtung konnten nichtwirklich beseitigt werden.

Am 31. August 1959 erfolgte dieAbmeldung des Gewerbes. Einin Lunzenau und den umliegen-den Ortschaften bekanntesGeschäft stellte seine Arbeit ein.

Ein entbehrungsreiches Arbeits-leben war zu Ende. ehemalige Drogerie

In den Winterferien, im Januar 1944, besuchte ich mit meinerMutter Verwandte in Marienburg im damaligen Westpreußen. Ichwar damals in der siebenten Klasse und wegen des nun schon fünfJahre tobenden Krieges bisher kaum aus Lunzenau heraus gekom-men - mein weitestes Reiseziel war in dieser Zeit Chemnitz, woeine Schwester meiner Mutter und deren Familie wohnten. Es war eine komplizierte Tour mit der Angst vor nächtlichen Luftan-griffen, die seit November 1943 stark zugenommen hatten, nächtli-chen Aufenthalten auf überfüllten Bahnsteigen in Leipzig unddanach am sehr frühen Morgen in Berlin, wo wir ohne jegliche Orts-kenntnisse auch noch den Bahnhof wechseln mussten. Auch dieZüge waren voll und über mehrere Stunden musste ich mit einemSitz auf dem Koffer zufrieden sein. Aber am Ende kamen wir dochan und ich hatte in den knapp zwei Besuchswochen die Gelegen-heit, die Marienburg und auch Danzig kennenzulernen, Städte undWahrzeichen, die mich sehr beeindruckt haben und die damalsnoch ohne jede Zerstörung waren. Aber die Rückfahrt war dann auch noch zu überstehen und wirkonnten dazu einen Fronturlauberzug nach Sachsen nutzen. Eben-so wieder völlig überfüllt, wobei die Abteile auch noch mit demGepäck und den Waffen der mitreisenden Soldaten überfülltwaren. Aber deren Laune war gut, denn sie fuhren ja einem Heimat-urlaub entgegen. Auch wir waren wieder zu Hause angekommen und da am Endealles gut ausgegangen war, blieben fast nur angenehme Erinne-rungen zurück. Doch nur wenige Tage später kratzte ich mich sehr häufig am Kopfund meine Mutter meinte, ich solle nicht soviel lesen, davon kämedas Jucken und dafür lieber Holz hacken. In einer Unterrichtspause,ich hatte Tafeldienst und wischte die Wandtafel ab, fasste ich mirauch mal an den Kopf und hatte plötzlich ein kleines Lebewesen inder Hand. Oh Gott, eine Laus! Als in der folgenden Unterrichtstundemein Banknachbar sich zu mir neigte um etwas zuzuflüstern, nahmich vorsichtig den Kopf zur Seite. Dann ging die Luftalarmsirene undda der Unterricht ohnehin fast zu Ende war, wurden wir weggeschickt. Ich rannte nach Hause, riss die Wohnungstür auf und riefmeiner Mutter laut und aufgeregt zu, ich hätte Läuse. Sehr erschrocken legte meine Mutter daraufhin ein großes weißesBlatt Papier auf den Tisch und kämmte mich mit einem kleinenKamm mit dicht liegenden Zinken, der wohl auch Läusekammgenannt wird. Meine Güte, die Läuse purzelten nur so von meinemKopf und ich erfuhr dabei, dass eine Laus in 24 Stunden Großmut-

LäusebengelWolfgang Bönitz - Berlin

ter werden könne. Meine Mutter wollte mich sofort zum Friseurschicken, der mir eine Glatze schneiden sollte. Dagegen wehrte ichmich aber sehr hartnäckig, mit dem Ergebnis, dass wir am folgen-den Tag zur Drogerie Helmbold gingen und meine Mutter die FrauHelmbold flüsternd über den Verkaufstisch von meinem Problemunterrichtete. Es sollte ja niemand von den anwesenden Kundendavon erfahren. Aber Frau Helmbold, eine sehr selbstsichere Frau,antwortete sehr klar, sehr deutlich und sehr laut, so dass alle ande-ren Kunden auch alles gut verstanden: „Frau Bönitz, das ist kein Problem, da nehmen Sie „Goldgeist“ undreiben dem Wolfgang nach dem Waschen der Haare diese sehr gutein, dann ist das alles schnell vorbei“.Nun war es an meiner Mutter allen Anwesenden zu erklären, dassich mir die Läuse in einem Fronturlauberzug eingefangen hatte unddafür hatten damals wohl wirklich alle Verständnis, aber ichempfand es doch als etwas peinliche Information.Aber tatsächlich, die Essenz „Goldgeist“ wirkte großartig und baldwar ich meine lästigen Begleiter wieder los.

Aus einem LÄUSEBENGEL wurde wieder ein LAUSEBENGEL!

Anzeige aus „Muldenthale Nachrichten“ Oktober 1922

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Über RESTBOMBEN und die Lebensdauer von SchaufensternPeter Böttger

„Es war im Raum Westsachsen in den frühen Morgenstundenam 21. Februar 1944. Da bemerkte der Captain des amerikani-schen oder englischen, jedenfalls des angloamerikanischenBombers an einer kleinen roten Lampe, dass noch etwas imBombenschacht klemmen musste. Er schickte den Bord-Mecha-niker, um nachzusehen. Richtig, meldete der, da klemmen nochzwei Luftminen. Er könne die Sperre mechanisch lösen, es sei abersaukalt. Hab dich nicht so, mach das, rief der Pilot. Natürlich hat erdas auf Englisch gesagt. Nun suchte er nach einem Ziel, damit dieSprengkörper zu ihrer gedachten Verwendung kommen sollten.Weit unten musste nach der Karte ein Fluss sein. An einer seinerSchleifen war eine Fabrik eingezeichnet.“ - In diesem Ton etwakommentierte mein kriegserfahrener Vater das Vorkommnisnachträglich, um meiner Mutter und mir klar zu machen, dass essich um einen Zufall handelte. Mit der Fabrik waren die Papierfa-brik und die Plüsch- und Teppichweberei Vogel gemeint.

Zur genannten Zeit saß ich mit meinen Eltern und den Mieternsamt einquartierten Flüchtlingen im hauseigenen Luftschutzkeller.Ob der diese amtliche Bezeichnung verdiente, ist heute zu bezwei-feln. Der Keller war wer weiß wie alt. Lange vor dem großen Stadt-brand war das niedrige Gewölbe aus Bruchsteinen trockengesetzt worden, also ohne Mörtel. Sein Boden lag vielleicht dreivier Meter unter der Höhe des Marktpflasters. Wenn die MuldeHochwasser führte, trat das Wasser in Strahlen aus den Ritzenhervor. Wie bekannt, wohnten wir im Haus neben der Kirche amMarkt. Unsere Fleischerei war geschlossen.

In dicker Winterkleidung hockten wir im Gang zwischen denabschließbaren Kartoffelbuchten. Alle hatten ihre Taschen mit denPapieren und dem Nötigsten bei sich. Eine Frau, deren Mann imKrieg war, schleppte immer einen länglichen Wachstuchkoffer mit.Darin befand sich die Posaune ihres Mannes. Er ist irgendwannheim gekommen und hat noch lange tüchtig geblasen.

Hier unten war ich nicht gern, wegen des durchdringendenGeruchs der eingekellerten Kartoffeln, die nicht alle gesund warenund zu keimen begannen. Dazu mischte sich ein wenig Petroleum-Duft. Meistens brannten aber nur zwei Kerzen, was eigentlichfalsch war, wegen des Sauerstoffs. Ihre Taschenlampen behieltendie Eltern streng bei sich. Das war doch nichts zum Spielen! Wodoch die Batterien so knapp waren. Wir wohnten in so dichterNachbarschaft zur Kirchturm-Sirene, dass wir schon ihre tiefstenTöne hörten, wenn sie anfing, sich langsam hochzuschrauben. Ichglaube, sogar wir Kinder erhoben uns bei Alarm schon mecha-nisch aus den Betten und alles lief schnell aber ohne Aufregungab. Die Mama sagte nur leise: „Komm mein Guter, mach denMantel zu; so jetzt können wir runter gehen.“ Wir hatten den Flie-geralarm schon so oft ohne irgendwelche Folgen erlebt, dass eruns lediglich wie eine unliebsame Unterbrechung unserer Nachtru-he vorkam. „Hier in Lunzenau passiert nischt“, sagte mein Vater,für den die Teilnahme am Krieg vorbei war, weil er sein Teil schonabbekommen hatte. Er war schwerkriegsbeschädigt. Wahrschein-lich döste ich auf meinem Hocker, an meiner Mama lehnend. Dakrachte es zweimal kurz hintereinander. Es krachte so, wie ich esnoch nie krachen gehört hatte. „Ist weit weg“, sagte mein Vater.„Nee nee“, sagte Steins Max, der im ersten Weltkrieg gewesenwar. „Das war ganz nahe.“ Zur genaueren Deutung von Nähe undFerne hatten sie nach ihren Erfahrungen wohl unterschiedlicheAnsichten. Na gut, mein Vater war mit 17 Jahren auch schon ander Front gegen Frankreich gewesen. Seit dem Schreck wimmer-ten die Frauen leise. Mit dem Geräusch einer Detonation war einKlirren zu hören gewesen. Mein Vater stapfte mühsam die feuchtesteinerne Kellertreppe hoch, obwohl die Mama bemüht war, ihnzurückzuhalten. Aber Flugzeuggeräusche wären nicht zu hören,meinte er.

Mein Vater kam zurück und sagte: „Kein Einschlag in unsererNähe. Kein Feuer zu sehen.“ „Na Gott sei Dank!“ riefen die Frauen.Nach einiger Zeit, nicht zu lang, gab die Sirene Entwarnung.Geordneter Abmarsch aus dem Keller.

Als unsere Vorsaaltür im Obergeschoss aufging, spürten wirLuftzug. Erschreckt rief meine Mama: „Alles kaputt!“ Sie meinteaber nur die Fenster. Vorsichtig die Scherben vermeidend, öffne-ten wir die leeren Flügel und schauten auf den Marktplatz. Diemeisten Fenster sahen aus wie Öffnungen schwarzer Höhlen. Siewaren nicht mehr verglast. Die stumpf-schwarzen Luftschutz-Rollos schluckten jeden Rest von Licht. Aus manchen Fensternwehten auch Gardinen. Unser Blick fiel auf den Fußsteig, auf's„Driddewar“. Mama und Papa leuchteten mit den Taschenlampennach unten. Dort blinkten einige Scherben unserer zwei Schaufen-ster auf dem Pflaster. Das meiste Glas musste demnach im Ladenliegen. Jemand brüllte in der Dunkelheit: „Taschenlampe aus!“Recht hatte der Mann. Möglicherweise war der Feind noch nichtrestlos von unserem Himmel verschwunden.

„Hätte schlimmer kommen können“, sagte mein Papa. Ermusste sich hinlegen und bekam wegen der durchlässigen Fensternoch eine Decke extra, auch eine Pudelmütze. Langsam wurde eshell und ich durfte das Haus von außen inspizieren. Alle Fenster ander Vorderseite, am Giebel und im Hof waren kaputt.

Wir zerschnitten Pappkartons, suchten alte Decken herbei undmühten uns, sie mit Reißzwecken an den Fensterrahmen zu befe-stigen oder einzuklemmen. „Wir müssen gleich nach dem Früh-stück mit dem Handwagen zu Brauns Pappenfabrik, vielleicht krie-gen wir Pappen“, sagte meine Mutter. Für die Schaufenster hattenwir natürlich kein Material. Aber da wäre niemand eingestiegen. Esgab ja im Laden gar nichts zu essen.

Nicht lange, und es kamen von außerhalb ganz viele alte Glasermit „hilfswilligen“ Ukrainern, Belgiern und anderen „Fremdarbei-tern“ nach Lunzenau. Und bald war alles repariert. Ich weiß nichtmehr, ob wir darüber staunten. Aber heute tu ich das. So viel Glashatten wir noch, hatten die Kriegs-Wirtschaftsführer gehortet, oderkonnte noch produziert werden? Unsere Schaufenster allerdingsmussten warten. Tischlermeister Frommhold dichtete sie mitSpundbrettern ab und in jede der beiden Flächen fügte er einenkleinen Rahmen mit Guckfenster ein.

Mein Großvater Moritz Löwe baute den Laden 1910; also auchdie Schaufenster stammten von dazumal. Sie wurden mithin 34Jahre alt. Im Jahre 1946 gab es die neuen Scheiben. Jetzt habenwir 2013. Sie sind jetzt 67 Jahre alt. Nun denk mal, wie langeSchaufensterscheiben aushalten, wenn keine Bomben fallen.

Das Vorkommnis ist von den Zeitzeugen gar nicht aufgezeichnetworden. Die vermutlich zwei Luftminen hinterließen keineEinschlag-Trichter auf der Gemarkung Bertelsdorf bzw. im Weich-bild des Vogelschen Kesselhauses.

Die Druckwelle verursachte außer Dach- und Fensterschädenkeine weiteren. Das sagte mir auch Erhard Zschage aus Hohenkir-chen.

Wichtig ist noch zu wissen, dass im Hause vom Heyer Max aufdem Anger ebenfalls alle Fensterscheiben hin waren. Aber einFenster blieb heil. Dahinter lag seine Schwiegertochter in denWehen. Ihr Mann konnte ihr nicht beistehen, weil er im Krieg war.Nach dem großen Knall brachte sie ein Töchterchen zur Welt. Daswurde auf den Namen Karin getauft.

Dresden Juni 2013 ©

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LUNZENAUER HEIMATBLATT 2013

Der Turnverein Germania - LunzenauGundula Lempe geb. Krause, Neumark

Was rennt das Volk, was wälzt sich dortdie Altenburger Straße fort?Zu Zschacken Maxen geht´s hinaus!Denn fertig ist dies neue Haus.

Natürlich kostet´s manche Müh´bis dieser Bau so weit gedieh.´S wird viel gepocht, gehackt, gemaltund mancher Pfeng´ dafür bezahlt.

In einer Scheune ging es los´,es türmte wacker klein und groß.Gefroren ward so manches Mal,das war den Turnern ganz egal.

Der Herbergsvater stets galant,er nahm die Sache in die Hand.Ihm dankt zunächst der Turnverein,dass morgen er dies Haus kann weih´n.

Im Winter war es kalt noch schön,riss man die alte Scheune ein.Am neunten Tag des Monats April,stand auch schon der Grundstein da.

Es sei auch jetzt der Herrn gedacht,die Arbeit sich gar viel gemacht;denn wir danken was geschahim Turnverein Germania!

Am meisten Sorge das ist klar,dem Vorstand aufgebündelt war.Für seine Treu, für seinen Fleißgebührt ihm heut´ der höchste Preis.

Max Weißflog ist ja nicht sehr großals Turnwart hat er doch was los.Er ist so anspruchslos dabeiund opfert sich der Turnerei.

Paul Grude, Schriftwart im Vereingar manchen Preis nennt er schon sein.und bringt ihm dann um auch die Kunst der edlen Turnerei.

Der Herbergsvater turnt ja gut,er hat auch immer frohen Mut.Der Aufschwung geht nur nicht so glatt,wenn er zuvor gegessen hat,

Treu hält zu uns noch mancher Tagoft ward´s nicht kund, was er vermag,drum alle Freunde vom Verein,sie sollen heut gepriesen sein.

Drum liebe Gäste nehmt zur Handdas Glas, gefüllt bis an den Rand -und stoßet an und ruft dabei,es lebe hoch die Turnerei.

Nachdem schon seit 1860 in Lunzenau der Turnverein 1860bestand, gründeten 29 Turner am 04.09.1900 einen 2. Turnverein.Mit dem gleichen Gedanken für Körper und Geselligkeit. Sie gabensich den Namen „Turnverein Germania Lunzenau“In Folge wurden die Turnbrüder Putze, Grude, Weißflog undZschacke als Leiter benannt.Die Turnstunden wurden in der Scheune von Herbergsvater MaxZschacke - Altenburger Straße, im ehemaligen Schützenhausabgehalten.Doch diese Behausung machte der Freude am turnen keinenAbbruch. Mit der Gründung am 4.9.1900 erfolgte auch eine Festle-gung des Grundgesetzes, heute Satzung genannt, für den Verein.Herr Arno Putze wurde als Vorsitzender gewählt.Am 10.11.1900 traten die Mitglieder dem Mittelmuldenturngau bei.Doch dazu mussten einige Änderungen passieren. Eine Turnhallemusste her. Man verhandelte mit Max Zschacke und so wurde demBau einer neuen Halle zugestimmt. Der Grundstein wurde am09.04.1901 gelegt.Es war ein Fest für die ganze Stadt Lunzenau. Zur Turnhallenweiheam 21. und 22.9.1901 war auch die Behörde auf den Beinen. Fest-lich geschmückt zeigte sich das Städtchen.

Es war ein Fest wie es Lunzenau noch nicht gesehen hatte. EinWeihelied zur Halle belegt die Freude über das Geschaffte.

Melodie: Der Papst lebt herrlich in der Welt…

Zum Turnwart war Max Weißflog und zum Schriftwart wurde PaulGrude gewählt.Am 24. Juli 1906 konnte eine Vereinsfahne geweiht werden. Es wareine Tragefahne mit 2 Seiten-Bestickung. Eine Seite mit demAbbild des Turnvater Jahn zwischen den Jahreszahlen 1900 und1906. Über dem Bild steht TURN VEREIN GERMANIA unter demBild LUNZENAU.

Die Bändchen in den Ecken waren mit Jahn´s 4 F´s - FRISCH -FROMM - FRÖHLICH - FREI bestickt. Die Rückseite kann man aufdem Foto durch den hellen Seidenstoff besser lesen.Hergestellt wurde diese Fahne von der Fahnen- und KunststickereiKarl Rosenthal in Gera/R. Das R könnte Reuss bedeuten.Nun besaß der Verein auch ein äußeres Zeichen der Treue undZusammengehörigkeit.In dieser Zeit muß auch dieses Foto der Männerriege entstandensein. Vermutlich ist der 1. Turner Max Weißflog als Turnwart. DerVorletzte ist Fritz Krause , mein Großvater.Die anderen Namen bleiben offen, man kann rätseln wer diesesind. In dem 2. noch erhaltenen Tafellied finden sich noch 22Turner-Namen.

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Das älteste Mitglied wie ihr wisstwohl unser Hermann Werner ist,setzt er sich auf den Turnerplan,gleicht er dem alten Vater Jahn.

Auch Oskar Löbel kommt sehr feinals Bote für´n Riegenverein -und Büttner Fritz das Unikummacht stets beim turn die Beine krumm.

Trifft Heinrich Franz als Maler ein,…..…..In ihm steckt immer frischer Mut.

In Penig war der Juliusund trank soviel über´n Genussund wackelt auf den Bahnhof dann,und nässte sich die Hosen an.

Ein jeder wie ihr alle wisstist Gustav Liebers Humorist.Steht auf der Bühne er als dannfürwahr er ist ein ganzer Mann.

Und unser Gustav Liebezeitist glücklich stolz zu jeder Zeit;wird da gesagt Versammlung an, so stellt er sicher seinen Mann.

Auch Kaßner Albin welch ein Grausritt frühe stets als Reithengst aus.Doch hatte er schon damals Pech,denn er rutschte stets vom Pferde weg.

Fritz Krause geht schon manches JahrTag täglich nach Amerika.Ob es auch regnet, stürmt und schneit,da läuft niemand zum Zeitvertreib.

Auch Erhard Winkler ist ein Kumpan,der zieht im Winter Maschen an.Er wohnt im Schnee und nassen Matsch,weil er tagtäglich Garn ausmatscht.

Max Hentschel der so manches Jahrverlorn für uns gewesen war -sei uns willkommen Turnerfreundvon neuen sind wir jetzt vereint.

Herr Börner mit geschickter Hand,wohnt an dem kühlen Muldenstrand.Fährt mit dem Pinsel frisch drauflosbemalt die Zimmer tadellos.

Auch Richter Max der kommt herbei,tritt in die Männerriege ei.Die Flitterwochen sind nun aus,jetzt kommt er auch mal aus dem Haus.

Auch Geißlers Kurt gedenken wirzuletzt mit einem Verschen hier.Er kam zu uns beim letzten …doch springen kann er wie ein Bock.

Melodie: Frisch auf Kameraden

Auch Thein Karl als Vorstand des Vereins,hält feste auf die Riegenkasse,es kennt ihn im Städtchen wohl jeder weiß -sieht öfters auch schwarz um die Nase.Mit Kugel und Besen beschwert er seinenRumpf,im Winter läuft er auch noch ohne Strumpf.

Den Hochstand am Baume die Rippe am Reck, die Felge mit riesigem Schwungedies zeigt uns so verwegen und keckQuarg Gustav der kräftige Junge.Sein Amt als Vorstand der Riege dann,auch hier stellt er wieder seinen Mann.

Den Damen der Riege gedenken auch wir,seid herzlich willkommen zum Schmause,nehmt heut nur nichts übel wir danken dafür,heut gehen wir nicht gleich nach Hause.Bleibt nur recht gemütlich paar Stundennoch da -Gut Heil allen Frauen Germania.

Melodie: Still ruht der See

Emil Matthes ist sehr gemütlich,lässt viel das Turnen turnen seiner bleibt zu Haus bei Frieda´n friedlich -wiegt ihr die kleinen Kinder ein so wollen es die Weiber fein.

Wilhelm Steinert ist auch gelassen,verträglich gegen Jedermann,wenn er das Bierglas tut erfassen,spricht er stets Prost und stoßet an,und dabei lacht er jeden an.

Melodie: O Tannenbaum

In Kamerun zum Kinderfestward Walter Franz der König.Er nahm die Büchs in schwerer Stundtraf aus versehen den schwarzen Randund Anna fuhr voll Wut entbrannt -mit Kinderkutsch zum Heime dann.

Melodie: Es braust ein Ruf wie Donnerhall

Auch Walter Max der Musikusder hat auch manchmal viel Verdruss.Wenn bei ihm mal ´ne Seite platzter gleich sich hinterm Ohre kratzt.Und Eduard (Hentschel) der kleine Mannfasst gern der Kellnerin Bluse an.Und Mißler Max genannt der kleine …schad um die Kraft den er …

Max Zschacke wird wie all bekanntmit seinem Marschall viel genannt.Fährt groß wie auch klein und Leutist auch zur Leichenfahrt bereit.

Heut singen wir mit frohem Mut,ein hübsches Liedchen frisch und gut.Ein Lied was uns mit festen Bandumschlingt mit starker Turnerhand.

Melodie: Der Papst lebt herrlich in der Welt

Der letzte Vers ist leider nicht mehr lesbar. Wenn man diese Zeilen liest, kann man sichvorstellen, dass sich auch aus diesen Turnern ein klingender Chor entwickeln konnte.Im Mittelmuldengau galt der Turnverein Germania als einer der Besten. Aus den Jahrengibt es noch einige Korrespondenz über rege Verbindungen zu einigen anderen Turnver-einen.So bezeugt eine Karte, wo man zum Turnfest in Wurzen war.Sehr intensive Turnerfreundschaft und Verbundenheit gab es ins Vogtland, nach Reichen-bach.Die Turnhalle am Joppenberg in Oberreichenbach wurde 1901 erbaut und steht auchheute noch. Sie wurde vor ca. 10 Jahren völlig renoviert, gehört der Stadt Reichenbach, inVerantwortung der Sportgemeinschaft Blau Weiß Reichenbach.Es findet im Wohnbezirk Volleyball, Kinderturnen, Fußball statt. Die Autobahnpolizei hältauch hier ihren Trainingssport ab.Das war ein kleiner Ausflug zu den sportlichen und freundschaftlichen Verbindungen derGermania. Doch nun zurück nach Lunzenau.Mit dem Weltkrieg Anfang 1915 wurden bereits 68 Mitglieder zum Militär eingezogen.1916 mußten die Turnstunden eingestellt werden. Der letzte Turnleiter war Franz Heinrich.Von über 200 Mitgliedern zahlten 1918 nur noch 18 Turner Steuern (Beiträge).Der Dank, dass der Verein nicht ganz zum einschlafen kam, gebührt der Ehefrau desdamaligen Vorsitzenden Karl Thein. Vielen alten Lunzenauern ist mit dem Namen derSchornsteinfegermeister, wohnhaft Friedensstraße / Ecke August- Bebel- Straße nochein Begriff.

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Den 24 gefallenen Turnern wurde mit einer gewidmeten Ehrentafelgedacht. Im Juni 1919 unterbreitete der ATV „Vorwärts“ derGermania ein Vereinigungsangebot. Es fehlte jedoch an Überzeu-gung und man lehnte ab. Kurze Zeit später wurde die Halle infolgeschwerer wirtschaftlicher Zeiten Besitz des Unternehmens, der Fa.E. Kern. Um eine neue Turnhalle zu erhalten wurde mit den TV 1860am 27.8.1919 eine Einigung getroffen. Die Germania siedelte in dieHalle des TV 1860 über. Am 15.11.1922 forderten die 1860er eineErklärung zur Verschmelzung. Andernfalls habe die Germania am1.12.1922 die Halle zu verlassen.Dieses wurde in der Versammlung abgelehnt. Der Stadtrat undverschiedene Ausschüsse lehnten die Gesuche des TV Germaniaum Überlassung der Schulturnhalle mehrheitlich ab.Am 12.01.1923 genehmigte die Hauptversammlung einstimmigden Kauf des Schützenplatzes mit der Schießhalle von der Fa.Gebrüder Dietrich.

In der am 17.2.1923 außerordentlichen Hauptversammlung wurdeeinstimmig der Turnhallenbau beschlossen. Der Bau begann am3.5.1923 und bereits am 8.6.1923 war Bauhebe.Die Weihe fand am 30.6.und 1.7. 1923 unter reger Beteiligung statt.Das Kennwort „Besitz verpflichtet“ waren die Mitglieder ein einge-schworenes Team und gelobten sich die Treue.Dieses Eigentum ermöglichte dem Verein einen schnellen Aufstieg.Erwähnenswert ist, dass unter der Leitung von Gustav Quarg eineKinderabteilung, Turnerinnenabteilung und eine Frauenabteilungihre Wiederauferstehung feiern konnten. Der 29. und 30.8.1925 standen unter den 25-jährigen Vereinsbe-stehen. Alle turnfreudigen Kreise nahmen regen Anteil amJubiläum.

Der Verein Germania trat gemeinsam mit dem 23. Mittelmuldengauaus dem Deutschen Turnerbund aus und trat im Januar 1930 demJahnbund bei.Die Turner des TV Germania nutzten diese Turnhalle bis Ende1945. Unter der russischen Besatzung zog die MAS (Maschi-nenausleihstation), später die MTS (Maschinen- und Traktorensta-tion) ein. Damit war wohl eine große Fusion begründet, die Sport-vereinigung. Diese fand ihre Heimstatt in der großen Turnhalle inder Altenburger Straße.Zum Abschluss sei noch bemerkt, das herausragendste Ereignisaller Lunzenauer Turnvereine war aber der Sieg des damals 1.Turnwarts Fritz Müller. Zum 14. Deutschen Turnfest in Köln holte erim 12-Kampf den Sieg nach Lunzenau. So verewigte er seinenNamen für immer in der Turngeschichte unserer Heimatstadt.

Die Eckdaten sind aus der Festschrift zum Heimatfest 1933entnommen. Fotos, Tafellieder und Reproduktionen sowie diverserSchriftverkehr sind in meinem Besitz.

Erinnerungen an die SchulzeitGedicht von Karl-Heinz Scheibner - Saarland

Nicht allein das ABCbringt den Menschen in die Höh´.Nicht allein im Schreiben, Lesenübt sich ein vernünftig Wesen.

Nicht allein in Rechnungssachenmuss der Mensch sich Mühe machen.Sondern auch der Weisheit Lehren,muss man mit Vergnügen hören.

Damit das auch bei uns geschah,war der Lehrer Anton Kuhnert da.Mit weißen Strümpfen und in Lederhose,stellte er sich uns in Pose.

Ehe wir mit lernen tun beginnen,woll´n wir erst ein Liedchen singen.Nahm die Geige in die Hand,doch sie wollt nicht richtig klingen.

Drum begann er sie minutenlang zu stimmen.Wir freuten uns dabei,denn eins - zwei - drei,die erste Stunde war vorbei.

So vergingen Stunden - Wochen - Jahre.Für viele war das Lernen auch nicht grad das Wahre.Diese Zeit, die kann man nicht vergessen,denn der Hungernde, denkt nur ans Essen.

Die Hungerjahre 46 - 47 - 48 gingen auch vorbei.Doch halt, noch andere Lehrer waren auch dabei.

Schuldirektor Grünert, er war streng aber gerecht.Im Grunde genommen alles andere als schlecht.Er hatte eine unendliche Geduld.Wer bei ihm nichts lernte, der war selber schuld.

Das Fräulein Heisesprach sehr laut und selten leise.Sie sagte es uns ganz direkt,wir hätten alle keinen Respekt.

Das Fräulein Bogner war sehr forsch,ihr Sprechorgan - wie Meier Schorsch.

Herr Meister: Der war sehr beliebt,weil´s solche Lehrer selten gibt.Die Art und Weise, wie er lehrte,gute Noten uns bescherte.

Herr Scheibe: Mit Brechstange und zack - zackbelehrte uns den ganzen Tag.Rot war er, wie ein Radieschen in der Sonne.Für Ulbricht, Pieck und Co - ´ne Wonne.

Herr Luft: Er liebte Kinder und war angenehm.Drum war der Unterricht bei ihm sehr schön.Herr Maidorn: Er war unser Russischlehrer.Für dieses Fach gab´s leider wenig Verehrer.

Turnhalle am Joppenberg in Oberreichenbach, erbaut 1901

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Mein liebes Hohenkirchen! Werner Nitzsche - Rochlitz

Ich erinnere mich gern an meine Jugendzeit in Hohenkirchen. Eswar eine glückliche Zeit ohne Computer und anderen Zwängen.Wir sind alle groß geworden und jeder hat seinen Lebenswegeingeschlagen. Ich meine damit die Jugendlichen von Hohenkir-chen, die Mädchen und Jungen. Unser polytechnischer Unterrichtfand in dem Langgrund, dem Eichberg und in der Cossener Sand-grube statt. Gemeinsam sind wir an den Wochenenden mit großerErwartung in das Kino nach Lunzenau gegangen, nicht ohne eineRunde Billard bei „Börner Max“ zu spielen. Nach unserem Schul-abschluss sind wir dann alle auseinander getrifftet. Einige zu derOberschule um zu studieren und die anderen in die Lehre. Nacherfolgreichem Abschluss war die unbeschwerte Jugendzeit vorü-ber. Zu den Tanzvergnügen bei Heyer`s in Cossen, es wurde nochrichtig zu der Musik einer Kapelle getanzt, haben die meisten vonuns ihre Frau fürs Leben gefunden. Somit haben wir uns für viele

Jahre aus dem Augen verloren. Dank einer Initiative von VolkmarWeigelt und Georg Brücher wird das Hohenkirchener-Treffen seit1996 zelebriert. Alle fünf Jahre trifft sich die ehemalige Rasselban-de in einer Lokalität und da gibt es immer viel zu erzählen. Leider,aber das ist nun einmal so, gibt es unter uns bereits auch Sterbe-fälle zu beklagen. Aber gerade deshalb hat das Treffen immerwieder einen hohen Stellenwert. Aber nun nochmal zurück. In denvierziger Jahren in die Schule gekommen und drei Jahre die Dorf-schule in Oberhohenkirchen besucht. Sommer wie Winter 2-3 Kilo-meter Schulweg. Es gab noch keinen Schulbus und auch nochkeine Schulspeisung. Hunger war unser ständiger Begleiter. Dasschwarze Brötchen, welches von der Gemeinde gesponsert, warnur ein Tropfen auf dem heißen Stein. So war es auch kein Wunder,dass wir Schulkinder den Obstpächter nicht als Freunde hatten. Abdem vierten Schuljahr ging es dann nach Lunzenau in die Schule.Der überwiegende Teil von uns Schülern hatte einen Achtklassen-abschluss, denn das war damals ganz normal. Die mittlere Reifesteckte in den Kinderschuhen und wurde gerade erst eingeführt.Vor meinem Artikel „Mein liebes Hohenkirchen“ ist ein Gedichtüber unsere Schulzeit zu lesen. Der Karle wird es mir verzeihen. Erhat nämlich eine poetische Ader und das Vergangene sehr schön inVerse verpackt. Ich wohne seit 1964 in Rochlitz. In dem damaligenBetrieb „Stern-Radio“ habe ich eine dreijährige Lehre als Mechani-ker beendet. Heute muss ich feststellen, dass ich es nicht bereuthabe, denn ich konnte 45 Jahre Tätigkeit in meinem Fach nachwei-sen. Bei Kurt Münzner bin ich damals in die AWG aufgenommenworden. In dem Haus, wo ich heute noch wohne, wird zu gegebe-nem Anlass oft von und über Lunzenau gesprochen. Hier wohnenüberwiegend ehemalige Lunzenauer und Göritzhainer, die inRochlitz auch ihre Arbeit gefunden hatten. Wenn ich nach Lunzen-au komme und das des Öfteren, werde ich immer mit Wehmut andie vergangene Zeit erinnert. Es gibt keinen Bahnhof in dem Sinnemehr. Der ehemalige Bahnhof Lunzenau wurde auf Hohenkirche-

ner Flur gebaut. Mein Großvater hat mir immer davon erzählt wiedieses Geschäft zustande gekommen ist, um dem Bahnhof denNamen von Lunzenau zu geben. Es gibt keine Strumpffabrik bzw.Texturseide mehr, welche mit der größte Arbeitgeber der Regionwar. Es gibt viele andere Fabriken wie die Möbelstoffweberei, dieSchuh- und Mützenfabrik und auch die Molkerei nicht mehr. EineTräne muss ich mir immer zerdrücken, wenn ich an das ehemali-ge Freibad denke. Dort haben wir die schönste Zeit in unsererJugend zugebracht. Gerhard Dost hat uns das Schwimmen richtigbeigebracht. Wir konnten nur hundepaddeln, denn wir sind an derMulde groß geworden. Er war auch die maßgebende Person,heute nennt man sie Trainer, welche auch die Sektion Schwimmenund Wasserball in das Leben gerufen hatte. Ich denke gerne an dieZeit zurück und an mein liebes Hohenkirchen. In alter Frische undbis zu dem nächsten Mal!

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Jeder Junge braucht ein Vorbild - ich hatte eins!Michael Erth - Berchtesgaden

Ihm habe ich viel zu verdanken, und mitsehr hoher Wahrscheinlichkeit sind er undder etwas ältere Manfred Otto die personi-fizierten Gründe dafür, dass ich späterSportlehrer wurde.Aber ich möchte der Reihe nach erzählen.Wir waren in der achten Klasse, als KlausBöttger in der Oberschule Lunzenau seineTätigkeit als Sportlehrer aufnahm. Schuleund Unterricht gehörten in jenen Jahrennicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen,aber ich hatte immer gern Sportunterricht,turnte am liebsten an den Geräten, und inden leichtathletischen Disziplinen war ichauch nicht ganz schlecht, kurz: Ich hattekeine Mühe, auf den Halbjahreszeugnissenund zum Jahresende eine gute mituntersogar eine sehr gute Zensur zu bekommen.An Ballspielen hatte ich weniger Interesse,und das widerspiegelte sich auch inmeinen Leistungen. Manfred Otto, der indieser Zeit unser Sportlehrer war, gab mirdas auch deutlich zu verstehen.Er war es aber auch, der mir sagte, dassHerr Böttger eine Trainingsgruppe aufbau-en wolle und dass ich mich doch am Abendmit einfinden könne, wenn ich dies vonmeinen Eltern aus dürfe. Ich fragte nachund durfte.Von nun an ging ich zweimal in der Wochezum Training in die Turnhalle in der Pesta-lozzistraße. Ich traf auf Mitschüler, die ichkannte, zum Beispiel Günther Graichen,Horst Ruschke und Christian Kaden, aberauch auf Ältere, zu denen Gerhard Volk-mer, Christoph Gräfe und Achim Wernergehörten. Es faszinierte mich, dass ich mitden Älteren im Training auf gleicher Stufestand, und vor allem, dass ich zu unseremTrainer, der am Vormittag Lehrer in meinerSchule war, abends im Training Du sagendurfte. Für mich als Heranwachsenden wardas eine tolle Zeit, für das Turnen hätte ichalles gegeben, wie man so sagt. Und wenndas abendliche Training in einer Wochedoch einmal nicht stattfinden konnte, dannwar das eine Sch…woche. So wechseltenTrainingswochen mit Wettkämpfen, andenen wir selbstverständlich auch teilnah-men. Klaus knüpfte Verbindungen, organi-sierte Wettkampfpartner und die Fahrtennach Leipzig, Freiberg und Berlin. Ichbewunderte ihn, weil es für ihn kaum

Hindernisse zu geben schien und weil er füralle organisatorischen Probleme eine fürdie meisten akzeptable Lösung fand. Mitden Geringswalder Turnern verband unseine enge Freundschaft, und neue Sport-freunde waren zu uns gekommen, zumBeispiel Jürgen Renner und WolfgangBrückner und Frank Liebschner aus Penig.So vergingen einige Jahre, in denen Klausuns in jeder Situation voran ging und dabeiim privaten Bereich manches zurück stell-te, wie wir immer wieder sehen konntenund manchmal gar nicht verstanden, dasser die Sektion Turnen vor alles andere stell-te. Aber nicht immer lief alles glatt.Ich erinnere mich an einen Trainingsabendin der Schulturnhalle, als einige, so auchKlaus, einen schwierigen Salto von einemFedersprungbrett aus übten, um mit denHänden voraus auf der Matte zu landenund abzurollen. Der Sprung misslang, undKlaus schlug mit dem Gesicht auf denBoden. Der schnell herbeigerufene Arztdiagnostizierte eine wahrscheinlicheWirbelsäulenverletzung, die letztlich auchbestätigt wurde, und ließ eine Gruppebetreten und hilflos dreinblickender Trai-ningskameraden zurück.Klaus wurde abtransportiert, lag wochen-lang im Krankenhaus in einer Gipsschale,die die Funktion hatte, die Wirbelsäule zustützen und die Heilung zu ermöglichen.Später, in einer Zeit, die andere noch fürihre vollständige Genesung genutzt hätten,saß er wieder auf seiner RT 125, einemMotorrad aus dem MZ-Werk Zschopau,und organisierte Training und Wettkämpfe.Das machte einen tiefen Eindruck auf michund imponierte mir.

So wie jeder Junge in diesem Alter einVorbild braucht, hatte ich eins - das war er!

Wenn ich heute über diese Zeit mit denTurnerinnen und Turnern und derenAngehörigen nachdenke, wird mir bewusst,dass unser Tun Vereinsleben war, wie manes heute in den unterschiedlichsten Verei-nen findet, wie es aber in jenen Zeiten eherunüblich war. Sogar unseren Urlaub habenwir mehrere Jahre mit unseren Zelten undallen Turngeräten - als Trainingslager dekla-riert - gemeinsam verbracht.

Jetzt bin ich fast siebzig, gehöre als Mitgliedzum TSV Berchtesgaden und bin einmal inder Woche mit Frauen und Männern meinesAlters in der Turnhalle und danach in derörtlichen Watzmann-Therme zum Schwim-men. Wettkämpfe sind für uns kein Thema -vielmehr sind desolate Lendenwirbelsäulen,kranke Gelenke und andere rehabilitations-würdige Krankheiten Gegenstand unserersportlichen Anstrengungen.Mögen die Unterschiede zwischen demLeben in der Sektion Turnen der BSG „Fort-schritt“ und heute noch so groß sein - imWesen war und ist unser Tun gleich.Früher hatten wir es für uns zur Regelgemacht, Sportfreunden zum Geburtstagzu gratulieren oder auch Polterabende mitunserer Anwesenheit zu „bereichern“. Nichtimmer waren wir die ersten, die da waren,aber dafür immer die letzten, die den Heim-weg antraten. Noch heute tut es mir einbisschen Leid, dass ich den Termin unsererHochzeit vor meinen ehemaligen Sport-freunden so eisern verschwiegen habe. EinWort an Achim Werner hätte sicher genügt,und es wäre bestimmt auch in Göritzhainrecht lustig geworden.Unzählige Episoden wären noch erzählens-wert, und in den allermeisten Fällen warKlaus als Initiator beteiligt. Ich denke, ohne ihn hätte es das Leben inder Sektion Turnen in Lunzenau in dieserForm nicht gegeben.Als ich, bereits in Berchtesgaden wohnend,von meiner Schwester erfuhr, dass KlausBöttger nicht mehr unter den Lebendenweilt, war ich tief betroffen. In meinen Erin-nerungen hat er für immer bleibendeSpuren hinterlassen, weil er mich - nebenvielen anderen Menschen - mit geprägt hat.

Michael Erth (links) und Klaus Böttger (rechts)

Frauenmannschaft um 1960

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Das Heimatblatt auch im Internet: www.lunzenau.de

Alle Wege führen nach Lunzenau …Rolf Hortenbach - Freiberg

Nach einem Schlaganfall meiner Mutter, der zum Glück ohneschwere Folgen blieb, wurde mir nachdrücklich vor Augen geführt,daß es Zeit ist, noch etwas über die Welt der eigenen Kindheit inErfahrung zu bringen und aufzuschreiben - solange nochMenschen da sind, die man fragen kann.Ich wurde 1944 in Himmelhartha geboren, das jetzt ein Ortsteil vonLunzenau ist. Meine Mutter Erika Hortenbach, geb. Enghardt, diein diesem Jahr ihren 90. Geburtstag feiert, war damals Verkäuferinim Modegeschäft THEO LANGE. Mein Vater, Kurt Hortenbach,hatte bei SCHULZ WILLY Tischler gelernt, dann wurde er zumArbeitsdienst eingezogen und danach zum Wehrdienst. Es folgteamerikanische Kriegsgefangenschaft, von der er ähnliche Dingeberichtete, wie sie GERT HORTENBACH im vorigen Jahr in seinemBeitrag „Der geplante Tod - Erlebnisse eines Lunzenauers“ vonHILMAR HORTENBACH berichtete. Mein Vater hatte nur mehrGlück - er kam eher nach Hause und konnte bald wieder als Tisch-ler in Lunzenau arbeiten.Von direkten Kriegseinwirkungen blieb Himmelhartha zwarverschont, die Bomber-Angriffe auf Dresden und Chemnitz undTiefflieger blieben den Menschen aber auch dort für immer in Erin-nerung. Das unmittelbare Ende des Krieges erlebten die Einwoh-ner von Himmelhartha in Form des Vorbeimarsches von amerika-nischen Panzern durch Corba in Richtung Wechselburg, voran einPanzer mit einem besonders langen Rohr. Eine Nachbarin setztesich sicherheitshalber auf das Dach ihres Hauses und schwenkteein weißes Bettlaken. Etwas später gab es einen mächtigen Krach,die Fenster klappten zu, einige verrückte „Verteidiger“ hatten dieBrücke in Wechselburg gesprengt - die Panzer zogen auf anderenStraßen weiter.Nach dem Krieg war Lunzenau das wichtigste „kulturelle Zentrum“für uns. Dort arbeitete der Vater - die Tischlerei war für einenJungen etwas Tolles! Dort war auch der Arzt - Dr. LANGOWSKY.Dort sah ich etwas später meinen ersten Kinofilm - einen farbigenZeichentrickfilm von einer Wunderblume. Vor allem aber war dortim Herbst Rummel. Vor dem Besuch wurde die LunzenauerVerwandtschaft abgeklappert - da bekam man 10 Pfennig oder 20Pfennig Taschengeld. Das beste war die Reitschule Schittof aufdem Mendelssohnplatz, ein Karussell, das sehr lange lief, weil sichder Inhaber im benachbarten Gasthof stärken mußte ...Der Weg nach Lunzenau wurde zu Fuß zurückgelegt: bei schönemWetter den „Buttermilchsweg“ entlang, über Feldwege an Schlais-dorf und dem Kugelbaum vorbei; bei schlechtem Wetter überGöhren oder auch die langweilige Landstraße über den Biesig.An einem strengen Wintertag lief den ganzen Weg ein Fuchs hinterdem Schlitten her - in der Tasche war vom Fleischer eine Wurst, injenen Zeiten wohl auch für einen Fuchs etwas ganz besonderes.Himmelhartha liegt in der Landschaft gegenüber Lunzenau relativhoch - geologisch liegt es auf dem Schiefermantel des Granulitge-biges. Bei günstigem Wetter hat man eine weite Aussicht - manch-mal bis zum Fichtelberg. Richtung Altenburg konnte man zuAnfang der fünfziger Jahre etwas besonderes, damals völligneues beobachten: Flugzeuge mit Kondensstreifen. Die Älterenklärten uns auf „das sin`die Dieseljäscher von den Russen“. AuchÜbungen von Fallschirmjägern konnte man am Horizont beobach-ten.Mein Großvater Arno Enghardt hatte zeitweise in einem Steinbruchgearbeitet, war Invalidenrenter und hatte Zeit für mich. Er zeigteund erklärte mir vieles in der Natur, auch was ein Schiefer, ein

Porphyr oder ein Granulit ist. Das weckte in mir das Interesse fürdie Welt der Steine. Als Anfang der fünfziger Jahre die erstenStraßen und Wege wieder ausgebessert wurden, verwendete mandazu in unserer Region meist Kiessand, bevorzugt aus dem Peni-ger Raum. In den weißen Kiesen steckten ab und zu fliederfarbeneGerölle, die wir als Kinder aufsammelten. Später erfuhr ich, daß esAmethystgerölle waren und die Kiese einem tertiären LUNZENAU-ER FLUSS zugeordnet werden. Diese „Ur-Mulde“ hat die Ame-thystgerölle vor der Eintiefung der jetzigen Täler aus dem Erzge-birge über Lunzenau und Penig in den Raum Altenburg transpor-tiert.All` das führte wohl dazu, daß ich später Geologe werden wollteund auch im Berufsleben mit Sandgruben, Steinbrüchen und dendazugehörigen Betrieben zu tun hatte. Das Arbeitsgebiet bliebweitgehend auf dem Raum Sachsen beschränkte - die „großeWelt“ blieb für die meisten DDR-Bürger unerreichbar.So vergingen die Jahre. Erst viel später kam ich wieder häufigernach Himmelhartha und Umgebung. Nach dem Tode des Vatershalfen wir der Mutter, ihr „Wochenendhaus“ in Himmelhartha inOrdnung zu halten.Nach der Wende veränderte sich im Großen wie im Kleinen vieles.Ein Arbeitskollege in meiner neuen Arbeitsstelle, Herr ROLFWINDISCH und ein Namensvetter, Herr Dr. JÜRGEN HORTEN-BACH aus Rheinbach bei Bonn, sprachen mich bezüglich desFamiliennamens und meiner Herkunft an. Ich konnte damals nichtviel dazu sagen. Neben Arbeit und Familie blieb nicht viel Zeit.Erst als Rentner begann ich, mich stärker für die Geschichte derHeimat und der Kinderzeit zu interessieren. Den wichtigstenImpuls aber gab das zu Beginn geschilderte Ereignis. Dabei halfenmir auch Computer und Internet. Dankenswert ist für alle „in derFerne“ die Veröffentlichung des LUNZENAUER HEIMATBLATTESim Internet.In dieser Zeit nahm ich auch wieder Verbindung zu den Menschenauf, die mich schon vor Jahren zur Suche nach den Vorfahrenanregen wollten. Herr ROLF WINDISCH gab mir viele Hinweise,wie man die Spuren seiner Vorfahren findet. Die Gepräche mit ihmergaben außerdem, daß er gegen Kriegsende einige Jahre inLunzenau verbracht hatte. In den Kirchenbüchern von Lunzenauund Hohenkirchen fand ich so viele HORTENBACHs, daß ich bisheute nicht alle zuordnen kann.Es wurde auch deutlich, daß die aufkommende Textilindustriemeine ursprünglich in Göritzhain ansässigen Vorfahren nachLunzenau geführt hatte. Später folgten einige der sich entwickeln-den Industrie in den Raum Limbach/Chemnitz. Von diesen stammtmein Namensvetter Dr. JÜRGEN HORTENBACH ab. Unsergemeinsamer Vorfahre ist ein JOHANN CHRISTLIEB HORTEN-BACH aus Göritzhain. Auf die HORTENBACHs aus Göritzhain undLunzenau ist ein goßer Teil der heute lebenden Familien diesesNamens zurückzuführen.Die Suche nach den Vorfahren führt mich auch immer wieder mitVerwandten zusammen, von denen ich seit Jahrzehnten nichtsgehört habe. Neben den Fakten zur Familiengeschichte ergebensich viele Hinweise und Geschichten, ohne die die „Ahnenfor-schung“ nur eine trockene Angelegenheit wäre.Ich möchte deshalb alle ermutigen, wenn etwas Zeit bleibt, sichmit der Heimatgeschichte und Familiengeschichte zu beschäftigen- es ist ein Gewinn! Gleichzeitig möchte ich allen Lunzenauerndanken, die mir bei meiner Suche geholfen haben.

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Meine Zeit im WaldgutLothar Wiedemuth - Schwarzbach

Wenn man heute vomWaldgut spricht, welcheszwischen Obergräfenhainund Delitzsch am Waldrandliegt, denkt man oftmals andie schönen Bungalows,die dort stehen. Meine Gedanken gehenzurück bis zum Jahr 1947,als davon noch keine Redewar. Mein Vater war damalsgerade aus der Gefangen-schaft nach Oberelsdorfzurückgekehrt, wo ich mitmeinen zweieinhalb Jahrenals jüngstes Kind mit meinerMutter und meinen beidenSchwestern Erika (16), und

Brigitte (12) im elterlichen Haus meiner Mutter wohnte. Mein Vaterhatte keine Arbeit und die Ernährung war mangelhaft zu dieserZeit. Aus diesem Grund beschlossen meine Eltern - überredet vondem vorherigen Besitzer, einem Cousin , und im guten Glauben aneine bessere Zukunft für uns alle - ihr Haus gegen das Waldgut zutauschen, obwohl mein Vater kein Landwirt sondern gelernterSchuhmacher war. Dass der Plan nicht aufging, merkten sie erst später. Wir zogenalso im Sommer 1947 ins Waldgut - abgeschnitten vom Dorfleben,ohne Elektrizität und fließendem Wasser. Das einzige, was wirhatten, waren Petroleumlampen zur Beleuchtung. Das gesamteGut bestand aus dem Wohnhaus mit angebautem Stall, einerScheune, und ca. 12 Hektar dazugehörigem Land, aufgeteilt inWiesen und Felder mit zum Teil sehr schlechtem Boden. Ich denkeda speziell an den sogenannten Schieferberg hinter dem Haus, aufdem jetzt die meisten Bungalows stehen. Damals war er komplettin das Abgabensoll eingerechnet, obwohl keine Erträge auf demschiefrigen Boden zu erreichen waren. Die Geräte und Maschinenzur Bearbeitung der Felder ließen zu wünschen übrig und erleich-terten die mühevolle Arbeit, die allein auf meinen Eltern lastete,nicht wesentlich. Wir hatten nur ein Pferd - einen Schimmel - zurBearbeitung der Felder. Meine Eltern nahmen mich oft mit, und ichmusste am Waldrand spielen während sie arbeiteten. Auf demHeimweg durfte ich, sofern es möglich war, auf dem Schimmelreiten oder mit dem Pferdewagen mitfahren. Im Stall standenaußerdem noch eine Kuh, eine Ziege, mehrere Schweine, Gänse,und Hühner, von denen oft welche vom Habicht geholt wurden.Es war im Nachhinein betrachtet für uns alle eine einsame, undgerade für meine Eltern, eine harte Zeit. Die ungewohnten Zustän-de waren für alle nicht leicht ertragbar. Meine Mutter konnte sichschwer daran gewöhnen, vom Dorfleben abgeschnitten zu seinund fürchtete sich anfangs sehr. Selbst mein Vater konnte sie nichtberuhigen. So legte sie die erste Zeit beim Schlafengehen eine Axtneben ihr Bett, um gegen Einbrecher gewappnet zu sein. Der klei-ne Mischlingshund nämlich, den wir von Oberelsdorf mitgebrachthatten, bellte zwar, wenn jemand kam, aber ansonsten war er einFeigling. Deshalb bewegte es meinen Vater dazu, einen scharfenWachhund zu besorgen. Es war ein Schäferhund namens Troll.Beide Hunde waren meine einzigen Spielgefährten und Freunde,denn Kinder hatte ich ja keine zum Spielen. Troll war wirklich einscharfer Hund! Meine Eltern schoben ihm die ersten 14 Tage dasFressen mit der Stange zur Hütte. Nur mich ließ er von Anfang an inseine Hütte und meine Eltern bekamen Angstzustände, die sichaber bald legten. Später mussten sich nur Fremde in Acht nehmen.Eines Tages hörten wir ein lautes Rufen aus der Richtung desWeges, der zu unserem Haus führte. Als meine Eltern nachschau-ten, saß der Briefträger auf einem der Pflaumenbäume am Weg -

das Fahrrad an den Baum gelehnt und Troll davor. Er hatte sichgerade noch in Sicherheit bringen können und war nun damitbeschäftigt, zu rufen: „Sperrt den Hund ein!“. Dies geschah dannauch und er konnte den Baum wieder unversehrt verlassen. Außersolchen kleinen Anekdoten gab es kaum Abwechslung im Wald-gut. Die Tage meiner Eltern waren von viel Arbeit und der Sorgeums Überleben geprägt; denn nach Abgabe des staatlich verord-neten Solls blieb nicht mehr viel für uns übrig. Schwester Brigitteging nach Obergräfenhain zur Schule, ein Weg von ungefähr2,5 km pro Strecke, den sie zurückzulegen hatte und der gerade imWinter zur Belastung wurde, wenn es geschneit hatte - denn zuuns kam kein Schneepflug. Erika ging genau in die andere Rich-tung; sie lief auf einem schmalen Pfad im Wald über Delitzsch nachNarsdorf zum Bahnhof, um von dort mit der Bahn nach Burgstädtzur Arbeit zu gelangen. In den Wintermonaten schaffte meineMutter sie mit Petroleumlampe und in Begleitung von Troll, dernicht von ihrer Seite wich, durch den Wald und holte sie abendsauch wieder ab. Ich kann mich noch erinnern, dass Erika mir einesTages einen Stundenlutscher mitbrachte - so einen langenBonbon hatte ich zuvor noch nie gesehen. In der verbleibendenFreizeit meiner Schwestern halfen sie meinen Eltern bei der Arbeit.Indessen dehnte ich meine Streifzüge immer weiter in den Waldaus, begleitet von unserem Mischlingshund Flocki, und sammelteim Sommer Pilze, die für unsere Speisekarte eine Bereicherungwaren. Die Milch unserer Kuh brachte mein Vater mit einem kleinenHandwagen zur Rampe in Obergräfenhain. Ab und zu „zwackte“meine Mutter ein paar Liter ab um heimlich für uns zu buttern. Siekochte Zuckerrüben zu Sirup und dann gab es sonntags Sirupsku-chen - was ein Genuss war! In den Wintermonaten beobachtetenwir oft vom Fenster aus Rehe oder Hasen am Waldrand. Und unse-re Eltern hatten auch mehr Zeit für uns. Nach dem ersten Winter wurde mein Vater krank; er bekam Rheu-ma. Die Belastungen für meine Mutter wurden demzufolge immergrößer. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich im folgen-den Jahr immer mehr. Es kamen andere Krankheiten hinzu, sodasssich meine Eltern dazu entschlossen, das Gut zu verkaufen. EinKäufer war gefunden und wir zogen Ende 1949 nach Lunzenau indie Schulstraße zu Meiers zur Miete. In der Nachbarschaft gab esviele Kinder und ich bekam endlich Spielgefährten und Freunde.Meine Mutter fand Arbeit in der Möbelstoffnäherei. Im Juli 1951starb mein Vater. Im September des gleichen Jahres kam ich zurSchule in Lunzenau.Im Nachhinein erfuhr ich, dass der neue Besitzer des Waldguts zurStromerzeugung zuerst ein Notstromaggregat mitgebracht hatteund später auf eigene Kosten Masten für einen Elektroanschlusssetzen ließ.

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Leben auf dem Bauernhof, wie es früher warvon Erhard Zschage - Chemnitz

Die meisten jungen Menschen von heute kennen Nahrungsmittelnur noch vom Supermarkt. Wo Brot und Butter, Fleisch und Wursteigentlich ihren Ursprung haben, wissen die wenigsten aus eigenerAnschauung. Höchstens vielleicht, wenn bei Autofahrten dieStaubfahne eines Mähdrescher anzeigt das es wohl Zeit für dieGetreideernte ist oder im Fernsehen Kühe, Schweine und Hühneraus der Massentierhaltung vorgeführt werden.Früher waren die Menschen viel stärker mit der Landwirtschaftverbunden, vor allem natürlich auf dem Dorf. Heute ist das nichtmehr so. Ackerbau und Viehzucht finden in den meisten Dörfernkaum noch sichtbar statt. Im Hohenkirchner Oberdorf, wo ichaufgewachsen bin, muht keine einzige Kuh im Stall, keine Schwei-ne grunzen im Koben, kein Pferd scharrt mit den Hufen. Dafürstehen in den Ställen jetzt Autos. Nur Hühner, Gänse und Entengibt es noch und einige Schafe zum Kurzhalten des Rasens in denObstgärten. Auf der Dorfstrasse, die längst asphaltiert ist, holpernkeine eisenbereiften Pferdewagen entlang. Ruhe, Stille, keinBauernleben mehr im Dorf. Die Felder bewirtschaftet jetzt aus derFerne ein Agrargroßbetrieb mit modernster Landtechnik. Und dasmit hoher Produktivität. Gerade, weil sich in der einst bäuerlichen Landwirtschaft so vielverändert hat, ist es notwendig und richtig für jetzige und künftigeGenerationen festzuhalten, wie in früheren Zeiten des Volkes Broterzeugt wurde. Schon mehrmals sind im Heimatblatt darüber ausberufenem Munde interessante Beiträge erschienen. Ich möchteaus eigenem Erleben berichten, wie es einstmals im BauerndorfHohenkirchen war. Unter einstmals meine ich die Zeit vor rundsechzig Jahren, vor der LPG-Zeit, als die „werktätigen Bauern“noch selbständig wirtschaften durften.Also so war es damals: Im Sommer halb fünf, im Winter halb sechsklopfte es an meine Schlafkammertür: „Es ist Zeit!“

brauchten Zeit zum Fressen und etwas Ruhe. Dann wieder mit demGespann aufs Feld bis gegen 18 Uhr. Aber das war noch nicht derFeierabend. Anschließend noch mal zwei Stunden Stallarbeit.Wann dann die Zeit fürs Abendbrot herangekommen war, lässtsich leicht ausrechnen. Zuerst die Tiere, dann der Mensch - eineungeschriebene bäuerliche Gesetzmäßigkeit.In einer Veröffentlichung über die Geschichte der Landwirtschafthabe ich den Satz gelesen: Beim ersten Hahnenschrei aufstehenund solange schuften, bis die Sonne untergeht.Arbeitserleichterung hat der zunehmende Einsatz von Maschinengebracht.

Kartoffeln aufsammeln

Haferernte mit dem Mähbinder

Heumahd mit Sense

Als erstes wurde den beiden Pferden ein Futter in die Krippegeschüttet, später ein zweites Mal, bestehend aus einem Gemischaus gequetschten Hafer und Häcksel. Dann Kuhstall ausmisten,frisches Stroh einstreuen, Kühe melken, im Sommer Grünfuttervom Feld holen, im Winter Rüben und Heu aus Keller und Scheuneherbei schaffen und den Tieren das Futter vorlegen. Die Schweineverlangten ein besonderes Futter aus Getreideschrot und Quetsch-kartoffeln. Die Pferde mussten getränkt werden und nicht zuvergessen, sie wurden auch täglich gestriegelt und gebürstet. Mitstruppigem Fell durch die Gegend fahren vertrug sich schlecht mitder Bauernehre. Dann endlich, gegen halb acht konnte ich mich zum Frühstück daserste Mal hinsetzen. Anschließend wurde angespannt und hinauszur Feldarbeit gefahren. Mittags zwei Stunden Pause, die Pferde

Wie sah es nun zu dieser Zeit, also um 1950, mit der Landtechnikin Hohenkirchen aus? Als Zugkraft hatten wir nur Pferde, Ochsenoder Kühe hat keiner der zehn Bauern im Oberdorf vor den Pfluggespannt. Einen Traktor besaß niemand. Man muß dazu erwähnen,dass die gesamte von den Hohenkirchner Bauern bewirtschafteteFläche nur rund 100 Hektar ausmachte. Es gab einen Einspännerim Dorf, alle anderen hatten zwei Gäule im Stall stehen, also wennman so will, zwei PS vor Wagen und Pflug. Zum Vergleich: Die Traktoren von heute haben angefangen bei 15PS bis über 200 Pferdestärken unter der Haube!Gepflügt wurde mit dem einscharigen Karrenpflug, mehr schafftendie zwei PS nicht. Ein Traktor hat jetzt bis zu acht Pflugschare anseinem Hinterteil hängen, erreicht also die achtfache Arbeitsbreite.Für die Bodenbearbeitung gab es eiserne Grubber, Eggen undWalzen. Der Mineraldünger wurde mit der Hand aus der Dünger-mulde vorm Bauch auf den Acker gestreut, in den fünfziger Jahrenwaren mechanische, gespanngezogene Düngerstreuer in meiner

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Erinnerung in Hohenkirchen noch kaum vorhanden. Aber dieSämaschine für das Ausbringen der Saat war schon länger imGebrauch. Das ist deshalb besonders erwähnenswert, weil Jahr-hunderte lang die Saatkörner vom Landmann mit der Hand ausge-streut worden sind. Und es gab auch schon längst Erntemaschinenin Form von Grasmähern und Getreidemähbindern. Mit der Hand-Sense mussten nur noch bergige Wiesen gemäht werden, wo einEinsatz der Maschinen kaum möglich war. In der Getreideerntehaben wir nur den langhalmigen Roggen, das „Korn“, noch mit derMähmaschine ins Schwad gelegt, mit der Hand abgerafft undgebunden. Die Mahd von Gerste, Hafer und Weizen erfolgte mitdem „Binder“. Die Garben wurden zum Nachtrocknen in „Puppen“aufgestellt und nach etwa einer Woche in die Scheune eingefahrenund eingebanst. Einst musste das Getreide dann mit dem Dresch-flegel ausgedroschen werden, aber diese mühsame und anstren-gende Winterarbeit erledigte nun schon länger die Dreschmaschi-ne. Diese schlägt die Körner aus den Ähren heraus und trennt auchSpreu und Stroh vom Korn. Angetrieben wurde sie anfangs mitdem Pferde-Göpel und später durch den Elektromotor. Bereits seit1898 gab es in Lunzenau ein Elektrizitätswerk und im Jahr 1911war Hohenkirchen an das Lunzenauer Stromnetz angeschlossenworden. Das war ein einschneidender Fortschritt. Er machte untervielen anderen auch die Anschaffung von Melkmaschinen möglich,denn das Melken von Hand will gelernt sein und ist für die Hand-und Armmuskeln eine anstrengende Angelegenheit. Für die Kartoffelernte wurden die Dämme nicht mehr nur auseinan-der gepflügt, sondern der Schleuderradroder kam zum Einsatz,der die Knollen ein bis zwei Meter aus dem Damm warf. DasAufsammeln war dadurch erleichtert, erfolgte aber immer noch mitden Händen bei gebückten und bald schmerzenden Rücken. Auch die Futter- und Zuckerrübenernte war anstrengende Handar-beit. Zuerst musste mit scharfer Klinge das Kraut abgeschnittenwerden. Mit dem Rodespaten wurden die Rüben aus der Erdegehoben und per Hand auf den Kastenwagen aufgeladen und inErdmieten eingelagert.Diese Beispiele zeigen, wie in der ersten Hälfte des vorigen Jahr-hunderts die schwere bäuerliche Arbeit zumindest teilweisemechanisiert wurde. Doch die Zeit ist nicht stehen geblieben, wir leben im 21. Jahrhun-dert, dem Zeitalter der industriellen Landwirtschaft. Der Bauer vonheute läuft nicht mehr hinter dem Pflug her, sitzt nicht mehr in derSchoßkelle oder auf dem Kutschbock und hält Zügel und Peitschein der Hand, sondern hat die Hände am Lenkrad in der wind- undwettergeschützten Kabine seines leistungsstarken Schleppers.Das Getreide wird schon lange auf dem Feld gleich bei der Mahdausgedroschen und der Mähdrescherfahrer lenkt seine gewaltige

Weizenaussaat mit der Sämaschine

Maschine mit Schnittbreiten bis zu 15 Meter im staubgeschützten,klimatisierten Fahrerhaus. Auch in der Landwirtschaft hat derComputer vielerorts Einzug gehalten, so erfolgt zum Beispiel dieTierfütterung teilweise über rechnergesteuerte Futterautomaten. Der geradezu revolutionäre Wandel in der Landwirtschaft wird anden nachstehenden Zahlen besonders deutlich:Im Jahr 1900 machte die Zahl der Bauern in Deutschland nochetwa 60 Prozent der Bevölkerung aus, ein Bauer konnte mit seinerArbeit gerade mal vier Menschen ernähren. Um 1950 herumwurden noch 16 bis 18 Prozent der berufstätigen Menschengebraucht, um die Ernährung sicher zu stellen. In jetziger Zeitarbeiten nur noch rund drei Prozent der Erwerbstätigen in derLandwirtschaft, ein Landwirt produziert heutzutage Nahrungsmit-tel für ca. 140 Menschen!Jedoch trotz aller Mechanisierung unter Einsatz modernster Tech-nik: Landwirtschaft ist ein Gewerbe unter freiem Himmel und eswird mit lebenden Pflanzen und Tieren hantiert. Das bedeutetAnwesenheit rund um die Uhr und Aufenthalt in Gottes freier Naturbei jedem Wetter, ob heiß oder kalt. Und das liebe Vieh will zweimalam Tag sein Futter haben, auch sonn- und feiertags. Das wird wohlauch so bleiben. Die sprichwörtliche Liebe zur Landwirtschaft mußda schon in den Menschen ausgeprägt sein, die sich diesem viel-seitigen Beruf mit seinen abwechslungsreichen Tätigkeiten aufDauer widmen wollen. In der Fernsehserie „Bauer sucht Frau“ sindBeispiele dafür zu sehen.

Fotos zum Beitrag (eigene Privatfotos um 1954)

Gerhard, das jüngste Ehrenmitglied der Schützengesellschaft GöritzhainNach Erinnerung von Frau Elisabeth Pelckmann, Bremen, aufgeschrieben von Peter Spannaus, Göritzhain, im Mai 2013

Juni 1926. In Göritzhain ist wieder Schützenfest. Zur gleichen Zeitwurde Gerhard als 4. Kind der Familie Gustav Schlosser, techni-scher Direktor der Göritzhainer Seidenpapierfabrik Scheerer gebo-ren. In seiner Freude, dass nun nach 3 Töchtern ein Sohn zur Fami-lie gehörte, meldete er den neugeborenen Sohn als Mitglied derSchützengesellschaft an und Gerhard wurde als jüngstes Ehren-mitglied aufgenommen.Seit dem wurde es zur Tradition, zu jedem Schützenfest die Fami-lie Schlosser zu beehren.Die Schwester von Gerhard, Elisabeth, erinnert sich heute nochmit 92 Jahren daran und schreibt dazu:„Das lief jedes Mal so ab:Man hörte schon von weitem die Musik, wenn die Kapelle über denSteg des Wehres kam.Sie stellte sich dann im Halbkreis auf dem Kiesplatz vor dem Hausauf. Gerhard musste mit den Eltern auf den Stufen der Veranda

stehen. Wir Schwestern reichten „Kalte Ente“ (Zitronenbowle) undZigarren herum. Nach der Musik kam die Gratulation für Gerhard,eventuell auch Salutschießen (ist nicht gesichert). Gerhard über-reichte dann den Leiter einen Umschlag, nochmals Musik und nachdem Kommando „LINKS UM!“ zogen die Schützen ab.Wir Geschwister liebten diese Zeremonie nicht besonders, denndie Dorfjugend stand vor dem Tor und lachten über uns Mädchen.Von den Erwachsenen wurde diese Zeremonie als schön befun-den. Ab 1933 wurde sie von den Nationalsozialisten als nicht mehrzeitgemäß verboten.“

Heute begeht der Schützenverein Göritzhain 1992 e.V. immer nachHimmelfahrt sein Schützenfest. In Anlehnung an die alte Traditionwird neben den Schützenkönig auch ein Kinderschützenkönigermittelt, beide werden dann mit dem großem Festumzug von zuHause abgeholt.

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Wie ich Soldat wurde und ein fast unglaubliches Zusammentreffen erlebteVerfasser: Gert Hortenbach - Rosswein

Es war einmal ein großer Wald, in dem vieleerwachsene Männer Kriegsübungen voll-führten. Im Rahmen dieses Zeitvertreibs,trug sich etwas verrückt-kurioses zu.Deshalb möchte ich diese Begebenheit aufdiese Weise zumindest einem interessier-ten Personenkreis zugänglich machen.Gleichzeitig bitte ich um Verständnis fürden etwas langen Vorspann, den ich jedochals Hinführung zu diesem Erlebnis für sehrerforderlich halte. Also, ich bin 1958 aus der Grundschule, 8.Klasse, der damaligen Zentralschule Lun-zenau, entlassen worden und habe dann imdamaligen VEB Peniger Maschinenfabrikden Beruf „Bohrwerksdreher“ gelernt. DieLehre dauerte drei Jahre, und ich war abSeptember 1961 in der günstigen Situation,meine „Brötchen“ in meinem erlerntenBeruf zu verdienen. Dass man nach Been-digung der Ausbildungszeit nicht in denFacharbeiterstand übernommen werdenkönnte, kam einem damals nicht in denSinn! Alles in allem konnte ab jetzt für michals 18-Jährigem eine recht komfortable Zeitbeginnen. Ich hatte einen guten Beruf, derbereits in dieser Zeit sehr ordentlich bezahltwurde. Die Peniger Maschinenfabrik, in den60iger Jahren umbenannt in VEB Getriebe-werk Penig, war ein attraktiver Betrieb, dervielfältige Möglichkeiten für eine in jederHinsicht gute Entwicklung bot. Das Arbeits-klima war passabel, weil ich nun sowohl mitKollegen zusammenarbeitete, die ich schonvon Lunzenau her kannte, aber auch mitKollegen, die ich während der Ausbildungschätzen lernte. Es gäbe viele Geschicht-chen und Begebnisse, die es auch wertwären, erzählt zu werden.Aber leider kam dann alles ganz anders.Denn am 13. August 1961 wurde in Berlin„die Mauer“ ,im offiziellen Sprachgebrauchder „antifaschistische Schutzwall derDDR“, sozusagen über Nacht errichtet. Nunkonnte man fragen, was hatte die BerlinerMauer mit meiner Arbeit in Penig zu tun? Sowar anfangs auch bei vielen jungen Män-nern die Denkart, und man musste sich hierim tiefsten Sachsen, weit ab von Berlin, erstmal nicht unbedingt schwerwiegendereGedanken darüber machen.Aber, falsch gedacht! Wir mussten balderkennen, dass mit großen politischenEreignissen wie dem Mauerbau Konse-quenzen für den Einzelnen verbundenwaren, die wir jungen Leute, politisch kaumgroß bewandert, in der aktuellen Situationdamals nicht überschauen konnten. Es gingnun Schlag auf Schlag.Die Partei- und Staatsführung der DDRhatte quasi über Nacht in der Mitte Euro-pa’s eine Situation geschaffen, die mitSicherheit völlig unerwartete Zuständeaußenpolitischer und auch militärpolitischerArt in die Szenarien des „Kalten Krieges“einfließen ließ. Dazu gehörte auch die Mög-

lichkeit einer sehr realen militärischenAuseinandersetzung zwischen „West undOst“. Aber, die 1956 gegründete NationaleVolksarmee der DDR war eine reine Freiwil-ligenarmee und somit ein Schwachpunkt immilitärischen Potential des „Ostblocks“. Esmusste also schnellstens reagiert werden.Das mittelfristige Ziel war die gesetzlicheWehrpflicht, diese wurde aber erst am 1.April 1962 wirksam. Kurzfristig wurde eineKampagne organisiert, die den Bestand anSoldaten aufstocken half. Wir bekamen dassehr plötzlich dadurch zu spüren, dassentsprechend des „Kampfauftrages derFDJ“ betriebliche Funktionäre zu unskamen und uns zu überzeugen suchten,eine schriftliche Erklärung mit folgendemInhalt zu unterschreiben (Ich bitte umVerständnis, wenn der in Erinnerung geblie-bene Wortlaut geringfügig vom Originalabweicht):„Ich verpflichte mich, mein Heimat, dieDeutsche Demokratische Republik, jeder-zeit mit der Waffe in der Hand gegen jedenGegner und Feind des Sozialismus zuverteidigen.“Mit der Unterschrift unter diese Verpflich-tung konnte man sofort zum Armeediensteingezogen werden. Wer wollte freiwillig soetwas tun?Entsprechend schleppend begann die Akti-on, so dass der Druck auf die ins Augegefassten Personen stärker wurde. Ichhatte zwei Arbeitskollegen und gute Freun-de aus Lunzenau, wir drei hatten uns abge-sprochen, nicht zu unterschreiben. Dasführte zuerst mal dazu, dass wir politischverunglimpft betitelt wurden mit Bezeich-nungen wie „Staatsfeind, Feind der Arbei-terklasse, kapitalistisches Gesindel usf.“Nun, das störte uns anfangs wenig. Ernstwurde es erst – und zwar sehr ernst - alssich herumsprach, dass die Betriebsleitungbegann, gut verdienende Facharbeiter zuHilfsarbeitern umzufunktionieren, mit allenKonsequenzen, vor allem was Verdienstbzw. auch soziale Leistungen betraf! Jetztbegann die Sache, existenziell zu werden.Und also unterschrieben wir. Das hattezuerst zwei konkrete Auswirkungen:1. Plötzlich wurden wir von den gleichen

Personen, für die wir gestern noch Fein-de des Sozialismus übelster Sortewaren, als eigentlich „Gute“ erkannt.Wir waren also jetzt junge Männer, dieverstanden hatten, wie wertvoll undbeschützenswert unser SozialistischerStaat sei. Na prima!

2. Nach ein paar Tagen hielt ich bereits dieEinberufung in den Händen, das hieß,am 29. September 1961 hatte ich michin Karl-Marx-Stadt entsprechend Ge-stellungsbefehl einzufinden. Meine zweiFreunde betraf das erst nicht. Der einewurde im April 1962 auf der Grundlagedes Wehrpflichtgesetzes einberufen,

der andere, man höre und staune, wardavon gekommen.

Vom Wehrkreiskommando Rochlitz ange-ordnet und organisiert, fand ich mich,ausgerüstet mit dem Nötigsten und demviel beschriebenen „Persilköfferchen“ inKarl-Marx-Stadt ein. Und siehe, Hundertejunger Männer, ähnlich ausgerüstet wie ich,gingen den gleichen Weg. Es war gegenAbend und nächtigen konnten wir amRande der Stadt in einer Schulturnhalle.Natürlich gab es keine Betten, die vorhan-denen Luftmatratzen verschafften unsjedoch den schon etwas mit Armeeatmos-phäre angereicherten „Schlafluxus“. Amnächsten Morgen, dem 30.09.1961, war diegroße wehrpolitische Schau, die offizielleund öffentliche Verabschiedung auf demOpernplatz der Stadt. Es geschah imRahmen des nach dem Mauerbau von derSED ausgegebenen „Kampfauftrages derFDJ“. Entsprechend der gegebenen Regio-nalität waren wir mit der Bezeichnung „4.FDJ-Regiment Karl-Marx“ versehen wor-den.

Eine angemessene agitatorische Verab-schiedungsrede über „die Bedeutung derRolle und die Rolle der Bedeutung“ gehörtedazu sowie der Einsatz von Kindern mitPionierhalstuch aus den unteren Schulklas-sen. Die Pioniere hatten kleine Blumen-sträußchen in den Händen, die sie uns wohlpersönlich in die Hand geben sollten. Dasfunktionierte jedoch nicht, so dass dieBlümchen mehr oder weniger wild durchdie Lüfte flogen und bald recht unansehn-lich auf dem Pflaster landeten. Naja!?So verabschiedet, marschierten wir zumBahnhof, wo ein sehr langer Sonderzug aufuns wartete. Wir wurden im Zug verstaut,der diensthabende „Rotmützige“ hob diegrüne Kelle, und die Reise in eine ungewis-se Zukunft nahm seinen Anfang. Es gingRichtung Osten, über Dresden, Kamenzund Bautzen bis nach Rothenburg/ Ober-lausitz. Mein Lehrlingskollege W.N. und ichsowie noch andere, uns unbekannte Rekru-tenanwärter, bekamen in Bautzen denBefehl zum Aussteigen. Im improvisiertenGleichschritt ging es ein Stück durch dieStadt und dann durch ein Tor, versehen mit

Verabschiedung in Karl-Marx-Stadt

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Schranke und Wachtposten. Wir ahnten,hier werden wir so schnell nicht wiederherauskommen. Es handelte sich um dieJagdfliegerschule Bautzen, also eine Offi-ziersschule, deren eigentlicher Zweck dieAusbildung von Jagdfliegerpiloten war. Nunlag der Gedanke nahe, dass auch ich sowiedie anderen Neuankömmlinge ebenfallsPiloten werden sollten. Das jedoch habe ichunter „Ulk“ abbuchen können. Immerhinkonnten wir ab und zu die angehenden Pilo-ten, sehr schön angezogen mit einem brau-nen Lederblouson und gelbem Schal,bestaunen. Die Gerüche aus der Pilo-tenküche, die sich unter unserem Unter-richtsraum befand, ließen uns mit entspre-chendem Appetit auf die dort angefertigtenSpeisen schließen. Der Unterschied destäglichen Verpflegungssatzes zur normalenRekrutenküche betrug immerhin 4,90M(8,20M minus 3,30M)! Über die sechsWochen Grundausbildung könnte ich extraeinen Beitrag schreiben. Im Rahmen dieserGeschichte muss ich aber diese Zeit relativunbeleuchtet lassen. Es geht weiter mit derZeit nach diesen sechs Wochen.Mein Lehrlingskollege W.N. und ich wurdenals „Genossen Flieger“ nach Oranienburgnördlich von Berlin versetzt. Es ist jetzt sehrwichtig, wegen der militärpolitischen Situa-tion nach dem 13. August 1961 die StadtOranienburg zu charakterisieren. Die Stadtkonnte damals durchaus als Grenzstadtbezeichnet werden. Außer den circa 40.000Einwohnern beherbergte sie eine Mot-schützen-, eine Artillerie- und eine Luftwaf-fenkaserne. Darüber hinaus hatten umBerlin herum unsere sowjetischen Freundeihre mehr oder weniger versteckten Militär-stützpunkte. Oranienburg hatte den nörd-lichsten S-Bahnhof von Berlin aus gesehen.Diese Linie führte allerdings durch denWestsektor, Bahnhof „Gesundbrunnen“!

Diese Strecke war also verständlicherweise für uns gesperrt. Das ist jedoch einanderes Thema.Aber weiter zu meinem Dienst. Der Dienst-grad „Flieger“ war der Niedrigste imFlugwesen und hatte nichts mit „Fliegen“ zutun. So kamen wir Mitte November in unse-rer neuen Einheit an. Sie hatte die Bezeich-nung „Kompanie Chemische Abwehr Luft-streitkräfte/Luftverteidigung“, als solchewaren wir eine Spezialeinheit mit speziellenAufgaben. Dazu gehörten die Entaktivie-rung von Mannschaften und Ausrüstungennach Befall mit radioaktivem Niederschlagund die Entgiftung nach Kontakt mit chemi-schen Kampfstoffen. Spätestens jetzt kannman eine Ahnung bekommen, dass unsereAusbildung überhaupt kein Spaziergangwurde.Immer wieder wurde bis zum Erbrechentrainiert, wie im Ernstfall die Technik zuhandhaben war und wie man es schaffte,acht Stunden lang im Vollschutz, d.h. imkompletten Schutzanzug und unter Schutz-maske entsprechende Tätigkeiten auszu-führen. Untergebracht waren wir imSchloss Oranienburg. In den massiven undgut anzuschauenden Gebäuden war eineUnteroffiziersschule der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung untergebracht. Wir alsrelativ kleine Spezialeinheit hatten einigeBaracken bezogen, die sich nebst Sport-platz, Taktikgelände sowie Fuhr- und Tech-nikpark im hinteren Teil der großzügigenSchlossanlage befanden.

Die absolut harte Ausbildung führte balddazu, dass wir und auch ich eine körperli-che Fitness erreichten, die ich nie vorherund auch nicht bis heute wieder erlangenkonnte.

um dort den letzten Durst noch zu stillen.Der Stammtisch war mit illustren Persön-lichkeiten aus Lunzenau besetzt. DasThema Armee kam zur Sprache. GerhardWalter, Lunzenauer Fuhrunternehmer, woll-te mit mir um einen Kasten Bier wetten,dass er trotzdem schneller sei als ich. Ichging darauf ein. Also ging es los.Wir gingen am Friedhof entlang bis zu derStelle, wo rechts die Krankenkasse ihr Bürohatte und links der Gottesackerwegabzweigte. Von dort mussten wir bis zum„Weißen Ross“ rennen. Einer gab dasKommando und das Rennen begann. DieStrecke war nicht länger als 200 m, und ichmusste nicht alles aus mir herausholen, umlocker zu gewinnen. Das Hallo war groß,und um den dadurch wieder erzeugtenDurst zu löschen, half das von mir gewon-nene Bier, das ich den Teilnehmern auchgerne zur Verfügung stellte. Nun weiter mitdem spannenden Dienst, und das, was ichjetzt schildere, ist die Voraussetzung fürdas „fast unglaubliche Zusammentreffen“.Ich selbst wurde ausgebildet als „Entgifter/Entaktivierer“ und gehörte so dem Entgif-tungszug an. Das Entaktivieren von Mann-schaften und Ausrüstungen war relativeinfach. Die Ausrüstung wurde mit soge-nanntem Mersolat D–Schaum (eine ArtSchmierseifenverdünnung) solange abge-spritzt, bis der zulässige Wert der Ober-flächenaktivität erreicht war. Die Mann-schaften entledigten sich aller Bekleidungund Ausrüstung und mussten sich dann ineiner mobilen Duschanlage selbst reinigen.Die hier zu sehende Duschanlage bestandaus dem Maschinenfahrzeug, einem LKWG5 aus den Fahrzeugwerken „Ernst Grube“in Werdau. Die Ausstattung der Technikauf-bauten hatte den Zweck, sauberes undwarmes Wasser mittels speziellem Ölkesselbereitzustellen. Das Wasser musste aller-dings zeitweise auch aus mehreren 100 mEntfernung herangeholt werden. Dazu dien-te die Tragkraftpumpe, zu sehen auf demkleinen Einachsanhänger. Das Duschenerfolgte im Anhänger. Dieser war mitAlublech ausgeschlagen.

Ein Wasserrohr mit sechs Doppeldusch-köpfen zog sich mittig an der Deckeentlang. Das ergibt eine jeweilige Belegungvon 12 Soldaten (Soldatinnen gab esdamals noch nicht!). Die Duschzeit war zeit-lich begrenzt, man konnte sich also nichtunter warmem Wasser häuslich einrichten.Damit war es aber nicht getan. Am Dusch-

Flieger Gert Hortenbach

Schloss Oranienburg

Mobile Duschanlage DA-2-S

Dazu eine etwas vom Thema abweichendeAnekdote: Ich war zu Hause im Urlaub. DieEinkehr im „Weißen Ross“ war üblich,besonders nach Tanzveranstaltungen u.ä.,

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hänger, jeweils in der Mitte der Seitenwän-de, gab es eine Tür, an diese wurden zweiZelte sozusagen „angeflanscht“. Wie in derschematischen Darstellung zu sehen,kamen die Mannschaften, noch komplettbekleidet und mit aufgesetzter Schutzmas-ke in das linke Zelt. Dort wurden alle Aus-rüstungsstücke abgelegt und gekennzeich-net, zu allerletzt die Schutzmaske. Dannging es völlig nackt zum Duschen. Auf deranderen Seite, also nach dem Duschen,erfolgte die Messung der noch verbliebe-nen Radioaktivitäten auf der Haut und aufden Ausrüstungsgegenständen. Wenn dieWerte unterhalb der festgelegten Grenz-werte waren, konnte man sich wiederanziehen und ausrüsten und die Anlageverlassen. Wir als die Entaktivierungsspezialistenüberwachten und steuerten den Ablauf.Unter „Vollschutz“ waren wir nicht zuerkennen. Die betroffenen zu entaktivieren-den Mannschaften auch nicht. Mit Schutz-maske über dem Gesicht war das unmög-lich, außer man hatte Zutritt zu den Zelten,in denen das Aus- und Ankleiden erfolgte.Und da geschah also das Wunder. Offen-sichtlich einer inneren Eingebung folgendging ich in die „Auskleidekabine“, linkesZelt, und konnte verfolgen wie bei einemSoldaten, der schon fast nackend,schwarze Schafwollsocken zu sehenwaren. Es blitzte durch meinen Denkappa-

rat, fast im Unterbewusstsein schrie ich„Ricke“ Mensch „Ricke“, nur dass dieserRuf nicht zu hören war, da die Schutzmaskedas verhinderte. Augenblicklich befreite ichmeinen Kopf vom luftdichten Abschlussdes Schutzanzuges und riss meine Schutz-maske herunter. Jetzt konnte auch Ricke,sehr ungläubig noch und ziemlich verwirrtguckend, meine vordere Gesichtshälfte erkennen. Ach Du?! Was war das, Zufall

oder Fügung des Schicksals? Ich wartete,bis Freund Ricke geduscht hatte und eini-germaßen angezogen war. Dann fasste ichihn an seiner Uniform und führte ihn ausdem Zelt heraus in ein naheliegendesGebüsch. Noch völlig berauscht setzten wiruns und rauchten eine Zigarette. Uns war indiesem Moment völlig egal, wie sich dasKriegsspiel in unserer Umgebung weitergestaltete.was ich nicht wusste und ich, Gert Horten-bach aus Lunzenau, in Oranienburg bei derNVA dienend, was er nicht wusste, treffensich zufällig nachts in einem Wald zwischenBerlin und Frankfurt/Oder, zunächst völligunerkannt. Dann, im Laufe der Entaktivie-rungsübung die Erkennung des WolfgangKöhn, nicht etwa am Gesicht, denn dieSchutzmaske machte das unmöglich,sondern an den schwarzen Schafwoll-socken, die ich an ihm von der Arbeit herkannte! Fazit: Lunzenauer kann man überalltreffen und sie erkennen sich – selbst wennnur die Socken zu sehen sind!Entaktivierer im Vollschutz

Wolfgang Köhn (Ricke), seine damaligeFreundin und jetzige Frau und Gert Horten-bach beim Brigadefest in Penig

Schematische Darstellung „Duschanlage“

Der „Reiter ohne Kopf“ vom HölllochElisabeth Modalek - Burgstädt

Zwischen Göritzhain und Wechselburg entlang der Chemnitz liegtein reizvolles, idyllisches Fleckchen Erde, im Volksmund das „Höll-loch“ genannt. Dort soll sich immer mal der „Reiter ohne Kopf“zeigen, richtig gesehen hat ihn aber niemand.

Wenn von der Chemnitz Nebel aufsteigt, vom Wind bewegt undsich in den Bäumen verfängt, das Rauschen und Poltern des Flus-ses Pferdegetrappel ähnelt, könnten Sinnestäuschungen, verbun-den mit Angst und Aberglaube schon mal den „Reiter ohne Kopf“auftauchen lassen. Dazu soll es folgende Geschichte gegeben haben:Vor sehr langer Zeit trieb ein berittener Räuber, der auch vor Mordund Totschlag nicht zurückschreckte, in den Wäldern entlang derChemnitz sein Unwesen. Als er dann endlich gefasst war, wurde erzum Tode durch das Schwert verurteilt und zusätzlich mit demFluch verbannt, als Gespenst in Form eines kopflosen Reiters andie Stätten seiner Untaten zurückzukehren. Erlöst vom Fluch wirder erst, wenn er alles Unheil auf sich nimmt und somit von denBewohnern entlang der Chemnitz abwenden kann.Wenn wir heute diese Geschichte hören, drängt sich der Gedankeauf, dass es diesen „Reiter ohne Kopf“ noch gibt, denn Not, Elend,Kriege, Überschwemmungen und andere Katastrophen musstendie Bewohner des Chemnitztals seit vielen Jahrhunderten immerwieder erleiden.

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Begegnungen mit SchwabenGerhard Sittner - Schwäbisch Gmünd

Vom Winde verweht! Dieser Satz steht über so manchem Lebens-lauf meiner Generation. Mit mir meinte es der Wind gut. Er wehtemich ins Schwabenland. Meine ersten Begegnungen mit Menschenaus dem Schwabenland hatte ich allerdings schon viel früher.Die Tür des Klassenzimmers öffnete sich. Herein traten der Rektorund ein junger Lehrer. Der Rektor erklärte uns kurz, dies sei derneue Lehrer an der höheren Abteilung in Penig. Dann verließ er dasKlassenzimmer. Der „Neue“ war mit uns allein. Seine braunenAugen blitzten munter hinter den Brillengläsern, als er uns muster-te. Er nahm ein Stück Kreide in die Hand und trat an die Tafel. Woll-te er etwa schon eine Rechenaufgabe anschreiben? Nein - unsereBefürchtungen waren umsonst! Er begann zu sprechen, und nochheute - nach mehr als siebzig Jahren - höre ich seine Worte: "Ichheiß' Erich Weiß." Dabei schrieb er seinen Namen schwungvoll andie Wandtafel. Diese poetische Vorstellung verfehlte ihre Wirkungauf uns elfjährige Buben und Mädchen nicht. Aber mehr noch alsdiese Einführung ließ uns die Mundart aufhorchen, in der sievorgebracht wurde. So sprach doch kein Hiesiger. Nicht einmal inChemnitz, Leipzig oder Dresden redeten die Leute so. Unser neuerLehrer musste von weither kommen. Er mochte unsere Gedankenerraten haben; denn nun verriet er uns, dass er aus dem Schwa-benland sei. Das war etwas Besonderes: ein Lehrer aus demSchwabenland! Wir waren richtig stolz darauf. Natürlich hatte er inden ersten Tagen nicht alle unsere Namen im Kopf. Aber unserLehrer wusste sich zu helfen. „Sa’ du’s! Ja, der da, der gerade inseiner Nase bohrt.“ Damit war mein Nachbar gemeint. Verwirrtunterbrach er seine Tätigkeit, stand auf und antwortete stotternd."Das hätte ich gern von dem Träumer gewusst!" Diese Aufforde-rung galt mir. Der eigenartige Tonfall seiner Stimme versetzte unsin helles Entzücken. Wir konnten ihm nicht genug zuhören. Ausseinem Munde klangen die trockenen grammatischen Begriffe wieliebliche Musik. Den größten Ausschlag für unsere Sympathieergab jedoch die Tatsache, dass er sich für Fußball begeisterte. Soeinen Lehrer suchen Buben in diesem Alter immer. Und wir hatteneinen gefunden! Im Fach „Jugendspiele“ - das gab es damalswirklich - brachte er dienstags zwei Stunden lang System in unserplanloses Gebolze. Hin und wieder grollte seine schwäbischeBassstimme über das Spielfeld, wenn sich einer von uns zu unge-schickt anstellte. Ach, es war eine herrliche Zeit! Wohin mag dasSchicksal diesen Mann getragen haben? Hat er nach den Wirrendes Krieges wieder den Weg in seine Heimat gefunden? Ruht erirgendwo in fremder Erde? Ich weiß es nicht. Meine zweite Begegnung mit einem Schwaben verlief wenigerharmonisch. Sie fand beim Militär statt, und ER trug eine silberneLitze um den Kragen seines Uniformrocks. Aber weder dieseTatsache noch der Umstand der landsmännischen Verschiedenar-tigkeit bildeten den eigentlichen Grund für unsere getrübten Bezie-hungen. ER war eingefleischter Fernsprecher, und ich hatte michmit der ganzen Begeisterungsfähigkeit meiner siebzehn Jahre denKurz-, Mittel- und Langwellen verschrieben. Erfahrene Nachrich-tenmänner ahnen vielleicht, wie sich die Dinge weiterentwickelten.Aber ich will der Reihe nach erzählen.Die Sonne meinte es an jenem Tag im Juli des Jahres 1944 beson-ders gut. Schwitzend hasteten wir durch die Gegend und legtenFernsprechleitungen, wehmütig der Funkübungen gedenkend, beidenen wir im Funkwagen saßen und die wir ohne große körperlicheAnstrengungen überstanden. Unsere Gefühle für die Fernspreche-rei kühlten merklich ab. Endlich hatten wir alle Leitungen am Klap-penschrank angeschlossen, und schon verlangte „Heidschnucke“die „Fledermaus“. Eine Weile ging alles gut. Dann gab es plötzlicheinen Knacks in der Leitung und „Fledermaus“ war nicht mehr zuhören. „Störungssucher raus!“ Das war SEINE Stimme. Wirkrochen aus unseren getarnten Erdlöchern. Laut Dienstplan lagdas Gelände „unter Feindbeschuss“. Kriechend und springendüberquerten wir die Wiese, die im sommerlichen Blumenkleidprangte. Dafür hatten wir jedoch kein Auge. Unsere Aufmerksam-keit richtete sich auf die Leitung. Endlich hatten wir die schadhafteStelle gefunden. Mit raschen Griffen war die Leitung geflickt, undwir bewegten uns wieder wie die Kriechtiere unserer Sprechstellezu. Nach der Meldung entfuhr mir beim Wegtreten eine abfälligeBemerkung über die Fernsprecherei im Allgemeinen und über die

Störungssuche im Besonderen. Die Worte waren nicht für SEINEOhren bestimmt gewesen, aber ER hatte sie gehört. Einer Sturm-flut gleich ergossen sich schwäbische Kraftausdrücke über mich.Das war jedoch nur das Präludium. Natürlich musste ich nach derÜbung das Kabel auftrommeln. Keuchend hüpfte, kroch und robb-te ich durch das Gelände, die immer schwerer werdende Trommelund IHN zum Teufel wünschend. Leichtfüßig wie eine Gazellesprang er neben mir her und feuerte mich mit Kosenamen an, diein den Spalten eines Gemeindeblattes keine Existenzberechtigunghaben. Die folgenden Wochen hatte ich nichts zu lachen. Allenegativen Superlative des soldatischen Daseins trafen auf michzu. Aber nach einem in der damaligen Zeit vielgesungenen Liedgeht ja bekanntlich alles vorüber.Die dritte Begegnung mit einem Schwaben fand nach dem Kriegstatt. Um es genau zu sagen: Es war eine Schwäbin, die meinenWeg kreuzte.An jenem Frühlingstag des Jahres 1946 lief ich langsam vomPOW-Hospital (Kriegsgefangenenlazarett) 5 Göppingen zumBahnhof. In meiner Brusttasche knisterte das „Certificate ofDischarge“, der Entlassungsschein aus amerikanischer Kriegsge-fangenschaft. Sie stand am Wege und sprach mich an: „Ja Büble,wo gohscht na?“ Wahrhaftig, sie hatte "Büble" gesagt. Überraschtblickte ich auf und sah in das gütige, aber verhärmte Gesicht einerFrau, die etwa Mitte der Vierziger sein mochte. Ich nannte ihr meinZiel, Lunzenau, eine Kleinstadt in der Nähe von Chemnitz. Da hätteich aber eine weite Reise vor mir, meinte sie, ob ich mich vorhernicht noch ein wenig stärken wolle. Sie habe noch etwas Kuchenzu Hause. Ich erklärte ihr, dass ich auf dem schnellsten Weg nachHause müsse und den Zug nicht verpassen dürfe. Der Vater seivermisst, und die Mutter wolle wenigstens einen bei sich haben.Da huschte ein verstehendes Lächeln über ihr Gesicht. „Dannmuscht schnell zur Mutt’r fahre“, sagte sie. „Da, aber dasnimmscht mit für d’ Fahrt!“ Sie griff in ihre Einkaufstasche und gabmir zwei Wecken. Dabei schaute sie mich freundlich an. Mir war esjedoch, als ob ihr Blick durch mich hindurchging in eine unbe-stimmte Ferne. Vielleicht dachte sie jetzt an ihr „Büble“, von demsie seit Monaten oder gar Jahren nichts mehr gehört hatte. Siewünschte mir eine gute Heimfahrt und ging dann weiter. Ich fühltedie zwei Wecken in meiner Tasche, und sie dünkten mich kostba-rer als Gold. Dieses Opfer (zwei Wecken waren damals ein Opfer)einer schwäbischen Mutter ließ mich manch bittere Enttäuschungder ersten Nachkriegsmonate vergessen.

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In alter Chronik geblättertInge Milkau - Lunzenau

ls im Jahre 1813 Frankreich mit Russland in einen großen Kriegverwickelt war, gingen schon im Monat März die französischenTruppen - eine Armee von 300.000 Mann und noch darüber - aufden Heeresstraßen durch Chemnitz - Leipzig - Berlin weiter nachPolen, nebst außerordentlich vielen Geschützen, was man nochnie gehört hatte.

So lange die Durchmärsche dauerten mussten Abgaben geleistetwerden. Auch unsere Gegend war sehr betroffen. Esserei fürMenschen und Tiere, Pferde und vieles mehr mussten bereitge-stellt werden.

In Russland bekam der Kaiser Napoleon einen harten Dämpfer.„Bis hier her und nicht weiter!“, der Rückmarsch musste erfolgen.Am 23. März 1813 sind die Russen in Dresden einmarschiert.Am 07. April hatten wir hier in hiesiger Stadt die ersten Preußen für14 Tage, welche dann weiter nach Borna zogen, um sich mit denrussischen Soldaten zu vereinigen.

Am 02 Mai 1813 kam es mit den Russen, den Preußen und derFranzösischen Armee zur Schlacht. Ein großer Teil der Französischen Armee war in Penig, wo es zueinem dreitägigen Gefecht kam.Auch die Lunzenauer hatten viel zu dulden, die Franzosen wurdendrei mal geschlagen, ihr Lager war am Bösig (Biesig).Die Österreichische Armee kam von der anderen Seite der Mulde.Leider hatten die russischen Soldaten den Übergang - die Brücke- in Brand gesteckt. Eine kleine Gruppe Kavallerie kam zwarmittelst einer Furt unterhalb der Brücke - der Krebsgasse - hinterdem Rathaus herauf in die Stadt und vertrieb die französischenKavalleristen.

„Im Jahre 1821 wurde der Anfang zur neuen steinernen Brückeüber die Mulde in Lunzenau gemacht.“ Der hiesige MaurermeisterFischer übernahm den Brückenbau und hat ihn auch vollendet.

Quelle: Kirchenchronik Lunzenau

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