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MECHANISCH VOLLVARIABLER VENTILTRIEB UND ZYLINDERABSCHALTUNG Motoren mit ein- und auslassseitig mechanisch vollvariablem Ventiltrieb können mit geringem Aufwand um die Funktion der Zylinderabschaltung erweitert werden. Hierbei wird der vollvariable Ventiltrieb zur Ventilstilllegung an bestimmten Zylindern verwendet. Zusätzlich bleibt die volle Funktionalität der Ventil- hub- und Steuerzeitvariation erhalten. Die TU Kaiserslautern hat an einem Vierzylinder-Downsizing- Ottomotor mit Direkteinspritzung und Monoscroll-Turbolader die Wirksamkeit der Maßnahmen unter- sucht und eine Strategie für die Umschaltung zwischen Zwei- und Vierzylindermodus entwickelt. AUTOREN PROF. DR.-ING. RUDOLF FLIERL ist Leiter des Lehrstuhls für Verbrennungs- kraftmaschinen der TU Kaiserslautern. DIPL.-ING. FREDERIC LAUER ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Verbrennungs- kraftmaschinen der TU Kaiserslautern. | V O N E X P E R T E N A U S F O R S C H U N G U N D I N D U S T R I E B E G U T A C H T E T | D A S G Ü T E S I E G E L F Ü R W I S S E N S C H A FTLI C H E B E I T R Ä G E I N D E R M T Z PEER REVIEW EINGEGANGEN 31.08.2012 GEPRÜFT 09.01.2013 ANGENOMMEN 21.01.2013 FORSCHUNG VENTILTRIEB 334

Mechanisch Vollvariabler Ventiltrieb und Zylinderabschaltung

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Page 1: Mechanisch Vollvariabler Ventiltrieb und Zylinderabschaltung

MECHANISCH VOLLVARIABLER VENTILTRIEB UND ZYLINDERABSCHALTUNG

Motoren mit ein- und auslassseitig mechanisch vollvariablem Ventiltrieb können mit geringem Aufwand um die Funktion der Zylinderabschaltung erweitert werden. Hierbei wird der vollvariable Ventiltrieb zur Ventilstilllegung an bestimmten Zylindern verwendet. Zusätzlich bleibt die volle Funktionalität der Ventil-hub- und Steuerzeitvariation erhalten. Die TU Kaiserslautern hat an einem Vierzylinder-Downsizing-Ottomotor mit Direkteinspritzung und Monoscroll-Turbolader die Wirksamkeit der Maßnahmen unter-sucht und eine Strategie für die Umschaltung zwischen Zwei- und Vierzylindermodus entwickelt.

AUTOREN

PROF. DR.-ING. RUDOLF FLIERL

ist Leiter des Lehrstuhls für Verbrennungs-

kraftmaschinen der TU Kaiserslautern.

DIPL.-ING. FREDERIC LAUER

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl

für Verbrennungs-kraftmaschinen der TU Kaiserslautern.

| VON EXPERTEN AUS FORSCHUNG UND INDUSTRIE

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Ventiltrieb

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1 EINLEITUNG

Die stetig steigenden Anforderungen an moderne Verbrennungs-motoren hinsichtlich CO2-Emissionen und Kraftstoffverbrauch ver-bunden mit der Androhung von Strafzahlungen bei Überschreiten des Flottenverbrauchgrenzwerts erfordern neue Technologien zur Kraftstoffverbrauchsreduktion. Am Ottomotor bieten sich auf-grund seines niedrigen Teillastwirkungsgrads sowie der Relevanz dieser Punkte im NEFZ besonders Maßnahmen an, die bei nied-rigen Lasten die CO2-Emissionen reduzieren.

Die drosselfreie Laststeuerung mit einem einlassseitig voll-variablen Ventiltrieb bietet die Möglichkeit, durch eine Reduktion der Ladungswechselarbeit den Kraftstoffverbrauch im Vergleich zum gedrosselten Motor zu senken [1]. Darüber hinaus kann durch einen zusätzlichen auslassseitig vollvariablen Ventiltrieb die Rest-gassteuerung optimiert und so die Ladungswechselarbeit weiter verringert werden [2].

Zur Verbrauchsreduktion wird auch die Zylinderabschaltung an gedrosselten Motoren bereits in Serie eingesetzt. Hier werden in der Teillast einige Zylinder des Motors nicht befeuert, sodass bei gleichem Lastpunkt des Motors die aktiven Zylinder in ihrer indi-zierten Last angehoben werden. Durch die interne Lastpunktver-schiebung werden diese Zylinder nun in einem Bereich mit einem besseren Wirkungsgrad betrieben. Werden an den abgeschalteten Zylindern die Ventile geschlossen gehalten, so entfallen hier zusätzlich die Ladungswechselverluste, was den Kraftstoffver-brauch weiter senkt [3].

Alle genannten Technologien basieren auf einer Variabilität im Ventiltrieb. Kommt ein vollvari abler Ventiltrieb auf der Ein- und Auslassseite zum Einsatz, bei dem sich der Ventilhub bis zum Nullhub variieren lässt, so kann die Funktionalität der Zylinderab-schaltung damit ebenfalls dargestellt werden.

2 PROTOTYP-ZYLINDERKOPF

Als Basis für die vorliegenden Ergebnisse diente ein Reihen-vierzylinder-Ottomotor mit 1,6 l Hubraum, Direkteinspritzung und Turboaufladung. In der Grundkonfiguration hat der Motor einen Zylinderkopf mit zwei oben liegenden Nockenwellen und 16 Ven-tilen, die über Rollenschlepphebel betätigt werden. Außerdem ver-fügt er über einen Einlassphasensteller. Der Zylinderkopf des Motors wurde zur Aufnahme des mechanisch vollvariablen Ventil-triebsystems Univalve auf der Ein- und Auslassseite modifiziert. Auf den Zylinderkopf wurde ein Träger aufgesetzt, der die konven-tionelle Ventilsteuerung ersetzt. Zusätzlich zur Einlassseite wird auch die Auslassseite mit einer kontinuierlichen Nockenwellenver-stellung ausgestattet, ❶.

Univalve auf der Einlassseite ermöglicht die kontinuierliche Varia tion von Ventilhub und Ventilsteuerzeit aller Einlassventile. Zusammen mit dem Einlassphasensteller können damit die Punkte für das Öffnen und Schließen der Einlassventile in einem weiten Bereich frei gewählt werden, was eine drosselfreie Laststeuerung ermöglicht. Zusätzlich übernimmt das System im Versuchsmotor die Ventilstilllegung an den Zylindern 2 und 3. Die gleiche Funk-tionalität bietet Univalve auf der Auslassseite. Hier kann durch die Verlängerung der Auslassventilsteuerzeit bei niedrigen und mitt-leren Lasten ein zusätzlicher Verbrauchsvorteil generiert werden. Die Steuerung der Ventilhübe erfolgt über zwei Stellmotoren, die sich spiegelsymmetrisch auf der Rückseite des Zylinderkopfs befinden und die über jeweils ein Schneckengetriebe die Stellwel-len betätigen.

3 UNIVALVE-SYSTEM

Bei Univalve handelt es sich um einen mechanisch vollvariablen Ventiltrieb auf Basis eines ebenen Kurvengetriebes. Seine Funk-tionsweise wird in [4] genauer beschrieben. Die Variation des Ven-tilhubs erfolgt mithilfe einer Stellwelle, bei deren Profil es sich im einfachsten Fall um einen Kreisexzenter handelt, ❷.

Der Ventilhub kann innerhalb einer halben Umdrehung der Stellwelle zwischen Vollhub und Nullhub variiert werden. Dabei kommt nur eine Seite des Stellwellenprofils in Kontakt mit dem Zwischenhebel.

4 VENTILSTILLLEGUNG MIT UNIVALVE

Da nur eine Seite der Stellwelle für die Variation von Ventilhub und Ventilsteuerzeit von Vollhub bis Nullhub verwendet wird, besteht die Möglichkeit, auf der zweiten Seite eine alternative Verstellcha-rakteristik zu erzeugen. Dies geschieht durch eine entsprechende Gestaltung des Profils der Stellwelle. Die Welle wird im oder gegen

1 EINLEITUNG

2 PROTOTYP-ZYLINDERKOPF

3 UNIVALVE-SYSTEM

4 VENTILSTILLLEGUNG MIT UNIVALVE

5 AUSLEGUNG DER VENTILHUBCHARAKTERISTIK

6 REIBUNG IM VENTILTRIEB

7 ERGEBNIS DER BEFEUERTEN ERPROBUNG

8 ÜBERGANG ZWISCHEN ZWEI- UND VIERZYLINDERBETRIEB

9 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

❶ Prototyp-Zylinderkopf mit vollvariablem Ventiltrieb und Phasensteller auf der Ein- und Auslassseite

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Ventiltrieb

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den Uhrzeigersinn gedreht, abhängig davon, welche Charakteristik zur Anwendung kommen soll. Nach diesem Prinzip kann Univalve auch die Ventile zwecks Zylinderabschaltung stilllegen. ❸ stellt zwei Profile einander gegenüber, mit denen sich eine Zylinderab-schaltung mittels Ventilstilllegung realisieren lässt.

Auf der Oberseite sind beide Profile identisch und erlauben so die Variation des Ventilhubs von Vollhub bis Nullhub, ②. Auf der Unterseite unterscheiden sich beide Profile. Das erste Profil ist hier spiegelsymmetrisch zur Oberseite und erlaubt ebenfalls eine Variation des Ventilhubs von Vollhub bis Nullhub. Das zweite Profil ist modifiziert mit einem verlängerten Nullhubbereich.

Möchte man diese Profile zur Zylinderabschaltung an dem Vier-zylinder-Versuchsmotor verwenden, so werden beide Profile auf einer gemeinsamen Welle angeordnet. Dabei steuert das erste Profil den Ventilhub an Zylinder 1 und 4, das zweite Profil an Zylinder 2 und 3, ❹.

Im Vierzylindermodus wird der Ventilhub über die Oberseite der Stellewelle gesteuert und alle Ventile öffnen gleich. Im Zwei-zylinderbetrieb wird die Unterseite eingesetzt und die Ventile an Zylinder 2 und 3 bleiben geschlossen, während der Hub der Ven-tile an Zylinder 1 und 4 in einem weiten Bereich variiert werden kann.

❷ Ventilhubvariation am Univalve-System

❸ Stellwellenprofile für Zylinderabschaltung

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5 AUSLEGUNG DER VENTILHUBCHARAKTERISTIK

Die Erzeugung der Exzenterwellenprofile erfolgt ausgehend von der gewünschten Ventilhub-Stellwellenwinkel-Charakteristik mit-hilfe kinematischer Umkehr ähnlich der Erzeugung von Nocken-profilen. Hierbei ist stets auf die geometrische Umsetzbarkeit zu achten, da scharfe Krümmungsübergänge in der Stellwellencha-rakteristik zu Hinterschneidungen im Profil führen können. Die für diese Untersuchung ausgelegte Stellwellencharakteristik ist in ❺ dargestellt.

Ausgehend von einer Position der Stellwelle bei 0° (Vollhub) werden bei Drehung der Welle in den Bereich zwischen 0° und -180° alle Ventile mit gleichem Ventilhub betrieben (Vierzylinder-modus). Bei Drehung der Welle in Richtung positiver Winkelberei-che wird zunächst ein Übergangsbereich durchfahren, in dem der Hub an den Ventilen der Zylinder 2 und 3 innerhalb eines sehr

kurzen Stellwinkelbereichs auf null gefahren wird. Im sich anschlie-ßenden Betriebsbereich bleiben die Ventile an diesen Zylindern geschlossen, während sich der Hub an den Ventilen der Zylinder 1 und 4 variieren lässt (Zweizylindermodus). Da die Motorlast im Zweizylindermodus begrenzt ist, reicht der hier maximal erreich-bare Ventilhub zur Einstellung einer hohen Zylinderfüllung aus.

Beim Umschalten zwischen Zwei- und Vierzylindermodus muss die Verstellwelle über den Bereich des maximalen Ventilhubs gedreht werden. Dadurch würde ohne Gegenmaßnahmen die Fül-lung der Zylinder und damit bei stöchiometrischem Betrieb auch die Last erhöht werden. Für eine ruckfreie Umschaltung erfolgt eine Kompensation bevorzugt über Drosselklappe und Nockenwel-lensteller, aber auch über Zündwinkeleingriffe. Ein Drehen der Welle durch den Nullhubbereich (von 180° direkt nach -180°) ist bei zunehmender Lastanforderung nicht möglich, da dann alle Ventile kurzzeitig geschlossen wären und der Motor somit kein Drehmoment abgeben kann. Die gezeigte Ventilhubcharakteristik wird im Prototyp auf der Ein- und Auslassseite verwendet.

6 REIBUNG IM VENTILTRIEB

Untersuchungen am Komponentenprüfstand bestätigen die mecha-nisch einwandfreie Funktionsweise des Ventiltriebs. Bei vollvari-ablen Ventiltrieben ist den Reibungsverlusten aufgrund der erhöh-ten Anzahl an Kontaktpartnern besondere Aufmerksamkeit zu wid-men. ❻ zeigt das gemessene mittlere Reibmoment an der Nockenwelle des Einlassventiltriebs bei unterschiedlichen Ventil-hüben mit und ohne Ventilstilllegung. Zusätzlich ist in rot gepunk-tet die Reibung des Rollenschlepphebel-Ventiltriebs des Basismo-tors aufgetragen.

Das Diagramm zeigt, dass die Reibung im Univalve-Ventiltrieb bei Vollhub und Vierzylinderbetrieb auf dem Niveau der Reibung des Basisventiltriebs liegt. Wird der Motor bei niedrigen Lasten und Drehzahlen betrieben, so sind lediglich geringe Ventilhübe notwendig. Dadurch sinken auch die aufgebrachten Federkräfte und gleichsam die Reibungsverluste. Beispielsweise ist bei einem

❹ Anordnung der Profile auf der Stellwelle des Vierzylinder-Reihenmotors mit Zylinderabschaltung

❺ Ausgelegte Stellwellen-charakteristik auf der Ein- und Auslassseite

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Lastpunkt von n = 2000/min, pme = 3 bar im Vierzylinderbetrieb lediglich ein Ventilhub von 1,9 mm notwendig. Wird der gleiche Lastpunkt im Zweizylinderbetrieb eingestellt, so beträgt der Ven-tilhub hier etwa 2,6 mm. Durch die Ventilstilllegung ergibt sich also ein leichter zusätzlicher Reibungsvorteil, jedoch wird der größte Vorteil durch die Einführung der variablen Ventilsteuerung erreicht.

Die geringen Reibungswerte resultieren aus einer gezielten Rei-bungsoptimierung des Ventiltriebs. Hierzu gehören ein reduzierter Nockenwellen-Lagerdurchmesser, ein reduzierter Nockenumfang sowie der Einsatz wälzgelagerter Rollen im Zwischenhebel. Wei-terhin wurde die Verteilung der Kontaktkräfte optimiert und zusätz-lich wurden durch Leichtbau die bewegten Massen und damit auch die Federkräfte reduziert.

❻ Gemessenes mittleres Reibmoment an der Nockenwelle

❼ Differenz des effektiven spe zifischen Kraftstoffverbrauchs zwischen Zwei- und Vierzylinder-modus (beide drosselfrei)

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7 ERGEBNIS DER BEFEUERTEN ERPROBUNG

Eine Kennfelderprobung verdeutlicht die Wirksamkeit der genann-ten Technologien. Der Vergleich erfolgt in einem Drehzahlbereich zwischen 1000 und 4000/min bei Mitteldrücken bis zu pme = 7 bar. ❼ zeigt die Differenz des Kraftstoffverbrauchs vom Zwei- zum Vierzylinderbetrieb. In beiden Modi wird der Motor drosselfrei betrieben. Das heißt, die Laststeuerung erfolgt über die Steuerung von Ventilhub und Ventilsteuerzeit bei voll geöffneter Drossel-klappe. Negative Werte bedeuten einen reduzierten Kraftstoffver-brauch im Zweizylinderbetrieb.

Die Zylinderabschaltung generiert bis hin zu Lasten von etwa pme = 6 bar Verbrauchsvorteile. Darüber hinaus bringt die zuneh-mende Klopfneigung durch die hohen Zylinderdrücke die Notwen-digkeit mit sich, den Zündwinkel in Richtung spät zu verschieben. Somit können keine optimalen Verbrennungsschwerpunktlagen mehr dargestellt werden, wodurch der Verbrauch schlechter wird als im Vollmotorbetrieb. Mit steigender Drehzahl verschiebt sich die Grenze aufgrund der abnehmenden Klopfneigung leicht zu höheren Lasten.

Bei niedrigen Drehzahlen sorgt die erhöhte Drehungleichförmig-keit aufgrund des Zweizylinderbetriebs und des nicht angepassten Zweimassen-Schwungrads des Basismotors für starke Motorvi bra-tionen, sodass dieser Bereich ohne Zusatzmaßnahmen vom Zylin-derabschaltbetrieb ausgenommen werden muss. Mit zunehmender Drehzahl verschiebt sich die Grenze stetig zu höheren Lasten. Aufgrund dieser Tatsache ist es auch sinnvoll, den Leerlauf des Motors im Vierzylindermodus zu applizieren. Die obere Drehzahl von 4000/min beschreibt nicht die mechanische Grenze zum Betrieb der Zylinderabschaltung. Vielmehr ist hier eine sinnvolle Grenze für den Kundenfahrbetrieb zu sehen.

In ⑦ ist außerdem in rot ein möglicher Applikationsbereich der Zylinderabschaltung eingetragen. Die maximal applizierbare Last liegt unterhalb der Last, bis zu der im reinen Zweizylinderbetrieb Vorteile generiert werden können. Der Grund dafür ist, dass beim Umschalten zwischen den Betriebsmodi kurzzeitig zusätzliche Ladungswechselverluste auftreten, die drehmomentneutral kom-pensiert werden müssen. Diese erhöhte Lastanforderung ist im

Zweizylinderbetrieb nur bis zu bestimmten Lasten darstellbar. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Nutzung von Ladedruck des Turboladers beim Umschalten aufgrund der großen Trägheit des Systems nicht möglich ist.

In sämtlichen Punkten bietet der auslassseitig vollvariable Ven-tiltrieb zusätzlich die Möglichkeit, die Ladungswechselarbeit zu minimieren. Er ermöglicht eine fortschrittliche Restgassteuerung, da durch die drosselfreie Laststeuerung kein Unterdruck mehr im Saugrohr vorhanden ist und somit eine Restgasrückführung über den Einlasskanal kaum erreichbar ist. Insbesondere im Zweizylin-derbetrieb kann eine „lange“ Auslassventil-Steuerzeit gewählt wer-den, da hier der Zündabstand auf 360 °KW vergrößert ist und sich somit die Ausschiebevorgänge von in der Zündfolge aufeinander folgenden Zylindern nicht gegenseitig beeinflussen können.

Zusätzlich können durch die Wahl des Zeitpunkts für das Öff-nen des Auslassventils in jedem Betriebspunkt Expansionsverlust und Ausschiebearbeit in Summe minimiert werden.

Bei Volllast im Vierzylinderbetrieb kann darüber hinaus eine kurze Auslasssteuerzeit eingestellt werden, was ein Übersprechen der Ausschiebevorgänge von Zylindern ausschließt, die in der Zündfolge auf einander folgen. So kann hier ein minimaler Restgasgehalt mit einem verbesserten Low-End-Torque erreicht werden.

8 ÜBERGANG ZWISCHEN ZWEI- UND VIERZYLINDERBETRIEB

Eine Besonderheit von Univalve mit Zylinderabschaltung ist der transiente Übergang zwischen Zwei- und Vierzylinderbetrieb. Wäh-rend schaltbare Ventiltriebskomponenten von einem auf den nächsten Zyklus zu- oder abschalten, durchfahren die Ventile beim Univalve-System während des Umschaltprozesses diskrete Zwi-schenhübe. Dadurch kann beim Umschalten die Last kontinuier-lich auf Zylinder 1 und 4 verlagert werden. ❽ verdeutlicht den Umschaltvorgang mithilfe der Stellwellencharakteristik.

Beginnend im drosselfreien Vierzylinderbetrieb wird die Stellwelle zunächst über den maximalen Ventilhub in den Übergangsbereich verstellt. Dabei wird auch temporär ein Ventilhubunterschied zwi-schen den Zylindern zugelassen. Nach dem Abschalten der Kraft-

❽ Betriebspunkte in der Stellwellencharakteristik während der Umschaltung

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stoffzufuhr an Zylinder 2 und 3 werden durch weiteres Drehen der Stellwelle die Ventile geschlossen und der Lastpunkt wird drosselfrei eingestellt. Im Gegensatz zu schaltbaren Ventiltriebskomponenten ist hier die Umschaltung unabhängig von der Drehzahl möglich, da wäh-rend des Umschaltvorgangs einzelne Ventilhübe durchfahren werden, die für die maximale Motordrehzahl ausgelegt sind. Eine mögliche Strategie zur Steuerung des Motors für die Umschaltung von Vier- auf Zweizylindermodus wird in ❾ dargestellt.

Die Umschaltung startet im drosselfreien Vierzylindermodus mit voll geöffneter Drosselklappe. Wird die Stellwelle in Richtung zuneh-mender Ventilhübe verstellt, muss die Drosselklappe geschlossen werden, um die Zylinderfüllung zu begrenzen. Da Drosselklappe und Stellwelle eine ähnliche Ansprechzeit haben, wird ein Lastsprung ver-mieden. Der Zündwinkel wird auf eine optimale Lage des Verbren-nungsschwerpunkts hin eingestellt. Durch das Schließen der Dros-selklappe ändert sich die Druckdifferenz zwischen Ein- und Auslass-

❾ Motorsteuerung während des Übergangs zur Zylinderabschaltung

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kanal. Zusammen mit dem vergrößerten Ventilhub und der dadurch vergrößerten Ventilüberschneidungsfläche nimmt der Restgasgehalt im Zylinder zu, was einen früheren Zündwinkel erfordert.

Bereits vor Erreichen des Punkts, an dem die Kraftstoffeinsprit-zung an Zylinder 2 und 3 abgeschaltet wird, wird durch erneutes Öffnen der Drosselklappe und Spätverstellung des Zündwinkels eine Drehmomentreserve erzeugt. Beim Abschalten der Kraftstoff-einspritzung wird dann der Zündwinkel simultan nach früh verstellt und es entsteht kein Drehmomentsprung. So wird auch die zusätz-liche Last bereitgestellt, die durch das Durchpumpen von Luft durch die abgeschalteten Zylinder kurzzeitig benötigt wird. Diese durchgeblasene Luft erscheint an der Lambdasonde als mageres Gemisch.

Nachfolgend werden zunächst die Auslassventile und anschlie-ßend die Einlassventile durch Verdrehen der Stellwellen stillgelegt. Abschließend wird durch weiteres Drehen der Einlassstellwelle der Lastpunkt erneut drosselfrei eingestellt. Während des Prozesses wird der Einlassphasensteller verwendet, um den Kraftstoffver-brauch zu minimieren und die Verbrennung zu stabilisieren.

Der Prozess kann ebenfalls in umgekehrter Richtung erfolgen. Hierfür existieren verschiedene Strategien abhängig von der Rei-henfolge des Reaktivierens der Ventile.

9 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

Der vorliegende Beitrag zeigt, dass der mechanisch vollvariable Ven-tiltrieb eine effektive und ausgereifte Technologie ist, die einen Bei-trag zur Reduktion des Kraftstoffverbrauchs und der CO2-Emis-sionen moderner Verbrennungsmotoren liefert. Die Vorteile der drosselfreien Laststeuerung können dabei durch Zylinderabschal-tung sinnvoll und ohne Zusatzkosten ergänzt werden. ❿ stellt die Verbrauchseinsparung für zwei repräsentative Teillastpunkte (n = 2000/min, pme = 2 bar und n = 2000/min, pme = 3 bar) dar. Darüber hinaus werden auch die zusätzlichen Vorteile als Folge der variablen Auslassseite gezeigt.

Die Vorteile von Univalve in Bezug auf die drosselfreie Laststeu-erung und Zylinderabschaltung beruhen auf der Fähigkeit des Sys-tems, den Ventilhub vom Vollhub bis zum Nullhub vollvariabel variieren zu können. Da diese Tatsache auch beim Umschalten zwischen Vier- und Zweizylinderbetrieb zum Tragen kommt, beschränken sich die Vorteile nicht nur auf konstante Lastpunkte. Vielmehr sind auch beim Umschaltvorgang weniger kompensie-rende Maßnahmen notwendig, die den Kraftstoffverbrauch negativ beeinflussen.

Mit dem ein- und auslassseitig mechanisch vollvariablen Ven-tiltrieb konnte eine Verbrauchsverbesserung bei einem Lastpunkt (n = 2000/min, pme = 3 bar) von 15 % im Vergleich zum gedrosselt betriebenen Basismotor nachgewiesen werden. Dabei werden Vor-teile über den Anwendungsbereich der Zylinderabschaltung hinaus bis hin zu hohen Lasten generiert. Daher ist eine signifikante Reduktion des Kraftstoffverbrauchs sowohl im NEFZ als auch im Kundenfahrbetrieb zu erwarten.

LITERATURHINWEISE[1] Paulov, M.: Analyse eines mechanisch vollvariablen Ventiltriebs an aufge-ladenen Ottomotoren mit Saugrohr- und Direkteinspritzung. TU Kaiserslautern, Dissertation, 2012[2] Schmitt, S.: Potenziale durch Ventiltriebsvariabilität auf der Auslassseite am drosselfrei betriebenen Ottomotor mit einstufiger Turboaufladung. TU Kaisers-lautern, Dissertation, 2011[3] Sandten, U.: Konzepte zur Zylinderabschaltung am Ottomotor. RWTH Aachen, Dissertation, 1984[4] Flierl, R.; Gollasch, D.; Knecht, A.; Pohl, D.; Hannibal, W.: Perspektiven des vollvariablen Ventiltriebs Univalve auf Basis eines 2,0-l-Ottomotors. In: MTZ 67 (2006), Nr. 7/8, S. 560-567

❿ Reduktion des Kraft-stoffverbrauchs durch drosselfreie Laststeuerung, Zylinderabschaltung und variable Auslassseite

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