8
MEDIZINISCHE ENTOMOLOGIE Bernhard-Nocht-Institut fur Schiffs- und Tropenkrankheiten, Hamburg Uber die Rolle der medizinischen Entomologie bei der Bekampfung und Vorbeugung von Seuchen Von F. WEYER Einleitung Die medizinische Entomologie, fur welche die als Krankheitserreger und -ubertrager fungierenden Arthropoden, an erster Stelle Insekten, die Unter- suchungs- und Forschungsobjekte darstellen, ist eine relativ junge Wissen- schafl. Ihre Eigenstandigkeit begann erst Ende des vorigen und Anfang die- ses Jahrhunderts init grundlegenden Fortschritten und Entdeckungen auf dem Gebiet der Tropenmedizin, dai3 wichtige und lebensbedrohende Seuchen, also Krankheiten, die epidemisch weitraumige Gebiete und grof3e Bevolke- rungsteile befallen konnen, von Mensch zu Mensch nur durch Insekten uber- tragen werden. Hier sei an einige historische Daten erinnert: 1878 entdeckte PATRICK MANSON in China, da8 der Elefantiasis-Erreger, eine Filarie, sich in der Stcchmiicke Culex fatigans entwickelt, 1895 stellte BRUCE in Afrika die Ubertragung der Viehseuche Nagana und 1903 gemeinsam mit NAVARRO und KLEINE auch die Ubertragung der Schlafkrankhcit durch Tsetsefliegen, die Glossinen, fest. 1881 zeigte CARLOS J. FINLAY, daR das morderische Gelbfiebcr durch die Srechmucke Aedes aegypti verbreitet wird. 1897 erfolgte der besonders folgenreiche Nach- weis der Malariaerreger in Stcchmiicken der Gattung Anopheles durch RONALD Ross und GRASSI. Die Ubertragung des Fleckfiebers durch Kleiderlluse wurde 1909 durch NICOLLE, BLANC und CONSEIL geklart, die Obertragung des Buschgelbfiebers erst 1932 durch SOPER. Bis auf den heutigen Tag sind iibrigens noch eine Reihe von Ubertragungsvorgangen, bei denen Arthropoden beteiligt sind, nicht oder nicht ausrcichend geklirt, und es werden auch no& neuc Ubertrager entdeckt, z. B. bei den Arboviren. In Deutschland wurde die Bedeutung der medizinischen Entomologie spa- ter als in anderen Landern erkannt. Diesem Wissenschaftszweig bei uns zum Durchbruch, zur A.nerkennung und letztlich auch zu internationaler Geltung verholfen zu haben, ist in erster Linie das Verdienst von ERICH MARTINI, der lange Zeit Leiter der Abteilung fur Entomologie am Hamburger Tro- peninstitut gewesen ist. Es soll hier versucht werden, in groi3en Zugen etwas von dem Beitrag der medizinischen Entomologie zur Seuchenbekampfung und -prophylaxe, die in den letzten zwei Jahrzehnten eine unerwartete Bedeutung erlangt hat, von den Erfolgen, aber auch von den dabei aufgetauchten Schwierigkeiten zu be- richten. Das Thema heif3t nicht ,, Die Rolle der medizinischen Entomologie", sondern es soll nur iibev die Rolle gesprochen werden, d. h. ich treffe eine Auswahl und beschranke mich auf einige eindrucksvolle und interessante Beispiele, an denen sich die Problematik der Aufgabe besonders gut zeigen

Medizinische Entomologie: Über die Rolle der medizinischen Entomologie bei der Bekämpfung und Vorbeugung von Seuchen

  • Upload
    f-weyer

  • View
    226

  • Download
    6

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Medizinische Entomologie: Über die Rolle der medizinischen Entomologie bei der Bekämpfung und Vorbeugung von Seuchen

M E D I Z I N I S C H E E N T O M O L O G I E

Bernhard-Nocht-Institut f u r Schiffs- und Tropenkrankheiten, Hamburg

Uber die Rolle der medizinischen Entomologie bei der Bekampfung und Vorbeugung von Seuchen

Von F. WEYER

Einleitung

Die medizinische Entomologie, fur welche die als Krankheitserreger und -ubertrager fungierenden Arthropoden, an erster Stelle Insekten, die Unter- suchungs- und Forschungsobjekte darstellen, ist eine relativ junge Wissen- schafl. Ihre Eigenstandigkeit begann erst Ende des vorigen und Anfang die- ses Jahrhunderts init grundlegenden Fortschritten und Entdeckungen auf dem Gebiet der Tropenmedizin, dai3 wichtige und lebensbedrohende Seuchen, also Krankheiten, die epidemisch weitraumige Gebiete und grof3e Bevolke- rungsteile befallen konnen, von Mensch zu Mensch nur durch Insekten uber- tragen werden.

Hier sei an einige historische Daten erinnert: 1878 entdeckte PATRICK MANSON in China, da8 der Elefantiasis-Erreger, eine Filarie, sich in der Stcchmiicke Culex fat igans entwickelt, 1895 stellte BRUCE in Afrika die Ubertragung der Viehseuche Nagana und 1903 gemeinsam mit NAVARRO und KLEINE auch die Ubertragung der Schlafkrankhcit durch Tsetsefliegen, die Glossinen, fest. 1881 zeigte CARLOS J. FINLAY, daR das morderische Gelbfiebcr durch die Srechmucke Aedes aegypt i verbreitet wird. 1897 erfolgte der besonders folgenreiche Nach- weis der Malariaerreger in Stcchmiicken der Gat tung Anopheles durch RONALD Ross und GRASSI. Die Ubertragung des Fleckfiebers durch Kleiderlluse wurde 1909 durch NICOLLE, BLANC und CONSEIL geklart, die Obertragung des Buschgelbfiebers erst 1932 durch SOPER. Bis auf den heutigen Tag sind iibrigens noch eine Reihe von Ubertragungsvorgangen, bei denen Arthropoden beteiligt sind, nicht oder nicht ausrcichend geklirt, und es werden auch no& neuc Ubertrager entdeckt, z. B. bei den Arboviren.

In Deutschland wurde die Bedeutung der medizinischen Entomologie spa- ter als in anderen Landern erkannt. Diesem Wissenschaftszweig bei uns zum Durchbruch, zur A.nerkennung und letztlich auch zu internationaler Geltung verholfen zu haben, ist in erster Linie das Verdienst von ERICH MARTINI, der lange Zeit Leiter der Abteilung fur Entomologie am Hamburger Tro- peninstitut gewesen ist.

Es soll hier versucht werden, in groi3en Zugen etwas von dem Beitrag der medizinischen Entomologie zur Seuchenbekampfung und -prophylaxe, die in den letzten zwei Jahrzehnten eine unerwartete Bedeutung erlangt hat, von den Erfolgen, aber auch von den dabei aufgetauchten Schwierigkeiten zu be- richten. Das Thema heif3t nicht ,, Die Rolle der medizinischen Entomologie", sondern es soll nur iibev die Rolle gesprochen werden, d. h. ich treffe eine Auswahl und beschranke mich auf einige eindrucksvolle und interessante Beispiele, an denen sich die Problematik der Aufgabe besonders gut zeigen

Page 2: Medizinische Entomologie: Über die Rolle der medizinischen Entomologie bei der Bekämpfung und Vorbeugung von Seuchen

246 F . Weyer

lafit. Bekampfung und Prophylaxe von Malaria, Gelbfieber und Fleckfieber werden dabei im Vordergrund stehen.

Ubertrager als Ansatzpunkt einer Krankheitsbekimpfung und -vorbeugung

Nur die Rolle von Insekten als Obertrager von pathogenen Keimen steht hier zur Diskussion, nicht ihre Funktion als Parasiten und Krankheitserreger, die vergleichsweise von recht untergeordneter Bedeutung ist. Beriicksichtigt werden einige obligatorische Ubertrager von solchen Krankheitserregern, wel- che sich nur in ganz bestimmten Insekten vermehren oder entwickeln, dabei besondere, fur die Weiterleitung an einen neuen Wirt geeignete Stadien bil- den, ohne die Obertrager keinen Wirt erreichen konnten und darum auch nicht existenzfahig waren. Nicht hierher gehoren z. B. Stubenfliegen, die zwar eine Fulle von Krankheitskeimen, u. a. Erreger von Typhus und Ruhr, Cho- lera und Kinderlahmung, von menschlichen Ausscheidungen auf Wunden, Schleimhaute und Nahrungsmittel verschleppen und dadurch gesunde Men- schen anstecken konnen. Diese Krankheitserreger sind aber fur ihre Erhaltung und Verbreitung nicht auf die Insektenubertrager angewiesen, sondern er- reichen ihre Wirte durch Kontakt, mit Nahrungsmitteln, Trinkwasser oder auf anderem Wege.

Bei den obligatorischen Ubertragern ergab sich fast von selbst der Gedan- ke, durch ihre Ausschaltung den naturlichen Entwicklungszyklus des Krank- heitserregers in einer entscheidenden Phase zu unterbrechen und damit Men- schen vor Neuansteckung zu schutzen. Werden z. B. in einem Malariagebiet alle Anophelen vernichtet, so mui3 diese Krankheit hier mit den letzten menschlichen Plasmodientragern in w enigen Jahren aussterben. Die Bekamp- fung der Ubertrager bot sich speziell dort als wirksame und gleichzeitig einzig mogliche Waff e an, wo keine Mittel zur Heilung der betreffenden Krankheit zur Verfiigung stehen.

Das gilt z. B. fur die in Sud- und Mittelamerika weitverbreitete und ge- fahrliche, durch Raubwanzen aus der Unterfamilie der Triatominae uber- tragene, durch Tvypanosoma cruzi verursachte Chagas-Krankheit, an der ge- genwartig noch 10-1 2 Millionen Menschen leiden. Eine Bekampfung dieser Volksseuche ist bis jetzt nur durch Ausschaltung der Obertrager moglich. Ohne auf diese Situation naher einzugehen, sei gesagt, dai3 dieser Weg auch mit Erfolg beschritten wurde und wird.

Die Bedeutung der Obertragerbekampfung dokumentiert sich besonders deutlich an zwei anderen wichtigen und gefahrlichen Seuchen, die fruher Tau- sende von Menschenleben gefordert haben, dem Gelbfieber, das durch die Stechmiicke Aedes aegypt i ubertragen wird, und den1 Fleckfieber, bei dem Kleiderlause die wichtigsten Obertrager sind. Die Vektoren kannte man lange vor den Erregern, und die Kenntnis der Obertragungswege ermoglichte mit der Bekampfung der Obertrager eine hochst wirkungsvolle Eindammung die- ser Seuchen. Auch fur das Gelbfieber gibt es noch keine spezifischen Behand- lungsmittel, und eine Heilung von Fleckfieberkranken ist erst seit Entdek- kung der Antibiotica moglich geworden. Wir kennen, um noch ein weiteres Beispiel zu bringen, kein geeignetes Mittel zur Behandlung der Onchocercose, einer Seuche, unter der in Westafrika annahernd 20 Millionen Menschen lei-

Page 3: Medizinische Entomologie: Über die Rolle der medizinischen Entomologie bei der Bekämpfung und Vorbeugung von Seuchen

Bekampfung und Vorbeugung von Seuchen 247

den. Auch hier bildet die Beseitigung der die Filarien ubertragenden Simulien bislang das einzige Bekampfungsverfahren von Bedeutung.

Aber selbst dort, wo wir iiber hochwirksanie Praparate zur Behandlung einer Krankheit verfugen, wie z. B. bei Malaria, steht der Kampf gegen die Vektoren - das sind hier die Anophelesmucken - mit Abstand im Vorder- grund, weil diese Form der Seuchenbekampfung, zumal in weitraumigen Gebieten und wegen der grogen Zahl befallener Personen, erheblich leichter, billiger und wirksamer ist als die Behandlung der kranken Menschen. Auger- dem stellt sie die sicherste prophylaktische Maanahme dar. Vorbeugen ist im- mer besser als Heilen, und jede durch Insekten iibertragene Krankheit mug in kurzer Zeit zum Erloschen kommen oder kann gar nicht erst Fuf3 fassen, wenn der Obertrager rechtzeitig ausgeschaltet wird.

Grundlagen und Problematik einer UbertrEgerbekampfung

Vorbeugung und Erstickung von Seuchen durch Ausmerzen der Obertrager sind naturlich an wirksame Bekampfungsmittel und -verfahren gebunden. ES erubrigt sich, hier auf die Entwicklung der Schadlingsbekampfung einzuge- hen, die Verwendung von tauglichen und untauglichen, gefahrlichen und un- gefahrlichen Mitteln, die enormen Anstrengungen zur Verbesserung von alten und zur Entdeckung von neuen Verfahren, die Aufzahlung wichtiger bioti- scher und abiotischer Methoden, die groflartigen Fortschritte in den letzten 25 Jahren und die den ursprunglichen Optimismus dampfenden Schwierig- keiten, z. B. die Insektizidresistenz. Ich kann aui3erdem auf eine Zusammen- stellung wichtiger Daten und die Problematik im Zusammenhang mit dem Thema ,,Entwesung" verweisen, die in diesem Jahr erschienen ist (13). Hier moge der Hinweis genugen, dai3 die Entdeckung der synthetischen Insektizide mit langer Dauerwirkung auf dem Gebiet der Bekampfung von Gesundheits- schadlingen eine geradezu revolutionare Entwicklung einleitete.

Kein Zweifel, dai3 bei der Bekampfung von schadlichen Insekten chemische Praparate immer noch im Vordergrund stehen, trotz ,,Stummer Fruhling" mit allen seinen Konsequenzen, trotz der akuten und chronischen Toxizitat einiger Insektizide fur den Menschen und trotz des erst kurzlich erfolgten, vorerst zeitlich und raumlich begrenzten Verbotes der Anwendung von DDT in verschiedenen Landern. Die grogen Vorteile der neuen Insektizide, die leichte Herstellung, der tragbare Preis, die geringe Gifiigkeit fur den Warm- bluter, die mannigfaltigen Mijglichkeiten der bequemen Applikation in trok- kener oder flussiger Form zum Verspruhen, Vernebeln, Verrauchern oder als Gas, die Aufbringung auf den Korper, in der Kleidung, in Zimmern, Stallen und sogar im Freien, vor allem aber die lange Wirkungsdauer eines auf die Wande oder die Decke gebrachten insektiziden Belages forderten ihre An- wendung gegen krankheitsubertragende Insekten geradezu heraus.

Ohne auf die grundsatzliche Problematik der Verwendung von chemi- schen Bekampfungsmitteln hier naher einzugehen, sei gesagt, dai3 man auch vor der Entdeckung der synthetischen Insektizide z. T. durchaus wirkungs- volle Verfahren zur Bekampfung von krankheitsubertragenden Insekten kannte, z. B. die Entlausung durch Hitze oder die Abtotung von Anopheles- larven durch Schweinfurter Grun. Wahrend sich bei den Stechmucken die Be- kampfung fruher, au& unter Verwendung biotisch-okologischer MaBnah-

Page 4: Medizinische Entomologie: Über die Rolle der medizinischen Entomologie bei der Bekämpfung und Vorbeugung von Seuchen

248 F. Weyer

men, auf die Larven beschranken rnufite, eroffneten die Kontaktinsektizide endlich einen gangbaren Weg zur Vernichtung von erwachsenen Mucken, al- so den eigentlichen Ubertragern, der sich als so erfolgreich erwies, dai3 die Larvenbekampfung daneben heute nur noch eine zweitrangige und lokal be- grenzte Rolle spielt.

Die anfanglich verstandliche Hoffnung, init den neuen Mitteln bestimmte Ubertragerarten ganz ausrotten und damit die von ihnen ubertragenen Krankheiten zum Erloschen bringen zu konnen, hat inzw ischen einer nuch- ternen und kritischen Auffassung Platz gemacht. Die Toxizitat, die bei der Bekampfung von Gesundheitsschadlingen, mit denen der Mensch engen Kon- takt hat, besonders wichtig ist und deren Wirkung bei langer Exposition oder Speicherung im Korper in ihren letzten Auswirkungen heute noch nicht uber- sehen werden kann, hatte ich bereits erwahnt. An solche Mittel mussen in jedem Fall hohe Anforderungen gestellt werden, und sie unterliegen daher auch einer strengen staatlichen Kontrolle, die die Riickstande zu berucksich- tigen und Toleranzen und Karenzzeiten zu bestimmen hat.

Angeklungen ist auch schon das Problem der Resistenz, die bei der Seuchen- bekampfung durch Ausnierzen der ObertrBger bisher wohl den starksten Hemmschuh gebildet hat. 1946 war Insektizidresistenz nur bei zwei hygie- nisch wichtigen Insektenarten bekannt, 1958 waren es 46 und 1962 schon 81 Arten; nach der letzten Zusammenstellung der Weltgesundheitsorganisatioii kannte man 1968 102 resistente Arten, darunter 38 Malariaubertrager (9). Die Insektizide mussen, uin wirken zu konnen, mit den Schadlingen ausrei- chend in Beruhrung kommen. Man weii3 heute ferner, dai3 es nur auf kleinem Raum, z. B. auf Inseln, gelingt, eine Ubertragerart wirklich auszurotten, dai3 es aber fur die Krankheitsbekampfung und -verhutung ausreicht, die Zahl der Ubertrager bis zu einem bestimmten Grad zu reduzieren.

Diese und andere, zuin Teil recht banale Tatsachen und Feststellungen ha- ben jedoch dazu gefuhrt, die Erforschung der Lebensweise der Ubertrager augerordentlich zu intensivieren, das Studium ihrer Entwicklung, Okologie, ihres Verhaltens, der Lebensdauer, der Sauggewohnheiten usw. Mit Oberra- schung stellte man fest, welche groi3en Lucken unsere Kenntnisse selbst bei so lange und grundlich untersuchten Objekten wie den Stechmucken noch auf- wiesen. Das Ergebnis solcher Arbeiten hat sich in zahlreichen Methoden und in Erkenntnissen niedergeschlagen, die auch die Grundlagenforschung frucht- bar beeinflufit und vorangetrieben haben. Erinnert sei an die Untersuchungen uber den Wirkungsmechanismus und den Abbau der Insektizide, den Stoff- wechsel der Ubertrager, die Altersbestiminungen, die Wirtswahl, die Attrak- tion und Irritation, uber Anderungen des Verhaltens, uber die genetischen Grundlagen der Resistenz, die Artbildung, Versuche zur Sterilisierung von Mannchen, die z. B. bei der Bekampfung der Schraubenwurmfliege Callityoga hominivorax auf C u r a p o und in Florida so groi3artige Erfolge gebracht ha- ben, und die Verwendung von Repellentien und Chemosterilantien.

Beispiele fur die Erfolge einer Seuchenbekampfung durch Ausschalten der Ubertrager

Unter den geschilderten Voraussetzungen und Einschrankungen sind im Rah- inen der Bekampfung und Vorbeugung von Seuchen hervorragende Ergeb-

Page 5: Medizinische Entomologie: Über die Rolle der medizinischen Entomologie bei der Bekämpfung und Vorbeugung von Seuchen

Bekampfung und Vovbeugung von Seuchen 249

nisse erzielt worden, fur die einige Beispiele und Zahlen angefuhrt seien, wo- bei Schlafkrankheit, Pest und Ruckfallfieber ubergangen werden sollen, obwohl bei der erfolgreichen Bekampfung dieser Seuchen die medizinische Entomologie ebenfalls stark beteiligt war und ist.

Zu den imponierendsten Beispielen gehort zweifellos die Malariabekamp- fung (5), (9), (lo), (11). Unter dem Eindruck der bequemen Anwendung und hervorragenden Langzeitwirkung der neuen Insektizide fafite die Weltge- sundheitsorganisation 1956 den Plan einer weltweiten Malariaausrottung, der in erster Linie auf einer Vernichtung der ubertragenden Anophelesmuk- ken basierte. Damals erkrankten noch von den uber 1700 Mill. Menschen, die in Malariagebieten lebten, jahrlich 200 Millionen, von denen etwa 3 Millio- nen starben. Ende 1968 war durch planmafiige und pausenlos fortgesetzte Mafinahmen und Anstrengungen fur uber 1000 Millionen Bewohner (d. h. mehr als 70 O/o) die Malariagefahr, unter der sie bislang leben mufiten, ge- bannt. Das betraf 36 der fruher verseuchten 146 bzw. 147 Lander. Zu den von Malaria befreiten Landern gehoren jetzt u. a. Jugoslawien, Rumanien, Albanien, Bulgarien, Portugal, Spanien, Israel, Japan und Venezuela. Nur noch 367 Millionen Menschen, das sind 21 O / o , leben heute in von Malaria befallenen Gebieten; 2/3 davon liegen in Afrika.

Einen kleinen Eindruck vom Umfang dieser Kampagne erhalt man, wenn man hort, dafi fur die Bekampfung in jedeni Jahr etwa 50 000 t Insektizide durch 25 000 Spritzkolonnen verbraucht worden sind, wobei jeweils 100 Millionen Hauser und Stalle ein- oder zweimal im Jahr mit Insektiziden be- handelt wurden. Die Weltgesundheitsorganisation gab dafur in 5 Jahren 80 Mill. Dollar aus, die USA kostete die Bekampfung im eigenen Land von 1957 bis 1967 235 Mill. Dollar. In Indien und Pakistan sind 1967 30 Mill. Hauser gespritzt und dadurch 134,6 Mill. Menschen vor Malaria geschutzt worden. Im Jahre 1968 wurden mit Unterstutzung der Weltgesundheitsorganisation 1200 chemische Verbindungen auf ihre insektizide Wirkung getestet (2), (6),

Auch die erfolgreiche Bekampfung des Gelbfiebers, an dem, um nur zwei Beispiele zu nennen, 1800 in Spanien 10 000 und zwischen 1853 und 1900 in Havanna 34 000 Menschen starben, basiert an erster Stelle auf der Ausmer- zung des Obertragers Aedes aegypti (I) , (3), (12). Erst in den letzten Jahr- zehnten nimmt die Schutzimpfung bei der Prophylaxe einen wichtigen Platz ein. Die Bekampfung der Gelbfiebermucke setzte schon bald nach der Entdek- kung des Obertragungsweges Ende des vorigen Jahrhunderts ein. Sie bediente sich u. a. in Havanna und Panama der damals gebrauchlichen Mittel, d. h. der Beseitigung von Brutplatzen, des Abtotens von Larven, der Verhinderung der Eiablage und des Schutzes der Menschen vor den Stichen. Man fand her- aus, dafi keine Gefahr mehr fur eine Gelbfieberubertragung besteht, wenn weniger als 5 O / o der Hauser einer Gemeinde Brutplatze enthalten. Zu ver- schiedenen Zeiten wurden in Amerika staatlich organisierte und finanzierte Grofiaktionen zur Bekampfung der Gelbfiebermucke gestartet.

Mit den neuen Insektiziden tauchte der Gedanke einer Ausrottung der Mucke in Amerika auf bzw. er wurde jetzt intensiviert und teilweise reali- siert. Wenig spater dachte man sogar daran, Aedes aegypti in der ganzen Welt auszurotten. 1967 meldeten 19 Lander in Sud- und Mittelanierika, dafi es bei ihnen keine Gelbfiebermucken mehr gabe. D a m gehorten Argentinien, Brasilien, Bolivien, Chile, Ekuador, Peru, Uruguay, Paraguay, Honduras, Panama und Mexiko (12). Dafl sich diese gunstige Situation in den letzten

(9).

Page 6: Medizinische Entomologie: Über die Rolle der medizinischen Entomologie bei der Bekämpfung und Vorbeugung von Seuchen

250 F. Weyer

Jahren erheblich verschlechtert hat, vor allein durch Resistenz und Neuein- schleppung, geht aus den Ausfuhrungen von Herrn Dr. KUHLOW hervor.

Auf die Gelbfieberlage hat sich die Bekampfung der Obertragermucke trotzdem hervorragend ausgewirkt. Stadtgelbfieber ist in Ainerika seit 1934 (wahrscheinlich gab es nur auf Trinidad vier Falle) nicht mehr aufgetreten. Zwischen 1958 und 1968, also in 10 Jahren, meldet die amtliche Statistik aus Sud- und Mittelamerika 3007 Gelbfieberkranke. Dabei handelte es sich um Buschgelbfieber, das nicht von Aedes aegypti ubertragen wird. 1967 wurden auf der ganzen Welt 17 Gelbfieberfalle gezahlt, 1968 waren es 41 Falle (1).

Als letztes Beispiel sol1 das klassische Fleckfieber genannt werden, das durch Kleiderlause ubertragen wird. Man schatzt, dai3 wahrend der groi3en Fleckfieberepidemie in Rui3land zwischen 1918 und 1923 20-30 Mill. Men- schen an Fleckfieber erkrankten, von denen 2-3 Mill. gestorben sein durfien. Bei der Bekampfung der Obertrager, die wahrend der beiden Weltkriege noch uberwiegend durch Hitze vorgenommen wurde, zeigten sich die syntheti- schen Insektizide, auch wegen der leichten Anwendung als Puder oder zur Im- pragnierung der Wasche, besonders wirksam, zumal bei den Lausen auch die Resistenz noch keine groi3eren Schwierigkeiten bereitet hat. Aus einer ge- furchteten und mit hoher Mortalitat einhergehenden, in weiten Teilen von Europa, Asien, Nordafrika sowie Sud- und Mittelamerika beheimateten Seuche, die noch im 2. Weltkrieg Tausende von Menschenleben forderte, ist heute eine nur an wenigen Stellen in kleinen Herden vorkommende, fast harmlose Krankheit geworden, in erster Linie, weil der Obertrager in vielen Landern praktisch ausgerottet wurde.

Zuin erstenmal gelang es wahrend des 2. Weltkrieges 1943/44 in Neapel, eine sich anbahnende ernste Fleckfieberepidemie allein durch gezielte Anwen- dung von DDT innerhalb von drei Wochen im Keim zu ersticken. Ein denk- wiirdiges Ereignis! Die Weltgesundheitsorganisation gibt fur 1967 insgesamt nur 7789 Fleckfieberfalle an, und 1968 waren es 7082 Falle. Davon entfallt der groi3te Teil auf Wthiopien und Burundi. In Europa sind 1967 lediglich 23 und im folgenden Jahr 19 Falle bekannt geworden. Da es fur das klassi- sche Fleckfieber wahrscheinlich keine tierischen Reservoire gibt, besteht bei dieser Krankheit jetzt wirklich begrundete Hoffnung, dafl sie in absehbarer Zeit ganz verschwindet.

Schlui3 folgerungen

Ich habe in meinen Beispielen fur die Rolle der medizinischen Entomologie bei der Bekampfung und Vorbeugung von Seuchen die eindeutigen und be- sonders wichtigen Erfolge in den Vordergrund gestellt und damit fur den Auflenstehenden vielleicht ein zu gunstiges Bild der Lage gezeichnet. Deshalb sind auch Einschrankungen am Platze. Wir wissen heute, dai3 mit chemischen Mitteln allein die gesteckten Ziele der Obertrager- und damit der Seuchen- ausrottung oder -prophylaxe nicht zu erreichen sind. Schon ist an mehreren Stellen das wichtige Programm der Weltgesundheitsorganisation zur Malaria- ausrottung zum Stillstand gekommen, und es hat schwere Ruckschlage gege- ben. In Ceylon litten 1967 uber 1 Million Menschen an Malaria, und eine Gelbfieberepidemie erfai3te von 1960 bis 1962 in Athiopien uber 200 000 Menschen, von denen mindestens 60 000 starben (7), (14). Im Senegal er- krankten noch 1965 uber 100 Menschen todlich an Gelbfieber (4).

Page 7: Medizinische Entomologie: Über die Rolle der medizinischen Entomologie bei der Bekämpfung und Vorbeugung von Seuchen

Bekampfung und Vorbeugung von Seuchen 25 1

In jedem Fall stellt sich auch auf dem Gebiet der medizinischen Entomo- logie eine Fiille von neuen und zum Teil schwierigen Aufgaben fur Forschung und Praxis. Andere Insektizide mussen gefunden werden, die weniger toxisch als die bisher bekannten sind und die sich auch gegen resistente Populationen verwenden lassen. Die Anwendungsmethoden konnen weiter verbessert wer- den. Bewahrt hat sich z. B. in letzter Zeit die Benutzung von extrem kleinen Volumina hochkonzentrierter Insektizide. Wenn moglich, versucht man, von den chemischen Mitteln loszukommen oder sie mit biologisch-okologischen Verfahren zu kombinieren. Man greifl dabei in der Stechmuckenbekamp- fung auf alte Verfahren zuruck, auf die man vor der Entdeckung der syn- thetischen Insektizide iiberwiegend angewiesen war. Man spricht von einer ,,integrierten Schadlingsbekampfung".

In den letzten Jahren wird der biologischen Bekampfung ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt, wobei man nicht nur an die Bekampfung von Krankheitsubertragern durch ihre natiirlichen Feinde oder durch Parasiten und pathogene Mikroorganismen denkt, sondern an Verfahren, die in die Bio- logic der Schadlinge nachhaltig eingreifen. Hier stehen in jungster Zeit die genetischen Methoden im Vordergrund des Interesses, z. B. die Autosterilisa- tion, bei der es sich um die experimentelle Einfuhrung von dominanten leta- len Genen, also um die Produktion von Mutanten handelt, durch die es auf dem Umweg uber Sterilitat bzw. Semisterilitat oder eine Anderung des Ge- schlechtsverhaltnisses zu einer Storung und Unterbrechung der Fortpflanzung kommt. Es ist daran gedacht worden, Stechmuckenpopulationen zu zuchten und freizulassen, die durch Bestrahlung oder sonstige Eingriffe in ihr geneti- sches Gefuge andere Rastplatze, Saug- und Brutgewohnheiten haben als die naturlichen oder die fur Krankheitserreger gar nicht empfanglich sind. Man hofi, mit solchen harmlosen Populationen die gefahrlichen verdrangen zu konnen. Auch die Ziichtung von inkompatiblen Mannchen ist moglich, wie das Beispiel von Culex pipiens zeigt. Diese Methoden haben teilweise schon das Laboratoriumsstadium hinter sich und sind, freilich auf begrenzteni Raum, mit Erfolg im Freiland erprobt worden (8 ) . Jedoch kann von eineni Grofleinsatz solcher genetischen Methoden in der Praxis heute noch nicht die Rede sein.

Die medizinische Entomologie kann mit Stolz auf Leistungen und Erfolge verweisen, an denen sie nachhaltig beteiligt war und die vielen Menschen Gesundheit und Leben erhalten haben. Sie hat aber keinen Grund, auf diesen Lorbeeren auszuruhen. Ein weites Feld neuer, wichtiger und interessanter Forschungsarbeit liegt heute wie fruher vor ihr. Lediglich die Blickrichtung hat sich geandert, andere Aufgaben und Probleme sind an Stelle der alten getre- ten und erfordern fortgesetzten und intensiven Einsatz.

Zusammenfassung

Bei der Bekampfung und Vorbeugung von Infcktionskraiikheiten mit cpidemischem Cha- rakter, die durch Insekten und anderc Arthropoden ubertragen werden, hat die Vernich- tung der Ubertr iger schon iinmer eine wichtige Rolle gespielt. Die Dbertragerbekampfung ist durch die Entwicklung von sehr effektiven synthetischen Insektiziden mit langer Wir- kungsdauer auf eiiie neue und vie1 breitere Basis gestellt worden. Dabei ha t sich das Schwer- gewicht der Prophylaxe und Bekampfung selbst bei Krankheiten, gegen die wirksame Medi- liamentc zur Vcrfugung stehen, auf die Vernichtung der Dbertrager verlagert.

Es werden Beispiele erijrtert, die sich besonders auf Malaria, Fleckfieber und Gelbfieber beziehen. Die erfolgreiche Anwendung der Insektizide hatte eine grundliche Erweiterung unscrer Kenntnisse uber Biologie, Okologie und Vcrhalten der Ubertrager zur Vorausset-

Page 8: Medizinische Entomologie: Über die Rolle der medizinischen Entomologie bei der Bekämpfung und Vorbeugung von Seuchen

252 F. Meyer

zung. Hingewiesen wird aber auch auf die bei diesen Arbeiten unerwartet aufgetauchten Schwierigkeiten, z. B. die Insektizidresistenz und ihre Problematik.

Summary

The role of medical entomology fo r prevention nnfd control of infectious diseases Since long the destruction of vectors has played an important role for the prevention and control of infectious diseases transmitted by arthropodes. An example is the fighr against the epidemic typhus-transmitting body lice during the first world war. Nowadays the development of powerful synthetic insecticides with a long residual action has given vector control a new and much wider base. The optlmistic expectation that certain vectors and the diseases transmitted by them could be eradicated within a forseeable time have not been fulfilled so far. However, since the second world war most impressive results have been achieved by chemical control of insect vectors. Destruction of vectors has become the main effort for the prevention and control even of diseases for which effective drugs are available. As a result in many areas dangerous diseases have disappeared or have been reduced to small foci which not constitute a public health problem any more. Examples are given related to malaria, epidemic typhus fever, and yellow fever. A prerequisite for the successful application of insecticides has been a considerable increases in our knowledge on the biology, ecology, and behaviour of vector species. I t is referred to the difficulties encountered e. g. the problem of insecticide resistance, which necessitate the continous development of new insecticides and methods for control including biological and genetical methods, which, in a few instances, have given surprising results.

Literatur

1. ANDERS, W., und Voss, H., 1968: Gelbficber. Bundesgesundheitsbl. 11, 17-21. 2. BRUCE-CHWATT, L. J., 1964: Towards malaria eradication. S P A N 7, 11-17. 3. CAMARGO, S., 1967: Organization and administration of Aedes aegypti control and

4. CHAMBON et al., 1967: Une tpidCmie de f i h e jaune au SCntgal en 1965: 1’CpidCmic

5. 6. FONTAINE, R. E., 1968: Some recent developments and trends in vector control aspects

7. Die Gelbfieber-Epidemie in Athiopien, 1964. Bundesgesundheitsbl. 7, 347. 8. LAVFN, H., 1969: Genetische Schadlingsbckampfung: Produktion von Semisterilitat bei

der Stechmiicke Culex pipiens und Aussichten fur die Bekampfung mit diesem System. Anz. Schadlingskunde 42, 17-19.

9. Malaria. Wld Hlth, 1969: June, 22.

eradication programmes. Bull. Wld H l t h Org. 36, 610-613.

humaine. Bull. Wld H l t h Org. 36, 113-150. Communicable diseases in 1968, 1969: W H O Chron. 23, 358-368.

of malaria eradication. Mosquito News 28, 491-495.

10. Malaria eradication in 1968, 1969: W H O Chron. 23, 513-523. 1 1 . Malaria-Ausrottung 1966, 1968 : Bundesgesundheitsbl. 11, 29. 12. SOPEK, F. L., 1965: The 1964 status of Aedes aegypti eradication and yellow fever in

the Americas. Amer. J. trop. Med. Hyg. 14, 887-891. 13. WTYtR, F., 1969: Entwesung. In: Die Infektionskrankheitrn des Menschen und ihre

Erreger (Herausgeber A. Grumbach u. 0. Bonin), 2. Aufl., Bd. 1 , 558-586, Stuttgart: G. Thieme Verlag.

14. Yellow fever in Africa, 1967: W H O Chron. 21, 393-396.