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Materialien zum Erntebittgottesdienst 2013 „Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und brachte Frucht.“ Markus 4, Vers 8

Materialien zum Erntebittgottesdienst 2013 · teiligten danke ich herzlich für die gute Zusammenarbeit. ... Lieder zum Thema 196 (Str. 2-4) ... Die Samen sollten dann bis zum Gottesdienst

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Materialien zum

Erntebittgottesdienst

2013

„Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und brachte Frucht.“

Markus 4, Vers 8

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Herausgeber:

Evang. Landesbauernpfarramt

Evang. Bauernwerk in Württemberg e. V.

74638 Waldenburg-Hohebuch

Tel: 07942/107–0

Fax: 07942/107-20

[email protected]

www.hohebuch.de

Redaktion:

Dr. Jörg Dinger, Landesbauernpfarrer

Sonja Naegelin, Sekretariat

Spendenkonto: Evang. Kreditgenossenschaft eG

Kontoinhaber: Evang. Bauernwerk in Württ. e.V.

Kontonummer: 518 6013

Bankleitzahl: 520 604 10

Verwendungszweck: Spende Notfonds

oder IBAN: DE97 5206 0410 0005 1860 13

und BIC: GENODEF1EK1

Falls eine Bestätigung des Spendeneingangs gewünscht

wird, bitten wir um genaue Absenderangabe.

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Materialien zum Erntebittgottesdienst 2013

Inhaltsangabe

Vorwort 4

Lieder und Psalmen 6

Gestaltungs- und Dekorationsidee 7

Sprechmotette 8

Anspiel 10

Eingangsgebete 11

Anmerkungen zum Predigttext 13

Predigtvorschlag 17

Fürbitten 22

Lebensrückblick eines Bauern 25

Interview mit jungen Landwirtinnen und Landwirten 29

Grenzen des Wachstums 32

4

Vorwort

Liebe Pfarrerinnen und Pfarrer,

liebe Prädikantinnen und Prädikanten,

liebe Vorbereitungsteams der Erntebittgottesdienste!

Die Vegetation ist noch deutlich im Rückstand, auch wenn dem lan-

gen und trüben Winter nun einige fast schon sommerliche Tage ge-

folgt sind. Bis Sie in ungefähr zwei Monaten Ihren Erntebittgottes-

dienst feiern, wird sich eine Menge getan haben. Vieles, was wir jetzt

nur in ersten Ansätzen sehen, wird wachsen, reifen und Frucht brin-

gen. Hoffentlich gefördert durch Regen und Sonne zur rechten Zeit.

Hoffentlich, ohne dass ein Hagelschlag alle schönen Ansätze zu-

nichte macht, und die Arbeit der Bäuerinnen und Bauern an dieser

Stelle vergeblich war.

„Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und brachte

Frucht.“ Das Leitwort für die Erntebittgottesdienste 2013 stammt aus

dem oft bildlich dargestellten Gleichnis vom Sämann. Bis heute

prägt das „vierfache Ackerfeld“ das Logo des Evangelischen Bau-

ernwerks in Württemberg. Der Säende auf dem Titelblatt findet sich

auf einem Glasfenster in der evangelischen Kirche in Unterkessach.

Der Bezirksarbeitskreis Neuenstadt des Evangelischen Bauernwerks

hat mit mir die Ihnen vorliegenden Materialien erarbeitet. Allen Be-

teiligten danke ich herzlich für die gute Zusammenarbeit. Stellver-

tretend nenne ich die Bezirksbauernpfarrerin Susanne Spöhrer und

den Bildungsreferenten Matthias Häfner.

Die Initialzündung für die Themenfindung lieferte eine Diskussion

über „Chancen und Grenzen des Wachstums“: betrieblich, gesamt-

wirtschaftlich, in der Natur, geistlich, kirchlich. Darum finden sich in

diesem Heft auch Gedanken von Bäuerinnen und Bauern zum Thema

„Wachstum“, die über den Predigtvorschlag hinaus Anregungen für

den Gottesdienst geben können, sowie die Zusammenfassung zweier

Beiträge zu den „Grenzen des Wachstums“.

5

Jesu Gleichnis zeigt uns unterschiedliche Formen des Wachstums,

fruchtbare und weniger fruchtbare. Das Leitwort selbst beschreibt

den optimalen Verlauf: „Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und

wuchs und brachte Frucht.“ Möge Jesu Mut machendes Wort bei uns

auf guten Boden fallen und Frucht bringen. Wenn diese Materialien

dazu einen kleinen Beitrag leisten, haben sie ihren Zweck mehr als

erfüllt. So wünsche ich uns allen gesegnete Erntebittgottesdienste

und eine gute Ernte.

Mit herzlichen Grüßen, Ihr

Jörg Dinger, Landesbauernpfarrer

Hohebuch, Ende April 2013

.

Das von Robert Eberwein

gestaltete Symbol des

Evang. Bauernwerks, das

„vierfache Ackerfeld“, ist

leicht abgewandelt bis heute in

Gebrauch.

6

Lieder und Psalmen

Die Liedvorschläge sind dieses Jahr etwas zahlreicher ausgefallen.

Dafür haben wir darauf verzichtet, zum wiederholten Male einen

Vorschlag zum Ablauf abzudrucken (vgl. dazu die Erntebitthefte bis

einschließlich 2011). Ein Tipp: Bedenken Sie die Frage der Musik

frühzeitig, wenn der Gottesdienst auf einem landwirtschaftlichen

Betrieb oder im Freien stattfindet. Spielt ein Posaunenchor? Welche

Möglichkeiten zur musikalischen Gestaltung gibt es sonst? Gesang-

bücher oder Liedblätter?

Morgenlieder

437 Die helle Sonn leucht´ jetzt herfür

449 Die güldne Sonne

451 (Str. 7-10) Mein erst Gefühl sei Preis und Dank

663 (Str. 2-6) Mit Freuden will ich singen

664 (Str. 3, 4) Früh am Morgen Jesus gehet

Eingang und Ausgang

155 Herr Jesu Christ, dich zu uns wend

164 Jesu, stärke deine Kinder

169 (Str. 1-3) Der Gottesdienst soll fröhlich sein

176 Öffne meine Augen

457 (Str.1, 4-12) Der Tag ist seiner Höhe nah

461 Aller Augen warten auf dich, Herre

Lieder zum Thema

196 (Str. 2-4) Herr, für dein Wort sei hoch gepreist

368 In allen meinen Taten

369 Wer nur den lieben Gott lässt walten

378 Es mag sein, dass alles fällt

379 (Str. 2, 3) Gott wohnt in einem Lichte

494 In Gottes Namen fang ich an

497 (Str. 1, 2, 5, 9, 10, 12, 13) Ich weiß, mein Gott

500 Lobt Gott in allen Landen

654 Du schufst, Herr, unsre Erde gut

7

659 (Str. 1, 2, 4) Die Erde ist des Herrn

667 (Str. 3-6) Die ihr bei Jesus bleibet

675 Das walte Gott

677 Die Ernt ist da, es winkt der Halm

„Klassiker“ zum Erntebittgottesdienst

502 Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit

503 Geh aus, mein Herz

508 Wir pflügen und wir streuen

512 Herr, die Erde ist gesegnet

Für Gottesdienste mit Kindern

504 Himmel, Erde, Luft und Meer

515 Laudato Si

Psalmen

1 (702), 8 (705), 23 (711), 36 (719), 67 (731), 104 (743), 126 (750),

145 (756), 146 (757)

Schriftlesung

Natürlich kann das Gleichnis, dem das Leitwort entstammt und das

der Predigt als Ganzes zu Grunde liegt, auch Schriftlesung sein:

Markus 4, 3-9. Weitere Vorschläge: Jesaja 32, 16-20; Jesaja 55, 8-

11; Jeremia 17, 7+8, Matthäus 7, 16-21; Johannes 15, 1-5; 2. Korin-

ther 9, 6-10; Philipper 1, 9-11 (alle zum „Frucht bringen“).

Gestaltungs- und Dekorationsidee

Etwa zehn bis vierzehn Tage vor dem Gottesdienst eine große Schale

mit Erde füllen, verschiedene schnell wachsende Samen einsäen und

regelmäßig wässern. Die Samen sollten dann bis zum Gottesdienst

aufgehen.

Neben dem Altar, z.B. auf einem alten Handleiterwagen, können ein

großes, mit Körnern gefülltes Glas, die Schale mit der wachsenden

Saat, ein Strauß mit frisch vom Acker geschnittenem Getreide und

vielleicht dazu ein Brot präsentiert werden.

8

Sprechmotette zu Markus 4,8

Alle: Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und

brachte Frucht.

I.: So wünschen wir es uns, wenn wir säen. Dass die Saat

aufgeht, wächst und gedeiht, und wir am Ende gute Frucht

einbringen können.

II.: Aber nicht immer geht es so gut. Mal ist es zu trocken, mal zu

feucht.

III.: Oder es hagelt in das fast erntereife Getreide.

I.: Wir können auch an Februar letztes Jahr denken. Die

wunderbar aufgegangene Wintersaat. Wo kein schützender

Schnee lag, ist sie einfach erfroren.

II.: Für das Nachgesäte war es dann eine ganze Weile zu trocken.

III.: Schlimm war für viele die lange Unsicherheit: „Umbrechen

oder stehen lassen? Wird´s noch etwas oder muss ich es

abschreiben?“

I.: Bei der Ernte gab es schließlich Riesenunterschiede. So

ziemlich alles zwischen „katastrophal“ und „gut“.

Entsprechend unterschiedlich war auch die Stimmung zu

Erntedank.

II.: Es ist nicht selbstverständlich, dass die Saat aufgeht, wächst

und gedeiht und gute Frucht bringt.

III.: Überhaupt ist es ein Wunder, wie aus einem Samenkorn

immer wieder eine Ähre wird mit vielen Körnern.

Alle: Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und

brachte Frucht.

I.: Einiges, das heißt: nicht alles.

II.: Ja, in der Geschichte vom Sämann, die Jesus erzählt, gibt es

auch Verlust.

III.: Körner fallen auf den Weg, auf felsigen Boden, unter die

Dornen, und nichts wird aus ihnen.

9

I.: Ein seltsamer Bauer. Geht der verschwenderisch mit dem

Saatgut um! Von „precision farming“ hat er sicher noch nichts

gehört.

II.: Anscheinend hat man das damals so gemacht. Erst gesät, dann

untergepflügt. Ein gewisser Verlust ist dabei von vornherein

einkalkuliert.

III.: Der scheint ihn aber auch nicht besonders zu bekümmern,

weil der Rest gut aufgeht und reichlich Frucht trägt.

Alle: Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und

brachte Frucht.

I.: Können wir heute in der Landwirtschaft so arbeiten wie der

Sämann, von dem Jesus erzählt?

II.: Müssen wir nicht vielmehr knallhart kalkulieren, aus dem

knappen Boden und dem teuren Saatgut das Optimale

herausholen?

III.: Oder wird es immer so sein, solange wir in und mit der Natur

arbeiten – dass nicht alles aufgeht, wächst und gedeiht, wie

sehr wir uns auch um Optimierung bemühen? Eine reiche

Ernte ist und bleibt ein Geschenk Gottes.

I.: So ist es doch bei allem, was wir tun. In der Landwirtschaft,

in anderen Berufen. In der Kirche oder im Verein. Selbst in

der eigenen Familie.

II.: Was bringt es eigentlich, sich für andere zu engagieren? Ich

versuche, Werte zu vermitteln – aber am Ende zählen nur

Geld und Konsum.

III.: Oder kann ich darauf hoffen, dass mein Engagement am Ende

doch Frucht bringt? Vielleicht erst viel später und anders, als

ich gedacht hatte. Ich denke, die Geschichte, die Jesus erzählt,

will diese Hoffnung stärken.

Alle: Einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und

brachte Frucht, und einiges trug dreißigfach und einiges

sechzigfach und einiges hundertfach.

10

Anspiel

Mutter und Kind sitzen im Auto.

M: Oh Mann, ist das schon spät, wir haben doch den Termin beim

Arzt.

K: Hey Mama, fahr doch nicht so schnell, da vorne fährt ein

Mähdrescher.

M: Jetzt auch das noch, das kann ja wohl nicht wahr sein, hier kann

ich nicht überholen.

K: Ooh, der Mähdrescher ist ja riesengroß.

M: Ja, die Erntemaschinen werden immer größer und breiter.

K: Dann fahren wir eben hinterher und ich kann den Mähdrescher

noch anschauen.

M: Ja, da hilft jetzt alles nichts, dann kommen wir eben zu spät

zum Arzt.

K: Mama, was macht eigentlich ein Mähdrescher?

M: Der Mähdrescher drischt auf den Feldern der Bauern.

K: Was heißt dreschen?

M: Der Mähdrescher schneidet das Getreide und trennt Spreu und

Stroh vom Korn.

K: Was macht der Bauer mit den Körnern?

M: Er bringt die Getreidekörner zur Mühle und da wird daraus

Mehl gemahlen. Weißt du, was man aus Mehl macht?

K: Aus Mehl bäckst du Kuchen und Brot.

M: Genau, Getreide braucht man für Brot und Kuchen, für

Haferflocken und Müsli.

K: Mmh, das sind ja lauter leckere Sachen zum Essen.

M: Und wichtige Sachen, ohne Getreide müssten wir hungern,

denn ein Teil der Körner wird für die nächste Ernte wieder

ausgesät.

11

Im Anfang

Bevor das Wasser

flutete

und die Berge

aufstiegen

war ER

der Beweger.

Erich Spöhrer

K: Dann ist ja gut, dass der Mähdrescher heute fährt.

M: Ja, du hast recht, es ist gut, dass das Wetter schön ist und die

Erntemaschinen unterwegs sind. Auch wenn wir es eilig haben

und die großen Maschinen nicht so schnell auf der Straße

fahren können wie ein Auto.

K: Und was ist mit unserem Termin?

M: Da kommen wir einfach ein bisschen zu spät und erklären, dass

uns etwas Wichtiges aufgehalten hat.

K: Ja, etwas Lebensnotwendiges ist uns begegnet…

Eingangsgebete

I.

Herr, wir danken dir, dass Jahr für Jahr die Früchte in Feld und

Garten wachsen und gedeihen.

Wir danken dir, dass du uns das ganze Jahr durch begleitest und

trägst.

Wir haben uns zu diesem Gottesdienst getroffen und bitten dich um

Hilfe und Begleitung für die nächste Zeit und für diesen

Gottesdienst.

Wir legen diesen Gottesdienst und all unser Tun in deine Hände und

bitten dich, dass wir zuversichtlich und freudig die Ernte einbringen

können.

Wo Gott nicht segnet, da hilft keine Arbeit, wo er nicht behütet, da

hilft keine Sorge.

Amen.

12

II.

Zu dir kommen wir, Herr, unser Gott.

Du hast uns und alles geschaffen.

Du lässt die Saat aufgehen, wachsen, reifen und Frucht bringen.

Zu dir kommen wir vor der Ernte,

mit unserer Freude, unserem Dank,

mit unseren Sorgen, unseren Bitten.

Zu dir kommen, zu dir beten wir, und wir hören auf dein Wort.

Sprich du zu uns, mach uns bereit zum Hören.

Lass dein gutes Wort fruchtbar sein in unserem Leben,

in unserer Gemeinde, in der ganzen Welt.

So werden wir stille vor dir.

III.

Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen

Namen!

Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes

getan hat!

Mit Lob und Dank kommen wir an diesem Sonntagmorgen vor dich.

Wir danken dir, treuer Gott, dass auch dieses Jahr wieder eine gute

Ernte herangewachsen ist.

(Du hast nach der Sintflut versprochen: Solange die Erde steht, soll

nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter,

Tag und Nacht.)

Wir danken dir, Herr Jesus Christus, für den äußeren Frieden in

unserem Land und bitten dich für den inneren Frieden in unseren

Gemeinden.

Heiliger Geist, du Tröster der betrübten Herzen, öffne uns nun die

Ohren und die Herzen für das Wort der Wahrheit.

Mache mich zum guten Lande, wenn dein Samkorn auf mich fällt.

Herr, wir danken dir für deine Gegenwart und hoffen auf deinen

Segen, der uns auch durch die neue Woche begleiten möge.

Dir, unserem Gott und Vater, durch unseren Herrn Jesus Christus, sei

Ehre, Preis und Lob allezeit.

Amen.

13

Anmerkungen zum Predigttext

Wachstum

„Wachstum“ ist in aller Munde, v.a. als Wirtschafts- oder betriebli-

ches Wachstum, in kirchlichen Kreisen auch als „church growth“

bzw. „Wachsen gegen den Trend“. Für manche ein Zauberwort, an-

deren dagegen eine gefährliche Ideologie. Unternehmer, auch Land-

wirte, freuen sich jedenfalls, wenn der Betrieb sich entwickelt und

wächst. Andererseits spüren sie oft den Zwang: „Um zu bestehen

müssen wir größer werden, ob wir es wollen oder nicht.“

Zuerst aber ist Wachstum ein elementares Natur-Geschehen, gehört

unverzichtbar zu jeglichem Leben. Doch während wirtschaftliches

Wachstum nach unendlicher Fortsetzung strebt, hat es in der Natur

ein Ziel, ein Ende. Der Phase des Wachsens folgt eine des Reifens

und Erwachsen-Seins – und am Ende erweist sich alles Geschaffene

als vergänglich. Das Getreide wird geerntet. Menschen werden alt

und sterben.

Wenn in der Bibel vom Wachsen die Rede ist, dann überwiegend im

positiven Sinne, ohne den Aspekt der Vergänglichkeit auszublenden

(z.B. Ps. 103, 15f). Gott schenkt das Wachsen und Gedeihen in der

Natur und auf dem Acker (z.B. Ps. 104, 14f). Ja, der Vorgang steht

sogar gleichnishaft für das „Reich Gottes“ – in den so genannten

„Wachstumsgleichnissen“ Jesu (Mk. 4 par.). Gottes Reich beginnt

unscheinbar, wie ein Senfkorn, wie eine Aussaat, bei der einiges

daneben geht. Aber es wächst und gedeiht. Am Ende steht ein stattli-

cher Strauch da, fällt die Ernte überwältigend groß aus. In diesem

Sinne erzählt die Apostelgeschichte, wie die Zahl der Christen in der

Urgemeinde gewaltig anwächst (Apg. 2, 41. 47; 5, 14f; 6, 1 u.ö.).

Auf der anderen Seite wird Wachstum auch qualitativ als Vertiefung

des Glaubens verstanden (2. Kor. 9, 10; 10, 15; Kol. 1, 10 u.ö.).

Der Leitvers für den Erntebittgottesdienst 2013 entstammt dem

Gleichnis Mk. 4, 3-9. Deutlich ist der landwirtschaftliche Bezug.

Darüber hinaus benennt der Abschnitt unterschiedliche Aspekte zur

14

Wachstumsthematik insgesamt: es gibt wunderbares, es gibt aber

auch zu schnelles oder im Keim ersticktes Wachstum.

„Sämann“ oder „vierfaches Ackerfeld“?

Mk. 4, 3-9 ist eines der wenigen Gleichnisse, bei dem die Bibel eine

Deutung gleich mit liefert (Mk. 4, 14-20). Sein klassischer Name

„Vom vierfachen Ackerfeld“ rührt von dieser Deutung her. Haupt-

sächlich interessieren dabei die vier unterschiedlichen Böden. Diesen

entsprechen vier verschiedene Reaktionsweisen auf die christliche

Verkündigung bzw. vier Menschentypen. Manche sind vornherein

nicht bereit sich darauf einzulassen. Es gibt die schnell Begeisterten,

die bei den ersten Schwierigkeiten ebenso schnell wieder weg sind,

die überaus Beschäftigten, bei denen gute Ansätze überwuchert

werden und fruchtlos bleiben. Bei anderen aber wirkt Gottes Wort

nachhaltig und prägt das ganze Leben. Hörerinnen und Hörer werden

damit zur Selbsterforschung angeregt: „Vierfach ist das Ackerfeld –

Mensch, wie ist dein Herz bestellt?“

Diese Auslegung wurde z.T. schon in der Reformationszeit, v.a. aber

im letzten Jahrhundert vielfach als „gesetzlich“ kritisiert. Man ver-

suchte, den ursprünglichen Sinn von Jesu Gleichnis unabhängig von

seiner innerbiblischen Deutung zu erheben. Dafür wird das Gleichnis

nun eng mit den anderen „Wachstumsgleichnissen“, v.a. mit dem

vom Senfkorn (Mk. 4, 30-32), zusammen gesehen. Die Arbeit des

Sämanns und der Kontrast zwischen dem unscheinbaren Anfang und

dem überwältigenden Ertrag stehen dann im Vordergrund (z.B. J.

Jeremias: „Gleichnis vom unverzagten Sämann“). Die Deutung V

14ff erscheint als sekundäre Bildung der Urgemeinde.

Neuere Auslegungen versuchen die Ausschließlichkeit und Einsei-

tigkeit beider Sichtweisen zu überwinden. Auf der einen Seite wird

der sprachliche und sachliche Zusammenhang von V 3-9 und V 14-

20 deutlich herausgearbeitet, so dass es kaum mehr möglich er-

scheint, zweites nur als sekundäre (Fehl-)Deutung vom eigentlichen

Jesus-Gleichnis abzusetzen. Andererseits werden die Erkenntnisse

der kritischen Gleichnis-Forschung des 20. Jahrhunderts integriert,

v.a. hinsichtlich des Bezugs zum „Reich Gottes“ bzw. zu dessen

15

Verkündigung durch Jesus und seine Jünger (U. Luz, EKK I/2, Neu-

kirchen 1999, 303-306. 308-311; K. Dronsch, in: Kompendium der

Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007, 297-311; J. Schröter in: Texte zur

Bibel 28, Neukirchen 2012, 66-68).

Einige Beobachtungen im Einzelnen:

Der Sämann: Er begegnet nur ganz am Anfang des Gleichnisses und

der Deutung, verschwindet danach aber völlig aus dem Blickfeld.

Seine Arbeit und ihr Erfolg bzw. Misserfolg scheint also nicht

Hauptthema zu sein.

Der Same: Das Wort taucht im ganzen Text nicht auf. Im Gleichnis

ist nur die Rede davon, dass „einiges“ auf den Weg, auf felsigen Bo-

den, unter die Dornen, auf gutes Land fällt. Genau genommen ist

aber nur der letzte Fall im Plural formuliert: „Eines“ – „ein anderes“

– „ein anderes“ – „andere“ (= „der ganze Rest“). Demnach gehen

nicht etwa drei Viertel des Ausgesäten verloren, sondern eher ein

kleiner Anteil. Dennoch lenken Gleichnis wie Deutung das Augen-

merk v.a. auf die Anteile, die aus verschiedenen Gründen keine

Frucht bringen. In der Deutung zeigt sich dabei eine Unschärfe:

Während zunächst eindeutig der Same mit dem „Wort“ (der christli-

chen Verkündigung) identifiziert wird (V 14), erscheinen in der

Folge die Menschen als die „Gesäten“. Deutlich ist das im griechi-

schen Text und der Übersetzung der Zürcher Bibel. Die Lutherüber-

setzung umschifft das Problem: „…, bei denen gesät ist …“ Auf je-

den Fall werden die Menschen nicht direkt mit den unterschiedlichen

Böden identifiziert und damit ein für allemal auf eine bestimmte Re-

aktionsweise festgelegt.

Die Verluste: Warum geht im Gleichnis überhaupt etwas verloren?

Müsste der Bauer nicht wissen, wo der Weg verläuft, wo die Humus-

schicht über dem Felsen zu dünn ist? Müsste er das Unkraut nicht

vor dem Säen und später noch einmal entfernen? Beantwortet werden

die Fragen meistens mit den Ackerbaumethoden in Palästina zur Zeit

Jesu: Zuerst habe man auf den unbearbeiteten Acker gesät, dann ge-

pflügt. Ob das zutrifft, vermag ich nicht zu beurteilen. Das Gleichnis

selber schweigt zum Thema „Pflügen“, wie überhaupt zu den land-

wirtschaftlichen Details. Klar scheint aber zu sein, dass die anfallen-

16

den Verluste nicht für ungewöhnlich gehalten werden. Und das

Ganze ist von Anfang an so formuliert, dass es auf die Übertragung

hinzielt, die die Verse 14-20 vornehmen.

Wer Ohren hat zu hören …

Die beiden wichtigsten Worte von Markus 4, 3-20 heißen „Säen“ und

„Hören“ (jeweils 9mal). Thema der ganzen Einheit – einschließlich

der dazwischen geschalteten und schwierig zu deutenden Reflexion

über das „Geheimnis des Reiches Gottes“ und das Verstehen bzw.

Nicht-Verstehen (V 10-13) – ist also das gelingende oder eben nicht

gelingende Hören. Das Gleichnis ist eingerahmt von zwei Aufmerk-

samkeitsrufen: „Hört!“ (V3) – „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“

(V 9) Bei der Gleichnisdeutung ist auffällig, dass alle vier Gruppen

das Wort der Verkündigung hören – bei den ersten drei deutet die

Verbform freilich an, dass es sich um ein lediglich punktuelles Hören

handelt, das darum letztendlich folgenlos bleibt, während die letzten

immer wieder hören, so dass das Wort in ihnen nachhaltig wirkt und

ihr Leben prägt.

Als Christen heute sprechen uns Gleichnis und Deutung in doppelter

Weise an: „Als hörende Gemeinde gilt es, das Wort aufzunehmen.“

(K. Offermann in: Texte zur Bibel 28, Neukirchen 2012, 69) – „Als

säende (=verkündigende, J.D.) Gemeinde gilt es, sich von Erfolg und

Misserfolg nicht irritieren zu lassen. Beide gehören dazu, und mit

beidem soll die Gemeinde rechnen.“ (ebd.)

Einiges fiel auf gutes Land …

Der Leitvers beschreibt sehr schön den Prozess des Frucht-Bringens:

Der Same fällt auf gutes Land.

Er geht auf.

Die Pflanze wächst.

Am Ende steht die Frucht.

In keiner der Phasen ist der gute Fortgang selbstverständlich, bis kurz

vor der Ernte kann noch etwas dazwischen kommen. Während das

Gleichnis Gefahren benennt, die mit der Bodenbeschaffenheit zu-

sammenhängen, spielt für die Landwirtschaft heute v.a. die Gefähr-

17

dung der Ernte durch das Wetter (Frost, Trockenheit, Hagel) und

durch Schädlinge eine Rolle. Dass trotz aller ins Kalkül zu ziehenden

Verluste am Ende reiche Frucht steht, ist nach einer neuen Ausle-

gung die „gute Ordnung der Schöpfung“, die die Erzählung veran-

schaulicht (K. Dronsch, a.a.O., 307): „Dafür werden in der Parabel

vier sich gleichzeitig realisierende Geschichten erzählt, bei der sich

die Verlässlichkeit des Schöpfers darin zeigt, dass es genug Saat gibt,

die aufgeht und Frucht bringt.“

Zusammengefasst eröffnet der Leitvers einen weiten Raum für die

Predigt zum Erntebittgottesdienst:

Der Prozess des Wachsens und Frucht-Bringens und seine

Gefährdungen.

Die gute Ordnung der Schöpfung und die Verlässlichkeit des

Schöpfers.

Fruchtbares, verfehltes und im Keim ersticktes Wachstum.

Fruchtbringendes oder folgenloses Hören auf das Wort, das

uns von Gott her gesagt ist – wir als hörende Gemeinde.

Die Frage, was aus dem wird, was wir säen – auf dem Acker,

im Garten, wie auch im übertragenen Sinne (unsere Versuche,

Gutes zu bewirken im Beruf, in der Familie, in der Kirchen-

gemeinde, in der Ortschaft …).

Das „gute Land“ – in dem wir leben, das wir bestellen – das

wir sind oder nicht sind.

Predigtvorschlag

Einiges fällt auf gutes Land, liebe Gemeinde. Von dem, was der

Bauer gesät hat. Warum eigentlich nicht alles? Es müsste doch

darum gehen, das kostbare Saatgut möglichst effektiv zu nutzen. So,

dass nichts oder fast nichts verloren geht. Ja, das ist ein Ziel, dem der

moderne Ackerbau immer näher kommt. Verluste minimal halten

durch präzise gezieltes Ausbringen von Saatgut, Dünger, Pflanzen-

schutz. Nicht zu viel und nicht zu wenig, alles genau an die richtige

Stelle und zur rechten Zeit.

18

Anders der Bauer, von dem Jesus erzählt. Seine Methode erscheint

weniger professionell. Einiges vom Gesäten fällt auf den Weg, die

Vögel kommen und fressen es weg. Weiß er denn nicht, wo die Erde

schon so festgetreten ist, dass nichts mehr aufgehen kann? Einiges

fällt auf felsigen Boden, schießt schnell auf, verdorrt aber, weil es

nicht richtig einwurzeln kann. Eigentlich müsste er die Stellen ken-

nen, an denen die Humusschicht zu dünn ist, um den Pflanzen auf

Dauer genug Wasser und Nährstoffe zu geben. Schließlich fällt eini-

ges unter die Dornen, die zugleich mit dem guten Samen aufgehen

und die Frucht ersticken. Warum rückt er dem Unkraut nicht richtig

zu Leibe? Kein guter Bauer, so scheint es. Oder macht er schlicht

das, was zu seiner Zeit üblich ist – erst säen, dann umpflügen? Die

Verluste bekümmern ihn offenbar nicht besonders. Denn einiges, ja

vieles fällt auf gutes Land, geht auf und wächst und bringt Frucht.

Reichlich Frucht.

„Halt!“ könnte jetzt jemand dazwischen rufen: „Du vergisst, dass das

Ganze ein Gleichnis ist, eines, das Jesus sogar selber erklärt. Da geht

es nur vordergründig um einen Bauern, sein Saatgut und den Acker.

In Wahrheit sind wir Menschen gefragt, wie Gottes Wort bei uns

ankommt.“

Da gibt es die, die hören und doch nicht hören. Sie können oder

wollen nicht an sich heran lassen, was Gott ihnen zu sagen hat. An-

dere hören das Wort und sind gleich Feuer und Flamme. Sie versu-

chen, ihre Begeisterung an andere weiter zu geben, ernten aber Des-

interesse, Ablehnung, Spott. Bald erlahmt der Schwung, das rasant in

die Höhe geschossene Glaubens-Pflänzchen verdorrt. Wieder andere

wollen schon irgendwie gläubig sein. Aber sie haben so viel um die

Ohren, wichtige Dinge: Geld verdienen, den Betrieb entwickeln, die

Familie versorgen, Sport treiben, das Leben genießen. Für Fragen

nach dem Sinn, für das Hören auf Gott fehlt die Zeit, fehlt die Ruhe.

Schließlich gibt es die, die sich trotz allem, was auch noch wichtig

ist, Zeit und Ruhe nehmen für den, der an erster Stelle steht: Gott.

Sie hören auf sein Wort, nicht nur einmal, sondern immer wieder.

Und das Wort verändert sie von innen heraus. Es geht auf und wächst

und bringt gute Frucht.

19

Ja, liebe Gemeinde, das alte Nachtwächterlied hat Recht: „Vierfach

ist das Ackerfeld – Mensch, wie ist dein Herz bestellt?“ Eine offene

Frage, denn wir sind nicht ein für allemal festgelegt, ob der Same bei

uns auf den Weg fällt oder auf gutes Land. Jesu Gleichnis könnte

vielmehr den Boden in uns auflockern oder der Wind sein, der das

Samenkorn an die richtige Stelle bläst, wo es aufgehen, wachsen und

reifen kann.

Es geht also um uns Menschen und das, was Gott zu sagen hat, liebe

Gemeinde. Es geht aber auch um den Bauern und seine Saat. Denn

Jesus ist bodenständig, hat den Stoff für sein Gleichnis nicht zufällig

gewählt. Es weist hintergründig auf die gute Ordnung der Schöpfung

hin, in der trotz Verlusten am Ende reiche Frucht dasteht.

Wenden wir uns also wieder dem Sämann zu. Einiges, sogar vieles

von dem, was er ausbringt, fällt auf gutes Land, wächst, gedeiht und

bringt reichlich Frucht. Doch noch einmal die Frage: Warum nicht

alles? Heutzutage müsste es doch möglich sein, die Verluste auf ein

Mindestmaß zu begrenzen. Aber wenn wir genauer nachdenken,

merken wir, dass nach wie vor einiges verloren gehen kann auf dem

Weg von der Aussaat bis zum Dreschen. Nicht unbedingt, weil es auf

den falschen Boden fällt. Eher durch Schädlinge oder wegen des

Wetters. Der Frost, der die wunderschön aufgegangene Wintersaat

zerstört oder die Apfelblüten. Trockenheit im Frühjahr, Hagelun-

wetter im Sommer, vielleicht noch kurz vor der Ernte. Mit all dem

haben Bäuerinnen und Bauern im Land in den letzten Jahren zu

schaffen gehabt, manche erhebliche Einbußen erlitten. Ja, solche

Bedrohungen durch das Wetter sind der Grund, warum seit bald 200

Jahren Erntebittgottesdienste gefeiert werden mit der Bitte um eine

gesegnete Ernte, um Verschonung vor Unfällen und Unwettern.

Einerseits, liebe Gemeinde, ist es der normale, natürliche Gang der

Dinge: Von dem, was wir säen, geht eine Menge auf und reift zur

Frucht, die wir schließlich ernten. Wenn man andererseits die Ge-

fährdungen bedenkt, denen das Gesäte auf dem Acker, denen unsere

Weinberge, Obst- und Gemüsekulturen ausgesetzt sind, ist eine gute

Ernte nach wie vor nicht selbstverständlich, sondern ein Geschenk.

Ein wunderbares Geschenk des Schöpfers, der die Erde so einge-

20

richtet hat, dass sie Gras hervorbringt und Getreide, Büsche und

Bäume, dass sie Tieren und Menschen Raum bietet zum Leben, Nah-

rung und Wasser.

Diese gute Ordnung der Schöpfung steht im Hintergrund von Jesu

Gleichnis. Von Zahlenverhältnissen spricht er nicht. Aber es ist wohl

so gemeint, dass ein kleiner Teil auf den Weg fällt, etwas auf felsi-

gen Boden, etwas unter die Dornen. Der ganze Rest aber auf guten

Boden. Als unprofessionell ist die Methode dieses Bauern nicht an-

zusehen. Vielmehr strahlt er Gelassenheit aus, das Vertrauen, dass

trotz Verlusten genügend aufgeht und zur Frucht reift.

Hundert Prozent Effektivität gab es damals nicht, gibt es heute ge-

nauso wenig. Dabei ist es gut und sinnvoll, wenn wir versuchen

möglichst wenig zu verschwenden. Auf allen Ebenen, nicht nur bei

der Aussaat. Denken wir nur daran, wie viele gute Lebensmittel ver-

loren gehen. Nachernteverluste in armen Ländern. Getreide verdirbt,

weil es nicht richtig gelagert oder transportiert werden kann. Le-

bensmittelvernichtung bei uns. Brot und Joghurt, Obst und Gemüse –

aussortiert im Supermarkt, zu Hause entsorgt, weil es niemand mehr

essen wollte oder konnte. „Essen im Eimer“ – ein Weckruf an uns

alle, damit wir mit Gottes guten Gaben sorgsamer umgehen.

Hundert Prozent Effektivität gibt es nicht. Weil wir Geschöpfe sind,

die in und mit der Schöpfung arbeiten. Weil wir selbst mit der besten

Technik nie und nimmer alles im Griff haben werden. Trotzdem fällt

schon im Gleichnis ein großer Teil des Gesäten auf guten Boden,

geht auf, wächst und reift heran zur Frucht. Die gute Ordnung der

Schöpfung, in der wir leben, in der unser Auftrag lautet: „bebauen

und bewahren“.

Es geht auf, wächst und reift zur Frucht. Das, liebe Gemeinde, ist der

Musterfall für gelingendes Wachstum. Mit der Aussaat als Start und

der Ernte als Ziel. Wenn in unserer Zeit von Wachstum die Rede ist,

dann meist in einem etwas anderen Sinn. Betriebe, Unternehmen

wachsen, die Wirtschaft insgesamt. Tendenziell ohne Anfang und

Ende, sondern immer weiter. Denn Stillstand ist Rückschritt.

Der Betrieb wächst, entwickelt sich weiter, Neues entsteht. Eine

schöne Sache. „Wachsen macht Spaß“, sagt ein junger Landwirt,

21

„zumindest habe ich unheimlich Freude und Spaß dabei, etwas

Neues zu machen oder aufzubauen.“ Wobei innovativ sein wichtiger

erscheint als bloßes Größenwachstum. (Hier können weitere Zitate

aus den Erfahrungsberichten in diesem Heft eingebaut werden.) Auf

der anderen Seite empfinden viele die Nötigung zu wachsen, ob man

will oder nicht, und ihnen ist klar, dass Wachstum eben nicht gren-

zenlos sein kann. Weil die Fläche knapp ist, andere auch wachsen

wollen. Weil wir an persönliche Grenzen stoßen, uns nicht immer

mehr aufhalsen können. Weil sich die Frage nach dem verantwortba-

ren Risiko stellt. Die Spannung ist schwer auszuhalten: einerseits der

Wachstumszwang – der Betrieb, die Wirtschaft insgesamt muss

wachsen. Auf der anderen Seite die Grenzen, an die wir stoßen, weil

es in der Natur kein unendliches Wachstum geben kann, weil wir

Geschöpfe sind, die in und mit der Schöpfung arbeiten.

Jesu Gleichnis erzählt auch davon, wie es mit dem Wachstum

daneben gehen kann. Es kommt erst gar nicht in Gang, weil die Be-

dingungen zu schlecht sind oder weil man sich verzettelt, zu viel halb

und nichts richtig macht. Es gibt ungesund rasches Wachstum, das in

der Gefahr steht, ebenso rasch wieder in sich zusammenzufallen. Ein

Strohfeuer, eine „Blase“. Problematisch vor allem, wenn wir zu im-

mer neuen Wachstumsschritten genötigt werden, ohne dass Zeit

bleibt zum Reifen. Organisches Wachstum dagegen braucht Zeit,

beutet weder Mensch noch Tier noch die Natur gnadenlos aus.

Vor dem Wachsen steht aber das Säen. Im direkten wie im übertra-

genen Sinne. Bäuerinnen und Bauern säen und pflanzen. Wenn Jesus

Gottes Reich verkündigt und Kranke heilt, sät er ebenfalls etwas aus.

Hoffnung und Liebe. Die Eltern und Großeltern unter uns, Lehrerin-

nen, Ausbilder und Pfarrer – wir alle versuchen, bei den uns anver-

trauten jungen Menschen eine gute Saat zu legen. Manche säen frei-

lich Hass und Misstrauen. Welche Saat aufgeht, wächst und Frucht

bringt, das haben wir oft nicht in der Hand. Bei dem, was wir be-

trieblich in die Wege leiten, hängt es ebenfalls nicht allein an dem,

was wir wollen, können und leisten.

Doch Jesu Gleichnis macht uns Hoffnung. Es geht zwar nicht alles

auf, und nicht alles, was aufgegangen ist, reift zur Frucht. Keine

22

hundert Prozent Effektivität. Aber Gott lässt aufgehen, wachsen und

gedeihen, oft unerwartet reich. Bei dem, was wir säen im direkten

wie im übertragenen Sinne.

Ist es nicht wunderbar, wenn sich die grünen Halme zeigen? Dieses

Jahr geschah das ziemlich spät. Wenn sie wachsen, Ähren ausbilden

und diese reif – hoffentlich nicht „notreif“ – werden, so dass wir dre-

schen können. Ist es nicht herrlich, wenn im Frühjahr die Obstbäume

und Weinstöcke zuerst grün werden, dann blühen, bis sich die

Früchte bilden, die ordentlich Zeit und Sonne brauchen, um den vol-

len, süßen Geschmack zu entfalten?

Genauso schön ist es, wenn ich erfahre, dass ein gutes Wort, das ich

vor langer Zeit gesagt habe, dem betreffenden Menschen wirklich

weiter geholfen hat. Wenn ein Bibelwort in mir aufgeht, sich ver-

wurzelt, mich von innen heraus verändert. „Einiges fiel auf gutes

Land, ging auf und wuchs und brachte Frucht.“ – „Alles, was wir

Gutes wirken, ist gesät in deinen Schoß, und du wirst die Ernte sen-

den unaussprechlich reich und groß.“ Amen.

Fürbitten

I: Großer Gott, Schöpfer von Himmel und Erde und auch Gott für

Wachstum und Gedeihen. Auch Vater im Himmel dürfen wir zu dir

sagen.

Hilf uns immer wieder dir neu zu vertrauen. Du hältst die Welt in

deinen Händen, darauf vertrauen wir. Das fällt aber schwer, Vater,

wenn uns viel Arbeit zur Eile treibt oder wenn sich gar eine Miss-

ernte abzeichnet.

Gib uns immer die Kraft und die Zeit, dich um Sonne, Regen, Wind,

Frost und Hitze zur rechten Zeit zu bitten und an deine Wirklichkeit

zu glauben.

Schenke du Freude und Dankbarkeit bei allem Ernten und bewahre

uns vor Hektik, Habgier oder einem Unglück.

Vater im Himmel, steure du das Wachstum nicht nur im Gartenbau

und in der Landwirtschaft und Viehzucht, sondern überall in unserem

ganzen menschlichen Denken und Wollen.

23

Du siehst Vater, wie oft wir mehr wollen, etwas Größeres, Schnelle-

res oder Besseres.

Hilf uns zu denken: Von deiner Gnade leben wir und was wir haben

kommt von dir – und das ist genug.

II. In deiner Hand, Herr, unser Gott,

steht Wachstum und Gedeihen.

Deinem Segen verdanken wir alles,

was nach dem langen Winter gewachsen ist,

was wir in den nächsten Wochen und Monaten ernten werden.

Wir bitten dich: Segne nun die Ernte und alle, die in ihr arbeiten.

Hilf, dass all das, was heranreift, auch gut eingebracht werden kann.

Sei bei denen, die jetzt sehr viel zu tun haben,

dass die Hektik nicht zu groß wird und sie vor Unglück bewahrt

werden.

Wir bitten dich, Herr, unser Gott, für die Menschen weltweit,

bei denen es dieses Jahr wenig zu ernten gibt,

oder denen das Geld nicht reicht für genügend Lebensmittel.

Wir bitten dich auch für die allzu Satten,

denen der Wert der Lebensmittel nicht mehr richtig bewusst ist.

Lass uns alle sorgsam mit dem umgehen, was jetzt geerntet wird,

was wir kaufen können in der Bäckerei und der Metzgerei,

auf dem Markt und im Supermarkt.

Hilf, dass wir weltweit Lösungen finden für mehr Gerechtigkeit,

damit die Hungernden satt werden.

In deiner Hand, Herr, unser Gott,

steht Wachstum und Gedeihen.

Auch im Blick auf das, was wir an Gutem säen

in unseren Ortschaften und Kirchengemeinden.

Hilf, dass die guten Gedanken und Ideen aufgehen und Frucht brin-

gen.

Die Saat von Hass und Zwietracht lass dagegen verkümmern.

Segne die Worte all derer, die dein Evangelium verkündigen,

lass es Frucht bringen in unseren Herzen,

in dem, was wir reden und tun.

24

III. Guter Gott, wir danken dir für die neue Ernte die im Moment

heranwächst. Wir sind dankbar dafür, dass du uns Regen, Sonne und

Wärme zur richtigen Zeit geschenkt hast. Dies ist Jahr für Jahr ein

neues Wunder.

Lebendiger Gott, wir bitten dich für die kommende Erntezeit.

Schenke du das richtige Wetter, Kraft für die viele Arbeit und Be-

wahrung im Umgang mit den Maschinen.

Schöpfergott, wir sind abhängig von dir. Trotz allem technischen

Fortschritt und all unserem Planen und Vorsorgen bist du derjenige,

der Wachstum schenkt und das Heft in der Hand hält. Wir bitten

dich, dass du zu unserem Wollen das Vollbringen schenkst.

Heiliger Gott, viele Menschen wissen nicht, was von der Landwirt-

schaft alles abhängt. Schenke du ein Bewusstsein dafür, dass es eben

nicht selbstverständlich ist, mit Brot, Gemüse, Fleisch, Milch, Wein,

Käse und all den anderen Dingen versorgt zu sein. Lass der Land-

wirtschaft die angemessene Wertschätzung für diese wichtige Arbeit

zukommen.

Sorgender Gott, du weißt, dass es mit einer guten Ernte nicht getan

ist. Wir bitten dich für gerechte Preise und einen fairen Handel. Hier

in Deutschland und weltweit für Kleinbauern und -bäuerinnen in

Ländern, in denen der Preis über Hunger, Leben und Tod entschei-

den kann.

IV. Lieber himmlischer Vater, wir danken dir für das Wunder des

Wachsens, das wir zurzeit wieder in der Natur sehen dürfen.

Nun bitten wir dich: Schenke auch weiterhin ein gutes Wachsen und

Reifen der Feldfrüchte!

Schenke für die Erntezeit beständiges Wetter, damit nichts verdirbt!

Gib allen, die mit der Ernte zu tun haben, viel Kraft und Durchhalte-

vermögen; gerade auch dann, wenn Zusatzarbeit nötig ist, etwa bei

Nacht!

Und angesichts der Gefahren im Umgang mit den Maschinen bitten

wir dich: Bewahre uns vor Unfall und Schaden! Lass uns alle immer

wieder gesund und wohlbehalten vom Feld nach Hause kommen!

Herr, wir danken dir für alle deine Güte. Amen.

25

Lebensrückblick eines Bauern: „Ich bin so zufrieden, wenn ich

auf mein Leben als Landwirt zurückblicke…“

Im folgenden Lebensrückblick sind Orte und Jahreszahlen anonymi-

siert. Protokolliert hat ihn Susanne Spöhrer.

„Als Bub habe ich regelmäßig die Kinderkirche besucht. Eine Ge-

schichte von Tolstoi („Wie viel Erde braucht der Mensch?“), die ich

dort hörte, hat mich sehr geprägt:

‚Es war einmal ein Bauer, der hat von seinem Herrn das folgende

Angebot bekommen: „Du kriegst von mir so viel Land, wie Du an

einem Tag umwandern kannst.“ Der Bauer ging am frühen Morgen

los. Im Lauf des Tages hat er immer wieder ausgeschaut und hat bei

sich gesagt: „Das Eck nehme ich jetzt noch mit – und das noch – und

das – und das…“. Am Abend, als er zum Herrn zurückging, um sein

erlaufenes Gebiet in Besitz zu nehmen, ist er tot zusammengebro-

chen.‘

Diese Geschichte hat sich mir sehr eingeprägt. Sie hat mich später

dazu gebracht, dass ich in meiner Arbeit und bei der Planung auf ein

mäßiges Wachstum geachtet habe. Ziele habe ich langfristig ins

Auge gefasst, habe sie konsequent verfolgt und gleichzeitig Ent-

scheidungen flexibel der Entwicklung angepasst.

Einem Acker habe ich immer den ihm angemessenen Ertrag abver-

langt – also nicht den maximal möglichen Ertrag: Das habe ich nicht

wegen des Verdienstes gemacht, sondern aus Freude am Ertrag.

Ich bin dankbar dafür, dass mir viele Pachtflächen aufgrund freund-

schaftlicher in Generationen gewachsener Beziehungen angeboten

wurden.

Als Junge habe ich mir nie Zeit zum Lernen genommen. Wenn ich an

den Hausaufgaben saß und draußen einen Schlepper hörte, bin ich

lieber rausgegangen und habe geschaut, was dort passiert. Mein Opa

sagte: „Du musst einmal der Bauer werden.“ Niemand hat mir da-

mals gesagt, dass für die Landwirtschaft das Lernen wichtig ist.

26

Mit 15 war ich mit der Schule fertig. Zwei Jahre habe ich danach im

eigenen Betrieb Landwirt gelernt. Darauf folgte mein erster Schritt in

die Selbständigkeit: Ich machte ein Jahr lang eine Fremdlehre auf

einem Viehbetrieb im Hohenloher Land. Sie hatten 60 Kühe mit

Vorzugsmilch und Nachzucht. Dort gab es vier Angestellte: drei

Lehrlinge und einen Praktikanten. Dort habe ich viel gelernt, beson-

ders in der Organisation der praktischen Arbeit. Dort habe ich mir

auch ein gutes Selbstwertgefühl erworben. In der Erntezeit haben wir

von 6.00 Uhr morgens bis 22.00 Uhr abends gearbeitet, und ich habe

das gerne getan. Ich habe viel Ehrgeiz entwickelt, die Arbeit zu be-

wältigen. Nach einem halben Jahr hat mir der Bauer die Führung der

Angestellten übertragen. Ich habe fast zu viel geschafft und dabei

sehr gern.

Nach dem einen Jahr Fremdlehre habe ich die Gehilfenprüfung ge-

macht und anschließend auf dem elterlichen Hof weitergearbeitet.

Dort folgte mein zweiter Schritt in die Selbständigkeit: Mein Vater

hat angefangen, nebenbei zu arbeiten, und ich habe die Führung des

Betriebes übernommen. Gleichzeitig habe ich zwei Jahre lang die

landwirtschaftliche Fachschule besucht.

Mit meinem Vater bin ich gut ausgekommen. Er hat mir die Verant-

wortung für den Ackerbau übertragen. Selbst hat er die Verantwor-

tung für den Stall gehabt. Die Zuständigkeiten waren klar. Die Zu-

sammenarbeit war gut. Die Eigenverantwortung ist sehr wichtig für

mich gewesen und ebenso das Vertrauen meines Vaters.

Anfang der 80er Jahre habe ich die Prüfung zum staatlich geprüften

Wirtschafter erfolgreich abgelegt. Bei der Abschlussfahrt nach Berlin

habe ich meine Frau kennen gelernt. Anschließend habe ich sofort

mit dem Meisterkurs begonnen und im folgenden Jahr die Prüfung

zum Landwirtschaftsmeister gemacht. Meine Frau hat im gleichen

Jahr wie ich die Prüfung zur Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft

gemacht. Wenig später haben wir uns verlobt. Zwei Jahre später ha-

ben wir geheiratet. Nach der Hochzeit wurden uns nacheinander vier

Kinder geboren.

27

Anfang der 80er Jahre haben wir den ersten geschlossenen Betrieb

dazu gepachtet. Danach haben wir immer wieder Flächen dazu ge-

pachtet. Mitte der 80er Jahre haben wir den elterlichen Betrieb mei-

ner Frau dazu gepachtet. Wenige Jahre später habe ich den Eindruck

gewonnen, dass wir den Betrieb so weiterentwickeln können, dass

ihn einer der Söhne übernehmen kann.

Wir haben uns früh dafür entschieden auszusiedeln, um für einen

Hofnachfolger eine tragfähige Grundlage zu schaffen. Im Jahr 1990

haben wir den ersten Spatenstich für unseren Aussiedlerhof gemacht.

Wir hatten das große Glück, dass wir die alte Hofstelle verkaufen

konnten. Im Zusammenhang mit der Aussiedlung hat es, nebenbei

gesagt, viel Neid gegeben im Ort. Das hatte ich in der Schärfe nicht

erwartet.

Den Betrieb haben wir allmählich weiter vergrößert. Die Kinder sind

groß geworden. Als unsere vier Kinder im Jugendalter waren, ist

meine Frau nach einer schweren Erkrankung gestorben. Das war eine

schwere Zeit.

Im gleichen Zeitraum habe ich gesehen, dass unser Betrieb zu klein

ist, um überlebensfähig zu sein. Damals habe ich zum ersten Mal

über Kooperation nachgedacht und habe Beratung gesucht bei Agri-

concept, einer Tochterfirma des Bauernverbandes. Einer meiner

Söhne hat Landwirt gelernt und die Meisterprüfung gemacht. Ihm

habe ich nach und nach den Ackerbau übertragen.

Als ich in die Berufsschule kam, hatten wir 50-60 Muttersauen und

Ferkelaufzucht. Das war damals ein Betrieb mittlerer Größe. Später

nach der Aussiedlung hatten wir 130 Muttersauen. Auch das war ein

Betrieb mittlerer Größe. Die anderen Betriebe waren ja auch ge-

wachsen.

Etwa zwei Jahre lang habe ich nach einem geeigneten Partner für den

Betrieb gesucht und ihn schließlich im Nachbarort gefunden. Unser

Partnerbetrieb ist wie wir auf Schweinezucht spezialisiert. Wir haben

eine GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts) gegründet. Zusammen

haben wir einen Stall gebaut für knapp 500 Muttersauen und für

28

Jungsauen. Das ist im Vergleich mit Betrieben in Ost- und Nord-

deutschland ein mittelgroßer Betrieb.

Die Vorteile der Kooperation sehe ich darin, dass wir beim Ferkel-

verkauf höhere Zuschläge bekommen aufgrund der Betriebsgröße.

Als große Entlastung empfinde ich die Möglichkeit, dass wir uns

austauschen, dass wir zusammenarbeiten und dass wir uns gut ergän-

zen. Weitere Vorteile der Kooperation sehe ich darin, dass wir

Krankheiten in Ruhe ausheilen können und dass Weiterbildung und

Urlaub möglich sind. Urlaub ist besonders für junge Familien wich-

tig. Von Vorteil ist auch die Entlastung im Alltag, dass wir Schwie-

rigkeiten gemeinsam tragen und lösen.

Die Kooperation hat auch Nachteile, aber die Vorteile überwiegen.

Als Nachteil sehe ich die Aufgabe der Selbständigkeit, und es ist

gewöhnungsbedürftig, dass der Ertrag geteilt wird.

Nötig für die Kooperation ist die Bereitschaft zur Zusammenarbeit

und Kommunikation. Nötig ist es, andere in ihrer Eigenart zu res-

pektieren. Für unbedingt nötig halte ich den konstruktiven Umgang

mit Fehlern.

Ich bin dankbar dafür, dass einer meiner Söhne den Hof übernehmen

wird und dass er bereit ist, die Kooperation weiterzuführen gemein-

sam mit seiner Partnerin. Ich bin dankbar für den guten Zusammen-

halt in der Familie.

Trotz aller Zweifel und aller Enttäuschung im Zusammenhang mit

dem Tod meiner Frau ist der christliche Glaube ein lebendiges Fun-

dament meines Lebens geblieben, das ich mit meiner zweiten Frau

teile.“

Mein Wunsch für dich ist: Deine Gaben sollen wachsen mit den

Jahren. Gott hat sie dir geschenkt, und sie sollen die Herzen derer,

die du liebst, mit Freude erfüllen. Und in jeder Stunde der Freude

und des Leides wird Gott mir dir sein, dich segnen; und du mögest in

seiner Nähe bleiben.

Aus Irland (EG, S. 351)

29

Interview mit jungen Landwirtinnen und Landwirten

Die Gedanken junger Betriebsleiterinnen und -leiter zum Thema

Wachstum. Die Interviews wurden unabhängig voneinander geführt.

a) Welche Gedanken kommen dir, wenn du an Wachstum

denkst?

(Landwirt 1*): In erster Linie denke ich hier an die Natur, wie sie

jetzt im Moment gerade draußen sprießt. Besonders die Maispflanze

mit ihrem enormen Wachstum fasziniert mich.

(Landwirt 2*): Ein Ziel, ein Muss: Wachstum macht Spaß, zumindest

habe ich unheimlich Freude und Spaß daran, etwas Neues zu machen

oder aufzubauen.

(Landwirtin 3*): Mit Wachstum verbinde ich in erster Linie die

Natur. Aber eigentlich ist Wachstum in vielen Bereichen des Lebens

da. Ich finde folgendes Zitat passend: Wenn man alles, was einem im

Leben begegnet als Möglichkeit zum eigenen Wachstum ansieht,

gewinnt man an innerer Stärke (Milarepa).

b) Wie erlebst du Wachstum in der Natur?

Es begeistert einfach, wie aus einem kleinen Samenkorn eine große

Pflanze wird, die viel Ertrag bringt.

Manchmal überraschend: aus einer Pflanze, oder einem Feld, das

verunkrautet, völlig ausgedörrt oder erfroren aussieht, wächst ein

wunderschöner Bestand heran.

Für mich ist es auch irgendwie erschreckend, dass die Natur uns für

ihr Wachstum eigentlich gar nicht braucht. Wir sie aber umso mehr.

Das Wachstum der Natur ist so komplex, dass es für uns Menschen

nicht möglich ist, es nachzubauen. Bedeutet: Den Käfer, auf den ich

heute trete, kann kein Labor der Welt morgen wieder nachbauen.

c) Wie erlebst du Wachstum im Bezug auf den Hof?

Leider ist Wachstum irgendwie Zwang, „wachsen oder weichen“!

Aber es begeistert mich auch, wie viel produktiver man z.B. als vor

30

20 Jahren sein kann, wenn Technik und Know-how ins Spiel kom-

men.

Wachstum ist notwendig, manchmal ein unbedingtes Muss. Ich habe

aber auch manchmal Angst nicht richtig oder schnell genug zu

wachsen und so im Wettbewerb abgehängt zu werden.

In Bezug auf den Betrieb findet ein ständiges Wachstum statt. Es gibt

immer wieder neue Möglichkeiten, den Betrieb weiterzuentwickeln.

d) Inwieweit ist Wachstum wichtig für ein positives Gefühl?

Ohne Wachstum wird ein Betrieb nicht zukunftsfähig bleiben und es

stellt sich vieles, was man geschafft und aufgebaut hat, in Frage! Für

mich ist Wachstum auch eine Herausforderung, der ich mich stellen

muss, um den Hof zu erhalten.

Wachstum ist schön. Mir macht es vor allem Spaß, etwas Neues zu

machen, weniger, immer größer zu werden. Ich möchte immer die

Möglichkeit verspüren, etwas Neues machen zu können.

Nicht stehen bleiben, neue Ideen einbringen und wenn es gut läuft,

erfolgreich damit zu sein. Das motiviert mich und ich habe dabei ein

gutes Gefühl.

e) Wovon lässt du dich in deiner Betriebsentwicklung leiten?

Betriebsentwicklung ist in erster Linie eine Frage der Arbeitskraft.

Ich frage mich: Ab wann ist eine Fremdarbeitskraft notwendig und

finanzierbar? Welchen Wert hat Freizeit?

Von Wirtschaftlichkeit und Marktentwicklung, Freude an dem, was

man machen möchte, und der Wirkung für die gesamte Gesellschaft.

Wenn man nichts Neues macht, muss man wachsen, weichen, mit we-

niger zufrieden sein oder aber besonders gut sein.

Vom Markt und neuen Trends. Ich muss meine Produkte der Nach-

frage anpassen. Wenn ich es nicht schaffe, marktfähig zu bleiben, ist

dies Existenz bedrohend. Deshalb steht Wachstum auch für Existenz-

sicherung.

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f) Unterscheidest du zwischen verschiedenen Formen des

Wachsens?

Betrieblich kann ich wachsen um jeden Preis und mit vielen Fremd-

arbeitskräften oder versuchen, Arbeitskräfte einzusparen. Ich versu-

che gerade die zweite Möglichkeit, da der Betrieb so überschaubarer

bleibt und ich auch sehen kann, was man aus dem vorhandenen Be-

trieb machen kann.

Ich unterscheide zwischen betrieblichem, privatem, geistigem und

geistlichem Wachstum. Wächst man in einem Bereich besonders

stark, kann man in den anderen Bereichen weniger wachsen.

Ja, wachsen nach dem Trend und zum neuen Trend. Lieber ist es mir,

den Betrieb in eine neue Richtung wachsen zu lassen. Treffe oder

begründe ich damit einen neuen Trend, ist das super. Das Risiko ist

zwar größer, aber wenn es klappt, ist es das erfolgreichere Wachs-

tum.

g) Gibt es für dich Grenzen des betrieblichen Wachstums?

Ich denke, dass die betrieblichen Gegebenheiten meist die Grenzen

vorgeben. Das können die Lage des Betriebes, verschiedene Aufla-

gen, Agrarstruktur und Verfügbarkeit von Arbeitskräften sein.

Ja, vor allem aufgrund von eigenen und externen Einschränkungen:

Flächenknappheit, Risiko, der eigenen Psyche, der Gesundheit, dem

Wunsch im Leben nicht nur für den Betrieb zu leben.

Ja, der Markt auf dem ich meine Produkte verkaufen will. Ist dieser

gesättigt, macht es keinen Sinn in diese Richtung weiter zu wachsen.

Angaben zu den jungen Landwirtinnen und Landwirten:

(Landwirt 1*): 32 Jahre, Dipl. Ing. agr., Puten- und Ackerbaubetrieb

(Landwirt 2*): 30 Jahre, Dipl. Ing. agr., Wildblumen- und Gräser-

saatgutproduktion, Ackerbau und Schweinezucht

(Landwirtin 3*): 23 Jahre, Bachelor, Schweinezuchtbetrieb mit Jung-

sauenvermehrung

32

Grenzen des Wachstums

Zusammenfassung aus Misereormagazin 1/2013 und Magazin der

Heinrich-Böll-Stiftung 2/2011 durch Hildegund Winter.

I Grenzen des Wachstums sind variabel

1a Warnung - Ende 18. Jahrhundert

Der englische Nationalökonom und Sozialwissenschaftler Robert

Malthus prophezeit schon im 18. Jahrhundert, dass die Agrarproduk-

tion nicht mit der rasch anwachsenden Bevölkerung Schritt halten

könne. Hungersnöte wären die Folge, wenn aufgrund der steigenden

Nachfrage die Böden übernutzt werden und die Ertragskraft dadurch

immer weiter sinken würde.

1b Lösung - Mitte des 19. Jahrhunderts

Die Zeitgenossen Justus Liebig und Gregor Mendel konnten durch

ihre Entdeckungen in der Agrochemie und der systematischen Pflan-

zenzucht die Erträge in der Landwirtschaft vervielfachen.

2a Warnung - Club of Rome 1972

Donella und Dennis Meadows stellten 1972 in ihren Studien "Gren-

zen des Wachstums", herausgegeben vom Club of Rome, den Weg

des materiellen Wachstums als solchen infrage. Ihr Fazit lautet: Die

Ressourcen der Erde sind endlich. Durch die Zunahme der Weltbe-

völkerung steigen Agrar- und Fleischproduktion, der Verbrauch na-

türlicher Rohstoffe, von Düngemitteln und Süßwasser. Gleichzeitig

entstehen kaum zu bewältigende Mengen an Abfällen und

Schadstoffen im Boden, im Wasser und in der Luft.

Die Gefahr des Kohlenstoffdioxids in der Atmosphäre wird in der

Studie hingegen nur als eine Bedrohung unter vielen angesehen.

2b Reaktionen

Kurzzeitig wird der Club of Rome kritisiert, denn die Ressourcen

schrumpften nicht so rasch wie vorhergesagt.

Auch die Ökosysteme waren nicht so schnell überlastet. Auf saure

Seen, Waldsterben und Ozonloch wurde erfolgreich mit Filtern und

Verboten reagiert.

33

3 Warnung - Club of Rome 2012

Im "Zukunftsreport 2052" von Jørgen Randers wird der Klimawandel

als zentrale Bedrohung angesehen. 35 führende Wissenschaftler war-

nen in ihren Stellungnahmen vor einem ungezügelten Wirtschafts-

wachstum. Über Jahrtausende sind Menschenzahl und materielle

Produktion nur sehr langsam gewachsen. Mit der Industrialisierung

setzt eine atemberaubende Beschleunigung ein.

Wachstum 1800 - 2000:

Weltbevölkerung 6-fach

Energieverbrauch 40-fach

Weltwirtschaft 50-fach

Alle Forscher analysieren, dass die Ökosysteme im roten Bereich

agieren. Als größtes Problem wird die Erderwärmung eingestuft.

II Politische Lösungsversuche

1 Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität

2011

Der Deutsche Bundestag hat 2011 eine Kommission eingerichtet, die

sich mit der Zukunftsfrage nachhaltiges Wirtschaften beschäftigt. Sie

soll die gesellschaftliche Debatte vorantreiben, wie globaler

Wohlstand und soziale Gerechtigkeit mit den Grenzen eines endli-

chen Planeten vereinbar gemacht werden können. Es geht darum,

nach Möglichkeiten der Entkoppelung von Wachstum und Ressour-

cenverbrauch zu suchen und neue Wege für nachhaltigere Arbeits-,

Lebens- und Konsumstile zu entwickeln, die den Orientierungsrah-

men für eine neue Form des Wirtschaftens bilden sollen.

2 Ein Beispiel: Ecuador 2008 und Bolivien 2009 - Konzept "Buen

Vivir" in Verfassung aufgenommen

In Ecuador und Bolivien hat das Verhältnis zur Natur einen zentralen

Stellenwert bekommen, seit dem das Konzept des "Buen Vivir" in

die Verfassung aufgenommen worden ist.

Es zielt auf eine Harmonie mit der Natur und eine Abkehr von der

Idee des endlosen Wachstums und soll verhindern, dass die traditio-

nellen Entwicklungsmodelle der industrialisierten Länder nachge-

ahmt werden, da diese die auf der Ausbeutung der natürlichen Res-

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sourcen bestehen. Der Verfassungsgrundsatz ist umso bemerkens-

werter, da beide Länder stark von der Ausbeutung ihrer Boden-

schätze (Öl, Gas) profitieren.

III Vorgeschlagene weitere Lösungsansätze

Agrarreformen: Stärkung der Kleinbauern, Änderung der

Subventionierungsrichtlinien

Verantwortungsvoller Fleischkonsum

Steigerung der Ressourceneffizienz („aus weniger mehr

machen“)

Regenerative Energien

Nachwachsende Werkstoffe

Bionik (zielt darauf ab, biologische Prozesse und Materialien

in technische Innovationen zu übersetzen)

Neben allen politischen Lösungsansätzen braucht es dringend eine

ökologische Dynamik von unten, die von Konsumenten, Umweltver-

bänden, Landwirtschaft, Gemeinden, Erfindern und Investoren

vorangetrieben wird.