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Mängelrechte - Der Mangelbegriff - VEREIN ZUR FÖRDERUNG VON FORSCHUNG UND LEHRE IM PRIVATEN BAURECHT AN DER PHILIPPS-UNIVERSITÄT MARBURG E.V. Professor Dr. W. Voit

Mängelrechte - Der Mangelbegriff - V EREIN ZUR F ÖRDERUNG VON F ORSCHUNG UND L EHRE IM PRIVATEN B AURECHT AN DER P HILIPPS- U NIVERSITÄT M ARBURG E. V

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Mängelrechte- Der Mangelbegriff -

VEREIN ZUR FÖRDERUNG VON FORSCHUNG UND LEHRE IM PRIVATEN BAURECHT AN DER

PHILIPPS-UNIVERSITÄT MARBURG E.V.

Professor Dr. W. Voit

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Der Mangelbegriff Professor Dr. W. Voit

I. Übersicht über die Mängelhaftung im BGB

Definition des Mangels § 633 Abs. 2 BGBWerk ist frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat.Ist die Beschaffenheit nicht vereinbart, ist das Werk frei von Sachmängeln, wenn:-es sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst-für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach Art des Werkes erwarten kannEs stehen gleich: Herstellung eines aliud oder in zu geringer Menge

Rechte bei Mängeln § 634 BGBprimär: Nacherfüllung; Wahlrecht beim Unternehmer, §§ 634 Nr. 1, 635 Abs. 1sekundär: Ersatzvornahme und Kostenvorschuss, §§ 634 Nr. 2, 637 Rücktritt, §§ 634 Nr. 3, 1.Var, 636, 323, 326 V Minderung, §§ 634 Nr. 3, 2.Var, 638 Schadensersatz, §§ 634 Nr. 4, 636, 280, 281, 283, 311 a, bzw. 284

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Ausgangspunkt: Regelung in § 633 BGB für den BGB-Vertrag

Arten von Mängeln:

- Die Bauleistung hat nicht die vereinbarte Beschaffenheit

- Die Bauleistung eignet sich nicht für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung

- Die Bauleistung eignet sich nicht für die gewöhnliche Verwendung/ weist nicht die gewöhnliche Beschaffenheit auf

Sonderproblem: Die Bauleistung entspricht nicht den anerkannten Regeln der Technik

Überblick über Mangelarten

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Beschaffenheit:

- die dem Werk anhaftenden Eigenschaften einschließlich der äußeren Umstände, denen das Werk zwangsläufig unterliegt

- sowie alle Faktoren, die sich auf die Verwendung des Werkes einschließlich seines Wertes auswirken können

a.A: nur solche Merkmale, die der Sache unmittelbar anhaften, Arg. § 633 Abs. 2 BGB (Mundt, NZBau 2003, 73)

Vertraglich vereinbarte Beschaffenheit

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Beispiele:

Material:Art und Güte der Verarbeitung, Konstruktion, spezielle Farbe, spezielle Zusammensetzung des Putzes, Belastbarkeit, Dichte, Einhalten vorgegebener Wärmedämmwerte etc.

Funktionstauglichkeit:Betriebs- und Wartungskosten, Wahrung allgemeiner Sicherheitsstandards, Haltbarkeit der Sache, vorgegeben Produktionskapazität im Industrie- und Kraftwerksbau

Vertraglich vereinbarte Beschaffenheit

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Vertraglich vereinbart:

- Einstandswille ist nicht erforderlich- bloße Anpreisungen genügen nicht (aber bei konkreten Werbeaussagen entsprechend § 434 Abs. 1 S. 3 BGB Indiz für das, was der Besteller erwarten konnte)- Indizien für Vereinbarung sind:

der Besteller hat ein besonderes Interesse am Vorhandensein bestimmter Eigenschaften

exakte Beschreibung oder Festlegung einer Eigenschaft- Beschaffenheitsvereinbarung (+), wenn alternativ

das Leistungsverzeichnis verbindliche Angaben über die zu verwendenden Materialien enthält

eine bestimmte Beschaffenheit im Pflichtenheft steht eine bestimmte Beschaffenheit aus Plänen des Bestellers oder

Unternehmers hervorgeht, welche dem Vertrag zugrunde gelegt wurden

Vertraglich vereinbarte Beschaffenheit

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Bei Unklarheiten sind die Absprachen der Parteien auszulegen, §§ 133, 157 BGB; bei widersprechenden Angaben Rangfolge des § 1 VOB/B beachten (Vorrang der Leistungsbeschreibung? vgl. M/V-Drossart § 633 Rn. 39)

Vertraglich vereinbarte Beschaffenheit

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Beispiel:Der AN sollte in einem Ärztehaus Innentüranlagen für Praxisräume einbauen. Im Leistungsverzeichnis wurden diese mit einem Schalldämmmaß von 42 dB beschrieben. Wurde eine Laborschalldämmmaß von 42 dB oder ein Schalldämmmaß von 42 dB an Ort und Stelle als Beschaffenheit vereinbart? (BGH BauR 1995, 538)

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- Ausgangspunkt: Ist der Vertrag formbedürftig, erfordert auch die Beschaffenheitsvereinbarung die Einhaltung der Form [Andeutungstheorie: es reicht aus, wenn sich die Vereinbarung der formgerechten Erklärung entnehmen lässt]

Beschaffenheitsvereinbarung grundsätzlich formlos wirksam ist Vertrag schriftlich, gelten auch mündliche Vereinbarungen über die

Beschaffenheit; jedoch gilt im Prozess nach allgemeinen Grundsätzen die widerlegbare Vermutung, dass die Vertragsurkunde richtig und vollständig ist

bei gesetzlichen Formvorschriften, insb. § 311b BGB nur bei Einhaltung der Schriftform wirksam; Heilung nach § 311b und Verbot, sich auf Formunwirksamkeit zu berufen, § 242, nach allgemeinen Grundsätzen

vertragliche vereinbarte Formvorschriften: bei Nichteinhaltung ist Beschaffenheitsvereinbarung im Zweifel nichtig, § 125 S. 2 BGB; möglich: Aufhebung des Formerfordernisses, nach allgemeinen Grundsätzen auch mündlich (vgl. M/V-Drossart § 633 Rn. 26).- Beweislast für die Beachtung der Form beim Besteller

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Beschaffenheitsvereinbarung und Formfragen

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Werkvertrag mit Leistung nach Probe (seit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nicht mehr gesetzlich geregelt, vgl. aber § 13 Abs. 2 VOB/B):

1. AN hat AG ein Muster zur Verfügung gestellt2. Einigung darüber, dass die Leistung des AG der Probe entsprechen muss

Es genügt nicht das bloße zur Verfügung stellen eines Musters, um darzulegen, wie die Leistung ausfallen wird; entscheidend ist die Vereinbarung, dass die Leistung der Probe entsprechen soll

Liegt Werkvertrag mit Leistung auf Probe vor, kann grds. die Beschaffenheit des Probegegenstandes als vertraglich vereinbart angesehen werden – Beschaffenheitsvereinbarung wird sich aber auf die Eigenschaften beschränken, die nach dem Verwendungszweck durch die Probe nachgewiesen werden sollten

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Beschaffenheitsvereinbarung bei Leistungen nach Probe

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In beiden Fällen haftet der AN nach §§ 633 f. BGB

Ein Schadensersatzanspruch setzt Verschulden voraus; bei unselbständiger Garantie haftet der AN auch ohne Verschulden

Ob unselbständige Garantie vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln:(+), wenn die Erklärung des AN nur so verstanden werden kann, dass er für Mängel verschuldensunabhängig Schadensersatz zahlen will

Indizien für entsprechenden Willen:entsprechende Mängel können leicht vom AN vermieden werden (d.h. sein Risiko ist gering)geäußertes oder objektiv zu vermutendes Interesse des AG an der Übernahme einer Garantie- Dagegen ist allein der Gebrauch des Wortes „Garantie“ allein nicht hinreichend.

(Weitere Folge der Garantie: Haftung kann nicht ausgeschlossen werden, § 639)

Beschaffenheitsvereinbarung und unselbständige Garantie

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Herstellergarantie = Produkthersteller übernimmt Mängelhaftung ggü. dem verarbeitenden Unternehmer oder Endabnehmer (vgl. § 443 BGB)

Echter Vertrag zugunsten Dritter gem. § 328, wenn kein Vertrag zwischen Hersteller und Abnehmer

Bei einer Herstellergarantie ggü. dem Endabnehmer verjähren die Mängelansprüche nach der gesetzlichen Frist, auch wenn der Unternehmer im Verhältnis zum Endabnehmer kürzere Verjährungsfristen vereinbart hat (z.B. nach § 13 VOB/B, vgl. BGH NJW 1979, 2039);

Exkurs Haltbarkeitsgarantie: Ware ist fehlerhaft, auch wenn der Mangel nicht im Zeitpunkt des Gefahrübergangs, sondern innerhalb der Garantiezeit auftritt, § 443 Abs. 2 BGB

Beschaffenheitsvereinbarung und Herstellergarantie

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Selbständige Garantie = es wird ein über die Sacheigenschaft des Bauwerks hinausgehender Erfolg versprochen

Beispiele: Verkauf des hergestellten Gebäudes binnen einer bestimmten Zeit; Garantie der Vermietbarkeit oder der zu erzielenden Mieteinnahmen; Baukostengarantie des Architekten (vgl. M/V-Drossart § 633 Rn. 44). Gegenbeispiel: Garantie der ordnungsgemäßen Herstellung des Werks und Übernahme der Haftung für Mängel und dadurch entstehende Schäden – kein weitergehender Erfolg zugesagt.

Auf die selbständige Garantie sind die §§ 633 ff. BGB oder § 13 VOB/B nicht anwendbar, da kein Werkvertrag

AG steht ein Erfüllungsanspruch sui generis zu; bei Nichteintritt des garantierten Erfolges: SE wegen Nichterfüllung (positives Interesse)

Reguläre Verjährung, §§ 195, 199 BGB – nicht § 634a BGB

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Beschaffenheitsvereinbarung und selbständige Garantie

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Inhalt des Versprechens beim Vertragsschluss und gesetzliche Umsetzung in § 633 (Stufenverhältnis in § 633 Abs. 2?)

P1: Die Beschaffenheitsvereinbarungen wurden eingehalten, das Werk funktioniert aber nicht bzw. genügt nicht den üblichen Erwartungen.

P2: Es wird von der Beschaffenheitsvereinbarung abgewichen, der Erfolg des Vertrages tritt aber dennoch ein.

P3: Es wird von der Beschaffenheitsvereinbarung abgewichen; der Erfolg des Vertrages konnte nur auf diese Weise erreicht werden („untaugliche Leistungsbeschreibung“).

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Verhältnis der Beschaffenheitsvereinbarung zum Inhalt des vertraglichen Versprechens

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Methodischer Ansatzpunkt: das gesetzliche Leitbild der besonderen Vertragsverhältnisse bestimmt nicht den Inhalt des Vertrages, sondern knüpft an die vereinbarten Leistungspflichten an.

(Gesetzgeber wollte durch das Stufenverhältnis den Parteiwillen nicht beschränken; vgl. auch BGH BauR 2008, 344, 346 ff. – Blockheizkraftwerk soll Forsthaus heizen; wird den Vereinbarungen gemäß gebaut, erbringt aber nicht die erforderliche Heizleistung, weil nicht genug Strom verbraucht wird.)

Anderer Ansatzpunkt: richtlinienkonforme Auslegung des § 633 BGB, vgl. PWW/Halfmeier/Leupertz, §633 Rn. 20.

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Verhältnis der Beschaffenheitsvereinbarung zum Inhalt des vertraglichen Versprechens

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P 1: Die Beschaffenheitsvereinbarungen wurden eingehalten, das Werk funktioniert aber nicht bzw. genügt nicht den üblichen Erwartungen bzw. ist nicht funktionstauglich

Beispiel (vereinfacht nach BGH NJW 2011, 3780, „Elektrodüker“): Der AG beauftragt den AN mit der Vermessung und Dokumentation der Lage eines Elektrodükers. Die Dokumentation soll als Grundlage für spätere Rammarbeiten dienen. Gleichwohl beauftragt der AG den AN ausdrücklich, den Verlauf des Dükers ohne Vermessung als idealisierte Linie zwischen den Start- und Zielpunkten darzustellen. Der AN ermittelt darauf Start- und Zielgrube des Dükers und stellte den Verlauf anhand einer idealisierten geradlinigen Verbindung beider Gruben dar. Eine Messung des tatsächlichen Verlaufs erfolgt nicht. Bei den folgenden Rammarbeiten auf Grundlage der durch den AN gefertigten Pläne wird der Düker beschädigt und muss neu verlegt werden.

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Verhältnis der Beschaffenheitsvereinbarung zum Inhalt des vertraglichen Versprechens

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Lösung: Mangel (+); Ausnahme: es wurde ausnahmsweise ein anderer als der übliche Erfolg bzw. ein nicht funktionstauglicher Erfolg vereinbart (klare vertragliche Vereinbarung über das Zurückbleiben vom Standard erforderlich; günstiger Preis reicht nicht; Problem „Ökohaus“)

Arg.: entscheidend ist der Erfolg der Werkleistung, § 631 BGB die Beschaffenheitsvereinbarung konkretisiert den Erfolg, in ihrer Einhaltung erschöpft sich aber der zugesagte Erfolg nicht es bleibt beim Versprechen des Unternehmers, auf Grundlage der Beschaffenheitsvereinbarung den Erfolg zu erreichen

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Verhältnis der Beschaffenheitsvereinbarung zum Inhalt des vertraglichen Versprechens

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Ist der vereinbarte Erfolg Teil der Beschaffenheitsvereinbarung?

- führt zwar bei Sachmängelrechten im BGB in einigen Fällen zu sachgerechten Lösungen- aber: keine Erklärung für den Fall, dass ausdrückliche vertragliche Leistungsbeschreibung nicht zur Erreichung des funktionalen Erfolges führen kann – der Unternehmer muss trotzdem funktionsfähiges Werk errichten

- beim VOB-Vertrag würde die uneingeschränkte Haftung nach § 13 Abs.7 Nr. 3 b VOB/B auch eingreifen, wenn die ausdrückliche Beschaffenheitsvereinbarung eingehalten wurde, sich der Erfolg aber nicht eingestellt hat – das widerspricht Sinn und Zweck: Haftungsgrund ist die Nichteinhaltung der festgelegten Beschaffenheitsangaben

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Verhältnis der Beschaffenheitsvereinbarung zum Inhalt des vertraglichen Versprechens

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P 2: Die Beschaffenheitsvereinbarung wird nicht eingehalten, der Erfolg des Vertrages tritt aber dennoch ein

Beispiel:AG beauftragt AN mit der Erstellung von Gaubensimsen aus schwedischer Kiefer. Diese sollen vom AN mit Leinölfirnis (Naturöl) in weißer Farbe vorgestrichen werden. Bei den Vertragsverhandlungen hatte der AG ein Streichen mit Farbe auf Alkydharzbasis ebenso abgelehnt wie das Streichen mit Holzteer. Der AN fertigte die Gesimse maßgerecht, strich sie mit Reliusholzschutzgrund und Herbol-Fensterweiß auf Alkydharzbasis. Ein Sachverständiger stellt fest, dass der Anstrich aus technischer Sicht funktional und optisch völlig gleichwertig ist. Liegt ein Mangel vor?

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Verhältnis der Beschaffenheitsvereinbarung zum Inhalt des vertraglichen Versprechens

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Bei Unterschreitung von Beschaffenheitsvereinbarungen oder dem Maßstab der üblichen Ausführung:

Mangel im Beispielsfall (+), auch wenn Wert oder Tauglichkeit des Werkes nicht beeinträchtigt sind

Arg: - Der konkretisierte Erfolg wurde nicht erreicht; Wortlaut des § 633 BGB stellt nicht mehr auf Wert und Tauglichkeit ab- Der „subjektive Mangelbegriff“ ermöglicht es, jegliche konkrete Beschaffenheit zu vereinbaren, unabhängig von deren Einfluss auf objektive Nutzbarkeit etc. (Extrembeispiel: bewusstes Unterschreiten von Qualitätsstandards)

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P 3: Es wird von der Beschaffenheitsvereinbarung abgewichen; der Erfolg des Vertrages konnte nur auf diese Weise erreicht werden („untaugliche Leistungsbeschreibung“)

Beispiel:AG gibt dem AN in einem detaillierten Leistungsverzeichnis genaue Vorgaben über die Konstruktion von Lärmschutzwänden entlang einer Bahnstrecke. Der AN weicht von der vorgegebenen Konstruktionsweise ab als er feststellt, dass auf diese Weise ausgeführte Lärmschutzwände nicht die öffentlich-rechtlichen Schallschutzvorschriften erfüllen würden.

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Lösung:Das Problem besteht im Widerspruch zwischen vereinbarter Beschaffenheit und funktionalem Werkerfolg. Der AN muss die vereinbarte Beschaffenheit verwirklichen, er ist aber auch zur Errichtung eines funktionalen (hier Einhaltung der Lärmschutznorm) Werkes verpflichtet. Grds. ändert die Mitverantwortlichkeit des AG nichts am Vorliegen eines Mangels. Der AN darf aufgrund der Erfolgsbezogenheit des Werkvertrages nicht einfach die Leistungsbeschreibung abarbeiten, wenn er die Fehlerhaftigkeit derselben erkennt.

Es handelt sich also um ein Problem der Prüf- und Hinweispflicht des AN. Im konkreten Fall muss der AN den AG zunächst darauf hinweisen, dass seine Vorgaben untauglich sind. Ist der AG dann mit einer geänderten Ausführung einverstanden, so leistet der Unternehmer mangelfrei (Einzelheiten zum Verhältnis zwischen funktionalem Mangelbegriff und Prüf- und Hinweispflichten s.u.)

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Verhältnis der Beschaffenheitsvereinbarung zum Inhalt des vertraglichen Versprechens

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Beispiel:AN soll eine Produktions- und Lagerhalle errichten. AN hatte ein besonders günstiges Angebot abgegeben. Nach Bauausführung kam es zu einem Platzregen und es stellte sich heraus, dass das Dach bei zusätzlichem starkem Seitenwind regenundurchlässig ist. Liegt auch dann ein Mangel vor, wenn das Dach bei normalen Niederschlägen oder Platzregen ohne Seitenwind regenundurchlässig ist?

Vertraglich vorausgesetzter Gebrauch:Entscheidend sind nur die nach dem Empfängerhorizont des

Unternehmers erkennbar geäußerten Vorstellungen des Bestellers, gegen die sich der Unternehmer nicht verwahrt hat

Beschaffenheit bei Fehlen einer Vereinbarung

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Enttäuschung überindividueller Erwartungen, § 633 Abs.2 S.2 Nr.2:

Das Werk eignet sich nicht für die gewöhnliche Verwendung Besonders günstiger Preis etc. ist irrelevant für die Beurteilung

Das Werk entspricht nicht der Beschaffenheit, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann

Bedeutsam, ob Unternehmer spezielle Fähigkeiten oder Erfahrungen vorgibt

Werbeaussagen des Unternehmers (Wertung des § 434 Abs.1 S.3)

Beschaffenheit bei Fehlen einer Vereinbarung

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Funktionsbeeinträchtigungen abzustellen auf die speziellen Bedürfnisse des Bestellers, wenn dem Unternehmer erkennbar

Beispiel (BGHZ 174, 110 = NJW 2008, 344, Forsthaus):

AG möchte sein nicht ans Stromnetz angeschlossenes Forsthaus mit Hilfe eines Blockkraftwerkes beheizen. Er beauftragt AN1 mit der Errichtung des Kraftwerkes und AN2 mit der Errichtung der Heizungsanlage, nachdem er zuvor beiden seinen Plan auseinandergesetzt hatte. Der Energiebedarf des Forsthauses beträgt 25 kW. Die Leistung des von AN1 errichteten Kraftwerkes beträgt nur 15 kW. Nachdem AN2 die Heizung an das Kraftwerk angeschlossen hat, kann das Forsthaus nicht ausreichend beheizt werden, da das Blockheizkraftwerk keine ausreichende Leistung produziert. Liegt ein Mangel der Heizungsanlage vor?

beim Architekten ist Mangel auch zu bejahen, wenn Baugenehmigung nicht erteilt oder zurückgenommen wird, da er genehmigungsfähige Planung schuldet

Fallgruppen für Mängel bei fehlender Beschaffenheitsvereinbarung

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Fallgruppen für Mängel bei fehlender Beschaffenheitsvereinbarung

Sicherheitsmängel

ausreichend ist ein bloßer Gefahrenverdacht, sofern dieser nicht mit zumutbaren Mitteln ausgeräumt werden kann

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Anerkannte Regeln der Technik

Beachtung der Regeln der Technik ist Teil dessen, was üblich ist und der Besteller erwarten kann

Anhaltspunkte des einzuhaltenden Werkes geben DIN-Normen

Abbedingung des technischen Standards nur möglich, wenn Unternehmer ausdrücklich aufklärt und auf Gefahren etc. hinweist; Beweislast bzgl. der Aufklärung beim Unternehmer

bei Änderung der DIN-Normen: DIN-Normen z.Zt. des Gefahrenüberganges sind entscheidend (Anforderungen können also zwischen Vertragsschluss und Abnahme steigen; Mehrkosten ggf. als Sowieso-Kosten vom Besteller zu tragen)

Fallgruppen für Mängel bei fehlender Beschaffenheitsvereinbarung

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Beispiel:AG beauftragt AN mit der Abdichtung der Kelleraußenwände. AN verpflichtete sich, die Abdichtungsarbeiten nach der DIN 18195 durchzuführen, die eine Abdichtung mit Bitumbahnen vorsah. Im Zuge der Arbeiten schlug AN dem AG vor, die Abdichtung mit einer gleichwertigen Spachtelmasse „Superflex 10“ vorzunehmen. AG stimmte zu, da er irrig davon ausging, es handele sich hierbei um ein Verfahren nach DIN 18195. Ein Sachverständiger bestätigte später die Gleichwertigkeit beider Abdichtungsmethoden. Liegt ein Mangel vor? (OLG Schleswig BauR 1998, 1100: Nein, DIN-Normen sind nur ein Weg zur Feststellung der anerkannten Regeln der Technik; hat sich ein anderes Verfahren in der Praxis bewährt und wird es sachverständig als gleichwertig angesehen, dann begründet die Abweichung von der DIN-Norm als solche noch keine Abweichung von den anerkannten Regeln der Technik)

Fallgruppen für Mängel bei fehlender Beschaffenheitsvereinbarung

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Herstellervorgaben

Kann die Einhaltung von Herstellervorgaben bzgl. der Verwendung und Montage von Baumaterialien erwartet werden? Mangel bei Nichteinhaltung? 4 Varianten:

1. Herstellervorgaben bleiben hinter anerkannten Regeln der Technik zurück – anerkannten Regeln der Technik sind einzuhalten2. Herstellervorgaben und anerkannte Regeln der Technik stimmen überein- Kein Problem3. Herstellervorgaben (HV) gehen über anerkannte Regeln der Technik hinaus – (P) Was ist einzuhalten?

BGH (IBR 2011, 399): Herstellervorgaben jedenfalls einzuhalten wenn die Sicherheit des Betriebes betroffen ist.OLG Jena (IBR 2009, 511): Vermutung der Mangelhaftigkeit bei Nichteinhaltung der HVa.A: HV einzuhalten, wenn andernfalls gesteigertes Mangelrisiko

4. Es bestehen nur Herstellervorgaben, anerkannte Regeln der Technik gibt es noch nicht. – Herstellervorgaben sind einzuhalten

Fallgruppen für Mängel bei fehlender Beschaffenheitsvereinbarung

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sonstige Mängel

Optische und geschmackliche Abweichungen (+), wenn für Besteller relevant

§ 633 Abs.2 S.3 BGB: Mangel auch Herstellung eines anderen oder zu geringen Werks

Rechtsmängel, § 633 Abs.1, Abs.3 BGB : (+), wenn Dritte bzgl. des Werkes andere als die im Vertrag übernommenen Rechte geltend machen können

Fallgruppen für Mängel bei fehlender Beschaffenheitsvereinbarung

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Nach altem Recht: Ausschluss; Wortlaut des neuen Rechts erfasst alle Beeinträchtigungen

Relevanz der Frage im Hinblick auf die Rechtsfolgen sehr gering: - Nacherfüllung: im Grundsatz auch bei unwesentlichen Mängeln, aber Möglichkeit der Verweigerung bei Unverhältnismäßigkeit - Bei Rücktritt: § 323 Abs. 5 S. 2: unwesentliche Mängel irrelevant - Bei Minderung: Möglich, kein Ausschluss, aber in der Regel kein Minderwert - Schadensersatz: Möglich, kein Ausschluss, aber in der Regel kein Schaden bei ganz unwesentlichen Mängeln

Mangel bei ganz unwesentlichen Beeinträchtigungen?

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Die Regelung in § 4 Abs. 3, § 13 Abs. 3 VOB/B ist nicht ohne Weiteres auf einen reinen BGB-Vertrag übertragbar.

Aus der Erfolgshaftung des Werkvertrages ergibt sich, dass bei Nichther-beiführung des Erfolges unabhängig von den Verursachungsbeiträgen ein Mangel vorliegt.

Rspr. und h.L. nehmen aufgrund des überlegenen Fachwissens des Unternehmers auch beim BGB-Bauvertrag Prüf- und Hinweispflichten aus, die eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu- und Glauben gem. § 242 BGB darstellen sollen.

Prüfungs- und Hinweispflicht des AN

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Unabhängig davon regelt § 645 BGB, ob der Unternehmer in Ausnahmefällen neben der versprochenen Vergütung für seinen noch herzustellenden Erfolg eine zusätzliche Vergütung für seine vergeblichen Bemühungen um den Erfolg erhält.

§ 645 BGB kann (in analoger Anwendung) auch für die Mängelgewährleistung Bedeutung erlangen, wenn es z.B. darum geht, wer die Kosten einer Nachbesserung zu tragen hat.

§ 645 BGB setzt (neben seinen anderen Voraussetzungen) voraus, dass an dem Untergang, etc. (analog: der Mangelhaftigkeit) kein Umstand mitgewirkt hat, den der Unternehmer zu vertreten hat.

Zu vertreten hat der Unternehmer im Sinne des § 645 BGB u. a. eine schuldhafte Verletzung seiner ihm obliegenden Prüf- und Hinweispflicht.

Prüfungs- und Hinweispflicht des AN

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Die Konsequenzen einer Verletzung der Prüf- und Hinweispflichten für die Mängelhaftung des Unternehmers sind umstritten

Beispiel:AG beauftragt AN mit der Errichtung eines Hauses aus Baumaterialien, die er noch vorrätig hat. Hier ergibt sich aus der Erfolgshaftung des Unternehmers, dass er die Materialien auf ihre Tauglichkeit zum Hausbau untersuchen muss; hat er Bedenken hinsichtlich ihrer Tauglichkeit, muss er dies dem AG mitteilen.AN stellt bei der Untersuchung der Baumaterialien fest, dass die Ziegel, die zum Bau des Daches verwendet werden sollen, sich für die konkrete Dachkonstruktion (geringer Neigungswinkel) nur bedingt eignen. Er teilt dem AG mit, dass es u. U. bei starkem Regen zur Wasserdurchlässigkeit des Daches kommen könne. AG will dennoch, dass das Hausdach mit den Ziegeln gedeckt wird.Kommt es nach der Abnahme zur Regendurchlässigkeit des Daches ergibt sich folgende Rechtslage:

Prüfungs- und Hinweispflicht des AN

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AG gegen AN auf Nacherfüllung aus §§ 631, 633, 634 Nr.1 BGB ?Werkvertrag (+)Mangel (+) ein Dach muss dicht sein; Erfolgshaftung

Aber: Mangel des vom Besteller gelieferten Stoffes (+)Ausschluss der Mängelhaftung/ des Nacherfüllungsanspruchs durch Erfüllung der Prüf- und Hinweispflicht?

BGH (BauR 2008, 344, 348 f.): Ja, Regelung in § 13 VOB/B ist Ausprägung von Treu und Glauben; AG hat durch seine Anweisung in den Verantwortungsbereich des Unternehmers eingegriffen und kann deshalb keine Mängelbeseitigung verlangen

Gegenauffassung: der Nacherfüllungsanspruch bleibt bestehen, da § 645 BGB nur die Preisgefahr, nicht die Leistungsgefahr regelt. Der AN hat jedoch einen Anspruch auf Vergütung seiner Kosten für die Nacherfüllung, Bamberger/Roth/Voit, § 645 Rn. 11, § 633 Rn. 20.

Prüfungs- und Hinweispflicht des AN

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Folgt man der letztgenannten Meinung ist eine Einrede nach § 320 BGB zu prüfen:

AN hat gegen AG einen Anspruch auf Vergütung seiner Nacherfüllung analog § 645 BGB.Dieser Anspruch steht als fortgesetzter Vergütungsanspruch im Synallagma zu dem fortgesetzten Erfüllungsanspruch, der Nachbesserung, wobei nach der Abnahme die Vorleistungspflicht des Unternehmers erloschen ist.

Daher hat AG gegen AN einen Anspruch auf Nachbesserung nur Zug um Zug gegen Zahlung der durch die fehlerhafte Weisung erteilten Mehrkosten.

Prüfungs- und Hinweispflicht des AN

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Grundsätzlich kommt es auf die Ursache des Mangels nicht an.

Arg: Unternehmer verspricht einen Erfolg und trägt diesbezüglich das Risiko

Ausnahmen:• Weisungen des Bestellers• Fehlerhaftigkeit des vom Besteller gelieferten Stoffes (Unternehmer trägt aber das Ausreißerrisiko bei generell geeignetem Stoff, M/V-Merkens § 645 Rn. 8)• Das von einem anderen Unternehmer im Auftrag des Bestellers errichtete Werk, das eine Vorarbeit für das Werk des Unternehmers darstellt, gilt als Stoff des Bestellers (Vorunternehmer sind keine Erfüllungsgehilfen des Bestellers, weil keine vertragliche Verpflichtung des Bestellers gegenüber dem Unternehmer besteht)

Mitverantwortlichkeit des AG für den Mangel

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Abgrenzung von Weisungen und Absprachen über die Herstellung:

Weisung = verbindliche Konkretisierung der Herstellungspflicht mit dem Element einer Risikoverlagerung(Vertretungsmacht für Dritten auf Seiten des Bestellers erforderlich!)

Bei Absprachen tritt Entlastung des Unternehmers nur ein, wenn er ausreichend über die Risiken aufgeklärt und der Besteller dann darauf bestanden hat, es nach seinen Vorgaben auszuführen

Arg: unverbindliche Anregungen, Wünsche etc. entbinden den Unternehmer nicht von seiner Wahl und damit seiner Verantwortung, wie er das Werk herstellen will

Mitverantwortlichkeit des AG für den Mangel

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Unternehmer kann Mangelbeseitigung dennoch nicht verweigern (str.) Besteller muss dem Unternehmer die Mehrkosten wegen der Weisung analog § 645 BGB ersetzen Problem: Zusammentreffen von fehlerhafter Weisung und Verstoß gegen die Prüfungspflicht des UnternehmersGrds. entfällt ein Anspruch des Unternehmers aus § 645 BGB, wenn er hätte erkennen können, dass die Befolgung der Weisung den Erfolg beeinträchtigen kann (Arg: § 645 gilt nur, wenn Unternehmer den Mangel nicht zu vertreten hat)Es wird aber auch vertreten, dass hiervon eine Ausnahme gelten soll, wenn der Besteller die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten verletzt hat: Unter Abwägung aller Umstände seien die Folgen dieses Mangels zwischen den Parteien analog § 254 BGB i.V.m. § 242 BGB aufzuteilen

Folge der Mitverantwortung des Bestellers

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Prüfungspflicht des AN bzgl. aller Umstände, die für die Leistung des AN von unmittelbarer Bedeutung sind

Umfang der Prüfungspflicht: in jedem Einzelfall zu ermitteln

Kriterien sind z.B.:- Welche Kenntnisse sind vom AN zu erwarten?- Bedeutung des Prüfgegenstandes für die Funktionstauglichkeit

des Werks?- Ist AG Laie oder selbst Fachmann? (vgl. BGH NJW 1977, 420;

OLG Brandenburg BauR 2003, 1054, 1055)

Prüfungspflicht – Einzelheiten

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Grundsätzlich gilt:

stärkste Prüfungspflicht: bzgl. der vom AG bereitgestellten Stoffe und Bauteile ebenso: bzgl. Vorleistungen anderer Unternehmer am geringsten bzgl. des Planungsbereichs (regelmäßig keine Pflicht zum Hinweis auf Optimierungsmöglichkeiten)

Sofern dem AN neben der Ausführung auch die Ausführungs- und Werkplanung übertragen ist, muss er die vorgegebene Planung auf ihre Richtigkeit prüfen und sich die Sachkunde zurechnen lassen, die üblicherweise für die Planung erforderlich ist (OLG Dresden BauR 2003, 262)

Prüfungspflicht – Einzelheiten

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Beispiel:

AG beauftragt den Dachdecker AN mit der Abdichtung eines Flachdaches. Das Dach wurde vom Vorunternehmer U errichtet und wies nicht das für ein sog. Umkehrdach erforderliche Gefälle von 2 % auf. AN dichtete dieses Dach wie vorgesehen ab. Das geringe Gefälle des Daches sorgte dafür, dass bei nicht schnell genug ablaufendem Oberflächenwasser die Diffusionsoffenheit des Daches nicht mehr gewährleistet war und es deshalb innerhalb der Zimmerdecke zu Kondenswasserbildung kam. Hat AG Mängelrechte gegen AN? (OLG München, 27 U 229/05)

Prüfungspflicht – Einzelheiten

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Lösung:

Werkvertrag (+)

Mangel (+)Zwar ist das Dach dicht; es liegt aber dennoch ein Mangel vor, da der AN erwarten kann, dass er die Räume unter dem Dach uneingeschränkt nutzen kann und es nicht zu Kondenswasserbildung in diesen Räumen kommt.

Ausschluss der Mängelgewährleistung?Vorgewerk des U gilt als Stoff des AG i.S.d. § 645 BGB; Auftraggeber, der durch Lieferung eines mangelhaften Stoffes o. ä. in den Verantwortungsbereich des Unternehmers eingegriffen habe, kann nach dem BGH keine verschuldensunabhängigen Mängelansprüche gegen den Auftragnehmer geltend machen, wenn dieser seinen Prüf- und Hinweispflichten nachgekommen sei und so seine Vertragspflichten erfüllt habe (im Ergebnis wie § 13 Abs. 3 VOB/B; begründet über § 242 BGB). Nach a.A. bleibt er zur Nacherfüllung verpflichtet, der AG muss aber die Kosten der Nacherfüllung tragen.

Prüfungspflicht – Einzelheiten

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Hier: Unternehmer hat seine Prüf- und Hinweispflichten verletzt

Mit der Dachneigung steht und fällt die Tauglichkeit seiner Leistung. Jeder Unternehmer hat im Rahmen der Zumutbarkeit auch Vorgewerke daraufhin zu überprüfen, ob sie eine geeignete Grundlage für die eigene Arbeit bilden. Als Dachdecker musste AN die erforderliche Dachneigung bei Umkehrdächern kennen und die Vorarbeit des U dahin untersuchen, ob die Dachneigung den Vorgaben entsprach. Das wäre ihm leicht möglich gewesen. Da er dies nicht getan hat, hat er seine Prüfpflicht verletzt. Für einen Ausschluss der Mangelgewährleistung oder eine Kostenübernahme durch den AG ist daher kein Raum.

Prüfungspflicht – Einzelheiten

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1. AN muss bei ordnungsgemäßer Prüfung Bedenken haben

2. Hinweis auf die Bedenken:a) Hinweis verständlich und fachgerecht ausgedrücktb) Hinweis inhaltlich richtig und erschöpfendc) richtiger Adressat: AG; Empfangsvollmacht des Architekten jedenfalls dann problematisch, wenn eigene Planungs- oder

Überwachungsfehler in Rede stehend) rechtzeitig: unverzüglich (§ 121 BGB: ohne schuldhaftes Zögern)

3. Hinweis ausreichend?wenn Bauausführung zu erheblichen Mängeln (Einsturzgefahr)

oder Gefährdung Dritter führt, muss der Unternehmer die Leistung sogar verweigern, wenn AG auf der Ausführung besteht; ein bloßer Hinweis genügt nicht

Hinweispflicht

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Mängelrechteim BGB-Bauvertrag

VEREIN ZUR FÖRDERUNG VON FORSCHUNG UND LEHRE IM PRIVATEN BAURECHT AN DER

PHILIPPS-UNIVERSITÄT MARBURG E.V.

Professor Dr. W. Voit

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1.Verhältnis zum allgemeinen LeistungsstörungsrechtDas Verhältnis der Mängelhaftung zum allgemeinen Leistungsstörungsrecht ist wichtig, da bedeutsame Unterschiede existieren z.B.: kein Mangelbeseitigungsanspruch, keine Selbstnachbesserung, kein Schadensersatz wegen Mängeln

Meinungsstand:- h.M.: Mängelrechte erst nach Gefahrübergang (i.d.R. Abnahme) oder zumindest nach Fertigstellung (arg.: Verantwortung des Unternehmers bis zur Ablieferung des Werks; keine Konkretisierung; keine wechselseitige Behinderung durch Unternehmer und Selbstvornahme nach § 637 BGB; andererseits kein Zwang zur Abnahme; kein Eingriff in die Rechte des Unternehmers, wenn dieser Fertig-stellung erklärt hat; Palandt/Sprau vor § 633 Rn. 7; Joussen, BauR 2009, 319, näher Voit BauR 2011, Heft 7)-a.A. (1): es gilt auch vor Gefahrübergang das Gewährleistungsrecht, Besteller kann jederzeit Mängelrechte geltend machen (Interesse des Bestellers an der Beseitigung erkannter Mängel auch vor der Fertigstellung des Werks; Identität von Erfüllungs- und Nacherfüllungsanspruch; Vorwerk, BauR 2003, S.1, S.9 f)-a.A. (2): Mängelrechte können vor Abnahme oder Gefahrübergang, jedoch erst ab Fälligkeit geltend gemacht werden, da Unternehmer zuvor keine gegenwärtige Pflicht verletzt (PWW/Halfmeier/Leupertz § 633 Rn. 7 f).

Anwendbarkeit der Mängelrechte

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Übersicht über die anwendbaren Regelungen (I)

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Vor Gefahrübergang Nach Gefahrübergang

Allgemeines Leistungsstörungsrecht ist anwendbar (str.)

Gewährleistungsrecht ist anwendbar

§§ 280 ff., 311 a, 284 gelten unmittelbar §§ 280 ff. gelten nur über § 634, wenn Pflichtverletzung zu einem Mangel geführt hat;

im Übrigen sind die §§ 280 ff. unmittelbar anwendbar

§§ 323 ff. gelten unmittelbar; mangelhafte Arbeiten sind aber noch kein Sachmangel und – vor dem vereinbarten Fertigstellungszeitpunkt – noch keine Pflichtverletzung;

§ 323 Abs. 4 bei erfüllungsgefährdenden Mängeln und endgültiger Erfüllungsverweigerung: Rücktritt, SE entsprechend § 283

§§ 323 ff. gelten nur über § 634, soweit sich der Rücktrittsgrund aus einem Mangel ergibt;

im Übrigen gelten die §§ 323 ff. unmittelbar

§ 320 gilt unmittelbar §§ 320 nach Abnahme modifiziert durch § 641 III

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Übersicht über die anwendbaren Regelungen (II)

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Bei berechtigter Abnahmeverweigerung:

• neben dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht ist wahlweise auch das Gewährleistungsrecht anwendbar

• Arg: der Besteller soll nicht gezwungen werden, das Werk abzunehmen, um Mängelgewährleistungsansprüche geltend machen zu können.

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Verzug:Verzögerung der Herstellung ist kein Mangel; daher gelten die §§ 280, 286 bzw. § 323 unmittelbarEine Verzögerung, die durch die Nacherfüllung entsteht, ist durch § 634 Nr. 4 erfasst, M/V-Drossart § 634 Rn. 84; M/V-Mouffang § 636 Rn. 128 ff.

§§ 311 II, 280 I (cic):Unzutreffende Informationen über Merkmale des herzustellenden Werkes, die Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung sind, fallen ausschließlich unter §§ 633 ff.Das kann zwar nach der Kodifizierung der cic in §§ 311 II, 280 nicht mehr mit einer für die Analogie fehlenden Lücke (Vorwerk, BauR 2003, 1, 5 ff.), wohl aber mit der Spezialität der §§ 633 ff. begründet werdenArg: - Untrennbarer Zusammenhang von Beschaffenheitsvereinbarung und Beratung hierüber- Natur des Werkvertrages: Unsicherheit bzgl. der Erfolgserreichung macht es sinnvoll, dem Unternehmer Nachbesserungsrecht zu geben

Übersicht über die anwendbaren Regelungen (III)

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- Abnahme, § 640 Abs.1 Satz 1

- Fingierte Abnahme, § 640 Abs.1 Satz 3

- Annahmeverzug des Bestellers, § 644 Abs.1 Satz 2

- § 645 Abs.1

- § 645 Abs.1 analog (z.B. Zerstörung durch gefährdende Handlungen des Bestellers, Leistungshindernisse in der Person des Bestellers; Zweckerreichung und Zweckfortfall: Abgrenzung zur Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 Abs. 1)

- § 649

Gefahrübergang

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Anfängliche Unausführbarkeit des Werkes

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Behandlung nach den Regeln der anfänglichen Unmöglichkeit

Behandlung nach Mängelrechten

Vertrag ist wirksam, § 311a (anders nach altem Schuldrecht)

Vertrag ist wirksam

Schuldner braucht nicht zu leisten, § 275 Abs. 1, es sei denn, man nimmt (qualitative) Teilunmöglichkeit an, vgl. § 311a iVm. § 281 Abs. 1 S. 2

Schuldner muss die Leistung auch im Wege der Nacherfüllung so weit vorantreiben wie möglich

Unwesentliche Verfehlung des Erfolgs führt nur zur Reduzierung der Vergütung oder zum kleinen SE, § 311a iVm. § 281 Abs. 1 S. 3

Unwesentliche Verfehlung des Erfolgs führt nur zur Minderung oder zum kleinen SE, § 640 Abs. 1 S. 2, 634, § 323 Abs. 5 S. 2; § 281 Abs. 1 S. 3

Schadensersatz, es sei denn, Schuldner kannte das Leistungshindernis nicht und hat seine Unkenntnis nicht zu vertreten

Schadensersatz, wenn Unternehmer das Nichterreichen des Erfolgs zu vertreten hat (ggf. auch durch Übernahme einer Garantie, vgl. § 276 Abs. 1 S. 1).

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Mängelbeseitigung / Nachbesserung / Neuherstellung

Der Mangelbegriff Professor Dr. W. Voit

Bei Nacherfüllungsverlangen durch Besteller:Wahlrecht des Unternehmers zwischen Neuherstellung und Mangelbeseitigung, § 635 Abs. 1 BGB (anders §§ 437, 439 Abs. 1 BGB)

Voraussetzung des Wahlrechts: Mangelbeseitigung führt zuverlässig auf Dauer zu einer mangelfreien Leistung

Wird Mangelbeseitigung gewählt, so kann sich diese auch auf Neuherstellung von Teilen der Leistung oder der Gesamtleistung richten, falls andernfalls eine auf Dauer mangelfreie Leistung nicht erreichbar ist

AN ist an seine Entscheidung gebunden, sobald berechtigte und überwiegende Belange des AG einer Änderung entgegenstehen, z.B. AG hat sich auf Entscheidung des AN eingerichtet und Bauablauf mit anderen Unternehmern auf der Grundlage koordiniert

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Umfang der Nachbesserung

Der Mangelbegriff Professor Dr. W. Voit

Von der Nachbesserungspflicht umfasst sind alle Maßnahmen, die zur Mangelbeseitigung erforderlich sind.

Auswahl der Maßnahmen in der Verantwortung des Unternehmers

(Konsequenzen für Tenor: in der Regel keine Vorgabe für den Weg zur Mangelbeseitigung; Ausnahme: es besteht gerade Streit über diesen Weg und das Gericht kommt zum Ergebnis, dass der vom Unternehmer vorgesehene Weg den Interessen des Bestellers nicht genügt)

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Umfang der Nachbesserung

Der Mangelbegriff Professor Dr. W. Voit

Beispiel: (KG NJW-RR 2006, 1679)

AG beauftragt AN mit der Errichtung eines Gebäudes. Zur Abdichtung des Kellers enthält die Baubeschreibung keine genauen Angaben. Nach der Abnahme des Gebäudes durch AG wird festgestellt, dass der Keller feucht ist. AG teilt dies dem AN mit und setzt ihm eine Frist zur Mängelbeseitigung, in der er ihn aufforderte, den Keller mittels einer Wanne aus WU-Beton abzudichten. AN installiert stattdessen eine Innendrainage, die dazu führt, dass der Keller trocken ist.

Handelt es sich dabei um eine ausreichende Nachbesserung, wenn diese zwar völlig ausreicht, den Keller trocken zu halten, die Wartungskosten für eine Innendrainage aber deutlich höher ausfallen als die für eine Wanne aus WU-Beton?

KG: Ja, denn es ist lediglich ein trockener Keller geschuldet. Über die Frage der Wartungskosten sagt der Vertrag nichts, so dass der AN diese Form der Nacherfüllung wählen darf.

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Umfang der Nachbesserung

Der Mangelbegriff Professor Dr. W. Voit

Umfasst sind nach bisher einhelliger Auffassung:

Prüfung des Mangels erforderliche Maßnahmen zur Erreichung der Mängelstelle Material- Transport- und Personalkosten notwendige Güteprüfungen, Einholung notwendiger Gutachten Beseitigung von Nachbesserungsfolgen

Aber:

Geht man davon aus, dass sich die Nacherfüllung nach der Schuldrechts-reform im Werkvertragsrecht ebenso wie im Kaufrecht (vgl. BGH NJW 2008, 2837: „Parkettstäbe“ – die abweichende richtlinienkonforme Auslegung [BGHZ 192, 148] gilt nur für den Verbrauchsgüterkauf [so jetzt BGH v. 17.10.2012 - VIII ZR 226/11 und BGH v. vom 02.04.2014 - VIII ZR 46/13 ]; so auch geplante Änderung des BGB) auf die Nach- bzw. Wiederholung der mangel-freien Leistung beschränkt, sind Vor- und Nacharbeiten nicht geschuldet, wenn sie im ursprünglichen Leistungsprogramm nicht enthalten waren.

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Umfang der Nachbesserung

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Beispiel des Umfangs anhand von BGH NJW 1972, 1280

Nachbesserung von Heizungsrohren einer Fernwärmeleitung, die Leckstellen aufwies:

- Aufspüren der Schadstelle- Öffnung der Straßendecke und des Rohrgrabens- Freilegen der Leckstelle durch Entfernung der Isolierung- Abdichten- Wiederanbringen der Isolierung- Verfüllen des Rohrgrabens- Verdichten des Erdreiches- Wiederherstellen der Straßendecke

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Kosten der Nacherfüllung

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Kostenpflicht des AN Kostenbeteiligung des AG

Sowieso-Kosten Vorteilsausgleich

Grundsatz: der AN trägt alle für die Mängelbeseitigung erforderlichen Kosten allein

Nur wenn AG für die Entstehung des Mangels mitverantwortlich ist, hat er sich an den Kosten zu beteiligen

Grundsatz: Risiko, dass sich durch Nacherfüllung der ursprünglich vorgesehene Leistungsaufwand erhöht, liegt beim ANAber: hätte AG für mangelfreie Leistung von Anfang an not wendigerweise die Leistung beauftragen und bezahlen müssen, hat AN einen Aus-gleichsanspruch

Erwachsen dem AG durch die Nacherfüllung Vorteile, die er bei mangelfreier sofortiger Herstellung nicht hätte: Erstattungsanspruch des AN, wenn: -für AG zumutbar-AN nicht unbillig entlastet wird

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Ausnahmen zur Kostentragungspflicht des Auftragnehmers

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Ausnahme 1: AG ist für die Entstehung des Mangels mitverantwortlich

Mitverantwortung des AG, weil AN ungenügend durch Besteller oder Architekt überwacht wurde?

Nein, bisherige Arg: AN hat keinen Anspruch, überwacht zu werden; eine vertragliche Pflicht des Architekten, den AN zu überwachen, besteht nur ggü. dem AG. Begründung nach „Glasfassaden“-Urteil des BGH (NJW 2009, 582) fraglich geworden, i.E. aber weitgehend unbestritten (nach diesem Urteil eher über Schutzzweck der Obliegenheit zu begründen).

Mitverantwortung des AG aufgrund fehlerhafter oder fehlender Planung, Koordinierung, sonstiger Anordnung oder Mängeln des von ihm vorgeschriebenen oder gelieferten Stoffs?

Hat Unternehmer Prüf- und Hinweispflicht eingehalten, stellt sich die Frage der Mitverantwortung nicht: AN muss keine Kosten tragen (sofern man im BGB-Vertrag eine Mangelbeseitigungspflicht des AG trotz des Hinweises bejaht)

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Ausnahmen zur Kostentragungspflicht des Auftragnehmers

Der Mangelbegriff Professor Dr. W. Voit

Bei Verletzung der Prüf- und Hinweispflichten durch AN sind sowohl AG als auch AN verantwortlich für die Entstehung des Mangels

AN kann dann nach einer Ansicht dem Kostenanspruch bzw. dem Nachbesserungsverlangen die Mitverantwortung des AG bzw. seiner Vertreter nach § 242 BGB entgegenhalten.

Nach einer anderen Ansicht ist die Wertung des § 645 BGB auch hier heranzuziehen: danach kann der AN nur dann Ersatz verlangen, wenn ihn kein Verschulden trifft, d.h. er seine Prüf- und Hinweispflicht nicht verletzt hat.

Zahlung der Kostenbeteiligung kann AN erst nach Mängelbeseitigung verlangen; jedoch besteht ein Leistungsverweigerungsrecht aus § 320

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Ausnahmen zur Kostentragungspflicht des Auftragnehmers

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Ausnahme 2: Sowieso-Kosten

Risiko, dass sich durch Nacherfüllung der ursprünglich vorgesehene Leistungsaufwand erhöht, liegt grundsätzlich beim AN

Aber: hätte AG für mangelfreie Leistung von Anfang an notwendigerweise die Leistung zusätzlich beauftragen und nach der vereinbarten Vergütungsform auch zusätzlich bezahlen müssen (Sowieso-Kosten), hat AN einen Ausgleichsanspruch

Arg: AG soll im Nacherfüllungsstadium nicht besser stehen als er bei einer von Anfang an richtigen Planung gestanden hätte

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Berechnungszeitpunkt der Sowieso-Kosten ist der Zeitpunkt der ursprünglichen Bauausführung (BGH NJW 1999, 416, 417)

Zahlung kann AN nur Zug um Zug gegen Mangelbeseitigung fordern; bzgl. der Sowieso-Kosten kann AN jedoch Sicherheit verlangen, Kleine-Möller Merl, § 12, Rn. 345 [§ 648 a analog?]; ggf. Zug-um-Zug-Verurteilung

Keine Sowieso-Kosten kann der AN verlangen, wenn er ohnehin zur Ausführung der Zusätzlichen Leistungen ohne zusätzliche Vergütung verpflichtet gewesen wäre“ [Pauschalpreis + funktionale Ausschreibung / Planung von AN + Pauschalpreis]

Sowieso-Kosten / Einzelfragen

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Der Mangelbegriff Professor Dr. W. Voit

Erwachsen dem AG durch die Nacherfüllung Vorteile, die er bei mangelfreier sofortiger Herstellung nicht hätte, kommt Vorteilsausgleich in Betracht

Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch des AN:

dem AG erwachsen durch die Nacherfüllung Vorteile, die er bei mangelfreier sofortiger Herstellung nicht hättefür AG zumutbarAN wird nicht unbillig entlastet

Unbillig (+), wenn Vorteil (Neu für Alt) auf die verzögerte Nacherfüllung durch AN zurückzuführen ist, andernfalls müsste der AG aufgrund der Verzögerung der Nacherfüllung mehr als vorgesehen für die mangelfreie Leistung zahlen.

Vorteilsausgleich

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Der Mangelbegriff Professor Dr. W. Voit

Zugang zum Bauwerk sicherstellen nicht: Schutzmaßnahmen gegen drohende Beschädigung anderer Bauteile;

das ist Aufgabe des AN. Aber: Hinweispflicht bzgl. dem AG in ihrem besonderen Wert nicht erkennbarer Gegenstände sowie ggf. Mitwirkung bzgl. der Schutzmaßnahmen, wenn diese erforderlich sind

Schutzmaßnahmen müssen ggf. im Rahmen der Schadensminderungspflicht von dem AG wahrgenommen werden, wenn er unmittelbar drohenden Schaden durch zumutbares eigenes Verhalten abwenden kann

kein Mitbestimmungsrecht des AG bzgl. Art und Weise der vom Auftragnehmer vorzunehmenden Schutzmaßnahmen

AN kann in der Regel keine gemeinsame Beweissicherung vor Beginn der Nachbesserungsarbeiten verlangen; bei besonderem Interesse kann AG Beweissicherung durchführen lassen und unter Umständen die Arbeiten von einem sachkundigen Dritten überwachen zu lassen

Mitwirkungspflichten und Mitwirkungsrechte des AG im Rahmen der Nacherfüllung

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Prof. Dr. Wolfgang Voit Zusatzqualifikation Privates Baurecht Mängelrechte nach BGB

§§ 635 Abs. 3, 275 BGB geben dem AN das Recht, die Nacherfüllung zu verweigern

Ist nur eine Art und Weise der Nacherfüllung unverhältnismäßig, befreit dies den AN nicht. Er muss in anderer Weise nacherfüllen, auch wenn er selbst die erforderliche Fachkenntnis nicht besitzt. Er muss sich diese verschaffen oder entsprechende Fachfirmen auf seine Kosten hinzuziehen.

Kriterien für die Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung nach § 635 Abs. 3 BGB: Verhältnis der Nachbesserungskosten zum objektiven Wertverlust des Bauwerks und dessen objektiven Gesamtwert subjektives Interesse des AG (insbes. wenn Mangel Funktion nicht beeinträchtigt; Schönheitsfehler) schuldhaftes Verhalten des AN

Ausschluss des Mangelbeseitigungsanspruchs

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Prof. Dr. Wolfgang Voit Zusatzqualifikation Privates Baurecht Mängelrechte nach BGB

Unverhältnismäßigkeit der Aufwendungen liegt vor, wenn der in Hinblick auf die Beseitigung des Mangels zu erwartende Erfolg bzw. Teilerfolg bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls in keinem vernünftigen Verhältnis zu dem Geldaufwand steht.

-Bei mehreren Mängeln ist Unverhältnismäßigkeit für jeden Mangel gesondert zu prüfen, wobei Erleichterungen, z.B. beim Transport etc. zu berücksichtigen sind

-AN muss sich auf die Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung berufen

-AN trifft Darlegungs- und Beweislast bzgl. der Umstände, aus denen sich die Unverhältnismäßigkeit ergibt

Ausschluss des Mangelbeseitigungsanspruchs

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Fallgruppenvorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten des AN: der Einwand des § 635 Abs. 3 BGB ist ihm in der Regel abgeschnittenhoher Nachbesserungsaufwand: dieser ist dem AN grds. zuzumuten, wenn damit ein erheblicher Mangel beseitigt werden kann das Werk ist infolge eines Mangels funktionsuntauglich: der Unternehmer kann sich grds. nicht auf § 635 BGB berufen (BGH Vorlageentscheidung Weber: im Kaufrecht objektive Wertgrenzen, 150-200%)

Maßgeblicher Zeitpunkt = der Zeitpunkt, zu dem die vertragsgemäße Erfüllung geschuldet war (Zeitpunkt der erfolgten Abnahme bzw. Zeitpunkt, zu dem die Abnahme wegen des fraglichen Mangels abgelehnt wurde)

Nicht zu berücksichtigen sind:-vom AG herbeigeführte treuwidrige Kostensteigerungen, z.B. wissentliche Durchführung von Nachfolgearbeiten trotz Mangels-Kostensteigerungen, die erst nach Abnahme eingetreten sind -Sowieso-Kosten oder wegen Vorteilsausgleich abzuziehende Kosten, die letztlich der AG zu tragen hat

Ausschluss des Mangelbeseitigungsanspruchs

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Beispiel:

OLG Schleswig vom 11.11.2005, Aktz: 4 U 145/04

B beauftragte AN mit der Errichtung eines Einfamilienhauses. Nach der Abnahme stellt sich heraus, dass der AN bei Errichtung des Obergeschosses abweichend von der Planung die gemäß der einschlägigen Landesbauordnung erforderliche Raumhöhe unterschritten hatte. B setzt daraufhin dem AN eine Nachfrist und fordert ihn zur Mangelbeseitigung auf. Diese verweigert AN mit der Begründung, der Aufwand, die Deckenhöhe nachträglich anzuheben, sei nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich. Es müssten das Dachgeschoss durch Veränderung der Kehlbalken angehoben und sämtliche Zwischenwände angepasst werden. Zu Recht?

Ausschluss des Mangelbeseitigungsanspruchs

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§ 275 Abs. 1 BGB => Rechte des AG: §§ 280 I, III, 283, 326 V, 638 (§ 284) BGB oder § 311 a Abs. 2 BGB

Problem: teilweise Unmöglichkeit

Ist Mängelbeseitigung nur teilweise möglich, ist diese vom AG hinzunehmen, wenn dies für ihn zumutbar ist.

Beispiel: Nach teilweiser Mangelbeseitigung verbleibt nur ein geringer Minderwert

Unmöglichkeit der Nacherfüllung

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Nach § 640 Abs. 2 BGB verliert der AG seine Rechte in Bezug auf einen Mangel, wenn er in Kenntnis dieses Mangels das Werk abnimmt, ohne sich seine Rechte vorzubehalten (nur rechtsgeschäftliche Abnahme nach § 640 Abs. 1 S. 1, nicht Abnahmefiktion nach § 640 Abs.1 S. 3 BGB, Arg.: Wortlaut § 640 Abs. 2 BGB).

Anders als im Kaufvertrag ist positive Kenntnis des Mangels z.Zt. der Abnahme erforderlich

-Für einen Vorbehalt der Rechte genügt Rüge bestimmt bezeichneter Mängel-Beschreibung der Mängel muss abgrenzbar sein und für den Sachverständigen erkennen lassen, welche Symptome für eine Mangelursache angeführt werden. Die Mangelursache selbst braucht nicht benannt zu werden (wie Symptomtheorie zu § 637 BGB)

Vorbehalt muss bei Abnahme erfolgen; ein unmittelbar vor Abnahme erfolgter Vorbehalt kann genügen, wenn eindeutig ist, dass dieser aufrecht erhalten bleiben soll.

Erlöschen des Anspruchs auf Nacherfüllung bei vorbehaltsloser Abnahme

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Der Nacherfüllungsanspruch erlischt:

wenn AG wirksam mindert, Arg: Gestaltungsrecht

wenn AG wirksam zurücktritt, Arg: Gestaltungsrecht

wenn AG Schadensersatz statt der Leistung verlangt, § 281 Abs. 4BGB

wenn AG nicht die geforderte Sicherheit nach § 648 a BGB innerhalb der gesetzten Frist erbringt und der Unternehmer nach § 648 a Abs. 5 kündigt.

Erlöschen des Nacherfüllungsanspruchs

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Hinsichtlich der teilweise erbrachten Leistung bleibt es bei der gesetzlichen Regelung:

Der AG kann Nacherfüllung verlangen oder unter den Voraussetzungen des § 637 BGB auch zur Selbstvornahme übergehen

Unter Umständen ergibt sich aus dem Kündigungsgrund eine Unzuverlässigkeit des AN, so dass Selbstvornahme sofort, d.h. ohne Fristsetzung, möglich ist (Unzumutbarkeit i.S.d. § 636 BGB)

Kündigung des AN ist nicht als Weigerung, vorhandene Mängel zu beseitigen, anzusehen, sodass der AG weiterhin grundsätzlich eine Frist setzen muss

Nacherfüllung bei vorzeitiger Beendigung des Vertrages

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idR. Werkvertrag (+) Architekt schuldet Planung und BauüberwachungNach Umsetzung des Plans ist die Beseitigung von Mängeln des Plans nicht mehr von Interesse, deshalb Unterscheidung:

Sonderprobleme des Architekten- und Ingenieurvertrages

Bauvorhaben wurde noch nicht nach den Plänen verwirklicht

Bauvorhaben wurde nach den Plänen verwirklicht

Eine Nacherfüllung ist noch möglich, z.B. durch Beseitigung des PlanungsfehlersDaher Nacherfüllungsanspruch

Eine Nacherfüllung ist nicht mehr möglich bzw. führt jedenfalls nicht mehr zur Beseitigung des Mangels am Bauwerk.Beseitigung des Baumangels fällt nicht unter die Nacherfüllungspflicht des Architekten/Ingenieurs nach § 635 BGBArchitekt haftet daher nach § 634 Nr. 4 BGB bei schuldhaftem Handeln auf Schadensersatz

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Grundsatz: Mängelbeseitigung ist Sache des AN (Arg.: Kostengünstiger als Kostenerstattung)

Dem AG kann es nicht verwehrt werden, Mängel der Bauleistung eigenmächtig selbst zu beseitigen; jedoch fallen die Aufwendungen und die Folgen solcher Maßnahmen ihm allein zur Last (Bezeichnung „Recht des Unternehmers auf Nacherfüllung“ sachlich nicht ganz zutreffend, weil es nur zur Abwendung weitergehender Mängelrechte dient)

Selbstvornahme der Mängelbeseitigung

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Vorteile für den AG gegenüber dem Schadensersatzanspruch:

-Kein Verschuldensnachweis erforderlich-Kein Verlust des Nacherfüllungsanspruchs (anders § 281 Abs. 4)-Kein Risiko bei fehlgeschlagener Nacherfüllung, weil Kosten mehrfacher Nacherfüllung ersetzt werden können-Kein Liquiditätsrisiko wegen Vorschussanspruch-Abrechnung und Rückzahlung des Vorschusses kann durch Übergang zum Schadensersatzanspruch im Wege der Aufrechnung vermieden werden

Selbstvornahme der Mängelbeseitigung

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Fälligkeit des Nacherfüllungsanspruchs idR erst nach Abnahme: § 271 BGB mit Forderung der MängelbeseitigungStundungsvereinbarung?

Beispiel: Einigung, wegen Streit über Vorhandensein eines Mangels zunächst ein Sachverständigengutachten einzuholen

Leistungsverweigerungsrechtez.B.: Zahlungsverzug des AG, § 320 BGBoder: AG stellt eine vom AN geforderte Sicherheit nicht: § 648a BGB (auch nach Abnahme anwendbar: § 648a Abs. 1 S. 3)

Fälliger einredefreier Mängelbeseitigungsanspruch

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- Fristsetzung kann mit erstmaliger Forderung auf Nacherfüllung verbunden werden

- Es bedarf keiner Androhung der Selbstvornahme oder anderer Rechtsfolgen

- Mängel sind konkret zu bezeichnen

Die Bezeichnung kann erfolgen:

- durch Beschreibung der Mangelerscheinung (z.B. eindringende Feuchtigkeit)

- durch Beschreibung der Mangelursache (z.B. fehlende Abdichtung)

Fristsetzung zur Nacherfüllung

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Es genügt nicht:

-Rüge der allgemein schlechten Qualität der Bauleistung-Verlangen der Beseitigung sämtlicher vorhandener Mängel, sofern sich nicht durch Auslegung (z.B. frühere konkrete Mängelrüge) die konkreten Mängel bestimmen lassen

Frist muss den Zeitpunkt angeben, zu dem der Mangel beseitigt sein soll (anders zum Kaufrecht jetzt aber BGH NJW 2009, 3153, 3154: Aufforderung zur unverzüglichen Mängelbeseitigung genügt)

Problem: Setzen einer Beginnfrist

Fristsetzung zur Nacherfüllung

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Beispiel:

Der AN beauftragt AG mit dem Bau einer Wohnungseigentumsanlage. Nach der Abnahme stellt sich heraus, dass das Dach undicht und schadhaft ist. Ein eingeholtes Sachverständigengutachten ergibt, dass die Dachkonstruktion und die Ausführung des Dachs mangelhaft sind. Der AG fordert daher AN mit einem Schreiben auf, mit den Nachbesserungsarbeiten am Dach zu beginnen und diese zügig abzuschließen. Sollte der AN nicht innerhalb eines Monates mit den Arbeiten begonnen haben, werde er den Mangel durch ein anderes Unternehmen beseitigen lassen. Genügt diese Art der Fristsetzung den Anforderungen des §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 1 BGB? (BGH BauR 1982, 496)

Bisherige Lösung: reine Beginnfrist mit hohen Risiken verbunden, weil unklar bleibt, ob das Recht zur Selbstvornahme besteht und bei unberechtigter Selbstvornahme nach der Rspr. kein Ersatzanspruch besteht. Deshalb allenfalls doppelte Fristsetzung.

Fristsetzung zur Nacherfüllung

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Aber Rspr. zum Kaufrecht (BGH NJW 2009, 3153): Für Fristsetzung gemäß § 281 Abs. 1 BGB genügt Verlangen nach sofortiger, unverzüglicher oder umgehender Leistung.

Arg.: Es sei nach dem objektiven Empfängerhorizont klar, dass nur eine angemessene Frist zur Verfügung stehe. Rechtsunsicherheit bzgl. des Fristendes bestehe in gleichem Maße beim Setzen einer zu kurzen Frist (setzt angemessene Frist in Gang). Insoweit greife dieses Argument nicht durch.

Außerdem Zusammenhang mit der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie.

Übertragbarkeit auf Werkvertragsrecht zweifelhaft: Pro: einheitliches Leistungsstörungsrecht in § 281

Kontra: Wortlaut; Frist ist FristPflicht zur richtlinienkonformen Auslegung erstreckt sich nicht zwingend auch auf überschießende Umsetzung

Fristsetzung zur Nacherfüllung

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Ausgangspunkt: Es ist nicht Sache des Bestellers/Auftraggebers, die Mangelursache zu finden, sondern es muss ausreichen, wenn er das äußere Erscheinungsbild beschreibt. Dabei muss schon wegen der Verjährungsfrage eine Abgrenzbarkeit des Mangels gewährleistet sein

Deshalb: Es genügt laienhafte Mangelbeschreibung, wenn AN erkennen kann, welche Mängel von ihm beseitigt werden sollen

Bei Rüge örtlich bestimmter Mangelerscheinungen: die Mängelrüge erfasst alle Fehler des Werkes insgesamt, wenn ein mit dem gerügten Fehler identischer Fehler auch an anderen Stellen auftritt

Bei Rüge bestimmter Mangelursachen: die Mängelrüge erfasst alle Fehler des Werkes insgesamt, wenn sie auf gleicher Ursache beruhen wie der gerügte Mangel

Beschreibt der Besteller einen Mangel, so ist es unschädlich, wenn er eine andere als die tatsächliche Ursache angibt

Symptomtheorie

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-Abhängig von Art, Umfang und Schwierigkeit der Nacherfüllung-Welche Zeit benötigt AN für die Vorbereitung (Gutachten? Planung?) und Durchführung der Arbeiten? (Problem: Arbeitskräfte des AN sind anderweitig verplant: Zeitraum für Neukoordination ist einzuräumen, aber erhöhte Pflichten zur Mangelbeseitigung) -Drohen erhebliche Mangelfolgeschäden, z.B. wird die ordnungsgemäße Baudurchführung gefährdet?

Die Frist muss nach objektiven Kriterien einhaltbar sein: (-), wenn er wegen der besonderen Marktsituation bestimmte Materialien nicht bekommen kann (so zum alten Schuldrecht Kleine-Möller/Merl Rn. 374; nach neuem Schuldrecht zweifelhaft, da Verzug nicht erforderlich)

Hinweispflicht des AN, wenn Frist wegen Umständen zu kurz bemessen, die nur dem AN erkennbar sind; bei fehlendem Hinweis keine Berufung auf eine zu kurz bemessene Frist

Angemessenheit der Frist

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Zu kurz gewählte Frist setzt angemessene Frist in Gang

Zu lang bemessene Frist muss vom AG eingehalten werden; Arg: AN kann auf Frist vertrauen (Ausnahme: Neue Tatsachen, die bei Interessenabwägung ein besonderes Interesse des Bestellers am Entfallen der Nachfrist begründen)

Vertrauensverlust/Eintritt der Unzumutbarkeit während des Fristenlaufs (z.B.: neue ganz gravierende Mängel): Fristablauf ist nicht abzuwarten

Angemessenheit der Frist

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Die Frist zur Mängelbeseitigung muss versäumt worden sein Lässt der AG eine bestimmte Art der Mängelbeseitigung (unberechtigt) nicht zu, befindet er sich im Annahmeverzug und darf nach Ablauf der Frist keine Selbstvornahme auf Kosten des AN durchführen lassen

Nacherfüllungsversuch ohne Beseitigung des Mangels steht erfolglosem Fristablauf nicht ohne weiteres gleich; arg. § 637 Abs. 2-Fehlschlagen der Nacherfüllung: wenn anzunehmen ist, dass die weitere Nachbesserung nicht zu einem mangelfreien Werk führen wird-§ 440 S. 2 analog? Wegen der besonderen Erfolgsabhängigkeit des Werkvertrages keine Vergleichbarkeit, aber Indiz, dass in der Regel zweimaliger Versuch erforderlich, aber auch ausreichend ist-Unzumutbarkeit einer weiteren Fristsetzung, wenn AG wegen gravierender Unzuverlässigkeit Vertrauen in den AN verloren hat (bloßes Misslingen der Nacherfüllung reicht dazu nicht aus; wohl aber Fehler, die in besonderem Maße Zweifel an der Fachkompetenz rechtfertigen)

Fristablauf

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ernsthafte und bestimmte Verweigerung der Mängelbeseitigung (§ 636 i.V.m. § 281 Abs. 2 bzw. § 323 Abs. 2 oder § 635 Abs. 3 [Unverhältnismäßigkeit]) z.B. bei Bestreiten des Mangels; es genügt, wenn dies erst später im Prozess geschieht (str.; Abgrenzung zum prozessualen Bestreiten problematisch)

Fehlschlagen der Nacherfüllung (§ 636)

es ist unverzügliches Handeln geboten, um erhebliche Mängelschäden abzuwenden (Unzumutbarkeit i.S.d. § 636)

AG hat zu Recht das Vertrauen in die Zuverlässigkeit des AN verloren + ihm ist eine Nacherfüllung durch ihn nicht zuzumuten (Unzumutbarkeit i.S.d. § 636) Kriterien der fachlichen Unzuverlässigkeit:-Art und Umfang des Mangels-Einer von AN eingeräumten fehlenden Fachkenntnis-Nachbesserungsversuche bzgl. anderer Mängel sind bereits fehlgeschlagen

• Unmöglichkeit der Nacherfüllung (§ 283 bzw. § 326 Abs. 5)

Entbehrlichkeit der Frist zur Mängelbeseitigung

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Beispiel:Der AN hatte aufgrund eines Vertrages mit dem AG die Rohre für eine Fernwärmeanschlussleitung verlegt. Es zeigte sich im Dezember 2004 durch Austritt von Dampf, dass die Leitung nicht dicht war. Die Versorgung des Hauses war dadurch nicht mehr gewährleistet und der Straßenverkehr wurde durch den austretenden Dampf beeinträchtigt. Am selben Tag beauftragte der AG eine Tiefbaufirma mit Grabungen, um die Schadensursache ausfindig zu machen. Durch die Grabung konnte festgestellt werden, dass eine Schweißnaht des AN nicht dicht war. Der Mangel wurde noch am selben Tag von den Angestellten der Tiefbaufirma beseitigt. Der AG verlangt die Erstattung dieser Kosten vom AN. Dieser verweigert die Zahlung unter Hinweis auf die Versäumung einer Fristsetzung zur Nachbesserung. Zu Recht? (OLG Düsseldorf NJW-RR 1993, 477)

Entbehrlichkeit der Frist zur Mängelbeseitigung

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Nachbesserung kann der AN nach Ablauf der Frist nur noch mit Zustimmung des AG durchführen Nachträgliches Angebot des AN hat keine Auswirkung auf Rechte aus § 637 BGB

Ausnahmsweise besteht Pflicht des AG, Angebot des AN anzunehmen:

wenn er erneut zur Mängelbeseitigung aufgefordert hattewenn die Fristüberschreitung nur kurzfristig war (Ba/Ro/Voit § 636 Rn. 14) und deshalb Treu und Glauben es dem AG verbieten, sich auf die Überschreitung zu berufen (nur in sehr engen Grenzen)

Verspätetes Angebot des AN zur Nacherfüllung

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AG kann diejenigen Maßnahmen durchführen lassen, die dem AN nach § 635 BGB oblegen hätten

Beurteilungsspielraum des AG: bei mehreren Möglichkeiten zur Mängelbeseitigung kann AG die sicherste wählen, selbst dann, wenn sie nicht unwesentlich teurer ist

Auswahl des Drittunternehmers: nach Wirtschaftlichkeit, aber keine übermäßigen Anforderungen; ggf. Vergleichsangebote einholen, aber keine umfassende Marktsichtung und kein Zwang zum „Billigsten“. Mangel muss sicher behoben werden, deshalb Auswahlentscheidung des AG, wem er das zutraut

Inhalt und Umfang der Selbstvornahme/des Aufwendungsersatzes nach § 637 BGB

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Problem: Berechnung des Aufwendungsersatzanspruchs bei Beseitigung durch AG selbst:

bei gewerblichem Auftraggeber: Lohn- und Materialkosten einschließlich anteiliger Gemeinkosten, nicht jedoch kalkuliertem GewinnanteilBeseitigung durch AG in seiner Freizeit: Anhaltspunkt: Nettolohn einer entsprechenden Fachkraft, jedoch nach Lage des Einzelfalls Abzüge (M/V/Moufang § 637 Rn. 25)

Inhalt und Umfang der Selbstvornahme/des Aufwendungsersatzes

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Grundlage: § 637 Abs. 3 BGB; beim VOB-Vertrag durch § 13 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B nicht ausgeschlossen und daher unmittelbar anwendbar (h.M. vgl. M/V/Voit § 13 VOB/B Rn. 36)

AG muss die Mängelbeseitigung tatsächlich in angemessener Zeit beabsichtigen

Es ist nicht erforderlich, dass bereits Gebote von Drittunternehmern eingeholt worden sind

Dafür spricht die Vermutung des ersten Anscheins mit Wirkung auf Darlegungs- und Beweislast

Angemessene Zeit = bis zu einem Jahr

Ausnahmsweise länger, wenn es dem AG nicht zumutbar ist, die Mängelbeseitigung ohne vorherige gerichtliche Feststellung der Einstandspflicht des AN vorzunehmen

Kostenvorschuss

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Angemessene Höhe des Vorschusses:

Schätzung der zu erwartenden Aufwendung für die Mängelbeseitigung

Nicht zu berücksichtigen dabei: verbleibender Minderwert, Mangelfolgeschäden

Schätzung erfolgt anhand eingeholter Gutachten oder eingeholter Angebote

Feststellungsklage auf Zahlung weiteren Vorschusses für den Fall, dass der Vorschuss nicht ausreicht, ist möglich

Unbezifferte Leistungsklage ist zulässig, wenn AG die Höhe der zu erwartenden Kosten ohne vorprozessuales Gutachten nicht schätzen kann (BGH BauR 2001, 789)

Kostenvorschuss

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Anrechnung auf den Vorschussanspruch

Anzurechnen ist geschuldeter Werklohn, selbst wenn er mangels Abnahme noch nicht fällig oder bereits verjährt ist

Problem: Sicherheitseinbehalt

Dieser ist anzurechnen, wenn nicht evtl. andere Mängel zu berücksichtigen sind. Daher keine Anrechnung, wenn Mängelhaftungsfrist noch längere Zeit läuft? So Kleine-Möller Merl, §12, Rn. 398 (str.); Arg: weiterhin berechtigtes Sicherheitsbedürfnis des AG

Kostenvorschuss

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Erlöschen des Anspruchs auf Vorschuss:Vorschussanspruch erlischt, wenn AG nach Mängelbeseitigung endgültige Abrechnung vornehmen kannBereits bezahlter Vorschuss ist abzurechnen; zu viel gezahlter zurückzuzahlen. Ausnahme: es bestehen weitere Mängel, dann: § 273 BGB

Rückzahlungsanspruch des ANDer Vorschuss ist zurückzuerstatten, wenn der AG die Mängelbeseitigung nicht mehr beabsichtigt oder nicht innerhalb angemessener Zeit durchgeführt hat (BGH NJW 2010, 1192)

AG muss zwar nicht übereilt tätig werden, aber doch alsbald notwendige und zumutbare Maßnahmen für den Beginn der Arbeiten ergreifen

Erneuter Vorschussanspruch – mit der Begründung, nun umgehend mit der Mängelbeseitigung zu beginnen – besteht nicht mehr.

Kostenvorschuss

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Hat der AN den Mangel zu vertreten, kann der AG auch über § 634 Nr. 4 BGB Ersatz angefallener oder erwarteter Selbstvornahmekosten als Schadensersatz verlangen.

Ist die Mangelbeseitigung noch nicht erfolgt, kann er den fiktiven Kostensatz verlangen; es ist ohne Bedeutung, ob er den Betrag tatsächlich zur Mangelbeseitigung oder für andere Zwecke verwenden will (nach BGH NJW 2010, 3085 umfasst der Schadensersatz allerdings nur die Umsatzsteuer, soweit diese tatsächlich angefallen ist, entsprechend der Wertung in § 249 Abs. 2 S. 1 BGB).

Hat AG bereits Kostenvorschuss erlangt, ist dieser mit dem Schadensersatzanspruch zu verrechnen.

AG kann aber nicht auf dem Wege des Schadensersatzes Aufwendungen für eine Mängelbeseitigung im Wege eigenmächtiger Selbstvornahme verlangen.

Kostenerstattung im Wege des Schadensersatzes

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§ 637 BGB ist eine abschließende Regelung, d.h. es bestehen keine Ansprüche aus GoA, Bereicherungsrecht oder Schadensersatzansprüche, wenn AG Kosten für eigenmächtige Selbstvornahme erstattet bekommen möchte Durch eigenmächtige Selbstvornahme werden aber nicht die Ansprüche wegen Folgeschäden ausgeschlossen. Es besteht weiterhin die Möglichkeit, einen Anspruch aus § 637 BGB geltend zu machen, wenn nach eigenmächtiger Selbstvornahme die Mängel nicht beseitigt wurden Ersparte Aufwendungen sind richtiger Ansicht nach entsprechend § 326 Abs. 2 S. 2 vom Auftragnehmer zu tragen, auch wenn die Voraussetzungen des § 637 BGB nicht erfüllt sind, da ansonsten Auftragnehmer unberechtigt entlastet wird; außerdem kein Unterlaufen des Fristerfordernisses, weil Herausgabe ersparter Aufwendungen erheblich geringer als Aufwendungsersatz; anders aber BGH NJW 2005, 1348 (zum Kaufrecht); M/V/Moufang § 637 Rn. 15 f.

Folgen unberechtigter Selbstvornahme

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1. Wirksamer Werkvertrag2. Sach- oder Rechtsmangel3. Angemessene Nacherfüllungsfrist (bzw. Entbehrlichkeit)4. Kein Ausschluss der Mängelhaftung

Prüfungsschema für Minderung, §§ 634 Nr. 3 Alt 2, 638 und Rücktritt, §§ 634 Nr. 3 Alt 1, 636, 323, 326 V

Rücktritt Minderung

BGB-VertragAusschluss bei unerheblichem Mangel, §323 V 2

VOB-VertragRücktritt ausgeschlossen!

BGB-VertragKeine zusätzliche Voraussetzung

VOB-VertragEinschränkungen des § 13 Nr. 6

5. Weiterer Grund für den Ausschluss des Rücktritts bzw. der Minderung, § 323 VI (§ 638 I 1): weit überwiegende Verantwortung des Gläubigers6. Rücktritts- bzw. Minderungserklärung, §§ 349, 638 I 1 (bei mehreren Bestellern oder Unternehmern: § 351, § 638 II)

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Erklärung des Rücktritts oder der Minderung gestaltet den Vertrag unmittelbar um

Rücktritt: Rückgewährschuldverhältnis nach §§ 346 ff. BGB

Minderung: -Entfallen des weitergehenden Vergütungsanspruchs-Anspruch auf Rückgewähr zu viel gezahlter Vergütung nach Rücktrittsrecht, § 638 Abs. 4 BGB

Schadensersatzanspruch neben Rücktritt oder Minderung?Neben Rücktritt möglich, § 325 BGB ((P) auch „kleiner“ Schadensersatz)Neben Minderung? Pro: Ausübung des Wahlrechts soll dem Besteller keine Rechte abschneiden, Contra: Minderung passt als Gestaltungsrecht den Vertrag an, so dass kein Raum für mangelbedingte Schäden bleibt (jedenfalls nicht: Nichterfüllungsschäden; evtl. anders bei Mangelfolgeschäden)

Rechtsfolgen des Rücktritts und der Minderung

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Wert der mangelfreien Leistung : Wert der mangelhaften Leistung = Vergütung der mangelfreien Leistung : Vergütung der mangelhaften Leistung

Problem: Wert der mangelhaften Leistung ist nicht zu bestimmen, da kein Markt für fehlerhafte Leistungen

Schätzung oder Berechnung nach den zur Mangelbeseitigung erforderlichen Kosten zulässig, sofern nicht die Mangelbeseitigung unverhältnismäßig

Berechnung der Minderung, § 638 Abs. 3 BGB

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Berechnung der Minderung, § 638 Abs. 3 BGB

Faktoren bei der Berechnung/Schätzung:

Bei minderer Qualität/zu wenig Leistung: Herabsetzung der Vergütung auf den der Mindermenge oder Minderqualität angemessenen Betragz.B.: geringere Betongüte: Reduktion auf die Vergütung, die bei dieser Betongüte vereinbart worden wäre

+ Technischer Minderwert, sofern Mangelbeseitigung nicht möglich oder nicht genügend ist Maßstab: Beeinträchtigung der Nutzbarkeit (potentieller Ertrags- und Veräußerungswert)

+ Merkantiler Minderwert, sofern Mangelbeseitigung nicht möglich oder nicht genügend istMinderwert, wegen geringerer Verwertbarkeit des Objekts

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Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs nach BGB wegen Mangels im Überblick

Schadensersatz

Schadensersatz statt der Leistung Ersatz für Mangelfolgeschäden

§§ 634 Nr. 4 Alt. 1, 636, 280 I, III, 281 I 1 §§ 634 Nr. 4 Alt. 1, 280 I

1. Wirksamer Werkvertrag2. Sach- oder Rechtsmangel

3. Setzung einer angemessenen Frist zur Nacherfüllung, die erfolglos abgelaufen ist, § 281 I 1 (sofern nicht Fristsetzung entbehrlich)

3. Eintritt eines Mangelfolgeschadens(Fristsetzung nicht erforderlich)

4. Vertretenmüssen des Schuldners5. Kein Ausschluss der Mängelhaftung6. Keine Verjährung

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§ 276 BGBVorsatzFahrlässigkeit (auch in Organisation oder Überwachung)

Haftungsverschärfungen: Übernahme einer Garantie Übernahme des Beschaffungsrisikos

§ 278 BGBErfüllungsgehilfe: wer mit Wissen und Wollen in dem Pflichtenkreis des Geschäftsherrn tätig istIn Erfüllung der Verbindlichkeit: äußerer und innerer sachlicher Zusammenhang zwischen dem schuldhaften Verhalten und den im Hinblick auf die Erfüllung der Verbindlichkeit dem Schuldner übertragenen Aufgaben und PflichtenNicht: Handeln nur bei Gelegenheit der Pflichterfüllung

Vertretenmüssen der Pflichtverletzung, d.h. der Mangelhaftigkeit des Werkes

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Lieferant des Unternehmers ist in der Regel nicht Erfüllungsgehilfe des AN

Arg: Unternehmer schuldet i.d.R. nur Beschaffung des Materials, nicht seine Herstellung (z.B. Armaturen bei Badezimmerrenovierung); anders aber, wenn Material in den geschuldeten Herstellungsprozess eingeht, z.B. Betonierarbeiten: Unternehmer schuldet vereinbarte Betonqualität; Betonlieferant ist Erfüllungsgehilfe

Vertretenmüssen der Pflichtverletzung, d.h. der Mangelhaftigkeit des Werkes

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Formen des Schadensersatzanspruchs

AG will mangelhafte Leistung behalten (Differenztheorie)

AG will mangelhafte Leistung als Ganzes ablehnen und zurückweisen(Surrogationstheorie)

Ersatz des Minderwertes Verpflichtung zur Zahlung der Vergütung Aufrechnung des Schadensersatzanspruchs mit Vergütung möglich; vereinbarte Aufrechnungsverbote greifen nicht(früher „Verrechnung“, jetzt durch Auslegung; Problem: Aufrechnung in der Insolvenz)

Zurückweisung der Leistung Keine Verpflichtung zur Zahlung der Vergütung/bzw. Rückzahlung der VergütungProblem: Muss AG für eine vollständige Zurückweisung des mangelhaften Werkes einen Interessenfortfall bzgl. der Leistung beweisen?Großer SE nur bei erheblichem Mangel, § 281 Abs. 1 S. 3;nicht bei Teilleistungen, an denen der Besteller Interesse hat, § 281 Abs. 1 S. 2, vgl. M/V-Moufang § 636 Rn. 160.AGB, die den Rücktritt ausschließen, schließen nicht auch den großen SE aus, BGH NJW 02, 511

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Kann der Auftraggeber Schadensersatz im Wege der Naturalrestitution verlangen bzw. muss er diese annehmen?Schadensersatz wird gerade statt der Leistung (hier: Nacherfüllung) gewählt, also Entschädigung in Geld, keine Naturalrestitution. - Anders: (1) Mangelfolgeschäden und (2) Schäden außerhalb der

Bauleistung des AN (Schadensersatz neben der Leistung)Beispiele: (1) Mangelhafte Rohre verursachen Wasserschaden (2) AN soll bei Fenstereinbau lediglich Stahlrahmen einbauen; durch

Schweißarbeiten zerstört er die bereits eingesetzte Scheibe; Folge: Geschädigter kann Naturalrestitution verlangen oder nach § 249 Abs. 2 vorgehen - In engen Grenzen: Schadensminderungspflicht verpflichtet den AG

zur Annahme der Naturalrestitution, weil sie für AN kostengünstiger und für AG zumutbar ist

Prognoserisiko, d.h. die Gefahr einer trotz sachverständiger Einschätzung nicht vermeidbaren Fehlbeurteilung der Geeignetheit der ergriffenen Maßnahme: gehört zum ersatzfähigen SchadenWerkstattrisiko, d.h. die Möglichkeit der Beauftragung eines unvorhersehbar unwirtschaftlich arbeitenden Betriebs: gehört zum ersatzfähigen Schaden

Schadensersatzanspruch / Inhalt

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Problem: Ersatz der Kosten für die Mängelbeseitigung nach Veräußerung?

Beispiel: BGH BauR 2004, 1617 AG hatte AN beauftragt, Dachdeckerarbeiten an seinem Eigenheim, das vermietet war, durchzuführen. Aufgrund unsorgfältiger Ausführung der Arbeiten war das Dach nicht mehr ausreichend dicht, so dass es durchregnete. Nachdem der AG den AN unter Fristsetzung erfolglos zur Mängelbeseitigung aufgefordert hatte, verkaufte der AG das Haus an eine dritte Person. Seine Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüche trat er an die Mieter des Hauses ab. Können die Mieter des Hauses Schadensersatz auch in Höhe der Mängelbeseitigungskosten verlangen? (Ja, Dispositionsfreiheit)

Schadensersatzanspruch / Inhalt

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● Baumehrkostenz.B. durch Mangelbeseitigungsarbeiten verzögerte Bauausführung und daraus resultierende Belastung mit Mehrforderungen anderer Unternehmer oder zusätzliche Finanzierungskosten

● entgangener Gewinnz.B. entgangene Mieteinnahmen

● NutzungsausfallErsatzfähig, wenn Nutzwert kommerzialisiert:Ein für die Lebensführung zentrales Wirtschaftsgut entzogen wirdund die entgangene Nutzung einen geldwerten Vorteil darstellt (wird üblicherweise gegen Entgelt gewährt)

● Minderwert

Schadensersatzanspruch / Inhalt

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● Vorteilsausgleich

Vorteile, die dem AG zugeflossen sind, die er bei sofortiger mängelfreier Herstellung nicht erhalten hätte, sind abzuziehen, wenn:

1) dies dem AG zumutbar ist2) der Unternehmer nicht unbillig entlastet wird

Eine Vorteilsausgleichung „besonderer Art“ ist der Abzug „neu für alt“, wenn die mangelhafte Sache schon eine gewisse Zeit in Benutzung war. - Rechtsgrundlage ist § 249 BGB (Bereicherungsverbot) - Der AG muss darlegen und beweisen, dass ein derartiger Abzug zu unterbleiben hat (OLG Koblenz NJW-RR 2009, 1318) - Ist alleiniger Grund der Vorteile des AG die Verzögerung der Mängelbeseitigung durch den AN, ist für eine Anrechnung kein Raum

Abzugsposten

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● Sowieso-KostenUnterfall des Vorteilsausgleichs (str.); solche Kosten, die der AG zur Herbeiführung des vertraglich geschuldeten Erfolges hätte sowieso tragen müssen, sind abzuziehen

● Mitverschulden / Schadensminderungspflicht: § 254 BGB

AbzugspostenLeistungskette:Früher hL: Hauptunternehmer kann Subunternehmer auch dann auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, wenn der Besteller seinerseits keinen Schadensersatz gegenüber dem Hauptunternehmer verlangt (BGH NJW 1994, 49).

Anders jetzt BGH NJW 2007, 2695: Steht im Rahmen einer werkvertraglichen Leistungskette fest, dass der Nachunternehmer von seinem Auftraggeber wegen Mängeln am Werk nicht mehr in Anspruch genommen wird, so kann er nach dem Rechtsgedanken der Vorteilsausgleichung gehindert sein, seinerseits Schadensersatzansprüche wegen dieser Mängel gegen seinen Auftragnehmer geltend zu machen. Ebenso zur Minderung: BGH BauR 2011, 683 (§ 242 BGB)

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Abnahme in Kenntnis des Mangels: § 640 Abs. 2 schließt nur die Rechte nach § 634 Nr. 1 bis 3 aus:

- Nacherfüllung- Selbstvornahme- Rücktritt- MinderungNicht ausgeschlossen: Schadensersatz! (§ 634 Nr. 4)

Beispiel: AG beauftragte AN mit der Aufzimmerung des Dachstuhls und der Erstellung einer Dachgaube für sein Eigenheim. Der AG nahm das Werk ab, obschon er erkannte, dass die Gebrauchsfähigkeit der errichteten Gaube dadurch stark eingeschränkt war, dass die Decken der beiden Dachzimmer nicht waagerecht bis zur Gaubenöffnung durchgezogen werden konnten. Dieser Umstand war durch die fehlerhafte Planung der Gaubenkonstruktion durch den AN bedingt, der bei der Errichtung der Gaube die Zimmerhöhe außer Acht gelassen hatte. AG rechnet auf die Werklohnforderung des AN mit einem Anspruch auf Ersatz der Mängelbeseitigungskosten auf, nachdem AN die Nachbesserung verweigert hatte, weil der AG sich seine Rechte bei der Abnahme nicht vorbehalten habe. Zu Recht? (BauR 1980, 460)

Ausschluss der Schadensersatzhaftung

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Generelle Anforderungen an die Wirksamkeit eines Haftungsausschlusses:

Auch bei individualvertraglicher Vereinbarung

- § 276 Abs. 3: Kein Ausschluss für Vorsatz im Vorhinein- § 639 BGB: kein Ausschluss wegen arglistigen Verschweigens oder

Bestehens einer Beschaffenheitsgarantie- Grenzen der §§ 134, 138

Vertragliche Haftungseinschränkungen

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Arglistiges Verschweigen:

1. Kenntnis des Mangels:Kenntnis von Tatsachen, die den Schluss auf Mangel zulassen oder

Verschließen vor Tatsachen, die Schluss auf Mangel zulassen, z.B. Unterlassen einer sonst üblichen Prüfung

2. Arglist:AN offenbart den Mangel nicht, obwohl er weiß/damit rechnet, dass AG den

Mangel nicht kennt (kein Schädigungsvorsatz erforderlich)

3. KausalitätAG hätte bei Kenntnis Rechte wegen des Mangels geltend gemacht oder die

Abnahme verweigert

Folgen: Für andere als die arglistig verschwiegenen Mängel bleibt der Ausschluss in der Regel weiterhin wirksam

Vertragliche Haftungseinschränkungen

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Wirksamkeitsgrenzen der Vereinbarung in AGBAushöhlungsverbot, § 307 Abs. 2 Nr. 2; Transparenzgebot, § 307 Abs. 1 S. 2;überraschende Klauseln§ 309 Nr. 5: Pauschalierung von Schadensersatzansprüchen§ 309 Nr. 7 a, b: Haftungsausschluss oder –begrenzung für Schäden aus

fahrlässiger Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit oder für grobe Fahrlässigkeit

§ 309 Nr. 8: Verschiedene Beschränkungen bei mangelhaften Leistungen:● Ausschluss des Lösungsrechts ● Verweisungsklauseln● Beschränkung auf Nacherfüllung● Ausschluss der Nebenkosten bei Nacherfüllung● Einschränkung des Leistungsverweigerungsrechts vor Ausführung der Nacherfüllung● Ausschlussfrist für Mängelanzeige unterhalb der Mindestverjährungsfrist des § 309 BGB Nr. 8 b) ff)

Vertragliche Haftungseinschränkungen

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Enge Auslegung, ergänzende Auslegung ist nur zulässig, wenn sich bei mehreren Gestaltungsmöglichkeiten klar erkennen lässt, welche Regelung die Vertragsparteien bei unterstellter Kenntnis vom Vorliegen der Vertragslücke infolge der Freizeichnungsklausel getroffen hätten

Beispiele:Beschränkung von Mängelansprüchen: i.d.R. werden dadurch nicht Ansprüche

aus Schutzpflichtverletzung, § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 ausgeschlossen (BGH BauR 1982, 489, 492; noch zur PFV)

Beschränkung auf Ersatz des „unmittelbaren Schadens am Bauwerk“: können Ansprüche wegen Beschädigung im Haus lagernden Sachen aus unerlaubter Handlung unberührt lassen (BGH BauR 1975, 286, 287)

Ausschluss von Schadensersatzansprüchen, wenn bestimmte Beschaffenheiten vereinbart wurden, die den AG gerade vor den eingetretenen Schäden schützen sollten (BGH BauR 1974, 126, 128)

Auslegung von Freizeichnungsklauseln in AGB

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Entstehung der Gesamtschuld:

Bauen die Leistungen zweier AN aufeinander auf, schuldet jeder jeweils einen unterschiedlichen Erfolg keine Gesamtschuld

Sind beide AN wegen Mängeln gewährleistungspflichtig, die ihre Ursache zumindest teilweise in den Werken beider AN haben und die wirtschaftlich sinnvoll nur gemeinsam beseitigt werden können, schulden beide AN einen einheitlichen Erfolg Gesamtschuld

Haften Unternehmer und Architekt wegen desselben Mangels Gesamtschuld (auch wenn Unternehmer primär auf Nacherfüllung und Architekt nur auf Schadensersatz haftet, da die Nacherfüllung für ihn unmöglich ist, BGH BauR 1995, 231)

(P) Prozesskostenerstattung im Gesamtschuldnerausgleich?Nein, Arg: Prozesskosten sind nicht Teil der Gesamtschuld

Gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Auftragnehmer

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Beispiel:

AG beauftragt AN 1 mit Rohbauarbeiten für sein Einfamilienhaus und AN 2 mit der Verputzung. Im Putz zeigen sich Risse, wobei 3/4 der Risse allein auf Fehler bei den Rohbauarbeiten, der verbleibende Teil der Risse allein durch unsachgemäße Putzarbeiten herbeigeführt wurden. Die Mangelbeseitigung kann – nach Beseitigung der Mängel am Rohbau – nur durch Aufbringen eines neuen Putzes durchgeführt werden (20.000 €). Im Rahmen der Nachbesserung trägt AN 2 den Putz ab, AN 1 beseitigt die Mängel am Rohbau und AN 2 verputzt das Haus neu.

Kann AN 2 von AN 1 15.000 € verlangen?

BGH BauR 2003, 1379 = NJW 2003, 2980: Grundsatzentscheidung zum Gesamtschuldverhältnis hinsichtlich der Mängelbeseitigungsansprüche

Gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Auftragnehmer

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Problem: Voraussetzungen für sekundäre Mängelrechte liegen bei einem Gesamtschuldner (U 1) vor, nicht aber bei dem weiteren Gesamtschuldner (U 2). Etwa da Fristsetzung nur ggü. einem Gesamtschuldner erfolgt oder nur bei einem der Gesamtschuldner entbehrlich ist (z.B. bei Architekt wegen Unmöglichkeit der Nacherfüllung).

H.M.: Grundsätzlich keine Pflicht zur vorrangigen Inanspruchnahme des U 2, Gläubiger kann sofort Schadensersatz oder Kostenerstattung von U 1 verlangen. U 1 kann von U 2 Gesamtschuldnerausgleich entsprechend der Haftungsquote verlangen.

Problem: U 2 verliert unverschuldet „Recht zu zweiten Andienung“ (d.h. den Vorteil den Mangel selbst kostengünstiger beseitigen zu können).

Lösung: Gesamtschuld besteht nur in Höhe der Selbstbeseitigungskosten von U 2: Teilgesamtschuld (näher Voit BauR 2011, 392).

Gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Auftragnehmer