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Meditation 3 Liebe Gemeinde! Wenn sie diesen Gemeindebrief in den Händen halten, dann ist die vorweih- nachtliche Zeit ge- kommen. Draußen wird es früh dunkel. Dafür werden drinnen und draußen Lichter entzündet. In unserer Innenstadt ist über den Einkaufsstraßen die Adventsbeleuchtung angebracht. Manche Familie hat draußen vor dem Haus bereits einen Baum mit Lichterketten geschmückt. Viele Menschen stellen einen Lichterbogen ins Fenster, um nach drinnen ins Wohnzimmer und nach draußen auf die Straße ein Stück Gemütlichkeit zu verbreiten. Und auf den Tischen mag sich auch ein grüner Kranz mit vier Kerzen finden. Kerzenlicht empfinden viele als besonders stimmungsvoll. Mit ihrem warmen Leuchten sprechen sie die Seele an. Im November finden sich solche Lichter in großer Zahl auf den Gräbern von Angehörigen. Je und je findet das Auge so einen Lichtpunkt in der Dunkelheit des Friedhofes. Als wollten die kleinen, flackernden Dochte uns sagen: „Auch in der Finsternis dieser Welt, auch in dunklen Zeiten deines Lebens gibt es einen Grund zur Hoffnung. Jetzt ist es noch eine winzige Flamme, aber einst wird für uns das Licht des größeren Lebens sichtbar werden. Wer auf Gottes Hilfe vertraut und darauf wartet, wie er mit seiner himmlischen Kraft in unserer Welt und in unserem Leben ankommt, dem wird das Licht der Zuversicht nicht verlöschen, auch wenn das Warten darauf zuweilen Menschen auf eine Probe stellt.“ Eindrücklich verdeutlicht dies folgende Erinnerung einer Frau: „Es war zur Zeit des 2. Weltkrieges. Mein Vater war schon im ersten Jahr eingezogen worden. Den Augenblick des Abschieds habe ich nie vergessen, obwohl ich damals noch ein kleines Mädchen war. Die Eltern versuchten tapfer zu sein, um uns Kindern willen. Aber dann brachen doch die Tränen heraus bei Mutter und Vater. „Aber Weihnachten ist Papa doch wieder da?“, fragte ich zögernd meine Mutter. Und als Mama das Licht zum Schlafen ausgemacht hatte, fragte ich das auch den lieben Gott. Die Antwort blieb aus. Papa auch. Eine Hoffnung blieb, das vergesse ich nie: Auf dem Wohnzimmer- schrank stand eine große Stumpenkerze. Die zündete Mama an jedem Abend beim Essen an. Sie stand auf Papas Platz. „Die soll leuchten bis Papa wiederkommt!“, sagte sie und lächelte dabei ein wenig. An diese Kerze habe ich geglaubt. Sie war das wichtigste Licht in meinem Leben. Neben der Kerze lag einmal ein Zettel mit einem Bibelvers: Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut

Meditation · wird es früh dunkel. Dafür werden drinnen ... Manche Familie hat draußen vor dem Haus bereits einen Baum mit Lichterketten geschmückt. Viele

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Liebe Gemeinde! Wenn sie diesen Gemeindebrief in den Händen halten, dann ist die vorweih-nachtliche Zeit ge-kommen. Draußen wird es früh dunkel. Dafür werden drinnen und draußen Lichter entzündet. In unserer Innenstadt ist über den Einkaufsstraßen die Adventsbeleuchtung angebracht. Manche Familie hat draußen vor dem Haus bereits einen Baum mit Lichterketten geschmückt. Viele Menschen stellen einen Lichterbogen ins Fenster, um nach drinnen ins Wohnzimmer und nach draußen auf die Straße ein Stück Gemütlichkeit zu verbreiten. Und auf den Tischen mag sich auch ein grüner Kranz mit vier Kerzen finden. Kerzenlicht empfinden viele als besonders stimmungsvoll. Mit ihrem warmen Leuchten sprechen sie die Seele an. Im November finden sich solche Lichter in großer Zahl auf den Gräbern von Angehörigen. Je und je findet das Auge so einen Lichtpunkt in der Dunkelheit des Friedhofes. Als wollten die kleinen, flackernden Dochte uns sagen: „Auch in der Finsternis dieser Welt, auch in dunklen Zeiten deines Lebens gibt es einen Grund zur Hoffnung. Jetzt ist es noch eine winzige Flamme, aber einst wird für uns das Licht des größeren Lebens sichtbar werden. Wer auf Gottes Hilfe vertraut und darauf wartet, wie er mit seiner himmlischen Kraft in unserer Welt und in unserem Leben ankommt,

dem wird das Licht der Zuversicht nicht verlöschen, auch wenn das Warten darauf zuweilen Menschen auf eine Probe stellt.“

Eindrücklich verdeutlicht dies

folgende Erinnerung einer Frau: „Es war zur Zeit des 2. Weltkrieges. Mein Vater war schon im ersten Jahr eingezogen worden. Den Augenblick des Abschieds habe ich nie vergessen, obwohl ich damals noch ein kleines Mädchen war. Die Eltern versuchten tapfer zu sein, um uns Kindern willen. Aber dann brachen doch die Tränen heraus bei Mutter und Vater. „Aber Weihnachten ist Papa doch wieder da?“, fragte ich zögernd meine Mutter. Und als Mama das Licht zum Schlafen ausgemacht hatte, fragte ich das auch den lieben Gott. Die Antwort blieb aus. Papa auch. Eine Hoffnung blieb, das vergesse ich nie: Auf dem Wohnzimmer-schrank stand eine große Stumpenkerze. Die zündete Mama an jedem Abend beim Essen an. Sie stand auf Papas Platz. „Die soll leuchten bis Papa wiederkommt!“, sagte sie und lächelte dabei ein wenig. An diese Kerze habe ich geglaubt. Sie war das wichtigste Licht in meinem Leben. Neben der Kerze lag einmal ein Zettel mit einem Bibelvers: Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut

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daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen. (2. Petr 1, 19) Jahre vergingen. Der Krieg fand sein Ende. Im Laufe des Jahres 1945 kehrten Soldaten nach Hause zurück, auch in unserer Nachbarschaft. Unsere Kerze brannte immer noch, aber jeden Tag nur noch kurz, denn es war mittlerweile nicht mehr viel von ihr übrig. Und dann? Eine Gänsehaut lief mir bei diesem Gedanken über den Rücken, das weiß ich noch genau. Die Adventszeit 1946 war sehr ernst in unserem Haus. Auf Weihnachten wollte sich keiner so recht freuen. Und dann geschah es. Am Tag vor Heiligabend verlosch die Kerze zum letzten Mal. Keiner sagte etwas in jenem Augenblick. Ich traute mich nicht hinüberzuschauen zu Mama. Als wir am Heiligen Abend von der Kirche kamen, brannte keine Kerze am Weihnachtsbaum. Der Tisch war gedeckt, aber keiner begann zu essen. Die Kerze leuchtete nicht mehr. Das 'O du fröhliche' wurde nicht gesungen wie sonst jedes Jahr. Da klopfte es an der Tür, leise aber eindringlich. Nach dem ersten Schreck öffnete Mama die Tür. Diesen Augenblick werde ich nie vergessen. Es war das größte Glück meines Lebens. Bis heute ist es für mich ein besonderes Gefühl, wenn ich eine Kerze entzünde. Dann sehe ich das Lächeln meiner Mutter vor mir. Ihr Bibelwort habe ich nie vergessen:

Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.“ Liebe Gemeinde, ich wünsche Ihnen, dass solch ein Licht ihnen aufgeht und sie begleitet an den Weihnachtsfeiertagen und im ganzen Jahr 2014.

Ihr Pastor Jörg-Stefan Tiessen